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Vorwort

Vorwort

„Nach dem Tod gibt es für die Seele einen Menschen nur drei Möglichkeiten. Entweder er landet im Himmel, wo natürlich jeder hinmöchte, was ich auch gut verstehen kann, oder er landet in der Hölle beim Teufel und wird Qualen erleiden, die ich nicht einmal wage auszusprechen. Nur selten aber verweilt die Seele in der Zwischenwelt, doch dort wird sie große Güte und Fairness erfahren.

 Im Himmel schaffen Berufe keinerlei Unterschiede und Diskriminierung sollte für jeden ein Fremdwort sein. Gabriel, der sehr viel Wert auf derartige Prinzipien gelegt hatte, war der höchste Engel, bis er in einer Schlacht von einem bislang unbekannten Gegner getötet wurde. Seinen Platz hat Michael eingenommen, da dessen älterer Bruder Lucifer verbannt und somit enterbt wurde. Neben dem Anführer der Engel oder besser gesagt dem höchsten der Engel, gibt es noch Minister, einen General und weitere nieder stehende Offiziere. 

 Doch wie du selbst noch herausfinden wirst, meine Kleine, gibt es verschiedene Arten von Engeln. Es gibt die Erzengel, die Schutzengel, die Botenengel und sogar die Todesengel. Jeder Engel hat seine ganz eigene Aufgabe, die nur für ihn bestimmt ist und eines Tages wirst auch du eine solche Aufgabe bekommen und große Verantwortung übernehmen müssen.

Erzengel entspringen seit jeher der Herrscherfamilie, sind dazu da um über die Engel zu herrschen und besitzen besondere Fähigkeiten, so auch du. Diese Fähigkeiten erhalten sie erst ab einem bestimmten Alter und jede davon ist einzigartig.

Schutzengel sind für das Beschützen der Menschen zuständig, werden im Himmel geboren und ausgebildet. Damit sie ihre Aufgabe erfüllen können, leben sie ab einem bestimmten Zeitpunkt dann auf der Erde unter den Menschen und müssen ihr wahres Ich verstecken, um normal leben zu können. Da Engel jedoch nicht altern, müssen sie ihr Aussehen stetig ihrem menschlichen Alter anpassen, um nicht aufzufallen. 

Botenengel sind, wie der Name bereits sagt, Boten, die Nachrichten vom Himmel zur Zwischenwelt und umgekehrt überbringen. Auch sind sie dafür zuständig gute Seelen auf ihrem Weg in den Himmel zu begleiten, wo die Seelen dann den anderen übergeben werden. Nur ihnen und dem Herrscher ist es möglich ein Portal zu öffnen, und dies wann und wo sie möchten. 

Die Todesengel, die jedoch überwiegend als Himmelsvollstrecker oder Seelenbegleiter bezeichnet werden, da das wesentlich besser klingt und auch besser zu ihrer Tätigkeit passt, sind dafür zuständig, die Seelen verstorbener Menschen in die Zwischenwelt zu bringen.

Nun fragst du dich bestimmt, was denn die Zwischenwelt überhaupt ist. Nun, lass mich dir dies auch erklären. Die Herrscherin der Zwischenwelt ist Linea, zu welcher die Seelen verstorbener Menschen zuerst kommen, damit über sie gerichtet werden kann. Dabei gibt es drei Möglichkeiten. Sollten sie zu den Guten gehören, sprich in ihrem Leben mehr Gutes als Böses getan haben, werden sie als Engel im Himmel wiedergeboren. Haben sie jedoch mehr Böses als Gutes getan, so werden sie als Dämonen in die Tiefen der Hölle verbannt, aus denen es kein Zurück gibt. Verlorene Seelen, die keinen Platz in einer der beiden Welten finden, können bleiben.
In der Zwischenwelt sind auch sogenannte Mischkinder, von welchen ein Elternteil Dämon und einer Engel ist, zu finden, da diese weder im Himmel noch in der Hölle anerkannt werden.

Und wie bereits gesagt, gibt es auch noch die Hölle, die oft auch als Unterwelt bezeichnet wird.
Wie jeder von uns weiß, wird die Hölle von Lucifer, dem Teufel oder gefallen Engel, regiert. Seine Untertanen bestehen ausnahmslos aus grimmigen Dämonen und vereinzelt auch aus gefallenen Engeln, die den Himmel verraten und ihre gerechte Strafe erhalten haben. Das Rechtssystem der Hölle ist simpel. Lucifer herrscht als Diktator und er duldet nur Mitsprache seiner Lords, die an seiner statt einzelne Teile der Hölle verwalten, da die Unterwelt einfach zu groß ist, um nur von einem einzigen Mann regiert zu werden. Unter ihm stehen noch sein General, der das gesamte Heer befehligt, seine Minister und seine Richter, die das System aufrechterhalten und über die Zukunft der Verurteilten entscheiden.

Nun mein Liebling, habe ich dir all das Wissen vermittelt, das du eines Tages brauchen wirst. Ich weiß, dass du es zu Großem bringen wirst, auch wenn ich dir bereits ein paar Steine in den Weg gelegt habe. Hätte ich auch nur geahnt, dass diese Waffe eine solche Auswirkung auf deine wunderschönen Flügel hatte, so hätte ich sie niemals behalten, aber leider weiß man solche Dinge erst im Nachhinein. Anfangs wird es hart für dich sein, aber ich liebe dich, dein Vater liebt dich und auch deine Geschwister werden dich stets auf deinem Weg beschützen.

Wenn du nun die Augen schließt, wirst du uns alle, deine Familie, vergessen. Ganz bestimmt wirst du aber herausfinden, dass dies nur zu deinem Schutze diente und eines Tages wirst du mir dankbar sein für das, was ich für dich getan habe, mein Kind…“

Prolog

 

Prolog

 

Dilenia


Stille. In meinem Zimmer herrschte eine absolute und nahezu erdrückende Stille. Mein Herz raste wie wild, als ich von draußen bedrohliche Schritte wahrnahm, die immer lauter zu werden schienen. Aus Angst presste ich meinen Körper gegen die Wand, in der Hoffnung, der Kleiderschrank neben mir würde mir Schutz vor dem Eindringling bieten. Seit der Morddrohung, die ich vor wenigen Tagen erhalten hatte, konnte ich keinen Tag mehr ohne diese furchtbare Angst leben, welche mich bis in meine Träume verfolgte und mir sogar den Schlaf raubte.


Mein Mann hatte mich hierher gebracht, um mich in Sicherheit zu wissen, da außer ihm kaum einer von diesem Versteck wusste. Bewacht wurde ich von zwei bestens ausgebildeten Leibwachen, die Tag und Nacht vor meiner Tür Wache hielten. Das Zimmer war in einer Höhle, weshalb es keine Fenster gab und es auch entsprechend kalt war.
Nur das kleine Bett und ein Kleiderschrank ließen vermuten, dass man es überhaupt als Zimmer betrachten konnte. Neben dem alten Holz Bett stand ein Nachtkästchen, welches mir zugleich als Esstisch und Ablage diente. Die strahlende und wärmende Sonne hatte ich seit Tagen nicht gesehen und die Dunkelheit fing an, an mir zu nagen und mich verrückt zu machen.
Als die Schritte schließlich meine Tür erreichten, wagte ich es kaum noch zu atmen, jedes Geräusch hätte mich verraten können. Natürlich hoffte ich, dass es nur ein Bote meines Mannes war, doch mein Gefühl hatte etwas gegen diesen Gedanken.
Plötzlich hörte ich die Wachen vor der Tür etwas schreien und ihre Schwerter ziehen, doch gleich darauf waren sie verstummt und ich konnte nur noch hören, wie ihre Körper dumpf gegen den Boden knallten.
Dann fing der Türknauf langsam an, sich zu drehen, um dem Angreifer Einlass zu gewähren. Geduld schien er nicht zu haben, da er nebenbei ziemlich daran rüttelte. Abgeschlossen hatte ich nicht, für den Fall dass meine Wachen was brauchen würden, außerdem würde ich mir dann vorkommen wie eine Gefangene, und das war ich ja schließlich nicht.
Das Knacken der inzwischen ziemlich alten Holztür verriet mir, dass er hier war. Er war gekommen, um mich zu töten. Und ich, ich kannte ihn nicht einmal und erst recht nicht den Grund, warum er mich töten wollte.

Ich presste meinen Körper noch mehr gegen die Wand und hoffte inständig, dass er mich nicht sehen und wieder gehen würde. Er kam immer näher auf mich zu und mein Herz fühlte sich so an, als ob es gleich in meiner Brust zerspringen würde. Blut rann meine Lippen herunter, so sehr hatte ich darauf gebissen. Anstatt zu zittern bebte mein Körper inzwischen richtig und niemals zuvor in meinem ganzen Leben hatte ich solch eine Angst verspürt wie gerade jetzt.

Doch das schlimmste war, dass ich nicht einmal in der Lage war, ihn zu sehen, es war sogar so dunkel dass ich nicht einmal meine Hand vor meinem Gesicht sehen konnte.

Plötzlich legte jemand seine Hand auf meine Schulter und ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken herunter.
„Fürchte dich nicht, ich bin es Dilenia.“ Der warme Klang seiner Worte ließ mich zur Realität zurückkehren. Es war nicht der Angreifer. Er zündete eine Kerze an und ich konnte im Licht sehen, dass er tatsächlich einer von den ‚Guten‘ war und niemand, der mir etwas zuleide tun wollen würde.

„Was machst du hier? Und warum hast du meine Wachen bewusstlos geschlagen?“, wollte ich mit einer inzwischen beruhigten Stimme wissen und wischte mir mit meinem Ärmel das Blut von meiner Unterlippe weg. Er war einer der wenigen der wusste, wo ich war und der mich auch immer mal wieder besuchte, aber meinen Wachen hatte er bislang noch nie etwas getan.

 

„Nun, mein Bruder schickt mich, ich brauche Es. Ein Krieg steht bevor und nur damit sind wir in der Lage, uns verteidigen zu können. Aber um auf die Wachen zurückzukommen, sie schienen mich in der Dunkelheit wohl nicht erkannt zu haben und wollten mich angreifen, das musste ich verhindern, aber hab keine Angst, es geht ihnen natürlich gut.“ Er lächelte und erwärmte damit mein verängstigtes Herz, das inzwischen wieder normales Tempo anzunehmen schien. Seine himmelblauen Augen strahlten und sahen tief in die meinen, woraufhin ein leichtes Lächeln über meine Lippen huschte.

 

„Wenn dem so ist, helfe ich natürlich gerne. Doch sei gewarnt, länger als eine Stunde wirst du die mächtigste aller Waffen nicht halten können, denn dann wird das Gift dich grausam umbringen und Es fällt im schlimmsten Falle noch unserem Gegner in die Hände…“ Mit diesen Worten überreichte ich ihm das, worum er mich gebeten hatte und sah ihn mit meinen großen, traurigen Augen an. Vorsichtig und zärtlich strich er über meine Wange, um mich noch vollständig beruhigen zu können.

Dankbar nahm er dann an, was ich ihm hinhielt. „Du solltest gehen. So gerne ich dich auch hierbehalten würde, man braucht dich woanders mehr als ich dich hier…“

 

„Ich weiß ja, ich weiß ja…aber vorher muss ich noch etwas tun…“ Dann ging alles viel zu schnell für meinen Verstand. Ein stechender Schmerz machte sich in meiner Brust breit und ich musste unweigerlich Blut spucken. Die Waffe, die ich ihn in gutem Willen gegeben hatte, richtete er gegen mich. Meine Füße gaben unter dem Gewicht meines Körpers nach und ich musste mich auf die Knie sinken lassen. Er legte seine Hand unter mein Kinn und zog es grob nach oben, sodass ich ihn ansehen musste. Tränen rannen meine Wangen herunter, ich wusste, dass ich das nicht überleben würde. Meine Kinder würden ohne ihre Mutter und mein Mann ohne seine Frau weiterleben müssen. Und das nur, weil ich dem Falschen vertraut hatte. Verraten vom besten Freund.

 

Mein Leib kippte seitlich zu Boden. Langsam fiel mir das Atmen ziemlich schwer und auch meine Augen wollten einfach nur noch zu fallen. Ich konnte noch sehen und hören, wie er die Wachen tötete und mir die Waffe in die Hand drückte.

„Wir wollen doch nicht, dass dein Mann den Mörder suchen und gar verurteilen lässt, was Süße?“ Diese Worte wurden begleitet von einem fiesen Grinsen und einer amüsiert klingenden Stimme, wofür ich ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte.

Schließlich verließ mich auch die letzte Lebenskraft und ich schloss meine Augen, wissend, sie nie wieder öffnen zu können. Mit den Namen meiner Kinder in Gedanken, hörte ich nun auch auf zu atmen.

Kapitel 1: Verbannung?!


Eliana
Zufrieden und fies grinsend saß ich auf einem Tempel, der sich etwas außerhalb der Stadt befand. Errichtet wurde er zu Ehren meines Adoptivvaters, Gabriel, für seine Taten und die Rettung der Engel vor der Hölle. Der Tempel war nicht besonders groß, aber Gabriel hielt nicht viel von prunkvollen Einrichtungen, weshalb die Leute ihn so bauten. Die Decke wurde von weißen Säulen gestützt, Wände gab es keine, sodass man von allen Seiten hineingehen konnte. Er stand auf einem höheren Hügel, weshalb ich perfekt über die gesamte Stadt blicken konnte.
Stolz sah ich mir das Chaos an, das ich verursacht hatte. Neben dutzenden zerstörten Häusern, welche ich mit dem größten Vergnügen dem Erdboden gleich gemacht hatte, hatte ich auch dafür gesorgt, dass einige Stellen nun kahl waren, an welchen früher Bäume gestanden hatten. Die Häuser wurden von bewohnt von jenen, die sowieso genug Geld hatten, um sie wieder aufzubauen, nächstes Mal sogar größer und besser. Aber im Grunde genommen war im Himmel jeder reich und eigentlich sollte auch jeder gleich viel wert sein. Die Betonung liegt hier jedoch auf dem Wort eigentlich.
Ich freute mich bereits auf den Blick und die Worte meines Bruders, wenn er mich finden würde. Die halbe Engelstadt lag in Trümmern und ich war schuld und ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich das war oder zumindest gleich mich verdächtigen würde. Engel waren ja schließlich so brav und niemals imstande, so etwas Schlimmes anzurichten. Wenigstens konnte er sich nicht darüber beschweren, dass die Zerstörung Tote gefordert hatte, denn Engel konnten nicht sterben. Zumindest nicht durch so etwas.
Die Bewohner der Häuser flogen wie wild umher und versuchten, alle Schäden möglichst gering zu halten und zu verhindern, dass weitere Teile einstürzten. Auch andere Engel kamen ihnen zu Hilfe und taten, was sie tun konnten. Mit Pfeilern stützten sie die Stellen, an denen Säulen den Geist aufgegeben hatten und mit Wasser löschten sie das Feuer, mit dem ich die Bäume in Brand gesteckt hatte.
Mit dem Ergebnis zufrieden überlegte ich mir, was ich wohl als nächstes alles anstellen könnte. Ideen hatte ich genug, doch die Umsetzung war meist gar nicht so einfach wie ursprünglich gedacht, doch noch würde ich nicht aufhören, Zerstörung über die Engel zu bringen.
Sie hatten es immerhin nicht anders verdient. Seit meiner Kindheit hatten sie mich nur verspottet und verstoßen. Jeder warf mir Schimpfwörter an den Kopf oder lachte mich aus. Aber ich bin kein Monster! Ich bin anders, aber anders ist nicht schlecht!
Den größten Teil meiner Kindheit hatte ich deshalb in meinem Zimmer verbracht und hatte nur Kontakt zu meinen Brüdern und meinem Vater, welche immer wieder vorbeikamen und mir Mut machten, den die anderen jedoch gleich darauf wieder mit der größten Freude zerstörten.
Doch nun war ich es, die etwas zerstörte, mit keiner minderen Freude als sie damals. Ich würde sie so lange terrorisieren, bis sie endlich einsahen, was sie mir damals angetan hatten.
„Wie konntest du nur!“ Auf meinem Gesicht machte sich ein Grinsen breit. Er war endlich gekommen. Wie immer ohne Ankündigung und ohne eine nette Begrüßung, die er von mir doch immer bekam. Er war tatsächlich der einzige, zu dem ich wenigstens noch versuchte, freundlich zu sein, auch wenn es mir meistens nicht so richtig gelang.
„Es freut mich auch, dich zu sehen Bruderherz“, spottete ich, aber mit einem freundlichen Unterton, den er gar nicht zu bemerken schien, da sich seine finstere Mine um kein bisschen besserte. Doch er war meine einzige Familie, weshalb ich zumindest zu ihm halbwegs nett sein wollte, um ihn nicht auch noch zu verlieren, wie Lucifer und Gabriel.
Was mit meiner richtigen Familie geschehen war, wusste ich nicht, aber vielleicht war das auch gut so. Gabriel hatte mich aufgenommen, als ich noch sehr jung war, obwohl man mich nicht wirklich als Engel bezeichnen konnte. Seit dem Tag meiner Geburt hatte ich schwarze – ja, schwarze – Flügel und damit war ich der einzige Engel weit und breit, der keine weißen hatte. Nur die Flügel der Dämonen waren schwarz, weshalb mir das den Spitznamen ‚Dämonenfrau‘ eingebracht hatte.
Die Leute redeten zwar dauernd fies über mich, aber kaum sahen sie mich auf der Straße, verschwanden sie lieber und verkrochen sich wieder in ihren Häusern. Das gab mir immer das Gefühl, dass ich unerwünscht war und niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Früher stimmte mich das sehr traurig, jetzt aber nutzte ich es aus, dass jeder mich fürchtete.
„Ich hab dich was gefragt Eliana! Warum verdammt hast du das getan?!“ Ernst und böse blickte er mich an. Seine Gedanken wollte ich in dem Moment wirklich nicht wissen. Seine Stimme klang mit jedem Wort noch tiefer und er fuchtelte wild mit seinen Händen herum, um seine Worte mit Gestik zu bekräftigen.
„Ich hatte eben Lust dazu, weißt du…“, meinte ich weiterhin spöttisch und grinste überlegen. „Aber was willst du mir schon antun? Du bist doch mein Bruder, du wirst deiner kleinen, süßen Schwester bestimmt verzeihen.“ Diese zwei Sätze sagte ich mit einer zuckersüßen Stimme, woraufhin er genervt seufzte.
„Es tut mir Leid Kleine, aber du bist inzwischen eine Bedrohung für die Allgemeinheit. Ich werde dich vorerst verbannen und du wirst erst zurückkommen können, sobald du gelernt hast, mit den anderen umzugehen und dich unter Kontrolle zu haben. Ich hab dich lieb und das weißt du, aber ich bin nicht nur ein Bruder, ich bin auch ein Anführer und somit nicht nur für dich, sondern auch für die anderen Engel hier zuständig.“ Mit diesen Worten öffnete er ein Portal neben sich und deutete darauf. Man konnte nicht sehen, wohin es mich schicken würde, was mich dazu brachte, es ein wenig mit der Angst zu tun zu bekommen. So unbedingt wollte ich nun auch wieder nicht in die Hölle…
Es schien ihm nicht leicht zu fallen, da er mich nicht einmal mehr ansah. Vielleicht war es ihm aber auch einfach nur peinlich, eine Schwester wie mich zu haben, adoptiert oder nicht. Ich hatte nie wirklich vor ihn zu enttäuschen, ich wollte doch nur Rache. ICH war doch hier nicht diejenige, die verbannt werden sollte.
Widerwillig stand ich auf und sah zu dem Portal, das sich wie ein bedrohlicher Kreis neben Micheal geformt hatte. Er meinte es also tatsächlich ernst. Desto näher ich ihm und dem Portal kam, desto endgültiger fühlte es sich an und die Furcht vor dem Ungewissen in mir stieg.
„Wohin führt mich dieses Portal?“ Ich sah meinen Bruder mit meinen großen, eisblauen Augen an, in der Hoffnung, dass ihn das umstimmen würde, aber das tat es nicht. Er strich mir liebevoll durch mein langes, schwarzes Haar und setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. Das Lächeln schenkte mir Mut, ich wusste, dass es nur für mich bestimmt war, aber dennoch veränderte es nicht meine Lage und schon gar nicht meine Zukunft.
„Das wirst du noch früh genug herausfinden Kleine. Aber bevor du gehst, lass dir eines gesagt sein. Auch wenn ich im Moment sehr wütend auf dich bin und dich weg schicke, wenn du mich brauchst, dann werde ich da sein. Ich lasse dich nicht im Stich, klar?“
Als Antwort nickte ich nur und sah wieder zu dem Portal, zu dem mich meine Füße langsam aber sicher trugen. Meine Zukunft war mir zu dieser Zeit sehr ungewiss. Ich hatte nichts gegen Abenteuer, aber zu wissen in welches man sich stürzt, wäre oft schon sehr hilfreich. Bei meinem Ziel angekommen sah ich noch kurz zu meinem Bruder zurück und sah ihn etwas enttäuscht an, er aber wendete nur den Blick ab und so ging ich weiter meiner Zukunft entgegen.

 


Langsam aber sicher kam ich wieder zu Bewusstsein. Ich lag auf dem Boden. Außer dem zerrissenen, kurzen, schwarzen Kleid, das ich immer trug, bekleidete nichts weiter meinen Körper. Merkwürdigerweise tat mir alles weh und ich musste zuerst einmal ein paar Mal tief ein und aus atmen, um mich überhaupt aufsetzen zu können. Wo war ich hier nur gelandet? Ich brauchte ein paar Minuten, um mich wieder erinnern zu können, was geschehen war. Mein Bruder, mein eigener Bruder, hatte mich doch tatsächlich ohne mit der Wimper zu zucken verbannt! Wenn ich den erwischen würde…
Der Boden unter mir war hart, ganz anders als die bequemen Wolken, die ich im Himmel so genoss und von Stille konnte man hier auch nicht reden. Ich blickte hinauf in den Himmel und dumm genug wie ich war, war ich doch tatsächlich der Überzeugung, einfach wieder rauffliegen zu können. Also breitete ich meine Flü- warte mal, meine Flügel, sie waren verschwunden! Panisch drehte ich meinen Kopf nach links und hinten, dann nach rechts und hinten, aber da war nichts! Sie waren weg, wie in Luft aufgelöst, wie ausgerupft, wie wie wie, einfach verschwunden…
Auch bemerkte ich erst jetzt, dass das Tattoo, das sich wie ein Drache über meinen Oberkörper gewunden hatte und bei meinem Rücken auslief, ebenfalls nicht mehr da war. Ich konnte von Glück reden, dass überhaupt was geblieben war, nämlich mein Kleid! Wenn ich das auch noch verloren hätte, hätte der Himmel bald einen neuen Regent zu feiern gehabt…
Plötzlich hörte ich ein lautes Geräusch, welches meine Ohren noch nie wahrgenommen hatten und ein riesiges, eckiges Ding mit Kreisen am unteren Ende hielt vor mir an. Ein Ungeheuer?! Geschockt sprang ich auf und wollte wegfliegen, doch da waren ja gar keine Flügel mehr, also wich ich ein paar Schritte zurück, jedoch ohne dieses merkwürdige Ding aus den Augen zu lassen. Kaum war ich aus dem Weg, hörte es auf Geräusche zu machen und ein älterer, merkwürdig aussehender Mann kam aus dem Ding heraus. Ein Portal…? Wohl kaum, der Typ sah weder einem Dämonen noch einem Engel ähnlich. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Wollte er wissen und lächelte dabei freundlich, doch mein Vertrauen gewann er sicher nicht nur dadurch, dass er mich ein wenig anlächelte. „Ja, ich…ähm…denke schon…“ Selbst erstaunt über meine Worte blieb ich einfach nur stehen und ließ den Typen nicht aus den Augen.
Also die Unterwelt hatte ich mir aber anders vorgestellt, dort war ich bestimmt nicht gelandet. Doch wo dann? Nervös blickte ich nach rechts und links und was ich da sah, ließ mich vor Angst zusammenzucken. Da waren ganze Mengen von diesen Dingern!! Hatten die es etwa alle auf mich abgesehen?! Ich wollte weg, einfach nur weg, doch ich konnte nicht weglaufen, meine Füße waren wie angewurzelt und diesem harten Boden, der mir beinahe schon wehtat. War ich etwa doch in der Hölle gelandet?
„Entschuldigung, kann ich euch helfen?“ Hastig drehte ich mich in die Richtung, aus der diese Stimme gekommen war. Ich blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der mich fragend musterte und mich dann ansah. „Das wäre nett, ich habe es leider eilig, diese junge Dame lag vor mir auf der Straße und ich möchte sie momentan lieber unter Aufsicht wissen“, erwiderte der Grauhaarige Mann, der aus diesem was auch immer kam. „Natürlich“ Der Schwarzhaarige, der gerade dazu gestoßen war, schien mir recht freundlich und als ob er nichts Böses im Sinne hätte. Mit einem Lächeln und einem Danke auf den Lippen verabschiedete sich der eine und ging zurück in dieses…nennen wir es vorerst einfach Vieh. Kurz darauf ging es wie von selbst weiter und ich blickte verblüfft hinterher. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht…
„Ja…ähm…wo bin ich hier?“ Die Männer sprachen meine Sprache, also war ich doch noch im Himmel? Oder konnte ich als Engel einfach jede Sprache sprechen? Ach wenn ich Micheal doch nur noch irgendetwas fragen hätte können, jetzt stand ich da wie ein verlorenes kleines Kind.
Sein Blick veränderte sich von fragend auf unverständlich. Irgendwie sah es auch so aus als ob er dachte, dass ich nicht alle Tassen im Schrank hatte, und die hatte ich auch nicht, also nahm ich ihm das gar nicht übel. „Du bist in Japan, in Nagano, um genau zu sein. Willst du es noch etwas detaillierter?“
Japan. Noch nie gehört. War aber leider auch nichts zum Essen. Aber soweit ich informiert war, wurde die Hölle nicht so genannt, also war ich eindeutig woanders. „Nun, ja, was genau ist Japan?“, wollte ich wissen und klang dabei wirklich ernst, sonst hätte der Typ zum Schluss noch gedacht, dass ich ihn nur verarschen würde.
„Japan ist ein asiatischer Staat…“ Seine Stimme hob sich ein wenig, woran ich erkennen konnte, dass er sich langsam doch etwas komisch vorkam, da ich so dumme Fragen stellte. Doch auch in diesem Satz verstand ich nur zwei Wörter ‚ist‘ und ‚ein‘. Ich wusste noch immer nicht was Japan bedeutete, geschweige denn asiatisch oder Staat.
„Ich verstehe…“ Überzeugend klang ich ja nicht, aber ich wollte nicht weiter wie irgendein Idiot dastehen, also antwortete ich lieber mal so etwas und fragte nicht weiter.
Der Mann hob eine Augenbraue und sah mich prüfend an. „Du hast kein Wort verstanden, hab ich nicht recht?“
„Ich…nein…“ Ich blickte zu Boden, da ich den Blick des Mannes nicht sehen wollte.
„Woher kommst du denn eigentlich Kleine?“ Wie konnte er es nur wagen, mich als klein zu bezeichnen! Für einen weiblichen Engel in meinem Alter war ich sogar sehr groß! Aber zurück zur Frage, ich hatte keine Ahnung was ich denn antworten solle. Ich konnte ihm wohl schlecht sagen, dass ich vom Himmel heruntergekommen war, weil ich Mist gebaut hatte und mein Bruder mich verbannt hatte.
„Das ist nicht von Belang“, meinte ich stolz und mit erhobener Nase, weil ich mich doch so schön formal ausgedrückt hatte. Mein Gegenüber jedoch schien das nicht zu bemerken, da er nur anfing zu lachen, doch irgendwie konnte ich ihm das wirklich nicht übel nehmen, weshalb ich als Reaktion darauf nur einen leisen Seufzer ausstieß.
„Komm mit, ich lade dich zu mir nach Hause ein, dann erkläre ich dir das noch einmal alles“ Und weg war er. Ich lief ihm gleich nach, sonst hätte ich ihn nie wieder gefunden und wäre erneut aufgeschmissen gewesen. Ob ich Mike wohl kontaktieren sollte? Nein, denn es würde ihn bestimmt amüsieren zu sehen dass ich allein nicht zurechtkomme und diesen Triumph wollte ich ihm einfach nicht gönnen. Außerdem würde er sich nur wieder beschweren, da man angeblich ja nicht mit Fremden mitgehen sollte. Immerhin war ich mit meinen 400 Jahren gerade volljährig geworden, also konnte ich auch gut auf mich selbst aufpassen.
„Wie heißt du?“, wollte ich von ihm wissen und bei genauerem Betrachten bemerkte ich, dass er anders aussah als ich. Seine Augen waren schlitzförmig und er war ziemlich schmal, schon fast zierlich, was für einen Mann etwas ungewöhnlich war. Und erst die Klamotten die er trug. Alles schwarz und dann so ein komisches Ding dazu, das von seinem Hals aus nach unten hin. Ein männlicher Engel würde NIEMALS etwas derart hässliches tragen, das würde ihn ja zum Gespött der gesamten Engelwelt machen. Vermutlich würden aber auch die Dämonen noch über ihn lachen.
„Takeru. Takeru Hito. Wie ist dein Name?“ Er hatte wohl bemerkt, dass ich ihn schon die ganze Zeit anstarrte, weshalb er zu mir sah und mich ebenfalls musterte.
„Das ist auch egal“, sagte ich fest entschlossen, mein Name ging ihn schließlich nichts an.
Er musste lachen. Warum? Fragt mich nicht, ich konnte den Typen einfach nicht durchschauen, aber er schien mir in der Tat nicht unsympathisch zu sein, wie manch andere Personen – dessen Namen ich jetzt nicht nenne – die einem einfach aus dem Himmel rauswarfen!
Dann plötzlich das Unerwartete. So ein eckiges Ding stellte sich uns doch wirklich in den Weg! Ob ich auf es einprügeln und ihm Manieren beibringen sollte? Ich weiß nicht, der Typ schien das Ding zu mögen.
„Damit fahren wir heim“, meinte er und öffnete das ‚Fahrzeug‘, wie er es nannte. Ich persönlich ersetzte das Wort fahren durch reiten oder fliegen, also kletterte ich auf das Auto und macht es mir bequem, allerdings musste ich doch tatsächlich aufpassen, dass ich nicht runterfiel, da es sehr hart war und nichts zum Festhalten hatte.
Erneut lachte er laut auf, nein, er rollte sich quasi schon am Boden vor Lachen. Was ich wohl jetzt wieder falsch gemacht hatte [...]

Kapitel 2: Der König der Unterwelt

 

Lucifer
Seit der Verbannung durch die Hand meines Vaters verlief mein Leben ganz anders als ursprünglich geplant, doch ich konnte auch nicht wissen, dass das Schicksal mir meine geliebte Frau so unbarmherzig entreißen würde. Seit ihrem Tod ließ ich mich nie wieder auf eine Beziehung ein, da ich sie über alles geliebt hatte und mir nie vorstellen könnte, eine andere zu heiraten. Niemals würde eine andere Frau ihre Schönheit ersetzen können, ihr Lächeln, ihre wunderbare Art zu leben. Noch heute wünsche ich mir nichts mehr als Rache an dem Mörder, der sie damals so grausam zugerichtet hatte. Frauen dienten mir jetzt nur noch als Vergnügen, nie wieder würde ich eine überhaupt so lieben können wie ich sie geliebt hatte, Kathlina…

Ich lächelte sie an. Sie war wunderschön, wie immer, und das sagte ich ihr auch jeden Tag. Ihre blonden Locken fielen ihr bis über die Schultern und ihre strahlend blauen Augen erinnerten an das Blau des Himmels. „Was machen wir heute mein Schatz?", fragte sie mich mit einer bezaubernden Stimme, die einem den ganzen Tag versüßte. Dabei lächelte sie mir zu und ich konnte nicht anders als zurücklächeln.           

Damals war ich noch ein Engel gewesen. Genau wie sie. Ich bin damals deutlich höher gestanden als sie, doch das war mir egal gewesen. Meine Liebe zu ihr war stark, so stark, dass sie für die Ewigkeit angedauert hätte, wenn man mir meine Frau nicht so brutal entrissen hätte.

„Hm, ich weiß nicht, worauf hast du denn Lust meine Süße?", meinte ich grinsend und betrachtete dabei demonstrativ ihren Körper, was sie jedoch bemerkte und sich hinter mich stellte, damit ich nicht weiter starren konnte. Außer ihrer Unterwäsche bekleidete nichts weiter ihren Körper, denn von Pyjamas hielt sie nicht wahnsinnig viel. Sowas unbequemes, hieß es immer, jedoch konnte ich mich keineswegs darüber beschweren, immerhin war dies nur ein Vorteil für mich. „Wie gemein..." Das ignorierte sie mal einfach. „Also worauf ich Lust habe...hm...ich weiß!" Sie legte ihre Arme um mich und ich fühlte ihre sanften, warmen Hände auf meinem nackten Oberkörper. Ich legte meine Hände auf die ihren und sah zu ihr zurück. „Ich höre?", meinte ich grinsend und blickte zu ihr zurück. „Kuchen", sagte sie mit einer entschlossenen Kinderstimme, woraufhin ich sie mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. Kuchen? Ihr Ernst? „Aber Schatz, hier im Zimmer steht doch schon was Süßes zum vernaschen...", sagte ich frech und auf meinen Lippen machte sich ein noch größeres Grinsen breit. „Kuchen ist besser", lachte sie, löste die Umarmung und setzte sich aufs Bett, nur um mich dann mit einem Hundeblick anzusehen, der mich förmlich durchlöcherte.

Ja, an diesen Blick konnte ich mich nur zu gut erinnern. Sobald sie ihn aufgesetzt hatte, war ich in Trance verfallen und wurde zu ihrem willenlosen Diener. Peinlich, aber wahr, ich konnte und wollte dem Blick einfach nicht widerstehen. Ich hatte doch so gerne gesehen, wenn sie glücklich war.

Also stülpte ich mir – zu ihrer großen Enttäuschung - rasch ein Oberteil über und ging dann Kuchen besorgen, da sie mich auch ausdrücklich darum gebeten hatte, SELBST zu gehen und keinen Diener dazu anzustiften. Zu blöd, an so etwas in der Art hatte ich nämlich bereits gedacht.

Vielleicht war das der Grund dafür, warum ich mir heute noch selbst Kuchen holte, auch wenn ich mir alles andere bringen ließ oder einfach meine Fähigkeiten, von denen ich genug hatte, einsetzte.

Als ich wieder beim Zimmer ankam und freundlich anklopfte - was ich sonst nie tat - bekam ich keine Antwort. Das tat sie bestimmt extra. Also setzte ich ein Grinsen auf, öffnete die Tür und ging hinein. „Da bin i-" Kathlina lag regungslos auf dem Boden. Vor Schreck ließ ich den Kuchen fallen und lief zu ihr. Überall war Blut. IHR Blut. Bei ihr angekommen fühlte ich ihren Puls. Nichts. Vorsichtig nahm ich sie auf und gleich darauf stand ich schon bei einem Arzt. „Du musst ihr helfen!", schrie ich verzweifelt und voller Sorge. Zwei Krankenschwestern nahmen mir meine Frau ab und legten sie auf ein Bett. Eine weitere bat mich zu gehen, aber ich machte keinerlei Anstalten, auch nur einen Schritt zu tun. Dann sah ich etwas, das mir bis heute nicht mehr aus dem Kopf ging. Anstatt ihr zu helfen, legte der Arzt ein weißes Tuch über ihre Leiche. Ich ließ mich auf die Knie sinken und schrie. Ich schrie einfach nur. Aus Verzweiflung, aus Trauer, aus Wut. Rachegedanken stiegen in mir auf, Rachegedanken, die jeden Tag wachsen werden.

Bei dem Gedanken an diesen Tag kamen mir noch heute die Tränen. Ich ballte die Hand zur Faust, riss mich aber zusammen, um nicht vor den Wachen oder den Dienern anfangen zu weinen. Schließlich war ich ja Lucifer oder besser gesagt der Teufel höchstpersönlich. Der Mörder würde dafür bezahlen, das schwor ich mir. Er würde nicht einfach sterben, nein, ich würde ihn dafür quälen, quälen bis an sein Lebensende und länger. Dafür, dass er mich meiner geliebten Frau beraubt hatte! Niemals würde ich ihm so etwas verzeihen und niemals würde ich aufhören, Rache an ihm nehmen zu wollen.

Plötzlich klopfte es an der riesigen Tür vor dem Thronsaal, was mich aus meinen Gedanken riss. Wetten das war nichts Wichtiges. Am liebsten hätte ich den Typen weggeschickt, aber das würde sich nicht gut auf mein Image auswirken. Leise seufzte ich und murmelte dann so was wie komm schon rein. Meist dauerte es ein paar Minuten, bis überhaupt einer herein kam, da die Tür, die von vielen bereits als Tor bezeichnet wurde, schwer aufging und gerade die jungen Diener mussten sich meist von meinen Leibwachen helfen lassen, um überhaupt zu mir zu gelangen, was ich des Öfteren als recht amüsant empfand. Meine Wenigkeit hatte natürlich nicht mit solchen Problemen zu kämpfen, da die Tür für mich geöffnet wurde und ich keinen Finger rühren musste.

Schließlich kam ein scher schnaufender Diener herein, der genau meinen Erwartungen entsprach. Klein, jung, kaum Muskeln und kurze schwarze Haare. So gut wie jeder meiner Diener sah so aus und ich musste mich echt anstrengen, um sie nicht zu verwechseln, weshalb sie bei mir meist einfach nur die Namen Diener 1, Diener 2 und so weiter erhielten. Ehrfürchtig kniete er sich vor mir nieder, so wie ich es immer wollte. Wenigstens einer der auf mich hörte. Zugegeben, Diener taten meistens was ich sagte, vermutlich einfach nur aus Angst, aber in letzter Zeit gab es ja nur mehr Aufstände und Probleme hier.

„Was willst du? Und wehe es ist nicht mindestens ein Dorf zerstört", meinte ich warnend und hoffte, ihm damit Angst einzujagen, was ich jedoch nicht schaffte und mich daher sehr wunderte, da es sonst immer funktionierte.

„Hoheit...ähm...es ist noch viel schlimmer...", sagte der Diener zögerlich und auch etwas ängstlich. Er zitterte sogar ein wenig, was mich stutzig machte, da ich normalerweise kein ungerechter Herrscher war, der Dienern die Schuld an allem gab. Nur hin und wieder. Und auch nur wenn ich schlecht drauf war. Und natürlich wenn der Diener wirklich schuldig war.

„Jetzt rede schon verdammt!" Meine Mine verfinsterte sich, in der Hoffnung, dass er mir endlich sagte, was denn so schlimmes passiert war. Wie sollte ich auch etwas unternehmen wenn ich nicht einmal wusste, was los war. Hätte er halt einen anderen schicken sollen, wenn er in meiner Gegenwart schon seine Sprache verlor.

„E-ein Großteil der Häftlinge ist entkommen und hat einige Häuser zerstört H-hoheit...", stammelte er und hoffte in dem Moment vermutlich, seine Familie wiedersehen zu können. Aber er konnte ja nichts dafür, er war nur der Unglücksbote, da würden schon eher die Wachen ein Problem mit mir bekommen!

„Wie bitte?!", schrie ich, während ich aufstand und aus Wut gegen das nächstbeste, in dem Fall die schwarze Säule mit der Verzierung meines Namen neben meinem Thron, schlug. Beinahe wäre sie eingestürzt, so heftig hatte ich sie getroffen. Und als schön konnte man sie nun auch nicht mehr wirklich bezeichnen, aber das war ja jetzt mein kleinstes Problem. Es hatte ewig gedauert, hier Ordnung zu schaffen und etwas zu finden, wie man diese Mistkerle gut einsperren konnte und jetzt das!! „Wie konnte so etwas passieren?", wollte ich mit inzwischen beruhigter, aber dennoch sehr bedrohlicher Stimme wissen.

„I-ich weiß es n-nicht Hoheit...w-wir vermuten einen Verräter unter den Wachen..." Der Diener bemühte sich, halbwegs normal zu reden, jedoch wurde er zunehmend ängstlicher, weshalb er auch leiser und unsicherer wurde und ich die letzten Worte nur mehr Mühe verstehen konnte.

Es hatte Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte gedauert, bis man die Hölle endlich eine Zivilisation nennen konnte und jetzt drohten all meine Bemühungen zerstört zu werden und das nur aufgrund dem Verrat einer einzelnen Person. Anders hätte ich mir auch nicht erklären können, wie all diese Häftlinge fliehen hatten können. Verdammt!

„Verschwinde!" Mit einer unverkennbaren Handbewegung machte ich dem Diener klar, dass er jetzt sofort gehen sollte wenn er nicht meinen Zorn auf sich selbst lenken wollte, woraufhin dieser sofort verschwand. Ich musste jetzt schnell handeln, sonst wären die Häftlinge innerhalb kürzester Zeit über alle Berge und ein noch größeres Chaos würde ausbrechen. Ich blickte zu einer Wache und befahl ihr, sofort meinen General herzubringen, da ich ihn dringend zu sprechen hätte. Er war so ziemlich der einzige, dem ich hier vertraute, da er mir immer zur Seite gestanden und mich nie enttäuscht hatte. Deshalb war er auch im Rang sehr schnell gestiegen, Lord wollte er ja keiner werden, obwohl ich sagen muss, dass die Lords nicht wirklich ein Mitspracherecht haben da ich alleiniger Herrscher sein wollte und ich nur wenigen von ihnen vertraute, weshalb ich sie immer überwachen ließ. Alles in allem konnte man also sagen, dass er als General deutlich mehr mitzureden hatte als ein Lord, doch natürlich machte ich das nicht so offensichtlich.

Gleich darauf klopfte es an der Tür und ich nahm genervt wieder Platz auf meinem Thron. Als ob mein Tag nicht sowieso schon ruiniert genug wäre. „Herein", war meine knappe, aber bestimmende Antwort. Der General kam herein und verbeugte sich, da ich ihm erlaubt hatte, nicht niederknien zu müssen. „Gut."

„Ich kann mir denken warum ihr mich gerufen habt Hoheit." Er blickte auf und sah mich direkt an. Seine Haare sahen wie immer so aus als hätten sie noch nie eine Bürste gesehen, doch irgendwie schienen die Frauen das bei ihm zu mögen. „Und bevor ihr fragt, ich habe bereits alle verfügbaren Männer losgeschickt und ein paar der Häftlinge konnten bereits gefasst werden, ich hoffe ihr seid einverstanden damit." Das mochte ich so an ihm. Anstatt immer blindlings Befehlen zu folgen dachte er selbst nach und führte die für ihn am logischten erscheinende Lösung aus. Das meinte ich mit Mitspracherecht. Er musste mich nicht andauernd fragen was ich von dem und dem hielt sondern durfte auch selbst einmal etwas machen.

„Natürlich bin ich einverstanden. Je schneller desto besser." Auch wenn es wahrscheinlich nicht schnell genug ging. Schließlich wurde meinem General anscheinend noch vor mir Bescheid gegeben, was mich aufregte. Es hätte aber auch gut sein können, dass er einfach den Krach gehört hatte, da er hier im Palast lebte und das direkt neben dem Verlies, weshalb ich mir schon des Öfteren eine Beschwerde anhören durfte.

„Was gedenkt ihr sonst noch zu tun?" Ich ließ die Antwort vorerst mal aus, da ich das selbst nicht so genau wusste. Meinen Bruder würde ich niemals um Hilfe fragen und Linea, die Fürstin der Zwischenwelt, mindestens genauso wenig. Letzte Hoffnung wäre noch meine Schwester gewesen, doch die hatte vermutlich mit ihren eigenen Problemen zu kämpfe und ihr Geheimnis preisgeben wollte ich erst recht nicht. Trotzdem bereute ich auch heute noch nicht, was ich damals getan hatte, es war das einzig richtige gewesen und davon war ich überzeugt. So konnte ich auch das Geheimnis besser bewahren...

Meine Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als der General seine Frage mit einer erhöhten Lautstärke wiederholte. Bis gerade eben hatte ich noch den schwarzen Boden angestarrt, aber jetzt hob ich meinen Kopf und sah ihn an. „Na was wohl?", ich stand auf und ließ in meiner Hand ein Schwert mithilfe von schwarzer Magie, wie viele es bezeichneten, erscheinen, „ich werde selbst auch nicht nur rumsitzen, Däumchen drehen und hoffen dass meine Soldaten stark genug sind, diese Verbrecher wieder hinter Gitter zu bringen." Mit schnellen Schritten ging ich Richtung Tür, die mir von den Wachen geöffnet wurde, damit ich ungehindert weitergehen konnte, gefolgt von Ilian. Ich wusste nur zu gut, zu was diese Verbrecher oder besser gesagt Monster fähig waren. Und ich war mächtig. Sehr mächtig. Auf dem Schlachtfeld wagte es niemand, mir gegenüber zu treten. Es gab grob geschätzt nur etwa fünf Wesen, die in der Lage waren, mir etwas anzuhaben. Drei davon stammten aus meiner eigenen Familie. Eine war meine Frau gewesen und der fünfte musste wohl erst geboren werden.

„Worüber denkt ihr nach Herr?" Ilian blickte mich mit seinen großen, dunkelbraunen Augen an. Niemand hier kannte meine Vergangenheit. Niemand wusste, dass ich einmal ein Engel, ihr Feind gewesen war. Und es sollte auch keiner jemals erfahren, da das meine Autorität sofort vernichten würde und jeglichen Respekt, den ich mir über die Jahre hinweg hart erarbeitet hatte.

„Über zwei Frauen, die mir sehr nahe stehen" Ich wählte meine Worte bewusst in der Gegenwart, damit er nicht auf die Idee kam, nachzufragen, warum ich von ihnen aus der Vergangenheit sprach. „Mehr sage ich nicht dazu, also mach dir gar nicht erst die Mühe, zu fragen." Man merkte ihm nur zu gut an, dass er mich jetzt gerne mit Fragen durchlöchert hätte, aber das nahm ich ihm nicht übel, da er mit seinen 450 Jahren noch sehr jung war. Er hasste es, wenn jemand sein wahres Alter kannte, da die meisten der Soldaten bereits 600 und älter waren, hätte man ihn damit aufziehen können.

„Zu schade...", war seine knappe, enttäuschte Antwort. Er legte seine Hand auf den Griff seines Schwertes, immer bereit, es zu ziehen, um mich zu beschützen oder einen der anderen. Die Dämonen hier waren ihm sehr wichtig, auch wenn er das nie zugegeben hätte, da er keine besonders leichte Kindheit gehabt hatte. Auch mir lagen die Leute hier sehr am Herzen, ich hatte sogar einen Jungen adoptiert, als ich herkam, der damals noch ein Kind oder besser gesagt ein Waise gewesen war, da seine Eltern ihn verlassen hatten. Inzwischen war er wirklich wie ein Sohn für mich, doch seine Art erinnerte mich immer an meine Schwester, was mich häufig traurig stimmte. Momentan hatte ich ihn für ein paar Monate weggeschickt, damit er trainieren konnte und nicht nur verwöhnt im Palast rumhing, auch wenn er mit seinen 350 Jahren noch minderjährig war. Ich stieß einen leisen Seufzer aus. Nur zu gerne hätte ich sie damals mit hierher genommen...

Plötzlich hörte ich über mir einen lauten Knall und ohne lange zu überlegen, packte ich Ilians Hand und stand mit ihm gleich darauf vor der Eingangshalle, in der wir uns bis gerade eben noch befunden hatten. Von der war allerdings nicht viel mehr übrig geblieben als Trümmer. Ein Attentat? Naheliegend. Zum Glück hatte ich die Fähigkeit, mich aufzulösen und an einem anderen Ort wieder zusammenzufügen und dabei konnte ich sogar andere Leute mitnehmen. Ich ließ die Hand des Generals los und sah mich, in der Hoffnung, den Täter zu entdecken und ihn noch zu erwischen, aber außer ein paar aufgeregten Wachen die die Trümmer wegzuräumen versuchten konnte ich niemanden sehen, also lief ich los, um zumindest die anderen Häftlinge zu erwischen und möglichweise auch denjenigen, der mich töten wollte, wobei das vermutlich jeder von denen will.

Feuer. Schreiende Leute. Panik. Bilder des Grauens boten sich mir, als ich in einem von den Verbrechern zerstörtem Dorf ankam. Ich war bereits zu spät, um noch etwas tun zu können. Die noch stehenden Häuser brachen in sich zusammen und mit ihnen starb auch die letzte Hoffnung für die Bewohner dieses Dorfes. Von dem einst blühendem Dorf Ratil war nichts mehr übrig geblieben. Die Hütten verbrannt, die Blumen zertreten, die meisten Bewohner verletzt. Natürlich hätte ich den entflohenen Häftlingen nachjagen müssen, um noch mehr Chaos zu vermeiden, aber ich konnte diese Leute hier einfach nicht ihrem Schicksal überlassen. Sie hatten weder etwas zu Essen noch ein Dach über dem Kopf. Also ließ ich meine Männer weitergehen und fing an, das Dorfoberhaupt von Ratil zu suchen. Viele sahen in mir nur den Teufel, der ich nicht wahr. Jeder von uns hatte gute und schlechte Tage, doch nur weil ich Satan höchstpersönlich war, musste ich nicht automatisch nur schlecht drauf sein und Gefallen daran finden, Leute niederzumachen oder gar zu foltern. Dieses Bild von mir war absolut falsch, denn es wurde von den Engeln verbreitet, die keine Ahnung hatten und ihren Kindern nur Angst machen wollten. Angst vor mir.

Beim Vorbeigehen drückte ich jedem Bewohner ein wenig Geld in die Hände und die meisten schüttelten mir dafür dankbar die Hand oder neigten ihr Haupt, um ihren Respekt zu zeigen. Nur zu gerne hätte ich mehr für sie getan, aber auch ich konnte das Dorf nicht sofort wieder aufbauen als ob nichts gewesen wäre. Der Schock der Leute saß tief und mir war klar, dass sie den Vorfall nicht einfach vergessen könnten. Wenigstens war ich in der Lage, ihnen für ein paar Tage ein zuhause bieten zu können. Trotzdem fühlte ich mich hilflos. Und machtlos. Seit dem Tod meiner Frau hatte ich solche Gefühle nicht mehr erleben müssen. Und nie wieder wollte ich sie fühlen müssen. Ich ärgerte mich einfach nur, dass ich nicht schneller handelte. Dass ich zu spät erst bemerkt hatte, was passiert war. Und dass ich die Lage sehr unterschätzt hatte. Eigentlich dachte ich, dass diese Verbrecher sofort das Weite suchen würde, aber anscheinend dürstete es ihnen nach Rache. Rache an mir und dem Volk. Ich würde ja gerne sagen, dass Rache einen nicht weiterbringt, aber damals hat sie mich am Leben erhalten und auch jetzt noch wünsche ich mir nichts sehnlicher, weshalb ich diese Diebe und Mörder irgendwie verstehen konnte. Aber sie hatten es immerhin verdient, hinter Gitter zu sitzen, ich hingegen hatte damals nichts getan und trotzdem eine geliebte Person verloren.

Ilian blieb trotz meines Befehles, dass er weitergehen solle, an meiner Seite. Wie er mir einst erzählt hatte, wuchs er ebenfalls in solch einem Dorf auf und musste schlimme Dinge mitansehen. Genau aus dem Grund wollte ich eigentlich, dass er verschwinde, um all dies nicht sehen zu müssen, aber den Gefallen wollte er mir einfach nicht tun. Jetzt fingen auch schon meine eigenen Leute an zu rebellieren. Ich seufzte. Irgendwie konnte ich ja verstehen, dass er hierbleiben wollte, da er es mir gleich tat und den Dämonen half. Er fing an, Verletzte zu bergen und sie bestmöglichst zu verarzten. Jeden anderen hätte ich für die Befehlsverweigerung gefeuert oder schlimmeres mit ihm gemacht, aber Ilian war anders, er bedeutete mir etwas und ich wusste, dass er den Leuten auch geholfen hätte, wenn ich ihm dafür etwas angetan hätte.

Einen anderen Soldaten hatte ich bereits beim Ankommen im Dorf zurück geschickt, um Hilfskräfte sowie Vorräte zu holen. Schließlich war die gesamte Ernte, die bald reif gewesen wäre, zerstört oder von Asche und Blut getränkt, sodass man sich Krankheiten eingefangen hätte, wenn man sie verspeist hätte. In nur wenigen Minuten wurde dieses Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Und das nur, weil ich zu spät gekommen war. Wäre ich auch nur ein wenig früher gekommen, hätte ich zumindest einen Teil retten können, aber scheinbar meinte es das Schicksal nicht gut mit mir, nein, es hasste mich sogar.

Bei dem Dorfältesten angekommen war ich sehr erfreut, dass es ihm zumindest vom körperlichen Zustand her gut ging. Vom psychischen wollte ich es gar nicht wissen, aber er fühlte sich bestimmt mindestens genauso mies wie ich. Allerdings fiel ich ihm nicht in die Arme, wie ich es gerne getan hätte, sondern blieb vor ihm stehen und blickte ihn an.

„Wie konnte so etwas passieren?“ Traurig, fassungslos und noch immer geschockt sah er mich an, während diese Worte durch meinen Körper hallten und meine Schuldgefühle noch größer werden ließen. Sekundenlang, sogar Minutenlang stand ich da, ohne etwas zu sagen, da ich die richtigen Worte so schnell nicht finden konnte. Immerhin konnte ich ihn wohl kaum mit einem ‚Keine Ahnung‘ abspeisen, das wäre unangebracht und einfach nur fehl am Platz gewesen. Schließlich entschied ich mich dazu, ihm die ganze Wahrheit zu sagen, zwar konnte ich gut lügen und niemand hätte es je bemerkt, aber ich fand, dass er es verdient hatte, alles zu wissen.

„Heute Morgen meldete man mir, dass die Häftlinge aus dem Kerker ausgebrochen seien. Sie streifen nun wie Wilde durchs Land und zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt, in eurem Fall leider dieses Dorf hier. Ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, um euch zu helfen, aber vorher muss ich die Ex-Häftlinge finden und festnehmen, sonst wird Ratil nicht das einzige zerstörte Dorf sein“ Auch wenn es in diesem Moment nichts Gutes gab, war ich doch froh darüber, dass diese Verbrecher zumindest nicht in der Lage, jemanden zu töten. Ich allein, der Herrscher der Unterwelt, war imstande, Dämonen zu töten. Und das mochte auch gut sein, da sich, bevor ich die Macht an mich riss, die Leute gegenseitig ermordeten wie Wilde. Damals hatte die Hölle ihren Namen wirklich verdient, heute gefiel mir der Name Unterwelt viel besser.

Die Lage im Dorf besserte sich von Minute zu Minute, die Verletzten wurden abtransportiert und die anderen Bewohner zu einer sicheren Unterkunft gebracht. Mein Palast war groß genug für alle von ihnen, ich hatte wirklich ewig viele Gästezimmer, die zudem alles andere als klein waren, weshalb dies das kleinste Problem darstellte.

„Und was habt ihr jetzt vor?“, war seine knappe Antwort. Ich hatte mir mehr erwartet oder zumindest einen etwas geschockteren Ton, aber scheinbar überraschte es ihn nicht wirklich, was mir zu denken gab.

„Sobald alle hier weg und in Sicherheit sind, werde ich meiner Armee nachgehen und sie beim Kampf gegen diese Halunken unterstützen, so gut ich kann. Am besten wäre es sowieso, wenn ich sie nicht wieder einsperren, sondern sofort umbringen oder später gleich hinrichten würde“ Ich wählte diese Worte mit Bedacht, doch mir war klar, dass sich ein Verräter und meinen Leuten befand und der sie sofort wieder freilassen würde. Bevor ich ging sorgte ich aber noch dafür, dass alle Wachen, die zu der Zeit der Befreiung Dienst hatten, bis auf weiteres suspendiert wurden, damit ich sie dann einzeln befragen konnte. Foltern würde ich sie nicht, da ich damit nur ein falsches Geständnis aus ihnen heraus bekommen würde, und dann würde ich zum Schluss noch einen Unschuldigen töten, das wollte ich unbedingt vermeiden.

Statt noch etwas zu sagen nickte er und sagte mir seine Hilfe zu, die ich natürlich ablehnte, da er besseres zu tun hatte als mir zu helfen. Seine Leute brauchten ihn jetzt, ich kam schon zurecht. Nachdem ich ihn endlich davon überzeugen konnte zu gehen, folgte er den Hilfskräften zu meinem Palast.

Scheinbar konnte ich heute nichts anderes als suchen, da Ilian nirgendwo mehr zu sehen war. Es war allerdings anzunehmen, dass er sich bereits selbst aufgemacht hatte, also tat ich es ihm gleich. Er war niemand, der sich gerne an Regeln hielt, aber ich wusste, dass er klug genug war, um nichts Dummes anzustellen, was er nachher bereute. Genau dies schätzte ich so sehr an ihm, da sich viele meiner Wachen einfach blind in eine Schlacht stürzen ohne überhaupt auch nur das Geringste vom Feind zu wissen.

Überall herrschte Totenstille. Außer meinen Schritten konnte ich nur noch meinen Atem und das Klopfen meines Herzens hören, das sich immer mehr anspannte. Sofort wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war und legte daher meine Hand auf den Griff meines Schwertes, immer bereit, es zu ziehen, falls das notwendig war. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich nichts erkennen, weshalb ich anfing, meinen Kopf nach rechts und links zu drehen.

Plötzlich hörte ich einen so schmerzerfüllten Schrei, dass ich unweigerlich zusammen zuckte und für Minuten auf derselben Stelle verharrte. Dann aber zog ich das Schwert und lief los, in die Richtung aus der der Schrei gekommen war, denn ich wusste, zu wem diese Stimme gehörte.

Es war Ilians […]

Kapitel 3: Rückblick

 

Michael

 

Etwas beunruhigt ging ich im Thronsaal auf und ab. Ob es wohl falsch war, sie auf die Erde zu schicken? Was wenn die Menschen ihr etwas antun würden? Dann wäre das ja meine Schuld…

Geschockt von den schlechten Nachrichten, die ein Diener mir überbracht hatte, rannte ich zum Krankenzimmer. Dabei war ich so schnell, dass mein Körper beinahe meine Füße überholte und ich drohte zu stolpern, jedoch konnte ich das Gleichgewicht in letzter Sekunde wieder herstellen. Auf die Tollpatschigkeit konnte ich in dem Moment wirklich mehr als nur verzichten!!

Warum dachte ich gerade jetzt darüber nach? Weil ihr damals auch etwas passieren hätte können? Weiterhin nervös schaffte ich es nicht, mich auf den Thron zu setzen, was der Boden unter meinen Füßen mir aber sehr danken würde, da ich langsam richtige Spuren auf den weißen Fliesen hinterließ.

Beim Krankenzimmer angekommen sah ich als erstes das viele Blut, das sich auf einem weißen Tuch breitgemacht hatte und von Sekunde zu Sekunde mehr wurde. Inständig hoffte ich, dass nicht Kathlina, sondern niemand dort lag, aber an den Tränen meines Bruders wusste ich, dass ich der traurigen Wahrheit ins Gesicht sehen musste. Nur zu gerne hätte ich ihm damals geholfen. Ein paar aufmunternde Worte gesagt oder ihn in den Arm genommen. Aber ich stand einfach nur da. Minutenlang. Ohne ein Wort zu sagen oder eine Bewegung auszuführen. Tränen stiegen auch mir in die Augen und ich konnte sie nicht mehr länger zurückhalten, weshalb ich ihnen freien Lauf ließ. Unaufhaltsam rannen sie meinen Wangen herunter und ich wurde nur noch verzweifelter, als ich ohnehin schon war.

Plötzlich wurde ich abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als mein Kopf gegen etwas Hartes traf und ich durch das Schwanken meines restlichen Körpers das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel, wo ich hart auftraf. Der Grund meines Hinfallens war eine weiße Säule, die es doch tatsächlich gewagt hatte, sich in meinen Weg zu werfen und mich zu behindern. Das würde diese Säule noch bereuen, das schwor ich mir.

Schlafen konnte ich die ganze Nacht nicht. Ich hatte mich dazu bereit erklärt, bei Lucifer zu übernachten, um für ihn da zu sein, wenn er mich brauchte. Und damit er nichts Dummes anstellte, versteht sich. Aber trotzdem konnte auch er kein Auge zumachen. Da saßen wir also. Nebeneinander. Auf dem Bett. Wir sahen schlimmer aus als zwei Häufchen Elend und fühlten uns auch mindestens genauso mies wie wir aussahen. Lucifer hatte vorhin noch das halbe Zimmer zerstört, indem er Vasen und andere zerbrechliche Dinge herum geworfen hatte, mit der Faust auf die Wand eingeprügelt hatte und auch ansonsten noch für viel Chaos sorgte. Unser Vater hatte alle Hände voll zu tun, da er dafür sorgen wollte, dass unsere kleine Schwester, Eliana, nichts von dem Geschehen erfuhr. Sie war doch erst 100, und damit noch ein kleines Kind, für das das ein Schock gewesen wäre, vor allem da sie Kathlina sehr gemocht hatte.

Ich hasste mich dafür, dass ich das auch jetzt, nach 300 Jahren, noch so genau wusste. An jedes noch so kleine Detail konnte ich mich erinnern, und diese Erinnerungen wollten mich einfach nicht loslassen. Auch jetzt nicht. Vielleicht lag es daran, dass der Mörder auch heute noch auf freiem Fuße war. Anders hätte ich es mir nicht erklären können, ich konnte mich immerhin nicht einmal mehr erinnern, was ich gestern zu Mittag gegessen hatte, also in Punkto Gedächtnis war ich bestimmt nicht einer der Besten.

Am nächsten Morgen dann rappelte ich mich auf und schleppte mich in die Küche, da es nichts gebracht hätte, weiterhin im Zimmer zu sitzen und zu weinen. Sie war tot, und keine Tränen der Welt konnten sie zurück bringen. Noch immer rannten Diener wie aufgescheucht herum, informierten das Volk, planten die Todesfeier und die Beerdigung. Dirigiert wurden sie von meinem Vater, der sich, nachdem meine Schwester in ihrem Zimmer eingeschlafen war und er sie somit allein lassen konnte, im Thronsaal aufhielt, um für Fragen der Bevölkerung offen zu sein. Insgeheim hoffte er natürlich auch, dass der Mörder sich stellen würde, doch dem war natürlich nicht so. Gleich wie ich hasste er sich dafür, dass er nichts, aber auch wirklich gar nichts für Lucifer tun konnte.

Bevor ich weiterhin verloren in Gedanken ziellos herum irrte, zählte ich die restlichen weißen Säulen, die die Decke des Saales stützten. Außer mir war niemand hier im Raum, da ich die Wachen, die für gewöhnlich bei der Tür standen, nach draußen geschickte hatte, um ein paar Minuten meine Ruhe genießen zu können. Zum Glück, sonst hätten sie meinen Sturz vorhin gesehen und ich wäre zum Gespött der Engelwelt geworden.

Nachdem ich gegessen, oder besser gesagt mein Essen angestarrt und es dann weggestellt hatte, ging ich zu Eliana. Bestimmt hatte sie ewig viele Fragen, und momentan war ich der einzige, der sie ihr beantworten konnte, da mein Vater außerdem damit beschäftigt war, den Mörder zu finden, da er ja nicht von selbst kam. Auch wollte er fieberhaft herausfinden, wie so etwas geschehen konnte. Außer ihm war niemand in der Lage, Engel zu töten, der Mord warf also viele Fragen auf. Wie kam es dazu? Warum gerade sie? Was hatte sie falsch gemacht?

Über diese Fragen dachte ich auch heute noch nach. Kein Tag verging, an dem ich nicht an sie dachte, an dem ich nicht über ihren tragischen Tod dachte und darüber, wie grausam sie aus dem Leben gerissen wurde. Und wie musste sich da erst mein Bruder fühlen…

Bei Elianas Zimmer angekommen, bemerkte ich bereits, dass etwas nicht stimmte. Ein Stöhnen drang aus dem Raum heraus und die Tür war verschlossen. „Eliana!“, schrie ich, während ich vergeblichst versuchte, die Tür aufzubekommen. Eine Antwort blieb mir verwehrt, was mir nur noch größere Angst einjagte. Schweißtropfen rannen meiner Stirn entlang herunter und mein Körper zitterte schon regelrecht vor Sorge um sie.

Der Thronsaal war offen, weshalb ich ein wenig nach draußen gehen und frische Luft schnappen konnte. Doch eine kleine Wasserpfütze direkt vor meinen Füßen hinderte mich am Weitergehen, da ich dabei hängen blieb, mein Spiegelbild zu betrachten. Es kam mir so vor, als ob ich Kathlina im Hintergrund sehen konnte. Ihr herzliches, ehrlich gemeintes Lächeln, ihre wunderschönen Haare und die Lebensfreude, die sie stets ausstrahlte. Sie war so wunderschön gewesen…

Nach einer halben Ewigkeit – in Wahrheit nur einer Minuten, mir kam es nur wie eine Ewigkeit vor - hatte ich es geschafft ins Zimmer zu gelangen und sah geschockt zu Eliana, die regungslos, spärlich bekleidet und voller Blut auf dem Bett lag. Nicht wissend was tun, sah ich zu Lucifer, dessen Hände eine blutrote Farbe angenommen hatten. Mein Blick veränderte sich von fragend und geschockt zu traurig, verzweifelt und hasserfüllt. Doch bevor ich auf ihn losgehen und ihn erwürgen konnte – hätte ich zwar nicht können, hätte ich aber durchaus versucht – kam mein Vater zur Tür herein und ließ Lucifer von zwei Wachen abführen. Scheinbar hatte er mich schreien gehört oder einer der Diener war klug genug gewesen, ihn zu alarmieren. Ohne weiter nachzudenken ging er zu Eliana und fühlte ihren Puls. Man konnte die Erleichterung, die er ausstieß, förmlich spüren. Sie war nicht tot und mein Vater fing an, sie mit seinen Fähigkeiten zu heilen. Fassungslos stand ich da und sah dabei zu, wie das Blut langsam zurück in die Verletzungen in ihren Bauch wanderte und die Wunde sich dann wieder verschloss, als ob sie nie da gewesen wäre.

Ich dachte damals wirklich, dass ich nun auch noch meine geliebte Schwester verloren hatte. Das hätte ich damals nie überstehen können, vor allem nicht, da mein Bruder schuld an der ganzen Sache war. Warum er das getan hatte, weiß ich bis heute nicht und das ist nur eine weitere ungelüftete Frage, über die ich einfach nachdenken musste.

Als es ihr nach ein paar Minuten wieder besser ging, wusste ich nicht ob es klug war, sie zu fragen was denn passiert war. Vielleicht wollte sie es ja unbedingt vergessen und ich wollte dann nicht derjenige sein, der sie daran erinnerte, auch wenn es erst wenige Minuten her war. Doch anstatt zu weinen oder ängstlich zu sein, fragte sie sofort nach Lucifer und ob es ihm wohl gut ginge. Sichtlich verwirrt sahen mein Vater und ich uns an und antworteten schließlich mit einem kurzen Ja.
Nachdem wir sie dann im Krankenzimmer abgeliefert hatten, damit der Arzt sie noch einmal untersuchen konnten, sprach ich mit meinem Vater vor der Tür. „Was glaubst du hat er ihr angetan?“ Denken konnte ich es mir schon, aber dennoch hoffte ich inständig, dass Gabriel eine gute Erklärung für das Geschehene hatte. „Ich weiß es nicht, und um ganz ehrlich zu sein, will ich es auch nicht wissen mein Sohn. Lass es darauf beruhen. Eliana geht es gut und nur das zählt, außerdem scheint sie keine Folgenschäden davon zu tragen, was das Vergehen etwas mildert“ Mit diesen Worten ging er. Ich wusste genau wohin. Zu meine Bruder, der inzwischen eingesperrt in einer Zelle saß und auf sein Urteil wartete. Verdient hatte er es, aber trotzdem wollte ich es nicht sehen, wie er grausam in die Hölle heruntergestoßen wurde.

Für gewöhnlich wurden Engel nicht verbannt. Sie alle waren friedliebende Wesen, die zumeist perfekt miteinander harmonierten und nichts Böses im Sinn hatten. Die Zelle im Palast hier wurde kaum genutzt, da Engel auch nicht zu Verbrechen oder ähnlichem neigten. Ich war wirklich froh darüber, da ich niemals jemanden in die Hölle hätte verbannen wollen. Allein die Verbannung selbst war schon schmerzvoll, aber was danach in der Unterwelt mit einem passierte wollte ich gar nicht erst wissen. Es sei denn, man ist der Anführer, der Teufel höchstpersönlich. Und wie ich es mir hätte denken können, hatte mein Bruder sich innerhalb weniger Jahrzehnte zu eben diesem gemausert. Er war auch hier schon immer scharf gewesen auf den Posten unseres Vaters, aber er hatte sich auch damit zufrieden gegeben, der Sohn des Anführers zu sein.

Nach diesem Vorfall wurde es nie wieder wie es einst war. Kathlina war tot, mein Bruder verbannt und meine Schwester kaum noch zuhause. Mein Vater zog sich total zurück, wurde wegen Kleinigkeiten sofort wütend und redete ansonsten kaum ein Wort. Auch seinen Titel als Anführer übergab er mir, um mehr Zeit allein sein zu können. Übel nehmen konnte ich es ihm nicht, denn er hatte innerhalb von zwei Tagen seine Schwiegertochter und seinen Sohn verloren. Aber ich war noch schlimmer dran als er. Noch viel schlimmer. Ich hatte die Frau verloren die ich liebte, meinen Bruder und wenige Jahre später dann auch noch meinen Vater. Außer meiner Schwester hatte ich niemanden mehr.

Und jetzt war auch sie weg…

Kapitel 4: Was heißt denn vibrieren?

Eliana

 

Nachdem er mir inzwischen erklärte hatte, warum er so laut gelacht hatte und ich richtig IN dem Ding saß, verstand ich noch immer nichts. Einfach gar nichts. Bei uns gab es keine Tiere, in die man einsteigen konnte, aber die sogenannten ‚Autos‘ gab es bei uns im Himmel ja nicht. Allerdings wusste ich inzwischen, dass der Typ nicht alle Tassen im Schrank hatte, da er tatsächlich irgendwas sagte von ‚Dieses AUTO hat kein Herz, es lebt nicht‘. Natürlich musste es leben, sonst könnte es uns ja nicht von einem Ort zum anderen bringen. Aber ich ließ ihn einfach weiterhin in seiner Fantasiewelt leben.

„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte ich neugierig. Wissen musste ich immer alles, aber glauben tat ich den Leuten dann meistens nicht. Und Antworten bekamen sie erst recht nicht.

„Ich bin gerade 25 geworden. Soll ich die Frage zurück stellen oder bekomme ich sowieso keine Antwort?“ Er grinst. Bereits nach wenigen Minuten hatte er mich vollständig durchschaut. Na super. Aber das war jetzt schon das zweite Mal, dass er mich anlog. Er sah älter aus als ich, also musste er auch älter sein als ich und da ich bereits 400 war, konnte er unmöglich erst 25 sein! Was solls.

„Du bekommst natürlich keine Antwort, du neugieriger Mensch du“, meinte ich, wobei ich Mensch abwertend sagte, da ich ja eine andere Herkunft hatte. Er schien es aber nicht als Beleidigung aufzufassen, da er weiterhin super drauf war. Langsam aber sicher gingen mir die Fragen aus, aber zum Glück blieb das Ding gerade stehen und ich war froh, aussteigen zu können, auch wenn man vorne hinaus sah. Das war schon ein merkwürdiger Ort hier.

Nachdem auch er ausgestiegen war, machte das Ding so ein komisches Piep-Geräusch, weshalb ich ein paar Schritte zurückging, um einen Sicherheitsabstand zu bekommen. Das könnte ja sein Geschrei zum Angriff sein…

Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er mich an und in genau dem Moment wurde mir klar, dass ich schon wieder etwas falsch interpretiert hatte, was mich zwang zu seufzen. Ich war ja eigentlich keineswegs dumm oder so, aber in dieser Welt hier kam ich mir vor wie ein kleines, verwirrtes Mädchen.

Man merkte Takeru gut an, dass er jetzt nur zu gerne etwas gesagt hätte, aber er beließ es bei seinem Blick und ging zu seinem Haus. Stellt euch vor, ich wusste sogar was ein Haus war, auch wenn es hier etwas merkwürdig aussah. Wortlos trottete ich ihm hinterher, aber da die Gegend immer noch fremd für mich war, musterte ich meine Umgebung genauestens, um über mögliche Gefahren Bescheid zu wissen und diese im Notfall ausschalten könnte.

Im Haus angekommen kippte meine Kinnlade nach unten, so atemberaubend war der Anblick. Es war riesig! Als eine Hütte oder ähnliches konnte man es nicht bezeichnen, es kam eher einer Villa oder einem Palast nahe. Zwar wusste ich, wie ein Palast aussah, da ich in einem aufgewachsen bin, aber das hier war bei weitem besser, es war wunderschön eingerichtet – die Hälfte der Gegenstände kannte ich allerdings nicht – und so farbenfroh, nicht einfach nur weiß, wie der Palast von Mike.

Doch ich wurde abrupt aus meinem Staunen und meinen Gedanken herausgerissen, als so ein komischer, kleiner Kasten auf einem Schrank – der Kasten war wirklich klein, er hatte Platz auf dem Schrank – anfing irgendwas zu singen und sich so merkwürdig zu bewegen. Ohne zu überlegen fing ich an, mit der Faust auf ihn einzuhämmern, in der Hoffnung, dieses Teufelswerk würde so zerstört werden, aber meine Hand wurde von Takeru abgefangen.

„Wir müssen es zerstören bevor es und zerstört!“, rief ich und versuchte, meine Hand wieder frei zu bekommen, aber der Typ war einfach zu stark. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit und in dem Moment wurde mir klar, dass der Kasten keineswegs gefährlich war, also entspannte ich meine Finger wieder, woraufhin er meine Hand los ließ.

„Kleine, das Gerät da nennt sich ‚HANDY‘. Es ist dazu da, um mit anderen kommunizieren zu können. Verstehst du, man kann damit mit anderen Personen reden, die weit von einem entfernt sind“. Dann nahm er das sogenannte Handy in die Hand, drückte etwas und ruhig war es. Fassungslos nahm ich ihm das Ding aus der Hand und inspizierte es von vorne bis hinten. Natürlich war ich auch in der Lage, mit anderen zu sprechen, die weit weg von mir waren, allerdings machte ich das über Telepathie, ich brauchte dazu doch kein sich schüttelndes und lautes Gerät.

„Und warum bitte hat es sich dann eben so komisch hin und her bewegt? Wie erklärst du mir das?“, grinste ich triumphierend, da ich davon ausging, dass er das nicht erklären konnte, doch zu meinem Pech wusste er auch darauf eine Antwort.

„Ich habe es auf vibrieren eingestellt“ Bereits nach Beenden des Satzes sah man ihm an, dass er genau wusste, dass ich mal wieder absolut kein Wort verstanden hatte, woraufhin ich süß lächelte und er einen Seufzer ausstieß.

„Am besten, wir vergessen das einfach. Belassen wir es dabei, dass dieses Ding keineswegs gefährlich ist und uns keineswegs etwas tun wollte. Nichts, und ich meine wirklich NICHTS hier in diesem Haus wird dich angreifen oder dir etwas antun wollen, glaub mir das doch bitte einfach“, meinte er etwas genervt, während er auf eine Tür zusteuerte, also wollte ich ihm mal Glauben schenken und folgte ihm.

Dort angekommen wollte er wissen, ob ich einen Tee möchte, und nun sehet und staunet, ich wusste sogar was ein Tee ist! Also antwortete ich mit einem zuvorkommenden Ja und setzte mich auf seine Bitte hin auf einen Stuhl, der sich im selben Raum befand. Zwar sah das Zimmer etwas anders aus wie bei mir daheim, aber trotzdem konnte ich es als Küche identifizieren. Naja, zumindest hoffte ich, dass das stimmte, da ich mir jedoch nicht sicher war unterließ ich es, groß mit meinem nicht vorhandenen Wissen anzugeben.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass du momentan kein Zuhause hast?“ Takeru stellte mir den Becher mit dem Tee hin und setzte sich. Danach sah er mir direkt in die Augen, was mich zugegebener Weise etwas verunsicherte.

„Ich…ja…“ Es nervte mich, zugeben zu müssen, dass ich obdachlos war, aber es war nun einmal so und auf der Straße schlafen wollte ich hier nun wirklich nicht, weshalb ich hoffte, dass er mir ein Zimmer anbot, was er dann auch tat.

„Vielen Dank, ich werde dir auch nicht allzu lange auf die Nerven fallen“, versprach ich ihm mit einem Lächeln im Gesicht und einer Erleichterung in meiner Stimme, da sich nun alles zum Besseren zu wenden schien.

Die restliche Zeit saßen wir zwei da und tranken genüsslich unseren Tee, der wirklich gut schmeckte, das musste man ihm lassen. Allerdings hatte ich so leider mehr Zeit zum Nachdenken, weshalb meine Gedanken zu meinem Bruder schweiften und wie es ihm im Moment wohl gerade ging. Eigentlich hätte ich mir das egal sein lassen können, aber er war doch trotz allem der einzige den ich noch hatte, außer Lucifer, von dem ich aber seit dem Vorfall von vor 300 Jahren nichts mehr gehört hatte. Unbemerkt legte ich meine Hand auf meinen Bauch, da ich mich, auch ohne Narbe, noch genau erinnern konnte, was damals geschehen war und was er getan hatte...

Kapitel 5: Vorbereitungen

 

Michael

Es war nicht einfach, so eine Rüstung aus Niefath - ein äußerst seltenes, aber sehr wertvolles Metall - anzulegen, ganz im Gegenteil, 4 Diener mussten mir dabei behilflich sein. Mir war bewusst, dass ich nach dem Tod meines Vaters der einzige war, der andere Engel töten konnte, aber ich wusste nicht, mit welchen Gegnern ich es zu tun bekommen würde, weshalb ich mit der Rüstung lieber auf Nummer sicher ging.

Wie immer saß ich auch heute Vormittag im Thronsaal und las ein Buch, um mir die Zeit zu vertreiben, in der keiner zu mir kam und niemand was von mir brauchte. Als es dann aber doch an der Tür klopfte, ließ ich das Buch in meine Tasche gleiten, damit es nicht unhöflich aussah und bat den Gast mit einem sehr freundlichem Ton herein.

Da war mir noch nicht klar, dass sich gleich alles ändern würde. Um ehrlich zu sein vermutete ich nur, dass wieder irgendein Stadtbewohner zu mir kam, um sich über meine Schwester aufzuregen, da sie ja jetzt nicht mehr da war. Das verletzte mich meistens zutiefst, da ich sie trotz der Tatsache dass sie nur Unfug trieb, sehr vermisste, aber ich konnte nichts dagegen sagen, da die Bewohner erstens Recht hatten und es zweitens nichts gebracht hätte, sie gegen mich aufzubringen.

Jedoch war es gegen meine Erwartungen ein Diener, der sehr aufgebracht aussah und etwas in seiner Hand hielt, das ich als Brief wahrnahm. Auch wenn es nichts Gutes heißen konnte, war ich zumindest froh, dass Eliana hier nichts mehr angestellt haben konnte. Wortlos überreichte mir der Diener den Brief, nachdem er sich kurz verbeugt hatte und blieb in meiner Nähe beim Thron stehen. Ich faltete ihn auseinander, was mir schon sehr merkwürdig vorkam, da Briefe normalerweise mit Wachs-Siegeln zugemacht wurden und dieser hier einfach nur einmal gefaltet wurde. Also entweder er war so unwichtig, dass man sich einfach nicht die Mühe machte ihn anständig zu verpacken oder jemand war einfach nur faul. In dem Fall hätte der Brief auch von meiner Schwester sein können.

Nach einer halben Ewigkeit – zumindest kam es mir so vor – hatte ich die Rüstung nun endlich vollständig angelegt. Fehlten nur noch die Waffen, die von den Dienern noch geschliffen und hergerichtet wurden, ehe man sie mir respektvoll übergab. Zu meiner unverzichtbaren Ausrüstung zählte ein normales Langschwert, das einen sehr edlen Griff hatte, um welchen sich ein Drache windete, zwei kürzere Schwerter, die ich auf meinen Rücken gebunden hatte um sie im Notfall ziehen zu können und natürlich Pfeil und Bogen, um die Dämonen aus der Luft holen zu können. Den Bogen und den Köcher mit den Pfeilen hatte ich ebenfalls umgebunden, den Köcher allerdings so, dass er sich neben meiner Hüfte auf der rechten Seite befand, damit ich im Notfall schneller ziehen konnte.

Als ich ihn entfaltet hatte, konnte ich bereits an der Schrift erkennen, dass er sehr schnell und schlampig geschrieben wurde. Was mir jedoch noch mehr ins Auge stach und mich erschrecken ließ, war eine rote Flüssigkeit am Ende des Blatt Papiers, die Blut im ersten Moment verdächtig ähnlich sah. Bei genauerer Betrachtung bestätigte sich mein Verdacht leider doch, es war kein Rotwein, wie ich inständig gehofft hatte. Aber Blut von wem? Und wer würde mir so etwas schicken? Um hoffentlich Antworten auf meine Fragen zu bekommen fing ich an, den Brief zu lesen. Der Inhalt ließ es mich aber noch mehr mit der Angst zu tun bekommen als das Blut selbst. Es war eine Morddrohung und gleichzeitig eine Kriegserklärung gegen mich und mein Volk. Ein Dämon konnte diesen Brief unmöglich geschrieben haben, er wäre niemals an den Grenzposten vorbei gekommen, ohne dass man mir das gemeldet hätte. Erst jetzt bemerkte ich als Beilage eine Feder, die mit Sicherheit von den Flügeln eines Engels stammte. Doch als wären die Morddrohung, die Kriegserklärung und das Blut nicht schon genug gewesen, war die Feder auch noch schwarz angemalt. Niemand hatte solche Flügel, bis auf…Eliana!

Mir war bewusst, dass die Feder nicht von ihr stammte, aber die schwarze Farbe darauf zeigte mir eine eindeutige Warnung oder besser gesagt eine Drohung.

Jetzt war jedoch keine Zeit, um rumzusitzen und nachzudenken, welcher der unendlich vielen Engeln mir diesen Brief geschickt hatte, es hätte jeder und niemand sein können. Denn wer weiß, vielleicht war das Blatt Papier aus der Zwischenwelt oder wirklich der Hölle geschickt worden. Einzig die Erde konnte ich ausschließen, da niemand von unserer Existenz wusste und die Menschen erst recht keinen Brief hierher schicken hätten können. Voller Wut, aber auch Sorge um Eliana zerknüllte ich den Wisch in meiner Hand und warf ihn in die nächstbeste Ecke. Der Diener hatte sich längst aus dem Staub gemacht. Ohne weiter zu überlegen stand ich auf und ging in den Überwachungsraum, von dem aus ich die gesamte Engelwelt, aber auch die Personen die mir am Herzen lagen, sehen konnte und sofort wusste, wenn etwas nicht stimmte. Es war sehr praktisch, aber meine Schwester nannte mich dafür immer einen Stalker, der den Frauen beim Duschen zusah. Als ob ich das je getan hätte. Nur einmal vielleicht…

Ich sagte nie, dass ich stolz war auf meine Vergangenheit und auch ich hatte Fehler gemacht, aber im Gegensatz zu allen anderen war ich klug genug, aus ihnen zu lernen, auf ihnen aufzubauen und mich in einem besseren Engel zu transformieren.

Nachdem ich mich versichert hatte, dass Eliana in Sicherheit war – auch wenn es mir keineswegs gefiel dass sie bei einem Typen war, dem sie sogar zu gefallen schien – konnte ich mich, ohne mir weiter Sorgen machen zu müssen, wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Die Kriegserklärung. Neben dem normalen Brief befand sich auch noch eine Landkarte eines Teiles der Zwischenwelt und eine mit x gekennzeichnete Stelle, an der die Schlacht stattfinden würde. Die schwarze Feder und das Blut hatte ich inzwischen so aufgefasst, dass falls ich mich weigern sollte zu kommen, ich Eliana nie wiedersehen würde.

Vermutlich war es falsch, das Leben einer Person über das Tausender zu stellen, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte auch daran gedacht, sie in Sicherheit zu bringen, aber hier würde man sie eher finden als dort, wo sie jetzt war, und wenn man sie schon gefunden hatte, würde es jetzt auch nichts mehr bringen, sie wegzubringen.

Auch wenn ich Anführer war und so etwas im Grunde genommen allein zu entscheiden hatte, legte ich dennoch großen Wert auf die Meinung meiner Offiziere und meines Generals. Alle von ihnen waren äußerst loyal und ich vertraute jedem einzelnen von ihnen. Sie hatten auch schon unter der Herrschaft meines Vaters gedient und mit ihm erfolgreich alle Schlachten gewonnen. Es wäre töricht gewesen, sie zu feuern und mir jüngere zu suchen, da diese weniger Erfahrung hatten und ich diese weniger gekannt hätte.

Heute war es nun soweit. Innerhalb eines Tages hatte sich mein Heer bereit gemacht und ich war sichtlich erleichtert über diese Schnelligkeit, da ich die Schlacht einfach nur hinter mich bringen wollte. Mit schnellen Schritten eilte ich den Gang entlang nach draußen auf den Hauptplatz, auf dem sich meine Armee bereits aufgestellt hatte. Dort angekommen wollte ich unbedingt noch ein paar letzte Worte an all die Soldaten richten, die ihre Familie zurückließen, in der Hoffnung, ein friedvolleres Leben zu bekommen und natürlich heimzukehren, aber ich konnte in ihren Gesichtern erkennen, dass sie mir ihr Leben anvertrauten, dass sie wussten, dass sie für einen guten Zweck in die Schlacht ziehen würden. Das gab mir neuen Mut, weshalb ich all meine Kräfte sammelte und laut das hinaus schrie, was mir als erstes in den Kopf kam. „Euch allen, ich danke euch für euren Mut und für die Bereitschaft, mit mir und euren Brüdern in die Schlacht zu ziehen. Wir werden heimkehren und das mit einem Sieg, der uns hoffentlich endlich den Frieden bringen wird, den wir verdienen, den Frieden, den wir uns so sehr erhoffen! Ich weiß, dass viele von euch nun denken werden, dass man Friede nicht mit Gewalt bekommen kann, aber leider ist dem nicht so. Wir wissen nicht, wer unsere Gegner sind, aber ich verspreche euch, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um die Todesopfer so niedrig wie möglich zu halten!“

Für meine aufmunternden, aber ehrlich gemeinten Worte erntete ich tosenden Beifall von den Männern und das ehrte mich. Gemeinsam mit ihnen würde ich diesen Krieg ein für alle Mal beenden, sodass kein Engel je wieder zum Schwert greifen muss!

 

 

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Texte: Kasumi
Bildmaterialien: https://pixabay.com/de/
Tag der Veröffentlichung: 30.10.2015

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