Cover

Preface

Ich spürte, wie mich ihre Blicke durchbohrten, während ich die Flure entlang zu meinem Schließfach lief.

Manche von ihnen blickten mitleidig und verständnisvoll. Dann gab es Andere voller Abscheu oder gar Feindseligkeit. Eigentlich war es vollkommen gleich, zu welcher Sorte sie gehörten. Sie alle dachten insgeheim dasselbe:

 

„Sie ist selbst schuld."

 

Vielleicht war ich das auch. Vielleicht sogar ganz bestimmt. Ich hatte von Anfang an gewusst, auf was ich mich da einlassen würde.

Im Übrigen machten mir ihre Blicke sowieso nichts mehr aus. Es gab rein gar nichts, was mich noch tiefer hätte fallen lassen, als das ich es eh schon war. Ich war ganz unten angekommen.

Mit jener bleischweren Erkenntnis auf den Schultern öffnete ich meinen Spind und krallte mir meine Bücher. Das Leben ging weiter... 

 

Will jemand eine Geschichte hören? ...

 

 

First sight

... Fragte sich nur, wo ich denn beginnen sollte. Nun, der Anfang meiner Geschichte lag heute gut zwei Monate zurück.

Denn so kurz hatte unser Glück zumindest gehalten.  

Unglaublich, was in dieser spärlichen Zeitspanne alles passiert war! Verrückt. Aber Eines, Eines war sicher:

Der Tag an dem alles begann, würde ich niemals vergessen. Denn es war das allererste Mal in meinem Leben gewesen, an dem ich an Jason McCann geraten war:

 

 

 

Chapter One

 

Cade PoV

 

Ein letzter Blick in den Spiegel versicherte mir, dass ich halbwegs schultauglich aussah…

Entgegen meinem Inneren, denn ich fühlte mich wie einmal durchgekaut und ausgekotzt.

Die dunklen, leicht lilanen Ringe unter meinen Augen deuteten auf eine schlaflose Nacht hin, während sich undeutlich ein Abdruck des Kissens auf meiner Wange abzeichnete. Erstes Problem konnte ich jedoch mit einer Tonne Make-Up beseitigen. Meine blauen Augen sahen mich vorwurfsvoll an: Wieso hatte ich bloß wieder die halbe Nacht durchgemacht? Na gut- was geschehen war, war geschehen. Ich schnappte mir meine braune Umhängetasche und trampelte die alte Holztreppe hinunter. 

„Morgen", begrüßte ich meine Mum, alsbald ich in die helle Einbauküche gelangt war, und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. 

„Morgen, Honey. Gut geschlafen?", fragte sie lächelnd und balancierte die Pfanne mit den Pancakes zum Tisch, wo sie zwei davon auf meinem Teller platzierte.

Ich gab zustimmendes Gebrummel von mir und setzte mich auf einen der vier Stühle. „Schön! Dein Vater musste leider schon los“, informierte sie, während ich mir fahrig die Pancakes in den Mund stopfte. Dafür hatte ich nur ein Nicken übrig.

Auch wenn ich mittlerweile 17 war, stand meine liebevolle Mum doch noch jeden Morgen auf, um mich zu wecken und mir ein reichhaltiges Frühstück herzuzaubern. Und ehrlich gesagt war ich ihr dankbar dafür, denn sonst hätte ich noch früher Aufstehen müssen.

Sie sah mir amüsiert zu, wie ich hetzend den Orangensaft hinunterstürzte. „Immer dieser Stress“, schüttelte sie den Kopf. „Wieso stehst du nicht einfach früher auf?“ Ich verdrehte die Augen, was sie leicht zum Grinsen brachte.

„Weil ich dann weniger schlafen kann?“, erwiderte ich, als wäre es das Offensichtlichste der Welt. Sie schüttelte erneut den Kopf und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. Ich spürte, wie die altbekannte Röte über meine Wangen kroch. Sie wusste genau, dass ich gestern wieder die halbe Nacht durchgelesen hatte. Trotzdem gab sie keinen Kommentar dazu ab, was ich ihr wirklich hoch anrechnete.

Nach meinem Frühstück, und als ich wieder hoch gestürmt war und mir die Zähne geputzt hatte, zog ich mir meine vergilbten All Stars an und schlüpfte ohne einen Gruß aus der Haustür. Dazu war keine Zeit.

Ich musste die letzten Meter durch den Vorgarten joggen, um den wild hupenden, grässlich gelben Schulbus nicht zu verpassen. Wie immer war ich zu spät, was mir die Missgunst des Fahrers eingebracht hatte, der meine Schülterkarte nun missbilligend beäugte. Dann erst ließ er mich passieren. Mittlerweile hatte er es aufgegeben, mich zusammen zu scheißen.

Der Bus war stets überfüllt und ich dankte Gott für meine umsichtige und beste Freundin Cheryl, welche mir immer einen Fenstersitz freihielt. Während ich mir einen Weg durch den Bus bahnte, fuhr dieser bereits los. Cheryl winkte wie verrückt und ich schaltete die Ohren schon mal auf Durchzug. Dann ließ ich mich neben sie plumpsen. Nichts gegen Cheryl, aber wenn sie einmal mit dem Plappern angefangen hatte, war das mit dem Aufhören so 'ne Sache...

Leider war sie auch nicht die Hellste, wenn ich das mal unverblümt ausdrücken durfte. Trotzdem war sie loyal, witzig und die Hälfte des Jahrgangs war total scharf auf sie. Konnte ich denen auch nicht verübeln- ich war schon immer eifersüchtig auf ihre wilden, roten Locken und die makellose Porzellanhaut, welche einen krassen Kontrast bildete. Meine Haare hingegen waren braun und gerade und absolut langweilig, genau so wie mein olivfarbener Teint.

Heute war bei ihr natürlich Thema Nummer eins: Tyras Party. Tyra, eine unserer Mitschülerinnen, veranstaltete jedes Jahr ihre berüchtigten Geburtstagsartys und diesmal sollte auch ich nicht umhin kommen, ihr einen Besuch abzustatten. Gegen meinen Willen, wohl bemerkt.

Was würde ich dafür geben, heute Abend zu Hause zu bleiben und in Jogginghosen vor dem Fernseher zu sitzen?

Cade? Hörst du mir überhaupt zu?", riss mich Cheryl aus meinen Tagträumereien. Ich schreckte auf und nickte hastig.

Sie verdrehte die Augen, fuhr aber gnädig mit der genauen Beschreibung ihres Party-Outfits fort.

Im Gegensatz zu mir war sie ein richtiges Partygirl. Keine Feier -wirklich keine- war vor ihr sicher. Und immer sah sie dabei perfekt gestylt aus. Mir hingegen war mein Äußeres ziemlich schnuppe. Trotz unserer Differenzen, die auch im Charakter klar bestanden, verstand ich mich mit ihr am besten von Allen.

Deshalb tat ich ihr jetzt auch den Gefallen und setzte eine interessierte Miene auf.

 

Die Fahrt bis zur Schule dauerte stets eine volle halbe Stunde. Nachdem wir diese hinter uns gebracht hatten, hielt der Bus quietschend vor dem tristen, grauen Gebäude der Pacific High. Um nicht in den mitreißenden Strom der Schüler zu geraten, stürmte ich als eine der Ersten aus dem Bus. Cheryl hetzte mir fluchend hinterher, wofür ich mir ein leichtes Grinsen gestattete.

„Das ist überhaupt nicht witzig, Cade! Ich verschwitze mir voll mein neues Designer-Shirt, das ist scheiße", belehrte sie mich nach Luft japsend und stolperte über ihre hohen Keilabsätze. Sie gehörte zu den Leuten, die Sport verabscheuten und trotzdem kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen hatten.

Wir stiegen (ich stieg, Cheryl rannte) die breiten Stufen hinauf und drückten die schwere, mit Schnitzereien verzierte Holztür auf. 

Unsere Schule war rein optisch nichts Besonderes. Die Wände waren in verschiedenen Farben angepinselt, was mich an einen Kindergarten erinnerte. Die Spinde reihten sich dunkelblau aneinander- die meisten waren mit Stickern oder irgendwelchen Schmierereien zugepflastert- und der graue Linoleum-Boden strahlte frisch poliert. Die Schule war, wie es sich in New York nun mal gehörte, sehr groß.

Meine alte Schule war viel kleiner gewesen. Und langweiliger. Wie in jeder High School gab es auch hier verschiedene Cliquen. Die Führer waren natürlich die Sportler, in der sich die Cheerleader und die Footballspieler tummelten. Große, gut gebaute Kästen und dürre Blondinen. Cheryl gehörte zu der Kategorie Cheerleader.

Und ich war einfach immer dort, wo sie gerade war.

Mein Spind lag ganz in der Nähe von Cheryls. Sie hatte schon beantragt, ihren Spind neben meinen zu wechseln.

Über meiner Tür war noch immer in roten Lettern das Wort DIE NEUE gesprayt. So ging es allen Neulingen, hatte Cheryl mir am Anfang erzählt. Der Hausmeister war immer noch nicht dazu gekommen, die Schmiererei zu beseitigen. Eigentlich war ich aber gar nicht mehr so neu.

Nein, mittlerweile hatte ich mich hier echt gut eingelebt. Ich war nämlich keine gebürtige New Yorkerin, sondern erst frisch aus Miami, Kalifornien hergezogen. Meine Mutter hier eine neue Stelle im Kinderkrankenhaus angeboten bekommen hatte.

Ich öffnete den Spind und holte in Gedanken verloren meine Biologie-Bücher hinaus. Wenn es etwas gab, was ich hasste, dann war es Biologie. Und da unser Lehrer zu allem Übel ein totaler Langweiler war, trug das nicht gerade zu meiner guten Laune bei.

Überhaupt nicht.

Mental noch im Bett geblieben legte ich die restlichen Bücher hinein und gähnte unterdrückt.

Im Gang wurde es enger. Vielleicht wäre das was jetzt passierte nicht passiert, wenn sich die ganze Traube an hektischen Schülern nicht auf einmal hätte hindurch drücken wollen:

Gedanklich immer noch weit von der Realität entfernt knallte ich die Spindtür zu und wirbelte herum, nur um dann heftig gegen etwas Hartes zu stoßen. Oder Jemanden. Autsch. 

Ich blinzelte benommen und musste mich an der Wand abstützen- okay, das würde einen blauen Fleck geben!

Ich war ziemlich heftig nach hinten gekracht und schnappte nach Luft, als mir der Schmerz durch den Hinterkopf fuhr. Ich merkte, dass ich mittlerweile vielleicht etwas hätte sagen sollen, aber ich sah noch immer Sterne.

Schemenhaft und wie in Zeitlupe konnte ich erkennen, wie der Jemand dem ich das zu verdankten hatte mit seinen langen Fingern nach meinen Büchern griff, welche sich auf dem Boden verteilt hatten... und sie mir in die Hände drückte. Ich hob den Kopf und blickte in braune Augen.

Jesus!

Christus!

Ich war kurz davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Im Nachhinein konnte ich es damit abtun, dass ich mir den Kopf gestoßen hatte. Aber das war es ganz und gar nicht. 

An diesen einen Anblick, wie er mich angesehen hatte, erinnerte ich mich bis heute. Und zwar so als wäre es gestern erst passiert. Herablassend, finster und einfach nur furchteinflößend, so als hätte ich ihn persönlich beleidigt! Als wollte er mir den Kopf abreißen. Hilfe?

„Pass besser auf wo du hinläufst", spuckte er finster. Ich zuckte leicht zusammen- seine Stimme klang überraschend tief und hart.  Was hatte der bitte für ein Problem? Das war doch nicht nur meine Schuld gewesen!

Während er sprach, schien sein Blick undurchdringlich und vernichtend. Ich versuchte sein seltsam schönes Gesicht zu erkennen, aber ich hatte ihn wahrhaftig noch nie zuvor gesehen! Wieso war mir dieser komische Kerl bis jetzt noch nie aufgefallen?

Nebenbei bemerkte ich, dass sämtliche Gespräche um uns herum verstummt waren, und jeder uns anstarrte. Unwillkürlich zog ich meinen Kopf ein und brachte eine rasche Entschuldigung hervor. Ich mochte es überhaupt nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Daraufhin wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und ging schnellen Schrittes davon. Was zur Hölle...?

Die Leute an denen er vorbei ging machten ihm den Weg frei und drückten sich an die Wand. Einige tuschelten und kicherten, aber das schien ihm nichts auszumachen. 

Ich konnte meinen Blick noch immer nicht von ihm abwenden und hatte das Bild seiner braunen Augen durchgehend im Hinterkopf, als hätte es sich in mich hineingebrannt. Dieser Scheißkerl war ja mal die Höhe!

„Cade", zischte Cheryl, die plötzlich neben mir stand, und schüttelte mich. „Was zur Hölle war das?"

Ich zuckte die Schultern. Ich hatte leider selbst keine Ahnung. Meine beste Freundin lachte nervös und strich sich das widerspenstige Haar aus der Stirn. 

„Scheiße... Ich dachte er sticht dich mitten im Flur ab", murmelte sie aufgekratzt. Der? Was redete sie da? Ich runzelte die Stirn. 

„Wieso zur Hölle sollte er das tun?", fragte ich verständnislos nach. Sie hob eine Augenbraue. Hatte ich was Falsches gesagt? 

„Du kennst also Jason McCann nicht?“ Ich unterdrückte ein Stöhnen. Wie sollte ich auch?

„Cher, ich bin erst seit einem Monat auf dieser Schule“, erinnerte ich sie. Sie nickte.

„Ach ja... Hatte ich beinahe vergessen. Okay, hör zu."  Sie funkelte mich aus ihren katzengrünen Augen durchdringend an und senkte die Stimme ein wenig. 

„Jason McCann ist ein gefährliches Pflaster, auf welchem du dich niemals befinden solltest! Halte dich lieber von ihm fern, wenn du nicht in Schwierigkeiten geraten willst. Er ist ein Krimineller, sein Strafregister ist länger als der verdammte Umfang des Equators", fuhr sie fort, „der Kerl ist total irre! Hat seine ganze Familie eigenhändig umgebracht.

Nun ja, das konnte die Polizei bis jetzt noch nicht beweisen, aber alle wissen, dass er es getan hat." 

Wie bitte? Das hörte sich für mich alles ein wenig zu dramatisch an. Okay, er war furchteinflößend, aber das musste doch nicht gleich heißen, dass er jemanden um die Ecke gebracht hatte! 

Cher zog mich ohne ein weiteres Wort durch den Flur in unser Klassenzimmer. 

„Bitte geh ihm aus dem Weg, Cade. Ehrlich. Er ist wirklich ein Krimineller und sein Frauenverschleiß ist echt widerlich! Versprichst du, dass du dich von ihm fernhältst?"

Ich merkte, dass es ihr wirklich wichtig zu sein schien. Aber abgesehen davon, dass mir dieser Typ 'ne Scheißangst eingejagt hatte, konnte ich nicht so richtig glauben, was sie da erzählte. 

„Keine Sorge, ich habe eh nicht vor, ihm noch einmal zu begegnen“, erwiderte ich leichthin. Sie nickte kaum merklich, während wir uns zeitgleich an unsere Plätze setzten.

Gerade rechtzeitig, bevor es zum Stundenbeginn klingelte.

 

-  

 

Der Rest des Schultages würde euch erspart bleiben, denn es gab wirklich rein gar nichts Interessantes zu berichten.

 Nur dieses kleine, dumme Ereignis ließ mich nicht mehr los. Was für ein Mist! Ich verfluchte mich dafür, dass ich mein Versprechen gegenüber Cheryl schon mental gebrochen hatte! 

Um fünf Uhr erlöste uns die schrille Schulglocke endlich! Ich packte meine Sachen zusammen und lief neben Cheryl zum Bus. „Ich hole dich dann um zehn Uhr ab. Wehe du kommst nicht!" Ich verdrehte die Augen. „Etwas mehr vertrauen bitte", verlangte ich gespielt pikiert. Sie zog eine Augenbraue hoch. 

„Das habe ich doch! Leider kenne ich dich mittlerweile etwas zu gut. Deine Anti-Party-Haltung muss schleunigst geändert werden!" Pff! Ich murmelte ein artiges ‚Ja’ und drehte mich weg.

Eigentlich hatte ich den Partys schon längst abgeschworen. Da ging es doch nur um Abschleppen und Alkohol. So sah ich das zumindest. Aber Cheryl zuliebe machte ich da mal eine Ausnahme. Das sollte sie echt schätzen!

Den Rest der Fahrt über hörte ich Musik und bereitete mich innerlich auf den Abend vor. So schlimm würde das schon nicht werden, und wenn, dann konnte ich mich immer noch verdrücken. 

„Um zehn", brüllte Cher mir nach, als ich aufstand um aus dem Bus zu steigen. Ich wedelte mit der Hand zum Zeichen das ich verstanden hatte. Worauf ließ ich mich da nur ein? 

Zu Hause angekommen entledigte ich mich als Erstes meiner Schuhe und dem Mantel. Anschließend lief ich in die Küche, um mir etwas zu Essen zu machen. Der Zettel am Marmeladenglas teilte mir mit, dass Mum unerwartet für die Nachtschicht eingeteilt worden war. Ich solle mir einfach was beim Chinesen bestellen. 

Meine Mutter arbeitete als Kinderärztin.

Seit meinem 16. Lebensjahr, verbrachte sie mehr Zeit im Krankenhaus als zu Hause. Mein Dad hingegen arbeitete als Polizist- auch er musste viele Überstunden leisten. Ich war es mittlerweile gewohnt, meist alleine zu Hause zu hocken. Das hieß aber nicht, dass es mir gefiel.

Ich tat wie mir geheißen und rief beim Chinesen an, um mir etwas zu bestellen. Nach dem Essen setzte ich mich widerwillig an den ganzen Berg von Hausaufgaben.

Dummerweise war ich zu abgelenkt. Die braunen Augen dieses komischen Jungen schwebten vor meinem inneren Auge und ich war kurz davor, verrückt zu werden! Auch die sonst so einfachen Mathe-Formeln gingen mir nicht in den Kopf. Nach weiteren zehn Minuten war es mit meiner Konzentration zu Ende.

Frustriert schob ich den Stuhl zurück, pflanzte mich vor den Fernseher und zappte durch die Breaking News.

 

„Eilmeldung: Drew Parker (19) wird seit vorgestern ,22.15 Uhr, vermisst. Zuletzt wurde er auf dem Weg zur Brookylin Bridge gesehen. Er hat blonde Haare, grüne Augen, eine Narbe auf der linken Wange und ein großes Muttermal auf der Stirn. Seine Körpergröße beträgt exakt 189 cm. Laut Angaben der Eltern hat er keinen Abschiedsbrief verfasst. Entführung dürfte deshalb nicht ausgeschlossen werden. 

Bitte melden sie sich unter dieser Nummer 243-681-3490..." 

 

Ich runzelte die Stirn. Hier wurden jeden Tag irgendwelche Leute vermisst. Die Kriminellen-Rate in New York war überdurchschnittlich hoch. Ich verschwendete deshalb keinen weiteren Gedanken daran und zappte weiter.

Um neun Uhr war es an der Zeit, mich endlich fertig zu machen. Erst duschte ich mich und föhnte mir die Haare. Dann schlüpfte ich in ein rotes Kleid, umrahmte meine hellblauen Augen mit etwas Kajal. Irgendwo grub ich meine schwarzen, noch ungetragenen Pumps aus und zog sie aus.

Meine Eltern waren noch immer nicht zu Hause, aber vielleicht war das auch ganz gut. In diesem Aufzug würden sie mich niemals aus dem Haus lassen, auch wenn ich penibel genau darauf geachtet hatte, dass das Kleid nicht zu kurz war!

Während ich versuchte, meine Füße in diesen hohen Schuhen zu koordinieren lief ich aus dem Haus und trat auf Cheryls bereitstehendes, silbergrauses Cabrio zu. 

 

 

Party

***Definition: Anxiety- d.t. Angststörung

Eine Angststörung kann sich durch viele verschiedene Symptome äußern. Die Erkrankung betrifft dabei nicht nur das seelische Erleben, sondern auch den Körper. Oft steht beim Betroffenen nicht das subjektive Gefühl von Angst im Vordergrund. Vielmehr sind es meist körperliche Beschwerden, die ihn dazu veranlassen, einen Arzt aufzusuchen.

Personen mit einer Angststörung befürchten in der Regel, die Kontrolle zu verlieren. So deuten sie beispielsweise körperliche Symptome als drohende Herzattacke oder befürchten, das Bewusstsein zu verlieren, zusammenzubrechen oder verrückt zu werden.

(Quelle: www.beobachter.de)***

 


Chapter two

 

Cher saß schon erwartungsvoll in ihrem Auto. Augenverdrehend trat ich auf sie zu und ließ mich in die weichen Ledersitze fallen. „Hey! Toll siehst du aus", begrüßte sie mich ohne richtig aufzublicken, während sie sich den Liedstrich im Rückspiegel nachzog. Ich schnaubte und verschränkte trotzig die Arme.  

„Nur um das klarzustellen: Ich tu das nur für dich", erinnerte ich sie eisig. Das sollte sie mal nicht vergessen! 

„Jaja", murrte sie beleidigt, packte den Eyeliner in die Tasche und gab Gas.

Den Rest des Weges versuchte sie mich davon zu überzeugen, dass es mir gefallen würde. Sie war der Meinung, dass ich bestimmt ein paar nette Leute treffen würde und neue Kontakte schließen sollte. Ich wollte aber nicht mit dieser Art von Leuten befreundet sein, die freiwillig an diese Art von Parties ging! 

War ich bereit für das, was mich erwartete? Wohl kaum. 

Aber vielleicht würde mir etwas Ablenkung wirklich gut tun.

 

-

 

„Cher“, brüllte ich gegen den Lärm an. Es war kurz vor Zwei und ich wollt hier keine Sekunde länger verbringen. Meine schlimmsten Vorstellungen und Albräume hatten sich zwischen den letzten Stunden bewahrheitet.

Das hier? War das reinste Saufloch. Und so was wollte ich mir echt nicht zumuten.

„Ich muss gehen“, schrie ich einen Tick lauter, da sie nicht sofort reagierte.

Meine beste Freundin nickte und prostete mir zu. „Bis dann, Süße“, lallte sie und kippte den Drink in ihrer Rechten auf Ex. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Offenbar wollte sie diesem Zirkus noch länger beiwohnen und hatte nichts dagegen, mich zu Fuss Nachhause zu schicken.

Diese Party hier war definitiv zu hoch für mich! So ziemlich jeder war betrunken und der Rest rauchte Shisha auf der Couch, oder schnupfte irgendwelche illegalen Substanzen. Außerdem versuchten sie sich mit versauten Witzen zu übertrumpfen, was einfach nur widerwärtig war.

Es stank nach Schweiß und Zigaretten und Alkohol. Das beschissene Strobolicht ließ mich außerdem beinahe erblinden. Um ehrlich zu sein wollte ich überhaupt noch nicht Nachhause aber hier drin wollte ich auch nicht bleiben. Also versuchte ich mir so gut es ging den Weg durch die aneinander gepressten Körper zu boxen. Wieso war es nur so heiß?

Dann -endlich- trat der Ausgang in mein Blickfeld und ich tat ein paar Atemzüge, während mich die Erleichterung durchflutete. Frische Luft in Aussicht!

Ich riss fahrig die Tür auf und stolperte aus dem Haus, bevor auf den Aspahlt trat. Ich schüttelte meine langen Haare und schlüpfte aus den Schuhen, um sie von nun an in den Händen zu tragen.

Von der Straße aus peilte ich die Richtung entgegen meines üblichen Heimwegs an. Also den dunklen Weg nach unten, vorbei an den heruntergekommenen Häusern. Ich musste mich unbedingt erholen und dem gewöhnungsbedürftigen Geruch entfliehen! Ich ging einige Schritte die Straße hinunter und passierte hin und da rumknutschende, besoffene Gestalten. Ich rümpfte die Nase- ich war noch nie um diese Uhrzeit im Freien unterwegs gewesen. Und jetz wusste ich auch wieso es mir verboten wurde.

Als der Lärm leiser wurde und plötzlich keine Menschenseele mehr in Sicht war, beruhigte sich mein Puls endlich. Was für ein Abend! 

Die ganze Zeit hatte man versucht mir irgendwelche Drinks anzudrehen und es schien als hätten sie Wetten abgeschlossen, wer von diesen grenzdebilen Primaten den bescheuerten Anmachspruch drauf hatte!

Ich rieb mir über die nackten Arme, um die plötzlich aufkommende Gänsehaut zu verjagen. Verdammt, wieso war es hier so kalt?! Und wo hatte ich meine Jacke gelassen?

Mein Blick wanderte plötzlich zu den einschüchternden, mit Grafitti verzierten Wänden und ich presste die Lippen aufeinander. Was tat ich hier? Dies war genau solch ein Ort, vor dem mich Dad immer gewarnt hatte. Von Anflügen an Paranoia geplagt wollte ich mich gerade umdrehen, als ich ein unterdrücktes Stöhnen von rechts hörte. Und Fluche.

Ich erstarrte zu Stein -mein Herz setzte ein paar Takte aus- und drehte mich zu der dunklen Gasse um. Ich lauschte angestrengt und wartete auf die raue, dunkle Stimme. Aber alles was ich hörte war das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.

Gott, die laute Musik vorhin musste ein paar meiner Hirnzellen auf dem Gewissen haben, wenn ich mir schon Stimmen einbildete. Ich horchte noch einige Sekunden und zuckte schließlich die Schultern... 

Aber da war es schon wieder! Was zur Hölle war das? 

Ich nahm die dunkle Gasse zum wiederholten Male in Augenschein, konnte aber nichts erkennen. Mir war klar, dass man als ‚kleines’ Mädchen eigentlich nicht in dunkle Gassen gehen sollte. Aber ich war nun mal sehr neugierig, weshalb ich mich dicht an die Wand gedrängt in's Dunkle wagte. Ich versuchte keinerlei Geräusche zu erzeugen und lief prompt gegen eine Mülltonne, die scheppernd zu Boden fiel.

Hätte ich mir ja denken können! Das schmerzerfüllte Stöhnen hörte abrupt auf und wurde durch ein Schaben ersetzt.

Ich drehte mich in die Richtung des Geräusches. Und als sich meine Augen endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erschrak ich mich fast zu Tode! Da saß Jemand an der Wand gekauert. Nein. Nicht Irgendjemand. McCann, schoss es mir durch den Kopf.

Fuck! Fuck, fuck, fuck.

Ich hatte immer schon gewusst, dass meine Neugierde mich irgendwann noch ins Grab befördern würde! Und jetzt? Vielleicht hatte er mich ja noch gar nicht gesehen. 

Verarschen kannst du wen anders, Cade!

Trotzdem wollte ich mich umdrehen und wegrennen, bis ich das Blut auf seiner Brust sah. Ich riss die Augen auf. „Mist“, fluchte ich leise und trat einen Schritt auf ihn zu. Was zur Hölle war mit ihm passiert? Ich musste sofort einen Krankenwagen rufen!

„Geh“, presste McCann hervor, biss die Zähne zusammen und starrte mich aus seinen dunklen Augen so drohend an, dass ich mir beinahe in die Hosen pisste. 

Wollte der mich eigentlich für Dumm verkaufen? Ich würde ihn hier ganz sicher nicht in dieser stinkenden Gosse verrotten lassen! „Das sieht ziemlich übel aus. Ich bin ja keine Experte, aber ich glaube du brauchst dringend einen Arzt“, murmelte ich zitternd und mehr an mich selbst gerichtet, bevor ich vorsichtig vor ihm nieder kniete. Ich versuchte dabei einen gesunden Sicherheitsabstand einzuhalten. Es klang vielleicht dämlich aber ich hatte Angst, dass er mich vielleicht angriff! Wenn man so darüber nachdachte, hätte ich mir die Sorge sparen können: In seinem Zustand wäre er sowieso nicht weit gekommen, falls er etwas gegen mich hätte tun wollen. 

Ich kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können und studierte seine Wunde. In seinem Bauch war ein verdammt tiefer Schnitt und es blutete viel zu stark! „Ich... sagte: Verschwinde“, spuckte er erneut und starrte mich vernichtend nieder. Ich zuckte heftig zusammen und bewegte mich nicht vom Fleck. Seine granitharte Stimme schüchterte mich ein. Sehr. Trotzdem blieb ich und riss ein Stück am Saum meines Kleides weg. Meine Hände zitterten, auch wenn mir mein Dad bereits im Alter von fünf Jahren erklärt hatte, wie man erste Hilfe leistete.

„Ich versuche nur, dir zu helfen“, erwiderte ich mit brüchiger Stimme und sprach mir innerlich selbst Mut zu. Ich hatte keine Ahnung, was hier vorgefallen war. Aber wenn jemand Hilfe brauchte, dann würde ich sie demjenigen geben. Egal unter welchen Umständen. 

Ich quiekte erschrocken, als mir die Blutlache auffiel, in der er lag. 

„Wie hast du das nur hingekriegt?“, murmelte ich atemlos und drückte den Fetzen auf die Wunde. Das Teil färbte sich erschreckend schnell in dunkles Rot. Mein Magen rebellierte und ich kämpfte mit aller Macht gegen das Übelkeitsgefühl an.

„Dieses Arschloch hat... in die Brust gerammt… Fuck“, schnaufte er und krümmte sich. Jemand hatte ihn angegriffen. Hätte ich auch selbst drauf kommen können. Natürlich, was sonst. Mein Herz fing heftig an zu klopfen, als ich ihm plötzlich so nahe war. Er zog mich an. Wie ein Magnet, und ich konnte nur hilflos starren. Wie brachte er es hin, in den Unmöglichsten Situationen gut auszusehen? 

„Still halten“, brachte ich hervor, als ich meinen Blick endlich von seinem Gesicht gelöst hatte. 

„Und wo ist dieser Kerl jetzt?“, wollte ich wissen. Was, wenn dieser Angreifer zurück kam? Ich sah mich unbehaglich um und schluckte leer. Beinahe erwartete ich, dass der Maskierte aus seinem Versteck sprang und mich unbarmherzig niedermetzelte. Aber ich hörte nur die Raten, die sich um den Abfall aus der umgefallenen Tonne stritten.

Ich wandte mich wieder McCann zu und wartete auf eine Antwort. Aber hätte ich mal lieber nicht gefragt! McCann schnaubte missbilligend, als hätte ich eine unglaublich dumme Frage gestellt. „Ich hab den Dreckskerl umgebracht, was denn sonst?“, spuckte er. Ich wich geschockt zurück.

 

„Jason McCann ist ein gefährliches Pflaster, auf welchem du dich niemals befinden solltest! Halte dich am besten von ihm fern. Er ist ein Krimineller, sein Strafregister ist länger als der verdammte Umfang des Equators“, erinnerte ich mich an Chers Worte.

 

Hölle, er war ein verdammter Krimineller! Ein Mörder! Ein Irrer! Verflucht noch mal, wieso passierte immer mir solche Scheiße? Cher hatte recht gehabt!

„Du kannst ihn doch nicht einfach um die Ecke bringen“, quiekte ich panisch. Oh mein Gott! 

„Halt den Mund oder willst du das und jemand hört?“, bellte er kalt. Ich verfluchte mich und mein ganzes Leben. Wieso war ich nur hier durch gelaufen? Wieso war ich hierher gezogen? Hatte ich das verdient? Nein!

Vor Kälte und Unsicherheit zitternd riss ich noch ein Stück des Stoffes ab und drückte es mit mehr Druck auf. Die Wunde hörte nach einer gefühlten Minute auf zu bluten, und ich konnte nicht aufhören daran zu denken, dass ich hier mit einem verdammten Mörder auf dem Boden saß! 

„Wo hast du den Typen hingebracht?“, fragte ich, nicht sicher ob ich die Antwort überhaupt hören wollte. McCann verdrehte die Augen. „Hinter die Mülltonnen, bis meine Jungs kommen und ihn holen“, erklärte er offenherzig, als sei es das normalste der Welt.

Oh Hölle! Träumte ich das Ganze etwa? Ich fand das überhaupt nicht mehr witzig!

Wach auf, Cade!

Klar hatte Cheryl mich vor ihm gewarnt. Aber es war nun einmal so was von unrealistisch! Das war doch kein Film!

„Was? Das kannst du doch nicht einfach…“

„Ich tu was ich will“, unterbrach er knurrend Ton. Ich konnte nicht anders, als mich zu ihm hingezogen zu fühlen. Er war sowas von abnormal attraktiv!

„Schon mal was von ‚Moral’ gehört?“ Ich biss mir auf die Zunge. Konnte ich nicht einfach mal mein freches Mundwerk halten? Das fand McCann offenbar auch.

„Halt endlich die Klappe“, fauchte er zurück.  „Und jetzt verpiss dich oder du landest neben dem Kerl hinter der Mülltonne.“ Seine Stimme wurde noch einen Tick kälter und aggressiver, auch wenn er sich offenbar zu kontrollieren versuchte.

Ich zuckte zusammen und kaute auf meiner Unterlippe. Ich hatte Angst vor ihm. Panische Angst. War das nur ein Scherz, oder war die Drohung ernst gemeint? Ich stand auf und stolperte aus der Gasse.

„Warte“, hörte ich ihn beherrschter murmeln.

Notiz an mich: McCann ist ein schizophrenes, asoziales Arschloch. Nur so für zukünftige Generationen.

„Wie heißt du?“ Es war wahrscheinlich nicht so schlau, einem Kriminellen seinen Namen zu verraten. Aber ich war gerade zu aufgewühlt und geschockt als dass mir das eingefallen wäre.

„Cadens Montgomery“, flüsterte ich hypnotisiert von seinem glühenden Blick. Ich hatte keine Ahnung, ob er mich gehört hatte, aber ich stolperte blind aus der Gasse.

 

Ich erinnerte mich nicht mehr genau, wie ich nach Hause gekommen war. Ich fand mich nur irgendwann traumatisiert in meinem Bett wieder und beschloss, dass ich dieses Ereignis als ‚irrer Traum’ abstempeln sollte! 

Oder ich würde mich verflucht nochmal verrückt machen!

 

 

Kidnapped

Chapter Three

 

„Honey, wieso ist die Tür abgeschlossen?“, drang die Stimme meiner Mutter dumpf wie durch Watte an mein Ohr. Schleunigst schlug ich die Augen auf und versuchte meine Gedanken zu sortieren. Sie klopfte energischer an die Tür. Mist! Ich kletterte hastig aus dem Bett. 

„Ich komme“, rief ich schlaftrunken und schloss fahrig die Zimmertür auf. Vor mir stand meine vorwurfsvoll dreinblickende Mutter.

„Tut mir leid, Mum. Ich musste gestern noch lernen und wollte nicht gestört werden“, entschuldigte ich mich augenblicklich, bevor sie ihre Moralpredigt auf mich los lassen konnte. Ich hasste es, sie anzulügen. Sie durchschaute mich immer!

„Aha“, nickte sie deshalb auch wenig überzeugt und unterzog mich einer prüfenden Musterung. „Komm runter, es gibt Frühstück“, informierte sie nachdem einige Sekunden verstrichen waren und drehte sich in der Tür um. Erleichtert fuhr ich mir durch die strähnigen Haare und schlug die Tür zu.

Somit hatte ich heute meine Horror-Nacht hinter mir!

Nie wieder Party, in meinem ganzen Leben nicht! Das schwor ich mir, während ich unter die Dusche stieg um den widerlichen Geruch von meinem Körper zu waschen. Ich roch wie ein verfluchtes, wandelndes Bordell! Einfach igitt! Nachdem ich in eine graue Röhrenjeans und ein gestreiftes Top geschlüpft war, schminkte ich mich leicht und zog den schwarzen Blazer über. 

Mit nassen Haaren schlich ich in die Küche, ass meine Pancakes und spühlte mit Orangensaft nach. „Hattest du gestern denn Spaß?“, erkundigte sich Mum lächelnd. Das heißt sie hatte nicht bemerkt, wie spät ich Nachhause gekommen war. Gut. 

„Es war ganz okay“, antwortete ich einsilbig und lächelte dünn, während ich ihrem Blick auswich. Sie nickte.

„Brauchst du eine Tablette?“, fuhr sie umsichtig fort. Ich schüttelte den Kopf.

„So schlimm ist es nicht.“ Dachte sie wirklich, ich hätte mich dermaßen betrunken? Naja, manchmal vergaß ich wie gut meine Mutter sich mit Parties auskannte! Lag vielleicht daran, dass sie früher ebenfalls Nächte lang wach gefeiert hatte. Bis sie mit 17 schwanger geworden war, und zwar von mir. Meine Eltern waren allesamt ziemlich jung. Einerseits war das echt cool, aber manchmal konnte es auch ziemlich nervig sein.                                  

Ich lief wieder ins Bad und putzte mir die Zähne.

Es fühlte sich wie ein Dejà Vu an, als ich wieder zu spät war und nach draußen sprinten musste, um den Bus noch zu erwischen.

Ich schenkte dem Busfahrer ein extra breites Grinsen und quetschte mich durch die Schüler. Suchend sah ich mich um. Heute war Cher offenbar nicht da, um mir einen Platz freizuhalten. Ich runzelte die Stirn und fummelte mein Handy aus der Hosentasche, um ihr zu schreiben wo sie denn sei.

Sie war doch nie krank? Wenigstens musste ich mich dann keinem Verhör unterziehen, wie ich die Party gefunden hatte. Und ich müsste sie nicht anlügen und erzählen, dass es mir gefallen hatte.

Ich stöpselte die Kopfhörer ein und schloss die Augen mit dem Versuch, den Lärm so gut es ging auszublenden. Die Fahrt mit dem Schulbus war der Horror, aber mein Vater erlaubte mir einfach nicht, die Fahrprüfung zu machen!

 

In der Schule angekommen schlenderte ich aus dem Bus und ließ mich träge vom Strom mitziehen. Ich musste unbedingt mal wieder richtig schlafen, so ausgelaugt und kaputt wie ich mich heute fühlte. Ich lief den Gang entlang zu meinem Spind und öffnete ihn, um mein Geschichtsbuch rauszuholen. Ich brauchte drei Anläufe, bis ich die Kombination richtig eingedreht hatte. 

Als ich das auch endlich hinbekommen hatte, fiel mein Blick aufenblicklich auf einen weißen, gefalteten Zettel. Mitten auf dem Geschichtsbuch. Hatte den jemand mit Absicht hier rein geworfen? Ich presste die Lippen aufeinander und ignorierte mein nervös hüpfendes Herz. 

Mit gerunzelter Stirn blickte ich mich um, nahm den Zettel und faltete ihn auseinander.

Danke, Cadens, stand da in großen Buchstaben. Es stand kein Absender drauf und doch wusste ich sofort, wem die Handschrift gehörte.

 

„Warte“, hörte ich ihn ruhiger murmeln. Notiz an mich: McCann ist ein schizophrenes, asoziales Arschloch. Nur so für zukünftige Generationen.

„Wie heißt du?“ Es war wahrscheinlich nicht so schlau, einem Kriminellen seinen Namen zu verraten. Aber ich war gerade zu aufgewühlt, als  dass mir das eingefallen wäre.

„Cadens Montgomery“, flüsterte ich hypnotisiert von seinem glühenden Blick. Ich hatte keine Ahnung, ob er mich gehört hatte.

 

Bekannte Bilder schossen mir durch den Kopf. Eine verlassene Gasse. Blut. Und böse, funkelnde, braune Augen. Was ich zu verdrängen versucht hatte, drängte sich nun mit einem Mal wieder in den Vordergrund. So heftig, dass mir schwindelig wurde.

Jason McCann war ein Mörder, er hatte jemanden umgebracht. Und er kannte meinen Namen. Und er wusste wo mein Spind war. Heilige Scheiße!

Ich ließ meinen Kopf gegen die Spindtür rumsen und ignorierte die belustigten Blicke meiner Mitschüler. Er hatte mir doch tatsächlich eine Nachricht geschrieben. Immerhin konnte ich froh sein, dass er mir gedankt hatte und mich nicht auch umbringen wollte.

Erneut sah ich mich um in der Hoffnung, ihn zu entdecken. Vergeblich.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich musste ihn anzeigen! Oder wenigstens meinen Eltern davon erzählen! Wieso war mir das nicht schon früher eingefallen? Mein Vater hatte mir doch immer eingetrichtert, was ich in solch einer Situation zu tun hatte. Gott!

Im selben Moment klingelte die Schulglocke und kündigte den Beginn des Unterrichts an. Schnell schlug ich die Spindtür zu und hechtete vor dem Lehrer ins Klassenzimmer. Gedankenverloren setzte ich mich an den Platz und packte meine Utensilien aus.

Der Geschichtstest interessierte mich gerade wenig, mir schwirrten andere Dinge im Kopf herum. Deshalb vergeigte ich ihn auch gehörig, aber man konnte es mir ja auch nicht verübeln. Nach Geschichte standen zwei Lektionen Mathe an bevor ich Nachhause durfte, weil einer der Lehrer erkrankt war. Jetzt konnte ich endlich Nachhause und meiner Mutter davon erzählen. So einer wie McCann gehörte hinter Gitter.

Ich zog mir meinen Mantel über bevor ich mit den anderen Klassenmitgliedern hinaus trat. Um diese Zeit fuhren die Busse noch nicht. Jeanie, eine meiner Mitschülerinnen, machte mir das Angebot mich mit ihrem Auto mitzunehmen und Zuhause abzuladen.

Ich lehnte dankend ab- etwas frische Luft und Zeit zum Nachdenken würde mir gut tun! Dann konnte ich wenigstens überlegen, wie ich jetzt vorgehen sollte. Im Übrigen brachte mich der Fußmarsch auch nicht um. Dachte ich jedenfalls.

Bis die ersten Regentropfen nach ein paar Metern des Laufens vom Himmel fielen und ich nach wenigen Sekunden im strömenden Regen stand. Ich verfluchte diesen Tag bis aufs Äußerste, während ich mir die Kapuze ins Gesicht zog.  

 

McCann PoV

 

Konzentriert stieg ich in meinen Wagen und suchte den Parkplatz nach ihr ab. Ich musste diese neugierige Schlampe unbedingt wieder finden und mich versichern, dass sie ihre Klappe hielt!

Angepisst stellte ich fest, dass sie schon abgehauen war. Ich war mir sicher gewesen, dass ich sie noch erwischen würde. Ich manövrierte meinen Bugatti aus der Parklücke und fuhr auf die Straße. Gerade als ich nach rechts abbog, fiel mir ein roter Regenmantel und braune, wehende Strähnen ins Auge. Das war sie 100%.

Ich drückte aufs Gaspedal und holte sie ein. Montgomery hob verwirrt den Kopf, als ich mit quietschenden Reifen neben ihr zu stehen kam. Sie blieb stehen und versuchte mich durch das Glas hindurch zu erkennen. Ich ließ die getönte Scheibe herunter und blinzelte sie durch den Regen an. Sie glotzte hirnlos zurück.

Ich seufzte. Auf was wartete sie noch?

„Steig ein“, befahl ich genervt und fuhr mir durch die Haare. Dafür erntete ich nur einen weiteren dämlichen Blick. Die Schlampe hatte echt Nerven. Ich dachte eigentlich ich hätte überzeugend geklungen.

Trotzdem schüttelte sie heftig den Kopf, als ihr lahmes Gehirn meine Worte verarbeitet hatte.

„Du steigst jetzt besser in diese verdammte Karre oder du wirst es bereuen“, spuckte ich aggressiv. Zwar etwas übertrieben aber sie hielt mich sowieso schon für einen Psycho. Ich atmete tief durch um mich zu beruhigen. Für so eine Scheiße hatte ich doch keine Zeit!

Ihre Augen weiteten sich und sie schluckte hart. Zufrieden beobachtete ich, wie sie hastig den Wagen umrundete und brav einstieg.

Die Ledersitze wurden wegen ihrer triefenden Kleidung sofort durchnässt und ich wollte sie nur dafür schon umbringen! Stattdessen drückte ich sofort aufs Gas und fuhr weiter die viel befahrte Straße entlang. Jetzt musste ich es bloß schnell hinter mich bringen, um diese nervige Bitch nie mehr wieder zu sehen. 

„Was hast du jetzt vor?“, fragte sie, als ich nichts sagte. Was für ne Scheiß-Frage war das denn bitte? 

„Ich bin dir was schuldig. Ich fahre dich nur nach Hause“, knurrte ich. Selbst schuld, wenn die Bitch zu dumm war, um es selbst zu begreifen. Dachte sie allen Ernstes, ich würde sie einfach so davon kommen lassen? Nervös holte ich eine Zigarette hervor.

„Zünd mal an“, befahl ich und warf ihr das Feuerzeug in den Schoß. Die Schlampe konnte vielleicht doch zu was gut sein. Möglicherweise würde ich sie mit nach Hause nehmen und als Zimmermädchen halten? Sie lehnte sich vor und versuchte, meine Kippe anzuzünden, während ich einen Gang hochschaltete.

Meine Mundwinkel zuckten amüsiert und ich versuchte krampfhaft, nicht zu lachen. Sie sah so was von dämlich aus.

„Machst du dich über mich lustig?“, fragte sie sauer und lehnte sich wieder zurück.

„Würde ich nie“, zwinkerte ich ihr zu. Ich spürte, wie sie mich mich entgeistert anstarrte. War ich nicht deutlich genug? Hölle, um mit diesem Mädchen in einem Auto zu sitzen brauchte man Nerven aus Drahtseilen!

„Jetzt mach schon“, schnappte ich. 

Sie begann leise zu fluchen, während sie sich zum zweiten Mal zu mir beugte, und meine Zigarette anzündete. Ich hätte beinahe geknurrt, dass sie nicht so zu zittern brauchte. Ich hatte nämlich nicht vor, sie auf dem Lenkrad zu knallen!

Aber dann hätte sie sicher losgeheult, und noch mehr Wasser konnten diese teuren Ledersitze nicht verkraften. Als sie es endlich gebracht hatte, lehnte sie sich wieder zurück und musterte mich langsam und eingehend. Ich blies kleine Rauchringel in die Luft

Sie fing an zu husten, als ich den Rauch provokant in ihre Richtung blies. Verreck dran! Ihr Blick ging mir so was von auf die Eier!

„Jetzt starr mich nicht so scheiß verschreckt an! Ich werde dich schon nicht umbringen! Ich fahre dich nur nach Hause. Wie gesagt: Du hast was gut bei mir.“ Nachdem sie mich gestern Abend verarztet hatte. Ich wettete, dass sie es schon jetzt bereute. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, ich wäre doch noch verblutet.

Ich verkniff mir ein Grinsen. Ihre Augen wanderten blitzschnell zu meiner Brust. „Du willst mich nicht Nachhause fahren“, widersprach sie verspätet. Offenbar war sie doch nicht ganz so beschränkt.

„Wie kommst du darauf?“

„Erstens: Du bist nicht der Typ, der einem freiwillig was Gutes tun will.

Zweitens: Hast du nicht mal gefragt wo ich wohne.“

Ich biss mir auf die Lippen, während ich die Zigarette aus dem offenen Fenster schnippte und eine rote Ampel passierte.

„Die Anderen wollen sichergehen, dass du die Klappe hältst. Deshalb sollte ich dich abpassen. Du hast gestern vieles gesehen, was niemand hätte sehen sollen“, offenbarte ich ihr. Weil mich dieser scheiß Bastard gestern abgefüllt hatte war ich unfreiwillig offenherzig gewesen. In normalem Zustand hätte ich dieser Schlampe höchstens die Pest an den Hals gewünscht und wäre nicht so ins Detail gegangen.

„Und wer bitte sind ‚die Anderen’?“, fragte sie zurück.

Ich stöhnte entnervt auf.

Dann fuhr ich lauter fort: „Pass auf, Babe. Wenn du jemandem von gestern Abend erzählst, muss ich dich leider umbringen. Verstanden?“ Ich sah sie finster an. Sie schluckte und nickte. Ihre Miene verriet nichts.

„Ja“, erwiderte sie mit belegter Stimme.

„Gut“, nickte ich zufrieden. „Wo wohnst du?“ Sie starrte mich verdutzt an.

„Hältst du mich für bescheuert?“, fragte sie schnaubend. Blitzschnell packte ich sie am Kinn und drehte ihr Gesicht gewaltsam in meine Richtung.

„Jetzt hör mir mal gut zu, Kleine. Dir mit meiner P210 den Schädel wegzublasen macht mir rein gar nichts aus. Solche Leute wie du sind mir scheißegal. Du bist nur jemand Anderes, der mir einen Platz in der Hölle sichert. Nur jemand Anderes, der nie wieder gefunden wird. Nur jemand Anderes, der nach ein paar Jahren vergessen wird. Ich schlage also vor, dass du auf deinen verfickten Ton achtest!“

Wie ein ängstliches Reh nickte sie.

„Also, wo wohnst du?" Ich ließ sie los. 

„Achte Straße, Ecke Zweiundfünfzigste", flüsterte sie zurück. 

„Braves Mädchen. Wieso denn nicht gleich so?" Sie kniff die Augen zusammen. 

„Weil jeder normale Mensch keinem Psychopaten seine Adresse verrät, deshalb", maulte sie kraftlos. Ich hob eine Augenbraue. „Na du musst es ja wissen", erwiderte ich spöttisch. 

Sie verschränkte die Arme. „Du bringst Menschen um und versteckst sie hinter Mülltonnen, du bedrohst mich, falls ich nicht tu was du sagst und du hast deine Familie umgebracht! Es ist nicht schwer zu erraten, dass du ein kranker Krimineller bist!" Ich wurde wütend. Sehr wütend. Was dachte die Kleine, wer sie ist? Erst brachte sie mich in diese verfluchte Situation und jetzt nervte sie rum? 

„McCann? Das war nur ein Scherz...", meinte sie ängstlich. Ja, jetzt zog sie wieder ihren verdammten Kopf ein, die Kleine! Ich schüttelte den Kopf. „Denkst du ich weiß nicht, was man über mich sagt?", erwidere ich kalt. 

„Leute erzählen Dinge, von denen sie gar keine Ahnung haben! Keiner von diesen Bastarden kennt mich." Ich warf ihr einen wütenden Blick zu. „Unterstell mir nie wieder Dinge, von denen du keine Ahnung hast.“

Sie starrte mich an. Weder geschockt, noch ängstlich. Sondern fasziniert. Ich riss das Lenkrad absichtlich so herum, das sie mit ihrem Kopf gegen die Scheibe knallte.

Wie konnte sie mich nur so anpissen? Natürlich wusste ich, was man über mich erzählte! Die schlimmsten Schauergeschichten. Aber niemand wusste wirklich, wieso ich so war.

„Also, haben wir uns verstanden? Du hältst die Klappe, dafür lasse ich dich am Leben.“ Sie presste die Lippen aufeinander.

„Ich werde niemandem davon erzählen.“ Und irgendwie kriegte sie es hin, dass ich ihr glaubte.

Ich hielt an und ließ mein Lächeln aufblitzen. „Ich hoffe man sieht sich, Cadens.“ „Cade“, verbesserte sie automatisch und öffnete die Tür. Es regnete immer noch in Strömen. „Bitte für’s fahren“, rief ich ihr zu.

Ich hörte nur noch wie sie ein leises 'Arschloch' murmelte, ehe ich grinsend losfuhr...

 

 

Troublemaker

Chapter Four

 

Ihr Haus lag Gott sei Dank auf meinem Weg, und ich musste nur ein paar Straßen weiter fahren. Unruhig zupfte ich an den Enden meiner Haare und verfluchte das Zittern meiner Hände. Verdammte Medikamente!

Ich parkte vor dem großen Kiesplatz vor meinem Grundstück und stieg aus.

Seit ich mich erinnern konnte wohnte ich mit meinen Jungs zusammen. Ich hatte sie mit Bedacht aufgegabelt, als sie allesamt kurz vorm Verhungern oder halb tot in der Gosse lagen. Hatte ihnen ein Zuhause gegeben, gegen ihre Dienste.

Zwar waren einige von ihnen älter als ich, aber trotzdem behielt (fast) immer ich die Oberhand und holte sie aus der Scheiße raus, in die sie sich gerne hineinritten. Umgekehrt natürlich genau so. Wie gestern Abend, als mir dieser Hurensohn die Party versaut hatte!

Lauter als beabsichtigt schlug ich die Autotür zu und lief auf das weiß verputzte Haus zu.

Es war nichts Besonderes, trotzdem konnten wir uns dank unseres eigenwilligen Lebensstils Besseres leisten, als manch Anderer, und ein großes Haus in New York war ein Vermögen wert. Ich trat die zwei Stufen hinauf und riss die Haustür auf.

Sofort pflanzte ich mich auf’s Sofa und schaltete den Fernseher ein. Endlich abschalten. Meine Rückenmschmerzen brachten mich wieder mal um!  

„McCann?“ Ich stöhnte genervt auf als Sean, der Älteste von allen, sich vor mir aufbaute und mir mein Bier aus der Hand schnappte. „Was“, grollte ich.

„Hast du mit ihr geredet?“, fragte er einfach. Ich nickte gelangweilt. „Das Ding ist geregelt.“ Er hob eine Augenbraue. „Sicher?“ „Ja doch!“ Er verschränkte die Arme. Wenn dieser Bastard jetzt mein Bier verschüttete, würde ich ihn so was von umbringen! Er sollte sich einfach verpissen!

„Und sie wird nichts sagen?“ „Scheiße, ja“, knurrte ich. Er hob abwehrend die Hände. „Ich wollt’s ja nur mal wissen! Das war gestern sehr waghalsig. Wir haben Parker heute Morgen beseitigt. Chris hat sich beinahe in die Hosen gemacht, als die Bullen plötzlich hinter uns auftauchten.“ Jetzt hatte er meine volle Aufmerksamkeit. Die Bullen hatten sie erwischt?

„Zum Glück haben wir Parker schon vorher zur Hölle geschickt. Eine Minute später und wir wären am Arsch gewesen. Du wärst am Arsch gewesen.“ Ich seufzte genervt auf. Ich wusste, was jetzt kam:

„McCann, wir müssen vorsichtiger sein! Du darfst dir keine Fehler mehr erlauben, kapiert?“ Ich kniff die Augen zusammen und meine Faust zuckte unwillkürlich, weil ich ihm so gerne in die Fresse schlagen wollte.

„Du solltest das besser nicht tun“, riet ich langsam. „Was?“ Ich stand auf und packte ihn am Kragen. „Mir sagen was ich zu tun habe“, zischte ich, schnappte mir mein Bier und stieß ihn weg. Er wusste, dass ich so eine Scheiße nicht haben konnte! 

„Ich warne dich nur, McCann“, erwiderte Sean gedämpft und schüttelte den Kopf. „Das gestern hätte nicht passieren dürfen!“ Ich stieß ihn erneut weg.

„Denkst du ich weiß das nicht? Dieser Wichser wollte mich bescheißen, so einfach ist das!“ Sean schüttelte den Kopf. „Ist ja gut“, meinte er beschwichtigend. „Und jetzt geh mir aus dem Bild“, knurrte ich. Sean nickte wieder und trat aus dem Weg. 

„Ich warne dich nur“, murmelte er erneut mehr zu sich selbst, bevor er aus dem Wohnzimmer trat. Jaja, er und seine Warnungen gingen mir auf den Sack! 

Und diese dumme Göre verbesserte meine Laune auch nicht. Was hatte sie da überhaupt zu suchen gehabt? So eine wie sie war bestimmt nie auf 'ner Party. 
Naja, wenigstens hielt sie jetzt die Klappe. Und wenn sie es nicht tat, würde sie genau wie Parker in der Hölle landen. So einfach ging das.

 

Cade PoV

 

Noch bevor ich die Autotür überhaupt zu hatte, war er schon losgedüst und fuhr mit quietschenden Reifen um die Ecke. Verflucht noch mal, an was für nen Psychopath war ich eigentlich geraten?

Das mit der Polizei und meinen Eltern konnte ich also knicken. Ich wusste, dass er keine Scherze machte. Er würde mich wirklich umbringen, wenn ich zur Polizei ginge. Und wenn nicht er, dann würde er seine Freunde, bekannt als ‚die Anderen’, nach mir schicken. Ich war mir sicher, dass er irgendwie an mich rankam, auch wenn mich mein Dad nicht mehr aus den Augen ließe, sobald ich ihm davon erzählte.

Ich rannte ins Haus und schlug die Tür zu. Meine Mum war überraschenderweise früher Zuhause als sonst. „Oh, Cade! Du bist ja ganz nass! Ab ins Bad, du musst jetzt erstmal aus den Sachen rauskommen“, befahl sie sofort bestürzt und schob mich die Treppe hinauf, nachdem sie mir Mantel und Tasche abgenommen hatte.

Ich kam ihrer Bitte nur zu gerne nach und stellte mich unter die warme Dusche. 

Das heiße Wasser schien mir endlich mehr Klarheit zu verschaffen und ich registrierte, was überhaupt passiert war. Es stand nun definitiv außer Frage, jemanden einzuweihen. Merkwürdigerweise ließ mich die Tatsache total kalt, dass er mir gedroht hatte. Ich wartete zwar darauf, dass mich die Panik überfiel.

Aber stattdessen sah ich nur immer wieder seine braunen, wütend blitzenden Augen in meinem Kopf.

Nach geraumer Zeit stieg ich wieder aus der Kabine, wickelte mich in ein flauschiges Handtuch und schlüpfte in neue Kleidung.

In diesem Moment war ich nicht verängstigt, nein. Ich war höchst fasziniert, wie er auf meinen Einwand reagiert hatte. Scheinbar machte es ihm trotzdem nicht so wenig aus, wie die anderen über ihn dachten. Oder was sie über ihn sagten. Als ich ihn auf seine Familie angesprochen hatte- diese Szene nagte an mir.

Keinen blassen Schimmer wieso, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, im Unrecht getan zu haben. Vielleicht hatte er seine Familie gar nicht umgebracht. Meine rasenden Gedanken sponnen ein verworrenes Netz.

Nicht verängstigt, bloß fasziniert. Scheiße, ich musste dringend einen Psychiater aufsuchen. 

Am Ende kam ich zu dem Schluss, dass es am Besten war, die Sache einfach ruhen zu lassen. Leichter gesagt als getan!

 

-

 

In den nächsten drei Tagen schaffte ich es irgendwie, das Ereignis aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Wenigstens kurzzeitig. Es war nicht wirklich schwer, Dinge vor Cher zu verbergen. Als sie nach ihren drei Tagen Krankfeiern endlich wieder in die Schule kam, schwärmte sie von einem Typ namens Sean.

Dieser Kerl hatte sie auf Wolke sieben katapultiert und dort würde sie auch eine Weile bleiben. Zu meinem Glück!

Er war mir nicht wieder begegnet. Weder auf den Fluren, noch außerhalb der Schule. Mir schien alles viel zu surreal- dass ich indirekter Zeuge wurde, wie jemand umgebracht worden war. Dass mir gedroht worden war. Es war, als hätte ich alles nur geträumt. Und wenn ich das blutverschmierte Kleid, welches ich ganz hinten im Schrank versteckt hatte, nicht noch besessen hätte- dann hätte ich es wahrscheinlich wirklich für genau das gehalten:

Einen Traum.

„Ms. Montgomery, würden sie uns bitte Aufgabe Nummer 12 an der Wandtafel veranschaulichen?“, bat Mr. Dunham und sah mich auffordernd über den Rand seiner dicken Brillengläser an. Ich nickte widerwillig, straffte die Schultern und schritt nach vorne.

Gerade als ich die Kreide in die Hand nahm, hörte man von draußen lautes Geschreie. Ich zuckte zusammen und die ganze Klasse sah zu, wie Mr. Dunham nach draußen trat, um den Grund für die Aufruhr zu erfahren.

Der Unruhestifter hieß Mrs. Sunbird und war die Geschichtslehrerin von einer Klasse über mir.

„Dieser Mistkerl“, schnaufte sie.

„Na dieser…dieser McCann“, fauchte sie, als Mr. Dunham sie fragend anblickte. „Meint er könne kommen und wieder gehen, wann er wollte! Da täuscht er sich gewaltig“, wütete sie, drehte sich um und lief schnurstracks auf das Büro des Rektors zu. Wir starrten ihr perplex hinterher…

Was zur Hölle war das? Was hatte McCann wohl dazu veranlasst, einfach so zu verschwinden?

Die Leute begannen zu tuscheln und zu kichern. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an McCanns Worte.

 

„Leute erzählen Dinge, von denen sie keine Ahnung haben! Keiner von diesen Bastarden kennt mich."

 

Mir wurde bewusst, wie recht er hatte!

 

McCann PoV

 

„Halt deine Klappe und sag mir wie diese verfluchte Scheiße passieren konnte“, brüllte ich in den Hörer und lief zu meinem Auto! Scheiß auf Schule, scheiß auf Mrs. Sunbird, scheiß auf die gesamte Schülerschaft!

„Beruhige dich! Sie wollen nur Fragen stellen!“ Fragen, mein Arsch! Ich schnaubte. Ich hätte dem kleinen Wichser am liebsten die Fresse poliert, und zwar deftig! „Denkst du ich weiß nicht was ‚Fragen stellen’ bedeutet?“, knurrte ich und fuhr den Highway entlang. Fragen stellen bedeutete, dass ich mit einem Fuß schon hinter Gitter saß! 

Ließ mich diese Scheiße eigentlich niemals los?

Chris seufzte. „Ich weiß. Wir kriegen das schon hin. Tun wir immer.“ Ich lachte bitter. Mit ‚wir’ meinte er wohl mich. Ich überfuhr mindestens drei rote Ampeln. Immer ich musste mir was einfallen lassen! Immer ich musste ihre Fragen beantworten. Ich hatte keine Lust mehr auf diesen Scheiß! „Wo bist du gerade, McCann?“

„Gleich da“, erwiderte ich gereizt. „Gut…denn wir müssen uns ein verdammt wasserdichtes Alibi ausdenken!“ Damit legte er auf…

Jaja, als ob ich das nicht wüsste! Wie konnte das nur passieren? Wir hatten Parker doch in den See hinter'm Wald geworfen. Es war unmöglich, dass die Bullen ihn wieder gefunden hatten! Und obwohl der Fall ‚Parker’ eigentlich nicht meine Idee gewesen war, war ich es jetzt, der in der Scheiße saß. Perfekt.

Nach ein paar Minuten driftete ich in den Parkplatz und stieg aus. Wütend schnippte ich die Zigarette weg und schlug die Autotür heftig zu. In sekundenschnelle war ich im Wohnzimmer, wo die anderen schon warteten. Ich sah sie der Reihe nach an. Was für Idioten. 

„Okay, noch mal: Was genau ist passiert?“, wollte ich erst mal wissen und ließ mich auf dem schwarzen Ledersofa nieder. Ich wollte das jetzt genau wissen, wie ihnen so ein beschissener Fehler unterlaufen war! Und mir warfen sie immer vor, ich sollte vorsichtiger sein! Ich war so kurz davor, sie alle zu verprügeln.

„Die Bullen sind heute vor der Haustür aufgekreuzt und wollten dich haben. Wir haben ihnen gesteckt, dass du in der Schule bist und gefragt, was sie denn wollen. Daraufhin sagten sie, dass sie dir nur ein paar Fragen stellen wollten, im Falle ‚Drew Parker’. Er sei ermordet worden. Du sollst morgen dort aufkreuzen und ihre Fragen beantworten“, erzählte Clay.

„Scheiße, McCann! Was machen wir denn jetzt?“ Diese Hosenscheißer sahen mich erwartungsvoll an. Ah. Jetzt war also wieder mal ich derjenige mit dem Plan.  Bullshit! Ich setzte mich gerade hin.

„Welche verdammte Ratte hat dich überhaupt verpetzt“, warf Sean knurrend ein und nahm einen Schluck aus der Bierflasche.

Ja, welches Stück Scheiße hatte es gewagt…? Ich lehnte mich stöhnend zurück und rieb mir die Stirn. Ich hatte schon wieder höllische Kopfschmerzen. Ich dachte nach. Wer könnte mich bei den Bullen verpetzt haben? Es gab niemanden außerhalb dieses Raumes, der davon bescheid wusste! Außer...

Nein, das hatte doch nichts mit…

Das hatte sie nicht getan! Ich sprang wieder auf. Die anderen sahen erschrocken hoch. „Verdammt, ich bringe diese Schlampe um“, zischte ich.

„Was?“, fragte Sean dringlich. Diese Bitch! Jetzt war sie so was von dran!

„Setz dich wieder hin, bro! Warte“, schrie Chris mir hinterher. Aber ich war schon aus dem Haus gestürmt und sprintete zum Auto. Ich hatte ihr doch verdeutlicht, dass ich sie umbringen würde! Diese Schlampe hatte mich beschissen- das würde sie bitter bereuen... 

So schnell es ging raste ich zurück zur Schule. Dieser ewige Stress. Die Kleine müsste bestraft werden! Ich nahm einem roten Audi die Vorfahrt und wechselte in den fünften Gang. Es war mir zwar generell scheißegal wie ich fuhr, aber heute wollte ich besonders schnell wieder in der Schule sein.

 

„Also, haben wir uns verstanden? Du hältst die Klappe, dafür lasse ich dich am Leben.“ Sie presste die Lippen aufeinander. „Ich werde niemandem davon erzählen.“ Und irgendwie kriegte sie es hin, dass ich ihr glaubte...

 

Wie konnte man nur so dämlich sein! Ich sah ihren unschuldigen, verängstigten Blick vor mir und wollte mich einfach nur für meine Dummheit erschießen! Ich hätte sie wohl doch sofort umlegen sollen, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ich hatte sie einfach davon kommen lassen.

Und zum Dank hatte ich jetzt die ganze schöne Scheiße auf dem Silbertablett vorgesetzt bekommen.

Ich fuhr mit 100 Sachen in die Einfahrt und stoppte den Wagen abrupt. Gerade sollte Schulschluss sein, und wenn ich lange genug warten würde, könnte ich sie vielleicht abpassen.

Finster griff ich nach einer Zigarette, starrte sie and und stopfte sie wieder zurück. Genug für heute, definitiv. Ich war sowieso schon wieder süchtig geworden, dabei hatte ich doch erst gerade aufhören wollen! Ich fuhr mir durch die Haare und verfluchte diese beschissenen Kopf- und Rückenschmerzen, die mir immer das Leben schwer machten. Ich hatte wieder vergessen, die Schmerztabletten zu schlucken. Aber vor lauter Tabletten behielt ich nun mal nicht immer den Überblick!

Das verheißungsvolle Klingeln ließ mich hochschrecken. Ich ging auf das Gebäude zu und wartete ungeduldig. Ich nahm jeden genau unter die Lupe, darauf bedacht, sie diesmal nicht davonkommen zu lassen. Wo zur Hölle war diese… da!

Kam plaudernd heraus, ihre nervige Freundin im Schlepptau. Ich wartete nicht lange und packte sie am Handgelenk, alsbald sie in greifbarer Nähe war. Ihre Freundin bekam davon nicht viel mit, sondern trieb einfach mit dem Schülerstrom dahin und schnatterte weiter. Ich hingegen zerrte die Schlampe um die Ecke und drückte sie an die Wand.

Sie starrte mich aus Schock geweiteten Augen an. Sie dachte wohl, sie käme einfach davon. Ich schnaubte. „Findest du es witzig, mich zu verarschen? Dachtest du, ich finde nicht heraus, dass du es warst?“ Sie sah mich an, das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzogen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich ihre Handgelenke erdrückte, aber es war mir scheißegal!

„Was soll ich getan haben?“, presste sie hervor. Ich biss die Zähne gereizt zusammen. Mich anzulügen ist jetzt eher eine schlechte Option, Schätzchen.

„Du bist echt dümmer als ich dachte, mich zu verarschen. Hat man dir denn nicht so vieles über mich erzählen können? Weißt du denn nicht, was ich mit Leuten anstelle, die versuchten, mich übers Ohr zu hauen?“ Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.

Sie starrte mich an. „Was redest du da bitte? Ich hab keine Ahnung, von was du sprichst! Lass mich endlich in Ruhe!“ Sie zitterte am ganzen Körper und wollte sich losmachen.

„Spiel keine Spielchen mit mir, Kleine“, spuckte ich, mein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt.

„Ich hab nichts gemacht“, keuchte sie zunehmend verzweifelt. Ich hob eine Augenbraue. Die Göre hatte verdammt Mumm, mich hier anzulügen. Entweder war sie nur abnormal dumm oder…

„Ich rate dir, die Wahrheit zu sagen“, drohte ich.

„Ich sage die Wahrheit! Ich bin nicht lebensmüde, McCann! Deine Message ist angekommen, ich habe nicht vor, frühzeitig zu sterben“, erwiderte sie schnaubend.

Ich fluchte laut und drehte den Kopf nach links. Glücklicherweise hatte noch niemand was von ihrem Verschwinden bemerkt. Tolle Freundin hatte sie da. Ich sah sie wieder an. Ich hasste es, wenn Zicken wie sie recht hatten!

Und ich gab es zwar nicht gerne zu, aber sie hatte recht. Sie war es nicht…ich sollte das am Besten wissen, immerhin verfolgte ich sie seit Tagen auf Schritt und Tritt. Ein Wunder, dass sie mich noch nicht gesehen hatte!

Diese ganze Scheißfahrt war also doch ganz umsonst gewesen. Denk nach, bevor du handelst, McCann, erinnerte mich Sean doch immer. Na schön, vielleicht hatte ich voreilig geeilt. Aber wenn sie es nicht war, wer hatte dann…? Die Kleine starrte mich abwartend an.

„Mitkommen“, entschied ich und lockerte den Griff um ihre Gelenke. „Was? Wieso denn jetzt schon wieder?“, zischte sie. Ich schloss die Augen… und wenn sie jetzt jemand Anderes gewesen wäre, hätte ich ihr eine gescheuert. Nun aber versuchte ich meine Atmung unter Kontrolle zu bringen und beschränkte mich darauf nichts Falsches zu tun.

 

„Tu. Es. Einfach.“ Sie schwieg und ließ sich widerwillig von mir mitziehen...

 

 

McCann

Chapter Five

 

Meine Hände umklammerten das Lenkrad, als ich erneut vom Schulhof raste.

Diese ganze Scheiße raubte mir den letzten Nerv! Aber mir war da eine Idee gekommen, wie ich vielleicht wieder aus der ganzen Sache raus kam. Und in diesem Plan spielte diese kleine Schl... Cadens eine entscheidende Rolle. Vielleicht war es doch ganz gut, dass ich hierher gefahren war, um sie zu holen. 

Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie an ihren Gelenken rum rieb. Denn dort wo ich sie vorher gewaltsam festgehalten hatte, waren nun blaue angelaufene Handabdrücke.

Mit aller Macht unterdrückte ich das schlechte Gewissen. Manchmal wünschte ich einfach, gefühlskalt zu sein. Aber das war leider unmöglich. Diese Erkenntnis und ihre ewige Panik gingen mir so was von auf die Eier!

„Jetzt entspann dich mal“, fuhr ich sie genervt an, als sie unaufhörlich und nervös mit dem Bein zu wippen begann. Sie sollte mich bloß nicht aufregen! „Ich soll mich entspannen? Wie denn bitte! Ich sitze hier schon wieder in dieser  scheiß blöden Karre mit diesem scheiß blöden Typen, auf dem Weg nach scheiß blöd… Siehst du, ich weiß nicht mal wohin du mich verdammt noch mal bringst!“ Punkt für sie.

 „Keine Ahnung wieso die Polizei hinter dir her ist! Ich schwöre dir, ich hab nicht gepetzt“, beteuerte sie. „Das weiß ich“, unterbrach ich, unwillig, mir einen Fehler einzugestehen. Sie warf die Hände in die Luft. „Was tu ich dann hier?“ „Du wirst mir helfen, aus der Scheiße wieder rauszukommen.“

 „Was? Ich schulde dir doch nichts! Wieso sollte ich dir bitte helfen?“ Sie war gerade dabei, den Bogen gewaltig zu überspannen. Ich war sowieso schon gereizt und die Kleine provozierte gerade auf oberstem Niveau.

„Weil, du kleine Bitch, es bei mir nicht so läuft! Ich brauche keine ‚Schulden’ einzulösen. Ich will das du mir hilfst und wenn ich was will, dann kriege ich es. So und nicht anders.“

 Sie zuckte zusammen, als sie den drohenden Unterton hörte. Schisser. Hatte nicht mal Rückgrad, die dumme Schlampe.

Dann schwieg sie, während ich heute zum dritten Mal an ihrem Haus vorbeifuhr. Die Anderen fragten sich bestimmt schon, wo ich denn geblieben war. Ich bog in unsere Straße ein und parkte den Wagen mit quietschenden Reifen. Aus zusammengekniffenen Augen fing ich den Blick aus ihren trotzigen, blauen Augen auf und musterte sie prüfend. Sie schien so weit ruhig zu sein, aber ich war mir sicher, dass sie nicht so stark tat, wie sie im Moment war. Und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte man meinen können, sie wäre angepisst gewesen.

„Bleib noch sitzen“, befahl ich nach einer gefühlten Minute und stieg aus.

 

Cade PoV

 

 „Bleib noch sitzen“, knurrte er und stieg aus, als wir endlich bei ihm angekommen waren. Neugierig linste ich aus dem Fenster uns sah das weiße Haus mit den grünen Fensterläden. Und obwohl es keinem Schloss glich, war ich dennoch verwundert. Ich hatte eher eine Art Bruchbude erwartet.

Die Fahrertür wurde geöffnet und McCanns Gesicht war urplötzlich nur Zentimeter von meinem entfernt. Ich widerstand dem Drang zurückzuzucken, und wagte den Blick in seine braunen Augen. Ich wollte und durfte keine Schwäche zeigen. Aber was zum Teufel hatte er nur mit mir vor?

Mein Herzschlag beschleunigte sich, als er mir plötzlich so nahe kam.

Zum geschätzten hundertsten Mal verfluchte ich mich und Cher dafür, zu dieser Party gegangen zu sein. Keine Party, keine Scheiße. Daran erinnerte ich mich beim nächsten Mal besser!

 „Hör zu: Da du wohl ehrlich zu mir warst, werde ich ehrlich zu dir sein. Ich hab dir bis jetzt sehr viel durchgehen lassen. Aber da drin sind meine Freunde, und die sind weit aus weniger verständnisvoll als ich.“ Verständnisvoll? Redete er da wirklich gerade von sich selbst?

 „Du machst also nur deine Klappe auf, wenn es wirklich sein muss. Verstanden?“ Ich nickte und biss auf die Innenseite meiner Wange. Wohin brachte er mich, verdammt? Er richtete sich auf.

Endlich kriegte ich wieder Luft, jetzt da er etwas Abstand zwischen uns gebracht hatte.

„Dann kann’s ja losgehen“, meinte er und lief los.

Ich starrte ihm hinterher und guckte mich verstohlen um. In Gedanken wog ich ab, wie weit ich kommen würde, wenn ich jetzt abgehaute.

Aber wenn ich mich jetzt aus dem Staub gemacht hätte, dann hätte er mich innerhalb von Sekunden wieder aufgegriffen. Und wer weiß, was mir dann blühte! Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend kletterte ich aus der Höllenkarre und hechtete ihm hinterher. Ich hatte keine Ahnung, was mich hier drin erwartete.

Und genau das machte mich ziemlich nervös. Seine bestimmte Warnung schien das ganze nicht besser gemacht zu haben.

 Wir stiegen die Stufen zur Haustür auf, welche McCann ohne Umschweife aufstieß. Sofort kam ihm ein bellender, grauer, ziemlich großer Hund entgegen und warf ihn beinahe um. Ich hätte mich fast zu Tode erschreckt! „Hey, altes Mädchen. Wie geht’s dir?“, begrüßte er die Hündin und tätschelte ihren Kopf. „Ich hab Besuch mitgebracht“, lächelte McCann. Und wenn McCann lächelte, dann sah er aus wie ein verdammt heißer, dunkler Engel! 

Ein Engel, der mich noch ins Grab befördern würde. Da war ich mir 100 Prozent sicher.

 Das riesige Etwas begrüßte mich freundlich kläffend, während McCann versuchte, den Köter in Schach zu halten. Der Hund war friedlich, keine Frage. Aber ich hatte trotzdem einen Heidenrespekt vor ihm!

Endlich kam ich dazu, mich im Flur umzusehen. Die Wände waren weiß und der Boden war dunkel laminiert. Mehr gab es da nicht zu sagen. Keine persönliche Note, keine Bilder oder Pflanzen.

Aber was hatte ich erwartet? Mehr über McCann zu erfahren? Das funktionierte nie- er war ein geschlossenes Buch, mit einem festen, eisernen Schloss um den Einband. Niemand hatte den Schlüssel, außer er selbst. Und freiwillig würde er sich sowieso nie öffnen. Schon gar nicht für mich. 

 „McCann?“ Ich zuckte zusammen und rührte mich nicht von der Stelle. McCann stürzte die Lippen und warf mir einen forschenden Blick zu. Was? Dachte er, ich würde hysterisch anfangen zu schreien und davon laufen? Tja, da hatte er verdammt richtig gelegen, denn wenn ich gekonnt hätte, hätte ich genau dies getan.

 „Scheiße, wo warst du so lange? Was hast du mit der Kleinen gemacht? Sag nicht, ich muss schon wieder in diesen Scheißwald um die nächste Leiche zu vergraben! Das gerät langsam außer Kontrolle“, unterbrach eine tiefe Stimme die Ruhe. McCann sah so aus, als wollte er diesem Kerl dem die Stimme gehörte eins in die Fresse schlagen.

 Ein Junge mit strassenköterblonden Haaren kam um die Ecke und blieb wie angewurzelt stehen. Sein Blick hing an mir- er musterte mich fassungslos. „Was soll das, McCann? Was macht sie hier?“, fragte er angespannt. Pff! Was starrte der mich bitte so an? War es meine Idee gewesen, hierher zu kommen? Definitiv nicht!

 „Verzieh dich wieder, Chris.“ Offenkundig war McCann hier so was wie der Boss, was mich nicht besonders wunderte, denn dieser Chris machte schleunigst, dass er weg kam! McCann wandte sich wieder an mich und in seinen Augen blitzte es listig. „Willkommen in meinem Zuhause“, spuckte er unerwartet angriffig und lotste mich durch den Gang. „Er hat sie mitgebracht“, hörte ich Chris wispern.

 Dann traten wir ins Wohnzimmer und ich war echt überrascht, wie modern es ausgestattet war. Auch hier waren Boden und Wände gleich. Ganz rechts ein Esstisch mit verschieden zusammen gewürfelten Stühlen, die schwarzen Gardinen waren zugezogen. Rechts ein Fernseher und daneben ein Mini-Kühlschrank und davor…ein schwarzes Ledersofa.

Ich nahm mir Zeit, die fünf Typen eingehend zu betrachten. Jeder von ihnen hatte irgendwelche Narben im Gesicht oder war zumindest tätowiert. Alle waren dunkelhäutig. Der blonde, Chris, stand am Ende der Couch. Der Rest bestand aus Dunkelhaarigen und ich schätzte die meisten auf über 18.

Zumindest älter als ich.

Sie sahen vom Kleidungsstil her zugegebenermaßen gar nicht so kriminell aus, hielten je ein Bier in der Hand und glotzten mich gerade wohl genauso dämlich an, wie ich sie.

 McCann verdrehte angenervt die Augen. „Leute, das ist Cadens. Cadens, das sind… ach, nicht so wichtig. Am Besten du vergisst ihre Gesichter ganz schnell wieder. Setz dich.“ Er deutete auf den roten Sessel seitlich der Couch und ich kam seinem Befehl nur zu gerne nach.

Hier dämlich rumzustehen war das Letzte, was ich wollte. Ich fühlte mich echt unwohl und versuchte, die Anderen nicht anzustarren. „Also. Folgendes…“ Er erzählte mir alles Geschehene in Kurzform und ich versuchte angestrengt mitzukommen. Meine Konzentration wurde nämlich zusätzlich von seinen braunen, hypnotischen Augen beeinträchtigt.

 „Ich brauche ein Alibi...dabei kommst du ins Spiel.“ Ich rastete nicht aus. Ich schrie nicht herum und warf Dinge nach ihm. Ich rannte nicht weg oder driftete in eine Panikattacke. Ich nickte.

Nickte, weil mir nichts anderes übrig blieb.

 Die anderen hatten ebenfalls interessiert zugehört und nickten anerkennend. „Die Bullen haben das von dem Typen mitbekommen, den ich umgelegt habe. Ich muss morgen zum Verhör und da kommst du mit. Wir müssen uns hier auf eine glaubwürdige Geschichte einigen.“

Aber das ging doch nicht! Mein Vater war Polizist und er würde 100 Prozent Wind von der ganzen Sache bekommen. Und dann wäre ich so was von genagelt! Er schien meine Gedanken zu lesen.

 „Ich weiß, dass dein Vater Chief Montgomery ist. Aber darauf kann ich momentan keine Rücksicht nehmen, Shawty. Nichts für Ungut.“ McCann zwinkerte mir zu.

War der bescheuert? Ich würde nen riesen Ärger bekommen! Na gut, Dad arbeitete zwar nicht bei der örtlichen Polizei aber es könnte dennoch sein, dass mich ein Anderer als Chief Montgomerys Tochter wiedererkennen würde. Auch wenn es in New York nur so von Kriminellen wimmelte, wäre es dennoch möglich…

Verdammter Mist! Ich hasste McCann! Ich hasste ihn aus tiefstem Herzen!

Hatte er überhaupt eine Ahnung, was ich für einen Ärger bekommen würde? Nein, hatte er nicht. Genauso wenig, wie er sich für mich interessierte. Er schien von meinem inneren Ausbruch nichts mitbekommen zu haben und erklärte mir ruhig seinen ausgekügelten Plan.

Ich nickte und sagte brav Ja und Amen, bis er es dann endlich mal hatte.

„Kriegst du das hin?“ Ob ich es hinkriegte, vorzugeben, mit einem Kriminellen zusammen zu sein, den ich inflagranti dabei erwischt hatte, wie er jemanden umgebracht hatte? Ein Kinderspiel!

Ich nickte schnell. Ich wollte hier so schnell wie möglich wieder raus. Seine Freunde starrten mich wie ein Alien an und ich hatte es schon immer gehasst, angestarrt zu werden!

„Gut. Und wenn sie dich abholen, zieh dir was Anderes an.“ Ich runzelte die Stirn und blickte den Jungen mit den grünen Augen an. Was bitte schön war daran nicht okay? Chris nickte zustimmend.

„Du musst nach Etwas aussehen, mit dem sich McCann abgeben würde.“ Wartet! Wollte der mich verarschen?

Ich starrte ihn bitterböse an und sprang auf. „Jaja, ich hab’s kapiert! Bis dann“, fauchte ich und drehte mich doch noch mal um als McCann anstalten machte, ebenfalls aufzustehen. „Und nein, ich schaff die wenigen Meter bis zu meinem Zuhause ohne deine Anwesenheit“, fügte ich an ihn gewandt hinzu und rauschte davon.

„Ich glaube, wir haben gerade ihr Frauenego verletzt“, hörte ich Chris noch murmeln, bevor ich aus der Tür war.

Sauer stapfte ich die Straßen entlang, bis zu meinem Haus, wo schon das Licht brannte. Klasse. Jetzt musste ich mir auf die Schnelle nur noch eine super Ausrede ausdenken, wieso ich erst jetzt nach Hause kam.

Ich schloss die Tür auf und zog an meinen Eltern vorbei, die im Wohnzimmer saßen.

„Hey, warte mal, Honey! Wieso kommst du erst jetzt?“, rief mir Mum hinterher. „War noch bei Cher“, erwiderte ich, während ich die Treppe hinaufstapfte. „Nächstes Mal rufst du aber an“, entgegnete Dad.

„Ja, tut mir leid!“ Ich ging in mein Zimmer und warf mich auf’s Bett.

Ich hasste mein Leben, ich hasste diese ganzen Lügen…aber am Meisten hasste ich Jason McCann.

In was für eine Scheiße hast du dich mal wieder geritten, Cadens?

Mein Handy vibrierte auf dem Nachttisch. Ich sah Chers Name auf dem Display.

„Hey“, begrüßte ich. „Cadens, wo verdammt noch mal hast du gesteckt?“ Ich schluckte. Verdammt! „Ich musste noch was erledigen.“ Ein Schnauben am anderen Ende. „Bist du sicher? Und dann kannst du mir nicht Bescheid geben?“ Ich wusste selbst, dass meine Ausrede ziemlich abgedroschen geklungen hatte.

„Weißt du, ein paar Mitschüler haben dich bei Jason McCann ins Auto steigen sehen… stimmt das?“, bohrte sie misstrauisch nach. Ich zuckte zusammen und war verdammt froh, dass sie mich jetzt nicht sehen konnte. Ich versuchte fieberhaft eine Notlüge zu finden und seufzte, als ich keine fand.

„Das stimmt nicht, Cher. Du weißt, dass die Leute ziemlich viel erzählen!“ Ich fuhr mir durch die hellbraunen Haare, die schon wieder viel zu lange waren. „Tu ich das? Ich will nur nicht, dass du dich mit einem Kriminellen abgibst!“ Sie hörte sich echt besorgt an, deshalb verzieh ich ihr den angriffigen Ton.

„Aber vielleicht ist er ja gar nicht so schlimm, weißt du? Hast du schon mal überlegt, dass eventuell nur die Hälfte davon stimmt, was man sich über ihn erzählt?“ Cher blieb einige Sekunden ruhig.

„Cade…woher bitte hast du diesen scheiß Mist her?“ Ich biss mir auf die Lippen und hatte selbst keinen blassen Schimmer, wieso ich McCann gerade verteidigt hatte.

Wahrscheinlich, weil mir immer noch sein kleiner Ausbruch im Gedächtnis war. Und die Art, wie er seine Bitterkeit zu verstecken versucht hatte. „Nur so ein Gedanke“, murmelte ich. „Hör zu, Cheryl… es tut mir echt leid. Ich hätte dir vorher bescheid geben sollen, aber es war gerade echt dringend!“ Sie seufzte tief.

„Schon okay“, schnurrte sie dann versöhnlich. „Ich wollte auch nicht so austicken. Aber mir geht’s gerade echt beschissen, ich glaube ich hätte heute nicht in die Schule kommen sollen. Morgen muss ich wieder das Bett hüten“, murrte sie. „Okay… Gute Besserung“, wünschte ich mitfühlend und verabschiedete mich von ihr.

Kurz darauf klopfte es sachte an der Tür. „Honey? Darf ich reinkommen?“ Ich unterdrückte ein Stöhnen. Musste ich mich jetzt vor Allen rechtfertigen? Hatte McCann auch nur die leiseste Ahnung, was er mir da aufhalste, das alles zu verbergen? „Ja“, antwortete ich und schnappte mir ein Kissen, welches ich an meine Brust drückte.

Mum schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu mir aufs Bett. „Alles okay?“, fragte ich vorsichtig. „Das wollte ich gerade dich fragen“, lächelte sie leicht.

„Ja, alles gut“, erwiderte ich daraufhin. „Ich und dein Vater machen uns ein wenig Sorgen um dich. Kommt es öfters vor, dass du dich nicht an die Zeiten hältst?“ Oh nee! Ich verdrehte die Augen. „Versteh uns nicht falsch, wir vertrauen dir. Aber wir sind so wenig Zuhause, wir können das nicht sonderlich kontrollieren.“ Hörte sie sich etwa schuldbewusst an?

Ich winkte ab. „Mum, das macht doch nichts! Heute war nur ein Ausnahmefall“, versicherte ich. Was ja auch stimmte. Wenn ich ihr schon nicht die Wahrheit sagen konnte, dann wollte ich zumindest so wenig wie möglich davon abweichen.

Sie tätschelte meine Hand. „Aber wenn was nicht in Ordnung ist, dann kommst du zu mir, oder?“ Sie schaute mich aus ihren braunen, vertrauten Augen an und beinahe wäre ich schwach geworden. Beinahe wäre ich in Tränen ausgebrochen, hätte mich in ihre Arme geworfen und ihr die ganze Scheiße erzählt, die mich seit einigen Tagen verfolgte.

Aber das wäre total selbstmitleidig und so wollte ich nicht sein. Ich war keine Memme, ich würde das alleine ausstehen! 

Ich schluckte den Klos in meinem Hals runter.

„Ja.“ Sie nickte erleichtert und stand auf. „Ich muss morgen früher los. Ich hoffe du kannst dir dein Frühstück selber machen“, lächelte sie. Ich nickte leicht, bevor sie mein Zimmer verließ.

 

Ich korrigiere:

Ich hasste McCann nicht. Ich verabscheute ihn nur…

 

 

Interrogation

Chapter Six

 

Scheinbar sprach alles dafür, dass ich heute mit McCann zur New Yorker Polizei gehen musste. Meine Eltern waren nicht zu Hause, Cher -und somit die Einzige, mit der ich was zu tun hatte- war krank.

McCanns Plan schien hervorragend aufzugehen. Ich stand eine gefühlte Stunde vor meinem Schrank und überlegte, was Chris damit gemeint haben könnte:

 

„Du musst nach Etwas aussehen, mit dem sich McCann abgeben würde.“

 

Pff! Es musste sich doch nicht jeder gleich wie 'ne Schlampe anziehen! Aber denen würde ich es schon noch zeigen! Hölle, machte ich mir gerade Gedanken darum, wie ich einen Mörder beeindrucken wollte? Nun war es amtlich: Ich war vollkommen durchgeknallt!

Hallo? Der Kerl hatte jemanden umgelegt, und es schien ihn nicht mal zu interessieren. Alles was er wollte, war wieder heil aus der Sache rauszukommen.

Entnervt riss ich meine Klamotten aus dem Regal, zerrte sie von den Kleiderbügeln. Mein Blick fiel auf einen schwarzen Skater Skirt. Nicht so kurz, dass es nuttig wirkte, aber trotzdem gewagt. Ich glaube er war sogar noch kürzer, als mein Kleid auf Tyras Party! Cheryl hatte ihn mir geschenkt, weil er ihr zu klein war. Ich jedoch hatte mir damals geschworen, diesen Fetzen niemals anzuziehen. Jetzt war er mein Lebensretter! 

Ich schlüpfte in das Teil mit dem braunen Gurt, zog mir ein weißes Top darüber an und einen meiner zahlreichen Blazer. Mintfarben.

Mit dem Ergebnis war ich immer noch nicht 100 Prozent zufrieden. Vielleicht lag es an meinem Hang zum Perfektionismus, aber etwas fehlte noch. Ein Griff in die unterste Schublade, zog ich meine schwarzen Pumps heraus. Ich schlüpfte hinein. Es fühlte sich komisch an- unsicher.

Was soll’s.

Das ganze Zeug kam wieder weg in eine Extra-Tasche. Ich hatte nicht vor, in diesem Outfit in die Schule zu gehen. Nicht mehr Aufmerksamkeit als unbedingt nötig, so wollte ich das nun mal. Trotzdem wollte ich nicht noch mal nach Hause, bevor wir diese Sache durchzogen. 

So kam es, dass ich, wie immer, spät dran war.

Der Busfahrer hatte nur einen missbilligenden Blick für mich übrig, unter dem ich gänzlich errötete. Cher hatte heute leider keinen Platz für mich freihalten können, also müsste ich wohl erneut stehen. Ich stöpselte die Kopfhörer ein…

 

30 Minuten später stieg ich aus dem Bus und stapfte auf die Schule zu, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben und zu Fäusten geballt. Ich war so gar nicht in der Stimmung, um irgendwas zu machen. Ich war noch nie bei einem Verhör gewesen… ich machte mir keine Sorgen, dass ich mich verplappern könnte. Aber trotzdem war es etwas Neues. Und vor Neuem hatte ich mich bisher immer gefürchtet.

Immerhin war es strafbar, einen Beamten im Mordfall zu belügen!

Wenn ich den Polizisten von McCann erzählen würde, und was wirklich passiert war, dann würden sie mich doch aber beschützen, oder? Rein theoretisch könnte mir gar nichts passieren. Und trotzdem… McCann hatte aus einem mir unbekannten Grund Vertrauen zu mir.

Und auch wenn es super dämlich klang: Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Ja, ich war verrückt. Völlig verrückt. Aber ich könnte ihn ja immer noch verpetzen.

An meinem Spind angekommen wartete schon die nächste Überraschung.

Ein kleines zusammengefaltetes Stück Papier auf meinen Büchern. Mein Herz fiel und schlug dann doppelt so schnell weiter. Zittern fischte ich das Ding aus dem Spind und entfaltete es.

Vergiss unsere Verabredung nicht, stand da in derselben Schrift, wie auf dem Zettel von vor ein paar Tagen. Verstohlen blickte ich mich um, in der naiven Hoffnung, ihn einfach zu entdecken. Wie zu erwarten wurde ich enttäuscht.

Wütend schlug ich die Tür zu und machte mich auf den Weg zur Klasse. Dieser Arsch brachte mich so was von auf die Palme mit seinen beschissenen Zettelchen. Wieso konnte er nicht einfach persönlich seine Scheiße weitergeben, sondern musste einen auf supergeheimnisvoll machen? Ich blies die Backen auf und ließ mich auf meinen üblichen Platz fallen, die Blicke ignorierend.

Die konnten mich alle mal kreuzweise…

 

-

 

Ein fettes, rotes C- leuchtete mir entgegen, als die Geschichtstests ausgeteilt wurden. Toll.

„Der Unterricht ist beendet“, schallte die strenge Stimme der Lehrerin durch den Klassenraum. Allgemeines, erleichtertes Aufstöhnen. Jeder war in Wochenendstimmung und Pläne wurden ausgetauscht, Partys wurden angesagt und alle wollte so schnell wie möglich verschwinden.

Als ich am Lehrerpult vorbei lief sah mich Mrs. Coin stirnrunzelnd an. Gleich kam's...

„Nächstes Mal erwarte ich Besseres von Ihnen, Ms. Montgomery.“

Na bitte. Ich murmelte ein artiges ‚Ja’ und schlurfte aus dem Klassenzimmer. Ich hielt mich am Rande der Flure und versuchte gegen den Strom an Schülern anzukommen. Es war exakt viertel nach zwei, als ich die Bibliothek betrat. Ich wusste nur, dass McCann mich in einer Stunde auf dem Parkplatz erwartete. Bis dahin verlor ich mich in der Bücherwelt, blätterte ein paar meiner Lieblinge durch und entschied mich für zwei neue Bücher.

Ich verschlang Bücher geradezu. Mittlerweile füllten meine Lieblingsbücher ganze Regale und es schienen nicht weniger zu werden.

 

Erschrocken bemerkte ich dann, dass ich spät dran war. Ich registrierte die Bücher kurz unter meinem Namen und stopfte sie in meine Lederhandtasche. Ich lief den Gang entlang, während ich meine glatten, langen Haare in einen Haargummi zwängte.

In der Toilette zog ich mein Outfit an und zupfte alles zurecht, bis es so saß, wie ich wollte.  Normalerweise zog ich den Lidstrich nie so dick und die der rote Lippenstift war eigentlich auch unnötig. Aber wenn ich schon mal die Gelegenheit hatte zu übertreiben, dann konnte ich es auch ganz durchziehen.

Kritisch betrachtete ich mich im Spiegel. Ha! Dem würde es leid tun, gestern Witze über mich gemacht zu haben! Ich packte mein Tasche und stöckelte unsicher aus dem Klo.

Ich lief die Stufen hinunter und stand auf dem Parkplatz. Suchend blickte ich mich um und sah noch mal auf die Armbanduhr. Nun war ich sogar drei Minuten zu spät. Wo blieb Mc-

Heißer Atem streifte meinen Nacken. „Du solltest das lieber nicht tun“, raunte mir eine bekannte Stimme ins Ohr. Er, McCann, stand hinter mir. Ich versteifte mich fast augenblicklich und stand wie unter Strom. Was zur Hölle sollte das?

„Was“, fragte ich atemlos. „Mich dazu zu bringen, dich auf diese Weise zu begehren.“ Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich presste die Lippen aufeinander und ignorierte das kribbelnde Gefühl in meiner Magengegend, als ich seine Finger an meiner Hüfte spürte.

„Bist du bereit?“ Ich nickte nur, weil ich meiner Stimme im Moment nicht so ganz traute.

„Steig schon mal ein, Shawty. Kennst dich ja aus“, grinste er. Sofort verschwand das wohlige Gefühl. Arsch-loch!

Ich tat wie mir geheißen und öffnete die Tür zu seinem BMW, sobald ich ihn erreicht hatte. Die schwarzen Ledersitze empfingen mich bequem wie eh und je.

Dann beobachtete ich, wie McCann an der Wand lehnte und durch seine perfekten Haare fuhr, während er an der Zigarette in seiner Hand sog. Es war unmöglich zu leugnen, dass er dabei total gut aussah. Verdammt gut sogar, wenn ich ganz ehrlich war.

Ungeduldig wartete ich, bis er auf das Auto zugeschlendert kam und auf der Fahrerseite einstieg. „Willst du dich nicht anschnallen?“, warf ich ein. Er sah mich an, als hätte ich gerade den besten Witz des Jahrhunderts gerissen. Beleidigt verschränkte ich die Arme.

„Ich hoffe, dass ich dich wenigstens nicht von der Optik her enttäusche. Sieht es deinem Beuteschema wenigstens ähnlich?“, zickte ich und sah an mir herunter. Ich hatte ihm das immer noch nicht verziehen, auch wenn der Kommentar eigentlich von Chris kam.

„Nein“, erwiderte er und warf mir einen ernsten Blick zu. „Das ist sogar noch besser.“ Er grinste vor sich hin, während ich die Lippen zusammenpresste und aus dem Fenster sah.

„Wie geht’s deiner…“ Ich deutete auf seine Brust. Er winkte ab, sein Gesichtsausdruck verhärtete sich augenblicklich.

„Nur ein Kratzer. Nicht der Rede wert“, murmelte er und verzog das Gesicht. Ich biss mir auf die Lippe. „Warst du bei einem Arzt?“ „Nein“, spuckte er gereizt. Hölle!

Wie konnte man von einer Sekunde auf der anderen von Ruhig zu Aufbrausend wechseln? Der hatte sie doch nicht mehr alle. Schizophren. Eindeutig. Gut, dass er keine Gedanken lesen konnte. Es klang zwar lächerlich aber: Am selben Tag an dem ich ihn zum ersten Mal getroffen hatte, hatte ich ein Testament geschrieben, und das war nicht mal ein Scherz. Sicher war sicher, oder nicht?

McCann holte tief Luft und wechselte abrupt in den 3. Gang. Seine Fahrkünste waren... gewöhnungsbedürftig.

„Du kennst die Story?“, fragte er noch mal nach. Dachte er, ich wäre bescheuert?

Wir hatten die ganze ‚Geschichte’ schon durchgesprochen und ich brauchte keine Wiederholungen. Ich würde den Polizisten genau schildern, was nach McCanns Script passiert war. „Natürlich.“ Er nickte zufrieden und parkte neben einem Streifenwagen. Die Polizeiwache war nicht weit von der Schule entfernt gewesen.

Er stieg aus und ich beobachtete, wie er das Auto umrundete. Wieder blieb mein Blick länger als nötig an ihm hängen. Musste er auch die ganze Naturgewalt seines guten Aussehens auf einmal an mir auslassen?

Konnte er nicht einfach total hässlich aussehen? Nein, ich musste an einen Kriminellen geraten, der auch noch total scharf aussah!

 

Jason PoV

 

Ich öffnete ihr die Tür und musterte Cadens noch mal prüfend. Wenn sie hier gleich abfuckte, dann dürfte ich dafür bezahlen. Unter normalen Umständen wären der Preis und das Risiko einfach zu hoch gewesen. Aber jetzt war es sowieso schon zu spät, um noch einmal umzudrehen. Und sie war meine letzte Chance. 

Sie erwiderte den Blick und stieg aus. Sie schob ihre kleine Hand zögerlich in meine, nur für den Fall, dass uns jemand vom Fenster her beobachtete. Ich zuckte zusammen. Ich hatte schon lange nicht mehr die Hand von irgendjemandem gehalten, und es fühlte sich komisch an. Ich mochte es nicht.

Wir schlenderten langsam und schweigend auf das Gebäude zu.

Die Luft um uns herum knisterte förmlich vor Anspannung. Ich merkte, dass sie nervös war und fing an, meine Entscheidung zu bereuen. Ich hätte doch lieber jemand Anderes fragen sollen. 

Ich hielt Cadens die Tür auf und zog sie zum Tresen.

„McCann schon wieder?“, fragte die rothaarige Polizistin hinter dem Computer und hob eine Augenbraue. „Ich hab dich auch vermisst, Kylie“, erwiederte ich und zwinkerte ihr zu. Ja, ich war schon ziemlich oft hier gewesen. Wegen Diebstahl, Anzeigen, Körperverletzung. Aber nie wegen Mordes. Kylie griff wortlos nach dem Telefon. „Daniel? Ja…er ist auf dem Weg.“ Ich unterdrückte ein Stöhnen. Nicht O’Connor!

Dieses Arschloch hing mir schon seit Monaten auf’m Sack und jetzt musste er auch noch das Verhör durchziehen? Konnte es eigentlich noch besser werden? Er war ein ziemlich guter Psychologe und wenn das heute alles bei ihm ablief, musste ich mir beim Lügen sogar noch Mühe geben. 

Dieser Aufwand kotzte mich an!

„Dritte Tür rechts. Du kennst es ja.“ Cade neben mir zuckte zusammen. Ich drückte ihr beruhigend die Hand, während ein anderer Beamter sofort zur Stelle war und mich vorwärts schob. Sie sollte jetz nur keinen Nervenzusammenbruch erleiden, die Kleine!

„Ich kann schon selber laufen, du Mistkerl“, knurrte ich den Beamten an. Wieder zuckte sie zusammen. Ja, ich kannte den Weg mittlerweile blind. Vor der grauen Tür blieben wir stehen. „Sie wartet hier draußen“, grunzte der Bulle und zeigte auf Cade. Ich starrte ihn finster an und ließ ihre Hand los.

„Bis gleich“, verabschiedete ich mich und blickte in ihre blauen Augen. Unsicherheit lag darin.

Ich beugte mich vor. „Reiß dich zusammen“, flüsterte ich warnend. Dann drückte ich ihr zur Tarnung einen Kuss auf die Wange und riss die Tür auf. Den kleinen Stromschlag, den ihre Haut bei unserer Berührung auf mich ausübte ignorierte ich geflissentlich. Keine Bedeutung. Gar nichts.

„Was geht, O’Connor?“, begrüßte ich…

 

 

Done

Chapter Seven

 

O’Connor, der mir nur all zu bekannte Cop blickte auf und sah mich ernst an. Er hatte bisher noch fast jedes meiner Verhöre geführt. Er kannte mich am besten und er wusste, wozu ich fähig war. Schon jetzt wollte ich mich einfach nur auf ihn stürzen und ihm seine selbstgefällige Klugscheißer-Fresse blutig schlagen! Er und seine provokante Art machten es mir auch nicht leicht, nicht auszurasten. 

„Setz dich, McCann“, ordnete er ohne Begrüßung an. Ich verdrehte die Augen und kam seinem Befehl widerwillig nach. Nicht ohne die Füße auf dem Tisch abzustellen. 

„Nimm die runter.“ Ich zuckte die Schultern. „Sorry, bro. Ich find’s so super bequem, danke.“ Somit zog ich eine Zigarette und ein Feuerzeug hervor. Beides nahm er mir ab. Dieser Scheißer, was fiel ihm überhaupt ein?

„Du weißt, wieso du hier bist?“ Ich zuckte wieder nur die Schultern. „Keinen Schimmer, du wirst es mir aber bestimmt gleich erzählen“, lächelte ich ironisch. Er musterte mich prüfend und klatschte ein Foto vor mir auf den Tisch. Parkers unübersehbar hässliche Visage sprang mir sofort entgegen.

Ich nahm die Füße vom Tisch und betrachtete ihn eingehend.

„Drew Parker. Seit über einer knappen Woche vermisst. Schon mal gesehen?“ „Nein.“ O’Connor zog eine Augenbraue hoch und lächelte missbilligend. „Dachte ich mir schon. Wo warst du Dienstagnacht?“ Ich fuhr mir durch die Haare. „Party.“

„Was für eine Party?“ Er schrieb alles sorgfältig auf. „Was für verschiedene Arten von Partys gibt’s denn?“, erwiderte ich sarkasisch. Was für ein Idiot.

O’Connor kniff genervt die Augen zusammen. Es war immer das Gleiche. „Wo?“ „Tyra Aisle.“ Er brauchte wohl keine weiteren Erklärungen und schrieb sich den Namen auf. „Kann sie das bezeugen?“

Er beugte sich vor, darauf hoffend, dass ich mit der wirklichen Wahrheit rausrückte. „Klar.“ Ich erinnerte mich, dass ich Tyra an dem Abend begrüßt hatte. Ich hoffe nur, sie erinnerte sich auch daran. So dicht wie die Schlampe damals war, konnte ich mir nicht sicher sein.

Jeder war dort dicht gewesen, mich eingeschlossen.

Cadens ausgeschlossen. 

„Und wo warst du zwischen ein und drei Uhr nachts?“ Ich tat so, als würde ich überlegen. „Ich weiß nicht, Mann“, grinste ich dann. O’Connor knallte die Faust auf den Tisch.

„Spiel hier keine Spielchen, McCann! Das ist 'ne ernste Sache, du bist ein Mordverdächtiger!“ Ich hob abwehren die Hände.  „Ich war mit meinem Babe unterwegs.“ O’Connor beugte sich über seinen Notizblock. „Was habt ihr gemacht?“ Ich schaute ihn ungläubig an. „Dein Ernst, bro? Was macht man wohl mit ner Frau von ein bis drei Uhr nachts?“ O’Connor hob den Kopf nicht.

„Das wird aufgezeichnet, McCann. Du weißt, du musst es aussprechen.“ Wieder verdrehte ich die Augen. „Ich hab sie gevögelt“, sagte ich ausdruckslos. „Wie lautet ihr Name?“ Ich biss mir auf die Lippen. „Frag sie selbst. Sie wartet draußen.“ O’Connor schnaubte. „Wie lautet ihr verdammter Name, McCann!“ „Cadens Montgomery. Sonst noch was?“ Ich wartete die Antwort gar nicht ab sondern ging zur Tür. „Halt“, bellte O’Connor und ein Bulle drückte mich an die Wand. Ich musste mich beherrschen, den Bastard nicht zu verprügeln. „Sieht so aus als kriegen wir dich jetzt nicht, McCann. Ich weiß, dass du Drew Parker getötet hast. Und irgendwann haben wir dich. Dann kriegst du, was du verdienst“, warnte O’Connor.

Ich erwiderte nichts und ließ mich heraus führen. Wie konnte er es wagen, mir zu drohen? Niemand kriegte mich. Jason McCann landete nicht hinter Gitter. Dafür war ich zu clever, und sie zu dumm. 

Cadens, welche draußen auf einem Stuhl warten musste sprang auf. „Und?“, formte sie mit den Lippen und ich sah echte Besorgnis in ihren Augen. Ich grinste eine Millisekunde und sie sah erleichtert aus. O’Connor kam hinter mir her.

„Miss? Könnten sie kurz mitkommen?“ Sie lächelte ihn freundlich an. „Natürlich.“ Er verschwand mit ihr aus dem Raum und nun lag es an mir, zu warten.

Zehn Minuten. Zwanzig. Dreißig. Ein paar Zigaretten, um mich zu beruhigen.

Ich fuhr mir durch die Haare. Das dauerte ziemlich lange. Ich hoffte, dass sie ihre Rolle glaubwürdig spielte. Und ich hoffte vor Allem, dass sie den See nicht genauer untersuchten, in dem ich meine Leichen vergrub. Es war immer der gleiche, verlassene Ort. Dort unten tummelten sich Leichen über Leichen. Die meisten gingen auf mein Konto, aber meine Jungs waren natürlich auch nicht ganz unschuldig. 

Wenn die Bullen den Rest finden würden, dann würden sie mir weiterhin auf dem Sack hängen und rumnerven. Und so etwas durfte nicht passieren!

Nach 50 Minuten öffnete sich endlich die Tür und beide traten heraus.

„Du kannst gehen… für’s Erste“, eröffnete O’Connor widerwillig. Ich konnte mir nicht verkneifen, ihn triumphierend anzulächeln.

„Dachte ich mir schon“, imitierte ich ihn und schnappte mir Cadens am Arm.

 

Cade PoV

 

Erleichtert lief ich mit McCann aus dem Polizeigebäude. Mir war ein Stein vom Herzen gefallen. Niemand hatte mich erkannt, die Geschichte wurde mir abgekauft. Ich hatte meine Sache ziemlich überzeugend gemacht. So schlimm war es gar nicht gewesen. Nur das Zeug hatte sich etwas in die Länge gezogen. Ich ging zwar nicht ins Detail mit der Begründung, mein Sexleben sei zu ‚privat’ und ‚peinlich’.

Aber ich musste mich mehrmals wiederholen.

Wahrscheinlich wollte Officer O’Connor testen, ob ich mich nicht irgendwann verplapperte oder zwei verschiedene Storys erzählte. Es ging mir zwar gegen den Strich zu lügen, aber ich konnte verstehen, wieso McCann den Polizisten so hasste.

Apropos McCann. Genau dieser zog mich jetzt mit zum Auto, wo er sich hineinsetzte. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte 17:30.

Wir hatten ziemlich lange da drin verbracht. Mein Magen knurrte hörbar. Ich presste peinlich berührt die Hände darauf. McCann, der bis anhin geschwiegen hatte, warf mir einen amüsierten Blick zu. „KFC oder Arby’s?“

KFC“, entschied ich mich dankbar. Er nickte und fuhr mit seinem Auto vom Parkplatz. Ich fühlte mich gleich viel besser, jetzt da ich es überstanden hatte. Aller Druck war verschwunden und ich freute mich auf das leckere Hühnchen.

Erst nach 20 Minuten fiel mir ein, dass es totenstill war. Nervös blickte ich zu McCann rüber, der auf die Straße konzentriert war. Seine Miene verriet rein gar nichts. Keine Freude oder Erleichterung. Es schien ihm das Normalste auf der Welt zu sein, verhört zu werden. Und wieder mal war er aus dem Schneider.

Dieses mal dank mir. Und dann, nach der langen Phase der Erleichterung folgten die Zweifel. War es das Richtige gewesen, McCann zu helfen? Nein, bestimmt nicht. Aber es hatte sich richtig angefühlt. Jetzt hatte ich es mir mit der Polizei sowieso schon verschanzt. Ich hoffte nur, dass mein Vater den Eintrag und das Protokoll über mich niemals im Polizei-Verzeichnis fand! Denn dann wäre nicht mehr zu scherzen!

Wir kamen bei KFC an. Es war nicht sonderlich voll, was wohl daran lag, dass es ziemlich früh im Abend war. Ich hatte heute Mittag vor Nervosität keinen Bissen runter bekommen. Deshalb war ich jetzt auch kurz vor dem Hungertot! Ich und McCann setzten uns an eine Eckbank und starrten uns hemmungslos an. Es war, als schien er etwas in meinem Blick zu suchen. 

„Und jetzt sagst du mir, wieso du mir geholfen hast“, verlangte er. Ich zuckte zusammen. Ja, wieso?

Ich wusste im Übrigen bis heute nicht, was mich damals geritten hatte. Vielleicht war es einfach nur Trotz gewesen: Ich wollte auch mal etwas Verbotenes tun. Nicht immer als die Brave von nebenan abgestempelt werden. Ja, ich hatte McCann auch nicht enttäuschen wollen. Wie schon gesagt. Ich war damals eine Idiotin gewesen, okay?

 

Weiter in der Geschichte:

Ich wich seinem Blick aus. „Ich mein's im Ernst, Kleine“, knurrte er ungeduldig und fuhr sich durch die Haare. „Wo liegt der Haken?“ Ich biss mir auf die Lippen. „Nirgends“, erwiderte ich mit belegter Stimme. Ich räusperte mich und strich ärgerlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte.

„Du willst mir also sagen, dass du einfach so das Risiko eingegangen bist, erwischt zu werden? Und Ärger zu kriegen? Du könntest auch ins Gefängnis kommen. Immerhin hast du mir, einem Mörder geholfen.“

Tja, so genau hatte ich gar nicht mehr daran gedacht. Aber danke!

„Was darf's denn sein?“, fragte eine blonde Bedienung aus dem Nichts und linste zu McCann rüber. Er setzte ein unverbesserliches Playboy-Grinsen auf. Na toll. Jetzt flirtete der hier auch noch, oder wie?

Nachdem wir die Bestellungen abgegeben hatten, wandte sich der werte Herr netterweise wieder mir zu. „Ich hab das einfach so gemacht, okay? Vielleicht habe ich dafür ja diesmal wirklich was gut bei dir“, murmelte ich. Wieso war es mir so unangenehm, dass er mich anstarrte? Ich senkte den Blick.

„Vielleicht“, lenkte er ein und lehnte sich zurück. Seine braunen Augen brachten mich noch um den Verstand! Dann war unser Gesprächsstoff wohl aufgebraucht. McCann schien von sich aus nicht sehr gesprächig zu sein. Aber ich hatte keinen Bock, hier einen Anschweig-Wettbewerb zu veranstalten.

„Wieso hast du das getan? Was hat Parker gemacht, dass du ihn…“

McCann schnellte blitzschnell nach vorne und presste mir die Hand auf den Mund. „Nicht hier“, spuckte er aggressiv und blickte sich um. „Das geht dich einen Scheißdreck an, und das weißt du. Ich werde dir kein Story liefern, die du dann weitererzählst.“ Ich runzelte die Stirn. Wie kam er denn jetzt darauf? „Ich erzähl es doch niemandem. Ich bin nur neugierig.“ Er hob abwertend eine Augenbraue. Wieso konnte ich das eigentlich nicht?

„Es geht dich trotzdem einen Scheißdreck an…“ Dann klingelte sein Handy. Inzwischen war unser Essen angekommen und ich fing an, an meinem Lieblings-Hünchen zu knabbern.

„Hey… Alles geregelt… Ja man… Essen mit Cadens.“ Ich zuckte zusammen. Es war komisch, wenn mich jemand Cadens nannte. Und es war komisch, wie er es aussprach. Er hatte allgeimein eine komische Aussprache.

Ich versuchte schon die ganze Zeit dahinter zu kommen, aber-

„Kanadier“, platzte es aus mir heraus. Er sah mich böse an und redete weiter. „Bist du sicher? Ich weiß nicht… Ja, sie hat mir den Arsch gerettet, aber…“ McCann wurde sauer. „Mach doch selber, du Wichser“, zischte er bose.

Sein Gesprächspartner schien ihn besänftigen zu wollen. „Ja. Wenn du unbedingt willst“, lenkte McCann widerwillig ein. Dann legte er auf.

„Du bist Kanadier, stimmt’s?“ McCann nickte missbilligend. Noch ein Puzzleteil. Ich hatte bis anhin gar nicht gemerkt, dass ich versuchte, mehr über ihn herauszufinden. Erst jetzt fiel es mir auf. Wieso tat ich das? Vielleicht klammerte ich mich immer noch an die Hoffnung, McCann könnte nicht der sein, für den man ihn hielt. Vielleicht malten die Leute heutzutage einfach nur noch alles schwarz!

„Wer war das?“, fragte ich beiläufig. McCann starrte mich an. „Hör zu, du Schlampe. Mein Leben geht dich rein gar nichts an. Genau so wenig wie es dich was angeht, mit wem ich telefoniere. Kapiert?“ Er murmelte so was wie ‚Bitch’.

Jetzt wurde ich aber sauer. Mehr als das. Konnte er mal damit aufhören? Ich hasste es, eine Bitch genannt zu werden! Denn das war ich nicht, kein Stück!

„Nein, du hörst mir jetzt mal zu. Ich bin keine verdammte Prostituierte, keine Hure, keine Bitch oder irgendein anderes Flittchen! Du sagst andere verurteilen dich?

Kleiner Tipp: Du machst genau dasselbe! Du kennst mich kein verfluchtes Stück also hast du auch kein Recht, mich als Schlampe zu bezeichnen!“ Punkt. Für. Mich.

Er sah mich ausdruckslos an. „Na schön.“ Ha! 1:0! Wenn man mal davon absah, dass er mich ein Duzend mal bedroht, beschimpft und mir beinahe die Handgelenke gebrochen hatte.

„Es war Sean. Er wollte, dass ich mir was einfallen lasse, um mich zu revangieren.“ Die Worte kamen widerwillig über seine Lippen und es schien ihm gar nicht zu gefallen. Mir auch nicht.

„Lass stecken, McCann.“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, als ich seinen Nachnamen nannte. „Ich bin auch nicht scharf darauf, Zeit mit dir zu verbringen. Wir sind fertig miteinander.“

Er lächelte kühl. „Sehr gut.“ Mir, und ihm wahrscheinlich auch, war der Appetit vergangen. Mit einem kurzen Wink rief er die Blondine heran, bezahlte und kriegte ihre Telefonnummer. Wer von uns zwei war jetzt das Flittchen?

Nein, ich war nicht eifersüchtig. Ich fand es lediglich unhöflich. Aber McCann verstieß allgemein gegen alle Höflichkeitsregeln, also machte das auch keinen Unterschied mehr. Wir waren, genau wie ich gesagt hatte, fertig miteinander.

 

Dachte ich damals zumindest…

 

 

Drunk

 

Chapter Eight

 

Nachdem ich mich auf dem Klo wieder umgezogen hatte- McCann’s Contra-Argumente hatte ich geflissentlich ignoriert- eilten wir im Laufschritt aus dem Restaurant. Er konnte es wohl gar nicht früh genug erwarten, mich los zu werden! Mir sollte es recht sein, also folgte ich ihm genau so schnell in seinen Wagen.

 

-

 

Anfangs meiner Straße fuhr er rechts ran. „Das hast du gestern bei mir verloren“, informierte er mich und warf mir den Schlüsselanhänger in den Schoß. Ich starrte den Schlüsselbund an, und den daran baumelnden Eisbär.

Ja, das hörte sich vielleicht kindisch an, aber das Teil schleppte ich überall mit mir rum. Mein Dad hatte ihn mir zum elften Geburtstag geschenkt. Und es war das letzte Geschenk, was ich von ihm angenommen hatte. Aber das war eine andere Geschichte...

„Danke“, murmelte ich. Ich nahm es nicht für selbstverständlich, dass er mir die Schlüssel wieder brachte. Immerhin scheute er auch nicht davor, Menschen umzubringen.

Ich war schon aus dem Auto, als ich seine Stimme hörte. Er murmelte nur, und doch verstand ich ihn klar und deutlich. Und was ich da hörte, ließ mich erstarren. „Man sieht sich.“ 

 

Okay, noch vor ein paar Minuten war ich entschlossen gewesen, dass wir ‚fertig miteinander’ wären. Aber nur durch diese drei kleinen Wörter warf das all meine Sturheit über den Haufen. Ich war mir schon damals bewusst: Wenn Jason McCann sagte, dass man sich wieder sah, dann tat man das. Ich wusste, ich würde recht behalten.

Ohne ein weiteres Wort stieß ich die Tür zu und lief am Straßenrand entlang. Er fuhr haarscharf und super provokant an mir vorbei. Dafür kriegte er meinen Mittelfinger zu sehen. Naja, mental zumindest. Aber ich war ja ein braves Mädchen, deshalb tat ich es nicht. Was sollten denn die Nachbarn von mir denken?

Ich brachte den Rest des Weges schleunigst hinter mich. Es war kurz vor sechs, als ich zu Hause ankam. Meine Eltern waren noch nicht da, würden aber in Kürze hier reinschneien. Irgendwie machte es mich traurig, dass sie nicht mal mitbekamen, was bei mir ablief.

Wenn sie mehr Zuhause wären, dann wäre es ihnen auch aufgefallen. Nicht mal meine immer noch blauen Knöchel, welche auf McCanns (a.k.a. aggressiver Scheißkerl) Konto gingen, hatten sie registriert! Sie waren viel zu beschäftigt miteinander gewesen. Denn wenn sie Zuhause waren arbeiteten sie entweder im Haushalt oder gingen in ein Restaurant oder eine Bar. Wir redeten also nie besonders viel.

 

Und dann startete ich ins Wochenende:

Am Samstag schlief ich bis zur Mittagszeit, dann bereitete ich das Referat vor, welches am Dienstag fällig war. Dazu kam ein gigantischer Haufen an Hausaufgaben.

Am Abend kam Cher zu mir, weil meine Eltern schick essen gehen wollten. Sie war wieder fit wie ein Turnschuh und hatte sich von ihrer Krankheit erholt. Musste wohl wahrhaftig ein Virus gewesen sein. 

Wir plünderten die Tiefkühltruhe und belagerten die Couch mit reichlich Schokoladen-Eis und Teenie-Zeitschriften. Anschließend zogen wir uns ein paar üble Schnulzen rein. Ich und Cher hassten Schnulzen- die meiste Zeit verbrachten wir darüber, über die Protagonisten zu lästern oder Ratschläge einzuwerfen, wie man ein solch beschissene Dramen hätte vorbeugen können.

Und wir redeten. Hauptsächlich über den Typen, welchen Cher auf Tyras Party abgeschleppt hatte. Cher war ziemlich verknallt in ihn.

„Cade, jetzt mal wirklich: Hast du echt nichts mit Jason McCann am Hut?“, lenkte sie dann abrupt um.

Meine Antwort fiel ein wenig zu barsch aus. Ich war nur mittlerweile etwas genervt, weil alle nachfragten. „Nein!“ Sie nickte eingeschüchtert und widmete sich wieder dem Fernseher. Es tat mir sofort leid. Sie konnte ja nichts dafür, dass ich so eine schlechte Freundin war, und ihr Dinge verheimlichte. Ich konnte nur beten, dass sie nie dahinter kam. Aber lange konnte ich es nicht mehr verbergen!

Ich seufzte- McCann verkomplizierte alles!

Am Sonntag stand Kirche an und den Nachmittag verbrachte ich damit, einen Spaziergang zu machen. Das tat ich oft- Schuhe und Jacke an, aus dem Haus und einfach mal den lieblichen Abgas-Duft von New York schnuppern.

 

Dann ging die Woche wieder los.

Montag verstrich ereignislos. Dasselbe galt für Dienstag und Mittwoch. Es regte mich tierisch auf, dass ich innerlich so unruhig war. Insgeheim wartete ich. Wartete darauf, dass er wiederkam. Wie viel Zeit würde er sich lassen? Konnte ich das Unvermeidliche nicht mal hinter mich bringen?

 

„Cade? Honey, mach aber nicht mehr zu lange! Du brauchst den Schlaf. Um zwölf ist das Licht aus!“ Ich lächelte Mum beruhigend an. „Keine Sorge! Nur noch diese Seite“, versicherte ich ihr und hob das Buch. Sie nickte und schloss die Tür hinter sich.

Ich saß im PJ auf dem Bett. Endlich hatte ich mal Zeit, die Bücher zu lesen, welche ich in der Bibliothek ausgeliehen hatte.

Aus dieser einen versprochenen Seite wurden dann plötzlich 50. 60. 70. Bei Seite 78 schreckte ich auf. Irgendetwas klopfte an mein Fenster. Nein, es prasselte. Ich runzelte die Stirn, legte das Buch weg und lief zum Fensterbrett, um hinaus zu gucken. Möglicherweise war ja ein armes Vögelchen gegen das Fenster geflogen.

Unter mir erstreckte sich unser Garten, welchen ich bewirtschaften durfte. Musste. Wie dem auch sei. Ich quiekte erschrocken auf -nervige Angewohnheit- und wich entgeistert zurück.

Sofort trat ich den Schritt wieder nach vorne und riss das Fenster auf. Was zur Hölle…?

„Babe, lässt du mich mal rein? Es ist arschkalt“, zischte McCann unter meinem Fenster. Was hatte er hier verloren? Wenn ihn meine Eltern sahen, dann kriegte ich einen Riesenärger! Oh, shit!

„Was machst du da, hast du sie noch alle? Du brichst dir was“, zischte ich panisch, als er begann, den alten Ahornbaum empor zu klettern. Einer der ziemlich altertümlichen Äste ragte bis zu meinem Fenster. Er wollte doch nicht...? Oh ja, genau das hatte er vor.

Er angelte sich den Ast entlang und sprang leichtfüßig auf die Fensterbank. Total geplättet ließ ich mich aus dem Weg schieben und schon stand er in meinem Zimmer.

„Was verflucht noch mal tust du hier mitten in der Nacht“, fuhr ich ihn an.

Noch ein Grund wieso ich besorgt sein sollte: Er nannte mich keine Schlampe oder wurde gewalttätig, weil ich ihn gerade eben so angeschnautzt hatte. Unter normalen Umständen hätte er mich meinen kalten Ton bereuen lassen. Auf Jeden. Aber jetzt? Ich tippte auf Alkohol.

„Wie du dich immer aufregst, Babe“, grinste er und fuhr sich durch das dunkelbraune, dichte Haar. Wollte der mich hier verarschen? Ich konnte ihn nur sehr geistreich anglotzen, als er meine Poster unter die Lupe nahm. „Süß“, spottete er.

Ich verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. „Hast du vielleicht was gegen One Direction?“ Er sah mich ernst an.

„Ja. Die sind schwul.“ Ich verdrehte die Augen. Hm. Zugegebenermaßen verblasste ein Harry Styles, egal wie süß er lächelte, neben McCann. Wenn es Jason McCann-Poster gegeben hätte, mein ganzes Zimmer wäre eingedeckt! Mist, was dachte ich hier eigentlich?  

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, erinnerte ich ihn. „Ich hatte Lust dazu“, zuckte er gleichgültig die Schultern. Dann betrachtete er meine Fotowand.

„Du verstehst dich wohl ziemlich gut mit deinen Eltern“, stellte er fest, keinerlei Emotion in der Stimme. 

„Hmpf“, machte ich nur verwirrt. Wieso sollte ich meine Eltern nicht mögen bzw. mich gut mit ihnen verstehen? Dann fiel mir ein, dass es für ihn nicht als selbstverständlich galt, dass man sich mit seiner Familie verstand. Eine grässliche Gänsehaut schlich sich meinen Arm entlang und ich ging eilig zum Fenster.

„Ich meins im ernst, McCann. Du bist voll dicht. Geh bitte wieder Nachhause und schlaf eine Runde.“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Vergiss es, Babe. Von wo denkst du, komme ich gerade her? Sean, der Wichser, hat 'ne Party am Laufen und ich hab heute keine Lust auf diese ganzen Flittchen.“ Er machte eine abwertende Geste. „Aber vergiss es, Babe. Wenn du meine Gesellschaft nicht willst, werde ich wo anders übernachten“, meinte er und wandte sich zum Fenster.

Ein Bild von McCann, wie er in einer stinkenden, Gosse New Yorks nächtigte schreckte mich so sehr ab, dass ich das Fenster mit voller Wucht zu knallte. „Schon gut", grollte ich finster. „Es ist total kalt! Du wirst dir nur den Tod holen.“ Ich seufzte.

Wieso machte ich das? War ich bescheuert? War ich zu müde um mich daran zu erinnern, dass er ein Mörder war? Wahrscheinlich war ich gleich beides zusammen.

Ich holte meine rot/gelbe Wolldecke aus dem Schrank und schnappte mir eines meiner vielen Kissen. „Voilà“, murrte ich und zeigte auf das Sofa. Er schnappte sich die Decke ohne ein Wort und beanspruchte erstmal das Sofa für sich.

„Was denn… kein Kuscheln?“, fragte er provozierend und klopfte neben sich. Oh ja, er war mehr als nur ein bisschen betrunken. Ich verdrehte die Augen.

„Schlaf jetzt, McCann.“ Und ich versuchte, dasselbe zu tun.

Ich dachte vorher, es würde komisch sein, mit McCann in einem Zimmer zu nächtigen. Erstaunlicherweise konnte ich ziemlich schnell einschlafen…

 

-

 

Ich öffnete die Augen und starrte auf den Wecker. Ich war zehn Minuten zu früh aufgewacht.

Grummelnd wollte ich mich umdrehen, als mir auffiel, dass meine Bewegungsfreiheit beträchtlich eingeschränkt war. Ich begann laut zu fluchen, als ich den Grund dafür erblickte.

„Scheiße, McCann! Was hast du in meinem Bett zu suchen“, fauchte ich und riss mich aus seiner Umklammerung. Gott, was sollte das? Er schnaufte verschlafen. „Hey, mach doch keinen Aufstand, Kleine. Mir war halt kalt.“ Anmerkung:

Es gab rein gar nichts was sexier war als die Morgenstimme von Jason McCann plus seinen Schlafzimmerblick. Aber davon sollte ich mich jetzt nicht beirren lassen. Ich wollte ja sauer sein.

Okay. Okay, okay, okay. Tief ein und ausatmen. Innerlich ruhig bleiben. „Verpiss dich. Aus meinem Bett“, befahl ich gefährlich leise. Er ließ sein Jason McCann-Grinsen aufblitzen.

„Dir hat’s doch gefallen.“ Durfte ich ihn erwürgen?

„Ich schwör dir, ich hab dich nicht angefasst“, murmelte er verschlafen.

„Wahnsinn, wieso ich dir wohl nicht glaube?“ Meine Stimme triefte vor Sarkasmus. Er formte die Augen zu Schlitzen. „Weil du kleine Göre immer alles glaubst, was man dir über mich sagt.“ Ich zuckte zusammen, stand auf und starrte ihn wortlos an.

Er schaute unbeteiligt zurück.

Es klopfte an der Tür. „Cade? Du sollst aufstehen! Frühstück ist gleich fertig“, hörte ich die Stimme meiner Mutter. Ich zuckte zum zweiten Mal an diesem Morgen zusammen. Gott sei Dank hatte ich die Tür abgeschlossen!

Mir wurde ganz flau im Magen bei dem Gedanken, meine Mutter könnte mich jetzt hier drin sehen. „Ja“, rief ich zurück! Dann murmelte ich leise: „Du solltest jetzt gehen, wenn du nicht zu spät zur Schule willst.“ Er verdrehte die Augen. „Ich gehe heute nicht zur Schule.“

Na gut. Mich sollte es nicht stören.

Trotzdem stand er auf und war aus schneller aus dem Fenster, als ich sehen konnte. Ich starrte ihm nach, wie er seelenruhig durch unseren Vorgarten lief. Dieser Idiot machte das mit voller Absicht! Hölle, falls ihn meine Mutter gesehen hatte...!

Mit Wut im Bauch krallte ich mir meine Duschsachen und lief ins Bad.

 

 

Dangerous

***Symptome: Anyxiety- d.t. Angststörung

 

Typisch für eine Angsterkrankung ist das Vermeidungsverhalten: Aus Angst vor der Angst beginnt die Person, bestimmte Situationen oder Objekte zu vermeiden.

 

  • starke innere Anspannung, die durch Zittern, Muskelanspannung und Ruhelosigkeitgekennzeichnet ist,
  • unkontrollierbare Übererregbarkeit, die sich durch Beklemmungsgefühle, Schwitzen,Mundtrockenheit und Schwindel äussert,
  • übermässige Wachsamkeit und erhöhte Aufmerksamkeit, die sich durch ein Gefühl der Anspannung, übermässige Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen und Reizbarkeit bemerkbar macht.  

(Quelle: www.beobachter.de)***

 

Chapter Ten 

 

Nach einer wohltuenden Dusche und einem ausgiebigen Frühstück war ich dann bereit für die Schule.

Cher jammerte mir immer noch die Ohren voll, sie würde diesen geheimnisvollen ‚Sean’ niemals treffen. In diesem Moment ging mir ein Licht auf:

 

„Es war Sean. Er wollte, dass ich mir was einfallen lasse, um mich zu bedanken.“

 

Konnte es sein, dass McCann bei KFC über die gleiche Person gesprochen hatte? Aber… wenn dieser tolle Sean mit McCann befreundet war, dann dürfte Cher ihn auf keinen Fall wieder sehen!

Der war ja auch kriminell! Du gibst dich doch auch mit McCann ab, zischte eine leise Stimme in mir drin. Pfff! Na und? Das hieß aber nicht, dass meine beste Freundin genau so dumm sein musste!

„Aber vielleicht solltest du Sean vergessen“, platzte ich einfach so in Cher's Monolog. Sie runzelte die Stirn. Sie mochte es überhaupt nicht, unterbrochen zu werden. Normalerweise tat ich das auch nicht.

„Wieso? Er ist so ein guter Küsser“, schmollte sie und verdrehte träumerisch die Augen gen Himmel. Ich biss mir auf die Lippe. „Du solltest realistisch bleiben, Cher! Du hebst gerade ziemlich ab! Beschränk dich lieber auf die Auswahl in der Schülerschaft.

Glaub mir, ne Menge Jungs würden dir was cash zahlen, um einmal mit dir ausgehen zu dürfen“, schmierte ich ihr etwas Honig ums Maul. Sie brauchte immer das Gefühl von Bestätigung, weshalb das auch sofort wirkte. Geschmeichelt lächelte sie. „Ich werde trotzdem nicht aufgeben! Wenn ich ihn sehe, bitte ich ihn um seine Handynummer. Du hättest ihns sehen sollen, er war so hot!“

„Er könnte überall in New York sein“, erwiderte ich innerlich verzweifelnd. Ich betete, dass sie ihn nicht wieder sehen würde! „Man darf die Hoffnung nicht aufgeben“, meinte sie und wandte sich summend ab. Mist. McCann zog ein Problem nach dem anderen mit sich!

 

In der Schule angekommen wandte ich mich, wie so häufig in letzter Zeit, nach rechts. Zu dem schwarzen BMW, der immer am gleichen Ort platziert war. Ich schüttelte den Kopf. Hatte er nicht, gesagt, er käme heute nicht in die Schule? Ich unterdrückte den Impuls, nach ihm Ausschau zu halten und floh ins Innere des Gebäudes.

An meinem Spind holte mich die bittere Wahrheit wieder ein. Konnte McCann bitte aufhören, mir Nachrichten zu hinterlassen?

 

An dein Bett könnte man sich gewöhnen.

 

Der Zettel wurde mir aus der Hand gerissen und mein protestierendes „Hey“, wurde geflissentlich ignoriert. Ich versuchte Cher das kleine Stückchen Papier zu entreißen, aber sie hatte es leider schon gelesen.

„Cade! Wer bitte schön teilt dein Bett mit dir?“, schrie sie aufgebracht. Naja, schreien war übertrieben. Trotzdem drehten sich ein paar neugierige Mitschüler nach uns um, begierig darauf, eine tolle Story zu hören. „Mit niemandem“, zischte ich leise und zog sie ins Mädchenklo, bevor wir noch mehr Aufmerksam erregten.

„Wieso hast du mir nichts von deinem Lover erzählt? Wer ist es? Stell ihn mir doch mal vor.“ Ich durchforstete mein Gehirn auf der Suche nach einer akzeptablen Ausrede, konnte jedoch keine passende finden. Deshalb seufzte ich.

„Er ist nicht mein… Lover.“ Cher fuhr sich durch das rote Haar und funkelte mich aus schmalen Augen verärgert an. „Wieso sollte er sonst in deinem Bett schlafen?“ Gute Frage. Jetzt musste ich nur eine bessere Ausrede finden.

„Er hat nur bei mir übernachtet und… Ich hab im Gästezimmer geschlafen?“

Fehlanzeige.

Jaja, ich weiß! Ich musste noch viel lernen, wenn es um’s Lügen ging. „Und jetzt komm, der Unterricht fängt gleich an.“ Cher seufzte und sah plötzlich ganz verletzt aus. „Cade? Wir sind doch beste Freundinnen, oder?“ Ich nickte kurz und angebunden.

„Und beste Freundinnen lügen einander nicht an!“

Ich seufzte.

„Ich lüge nicht, es ist nur gerade etwas kompliziert. Meine Eltern machen wieder Stress wegen der Schule, du weißt ja wie sie sind!“

Ich fühlte mich verdammt mies, aber diesmal war ich gegen die Schlechtes-Gewissen-Welle gewappnet.

Cher’s grüne Katzenaugen fixierten mich prüfend, dann nickte sie ergeben. „Okay. Aber wenn du einen Lover hast, bin ich die Erste die’s erfährt?“ Ich musste es ihr versprechen.

Hölle, was brockte mir McCann nur immer wieder ein?

Nun kam es schon so weit, dass ich meine beste Freundin anlog. Das dürfte mir dieses Arsch echt hoch anrechnen. Gott, wie befreiend es war, ihn mental zur Schnecke zu machen!

Frustriert ließ ich mich von ihr ins Klassenzimmer ziehen.

 

-

 

„Wieso denn nicht?“, murrte Cher gerade.

„Du hast gesagt, die letzte Party war nicht so schlimm, wie du dachtest!“ Exakt. Es war schlimmer gewesen. Aber wenigstens hatte ich nicht schon wieder gelogen. „Nein, danke. Das Risiko gehe ich nicht noch mal ein. Wenn meine Eltern mich diesmal erwischen, krieg ich Hausarrest bis Weihnachten“, erwiderte ich und starrte an die Decke.

Cher’s Zimmer war sehr, sehr girly. Die Wand war in allen erdenklichen Violett-Schattierungen gestrichen, überall pink und flauschig. Ich saß auf ihrem riesigen King Size Bett mit einer Unmenge an Kissen, während Cher sich ein Kleid für heute Abend aussuchte.

Ob ihr’s glaubt oder nicht, es stand schon wieder eine Party an! Diesmal würden mich keine zehn Pferde auf so ne Scheiße kriegen! 

„Wie wär’s mit dem?“ Ich nickte, ohne einmal zu gucken, was sie mir überhaupt zeigte.

„Du bist keine große Hilfe, Cade“, seufzte Cheryl, als auch sie es bemerkte. Ich unterdrückte ein Grinsen und setzte mich auf.

„Das blaue Kleid, die Haare glatt, und… diese Schuhe.“

Ich warf ein Paar silberne Peptoes zu und reckte mich. „Süße, es ist fünf. Ich glaube, ich geh Nachhause. Ich muss noch für Mathe lernen“, informierte ich. Cher verdrehte die Augen. „Du kannst Mathe in und auswendig! Aber okay…“

Sie machte einen Schmollmund, während ich sie versöhnlich umarmte.

Nachdem ich mich von Mrs. Joleene verabschiedet hatte, entfernte ich mich von Cher’s Haus. Nach der Schule wollte sie heute morgen unbedingt, dass ich ihr beim Outfit half. Dabei war es später geworden, als ich eigentlich gedacht hatte.

Ich versuchte meine Mum anzurufen, vielleicht konnte sie mich abholen. Aber sie ging nicht ran. Achja, logisch. Sie arbeitete noch, eben wie mein Vater. Ich hatte nicht bedacht, dass es im Winter schneller dunkel wurde, als im Sommer! Da seht ihr, wie wenig Zeit ich eigentlich draußen verbrachte.

Von Cher bis zu mir Nachhause dauerte der Weg zu Fuss ca. 15 Minuten. Ich schlenderte gemächlich am Straßenrand entlang und zuckte zusammen, als ich an der Gasse vorbei ging. Ich blieb kurz stehen.

Genau hier hatte ich McCann getroffen. Die Erinnerungen durchflutete mich wie eine Welle und riss mich mit. Wie er mich angestarrt hatte, und das ganze Blut. Ich wollte gucken, ob es immer noch da war. Aber ich erstarrte, als ich zwei andere Gestalten in der dunklen Gasse sah und drehte mich schnellstens um, damit ich verschwinden konnte. Ich wollte auf keinen Fall deren Aufmerksamkeit auf mich ziehen! Wer wusste denn schon, was das für Kerle waren, und was sie mit mir anstellen konnten!

Vielleicht war ich auch nur paranoid.

Oder vielleicht auch nicht, denn kurze Zeit später merkte ich wirklich, wie mich eben die Personen verfolgten, plus ein Dritter und ein Vierter. Klasse. Echt.

Ich legte einen Zahn zu und bog um die Ecke. Urplötzlich wurde ich am Handgelenk gepackt und umgedreht. Sie musste gerannt sein! Ich riss panisch die Augen auf und sah die vier Typen. Sie alle trugen Kapuzenpullis, weshalb ich ihre Gesichter nicht sehen konnte. War denn hier niemand?

Verflucht noch mal! „Hey, Baby“, grinste der eine lässig und kam ein Schritt auf mich zu. „Wie heißt du denn?“, fragte ein anderer. Mein Versuch, mich aus seinem stählernen Griff zu befreien, scheiterte kläglich. Oh, fuck!

„Nana, Kätzchen. Fahr deine Krallen mal ein. Wir wollen doch nur mit dir reden“, hüstelte ein anderer. Dachten die echt ich wäre so dämlich und glaubte ihnen? „Ich bin nicht schwer von Begriff, du Arsch“, rutschte es mir heraus. Die anderen lachten, aber der, den ich angesprochen hatte, sah ziemlich angepisst aus.

Soweit ich das beurteilen konnte.

„Ziemlich große Töne für so 'ne Schlampe wie dich“, grunzte er nun. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Wetten ich fick sie besser als McCann?“, redete er weiter an die anderen gerichtet. Diese lachten dreckig, während ich verwirrt die Brauen hob. Offenbar kannten sie McCann. Und noch offenbarer waren sie nicht gut auf ihn zu sprechen.

„Scheiße, ich wusste McCann lässt nur ein Model an sich ran“, rief ein einer. Ich schnaubte. Wenn das ein Kompliment hätte sein sollen...

„Komm mit, Bitch. Ich gib dir das, was McCann dir nicht geben kann. Ich lass dich meinen Namen schreien.“ Mit diesen Worten wurde ich grob gepackt und aus der Gasse in eine andere geschleppt.

Ich gab wirklich mein Bestes, mich von diesen widerlichen Kerlen loszureißen und zu fliehen. Aber irgendwie war das doch nicht so einfach, wie es in Filmen immer aussah. Mittlerweile sickerte die Panik in mein Unterbewusstsein und ich realisierte, was hier überhaupt passierte.

Wie auf Kommando fing ich an zu schreien. „Kann mal jemand die Bitch zum Schweigen bringen?“ Scheiße, scheiße, scheiße! Ich wurde hier doch nicht gerade vergewaltigt? Gott, ich könnte McCann so was von umbringen!

Ich schluckte den Ich-Flenn-Hier-Gleich-Voll-Ab-Klos herunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte und schloss die Augen. Wie oft hatte ich mit meinen alten Freundinnen und mit Cher darüber gesprochen, wie ich meine Unschuld verlieren wollte. Und nie wäre ich darauf gekommen, dass es so geschehen würde…

 

Zum millionsten Mal verfluchte ich McCann.

 

Ich. Wurde. Hier. Belästigt!

 

Park

Chapter Ten

 

„Was soll denn das werden, wenn’s fertig wird?“

 

Und dann schien alles still zu stehen. Die Kerle standen wie versteinert da, und keiner wagte es, sich umzudrehen. Ich hatte keine Ahnung, zu wem die Stimme gehörte.

„Wenn ich McCann erzähle, dass ihr sein Mädchen angefasst habt, wird das hier ziemlich hässlich enden“, informierte dieselbe, unbeteiligte Stimme. Ich drehte mich um und sah einen -gutaussehenden- Typen, zu dem die Stimme wohl gehörte.

Ich wäre vor dem fremden Retter am liebsten auf die Knie gefallen und hätte ihn gepriesen! Aber wieso ging eigentlich jeder Anwesende davon aus, dass ich McCanns Eigentum war? Soweit ich das mitbekommen hatte, war das Verhör vorbei und somit war ich wieder eine freie Frau!

„Austin“, fluchte der Kerl, der mich festhielt, als wäre es ein Schimpfwort. Irgendwie kam dieser ‚Austin’ mir bekannt vor. Mir fiel nur nicht ein woher.

„Verdammt richtig, bro. Und wenn du kleiner Scheißer deine Drecksfinger nicht in den nächsten paar Sekunden aus ihren Haaren nimmst und sie zu mir rüber bringst, wirst du dir wünschen, niemals geboren zu sein“, prophezeite er finster.

Ruckartig wurde ich nach vorne gestoßen. Ich fing mich, bevor ich auf den Boden fiel und blickte mich um.

Aber es war zu spät- nur noch ich und Austin waren in der Gasse. Die anderen hatten sich blitzschnell aus dem Staub gemacht, weiß Gott wohin!

Ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Ich war beinahe von diesen Kerlen vergewaltigt worden, wenn dieser Austin nicht gekommen wäre. Aber wieso? Und wieso waren diese Kerle davon ausgegangen, dass ich McCann gehört? Ich gehörte überhaupt niemandem!

Austin schenkte mir ein sarkastisches Lächeln.

„McCann wird sich um sie kümmern. Komm mit“, befahl er. Ich gehorchte widerstandslos und folgte ihm auf die wie ausgestorbene Straße. Irgendwie beschwor Austins Skruppellosigkeit meine Panik noch schlimmer herauf. Trotzdem hatte er mich gerettet, also war ich ihm wohl zu Dank verpflichet. Wir steuerten auf einen schwarzen, mir nur allzu bekannten BMW zu.

Oh nein! Nein, nein, nein! „Ich steig da nicht ein! Ich geh nicht zu diesem Arsch!“ Niemals würde ich zu McCann ins Auto steigen. Ihm hatte ich das Ganze doch zu verdanken! Austin verdrehte die Augen. „Entspann dich. Er ist nicht hier- ich hab mir nur sein Auto geliehen. Ich fahr’ dich Nachhause“, beruhigte er mich augenrollend.

Und in diesem Moment erinnerte ich mich auch, woher er mir so bekannt vorkam. Er war -logischerweise- einer von McCanns Leuten, aber er war auch sein Mitbewohner. Ich hatte ihn gesehen, als ich bei McCann Zuhause gewesen war. Er war mit den anderen Jungs auf der Couch gesessen und hatte mich angestarrt. 

„Du kannst gerne hier draußen bleiben und warten, bis diese Bastarde wieder auftauchen“, bot Austin an und zuckte die Schultern, als ich mich immer noch kein Stück bewegt hatte. Ich machte, dass ich in diese verfluchte, schwarze Karre kam, die ich mittlerweile in uns auswendig kannte. Auf keinen Fall wollte ich, dass diese Schlägertypen erneut Jagd auf mich machten!

Austin startete den Wagen, alsbald ich mich in die Ledersitze gekuschelt hatte, und aus irgendeinem Grund kannte er meine Adresse. Ich hatte jetzt nicht den Nerv, zu fragen woher genau er sie kannte.

Innerhalb von Minuten hielt er vor meinem Haus.

„Wer waren diese Kerle?“, fragte ich heiser und etwas verspätet. Verdammt, immer wenn ich meine Stimme brauchte, war sie nicht da! Ich fand, dass ich diese Antwort verdient hatte! Immerhin ging es hier auch um mich. Austins Mundwinkel zuckten nach oben. Eine Geste, die er sich wohl von McCann abgeguckt hatte.

„Irgendwelche Mistkerle, mit denen McCann eine Rechnung offen hat. Glaub mir, Kleine, in der nächsten Zeit wirst du dich vor solchen Pissern nicht mehr retten können.

Ich werde dir nicht erzählen, was McCann alles für üble Scheiße in seiner Vergangenheit abgezogen hat. Aber er hat sich verdammt viele Feinde gemacht“, brummte Austin und zündete sich eine Zigarette an. Gott, wieso rauchten die alle? Widerlich! 

„Und es muss sich herumgesprochen haben, dass man euch zusammen gesehen hat. Es ist verdammt schwer an McCann ranzukommen oder ihm was anzuhaben. Also nehmen sie diese Personen, die ihm wichtig sind.“ Ich war genervt und fassungslos. Hieß das jetzt wirklich, ich war nicht mehr sicher? Hieß das, dass sich jetzt überall solche Gestalten rumtrieben und darauf warteten, mich einfach zu können, um mich dann elendig zu vergewaltigen? Nein, das durfte nicht sein!

„Und wieso können wir denen nicht einfach sagen, dass ich mit McCann nichts zu tun habe?“ „Weil sie dir nicht glauben werden.“ Austin griff ins Handschuhfach, nahm einen Zettel heraus und schrieb was drauf. Dann reichte er mir das Stückchen Papier.

Ich runzelte die Stirn. „McCanns Nummer. Für alle Fälle“, erklärte er, die Zigarette im Mundwinkel.

Ich nahm mir vor, den Zettel zu zerreißen und in die Tonne zu treten, wenn ich in meinem Zimmer war. „Du willst mir also sagen, dass ich nicht mehr sicher bin?“ Ja, da war definitiv ein Hauch von Hysterie in meiner Stimme.

„Ganz genau.“ Austin verzog das Gesicht. „Kleine… McCann ist vielleicht gewalttätig, kriminell, schnell aufbrausend, stur, sehr beleidigend, total unverantwortungsbewusst, aggressiv, ein Mörder... Ich denke du weißt, was ich meine. Aber er ist nicht herzlos, auch wenn es vorgibt zu sein.“ Also das war mir ja mal neu!

„Was ich damit meine: Er weiß es zu schätzen, was du für ihn getan hast. Er kann es nur nicht zeigen. Er kann sich weder bedanken, noch entschuldigen. Er tut’s einfach nicht, okay?

Aber abgesehen davon, dass er dich überhaupt in diese Scheißsituation gebracht hat, hast du ihm geholfen und ihn vor'm Knast ‚gerettet’. Jetzt ist er an der Reihe. Glaub mir. Er wird auf dich aufpassen, das ist er dir schuldig.“

Austin sah mich ernst und eindringlich an. Ich zweifelte nicht an seinen Worten. Kein Stück.

Ich nickte ihm kurz zu und stieg aus dem Wagen, um dann zum Haus zu gehen. Es konnte nicht später als sieben Uhr sein. Ich sah noch, wie Austin mit McCanns Wagen davon fuhr, als ich die Tür hinter mir schloss.

Drinnen lief ich schnurstracks in mein Zimmer, vergrub mich unter der Decke und flennte hemmungslos.

Ich war beinahe vergewaltigt worden. Und wenn dieser Austin nicht gekommen wäre… Ich schloss fest die Augen und wünschte mir, einzuschlafen.

Einzuschlafen, um nie wieder aufzuwachen.

 

-

 

Austin hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, McCann würde mich von jetzt an nicht mehr aus den Augen lassen. Mehrmals, wenn meine Augen in der Schule mal wieder ziellos umherirrten, fanden sie die seinen. Seine dunklen Augen nahm meine gefangen, und er fixierte mich wie ein Raubtier seine Beute.

Und jedes Mal stellten sich die Härchen an meinen Armen auf. Ja, ich gab’s zu, ich hatte total Schiss vor McCann! Es war auch zu verrückt! Wieso konnte ich nicht einfach zu meinen Eltern gehen, und ihnen die ganze Geschichte erzählen? Weil dir das nichts bringen würde.

Und das stimmte mittlerweile. McCann käme ins Gefängnis, aber der Rest, der da draußen auf mich wartete, der blieb. Der würde nicht weggehen, nur weil McCann nicht mehr bei mir war. Sie würden beenden, was sie angefangen hatten!

Und jedes Mal wenn McCann verschwand und meinen Blick losließ, musste ich mir aufs Neue beibringen, wie man schon wieder atmete.

Ich fuhr mir müde durch die Haare. In letzter Zeit hatte ich ziemlich schlecht geschlafen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, McCann so gut es ging zu ignorieren, versagte jedoch auf ganzer Linie.

Und ich hätte es verflucht noch mal wissen müssen! Hätte wissen müssen, dass dieser verregnete, trostlose Montag nicht gut enden würde. Schon als ich heute aufgestanden war, hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Aber darauf achtete ich schon gar nicht mehr. Seit ein paar Tagen begleitete mich dieses Gefühl nämlich ununterbrochen!

Ich hatte den Bus verpasst. Wirklich verpasst. Das erste schlechte Omen heute morgen. Also lief ich, meinen iPod griffbereit, gemächlich die Straße entlang. Ich würde es sowieso nicht mehr rechtzeitig schaffen, also musste ich mich auch nicht sinnlos abrackern! Ich nahm die Abkürzung durch den Central Park.

Der Park war um diese frühe Zeit eigentlich kein empfehlenswertes Plätzchen. Ich wusste selbst nicht so genau, wieso ich ihn überhaupt betreten hatte. Jedenfalls hatte ich es getan.

Und während mir die sanften Gitarrenklänge von Ed Sheeran in die Ohren gehaucht wurden, als ich den Weg entlang ging, erschreckte ich mich fast zu Tode, als ich um die Kurve bog. Ich stolperte einige Schritte zurück und bog instinktiv zurück um die Ecke. Dann lugte ich vorsichtig hervor. Verdammt, das konnte doch nicht sein! Nicht schon wieder!

McCann stand, den Rücken zu mir, vor einem Kerl. Aber nicht irgendeinem Kerl- sondern dem Kerl, der mich vor ein paar Tagen so grob an den Haaren mitgezogen hatte. Ich erkannte ihn sofort, da ich ihn in den letzten Tagen oft in meinen Albträume zu Gast hatte.

„McCann wird sich um sie kümmern“, erinnerte ich mich an Austins Worte. Mein Hirn schrie mir zu, dass ich so schnell wie möglich verschwinden sollte. Dass ich um mein Leben rennen sollte, bevor ich etwas sah, was ich nie wieder vergessen könnte. Hölle, war McCann wirklich so kaltblütig, dass er diesen Kerl in einem Park umbringen wollte? Ja, der Park war verdammt groß, aber wenn ihn hier jemand sah-

Ich unterdrückte einen Schrei, als mir von hinten eine Hand auf den Mund gedrückt wurde, welche dafür sorgten, dass meine Gedankengänge jäh unterbrochen wurden.  „Kein Mucks“, zischte Austin hinter mir. Okay, vielleicht war McCann doch nicht so dumm. Jedenfalls hatte er diesen Teil des Parks durch seine Jungs abgesichert, um jede arme Seele, die sich hierher verirrte umzubringen.

Oder auch nicht- weiß Gott was McCann alles für Praktiken hatte, jemanden zum Schweigen zu bringen.

Ich konnte kein Wort verstehen, was McCann da sagte. Aber ich war verdammt froh, dass ich nicht in der Haut des ihm gegenüberliegenden Typen steckte. Denn es sah ganz so aus, als würde McCann ihm die Hölle heiß machen. Ich quiekte auf, als ich das Messer in McCanns Hand sah.

„Wenn du dich nicht an meine Anweisungen hältst, muss ich es auf die harte Tour versuchen“, knurrte Austin in mein Ohr. Ich war auf der Stelle still, als ich den drohenden Unterton registrierte.

Wie kam man dazu, nach acht Uhr morgens, ganz egal wie dunkel es noch war, jemanden mit einem Messer zu bedrohen? Der Typ holte plötzlich aus, um McCann die Faust ins Gesicht zu donnern. Austin drehte meinen Kopf zu sich, damit ich es nicht mit ansehen musste. Dieser Schlag würde sitzen!

Panik breitete sich in mir aus. Und Sorge. Was, wenn McCann ernsthaft in Gefahr war? Wieso halfen ihm seine Freunde denn nicht? Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht hatte, als ich mich jetzt aus Austins Klammergriff riss. Aber ich wollte McCann unbedingt helfen, wenn es seine Freunde schon nicht taten! Das Adrenalin floss durch meine Nervenenden, während ich hastig um die Ecke lief.

„Verdammt! Bleib stehen“, fluchte Austin hinter mir, aber ich war schon einige Schritte auf McCann zugegangen. Dieser drehte sich verwirrt zu mir, um zu sehen, wer diesen Lärm verursachte. Und in diesem unaufmerksamen Moment bekam er von seinem Gegner einen Schlag an die Schläfe. Ich blieb wie versteinert stehen. Oh mein Gott!

Er taumelte nach hinten, fing sich schnell wieder wehrte den nächsten Schlag ab. „Lass mich verflucht noch mal los“, fauchte ich, als Austin mich erneut von hinten packte und wieder wegzog, bevor ich erneut einen Schritt tun konnte.

Ich sah erleichtert, wie McCann seinem Angreifer in die Weichteile trat und ihm mit dem Messer in den Bauch stach. Die ganze Klinge blieb stecken. McCann packte den Griff des Messers, welches immer noch in der Brust seines Gegenübers steckte, um es um 360 Grad zu drehen. Ach du heilige Scheiße!

Immer noch die beruhigende Stimme von Ed im Ohr, sah ich, wie der Kerl zusammensackte. Und dann ging alles schnell. Der verwundete Typ wurde weggeschleift und ich stand da wie angewurzelt.

Meine Gedanken drehten sich wie in einem einzigen Kettenkarussell und ich versuchte irgendwie, das Geschehene zu verarbeiten.

Und nicht zu kotzen.

 

Was war hier bitte gerade passiert?

 

 

Memories

 

Chapter Eleven

 

„Du. Mitkommen“, befahl Sean neben Austin barsch und packte mich. „Wohin?“, erwiderte ich ängstlich. Natürlich erhielt ich, wie erwartet, keine Antwort. Stattdessen verfrachtete er mich in das Auto anfang des Parks. 

„Wo ist McCann? Und wo sind die anderen?“, versuchte ich es weiter, nicht bereit jetzt aufzugeben. Ich ließ mich doch so schnell nicht abwimmeln!

Der Schreck steckte noch tief in meinen Knochen. Ich sah den Jungen vor mir, wie sich sein blaues T-Shirt rot färbte. Es rieselte mir eisig den Rücken hinunter, während sich der kalte Angstschweiß auf meiner Stirn bildete. Sean warf mir einen genervten Blick zu.

„Dieses Stück Scheiße war doch nocht lange nicht tot. Die Fortsetzung des Ganzen findet wahrscheinlich jetzt gerade statt. Der Unterbruch war nur dazu da, um dich so schnell wie möglich von da wegzubringen, bevor du noch mehr Scheiße anstellst“, knurrte er und warf mir einen missbilligenden Blick zu. Was McCann jetzt wohl noch mit dem Jungen anstellte? Hölle, er war doch nicht über die 20 gewesen, und jetzt war er wahrscheinlich tot! Vielleicht hatte er eine Familie, eine Freundin, die ihn suchte. Vielleicht hatte er sogar schon Kinder gehabt. Klar, er hatte mich vergewaltigen wollen... aber trotzdem! 

Wir fuhren an meinem Haus vorbei und ich wusste, dass er mich zu sich Nachhause bringen würde. Verdammt, wieso musste ich den Bus verpassen? Wieso musste ich durch den Park?

Am Haus angekommen stieß Sean mich ins Wohnzimmer. Ich saß auf dem roten Ledersessel und zog die Beine an. Es war mir unheimlich, so ganz allein mit Sean dazusitzen und zu warten.

Während ich mir die größte Mühe gab, nicht vollkommen auszurasten, saß er vollkommen ruhig da und nippte an seiner Bierdose. Die Minuten verstrichen, während mein rechtes Bein nervös zu wippen begann. McCann war so was von krank. Ein kranker, sadistischer Psychpath. Aber ich war trotzdem froh, dass ihm nichts passiert war!

Und dann ging endlich die Tür auf und McCann kam herein, gefolgt von dem blonden Kerl. Ich wollte schon erleichtert aufspringen, als ich McCanns Blick begegnete. Und der war alles andere als dankbar. Er sah so aus, als riss er mir mental den Kopf ab! Nebst der Angst welche ich immer kriegte wenn er mich so ansah, durchflutete mich ein anderes Gefühl: Wut.

Wieso war er jetzt sauer auf mich, wo ich doch allen Grund hatte, um ihn auf der Stelle anzuschreien? Ich suchte mir das erstbeste Opfer, an dem ich meine Wut auslassen konnte. „Wieso habt ihr ihm auch nicht geholfen?“, wandte ich mich deshalb böse an Sean. Dieser blinzelte überrascht. „Wem?“ Wie dämlich musste man sein? Wem wohl? „Na, Jason!“

Ich tat so, als wäre Besagter nicht da. „McCann? Der braucht keine Hilfe.“ Ich schnaubte und wich Jason's Blick mit klopfendem Blick aus.

„Was man ja auch klar erkennen konnte! Bemerke den Sarkasmus.“

„Ich hatte alles in Kontrolle, bis du gekommen bist“, ergriff Jason das Wort. Ich zuckte zusammen und biss mir auf die Zunge, um ihm nicht sämtliche Beleidigungen die mir im Kopf rumgeisterten an den Kopf zu werfen. Er kam langsam auf mich zu, stützte seine Arme rechts und links von mir auf die Armstütze. Sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt. Mein Herz war kurz davor, den Geist aufzugeben, während sich meine Augen weiteten. Mir war noch nie irgendwer so nahe gekommen. Das Bedürfnis, ihn noch ein Stück näher zu zerren, zog an meinen Nerven.

Mach das nie wieder.“ Seine Stimme klang schneidend und seine gefährlich funkelnden Augen schienen mich zu durchbohren…

 

McCann PoV

 

„Wieso habt ihr ihm nicht geholfen?“, fauchte sie und sah so aus, als würde sie Sean gleich die Augen auskratzen. „Wem?“, fragte er verwundert. Sie verdrehte die Augen. „Na, Jason!“

Ich zuckte zusammen. Sie durfte mich nicht so nennen. Keiner durfte das. Nur sie hatten das gedurft.

„McCann? Der braucht keine Hilfe“, antwortete Sean amüsiert. Ich versuchte, mich wieder zu fassen, und rieb mir die Schläfen. Cadens schnaubte.

„Was man ja auch klar erkennen konnte! Bemerke denn Sarkasmus.“

„Ich hatte alles unter Kontrolle, bis du gekommen bist“, warf ich langsam ein. Wie konnte sie sich nur in diese scheiß gefährliche Lage bringen? Ihr hätte verfickt noch mal etwas zustoßen können! Und die Tatsache, dass es mich überhaupt interessierte... Es sollte mir egal sein, was mit ihr geschah! Wenn sie sich in Gefahr brachte, war das nicht mein Problem. Oder? 

Ich ging auf sie zu und sah ihr tief in die Augen. Ich war tierisch angepisst, dass sie die ganze Zeit dort auftauchte, wo es am ungünstigsten war! Es war, als wäre sie ein Fluch. Als täte sie es mit Absicht.

„Mach das nie wieder“, raunte ich gefährlich und meinte es so. Sie wich zurück und starrte mich betreten an. Dann ließ sie ihren Blick genauer über mich schweifen und atmete erleichtert auf. 

Und da war es wieder, diese komische Gefühl. Ich war es nicht gewohnt, dass sich jemand um mich sorgte. Das tat schon lange niemand mehr. Und es war auch nicht nötig. Ich brauchte keinen beschissenen Babysitter, verdammt! 

„Austin, Jared und Clay kümmern sich gerade um diesen Wichser…“, informierte ich die anderen und richtete mich auf. War mir scheißegal, wie dieses Stück Scheiße überhaupt geheißen hatte. Sean warf mir ein Tuch zu, mit dem ich mir das Blut von den Händen wischte. Cade beobachtete jede meiner Bewegungen mit weit aufgerissenen Augen. Beinahe hätte ich gelächelt. So unschuldig.

Ich ließ mich zwischen Chris und Sean aufs Sofa fallen. Eine Weile blieb es still, jeder hing seinen Gedanken auf. Dann richtete Cadens sich auf.

„Du bist Sean?“, fragte sie ihn. Sean nickte einmal. „Gut. Meine beste Freundin steht total auf dich. Wenn du ihr weh tust, kriegst du's mit mir zu tun.“ Wir starrten ihr eine Sekunde ins ernste Gesicht, dann prustete Chris los. Sean schluckte hart und nickte einmal.

„Bro, du hast doch nicht etwa Schiss vor der Kleinen“, stichelte Chris glucksend und kassierte einen Schlag in die Magengrube.

Ich seufzte und wedelte mit der Hand zum Zeichen, dass die anderen sich jetzt verpissen durften. Ich wollte mit ihr alleine sein.

Chris und Sean sprangen sofort auf „Wir gehen mal gucken, ob bei den Anderen alles läuft“, sagten sie eilig, als sie den Befehl verstanden hatten. Ich nickte zufrieden und wartete, bis die Haustür ins Schloss gefallen war. Und als wäre damit der Damm gebrochen, fing Cadens unter meinem Blick an zu zittern wie verrückt.

„Hör auf damit“, spuckte ich bitterböse. Als würde ich sie in Stücke zerreißen! Sie zuckte zusammen. „Hör du auf, mich so anzusehen, als wolltest du mich am liebsten erwürgen“, erwiderte sie trotzig. Meine Augen weiteten sich verwundert und ich lehnte mich zurück. Ich hatte gar nicht auf meinen Blick geachtet. 

„Ich weiß ja nicht ob du’s weißt, aber ich sehe nicht jeden Tag, wie jemand versucht, jemand Anderes umzubringen“, fügte sie hinzu. Ich schnaubte. Beinahe beneidete ich sie um ihre Naivität. Wie ahnungslos sie doch war.  Für mich war es tägliche Routine, so hart es auch klang. Wenn jemand mein Eigentum bedrohte, oder meine Kohle nicht rechtzeitig lieferte, dann ging es ihm an den Kragen. 

„Er kriegte, was er verdiente“, erwiderte ich leichthin. „Niemand verdient es zu sterben“, entgegnete sie. Wenn sie wüsste, wieso ich es tat, dachte sie bestimmt anders! Ich biss die Zähne zusammen. Wieso sorgte sie immer dafür, dass ich mich daran erinnerte? Ich wollte verfickt noch mal nicht daran denken!

„Er hat versucht, dir wehzutun.“ Das Mädchen war hochgradig dämlich. Darauf hatte sie dann keine Antwort. Dachte ich mir schon.

„Wieso tust du das? Wieso bist du hier in dieser Gruppe? In diesem Haus? In diesem ‚Business’? Weißt du, ich, seh dich, wie du andere Menschen tötest. Wie kann ich dir da glauben, dass du deine Eltern nicht umgebracht hast?“ Ich warf ihr einen missbilligenden Blick zu.

„Es ist mir scheißegal ob du mir glaubst oder nicht. Aber wenn dieses penetrante Stück Scheiße gemeint hat, er könnte mich durch dich treffen...“

Ich lachte verächtlich. Dieser kleine Scheißer musste ziemlich dämlich gewesen sein, wenn er das geglaubt hatte. Ich hatte ihn nur für seine scheiß Dummheit bestraft, das war alles.

„Das hier ist kein Spielchen, Jason!“ Meine Haltung verkrampfte sich. Sie sollte aufhören, mich so zu nennen. Sofort. Dazu hatte sie kein Recht. „Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel, es geht nicht ums gewinnen!“ Als ob ich das nicht wüsste! Für wen hielt sie sich eigentlich? Gereizt atmete ich ein. 

„Doch. Es geht genau darum. Treffen oder getroffen werden.“ Sie stand auf fassungslos auf.

„Ich glaube der Gedanke wird immer abwegiger, dass du deine Familie nicht umgebracht hast, Jason.“, wiederholte sie und drehte sich um. Innerlich mit den Zähnen knirschend sprang ich auf und packte sie am Handgelenk, als sie auf die Tür zusteuerte. Was hatte die Schlampe jetzt schon wieder vor?

„Wo denkst du, gehst du jetzt hin?“, spuckte ich genervt. Sie biss sich auf die Lippen. „In die Schule?“, flüsterte sie dann. Naiv.

„Ist gestrichen, Kleine.“ Ich konnte ein schmerzvolles Aufstöhnen nicht unterdrücken, als sie sich von mir losriss. Sie fuhr erschrocken herum, während ich die Zähne zusammenbiss und versuchte, noch ein Stöhnen zu unterdrücken. Konnte die Bitch nicht vorsichtiger sein? Unglücklicherweise hatte mich das Arschloch doch noch erwischt. 

„Du hast dich ja doch verletzt“, entfuhr es ihr erschrocken und ich konnte sie nicht daran hindern, meinen rechten Ärmel hoch zu schieben. „Geht schon“, spuckte ich. Sie sollte mich jetzt bloß nicht bemuttern, so was konnte ich nicht haben!

„Habt ihr hier irgendwo einen Erste-Hilfe-Kasten?“ Ich verdrehte die Augen. „Im Schrank über der Spüle“, knurrte ich dann widerwillig. Echt, wie diese Bitch aus Allem ein Drama machen konnte…! War doch nur ein Kratzer! In einigen Tagen war das nur noch eine Narbe unter vielen anderen.

Sie zog mich unerbittlich mit sich und drückte mich auf den Küchenstuhl, als wäre ich ein kleiner Junge. Dann zog sie den weißen Kasten aus dem Schrank. Noch nie benutzt. Wieso auch, ich war nie eine Pussy gewesen. So etwas konnte man sich in diesem Business nicht leisten.

Über meine Hand gebeugt verarztete sie die klaffende Wunde, während ich sie nicht aus den Augen ließ. Sie fühlte sich unter meinen Blicken mehr als unwohl, das konnte man sofort sehen. Ihre kleinen Hände tasteten sanft über meinen Arm. Sie schien sich wirklich Mühe zu geben, mir nicht 'wehzutun'.

„Darf ich die andere Wunde auch noch sehen?“ Ich fing ihre Hand ab, bevor sie die Stelle berühren konnte, und kniff die Augen zusammen. „Das wird nicht nötig sein“, entgegnete ich. Das reichte mit dieser Scheiße.

Sie gab ohne ein Wort nach und schloss den Koffer, um ihn wieder im Schrank zu verstauen.

Braves Mädchen.

„Und jetzt? Darf ich nicht mal Nachhause?“, fragte sie. Ich lehnte mich zurück und stöhnte innerlich. Wieso musste sie so anstrengend sein? Konnte sie nicht einmal tun, was ich von ihr verlangte? So wie jede andere Bitch, der ich bis jetzt begegnet war?

„Nicht wenn ich dich nicht begleite, Babe“, räumte ich ein und verschränkte die Arme. „Gut“, lächelte sie und stand sofort auf, bevor sie mir einen auffordernden Blick zuwarf. Ich seufzte genervt und stand auf, um ihr zu folgen.

„Können wir die Abkürzung durch den Friedhof nehmen?“, fragte sie. „Willst du mich loswerden?“, erwiederte ich leicht amüsiert. „Nein“, kam es unschuldig zurück. 

Also nahmen wir die beschissene Abkürzung durch den verfluchten Friedhof. Ich mochte Friedhöfe nicht. Und dieser war wie mein persönliches Kryptonit. Sie stieß das eiserne Tor auf und wir liefen den kleinen Kiesweg entlang, vorbei an den Gräbern. Ich hatte mich ziemlich gut unter Kontrolle. Bis zu ihrer Reihe.

Bis heute hatte ich mich immer gehütet, auf diesen Friedhof zu gehen.

Hier lag meine Familie. Und zu sehen, dass sie jetzt nur noch unter der Erde vergammelten, das war die Hölle. Und ich verschuldete ihren Tod!

Nur wegen dieser kleinen Sache, hatte er sie alle umgebracht! Ich hatte den Blick strickt auf den Boden geheftet, trotzdem zählte ich aus den Augenwinkeln die Grabsteine ab. 22, 23, 24.

Ich blieb abrupt stehen und starrte den 27., rötlichen Marmorstein an, der langsam aber sicher vor meinen Augen zu verschwimmen schien, um durch eine Reihe von Bilder und Erinnerungen ersetzt zu werden.

 

„Wo ist dieser Bastard?“ Ich erzittere vor Angst und warte darauf, dass er die Tür aufreißt. Keine Sekunde später tritt er die Tür auf und steht vor mir. Mit geballten Fäusten. Seine Augen finden meine und ich sehe nichts als Hass in ihnen. Hass, Abscheu, Wut. Mit zwei Schritten er bei mir und ich schließe die Augen, um auf den Schmerz zu warten.

Diesen Schlag habe ich verdient. Und den nächsten auch. Und den nächsten. Mein Körper fühlt sich taub an und ich versuche erst gar nicht, mich gegen ihn zu wehren. Ich habe verdient, dass er mich schlägt. Auch ich wünsche mir nichts mehr, als tot zu sein.

„Es ist deine Schuld! Deine Schuld, du kleiner Bastard“, brüllt er und schlägt unaufhörlich auf mich ein.

Dann hört es plötzlich auf. „Jeremy! Lass den armen Jungen in Ruhe!“ Ich öffne die Augen und sehe wie Grandpa versucht, ihn in Schacht zu halten. Ihn. Meinen Vater.

„Bring deinen Schwiegersohn hier raus, Bruce“, bittet Oma und versucht Dad’s wütendes Gebrülle zu übertönen.

„Lass mich los! Nichts als Schande und Unglück hat er uns gebracht! Du bist nicht länger mein Sohn, du bist ein unnützes Stück Scheiße! Wenn du auch nur jemals in meine Nähe kommst, prügel ich dich zu Tode.

Hörst du? Ich hasse dich!“  

 

 

Mistery

Chapter Twelfe

 

„Jason? Jason!“

Wieder in der Realität ruckte ich meinen Kopf nach rechts. „Geht’s dir nicht gut?“ Ich wandte den Blick wieder auf den Grabstein. Die Emotionen ebbten ab wie ein Zunami, der vorhin zerstörend über mich hinweggerollt war, und sich jetzt zurückzog. Ich suchte nach Worten...

„Es war meine Schuld. Aber…ich habe sie nicht umgebracht. Ich war das nicht“, versicherte ich. Der Schmerz schien durch meine Venen zu pumpen, wie Gift. Mit jedem Herzschlag wurde die Last der Schuld schwerer. Wie war es möglich, dass ich dieses Ereignis nie abschütteln konnte? Es gab Zeiten, in denen ich alles in eine Kammer, tief in meinem Inneren verborgen halten konnte. Und dann gab diese Momente wie gerade, die alles zunichte machten. Noch immer brannte sein Blick in mir. Es war nicht das erste Mal, dass er mich damals geschlagen hatte. Aber das erste Mal, dass er allen Grund dazu gehabt hatte.

Ich erschauerte. Nein. Das durfte ich nicht zulassen. Nicht hier- nicht vor ihr! Ich hasste es. Ich hasste diese Panik und die Angst, die mir jedes Mal die Kontrolle über meinen Körper nahm, und mich durch solch simple Dinge heimsuchte.

Das Gefühl von Hilflosigkeit trieb mich an den Rand des Wahnsinns! Ich versuchte das Zittern meiner Hände zu unterdrücken und verfluchte mich dafür, dass ich diese beschissenen Pillen schon wieder nicht geschluck hatte, und dass ich gedacht hatte, stark genug zu sein, um hierher zu kommen. Jetzt wurde ich für meine Vergesslichkeit bestraft. Hilfesuchend begegnete ich Cadens’ Blick. Ich wollte in diesem Moment unbedingt, dass sie mir glaubte. Normalerweise war es mir egal, was irgend so ein unwissender Wichser über mich dachte.

Aber in diesem Moment nicht. Sie erwiderte meinen Blick mit Erstaunem und Faszination, mit Schock und Verwunderung. Für sie musste ich ein beschissener, kranker Psychopath sein, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte.

Und wahrscheinlich musste ich Chris in ein paar Stunden darum bitten müssen, mir für meine Schwäche in die Eier zu treten. Wie konnte ich mich nur so gehen lassen? Am Ende dachte sie noch, dass ich Gefühle haben konnte! 

Cadens warf einen Blick auf den Grabstein und nickte. „Ich weiß. Ich glaube dir. Gehen wir.“ Ich folgte ihr dankbar. Nicht eine verfickte Sekunde länger wollte ich hier bleiben! Und ich wollte nicht, dass sie Fragen stellte. Ich wollte nicht darüber reden, mit niemandem. 

Den Rest des Weges brachten wir schweigend hinter und auch als wir ankamen, lief sie wortlos ins Haus. Sie schien zu verstehen. Das würde ich ihr nicht so schnell vergessen. 

 

Cade PoV

 

Ich schloss die Tür hinter mir und sah Jason aus dem Fenster an. Er stand einfach auf der Straße, rauchte seine Zigarette und starrte das Haus an. Was tat er da? Und wieso ging er nicht Nachhause? Er hatte dringend Schlaf nötig, das hatte ich vorher gesehen. Ich hätte wissen müssen, dass auf diesem Friedhof seine Mutter lag, und wahrscheinlich auch der Rest seiner Familie. Wieso war ich so dämlich gewesen?

Ich starrte ihn weiter an, bis ich begriff, dass er Wache schob. Ich brauchte ja jetzt Schutz, und zwar rund um die Uhr! Was für ein Aufwand. 

Zitternd fuhr ich mir durch die Haare und warf einen Blick aufs Handy. Etwa zehn ungelesene Nachrichten. Alle mit demselben Inhalt von derselben Person:

 

Wo bist du?

 

Ich informierte Cher darüber, dass ich ‚krank’ war. Es hätte jetzt keinen Sinn ergeben, wenn ich noch zur Schule gegangen wäre. Ich hatte nicht die Kraft dazu, mir jetzt eine Ausrede für mein Zuspätsein einfallen zu lassen.

Einerseits war dieser Morgen sehr, sehr erschreckend gewesen. Ich hatte Jason schon wieder in Aktion gesehen und ich musste mit ansehen, wie er diesen jungen Mann brutal zusammengeschlagen hatte. Wahrscheinlich war der jetzt tot.

Und ich hatte seine verletzliche Seite gesehen, wenn auch nur ganz kurz, als ich in die Tiefen seiner braunen Augen geschaut hatte.

Ich konnte mich nicht davon abhalten, immer wieder sicher zu gehen, dass er noch dort stand. Dieser Junge war so was von seltsam! 

Mein Magen knurrte und ich beschloss, mir etwas zu Mittag zu machen. Also haute ich ein paar Nudeln ins Wasser und hing meinen Gedanken nach.

Bald darauf öffnete ich die Tür und trat leicht nervös hinaus. Jason stand immer noch am selben Ort und starrte vor sich hin. Auch er war bestimmt hungrig und ich hatte keine Ahnung, wieso ich das jetzt unbedingt tun wollte.

„Jason?“ Er hob langsam den Kopf und wieder mal wurde mir bewusst, wie gut er eigentlich aussah. Seine hellbraunen Haare, die immer so aussahen, als hätten ein Duzend Frauen ihre Hände darin gehabt. Seine braunen, alles verschluckenden Augen, die tiefer als das schwarze Loch schienen. Er war nicht besonders groß, höchstens um die 1.80m. Seine Beine steckten in schlichten Bluejeans und einem grauen Kapuzenpulli. Die Ärmel waren hochgeschoben und ich sah seine beeindruckenden, irgendwie coolen Tattoos.  

Merkwürdigerweise lief mir bei seinem Anblick das Wasser im Mund zusammen und ich musste hart schlucken. Er machte es mir so verdammt schwer, ihn zu hassen.

Ich merkte, dass ich ihn viel zu lange angestarrt hatte.

„Ich hab Essen gemacht, und“, ich spielte mit den Knöpfen meiner Jacke, „vielleicht willst du ja mitessen?“ Es klang mehr wie eine Frage, als ein Angebot. Meine Stimme hörte sich unsicher und lächerlich an. Er sah mich einfach nur weiter an. Jason McCann war wohl einer der wenigen Menschen, die nicht wegsahen, wenn man sie beim starren ertappte. Er hatte auch keine Probleme damit, mich einfach so nieder zu starren. Weil es einfach peinlich wurde, beschloss ich, mich umzudrehen. Wenn er wollte, konnte er mir folgen. Wenn er keinen Hunger hatte, dann sollte er es eben lassen.

Ich hatte nicht erwartet, dass er mir folgen würde- aber als ich mich in der Tür umdrehte, stand er ungewöhnlich nahe bei mir.

Ich sah erschrocken hoch in seine braunen Augen, die ihre Wirkung niemals verfehlten. Er schien jedes einzelne Detail in meinem Gesicht zu scannen. Jeden einzelnen Makel, den ich jeden Morgen vor dem Spiegel verfluchte, nahm er genau unter die Lupe. Ich biss mir auf die Zunge, als ich die Spannung zwischen uns spürte. 

Ich bemerkte, dass ich ihn schon wieder nur dämlich anglotzte, also drehte ich mich um und lief in die Küche. Er sah sich in meinem Haus um und nahm alles genau unter die Luppe. Mir war das eher unangenehm.

Etwas verspätet folgte er mir, und ich füllte unsere Teller mit den Nudeln.

Es war merkwürdig, mit Jason zu essen.

 „Wer hat deine Familie getötet?“, rutschte es mir taktlos heraus. Jason hielt inne und ließ die Gabel fallen. Wieso führte er sich jetzt so auf? „Das geht dich einen Scheißdreck an“, spuckte er dann. Ich presste die Lippen aufeinander. Vorher auf dem Friedhof, da hatte ich gedacht, er hätte mich kurz hinter seine Fassade blicken lassen. Aber jetzt war er nur wieder das gleiche Arschloch

„Du erwartest also, dass ich dir glaube, was deine Eltern angeht. Aber du willst mir auch nicht sagen, was damals deiner Meinung nach passiert sein sollte?“ Er wandte den Blick ab.

„Babe…bitte tu das nicht.“ Ich presste die Lippen aufeinander. Er führte sich so idiotisch auf!

„Was?“, zickte ich heftiger als beabsichtigt. „Was soll ich verdammt noch mal nicht tun? Und ich bin nicht dein ‚Babe’, okay? Wie kannst du mich gleichzeitig eine Schlampe und dann wieder Babe nennen?“

Er ignorierte meinen kleinen Ausbruch. „Du kannst mich alles fragen, was du willst. Aber nichts über diese eine Nacht.“ Ich verschränkte die Arme. Alles? Na schön.

„Hattest du Geschwister?“ Jason schnaubte. „Das willst du wissen? Wieso?“ Also, das war einfach. „Weil ich gerne mehr über die erfahren möchte, Jason.“

Er schnaubte spöttisch. Dann stand er auf, lief in meine Richtung und bückte sich, bis er an meinem Ohr war. „Viel Glück dabei, Shawty.“ Er lächelte eine halbe Sekunde lang sein Killerlächeln, dann richtete er sich wieder auf.

„Das Essen war gut“, rief er mir über die Schulter zu, als er aus der Haustür lief. Ich fuhr mir müde übers Gesicht. Dieser Junge kostete mich einige Nerven. Immer wenn ich etwas über ihn erfahren wollte, blockte er ab! Es war doch nicht fair. Ich war doch eine vertrauenswürdige Person, nicht?

Ich wusch das Geschirr ab, bevor ich mich vor den Fernseher warf.

 

„Eilmeldung: Lucas Pray (23) wurde vor über einer Woche als vermisst gemeldet…“

 

Ich schaltete sofort den Fernseher aus. Das Bild, welches eingeblendet worden war, war exakt dieser Mann. Der Mann, den Jason heute morgen vermutlich ermordet hatte. Und jetzt würde er nie wieder gefunden werden. Mir drehte sich der Magen um, und ich erinnerte mich an Jasons Worde:

 

„Er kriegte, was er verdiente.“

 

Jason war so ein Monster. Aber mein Verstand versuchte mir immer wieder einzureden, dass es nicht seine Schuld war, dass er so war. Dass er einen guten Grund hatte, so zu sein.

Mein Verstand sollte einfach seine Klappe halten!

 

-

 

„Wieso?“

Ich seufzte. „Ich hatte den Bus verpasst, deshalb wollte ich zu Fuss los. Auf dem Weg ist mir plötzlich total schlecht geworden, deshalb bin ich umgedreht. Ich fühlte mich nicht gut genug, um in die Schule zu gehen. Und da wart ihr schon aus dem Haus, als ich wieder kam. Ich hab den Lehrern schon bescheid gegeben“, log ich meine Mutter ohne Mühe an.

„Sieht aber nicht so aus, als würde es dir jetzt schlecht gehen“, erwiderte sie nur und fühlte meine Stirn. „Ich hatte ja auch einen ganzen Nachmittag zeit, um mich zu erholen“, lächelte ich matt.

„Honey, wenn irgendwas ist… du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst.“ Ich lachte. „Natürlich, Mum!“ Sie nickte und überlegte wohl, ob sie noch was sagen sollte. „Ich und dein Vater, wir machen uns Sorgen.“

Beinahe hätte ich schon wieder aufgelacht. Wenn sie nur wüssten...!

„Müsst ihr nicht. Mir geht’s Bestens“, log ich.  Sie warf mir einen unsicheren Blick zu, ehe siie die Tür hinter sich schloss, und ich alleine war. Es war echt so verrückt, wie sehr Jason mein Leben schon verändert hatte.

Nein, nicht verrückt. Es war ungesund. Aber ich war fasziniert von ihm. Oder vielleicht hatte ich auch nur Mitleid.

Oder vielleicht stieg mir das alles zu Kopf, und ich drehte bald durch…

 

 

Protector

Chapter Thirteen

 

Gedankenverloren steckte ich den Zettel in meine Hosentasche.

„Wieder dein Verehrer?“, fragte Cher schnaubend. Ich warf ihr einen genervten Blick zu. Dass sie immer noch auf dieser Sache rumritt, stresste mich.

„Vergiss es, Cher. Ich habe keine Verehrer, hab ich dir doch schon gesagt.“ Und das machte mir rein gar nichts aus! Cher verdrehte die Augen. „Ach nee“, schnaubte sie sarkastisch. Ich runzelte die Stirn und sah sie fragend an. „Siehst du nicht, wie die alle bei dir Schlange stehen?“, erbarmte sie sich meiner. Was zur...? Was laberte sie da?

„Die sind doch alle hinter dir her?“, versicherte ich ihr. Ich hatte keine Nerven für ein Cher-Drama! Sie warf sich verärgert die roten Haare über die Schulter. Diesmal funktionierte die Schleimer-Taktik also nicht. „Stell dich nicht dumm, Cade! Du weißt, sie alle freunden sich nur mit mir an, um an dich ranzukommen.“ Ich schnaubte. Das war ja mal überhaupt nicht wahr! Klar, ich verstand mich mit vielen Leuten gut. Das hieß aber nicht, dass die alle an mir interessiert waren!

„Keine Ahnung was du da für 'nen Mist laberst. Aber wir müssen jetzt in den Unterricht.“ Cher schüttelte augenrollend den Kopf.

„Wir haben jetzt 'ne Freistunde, Cade. Was ist überhaupt mit dir los? Du bist so komisch in letzter Zeit! Immer bist du abwesend, und du meldest dich gar mehr bei mir“, jammerte sie. Ich presste die Lippen aufeinander. Mum und Dad konnte ich vielleicht an der Nase herumführen. Meine beste Freundin nicht.

„Mach doch wieder mal was mit mir! Hast du heute Nachmittag Zeit?“ Ich nickte.

„Dann triff dich mit mir in der Mall! Um Vier Uhr?“ „Okay“, meinte ich widerstrebend. Zufrieden packte sie ihre Bücher. „Ich geh jetzt zum Cheerleading.“ Sie umarmte mich und verschwand dann zu ihren anderen Teamkolleginnen.

Toll, und was sollte ich jetzt machen?

Ich trat heraus auf den Mini-Campus und setzte mich auf eine Bank. Ich hatte schon lange nicht mehr gelesen, keine Zeit gehabt. Aber jetzt war die perfekte Gelegenheit dafür. Ich packte mein Buch aus und versuchte ganz in seine Welt hineinzutauchen. Aber Fehlanzeige! Ich konnte mich einfach nicht darauf auf die Wörter und Buchstaben konzentrieren. Verärgert klappte ich es wieder zu, als ich mir zwischen jeder Zeile Jasons Gesicht einbildete. Verdammt!

Ich sah mich gelangweilt um und wandte meinen Blick nach rechts. Dort sah ich nur wieder mal Paisley, die Oberbitch, wie sie an der Schulwand mit jemandem herummachte. Gerade als ich meinen Blick angewidert abwenden wollte, sah ich, mit wem sie da rummachte.

Ich kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme. Aha.

 

„Er ist wirklich ein Krimineller und sein Frauenverschleiß ist echt widerlich! Versprichst du, dass du dich von ihm fernhältst?"

 

Notiz an mich: Höre immer auf deine Freunde!

Oh Gott, musste ich mir das echt geben? In diesem Moment fing Jason, Paisleys Knutschpartner, meinen Blick ab, schenkte mir sein McCann-Grinsen und zwinkerte mir spielerisch zu. Pff! Arschloch.

Ich streckte ihm kindisch die Zunge heraus. Was ich da sah, brachte mich gewaltig auf die Palme. Jason war so ein Flittchen! Paisley war sogar für ihn zu tiefes Niveau. Und ich war nicht eifersüchtig. Überhaupt nicht.

Jason stieß Paisley von sich und fuhr sich einmal durch die Haare. Sie -ganz außer Atem- rückte ihren Rock wieder zurecht. Igitt, wie eklig das war! Sie hatte es ja so nötig! Jason warf mir einen letzten Blick zu, bevor er einfach verschwand.

Ja, so ist’s recht, du Arsch! Sieh bloß zu, dass du Land gewinnst!

Gott, wieso regte mich das nur wieder so auf? McCann konnte doch rummachen, mit wem er wollte! Und Cher hatte mich ja davor gewarnt! Auch ich klaubte aufgewühlt meine Sachen zusammen und schritt auf die Schule zu.

Den Rest der Freistunde würde ich in der Bibliothek verbringen…

 

-

 

Dieses Kleid würde dir super stehen.“ Cher's Enthusiasmus ließ mich die Augen verdrehen. „Geht’s noch kürzer?“, erwiderte ich und zeigte ihr den Vogel. Cher setzte ihren Hundeblick auf. „Bitte, das würde sich voll lohnen! Grau ist total deine Farbe, und du findest bestimmt einen Anlass! Zum Beispiel eine nächste Party!“ Grummelnd nahm ich den Fummel an mich. Es war unmöglich, sich nicht von Cher's Dackelblick einlullen zu lassen.

Schon seit Stunden wanderten wir durch die Mall. Mittlerweile häuften sich unsere Tüten und auf meiner Golden Card herrschte Ebbe. 

Ich bezahlte das Kleid, packte es in eine der blauen Tüten und steuerte mit meiner besten Freundin auf den Ausgang zu. Das Einkaufszentrum schloss in zehn Minuten, da es schon 20.30 Uhr war.

Wir stolperten -geschafft vom Shopping-Tripp- gerade wieder zur U-Bahn Station, um Nachhause zu fahren. „Man ey, wieso hab ich meinen Wagen nur geschrottet“, jammerte Cher und blickte auf ihre 12cm Louboutins. Ihre Knöchel waren geschwollen und ich wettete auf all meine Bücher, dass sie an jedem Zeh Blasen hatte.„Das kommt davon, wenn man Luke besoffen ans Steuer lässt! Hättest dir ja denken können, dass der Blödmann damit die ganze Stadt über den Haufen fährt.“ Wir kicherten unterdrückt. Luke war die männliche Paisley- wortwörtlich. Er bumste alles was nicht bei drei auf dem Baum war und hatte Cheryls Auto (ein Geburtstagsgeschenk) kaputt gefahren, weil er zu betrunken gewesen war. 

Man, wie waren Cher's Eltern ausgerastet!

Auch meine Füße taten vom vielen Laufen schrecklich weh, auch wenn ich nur Sneakers trug. Es war dunkel und wir mussten noch zehn Minuten bis zur Metro laufen.

„Wieso rennst du eigentlich so?“, bescherwerte sich Cher keuchend.

Ich biss mir auf die Lippen. Wieso ich so rannte? Weil ich ein ungutes Gefühl hatte, deshalb. Naja, irgendwie war das ja auch berechtigt. Sobald die Dunkelheit anbrach, kamen Leute wie Jason McCann aus ihren Löchern gekrochen.

Wir überquerten quatschend die grün gewordene Ampel und waren so in unser Gespräch vertieft, dass wir den Wagen gar nicht bemerkten, der auf uns zudonnerte. Cher hob den Kopf. „Scheiße“, kreischte sie mit weit aufgerissenen Augen und ließ ihre Tüten fallen. Verwundert folgte ich ihrem Blick erschrak mich beinahe so heftig wie sie! 

Der silbergraue Wagen hielt schlitternd vor uns und schnitt uns den Weg ab, sodass wir keine Chance hatten, ihn zu umgehen. Ich betete, dass der Kerl, der gerade ausstieg nicht zu uns wollte. Aber wieder mal wurde mein Flehen nicht erhört. „Hey, ihr Süßen.“

Der dunkelhäutige, beängstigend muskulöse Junge zwinkerte uns zu und lehnte sich an die Motorhaube. Über seinem linken Auge, quer übers Gesicht zog sich eine lange, wulstige Narbe. Er war hässlich. Und Angst einflößend. Und ich hatte ihn noch nie in meinem ganzen Leben gesehen, also wusste ich auch nicht, auf was er aus war.

Sein Blick blieb an mir hängen, und er lächelte mir gespielt freundlich zu. Also wollte er doch zu mir. In seinen geweiteten Pupillen lag ein gefährliches Glitzern. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter und schob die aufkeimende Angst in die hinterste Ecke meines Kopfes. Jetzt war keine Zeit dafür, jetzt musste ich mir schnell etwas überlegen.

„Ich bin Matt.“ Ich hätte ihm am liebsten mitgeteilt, wie wenig mich das interessierte. Und wer glaubte er, war er- der König der Straßen? Wenn der seine Scheißkarre nicht bald weg fahren würde… Tja, was dann? 

„Kann ich dir helfen?“, fragte ich erst mal und reckte das Kinn. Erst mal die mutige Nummer- mein Plan B wäre dann wegrennen und Schreien wie ein Baby. Nur würden wir nicht weit kommen und Cher bei diesem komischen Kerl zu lassen, kam nicht in Frage.

„Ja. Ja, das kannst du in der Tat. Wie unüberlegt von McCann, sein Mädchen um diese Uhrzeit aus den Augen zu lassen, oder findest du nicht?“ Ich schnaubte. Schon wieder so einer? „Ich muss ihn nicht um Erlaubnis bitten.“ Cheryl sah mich verwirrt von der Seite an, bevor ihr Blick auf den schwarzen Mann fiel. Ihr Blick war pikiert, als sie ihn musterte. Bestimmt war ihr noch nie so einer begegnet.

„Entschuldigen Sie, aber da muss eine Verwechslung vorliegen! Cadens hat rein gar nichts mit Jason McCann zu tun“, versicherte sie nervös. Ihre Stimme wechselte zu einem angewiderten Ton, als sie Jasons Name aussprach. Und das störte mich.

‚Matt’ warf ihr einen mitleidigen Blick zu. „Es scheint so, als kennst du deine ‚beste Freundin’ wohl nicht so gut, wie du denkst, was?“, meinte er amüsiert.

Cher sah bestürzt zu mir rüber. „Cade? Sag dem Mann da, dass du nicht McCann’s Mädchen bist! Dann können wir Nachhause.“ Sie sah mich flehend an.

Jetzt war es offiziell: In meinem Job als ‚ABFF’ war ich definitiv am Abhacken. Und zwar so richtig. Mit einem schlechten Gewissen und einer Megapanik im Anmarsch fuhr ich mir durch die Haare, um mich zu beruhigen.

„Hör mal, wir haben jetzt keine Zeit. Ein Andermal können wir uns gerne unterhalten, aber jetzt ist es extrem ungünstig- wenn du uns also entschuldigst?“, versuchte ich es leicht verzweifelt. Gott! Er sollte sich vom Acker machen!

Matt stieß sich ab. „Netter Versuch, Kleine. Und jetzt steigt ein, ihr Schlampen. Sofort.“ Er machte keine Scherze, er war verdammt ernst!

„Okay, aber lass sie gehen.“ Ich deutete auf Cheryl, die kurz vor einem Herzinfarkt stand. Matt grinste spöttisch. „Wie ehrenhaft von dir. Du hast Glück, dass ich heute gute Laune habe und dir für diesen Satz nicht die Kugel gebe.“ Okay, mit Matt war wohl nicht gut Geschäfte zu machen. Er seufzte genervt, als wir immer noch nicht reagierten.

„Wieso muss man euch Huren immer erst vergewaltigen, damit ihr tut, was man euch sagt?“

Er zog blitzschnell eine Pistole aus der Gesäßtasche und feuerte einen Schuss ab. Die Kugel verfehlte mich zwar absichtlich um einen Meter aber -Hallelujah- ich bekam trotzdem total Schiss! „Wenn du nicht einsteigst, leg ich deine Freundin zuerst um. Nur um deine Entscheidung zu beschleunigen.“ Cher wimmerte erschrocken. Ich war so eine miese Freundin! Sie musste eine Höllenangst durchstehen, nur wegen mir!

„Okay“, willige ich mit belegter Stimme ein. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Hilfe! Wo blieb Jason, wenn man ihn brauchte?

  

McCann PoV

 

Verdammt, wo war sie? Ich hatte sie doch nicht verloren, oder? Einmal ließ man sie aus den Augen, schon war sie verschwunden! Ich hatte sie und ihre Freundin beim Ausgang verloren, und ich hatte keine Ahnung, wo sie hätte sein können! Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare und checkte meine Nachrichten.

 

Wo ist sie? - Sean

 

Ich hab sie nicht mehr im Blick. Chris? - Austin

 

Wir haben sie verloren. - Chris

 

Fuck. McCann? Was jetzt? - Sean

 

Teilt euch auf und sucht. Sofort, befahl ich allen. 

 

 

Kiss

Chapter Fourteen

 

Ich leckte mir über die Lippen, schloss die Augen und dachte genau nach. Wo konnten sie jetzt sein? Ich lief auf den Ausgang zu und stand vor dem riesigen Einkaufszentrum. Welche Richtung? Sie waren nicht mit dem Auto gekommen...

Die Metro Station! Ich rannte die Straße entlang. Was, wenn ihr was passiert war? Mir drehte sich schmerzlich der Magen um, als ich mir vorstellte, was ihr alles passiert sein könnte.

 

Beruhige dich, McCann!

 

Ich rannte weiter und blieb wie vom Donner gerührt stehen, als ich den Schuss hörte. Den Schuss aus der Glock. Und der Einzige, der so eine besaß, war... Ich biss die Zähne zusammen. Nein, nein, nein, nein, nein, nein!

Nicht er! 

Ich rannte los. Rannte so schnell ich konnte. Nicht an ihn würde ich sie verlieren! Nicht an dieses nutzlose Stück Scheiße! Ich bog um die Ecke und sah seinen Wagen. Es war immer noch derselbe. Ich sah mein Mädchen und ihre Freundin. Cade war gerade dabei in seine Karre zu steigen- war sie lebensmüde? 

„Wage es ja nicht in dieses Auto zu steigen, Cade“, schrie ich sauer. 

O'Shea warf mir ruhig einen amüsierten Blick zu und ließ sie los. Gut für ihn, denn sonst hätte ich ihm den Arsch aufgerissen. „McCann“, lachte er erfreut und musterte mich. Was für ein Mistkerl! „Komm her“, knurrte ich Cade an und zog sie an meine Seite. Cade zog ihre Freundin gleich mit und platzierte jene hinter mir.

Ich sah in O'Sheas Visage und ich musste mich dazu zwingen, ihn nicht auf der Stelle umzubringen. Mich nicht auf ihn zu stürzen, um ihm die Visage zu polieren. Und mir war noch nie irgendwas so schwer gefallen.

„Du bist wieder hier?“, fragte ich an ihn gewandt. Er ließ die Pistole sinken und lächelte gespielt freundlich. Er sollte diese Scheiße lassen! „Ja. Schön, dich zu sehen, McCann. Du hast dich nicht verändert.“ Ich schnaubte. „Gleichfalls.“

Er lächelte vergnügt. Verfluchter Idiot, ich wollte ihm das Grinsen aus dem Gesicht schlagen. „Du hast da was.“ Ich deutete auf sein Gesicht, genauer gesagt auf seine hässliche Narbe quer über seinem Gesicht. Ich hatte nicht gedacht, dass es so schlimm aussehen würde. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war sein Gesicht zwar blutüberströmt gewesen.

Er kniff zornig die Augen zusammen. „Von wo hast du die noch mal?“, machte ich weiter. Ich dachte gespielt nach. „Ach ja! Die ist ja von mir, als ich dich verprügelt habe. Hör zu, du Bastard. Wenn du meinem Mädchen auch nur ein Haar krümmst, ritze ich dir meinen Namen quer über deine Drecksvisage, hast du verstanden, du Abschaum?“, zischte ich hasserfüllt.

O'Shea lächelte wieder, als hätte ich nichts gesagt. „Ach ja? Werd erwachsen, McCann! Du kannst sie nicht ewig beschützen. Irgendwann kriege ich sie. Und dann wird sie meinen Namen schreien. Außerdem…“, er holte tief Luft, „kann ich’s ihr sowieso besser besorgen als du.“

Gerade als ich auf ihn los wollte, wurde ich von hinten gepackt. Wer wagte es? Ich donnerte Chris die Faust ins Gesicht, sodass er mich losließ. Sie sollten mich in Ruhe lassen, ich würde diesem Hurensohn hier vorne gehörig die Fresse polieren! Ich packte O'Shea, drückte ihn an die Motorhaube, legte meine Finger um seinen Hals und drückte zu, solange bis er winselte. „Ich warne dich! Verpiss dich aus meiner Stadt, du widerwärtiger Ficker. Oder du wirst es bereuen.“

Damit ließ ich ihn los. Er keuchte und japste nach Luft. „Ich krieg sie noch“, versprach er atemlos, stieg hastig in seinen Wagen und bretterte los. Schwer atmend stand ich da und schaute seinem Wagen nach.

„Der wird nicht verschwinden“, bemerkte Sean seufzend. „Ich weiß“, spuckte ich angepisst.

„Würde mir mal bitte jemand erklären, was hier vor sich geht?“, zickte Cadens' Freundin. Gott, wer hatte diese nervige Bitch denn bitte herbestellt? „Cade, du bist doch nicht etwa Jason McCanns Freundin?“ Ich schnaubte. Freundin. Was für ein bescheuertes Wort.

„Hast du 'n Problem damit?“ Die Rothaarige starrte mich empört an. „Rede nicht mit mir, du Krimineller!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Immer diese Bitches. Die waren es nicht wert, dass man sie beachtete.

„Ich bringe dich Nachhause“, wandte ich mich an Cadens. Ich hielt ihren Blick kurz gefangen, aber ich konnte nicht erkennen, was in ihr vorging.

„Okay… Cher, ich ruf dich an.“ Sie warf ihrer Freundin einen flehenden Blick zu.

„Chris… bring du die Andere nach Nachhause.“ Auch wenn ich diese rothaarige Hexe zu gerne in O'Sheas Arme gejagt hätte, tat  ich es nicht. Ich wünschte nicht mal meinem größten Feind so jemanden wie ihn an den Hals. Chris nickte, schnappte sich diese Bitch und zog sie weg.

„Danke“, murmelte Cade mir zu, als wir uns von den anderen Jungs entfernten. Ich zuckte die Schultern. „Ich tu meinen Job.“ Sie nickte und wir stiegen in meinen BMW, mit dem Chris hierhergefahren war.

„Wer war dieser Kerl? Er scheint dich nicht zu mögen“, fragte sie, während ich mich in den Verkehr einfädelte.

„Dieses Arschloch ist der Grund, warum ich in diese ganze Scheiße gerutscht bin“, erklärte ich hart und presste die Lippen aufeinander, während ich die Spur wechselte. Mehr durfte sie nicht erfahren. Sie durfte nicht erfahren, was mir diese Missgeburt damals angetan hatte! 

Aber eins war klar: Er wüde dafür büßen müssen! Und zwar hart. 

Cadens sah mich verwirrt an, fragte aber nicht weiter nach. Braves Mädchen. Sie hatte wohl gelernt, dass ich ihr nichts sagen würde. Meine Finger krallten sich ins Lenkrad, während es still blieb.

„Ich hoffe du weißt, dass ich dich von jetzt an nicht mehr aus den Augen lasse.“, informierte ich sie. Wir waren gleich bei ihr Zuhause.

Es durfte nicht noch einmal passieren, dass sie bedroht wurde.

„Ja, ich weiß“, nickte sie. „Das heißt, du musst mir immer sagen, wo du hingehst“, präzisierte ich. Ich hatte keine Ahnung, was sie gerade dachte. Wieder nickte sie. 

Ich warf ihr einen letzten, prüfenden Blick zu. 

„Bis dann.“ Mit diesen Worten drehte ich ihr den Rücken zu und trat den Weg Nachhause an.

 

Cade PoV

 

Ich knallte die Tür ins Schloss und lehnte mich dagegen. „Honey! Wie war der Shoppingausflug? Hattet ihr Spaß?“, wurde ich begrüßt.

Ja, großen Spaß.

„Es war toll! Ich hab schon gegessen, Mum.“ Ich rauschte an meiner verwirrten Mutter vorbei, stapfte die Stufen hoch und lief so schnell ich konnte in mein Zimmer.

Dort schloss ich ab, setzte mich aufs Bett und wiegte mich hin und her. Diese ganze Scheiße wurde langsam einfach zu viel! Es geriet alles außer Kontrolle! Ich konnte nicht mehr sorglos auf die Straßen von New York…!

Ich rollte mich auf dem Bett zusammen und wollte nur noch einschlafen. Dann fiel mir Cher wieder ein. „Shit“, fluchte ich und kramte mein Handy hervor, um ihre Nummer zu wählen.

Sie ging nicht ran. Und meine darauffolgenden Nachrichten ignorierte sie auch. Okay, ich hatte echt großen Mist gebaut! Ich rollte mich auf dem Bett zusammen und schloss die Augen. Ich wollte einfach nur noch schlafen!

 

In dieser Nacht träumte ich schlecht. Ich träumte von Matt und von anderen, dunklen Gestalten, die mich gefangen hielten. Sie lachten dreckig und amüsierten sich über mich. Und egal wie sehr ich nach Jason schrie, er kam nicht...

 

-

 

„Zeig mal her! Du glühst ja!“ Mum fühlte meine Stirn und sah mich besorgt an. „Heute bleibst Zuhause, Honey. Ich bring dir einen Tee- ist es dir egal, wenn ich heute trotzdem Arbeiten gehe?“ Nein, Mum, es ist nicht egal.

„Klar, geh nur“, lächelte ich tapfer und starrte an die Decke. Ich fühlte mich echt geplättet, es fühlte sich an als wären es hier drin an die 100 Grad! Ich starrte wieder auf mein Handy-Display.

 

Sie haben keine neuen Nachrichten.

 

Ich seufzte. War Cher jetzt sauer auf mich? Für immer? Irgendwie hätte ich es ja verdient.

Ich trank einen Schluck aus der pinken Tasse, die mir meine Mutter gerade gebracht hatte. „Bye, Honey“, schrie Mum von unten. „Bye, Mum!“, brüllte ich zurück.

 

Ich verbrachte erst mal den halben Tag damit, den versäumten Schlaf nachzuholen. Und ich versuchte immer wieder Cheryl anzurufen, oder ich bombardierte sie mit meinen Nachrichten. Klar, sie war in der Schule aber sie hätte sicher einige Minuten entbehren können!

Irgendwann kotzte ich den Tee wieder aus und musste es irgendwie aufputzen. Wieso hatte ich Mum nicht einfach gesagt, sie solle bleiben? Ich putzte mir die Zähne und ließ mich ins Bett fallen. Kranksein war so langweilig. Und es ging mir nicht mal sooo schlecht! Ich sah auf die Uhr.

18:23 In diesem Moment hörte ich das -mir mittlerweile vertraute- Prasseln an der Scheibe. Mit klopfendem Herzen hievte ich meinen Arsch hoch und öffnete das Fenster. Dann trat ich einige Schritte zurück und wartete mit klopfendem Herzen, bis Jasons Kopf aus dem Dunkeln auftauchte.

Scheiße, er sah so gut aus! Er trug ja eigentlich bloß eine tief sitzende Jeans, ein schlichtes T-Shirt und seine Cap… aber er sah verflucht noch mal attraktiver aus als Channing Tatum, Zac Efron und Harry Styles zusammen! Okay, einfach cool bleiben.

Dann fiel mir ein, dass ich wahrscheinlich hochgradig beschissen aussah! Er konnte von Glück reden, dass ich mir die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte!

Als er schon im Zimmer stand, fiel mir siedend heiß ein, dass ich nur ein durchsichtiges Top anhatte -subatrahiert mal den BH- und Baumwollpanties. Egal, das würde er schon nicht mal bemerken...

Aber da hatte ich wohl die Rechung ohne Jason bzw. die männlichen Hormone gemacht: Er starrte mich eine Sekunde lang an und seine Augen schienen dunkler zu werden. Ich konnte nur verdattert zurückstarren, während er mein ganzes Erscheinungsbild einzusaugen schien.

Und dann war er mit zwei schnellen Schritten bei mir. Ich kapierte gar nicht erst, was er vorhatte, bis er einen Arm um meine Taille schlang und mich an die Wand drängte. Zwischen unsere Körper passte kein Blatt mehr und sein Aftershave stieg in meine Nase. Oh, shit.

Mein Herz begann zu rasen und ich starrte ihn an. Seine Lider waren halb geschlossen und ich glaube, er hatte die Zähne zusammen gebissen. Was passierte hier gerade? Wieso tat er das, und wieso reagierte ich so darauf? Wieso stieß ich ihn nicht weg? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich meine Finger endlich durch seine Haare gleiten lassen wollte.

Im nächsten Moment machte er einen einmaligen Augenaufschlag und blickte mich an. Und was ich in seinen Augen sah, raubte mir den Atem. Echt, noch nie hatte mich jemand so angesehen. So voller unkontrollierbarer Begierde! Von McCann hätte ich das im Übrigen zuletzt erwartet.

Dann donnerten seine Lippen plötzlich auf meine. Und ein Kuss von Jason McCann sollte verboten werden! Er sollte verboten werden! Seine Lippen waren weich und bewegten sich auf meinen. Und es war echt nicht zu verachten! Was redete ich da- mein erster Kuss mit Jason war das Beste, was mir in meinem ganzen Leben passieren konnte!

Eine Hand lag auf meinem Rücken, die Andere hatte er an der Wand zur Faust geballt. Sein McCann-Geruch vernebelte mir die Sinne und ich presste jeden einzelnen Teil meines Körpers an ihn. 

Ja, verdammt! Ich wurde gerade von einem Kriminellen geküsst und ich fuhr voll drauf ab, okay? Seine Lippen zündeten mich an, und die Flammen leckten an jedem einzelnen meiner Körpertele, schienen durch die Haut zu sinken und meine Venen entlang zu pumpen. Er spannte seinen Kiefer an.

Der Kuss dauerte nur ein paar wenige Sekunden, aber in dieser Zeit wurde eine Welle an Emotionen durch meinen Körper geflutet. Meine Hormone spielten verrückt und ich seufzte.

Aber dann war es vorbei, so schnelll wie es gekommen war.

Er löste seine Lippen von meinen, beinahe hätte ich ein ‚Mehr’ gewimmert, und wanderte damit zu meinem Hals. Sein warmer Atem streifte mein Ohr und ich zitterte…

Und dann sprach er mit seiner rauen, sexy Stimme:

„Shawty, ich spiele in Gedanken gerade jede Möglichkeit durch, wie ich dich dazu bringen kann, meinen Namen zu schreien. Also zieh dir was an, wenn du nicht willst, das es so endet.“ Mit diesen Worten drehte er den Spieß um, sodass er an der Wand hinter der Tür stand. Schnell stieß er mich von sich in Richtung Zimmermitte und im selben Moment ging die Tür auf.

Gott sei Dank war McCann nicht so vertief wie ich gewesen, hatte meine Mutter rechtzeitig gehört und reagiert! Aber bitte, Mum, dreh dich jetzt nicht um! Verdattert starrte ich sie an.

„Geht’s dir besser?“, fragte sie und schien nichts von meiner Nervosität zu bemerken.

Ich nickte aufgekratzt. „Ja, alles Bestens, Mum“, lächelte ich nervös. Sie hob eine Augenbraue. „Bist du dir sicher?“ Ich nickte. „Ganz sicher! Ich möchte jetzt lieber noch ein wenig Schlafen.“ Höflich übersetzt bedeutete das: Mach dich vom Acker!

Sie gehorchte und wollte sich umdrehen. Ich packte ihren Arm, als sie sich auf die linke -falsche- Seite drehen wollte. „Oder, nein! Könntest du mir noch mal einen Tee machen, bitte?“

Sie nickte verwirrt und ich lotste sie auf die richtige, ungefährliche Weise aus dem Raum. Erleichtert drehte ich den Schlüssel im Schloss.

Und als mein Gehirn verspätet bemerkte, was ich da gerade getan hatte, lief ich knallrot an! Oh scheiße! Jason schien im Gegensatz rein gar nichts zu bereuen und grinste McCann-Mässig und super wissend à la: Ich weiß, ich hab dich gerade voll angeturnt.

Fuck! „Was?“, blaffte ich gestresst und sein Grinsen wurde breiter. „Komm runter, Babe.“ Ich konnte nicht fassen, dass seine Stimme immer noch diesen anziehenden Klang hatte! Wieso tat er mir das an?

„Ich wollte nur nachsehen, ob du noch lebst, weil du heute nicht in der Schule warst. Scheint ja alles Bestens zu sein.“ Er zwinkerte mir zu. Aha.

„Du gehst jetzt besser“, befahl ich hastig und deutete auf’s Fenster. Jason fand das gar nicht peinlich. Er fand es eher urkomisch, denn er lachte unterdrückt.

Und wenn er lachte, sah er auch gut aus- wenn man’s genau wissen will! Dann wandte er beinahe gequält den Blick ab. „Babe, ich kann nicht gehen, solange du dir nicht was angezogen hast.“ 

Ich zuckte zusammen und nickte langsam, bevor ich mich nach meinem Pulli bückte. Und als ich mich wieder aufrichtete, war er verschwunden.

Fuck. Ich. Hatte. Jason. McCann. Geküsst. 

 

Und das Beste war: Es hatte mir gefallen!

 

 

Trust

Chapter Fifteen

 

Ich gähnte und linste auf die Datenanzeige des Weckers.

7:02.

„Verdammt“, fluchte ich und rappelte mich auf, um so schnell wie möglich aus dem Bett zu klettern. Ich stolperte zum Fenster und sah hinab auf die Straße. Der Bus fuhr gerade los. Ohne mich.

Verflucht noch mal!!!

Schnell flitzte ich ins Bad, wusch mir das Gesicht und schlüpfte in neue Klamotten. Dann band ich mir die Haare hoch, legte etwas Make Up auf und stürmte nach unten. Die Küche war leer, als ich ankam.

Am Marmeladenglas klebte ein grünes Post-It.

 

Hey, Honey! Du willst heute bestimmt noch Zuhause bleiben, deshalb habe ich dich schlafen gelassen! Mach dir einen schönen Tag!

Dein Vater kommt heute früher Nachhause.

Xo, Mom

 

Ich zerriss den Zettel, nahm mir meine am Vortag gepackte Tasche und schlüpfte in meine Boots. Noch nie war ich so schnell aus dem Haus gestürmt. Und jetzt stand ich mitten auf der Straße und ließ die Tasche ratlos auf den Boden sinken. Erst dann holte mich mein Verstand ein: Was tat ich hier eigentlich? Wie eine Verrückte zu rennen- ich wusste nicht mal, wie ich zur Schule kommen wollte! In den Park würde ich bestimmt nicht mehr! Eigentlich könnte ich sowieso Zuhause bleiben. Was wartete in der Schule schon groß auf mich- eine wütende Cheryl?

Nein, aber ein heißer Jason.

Ach, halt die Klappe!

 

McCann PoV

 

„Bitte, McCann, überleg dir diese Scheiße gut.“ Ich knurrte aufgebracht und wirbelte zu Austin herum.

„Auf was warten! Bis dieses Arschloch kommt und sie sich auch noch holt? Vergiss es! Ich habe alles an dieses Stück Scheiße verloren. Cadens kriegt er nicht!“ Ich presste die Lippen aufeinander und wühlte in meiner Hosentasche, um diese beschissenen Dinger zu finden. Aufgewühlt warf ich zwei der Pillen ein und lief vor Austin hin und her.

„Du bist sauer McCann, du kannst nicht klar denken. Tu jetzt nichts Unüberlegtes, denn genau darauf wartet er. Okay?“ Ich nahm die Hände aus meinen Haaren und ließ sie hilflos sinken.

„Wie soll ich denn bitte nichts Unüberlegtes tun, wenn dieser Bastard wieder in meine Stadt kommt, nachdem ich ihn verjagt hatte“, brüllte ich. Jared, der sich bis jetzt immer im Hintergrund gehalten hatte, nahm mich zur Seite.

„Beruhige dich, bro! Noch nicht jetzt! Aber bald kriegt er was er verdient, und dann, verspreche ich dir, kannst du mit ihm anstellen, was du willst. Aber nicht jetzt. Denk an die Kleine, wenn du jetzt die Nerven verlierst, leidet sie darunter!“

Ich schnaubte. Cadens war mir prinzipiell so was von scheißegal. Das versuchte ich mir zumindest einzureden. Ich wollte nur nicht noch jemanden an diesen Hurensohn verlieren, daurm ging es. Diesen Triumph durfte ich ihm nicht gönnen. Nicht schon wieder.

„Ach, fickt euch.“ Mit diesen Worten schnappte ich mir irgendwelche Schlüssel und stürmte aus dem Haus. Draußen setzte ich mich in den Benz, ließ den Wagen anspringen und drückte auf's Gaspedal. Ich leckte mir über die Lippen, bevor ich eine Zigarette dazwischen schon und das Lenkrad kurz los ließ, um sie anzuzünden.

Erleichtert zog ich daran und spürte, wie sich die Anspannung von mir löste.

Die letzten paar Stunden waren die Hölle gewesen.

Dieser Bastard war wieder in der Stadt. Die waren auf die beschissene Idee gekommen, ihn aus dem Gefängnis zu lassen, obwohl er wegen Mordes eingebuchtet worden war! Da kam man so schnell nicht wieder raus! Klar, O'Shea hatte seine Leute, aber trotzdem hätte es Jahre dauern müssen, bis er sich rausgebox hätte! Es kam mir vor wie gestern, als er festgenommen wurde.

 

„Ich bin noch nicht fertig mit dir.“

 

Das waren seine letzten Worte gewesen, bevor er abgeführt wurde. Seine Versprechen hatte er noch nie gebrochen. Da waren wir uns ähnlich. 

Ich bog um die Ecke und fuhr die Straßen entlang. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine vertraute Gestalt war. Ich nahm einen letzten Zug und drückte den Stummel im Aschenbecher zwischen den Frontsitzen aus. Ich war ein Stück an ihr vorbeigefahren, also legte ich den Rückwärtsgang ein und fuhr zurück. Offenbar hatte Cade ihren Bus verpasst und wusste jetzt nicht, was sie tun sollte. Ich ließ kurzerhand das Fenster hinunter und winkte sie herein. Sie sollte sich beeilen, ich war spät dran!

„Danke“, lächelte sie erleichtert und ließ sich in den Sitz neben mir gleiten. Ich warf ihr ein mattes Lächeln zu und drückte das Gaspedal erneut durch, während sie sich noch anschnallte. Endlich hatte ich mich ein wenig beruhigt -wenn sie da war, fiel es mir leichter, nicht durchgehend irgendjemanden abknallen zu wollten- und fuhr mir müde über die Augen. Die ganze Nacht hatte ich meine Leute kontaktiert, um so viel wie möglich zu erfahren. Und erneut verfluchte ich Austin dafür, mich an eine normale Schule zu schicken. 

Wir schwiegen eine Weile- ich hatte nicht das Bedürfnis, Cadens irgendwas mitzuteilen. Ich war selbst viel zu sehr mit mir beschäftigt, und mit dieser Sache. 

„Hast du gut geschlafen?“, fragte sie schließlich und unterbrach meine Gedankengänge. Ich runzelte die Stirn. So etwas war ich noch nie in meinem Leben gefragt worden. Wieso sollte es jemanden interessieren, wie ich geschlafen hatte?

„Nein“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie ihre Brauen hoch. „Hattest du was zu tun?“, wollte sie vielsagend wissen. „Ja“, gab ich knapp zurück und presste die Lippen aufeinander.

Du bist ein Lügner, McCann, spottete ich innerlich.

Die Wahrheit war- ich konnte seit Jahren nicht mehr richtig schlafen. Aber das brauchte die Kleine nicht zu wissen.

 

An der Schule angekommen stiegen wir beide aus. Wir waren jetzt alles andere als spät dran, dafür hatte ich wahrscheinlich etliche Strafzettel am Arsch. Nicht, dass es mich interessierte.

„Danke für die Fahrt“, lächelte sie und musterte mich. Ich hob eine Augenbraue. Ich mochte es nicht, so unter die Lupe genommen zu werden.

Die Kleine drehte sich weg, um auf die Schule zu zulaufen, blieb dann aber plörtlich wie vom Donner gerührt stehen. Ich folgte ihrem Blick und sah die Cheerleader-Clique.

Ihre rothaarige Freundin war mitten unter ihnen und sah heute aus wie ne Nutte vom Strich. Sie lachte gekünstelt, schmiss sich an Typen ran und klimperte mit den Fake-Wimpern. Ich verachtete solche Schlampen wie sie. Was hatte diese Hexe für ein Problem? Sie lief doch sonst nie so rum, soweit ich mich erinnern konnte. Ich sah Cade hinterher, die traurig zu Boden blickte und weiter lief.

Wie immer folgte ich ihr wie ein Schatten.Die meiste Zeit bemerkte sie das gar nicht, nur hin und wieder entdeckte sie mich und für eine Millisekunde hielt ich ihren Blick gefangen, bevor ich wieder untertauchte. Ich musste meinen Job gut machen, besonders jetzt, da O'Shea in der Stadt war...

 

Cadens steuerte heute Mittag in der Cafeteria ohne Umschweife meinen Tisch an. Normalerweise ass ich immer alleine, und das war auch gut so. Die Leute hatten Schiss vor mir, aber das machte mir nichts aus. Es war nicht so, als ob ich mit jemandem dieser Idioten etwas hätte anfangen können! Alles vorurteilende Pisser.

Ich war jedenfalls nicht der Einzige, der überrascht von ihr war. Die halbe Schülerschaft sah ihr dabei zu, wie sie sich ihren Weg bahnte und vor meinem Tisch stehen blieb. Ich hob fragend eine Braue.

„Darf ich mich setzen?“, fragte Cade und kaute schüchtern auf ihrer Unterlippe. Ich nickte widerwillig und sie stellte ihr Tablett neben meines. Es war nicht so, dass ich sie hasste- mittlerweile vertrug ich ihre Präsenz ziemlich gut. 

Trotzdem ass ich lieber alleine. Ich starrte in die Luft, während sie das hässliche Cafeteria-Essen ass und aus den Augenwinkeln zu mir rüber linste. Auch wenn sie dachte, ich sähe es nicht- ich sah alles.

 

Mein Handy vibrierte in der Hosentasche und als ich auf das Display sah, bemerkte ich, dass es eine unbekannte Nummer war. Ich nahm den Anruf entgegen und ignorierte Cadens' neugierigen Blick.

„Was hast du mir zu sagen, du kleiner Scheißer?“, murmelte ich verärgert. Ich wusste auch ohne Bestätigung, dass es O'Shea war, der mir diese Nachricht geschicht hatte. Seine Leute waren überall, es war für ihn ein Kinderspiel, an meine Nummer zu kommen. 

Ein Schnauben am anderen Ende. „Ich bin schockiert, wie du deine alten Freunde behandelst“, erwiderte er. „Ich wollte dir nur einen schönen Tag wünschen“, ein drohender Unterton lag in seiner Stimme. „Und richte deiner Freundin guten Appetit aus“, spottete er. 

Mein Gesicht fror zu Eis und ich ließ meinen Blick von Fenster zu Fenster gleiten. Dieser Wichser beobachtete sie doch nicht etwa? Natürlich tat er das, woher sollte er sonst wissen, was sie gerade auf ihrem Teller hatte! Dieser kranke Hurensohn wagte es...!

„Jason? Alles okay?“, drang Cade’s Stimme zu mir. Ich nickte leicht. „Hör zu, du Wichser. Wenn ich dich in ihrer Nähe erwische-“

„Ja, schon verstanden“, unterbrach O'Shea am anderen Ende dreckig. „Aber hör zu: Wir müssen uns unbedingt mal treffen und über die alten Zeietn plaudern, findest du nicht? Man sieht sich, oder McCann?“ Ich kniff die Augen zusammen.

„Worauf du Gift nehmen kannst“, zischte ich zur Antwort. Dieses Arschloch würde schon noch kriegen, was er verdiente. Die Leitung war tot und ich fuhr mir müde durch die Haare. Ich hatte absolut keinen Nerv für diese ganze Scheiße.

„Jason, was ist los?“, fragte Cadens eindringlich. Sie hatte wohl mitbekommen, das etwas nicht stimmte. Ich konnte ihr nicht länger was vormachen. Und vielleicht war es besser, wenn sie bescheid wusste. Dann wäre sie vorsichtiger.

„O'Shea ist los! Dieser verdammte…“ Ich atmete tief durch.

„Er ist hier.“ Sie riss panisch die blauen Augen auf und blickte sich um. „Aber er wird nicht kommen. Solange du bei mir bleibst.“ Sie nickte und presste die Lippen aufeinander. Sie war ganz bleich geworden.

„Wieso hasst er dich?“, wollte sie wissen. Ich seufzte.

„Das ist eine lange Geschichte.“ Sie sah auf die Uhr. „Wir haben Zeit.“ Ich schüttelte den Kopf. „Jason…du kannst mir vertrauen! Wenn es nicht so wäre, dann hätte ich dich schon längst an jemanden verraten.“ Punkt für sie.

„Seine Narbe stammt von mir“, verriet ich ihr. Ich wartete ihre Reaktion ab, aber sie blieb ganz ruhig. Ich atmete auf. „Er hat etwas getan, was er nicht hätte tun sollen. Er hat eine Grenze überschritten“, eröffnete ich ihr langsam durch zusammengebissenen Zähne. Ich wählte meine Worte mit Vorsicht.

„Und jetzt will er Rache. Wie die anderen 99% an Menschen, die du je kennengelernt hast“, schlussfolgerte sie. „Das bringt es auf den Punkt“, bestätigte ich.

Ich sah, dass sie eine nächste Frage formulieren wollte, aber ich wollte ihr nicht mehr erzählen. Auf keinen Fall! In diesem Moment klingelte es zum Pausenende. Mein Glück!

Sie warf mir einen Blick zu. „Wir sind noch nicht fertig.“

Ich verdrehte die Augen. Dieses Mädchen..

Sie warf einen besorgten Blick aus der Fensterfront der Cafeteria und stand dann mit mir auf. „Ich vertraue dir“, war alles was sie sagte, bevor sie mir den Rücken zudrehte und weglief. Ich sah ihr hinterher und versuchte das mulmige Gefühl auszublenden. Bisher war es noch nie gut herausgekommen, wenn jemand beschlossen hatte, mir zu vertrauen.

 

Und dieses Mal würde es auch nicht so sein…

 

 

Texting

Chapter Sixteen

 

Cade PoV

 

Mein Blick wanderte zum wiederholten Male zum leeren Platz neben mir und ich seufzte traurig.

Cher hatte sich heute Morgen umgesetzt. Ohne eine Wort. Sie hatte sich nicht einmal anhören wollen, was ich zu sagen hatte! Sie hatte mich keines Blickes gewürdigt und war zu ihrem neuen Freundeskreis gegangen! 

Irgendwie konnte ich sie ja verstehen- ich hätte ihr sagen sollen… ja, was eigentlich?

Da gab es nichts zu sagen, ich war ja noch nicht mal Jasons Mädchen! Aber Cher würde vermutlich noch mehr ausrasten, wenn ich ihr die Wahrheit erzählen würde. Sie würde mich für verrückt abstempeln, mich fragen, wieso ich mich noch immer mit Jason abgab, auch wenn ich gesehen hatte, wie er Menschen bedrohte und umbrachte! Naja, irgendwie war ich ja auch verrückt! 

Mein Handy vibrierte und ich wunderte mich, wer mir mitten im Unterricht eine Nachricht schrieb! Ich biss mir auf die Lippen, als ich den Namen auf dem Screen sah. Woher zur Hölle hatte Jason meine Nummer?

 

McCann an ‚Kleine’: Hey, babe. Mir ist langweilig.

Ich verdrehte die Augen. Er hatte mich als ‚Kleine’ in seinem Handy gespeichert? Oh, Hölle! Ich unterdrückte ein dämliches Grinsen.

 

‚Kleine’ an McCann: Dann konzentrier’ dich auf den Unterricht? :p

Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er meine Nachricht las, und sich den Arsch ablachte. Auf den Unterricht konzentrieren? Nichts, was Jason McCann freiwillig tun würde!

 

McCann an ‚Kleine’: Hast du noch ’nen Rat, babe?

Blödmann, dachte ich grinsend. Ich sah vorsichtshalber auf, aber der Lehrer stand nur mit dem Rücken zu mir und schwafelte irgendwas, was wohl mit Englisch zu tun haben musste.

 

‚Kleine’ an McCann: Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, wie wichtig Lernen für die Zukunft ist? :p 

Im selben Moment wollte ich mir einfach nur in den Hintern treten und fragte mich, wie ich so taktlos sein konnte. Mit klopfendem Herzen wartete ich auf seine Antwort und checkte nervös, ob der Lehrer noch immer beschäftigt war. Es war das erste Mal, dass ich so etwas während dem Unterricht tat.

 

McCann an ‚Kleine’: Nein, aber mein Vater hat mir beigebracht, dass man langweiligen Arschlöchern nicht zuzuhören braucht, sondern ihnen die Visage poliert.

Ich zog die Brauen zusammen.

 

‚Kleine’ and McCann: Du hast noch einen lebenden Vater?

Ich hatte erwartet, dass Jasons ganze Familie tot war. Gehörte sein Vater etwa nicht zur Familie, oder wie lief das bei ihm?

 

McCann an ‚Kleine’: Du etwa nicht?

Ich verdrehte die Augen. Was für ein Klugscheißer.

 

‚Kleine’ an McCann: Du weißt, was ich meine.

Ich wollte ihn eigentlich nicht so ausfragen, aber meine Neugierde war stärker. Und ein Versuch war es wert, auf Jeden!

 

McCann an ‚Kleine’: Ja.

 

‚Kleine' an McCann: Ja, was? 

 

McCann an ‚Kleine': Ja, ich habe noch einen Vater.

Ich runzelte die Stirn und vertippte mich beinahe, so schnell wie ich die nächste Nachricht abfeuerte.

 

‚Kleine’ an McCann: Wo ist er jetzt?

Ich biss mir auf die Lippen und musste ungewöhnlich lange auf die nächste Nachricht warten.

 

McCann an ‚Kleine’ : Ich weiß nicht.

 

‚Kleine’ an McCann: Was meinst du damit?

 

McCann an ‚Kleine’: Genau so wie ich es schreibe…

 

„Ms. Montgomery?“ Ich schreckte auf, als ich die Stimme des Lehrers plötzlich neben mir hörte. Wirklich? Jetzt, wo es gerade so spannend wurde? Widerwillig legte ich mein Handy in seine ausgestreckte Hand.

„Am Ende der Stunde können sie es wieder abholen“, meinte er streng und warf mir einen merkwürdigen Blick zu, bevor er wieder nach vorne schritt und mein Handy auf seinem Pult platzierte. 

Ich unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen und ignorierte die neugierigen Blicke der anderen Schüler. Ja, die brave Montgomery schreibt im Unterricht, kriegt euch wieder ein! Ich warf ihnen einen bösen Blick zu und widmete mich widerstrebend dem Unterricht.

Dabei kriegte ich diese drei kleinen Worte nicht aus dem Kopf.

 

Ich weiß nicht.

 

Wie konnte man bitte nicht wissen, wo einem der Vater steckte? Naja, immerhin hatte ich jetzt schon wieder was über Jason herausgefunden. Sein Vater lebte also noch, wohnte aber offenbar am Arsch der Welt. Großartig.

 

Nach Unterrichtsende ging ich nach vorne, um mein Handy abzuholen und mir eine Moralpredigt des Lehrers anzuhören! Ich musste ihm versprechen, es nie wieder zu benutzen. Andernfalls wollte er meine Eltern kontaktieren. Hölle, man konnte es auch übertreiben! War doch nur einmal passiert, deswegen musste man kein Drama veranstalten.

Augenrollend lief ich aus dem Zimmer und steuerte ohne Umschweife auf den Ausgang zu. Normalerweise verabschiedete ich mich immer von Cheryl, aber da das irgendwie nicht ging, ließ ich es bleiben. 

Auf dem Parkplatz stand Jason schon und wartete auf mich. Ich war dankbar, dass er nicht ohne mich losgefahren war. Ich hätte es ihm absolut zugetraut. Unelegant ließ ich mich auf den ledernen Beifahrersitz plumpsen.

„Wieso lebst du nicht bei deinem Vater?“, platzte ich sofort heraus, nachdem einige Minuten verstrichen waren. „Du musst nicht alles wissen, Cade. Du weißt sowieso schon zu viel“, gab er finster zurück.

Ich schnaubte. „Was genau meinst du mit ‚zu viel’? Ich weiß rein gar nichts über dich“, korrigierte ich wahrheitsgemäß und beobachtete seine Reaktion.

Er biss die Zähne zusammen. „Manche Dinge gehen dich nichts an, weißt du.“ Pff! Und jetzt? Das konnte mich doch nicht davon abhalten! „Übrigens will ich nicht mehr, dass du alleine Zuhause bist.“ Ich öffnete protestierend den Mund, schloss ihn aber wieder. Es hätte keinen Sinn gemacht, mit ihm zu diskutieren. Er hatte ja recht. Wenn ‚Matt’ sich an eine öffentliche Schule traute, würde er keinen Halt vor meiner Haustür machen! Gott, den hatte ich schon fast wieder verdrängt.

 

„Meine Eltern gehen heute Abend aber essen“, informierte ich und unterdrückte es, den Blick in seine Richtung zu drehen. Vergeblich. Etwas an der Art wie er fuhr war sowas von anziehend, dass ich es beinahe nicht ertrug. Seine harten, dunklen Augen waren unbarmherzig auf die Straße geheftet, während seine langen Finger um das Lenkrad lagen. 

Seine Unterkieferkontur war perfekt, wie aus Stein gemeißelt une genau so ausgeprägt wie seine Wangenknochen. Ich biss mir auf die Zunge, da das Bedürfnis ihn zu berühren plötzlich so groß war. 

Schnell wandte ich den Blick ab.

„Dann nehm ich dich mit zu mir“, antwortete er schlichtweg. Da will ich aber nicht hin, hätte ich am liebsten gequengelt. Seine Jungs jagten mir nämlich 'ne Scheißangst ein. Die waren genauso kriminell wie er, wenn nicht sogar noch schlimmer! Aber ich hatte keine Wahl. Jason bestimmte voll und ganz über mich, ohne mein Einverständnis, wohl bemerkt! Und in dieser Situation war das vielleicht sogar ganz gut.

Nach ein paar Minuten weiterer, erfolgsloser Fragerei waren wir schließlich bei meinem Haus angekommen. Dad’s Streifenwagen stand in der Garage, er war also zur Abwechslung wirklich mal zeitig Nachhause gekommen! „Danke fürs Fahren“, lächelte ich an Jason gewandt. „Gewöhn dich lieber dran“, erwiderte er, ohne mir einen Blick zu schenken, während er sich seine Zigarette anzündete. Heiß.

Ich nickte. „Wann kommst du mich holen?“, erkundigte ich mich, nachdem ich die Tür aufgemacht hatte und jetzt heraus trat. Nun war er derjenige, der lächelte. „Wenn ich es für richtig halte, Kleine.“ Er zwinkerte mir zu und fuhr davon, alsbald ich die Tür zugeknallt hatte. Ich blickte ihm kopfschüttelnd hinterher und lief iin Gedanken versunken ins Haus.

„Hey, Daddy“, rief ich Dad zu, während ich mir Schuhe und Mantel auszog. Er nickte mir kurz zu und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf den Fernseher. Danke für die nette Begrüßung!

Ich verschwand im Zimmer und machte meine Hausaufgaben...

 

-

 

…bis Mum an die Tür klopfte. „Honey? Wir gehen dann! Hab einen schönen Abend, du kannst ja Cheryl einladen, damit du nicht so alleine bist.“ Ich zuckte zusammen und schenkte ihr verrutschtes Lächeln. „Ja, kann ich machen. Bis dann!“ Ich winkte und wandte mich wieder dem Physikbuch zu.

„Wir sind spätestens um Mitternacht wieder zurück! Essen ist noch im Kühlschrank, ja? Wir rufen an, falls wir länger bleiben.“ Sie zog die Tür hinter sich zu.

Als ich hörte, wie auch die Haustür geschlossen wurde, lief ich zum Fenster und machte es auf. Jason hatte mir vor fünf Minuten geschrieben, dass er draußen auf mich wartete. Ich starrte in die Dunkelheit und wartete, bis sich meine Augen an die schwachen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.

„Babe? Komm runter“, hörte ich ihn von irgendwo her raunen. Mein Herz machte einen Satz und raste dann doppelt so schnell weiter. Wie sollte ich denn jetzt...? Er schien mein Zögern zu bemerkten.

„Komm schon, ich fang dich auch auf“, spottete er. Ich konnte mir ein dümmliches Grinsen nicht verkneifen, schwang beide Beine aus dem Fenster und lief auf dem Veranda-Vordach bis zum Rand. Dann setzte ich mich hin und betrachtete kritisch den Untergrund. Ich hatte keine Ahnung wo Jason jetzt stand, es war stockdunkel!

„Vertrau mir, Babe. Ich pass schon auf.“ Ich biss mir auf die Unterlippe, stieß mich ab und kniff die Augen zusammen. Ich wollte keine Memme sein! Ich flog eine halbe Sekunde, dann fingen Jason mich auf. Und, oh shit, ich war nicht darauf vorbereitet gewesen. Weder mein Körper, noch mein Verstand. Seine Arme fingen meinen Sturz ab und lagen um meine Taille. Ich konnte nichts für das kribbelnde Gefühl in meiner Magengegend nicht abstellen. Es fühlte sich an, als wollten eine Million an Schmetterlingen auf einmal landen.  Mein Atem ging unregelmäßig während ich darauf wartete, dass er mich losließ. Denn ich wollte mich definitv nicht freiwillig von ihm losmachen. 

Mein Herz raste uind die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf, als ich seinen heißen Atem neben meinem Ohr spürte. Mein Rücken war an seine Brust gedrückt und ich schloss die Augen. Sein Körper schien zu glühen und seine Hitze auf meinen zu übertragen. Ich erschauerte und spürte, wie seine Lippen kurz den verfluchten Schwachpunkt hinter meinem Ohr streiften.

Holy...

Und so schnell wie der Moment gekommen war, war er auch wieder vorbei. Seine Arme verschwanden und ich war wieder fähig, normal zu atmen. Sofort schoss mir die Röte in die Wangen und ich dankte Gott in diesem Moment, dass es zu dunkel gewesen war, als dass er es hätte erkennen können.

„Komm“, befahl er so als wäre nichts passiert. Nur seine Stimme war rau und es hörte sich so an, als biss er die Zähne zusammen.  Ich folgte ihm blind durch unseren Vorgarten auf die Straße und weiter zu seinem Wgen.

 

In weniger als fünf Minuten standen wir vor dem weißen Haus, in welchem Jason wohnte. Er hielt mir die Tür auf und nickte ins Innere des Hauses. Ich zögerte.

„Ich verspreche, die Anderen haben ihre Schlampen heute Zuhause gelassen.“ „Witzig“, zickte ich, warf die Haare zurück und trat in den Flur.

„McCann, hast du die Chick wieder mitgebracht?“, rief einer der Jungs. Ich lief geradewegs und gespielt selbstbewusst ins Wohnzimmer. Dort stapelten sich Unmengen an Pizzakartons und alle saßen sie vor dem Fernseher.

Die Mapple Leafs! Komm schnell, McCann“, meinte Sean gebannt und winkte Jason zu sich. Er flitzte an mir vorbei und ließ ich auf das Sofa fallen. „Wer führt?“, fragte er und heftete seinen Blick gebannt auf den Bildschirm. Offenbar war die Mannschaft von Toronto seine Lieblings-Eishockey-Mannschaft. War ja auch kein Wunder, wo er Kanadier war!

Sie waren alle ziemlich vertieft und fachsimpelten wie die Profis, also beschloss ich, ohne Erlaubnis das Haus zu erkunden. Das würde schon niemandem schaden, und ich dachte nicht, dass sie etwas zu verbergen hatten. Ich wusste ja schon, dass sie allesamt kriminelle Psychos waren!

Außerdem hatte ich im Moment keinen Nerv nach dieser komischen Situation in unserem Vorgarten in Jasons Nähe zu sein.

Das Haus war eigentlich ziemlich groß, aber es wohnten auch sechs Leute darin. Die Küche war groß und modern und blitzblank- wahrscheinlich weil sie nie benutzt wurden. Ansonsten gab es unten nur noch eine Rumpelkammer und ein Bad. Nichts Besonderes. 

Also schlich ich die Treppe hinauf, wo sich dann wohl die Schlafzimmer befanden. Ich betrat den Gang und öffnete einfach mal wahllos irgendwelche Türen. Die ersten zwei Zimmer waren das reinste Chaos und überall lagen vergessene Kleiderstücke von Frauen herum. Typischer Jungs-Kram halt!

Ich ging wieder hinaus und wollte gerade die dritte Tür öffnen, als eine schneidende Stimme neben mir ertönte.

Dieses Zimmer ist nichts für dich, Kleine!“

 

 

Caught

Chapter Seventeen

 

Ich fuhr erschrocken herum und sah Jasons Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt. Seine Miene blieb unbeweglich und ich drehte mich wieder zur Tür um.

„Das ist dein Zimmer“, stellte ich trocken fest und versuchte mich so normal wie möglich zu benehmen.

Sein Atem war immer noch an meinem Ohr zu spüren. „Korrekt“, murmelte er und seine raue McCann-Stimme bescherte mir eine schöne Gänsehaut. Verflucht, was stellte er bloß mit mir an? Das war so unfair!

„Wieso darf ich da nicht rein?“, fragte ich leicht gekränkt von der Tatsache, dass er mit nicht zu vertrauen schien. „Das da drin ist nichts für kleine Mädchen.“ Er zog mich weg von der mysteriösen Tür bis nach unten in die Küche. Hallo? Ich war kein kleines Mädchen! Und was zur Hölle meinte er damit?

Als wir unten ankamen, war der Fernseher aus, denn das Spiel war offenbar fertig. „Was wollt ihr essen?“, fragte Sean und streckte sich.

„Pizza?“, schlug Chris vor. Alle stöhnten einstimmig auf. „Nicht schon wieder Pizza!“ Ich räusperte mich vernehmlich. Ich war zwar eine mittelgute Köchin, aber ich würde schon was hinkriegen, wenn sie was anderes wollten.

„Ich könnte was kochen?“ Sofort lagen sechs Augenpaare auf mir. Vielleicht war das gerade eine blöde Idee gewesen. Einige Sekunden verstrichen und ich spielte mit dem Gedanken, das Angebot zurück zunehmen.

„So richtig? Was Echtes zu Essen?“, fragte Chris ungläubig und riss die Augen auf. Für diesen Kommentar kriegte er einen Schlag von Sean. Ich biss mir auf die Lippen, um ein dämliches Grinsen vorzubeugen. Sie waren solche Idioten! „Ja, Chris. Echtes Essen!“

„Guck lieber auf das Verfallsdatum der Lebensmittel! Austins letzte Einkäufe sind Wochen her“, riet einer der Schwarzhaarigen und das hieß dann wohl, dass sie einverstanden waren. „Ich bin übrigens Clay. Mich und Jared kennst du ja noch nicht.“ Ich nickte ihnen zu und nahm das als Bewilligung für den Aufenthalt in ihrer Küche. Also ging ich schnurstracks in diese Richtung.

Dort angekommen inspizierte ich erst mal alles und Clay hatte recht- das Meiste hier konnte ich gleich in die Tonne treten, weil 90% der Lebensmittel am Vergammeln waren. Irgendwo fand ich noch eine Packung Nudeln und eine Dose mit Fleischsauce.

Ich mochte das Kochen, obwohl ich nicht herausragend gut darin war. Ich musste mir meine Mahlzeiten selber zubereiten, seit ich mich erinnern konnte. Meine Eltern waren ja nie viel Zuhause und an den Wochenenden gingen sie meist Essen- wie heute. 

 

Innerhalb von Minuten war ich fertig und füllte die Teller randvoll. „Essen ist fertig!“ Es blieb eine Sekunde lang ruhig, dann hörte es sich plötzlich so an, als würden sie das Sofa aus dem Fenster werfen, und alle gleichzeitig in die Küche stürmen! Ich konnte mir ein lautes Lachen nicht verkneifen!

„Ey, wie lange ich keine Spaghetti mehr gesehen hab“, rief Chris, als er sich hingesetzt hatte. Ich sah ihnen amüsiert zu, wie sie meine mittelmäßigen Nudeln herunter schlangen, als wäre es Jesus-Essen!

Wenn ich es mir recht überlegte, waren die Jungs eigentlich ganz in Ordnung. Ich wusste zwar, dass sie noch ganz anders sein konnten- aber im Moment waren sie einfach ganz normale Jungs, die hunger hatten. Und ich hatte ein wenig Mitleid mit ihnen, als ich an die Pizzakartons dachte.

„McCann, du musst deine Kleine jetzt jeden Tag hierher holen“, verkündete Jared. Jasons Antwort war nur ein Knurren. Mir fiel auf, dass er seinen Teller nicht angerührt hatte.

„Kein Hunger?“, fragte ich ihn. Er warf mir nur einen bösen Blick zu, zündete sich eine Zigarette an, stand auf und ging raus. Was hatte er denn jetzt schon wieder? Alle anderen folgten ihm- alle außer Jared.

 „Mach dir nichts draus“, winkte er freundlicherweise ab, als er meinen gekränkten Blick bemerkt hatte. „Er isst fast nie was. Ich weiß ja nicht, was er dir sonst schon alles an den Kopf geworfen hat, aber nimm es nicht zu ernst.“ Ich setzte mich ihm gegenüber und hörte neugierig zu.

„Frauen sind für ihn nichts weiter als Bettgeschichten. So ’ne Bitch hat ihn mal ziemlich übel verarscht. Das hat ihm den Boden unter den Füssen weggerissen. Und seit dem ist ihm jede Chick weggerannt, nachdem er ihnen seine Geschichte erzählt hat. Glaub mir-“ Er hob fragend eine Augenbraue.

„Cade“, half ich ihm auf die Sprünge. Er nickte.

„Okay, glaub mir -Cade- er hat seine Gründe. Sich mit McCann anzufreunden ist nichts für schwache Nerven.“ Ich dachte eine Sekunde darüber nach. „Wieso seid ihr dann mit ihm befreundet?“ Jared schnitt eine Grimasse.

„Sich mit McCann anzufreunden ist zwar schwer, aber wenn du es erst mal getan hast, dann ist es endgültig.“ Ich presste die Lippen aufeinander. Wollte ich das überhaupt? Wollte ich ‚endgültig’ mit Jason ‚befreundet’ sein?

Und was befand sich hinter seiner verfluchten Tür, welche zu Jasons Zimmer führte? Versteckte er dort drin seine Lieblingsleichen? Während ich in meinen Grübeleien versunken war, stand Jared auf und verließ ebenfalls die Küche.

Ich machte dann wohl oder übel den Abwasch und setzte mich zu den Anderen ins Wohnzimmer. Wieder guckten sie irgendein Spiel und ich kam nicht mit- aber das wäre ich auch nicht, wenn es ein normaler Film gewesen wäre. Ich war viel zu aufgewühlt.

„Und, treibt dich McCann schon in den Wahnsinn?“, wollte Clay in der Werbepause wissen und wandte seinen Oberkörper grinsend mir zu. Jason warf ihm einen finsteren Blick zu, während ich nur lächelte. Jason trieb mich in den Wahnsinn. Aber nicht auf die Weise, die Clay wahrscheinlich gerade meinte.

„Nein, er benimmt sich“, erwiederte ich.

Jared zog eine Augenbraue hoch. „Ja? Wenn er Scheiße macht oder dich nervt, kannst du uns anrufen und wir versohlen ihm den Arsch.“ Irgendwas daran fand Jason saukomisch. „Bist du dir sicher, Thompson? Du willst mir den Arsch versohlen?“ Er lachte spöttisch und Jared alias Thompson zwinkerte mir zu.

Die Werbepause war vorbei und ich döste vor mich hin.

Dann, im Laufe des Abends, sah ich auf die Uhr und erschrak! „Fuck“, murmelte ich und rappelte mich auf. „Ich muss zurück!“ „Komm“, erwiederte Jason nur.

Er fuhr mich Nachhause und wartete, bis ich im Haus verschwunden war. Es war dunkel im Haus und ich bewegte mich so leise wie möglich. Als ich plötzlich jemanden im Wohnzimmer hörte.

Ich hielt den Atem an und riss die Augen auf! Was wenn es Matt war? Was, wenn er in mein Haus eingebrochen war und auf mich gewartet hatte? Immerhin war das Fenster nur angelehnt gewesen! Scheiße!

Ich tastete im Dunkeln nach etwas Festem, was ich ihm über den Kopf deppern könnte… Die Panik schnürte mir die Kehle zu und mein Herz begann zu rasen. War Jason noch draußen oder war er schon abgefahren?

Würde Matt mich jetzt mitnehmen und vergewaltigten? Oh, Hölle! Wieso war ich nur Nachhause gekommen! Die Schritte kamen näher…und näher…

Das Licht ging an und ich sah erschrocken in das Gesicht meiner Mutter. Meiner wütenden Mutter. Gott sei Dank!

„Wo zur Hölle bist du gewesen, Missy“, stellte sie mich zur Rede und verschränkte die Arme. Erleichterung machte sich in mir breit und ich versuchte meinen Herzschlag zu kontrollieren.

 

Okay, Cade! Reg dich ab! Es ist nur Mum! Niemand sonst war hier!

 

„Ich war bei Cher?“ Es klang mehr nach einer Frage. Meine Mutter hob eine Augenbraue. „Wieso lügst du mich an?“ Ich zuckte zusammen. Shit!

„W-was meinst du?“, stotterte ich. „Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen, Cadens! Cheryl war im gleichen Restaurant wie ich und dein Vater! Mit einem Jungen! Und sie hatte keine Ahnung davon, dass du bei ihr sein solltest!“ Mum sah mich sauer an. „Ich hab mir Sorgen gemacht“, schrie sie. „Wie lange geht das schon so? Wie lange lügst du mich schon an und sagst, dass du zu Cheryl gehst? Wieso tust du das überhaupt! Vertraust du mir nicht?“ Sie war sehr gekränkt. Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder.

„Ich und dein Vater sind sehr enttäuscht von dir! Sogar Mr. Brown hat heute angerufen, er ist von deinen schulischen Leistungen enttäuscht! Du ließest sehr nach, in letzter Zeit!“ Ich verkniff mir ein Schnauben!

Mr. Brown, diese Petze! Nur weil ich einmal keine A oder B schrieb, hieß das nicht, dass meine Noten gleich nachließen und ich total abstürzte!

„Ich frage dich jetzt zum ersten und zum letzten Mal, Cadens. Wo. Bist du. Gewesen?“

Scheiße! Ich schluckte. Es gab jetzt zwei Varianten. Entweder ich erzählte ihr die ganze Wahrheit, oder aber ich fing an ein Lügengerüst aufzubauen, welches irgendwann bis zum Mond ragen würde! Um ihn zu schützen. Vor zwei Wochen hätte ich nichts lieber getan, als ihn zu verraten, um die ganze Scheiße loszuwerden! Aber jetzt?

Ich musste mich für eine Variante entscheiden. Und ich brauchte auch gar keine Zeit, um groß zu überlegen. Ich hatte mich bereits entschieden, und ich denke, es war die Richtige Entscheidung gewesen…

 

-

 

Gott, ich glaube ich hatte mich selbst noch nie so viel Scheiße auf einmal reden hören! Ich redete mich um Kopf und Kragen, ließ möglichst viele Details aus und schob das ganze am Schluss auf die beiden, weil sie es nicht ‚eher’ bemerkt hatten!

Ich erklärte ihnen, dass ich Streit mit Cher hätte und ich nicht wollte, dass sie sich um mich sorgten oder sich einmischten. Also war ich heute wohl zu einer anderen Klassenkameradin gegangen und hätte mit ihr für den Physiktest gelernt, weil ich ja unbedingt wieder gute Noten machen wollte.

Und ich wollte nicht, dass sie enttäuscht wären und ich versprach, mich ab jetzt mehr auf die Schule zu konzentrieren. Und am Ende war meine Mum diejenige mit dem schlechten Gewissen und ich wunderte mich, wieso zur Hölle sie mir diesen Bullshit überhaupt abkaufte!

Mum seufzte. „Honey, deine Noten sind mir doch egal! Ich weiß, dass du dir Mühe gibst! Aber bitte ruf das nächste Mal an, wenn du länger bleiben willst! Und sieh zu, dass du dich mit Cheryl wieder vertagst! Das Einsam-Sein bekommt ihr nicht.“ Und die Übersetzung war: Cher hatte sich wieder wie eine Schlampe angezogen! Toll.

„Ja, Mum! Ich versuche es!“ Ich drückte Mum einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin müde, ich gehe schlafen. Gute Nacht!“ „Okay…schlaf gut“, seufzte Mum und ich konnte immer noch sehen, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte.

Und das wiederum sorgte dafür, dass ich mich schlecht fühlte! Verdammt nochmal!

Ich lief ins Zimmer, drehte den Schlüssel um und lehnte mich gegen die Tür. Dann atmete ich tief ein und versuchte das schlechte Gewissen zu verjagen. Das half mir jetzt auch nicht weiter! Ich lief zum Fenster und schloss es wieder zu… Moment mal! Ich hatte mein Fenster doch angelehnt… war es nur der Wind gewesen, der es wieder aufgemacht hatte? Und vielleicht war ich paranoid, aber ich hatte das Gefühl, mein Bett war gemacht gewesen, bevor ich abgehauen war. 

Ein mulmiges Gefühl beschlich mich und ich ging näher zum Bett ran. Irgendwas war hier nicht in Ordnung! Ich nahm es genau unter die Lupe und dann sah ich ihn.

Den Zettel. Den verdammten Zettel.

Er war mindestens 4x gefaltet und ich übersah ihn beinahe. Vielleicht war es auch nur ein Stückchen Abfall aber ich hatte das Bedürfnis, es auseinander zu falten. Dabei bemerkte ich, dass etwas drauf stand… in einer mir fremden Handschrift.

 

Du wirst mein sein.

 

Nein! Zitternd presste ich mir die Hand auf den Mund und sah hinaus aus dem Fenster. Fast erwartete ich sein narbiges Gesicht zu sehen. Aber da war nichts. Nur die beängstigende Dunkelheit. Heilige Scheiße! Heilige verdammte Scheiße! 

Er. Er war in meinem Zimmer gewesen! Er war in meinem verdammten Zimmer in meinem verdammten Bett und er hatte mir diesen verdammten Zettel geschrieben! Meine Brust hob und senkte sich hastig, während ich unregelmäßig nach Luft schnappte und mir durch die Haare fuhr. Oh mein Gott, was sollte ich jetzt tun? Ich sah mich panisch um aber ich konnte keinen anderen Zettel oder eine Nachricht finden. Ich war kurz vor'm Ausrasten! Also tat ich das Erstbeste, was mir einfiel:

Ich holte mein Handy hervor und wählte Jasons Nummer. Er hob nach dem ersten Klingeln ab und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten! Dieser kranke Stalker war in meinem Haus gewesen!

„Cade?“, fragte Jason alarmiert. „Komm her! Schnell“, bat ich erstickt. Mehr brauchte er nicht. Die Leitung wurde unterbrochen und ich kauerte mich vor dem Fenster nieder, um zu warten. 

 

 

Weakness

Chapter Eighteen

 

Jason PoV

 

Ich hielt den Wagen quietschend am Straßenrand, ein paar Meter von ihrem Haus entfernt, und joggte den Weg zurück. Ich wusste, dass Cadens nicht einfach so ohne Grund anfing zu weinen. Denn wenn sie schwach wäre, dann wäre sie schreiend weggerannt, als sie mich vor Tagen in der Gasse gefunden hatte.

Meine Gedanken rasten und ich hoffte, dass ihr nichts passiert war! Was, wenn er gerade in ihrem Zimmer war? Wenn er sie auch nur mit seinen schmierigen Fingern angefasst hatte, dann gnade ihm Gott!

Blitzschnell angelte ich mich den Baum hoch und kletterte zum Fenster, welches offen stand. Ich biss mir auf die Lippen, als ich sie dort sah, die Beine angezogen und das Gesicht in den Knie vergraben. Sie sah erschrocken auf, als sie mich hörte. Sie erinnerte mich an mich selbst, als ich... Ich schüttelte den Kopf. Nicht jetzt!

Undeutliche, schwarze Streifen flossen über ihre Wangen.

„Ich bin’s nur, babe. Hey, was ist los?“, fragte ich so sanft wie möglich und zog sie hoch in meine Arme. Sie zitterte wie Espenlaub und krallte sich in meinem Shirt fest. Was war hier passiert? „Er war hier“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme und löste sich vorsichtig von mir, um mir einen Zettel hinzuhalten.

Ich brauchte die einzelnen Wörter gar nicht zu lesen, ich wusste, was er wollte. Ich kannte seine Absichten. Es waren immer die gleichen. Ich schluckte hart. „Beruhige dich, babe“, wisperte ich ihr zu. Dabei war ich selbst auf 180!

Sie schüttelte heftig den Kopf. „Er war hier! Er war in meinem Zimmer, er war in meinem Bett, er hat meine Schubladen durchwühlt“, brachte sie hervor und in ihren blauen, klaren Augen stand die nackte Angst!

„Er wird es nicht noch mal versuchen“, versprach ich finster und schloss das Fenster. Die eiskalte Temperatur hier drin half ihr nicht gerade dabei, mit dem Zittern aufzuhören. Ich nahm mein Telefon aus der Tasche.

Jungs? O’Shea ist nicht weit von Cadens’ Haus entfernt. Sucht alles ab, informierte ich.

 

Die Antwort kam keine zwei Sekunden später zurück.

 

Fuck! Was ist passiert? – Sean

 

Stell keine Fragen, du Wichser! Tut es einfach!!!

 

Ich kniff die Augen zusammen und fügte ein ‚schnell’' hinzu. Ich hatte jetzt keinen Nerv für seine beschissenen Fragen!

Cadens klammerte sich immer noch an meinen Arm und starrte angstvoll aus dem Fenster, als erwartete sie, dass er jeden Moment davor auftauchen könnte.

Ich zog die Gardinen zu. „Hör zu, Cadens… Ich bleibe die ganze Nacht vor dem Haus, ich verspreche es! Dir wird nichts passieren.“ Ich versuchte meinen Arm aus ihrem Klammergriff zu befreien. Sie schüttelte vehement den Kopf. „Vergiss es, Jason!“ Ich musste mich echt daran gewöhnen, bei meinem Vornamen genannt zu werden. „Bitte bleib“, bat sie und zerrte an meinem Arm. Ich seufzte, sah noch einmal zum Fenster und dann in die Tiefen ihrer blauen Augen.

„Also gut“, knurrte ich widerwillig. „Mach platz, Kleine“, ächzte ich und setzte mich ins Bett. Ich unterdrückte ein Stöhnen als sie sich nur im Shirt neben mich legte. Wollte die mich verarschen? Ich musste mich schon einmal zurückhalten, als sie halbnackt vor mir stand. Ein weiteres Mal könnte ich meine Finger unmöglich bei mir behalten, ohne ihre Kurven besitz ergreifend nachzufahren.

„Danke“, flüsterte sie, als sie das Licht ausmachte.

Ich versuchte mich zu entspannen, was nicht besonders gut funktionierte, weil Cade so sehr zitterte, dass das ganze Bettgestell vibrierte!

„Cade“, seufzte ich und zog sie an mich. Wartete, bis sie sich entkrampft und entspannt hatte. Wartete, bis ihr Atem immer langsamer und ruhiger wurde. Und ich blieb wach. Die ganze Nacht blieb ich wach, ein Auge auf ihr Fenster gerichtet.

 

-

 

Kurz vor sechs Uhr löste ich meine Hand von ihrer Taille und kletterte aus dem Bett. Ich musste los, wenn ich es heute noch in die Schule schaffen wollte. Ich wollte ihr eine Nachricht hinterlassen und suchte auf ihrem Schreibtisch nach einem Stift…

Dabei fiel mein Blick wieder mal auf ihre Fotowand und ich sah die vielen Bilder mit ihren Eltern. Ich konnte keine solchen Fotos mehr machen. Die Zähne zusammenbeißend versuchte ich den Blick abzuwenden- aber es ließ mich nicht los. Und dann kamen sie, die Erinnerungen. 

 

Ich starre sie an, wie sie auf dem Asphalt liegt. Leblos. 

Als wäre sie nicht echt. Ihre Haut ist blass… totenblass. Ihre Wangen haben die rosige Farbe verloren und ihre Augen sind nach oben verdreht. Ich zittere vor Kälte und kneife die Augen kurz fest zusammen, in der Hoffnung, dass sie lebt, wenn ich sie wieder öffne! 

Es ist mitten in der Nacht. Wie durch Watte höre ich die Sirenen der Streifenwagen und sehe das Rotlicht.

„Junge? Junge, was tust du hier? Du musst hier weg!“ Ich reiße mich aus dem Griff des Polizisten.

„Es ist alles meine Schuld“, murmle ich wie in Trance. „Komm zurück, Mum! Bitte! Du musst wieder aufstehen!“ Der junge Polizist packt mich erneut, diesmal sanfter.

„Komm hier weg, Junge. Es tut mir leid, es besteht keine Hoffnung mehr. Sie ist tot.“ Ich schüttle den Kopf. „Lassen sie mich los“, fauche ich, schubste den Mann weg und renne weg. In den Wald…

Sie ist nicht tot! Sie dürfen nicht tot sein!

 

Ich schüttelte den Kopf um die Erinnerungen ganz loszuwerden. Aufgewühlt schrieb ich ihr die Nachricht, öffnete das Fenster und stieg hinaus. Während ich den Vorgarten überquerte klingelte ich bei den Jungs durch und erklärte ihnen die Lage genauer.

Ich ließ Cadens nicht gerne alleine, aber Sean hatte mir versichert, dass im Umkreis von 3 Kilometern kein O’Shea aufzufinden war. Ich lief zu meinem Wagen zurück und fuhr den Weg zurück Nachhause.

 

Cade PoV

 

Ich sah Jason zu, wie er dastand. Mindestens fünf Minuten hatte er meine Fotos angesehen. Dann schnappte er sich einen Bleistift und kritzelte etwas auf ein Stückchen Papier.

Ich war sofort aufgewacht, als ich seine Arme und seine Körperwärme vermisst hatte. Gähnend rappelte ich mich auf, schloss das Fenster und las den Zettel.

 

Bin um 7 da, Kleine.

 

Ich starrte dieses eine Wort am Ende an. Irgendwie mochte ich es, dass er mich so nannte. Es hörte sich so an, als würde ich ihm gehören. Ich schüttelte den Gedanken ab und stieg unter die Dusche.

Schlafen konnte ich jetzt sowieso nicht mehr. Nach meiner Dusche und einem ausgiebigen Frühstück stand ich nun hier draußen und wartete auf Jason. Immer wieder blickte ich mich unbehaglich um. Wahrscheinlich war ich schon wieder paranoid aber ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden.

Kurz später raste Jason in seinem Wagen um die Ecke und blieb mit quietschenden Reifen stehen. Er warf mir durch die Scheibe einen auffordernden Blick zu und ich stieg gehorsam ein.

 

-

 

„Bestell dir was du willst“, knurrte Jason. Er hatte heute extrem schlechte Laune und ich konnte nicht verstehen, wieso! Wenn es an mir lag, wieso hatte er mich dann mit zu McD’s genommen, wo wir jetzt anstanden. Ich seufzte, gab meine Bestellung auf und wir setzten uns an einen Tisch. Schweigend ass ich meinen Burger und biss mir auf die Lippen.

Schon heute Morgen war er so komisch gewesen aber mittlerweile -es war 7 Uhr abends- wurde es unerträglich. Ich wurde aus diesem Kerl einfach nicht schlau! Ich wollte ihn danach fragen aber er sah mich nur mit diesem Blick an, als stelle er sich gerade eine Million verschiedene Arten vor, wie er mich umbringen könnte.

Kein angenehmes Gefühl!

Ich hatte meine Mutter schon wieder angelogen und gesagt, dass ich heute bei einer Freundin übernachten würde.

Die Wahrheit war: Ich wollte keine Sekunde länger als nötig in demselben Zimmer bleiben, in dem Matt vor ein paar Stunden kranke Sachen abgezogen hatte. Also würde ich bei Jason übernachten. Ob ich mich in der Nacht in sein Zimmer schleichen konnte, um zu gucken, was er dort zu verbergen versuchte? Ich hatte das Gefühl, sein Zimmer wäre ein weiterer Hinweis auf seine Vergangenheit. Aber Jason blockte immer ab, wenn ich ihn danach fragen wollte.

Er bezahlte und wir gingen wieder zu seinem Auto. Ich hatte das Gefühl, sogar sein Gang war heute aggressiv! Und als er die Autotür so fest zuschlug, dass es wackelte, bekam ich langsam echt Angst! Ein aggressiver Jason am Steuer war überhaupt nicht gut!

Er drückte aufs Gaspedal und fuhr vom Parkplatz, rasend vor Wut. Was zur Hölle war sein beschissenes Problem? Besogt sah ich auf den Tacho, als er an der Brooklynbridge vorbeiraste und eine rote Ampel überfuhr.

Er nahm eine Seitenstraße, um dem New Yorker Verkehr auszuweichen. „Jason?“, sagte ich vorsichtig „Nicht so schnell.“ Ich sah wie die Nadel auf dem Tacho gewaltig schnell stieg. „Jason. Du fährst zu schnell“, fuhr ich eindringlicher fort. Er hörte mich nicht… oder vielleicht wollte er mich nicht hören. Jedenfalls hatte er seine wütenden, braunen Augen nur weiterhin auf die Straße gerichtet.

„Jason! Mach langsamer“, sagte ich laut. Ich erschrak, als er plötzlich voll durchbremste und während der Wagen noch quietschend weiterschlitterte, drehte er seinen Oberkörper zu mir und starrte mich böse herunter. So richtig böse!

„Ich lass mir von Leuten wie dir nicht vorschreiben, was ich verfickt noch mal zu tun habe, kapiert?“, zischte er. Ich riss erschrocken die Augen auf, aber er war noch nicht fertig.

„Denn genau das bist du- nichts als eine kleine, nervige Göre, die meine wertvolle Zeit beansprucht! Tu der Welt einen Gefallen und verzieh dich! Hau ab! Ich hoffe das O’Shea dich findet und mitnimmt, damit ich dich nicht mehr haben muss, du billiges Miststück“, brüllte er mich an.

„Ich. Brauche. Dich. Nicht!“ Es hörte sich mehr so an, als wollte er sich das selbst einreden.

Der Wagen blieb stehen und ich starrte nicht länger als eine halbe Sekunde in seine schwarzen, tödlichen Augen. Dann sprang ich hinaus und lief weg. Hatte er das gerade wirklich... Nein, ich wollte jetzt nicht wegen ihm heulen! Verdammt!

Ich rannte, während ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte.

Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so verletzt worden… 

My girl

Chapter Nineteen

 

***Heilungspraktiken/Linderung: Anxiety- d.t. Angststörung

Angststörungen können weitgehend kontrolliert bzw. im Zaun gehalten werden. Dabei gibt es drei effektive Methoden:

  • Entspannungstechniken zur Beruhigung von Geist und Körper. Beispielsweise Yoga, oder, um einen weiteren intensiven Ansatz Ängste vorzubeugen,  Atemübungen.
  • Bemerkenswerte Ergebnisse können erreicht werden, indem der  Lebensstil und Gewohnheiten geändert werden. Diese enthalten eine ausgewogene Ernährung und eine minimierte Koffein-Einnahme.
  • Das soziale Umgangs-System (liebevolle und fürsorgliche Familie oder Freunde) spendet dringend notwendige, emotionale Unterstützung und trägt am effektivsten zur Linderung bei.

 

(Quelle: www.articlesde.com)***

 

Jason PoV

 

Fuck. Fuck, fuck, fuck! Ich legte meine Stirn gegen das Steuer und atmete tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Sie war nicht bei sich Zuhause. Bei ihrer Freundin war sie auch nicht.

Die Schlampe war verrückt geworden! Um diese Zeit draußen herumzulungern war verdammt gefährlich!

Ich holte zitternd Luft und rieb mir müde über die Augen. Seit vier Stunden fuhr ich durch die Gegend und hoffte darauf, sie zu finden! Sie war abgehauen. Und es war meine Schuld. Wieder und wieder zeigte mir mein Bewusstsein das Bild von ihr, wie sie mich verletzt angeschaut hatte, bevor sie die Flucht ergriffen hatte.

Keines meiner harten Worte war ernst gemeint gewesen. Nichts davon hatte eine Bedeutung. Wieso verflucht noch mal hatte ich sie so angeschrien? Ich hätte meine Wut definitiv nicht an ihr auslassen sollen!

 

Du hast abgefuckt, McCann! Und zwar so richtig!

 

Aber ich konnte nichts dafür! Seans Worte von heute Morgen nagten an mir und ließen mich nicht mehr los… was, wenn er recht gehabt hatte?

 

„Wo warst du diese Nacht, McCann“, fragt Sean ernst, als ich in der Tür bin. „Reg dich ab! Ich war nur bei ihr.“ Sean sieht mich merkwürdig an.

„Das gefällt mir nicht.“ Ich stöhne. „Bro, sie hat mich angefleht über Nacht zu bleiben! Sie hatte Panik! Wie konnte ich da ‚Nein’ sagen!?“ Sean schnaubt.

„Sieh zu, dass du dich nicht in sie verliebst.“ Ich grinse. „Verarsch mich nicht! Die Kleine bedeutet mir nichts- ich will nur nicht, dass O’Shea, dieser perverse Wichser, sie kriegt!“ Sean nickt langsam

„Ich sag’s ja nur. Es ist nicht von Vorteil, wenn man eine Freundin hat. Das weißt du. Vielleicht weißt du es sogar besser als ich.“

Ich schnaube böse. Sean hat recht, es ist nicht gut, wenn man ein Mädchen besitzt. Jeder hatte seine Schwachstelle… früher habe ich die anderen für ihre Dummheit verspottet. Wie kann man bloß so behindert sein und sich eine Schlampe anlachen? Jeder im Business hat eine Schwäche, und zu 99% ist es eine mittelmäßige Göre. Man muss sie nur ein wenig bedrohen, wenn unbedingt nötig ein wenig leiden lassen, und schon werden die Typen weich und liefern die versprochene Ware.

Jeder hat eine Schwäche. Nur ich nicht. Bis jetzt.

„Halt sie auf Abstand, bro. Keine Ahnung wie, aber tu es.“ Sean pisst mich gerade bis zum Limit an! „Wie du meinst“, spucke ich und verschwinde im Bad…

 

Verzweifelt nahm ich noch einen Zug von der Zigarette. Ja, verflucht, ich hatte mir eine verdammte Schwäche zugelegt! Wo konnte sie nur hin sein? Was, wenn O’Shea sie schon eingefangen hatte? Was, wenn er sie jetzt gerade in irgendeiner dreckigen Ecke vergewaltigte? Die Verzweiflung wuchs und ich versuchte, ruhig zu bleiben. Ich spürte schon, wie mich die all zu bekannte Angst befallen wollte. Sie wartete nur auf schwache Momente wie diesen, in dem sie sich langsam anschlich und mich dann in sich hüllte.

Rasend vor Wut bombardierte ich sie mit einem weiteren Duzend Nachrichten. Sie hatte bis jetzt kein Lebenszeichen von sich hören lassen und es war immer schwerer zu glauben, sie in dieser verdammten Stadt wiederfinden zu können!

Mein Handy vibrierte und ich sah Seans Namen auf dem Display. Auch wenn ich gerade keinen Bock auf dieses Arschgesicht hatte, nahm ich den Anruf entgegen. Erst hörte ich nur ein Rauschen und laute Musik.

„Bro, ich hab sie!“

Erleichterung machte sich in mir breit. „Wo?“

„Sie ist auch im Warsaw.“ Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke! Was zur... „Im Warsaw? Bist du sicher?“ Mein Mädchen in einem der angesagtesten Clubs New Yorks? Niemals!

„Wie geht’s ihr?“, wollte ich besorgt wissen. „Gut… denke ich. Sie sieht ziemlich dicht aus.“ Ich runzelte die Stirn. Redete er wirklich von meiner Cade, meiner Cade? Meinem baby girl?

„Wie hast du sie gefunden?“ Sean räusperte sich.

„Das war irgendwie nicht besonders schwer, bro… Sie grölt lauthals You Better Work B*tch.“ Ich konnte immer noch nicht glauben, dass wir von derselben Person redeten. Ich konnte mir nicht im Traum vorstellen, dass Cade so etwas tun würde. „Und, McCann, sie sieht richtig heiß aus“, schnurrte er.

„Willst du Stress mit mir, Winter?“, spuckte ich böse. „Beruhige dich, bro. Sie sitzt an der Bar. Auf dem Schoss von so ’nem Typen.“

Ich erstarrte knirschte mit den Zähnen. Es war als würde jemand heißes Lava über meinen Körper gießen. Meine Glieder standen unter Strom und ich konnte an nichts anderes mehr denken, als das mein Mädchen auf dem Schoss von einem verdammten Hurensohn saß. Seine Hände überall an den Stellen, wo meine sein sollten. Und vielleicht war das gerade unpassend aber der Gedanke, dass jemand mein Mädchen so berührte, bevor ich sie überhaupt nackt gesehen hatte, pisste mich ziemlich an.

Ziemlich fest.

„Kannst du mir ’nen Gefallen tun?“, fragte ich und versuchte meine vor Wut zitternden Hände still zu halten. „Klar“, kam es prompt zurück. Ich lächelte böse. „Leg den Kerl um.“ Sean lachte. „Nichts lieber als das.“ Ich biss mir auf die Lippen. „Nein, warte, bro… ich mach’s selber.“ Damit legte ich auf und raste in Richtung Brooklyn. Richtung Warsaw.

 

Cade PoV

 

„Ey, findest du echt, dass is besser singe als Beyoncé, Fanccesco?“, strahlte ich Franccesc an und kippte den nächsten Drink auf Ex.

„Na klar, baby“, knurrte er. Seine Lippen waren irgendwo zwischen meinen Brüsten und meinem Kinn aber das war mir in dem Moment scheißegal.

„Deine Haare sind sooo toll“, schwärmte ich, während seine Hände irgendwas an meinem Hintern machten. „Deine auch, baby“, erwiderte er schnurrend und strich mir die Haare über die Schultern. Keinen Schimmer wie lange ich schon hier im Club war. Keinen Schimmer was ich hier überhaupt tat, in diesem engen Dress mit diesen gefährlich hohen Schuhen. Aber seit dem 3. Gläschen von dieser gelblichen Flüssigkeit von Francesco war mir auch das scheißegal.

Ich wollte nur vergessen. Ich trank, ich johlte, ich sang, ich tanzte, und ich lebte. Ich wusste nicht mehr, wieso ich vorher so deprimiert gewesen war! In diesem Moment war ich noch nie so gut gelaunt gewesen! Francesco -ein Kerl, den ich vor zwanzig Minuten kennengelernt hatte- bot mir gerade noch einen Shot an, als ich grob von seinem Schoß gezerrt wurde. Francesco hielt mich an einem Arm fest, noch nicht bereit, mich gehen zu lassen. Autsch, verdammt!  „Was is los ey“, lallte halb protestierend und blickte mich nach der Spaßbremse um. „Komm mit, Kleine. Die Party ist vorbei“, raunte eine vertraute Stimme in mein Ohr. Ich wurde sauer. Und traurig. „Lass mis gefälligs’ los, du Arsch!“

„Tut mir leid, babe. Du hattest genug Spaß.“ Hallo? Ich war gut amüsiert- mit Francesco!

„Is will aba nis!“ Ich versuchte mich von Jason loszureißen. „Bro, lass das Mädchen in Ruhe“, kam mir Franccesco zur Hilfe und legte von hinten die Arme um mich.

Ich sah zu, wie Jasons Augen sich verdunkelten und seine Miene sich verfinsterte. Er sah richtig Serienkiller-Mäßig aus und wenn ich nicht total dicht gewesen wäre, hätte ich mir 100% in die Hosen gepisst. Jasons Blick wanderte hinunter zu meinem Arm, der noch immer von Franccesco umklammert wurde. Jasons Kiefer knackte, als er die Zähne zusammen biss. Sein Bizeps spannte sich an und er zerdrückte meine Hand beinahe. „Ich und die Kleine hatten gerade so viel Spaß“, fuhr Francesco vergnügt fort und ahnte nicht, was er sich damit einbrockte. Und dann explodierte Jason. „Oder was, huh? Nimm deine Finger von ihr, du verdammter Bastard“, spuckte er und seine zornige Stimme jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Mit der linken Hand zog Jason mich hinter sich, mit der Rechten holte er aus und donnerte Francesco die Faust ins Gesicht.

Heftig. Blut spritzte, Knochen knackten und der gute Francesco lag flach auf dem Boden. Die Leute machten erschrocken platz, aber ich fand das ganze saukomisch. „Komm jetzt mit, Cadens“, knurrte Jason und packte mich.

„Is ruf dis an, Bubu“, rief ich Francesco begeistert zu, der sich aufzurappeln versuchte. Jason knurrte und zog mich nach draußen, wo der Regen von Himmel kübelte. „Was zu Hölle hast du dir dabei gedacht“, zischte Jason und sah aus, als wollte er mich am liebsten erwürgen. Was? Wieso war er jetzt sauer?

„Willst du mis verarsen ‚Cadens’“, machte ich ihn nach. „Du bist so ein verdammtes Arsloch! Is tu immer alles für dis! Is lüge meine Eltern an, is habe Streit mit Seryl, is bringe dir Essen, is verarzte dis, is hab deinen heißen Ars bei den Bullen gerettet! Und was krieg is dafür?

Du nennst mis eine Göre und ein Miststück und du fickst mis dumm von der Seite an! Is hab keinen Bock mehr auf dis“, warf ich ihm vor und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ich wollte nicht, dass er sah, wie verletzt ich war.

Ich sah ihm in die Augen und erwartete, dass er zurück schrie. Das er mich vielleicht sogar schlug, weil ich ihn angeschrien hatte.

Aber alles was ich sah, war Verlangen. Und dann küsste er mich…

Rueful

Chapter Twenty

 

Ich war zwar hoffnungslos besoffen, aber Jason Kusskünste verfehlten ihre Wirkung nie. Ohne es bemerkt zu haben, hatte seine Lippen vermisst- seit dem Moment, in dem ich erfahren durfte, wie es sich anfühlte, wenn Jason McCanns Lippen mit meinen in Berührung kamen.

Dieser Kuss war nicht einer der ‚Arsch-Grabsch-Und-Abschlabber’- Sorte wie der vorherige von Francesco. Es war als zeigte Jason mir die Dinge, die er nicht auszusprechen wagte. Ich schloss die Augen, seufzte tonlos auf und ließ mich fallen. Jasons Hände an meiner Hüfte pressten mich an ihn und ich glaube ich war in meinem Leben noch nie so geküsst worden- und ich hatte schon vor Jason Freunde gehabt! Es war als wäre er der Meister und ich seine Schülerin. Seine Zunge focht mit meiner und er grinste, als er merkte, was für eine Macht er über mich hatte. Oh ja, seine Küsse machten mich willenlos.

Ich wollte, dass dieser Moment niemals endete… Leider hatten ich und Jason nicht die gleichen Wünsche. Er ließ von mir ab, strich mir eine Strähne hinters Ohr und lächelte mich an. Und diesmal lächelte er richtig. Es war nicht dieses freudlose Lächeln, welches sich nach zwei Sekunden in ein bitteres oder spöttisches Grinsen verwandelte . Es war aufrichtig und es war mein beschissener Tot! Musste er immer so gut aussehen?

„Mein Arsch ist also heiß, huh?“, fragte er atemlos und funkelte mich aus seinen braunen Augen amüsiert an. Innerlich verdrehte ich die Augen. War ja klar, dass das alles war, woran er sich in meinem kleinen, dramatischen Ausbruch erinnerte. Äußerlich atmete ich immer noch schwer und versuchte mich zu sammeln.

Reiß dich zusammen, Cade! Es war nur ein Kuss!

„Komm, Kleine. Lass uns verschwinden“, meinte er, bevor ich Zeit hatte, auf dem Boden zu kollabieren. Ein übergroßes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich ihm in seinen BMW folgte. Er musste mich stützen, weil ich sonst wohl auf die Fresse geflogen wäre, um es mal unverblümt auszudrücken. Und diese hohen Schuhe halfen da auch Null! 

Ich legte meinen Kopf müde gegen die kalte Fensterscheibe und sah, wie das New-Yorker-Nightlife an mir vorbeizog. Bei Nacht war diese Stadt immer noch am Schönsten. Die Hektik des Alltages war vorbei und die Leute feierten den Feierabend! Ich liebte es hier und ich war froh, umgezogen zu sein.

Die Fahrt kam mir vor wie fünf Minuten, und plötzlich standen wir vor Jasons Haus. Die Tür auf der Beifahrer-Seite wurde aufgemacht und ich fiel ihm beinahe vor die Füße. Beschissene Schwerkraft! Er biss sich auf die Lippen um ein Auflachen zu verkneifen. Guter Junge. 

Dann beugte er sich runter und hob mich aus dem Auto. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Schulter und inhalierte seinen McCann-Duft, als wäre es eine Droge. Seine muskelbepackten Arme waren weich und trotzdem hart und ich liebte es, an seine Brust geschmiegt zu sein. Ich fühlte mich sicher.

Er trug mich ins Hausinnere, vorbei an Austin und Clay, die Treppe hinauf. Dort öffnete er eine Tür. Es war nicht die Tür zu dem Zimmer. Leider.

Er ließ mich auf ein Bett nieder, zog mir die High Heels aus und deckte mich zu. „Du bleibs’ aber, oda?“, lallte ich müde und packte ihn an der Hand, als er sich wegdrehen wollte. Ich hatte keine Ahnung wieso er jetzt wieder so zurückhaltend war, als er sich neben mich legte. 

Wir lagen Rücken an Rücken, und diesmal berührte er mich nicht. Auch wenn ich jetzt verdammt gut ’ne Umarmung hätte gebrauchen können.

Denn mit einem Schlag kam der bittersüße Schmerz zurück. Die Tränen sammelten sich in meinen Augen und liefen mir über die Wangen.

„Ich. Brauche. Dich. Nicht.“

 

McCann PoV

 

Cadens weinte stumm, und mein Herz zog sich reuevoll zusammen. Sie versuchte leise zu sein, damit ich sie nicht hörte. Aber ich hörte jeden Schluchzer, spürte die Tränen und den Schmerz, als wäre es mein eigener.

Ich widerstand dem Drang, mich umzudrehen. Sie in den Armen zu halten und ihr zu sagen, wie leid es mir tat. Und wie sehr meine Worte genau dem Gegenteil entsprochen hatten. Aber ich konnte nicht. Außerdem erschreckten mich meine eigenen Gedanken- mutierte ich hier zu einer verdamten Schwuchtel? 

„Halt sie auf Abstand, bro. Keine Ahnung wie, aber tu es.“

Ich hasste es, wenn Sean, dieser verdammte Klugscheißer, recht hatte! Es war zu ihrem Besten. Auch als Cade aufhörte und wohl eingeschlafen war, blieb ich wach. 

Wie immer...

 

-

 

Ich schnappte mir ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich auf’s Sofa. „Bro? Hast du die Kleine gestern noch aufgabeln können?“, fragte Jared und setzte sich neben mich. Ich nickte und trank einen Schluck. „Sie war im Warsaw“, informierte ich, ob es ihn nun interessierte oder nicht.

Jared runzelte die Stirn. „Kein Scheiß? Die Kleine?“ Er sah erstaunt aus und langsam machte sich die Anerkennung auf seinem Gesicht breit. Die gleiche Reaktion, die ich hatte.

Ich nickte grinsend. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, und ich spürte seinen intensiven Blick auf meinem Gesicht.

„Was?“, spuckte ich gereizt. Ich konnte es nicht haben, wenn er mich so anstarrte! Jared zuckte zusammen. „Nichts… es ist nur…“ Was hatte der Wichser jetzt schon wieder? Ich sah ihn kalt und auffordernd an. Er sollte mit der Sprache herausrücken. „Sean hat mir gestern gesteckt, dass du wieder bei ihr im Zimmer gepennt hast.“ Ich stöhnte genervt auf. Das war ja mal wieder klar. Wieso war Sean nochmal einer meiner Männer? Dem würde ich mal noch den Arsch aufreißen müssen.

„Und?“, zischte ich und trank einen Schluck. Jared runzelte besorgt die Stirn.

„Sag du’s mir, bro! Ich will dir nicht sagen, was du zu tun hast. Du hörst sowieso auf niemanden. Aber, bro- du hast nicht mal dein eigenes Leben unter Kontrolle! Zieh die Kleine nicht in deine Scheiße rein. Sie ist ein gutes Mädchen, McCann.

Sie ist keine der Schlampen, die sonst so hier rumhängen“, höhnte er. Normalerweise war Jared der Einzige, der immer auf meiner Seite war. Ihn kannte ich von Allen am längsten. Schlimm genug, dass er mir jetzt auch vorschrieb, wie ich mein Leben zu leben hatte!  

„Ich weiß schon was ich tue, okay?“, fauchte ich. „Bist du sicher? Hast du etwa schon vergessen, was letzte Nacht passiert ist? Du hast verdammtes Glück gehabt, bro! Sie hätte tot sein können.“

Meine Wut wuchs. Was bildete sich dieser Arsch überhaupt ein? Ich packte ihn am Kragen. „Denkst du das weiß ich nicht?“, spuckte ich. Er zuckte nicht mal mit der Wimper. „Na los, bro. Schlag mich“, provozierte er. Ich weiß, ich hätte es jetzt lassen sollen. Aber ich mochte es nicht, diese ganze Scheiße von jedem zu hören!

Also verpasste ich ihm einen heftigen Kinnhaken, ließ ihn aber nicht los. „Halt die Klappe, Winter!“ Jared verdrehte nur die Augen- noch etwas, was ich hasste! Gerade als ich wieder ausholen wollte, durchbrach ihre Stimme die Stille. „Jason! Hör auf damit!“ Wie konnte sie es wagen, mir zu sagen, was ich zu tun hatte? Ich war mein eigener Boss und von der Kleinen ließ ich mir überhaupt nichts sagen! Es war Schwachsinn, was Sean mir gesagt hatte. Sie bedeutete nichts! 

Lügner! Verdammter Lügner!

Wie um mir selber zu beweisen, dass weder sie noch ihre Meinung mir etwas bedeuteten, schlug ich ein letztes Mal zu. Cade sah mir erschrocken hinterher, als ich in die Küche ging.

In der Küche angekommen stützte ich meine Hände auf der Anrichte ab und starrte auf den Boden. Ich hörte ihre Schritte, die mir folgten und sah aus den Augenwinkeln, wie sie neben mir zu stehen kam. Plötzlich erinnerte ich mich an ihre Schluchzer von letzter Nacht und ein seltsames Gefühl brach in mir aus. Etwas, was ich sonst nie fühlte: Schuld. 

Es war nicht in meiner Absicht gewesen, ihr durch meine Worte weh zu tun. Ich war ein Idiot, das war mir bewusst. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich das jetzt formulieren sollte. Ich hatte mich schon sehr, sehr lange nicht mehr entschuldigt. Auch nicht dann, wenn es wahrscheinlich sehr angebracht gewesen war! Ich war Jason McCann! Ich tat so was nicht!

Ich leckte mir über die Lippen. Gott, wieso musste sie es mir so schwer machen? 

„Es… tut mir leid“, presste ich endlich hervor. Ich spürte ihren intensiven Blick auf mir und verkrampfte mich.„Ich…“ Ich wollte weiter machen, aber ich wusste nicht wie.

Sie stand stumm da, während ich nach Worten suchte. Ich hob den Kopf und sah forschend in ihre blauen Augen. Wie unschuldig sie war!

„Du weißt, ich habe es nicht so gemeint, oder?“ Meine Stimme war neutral und passte überhaupt nicht zu meinen reuevollen Worten. Sie senkte den Blick. Das passte mir nicht. Ich wollte, dass sie mich ansah, wenn ich mit ihr redete!

Ich hob ihren Kopf an, damit sie mir in die Augen sah. „Hey, Shawty.“ Ich lächelte sanft. „Du weißt, ich brauche dich.“ Sie biss sich auf die Lippen und schluckte. Dann nickte sie langsam.

„Wieso hast du das dann gesagt?“, flüsterte sie. Mein Lächeln erlosch, ich ließ sie los und entfernte mich einige Schritt von ihr. „Weil ich wütend auf dich war.“ Sie hob verwirrt eine Augenbraue. „Was habe ich dir denn getan?“ Mein Lächeln kam zurück. „Gar nichts. Komm, ich fahr dich Nachhause, Shawty.“ Damit fischte ich die Autoschlüssel vom Haken neben der Tür und sah sie auffordernd an. Eine Weile starrte sie mich nur an, bis sie den Kopf schüttelte und voraus ging.

Dabei murmelte sie unverständlich vor sich hin. Ich ob den Blick zur Decke. Herr im Himmel, wohin soll das nur führen?

 

Cade PoV

 

Er parkte vor meiner Haustür. „Da ist noch was, Cadens.“ Ich drehte mich neugierig zu ihm um und versuchte mich zu konzentrieren. Das war übrigens gar nicht so einfach! Mein Kater brachte mich um, und außerdem sah Jason wie immer total scharf aus!

„Ich bin für ein paar Tage in Boston. Jared wird dich solange beschützen.“ Ich biss mir auf die Lippen und versuchte die Enttäuschung herunterzuschlucken. Er ging einfach so? „Wie viele Tage?“, wollte ich ruhig wissen. Er verdrehte die Augen. „Fünf.“ Meine Augen weiteten sich. So lange? 

„Und was tust du dort?“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert.

„Geschäftliches“, erwiderte er dann. Jetzt konnte ich meinen Frust nicht mehr unterdrücken. Wieso zur Hölle vertraute er mir nicht? „Okay“, murmelte ich und stieg aus. „Kleine?“ Ich drehte mich zu ihm um. „Keine Partys“, witzelte er, aber seine Augen waren ernst auf mich gerichtet. „Versprochen“, lächelte ich und winkte ihm zu. 

Ich sah seinem Wagen nach. Fünf Tage Jason-Frei.

 

Wieso freute ich mich eigentlich nicht darüber? 

Lonely

Chapter Twenty One

 

Tag eins, dachte ich dramatisch und kletterte unwillig aus dem Bett. Heute würde ich wieder mit dem Bus zur Schule fahren müssen. Heute würde ich alleine essen müssen. Kurz: Heute würde ich den Tag ohne Jason überstehen müssen. Und die nächsten vier darauffolgenden auch.

Schöne Aussichten!

Nach einer ausgiebigen Dusche und einem noch ausgiebigeren Frühstück war ich fertig für die Schule. Obwohl ich mich nicht im Geringsten so fühlte!

 

Lustlos schlenderte ich den Schulflur entlang und versuchte zu meinem Spind zu gelangen. Von allen Seiten schoben und drückten die Schüler und ich wurde heftig gegen jemanden geschubst. Jemanden mit leuchtend roten Haaren.

Ich musterte Cher und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie erschrocken ich über ihre Veränderung war. „Was?“, zischte sie gereizt. „Baggerst du mich jetzt auch an? Das machst du ja sonst immer gleich beim nächstbesten Typen, der in dich hineinläuft“, höhnte sie böse und starrte mich herablassend an.

„Komm schon, Cher! Du weißt, dass war nicht meine Absicht! Und das tu ich nicht!“ Sie sah mich sauer an. „Für dich immer noch Cheryl! Und nein, ich weiß gar nichts. Nur, dass du dich wie eine Schlampe an jeden Typen ranschmeißt und mir nichts davon sagst!“ Obwohl mich ihre Worte hätten verletzen müssen, grinste ich nur amüsiert. Ich hatte keinen Bock auf diese Scheiße. „Wer ist hier die Schlampe?“

Damit musterte ich sie demonstrativ. „Du bist so eine blöde Kuh!“, schrie sie aufgebracht und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich hab doch gewusst, dass da was zwischen euch läuft! Aber du scheinheilige Schnepfe hast mir versichert, dass da nichts wäre! Ich dachte wir wären Freundinnen!“

Ich verdrehte die Augen. Was für 'ne Drama-Queen!!!

„Wir sind Freundinnen, Cher!“ Sie formte die dunkelgrünen Augen zu Schlitzen. „Wir sind gar nichts“, spuckte sie, drehte sich auf dem Absatz um und stöckelte auf ihren 10 Zentimeter Louboutins um die Ecke.

Wütend ging ich in die entgegengesetzte Richtung, um endlich zu meinem Spind zu kommen.

Da dachte man, der Tag könnte nicht noch beschissener werden, und dann passierte so was!

 

-

 

Als ich aus der Schule lief, stellte ich überrascht fest, dass Jared vor der Schule auf mich wartete. An seinem weißen Mercedes gelehnt. „Hat eigentlich jeder von euch so 'ne Bonzen-Karre?“, fragte ich skeptisch und beäugte das Gefährt mit gerunzelter Stirn. Jared grinste nur und bedeutete mir, einzusteigen.

„McCann hat gesagt, ich solle dich abholen.“ Ich horchte auf, als ich seinen Namen hörte.

„Hat er angerufen?“, fragte ich hoffnungsvoll. „Nein. Er hat es mir vor seiner Abreise gesagt. Heute Morgen war ich leider verhindert, aber ich übernehme die nächsten vier Tage die Rolle des Chauffeurs.“ Er schnitt eine Grimasse. Ich nickte nur und schnallte mich an.

Jared hatte eine sehr viel angenehmere Fahrweise als Jason, fiel mir sofort auf. Jasons Fahrstil war aggressiv. Gott, wieso erinnerte mich alles an ihn? Er war heute Morgen erst abgereist, wie sollte ich bitte die restlichen viereinhalb Tage überstehen? 

„Jared... was macht Jason in Boston?“ Ich war neugierig. Ich wollte unbedingt wissen, um was es da ging, und Jason wollte mir ja nie etwas erwählen. Vielleicht war Jared offenherziger? Er zögerte und schien mit sich zu hadern- dann entschied er sich wohl dafür, mir gegenüber ehrlich zu sein.

„Cadens… wie denkst du, können wir uns diese Autos und das Haus leisten.“ Er sah mich ernst an und ich sprach das Erstbeste aus, was mir einfiel. „Oh mein Gott! Jason arbeitet doch nicht als Prostituierter??!“ Heilige Mutter Theresa! Schande über sein Haupt! Igitt, igitt! Jared prustete los.

Ich sah ihn verwirrt an. Was war daran bitteschön lustig? „Scheiße, nein“, versicherte er mir immer noch lachend. Ich schnaubte. „Man kann ja nie wissen“, grummelte ich. Das war doch gar nicht so abwegig! Mit Jasons Körper könnte man haufenweise Kohle scheffeln.

„McCann erfüllt Aufträge. Sie sind immer sehr verschieden- manchmal, eher selten, beinhalten sie, etwas zu stehlen. Und manchmal eben auch... andere Dinge.“

Ich hatte keine Ahnung, was ich mir darunter jetzt vorzustellen brauchte. Aber irgendwie machte es mir Angst. Was, wenn ihm was passierte?

„Mach dir nicht zu viele Sorgen um McCann“, riet mir Jared, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich sah überrascht zu ihm rüber, aber sein Blick war auf die Straße geheftet.

„McCann kommt klar. Er ist der Beste- er macht solche Dinge schon seit Jahren. Er weiß was er tut und man kann ihn nicht beschützen. Er braucht das nicht- wenn du ihn in Aktion sehen würdest, wüsstest du, was ich meine.“ In Jared’s Stimme war Bewunderung zu hören. Und Respekt.

„Was für eine Art Auftrag ist es diesmal?“ Jared spannte sich an.

„Es geht unter die Kategorie ‚andere Dinge’.“ Widerwillig fügte er hinzu: „McCann ist ein Bombenspezialist.“

Ich stutzte und meine Augen weiteten sich. „Bomben? So Richtige?“ Jared verkniff sich ein Lächeln und nickte. „Ja, richtige Bomben. Ich kann dir nicht mehr Details verraten. Selbst uns erzählt McCann nicht immer alles. Und das was ich weiß, ist nicht für deine Ohren bestimmt.“ Ich biss mir auf die Lippen. Ich war so verdammt neugierig, aber ich war mir fast sicher, dass Jared mir nicht mehr verraten würde!

Ich blinzelte zu Jared rüber und musterte ihn. Er war nicht besoners groß, das war mir zumindest aufgefallen. Höchstens 1.80m. 

Seine dunkelhäutigen Arme waren von verschlungenen Tattoos übersäht, er trug eine blaue OBEY-Cap, diese typischen Hängerjeans und eine Menge Goldketten. Er sah aus, wie einer dieser Hip-Hop Tänzer in den Filmen, die Cher immer so gerne schaute. 

„Danke, Jared“, sagte ich ehrlich. Derweilen hielt er seinen  Wagen vor meinem Zuhause.

„Nichts zu danken. Weißt du… ich glaube McCann mag dich“, meinte er ehrlich und zwinkerte mir zu. Ich wandte den Blick ab. „Das denke ich nicht“, flüsterte ich so leise, dass nur ich es hören konnte.

„Ich hole dich morgen um Sieben wieder ab?“ Ich nahm sein Angebot dankend an und stieg aus, um ins Haus zu gehen... 

 

Tag eins war fast geschafft! Hoffentlich würden die nächsten nicht genauso langweilig werden.

Ich nahm mir vor, mich diese Woche ein wenig den Sachen zu widmen, die ich vernachlässigt hatte. Zum Beispiel mal richtig für die nächsten Prüfungen zu lernen oder die Bücher fertig zu lesen und gegen Neue einzutauschen.

Meine Eltern hörten auf, mir besorgte Blicke zuzuwerfen, als ich zwei Tage hintereinander nicht mehr bei irgendwelchen kuriosen (, erfundenen) Personen übernachtete. Jared war echt super sympathisch und ein witziger Kerl. Ich alberte ziemlich gerne mit ihm rum und auch Austin hatte ich schnell ins Herz geschlossen, nachdem er mich einmal abgeholt hatte.

Aber irgendwie fehlte mir etwas. Ich hatte zwar die letzten Wochen immer gebetet, es möge endlich Ruhe einkehren und ich könne mal wieder mehr Zeit für mich haben. Jetzt hingegen langweilte ich mich zu Tode. Und noch etwas ließ mich nicht los…

Was, wenn Jared eines Morgens kam und mir sagte, Jason würde nicht zurückkommen, weil er erschossen wurde? Oder sich aus Versehen selbst in die Luft sprengte?

Die Jungs hatten sich nur die Ärsche abgelacht, als ich ihnen meine Bedenken mitgeteilt hatte! Das war irgendwie nicht sehr hilfreich. Wieder einmal starrte ich mein Handy an.

Die Kontaktliste zu McCann war geöffnet. Und wieder entschied ich mich dagegen, ihn anzurufen und schaltete das Handy ab.

Ich wollte ihn nicht nerven, bestimmt machte ich mir zu viele Sorgen!

 

Jason PoV

 

„Gute Arbeit, McCann!“

„Richtig krasse Sache, bro!“

Von allen Seiten prasselte das Lob auf mich nieder. Wieder einmal hatte ich die Mission ohne große Komplikationen geführt. Meine Leute in Boston folgten meinen Befehlen immer perfekt. Für sie war ich wie ein Gott! Und ich liebte es.

„McCann!“ Ich schlug mit Bruce ein. Bruce war ein alter Kumpel, den ich kannte, seit ich mich erinnern konnte. „Du bist der Mann“, grinste er. „Bringt dem Meister mal jemand was zu Trinken?“, fragte er lauter und sah sich um. Sofort huschte ein wenig bekleidetes Mädchen an Bruce’ Seite und drückte mir ein Bier in die Hand. Sie zwinkerte mir zu und zog wieder ab, genau so schnell wie sie gekommen war.

„Musst du morgen wirklich schon wieder abreisen?“, fragte er, während ich mir durch die Haare fuhr. Ich nickte und sah mich um. „Man, wie ich das vermisst habe“, grinste ich dann. 

Wir waren bei Bruce Zuhause und feierten den Erfolg. Laute Musik, Spaß und endlich die alten Freunde mal wieder treffen!

Plötzlich schlangen sich zwei Arme um mich. „Hey, McCann“, raunte mir eine verführerische Stimme zu. „Kommst du hoch in mein Zimmer?“ Ich erkannte die Stimme sofort wieder. Fuck!!! Ich drehte mich um und sah sie:

Darf ich vorstellen? Olive Sterlyng, größte Schlampe auf diesem Planeten. Sie stand auf meiner ‚Schlampen, denen ich die Visage polieren will’- Liste an erster Stelle. Aber sie stand auch an erster Stelle meiner ‚Heiße Bräute, die ich haben will’- Liste. Bis jetzt.

Sie war meine erste Liebe und diejenige, die mich hoffnungslos verführt und dann beschissen hatte, mit so einem zweitklassigen Typen. Sie war die Einzige, die mich verletzt hatte und nicht umgekehrt. Tja, und normalerweise wäre ich ihr jetzt auch gefolgt und hätte ihr das sowieso schon miniaturartige Hirn rausgevögelt. Ich war lange nicht über sie hinweg gewesen und hatte jede Gelegenheit genutzt, um ihr Nahe zu sein.

Aber jetzt tat ich etwas, was sie, meine Freunde, und wahrscheinlich am meisten mich überraschte:

Ich löste ihre Arme von mir und drehte mich zu ihr um. Normalerweise hätten mich ihr kurzes, durchsichtiges Minikleid und ihr attraktiver Augenaufschlag angeturnt. Aber jetzt war ich einfach nur noch angewidert.

„Keine Lust“, antwortete ich ihr.

Was?“, zischte sie fassungslos. Sie dachte offenbar immer noch, sie könnte mich wieder um den Finger wickeln und einmal schnippen, damit ich sie vergnügte. Bitch.

„Ich sagte: Keine Lust. Und jetzt verpiss dich, siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?“ Sie fing sich wieder, lächelte falsch und klimperte mit den Wimpern.

„Komm schon, baby!“ Ich verdrehte die Augen. „Vergiss es, du Schlampe. Diese Zeiten sind vorbei. Und jetzt geh, mach dich auf die Suche und versuch jemanden zu finden, der dich besser ficken kann als ich.“

Sie funkelte mich sauer an. „Na schön! Aber das wirst du bereuen!“

Damit packte sie sich einen anderen und verzog sich. Ich drehte mich wieder zu Bruce um. Er betrachtete mich grinsend.

„Du hast dich verändern, McCann. Das gefällt mir!“ Wir stießen erneut an und ich lehnte mich zurück. Mir gefiel es auch, dass diese Schlampe endlich keine Macht mehr über mich hatte. 

Und ich fragte mich ob es vielleicht ganz ganz wenig was mit Cade zu tun hatte?

Ich seufzte. Bruce warf mir einen neugierigen Blick zu. Egal, was da zwischen mir und Cade war, ich musste es herausfinden.

Und dann musste ich es rückgängig machen, weil es mir eine scheiß Angst einjagte!

Fire

Chapter Twenty Two

 

Cade PoV

 

„Da muss ich rangehen“, entschuldigte ich mich und fischte mein vibrierendes Handy aus der Hosentasche. Mum nickte großzügig, versuchte jedoch nicht die Missbilligung in ihren Augen zu verstecken. Ich stand vom Esstisch auf -mir war der Appetit sowieso vergangen- und lief ins Wohnzimmer.

„Ich bin Essen! Weißt du, das machen Leute um diese Zeit“, maulte ich Sean halbherzig an, als ich den Anruf entgegennahm. Aber eigentlich war ich ganz froh, dass er mich vor einem langweiligen Mittagessen rettete!

Ich hörte das Grinsen aus seiner Stimme heraus, als er sprach: „Ach? Okay, wenn du lieber essen willst, statt mit uns McCann zu begrüßen…“

Okay, das war natürlich was Anderes. Und das wusste er genau, der Idiot!

„Sag das doch gleich.“ Ich seufzte und warf einen Blick in die Küche. „Ich bin gleich da“, versprach ich und würgte ihn ab. Dann lief ich wieder zu meinen Eltern und warf ihnen einen entschuldigenden Blick zu.

„Mum, ich hab einer Mitschülerin versprochen, ihr in Mathe zu Nachhilfe zu geben. Sie hat heute um drei schon was vor, deshalb muss ich schon los, damit wir den Stoff durchkriegen.“ Was laberte ich da eigentlich für Scheiße? Mum nickte verständnisvoll. „Natürlich. Hast du wirklich keinen Hunger mehr?“

Ich war schon im Flur und zog die Schuhe an, als sie den Satz noch nicht mal zu Ende hatte. „Nö, hab ich nicht!“ Mein Magen war schon mit Schmetterlingen gefüllt! Aber das brauchte Mum ja nicht zu wissen, also machte ich, das ich aus dem Haus kam!

 

Jasons Wagen stand schon in der Einfahrt und mein Herz machte einen Hüpfer. Ich unterdrückte das breite Lächeln, welches unter meiner Oberfläche brodelte und ausbrechen wollte. Meine Hände begannen zu schwitzen und ich biss mir auf die Lippen, innerlich jubelnd.

Er selbst stand daneben und lachte über einen Witz, den Austin gerade gerissen haben musste.

Pass auf, dass du nicht noch sabberst, Cade!

Jason bemerkte mich im selben Moment wie die Jungs, lächelte leicht und breitete die Arme aus. Oh mein Gott, wusste er, wie gut er geade aussah?Diese Einladung war so was von unwiderstehlich, ich musste mich einfach hineinwerfen, und das Gesicht an seiner Brust vergraben.

„Hey, Kleine!“ Und als er dieses kleine Kosewort aussprach, ließ das beklemmende Gefühl der letzten Tage endlich nach. Erst jetzt, da er selbst hier stand, glaubte ich, dass es ihm gut ging. Dass er nicht verletzt war. Und ich merkte, wie sehr ich ihn vermisst hatte!

„Hallo“, lächelte ich schüchtern und löste mich schnell von ihm. Ich wollte mich nicht wie ein nerviges Äffchen an ihn klammern. „Wie war’s?“, fragte ich locker.

„Gut“, meinte er knapp mit einem merkwürdigen Blick. Ich sah die anderen Jungs an. „Und jetzt wollt ihr das Zurückkommen feiern?“ Zu meiner Überraschung schüttelte Jason den Kopf. Dann ging er aufs Haus zu und wir alle folgten ihm.

„Es war wahrscheinlich 'ne harte Fahrt“, beruhigte mich Clay, als er meinen irritierten Blick sah. Aha.

„Jetzt sag schon, bro“, forderte Chris neugierig auf. Jason setzte sich auf seinen Sessel im Wohnzimmer. „Da gibt’s nicht viel zu erzählen“, wich er aus. „Ich musste so ’nem Pisser 'ne Lektion erteilen. Das ist alles.“ Das war noch längst nicht alles. Keine Einzelheiten? Chris sah enttäuscht aus.

„Und wieso?“ Jason zuckte die Schultern.

„Hat Bruce’ Schwester gevögelt.“ Chris sog scharf die Luft ein. Ging es bei solchen Aktionen immer nur um Rache? Ich hatte das Gefühl, Jason packte hier nicht mit der ganzen Wahrheit, weil ich anwesend war. Und so ungern ich das jetzt auch tat, ich stand auf und lächelte in die Runde.

„Ich geh dann mal, damit ihr… eure Dinge besprechen könnt.“

Chris atmete erleichtert auf und hüstelte ein ‚Endlich’. Ich verdreh die Augen und hüstelte in selber Manier: ‚Fick dich’. Jason schien überrascht. Entweder lag es daran, wie vertraut ich mit seinen Freunden umging, oder das ich sonst nie fluchte. Ich schätze die Jungs hatten einen schlechten Einfluss auf mich. 

„Ich komme mit“, meinte er dann. Ich drehte mich überrascht zu Jason, der schon aufgestanden war.

„Okay“, erwiederte ich schulterzuckend und ging in den Gang, Chris’ Gemotze ignorierend. Der sollte echt mal seine Klappe halten! Jason folgte mir nach draußen und wir liefen vom Grundstück.

„Wie kommt’s, dass du mich lieber Nachhause begleitest, statt den Jungs von den… Geschehnissen zu berichten?“, fragte ich und ging absichtlich vorsichtig mit meiner Wortwahl um. Jason fuhr sich durch die Haare. „Ich bin nicht dazu verpflichtet, ihnen alles zu erzählen“, knurrte er und tastete fluchend seine Hosentaschen nach Zigaretten ab.

Ich kramte welche aus meinen heraus. „Was zur…“ Er sah mich überrascht an. Ich hob die Schultern. „Sie lagen neben deinem Wagen. Ich dachte mir schon, dass du sie noch brauchen wirst. Du dachtest doch nicht wirklich, dass ich rauche?“, grinste ich. Er verdrehte nur die Augen und zündete sich die Kippe an.

Ich seufzte. „Hör mal, Jason… du musst nicht auf Dinge verzichten, nur weil du auf mich ‚aufpassen’ musst. Du kannst heute Abend ruhig feiern gehen, wenn du möchtest. Ich kann einfach meine Eltern bitten, Zuhause zu bleiben. Sie lieben solche Familien-Abende“, versicherte ich.

Wir bogen in meine Straße ein. Konnte der Weg nicht länger sein? Jason lächelte schief, und ich hätte ihn Jahre anstarren können! „Bist du sicher?“, fragte er mit strahlend funkelnden Augen.

Ich hatte gehofft, dass ich in den letzten Tagen immun gegen sein gutes Aussehen werden könnte. Aber das war wohl komplett nach hinten losgegangen, weil ich ihn jetzt am liebsten einfach geküsst hätte.

Ich hatte nämlich immer noch keine Ahnung, was jetzt zwischen uns war! Aber da war bestimmt mehr, als eine Babysitter-Beziehung, basierend auf seiner Aufgabe. Außerdem war ich die letzten Tage von Albträumen geplagt worden! Okay, man konnte sich darüber streiten, ob eine heiße Knutsch-Orgie mit Jason als Albtraum abgestempelt werden konnte. Irgendwie war es das!

„Eh, ja“, antwortete ich verspätet und ein wenig verdattert, weil er seinen ganzen beschissenen McCann-Charme auf einmal auf mich losließ. Seine Lippen verzogen sich zu einem ehrlichen Lächeln.

„Weißt du, Kleine - ich hab dich vermisst.“ Mein Herz überschlug sich. Klasse. „Lügner“, murmelte ich gespielt mürrisch. Er grinste nur, schlang seinen tätowierten Arm um mich und zog mich ganz kurz an sich. Eine freundschaftliche Geste, mehr nicht.

Aber als er mich berührte, überfielen mich hunderte von kleinen Elektroschocks, und ich konnte nicht mehr klar denken. Genau so hatte Jason mich in den Träumen umschlungen. Gott, wie dämlich sich das anhörte!

Ich starrte in sein scheiß perfektes Gesicht und wie automatisch reckte ich mich langsam und presste meine Lippen auf seine. Meine Finger verschränkten sich hinter seinem Nacken und ich schmiegte meinen Oberkörper an seinen.

Und dieses Gefühl war sogar noch besser, als das in meinen Träumen! Jason war zwar überrascht, zog mich jedoch sofort noch näher an sich. Derweilen glitten seine Hände an meinen Seiten hinab, wo sie heiße Spuren hinterließen. Fast sofort erwiderte er den Kuss, als hätte er nur darauf gewartet, und ließ meine Beine wieder zu Wackelpudding werden.

Und dann führte er, während ich hilflos in seinen Armen hing und von seinen Kusskünsten überwältigt wurde. Eine Hand löst sich von seinem Nacken und strich verträumt über seine steinharte Brust, nur um sich dann an sein T-Shirt zu krallen. Jede Frau träumte einmal davon, solche Bauchmuskeln zu fühlen…

Außerdem fühlte es sich extrem verboten an, was mich noch mehr anstachelte… Verdammt, dieser Kuss war so was von heiß! Ich seufzte auf, voller Glückseligkeit. Seine Zunge dominiert meine und… oh scheiße, ich wollte hier und jetzt einfach nur noch sterben! Ich brannte!

Aber er war es auch, der denn Kuss schließlich beendete und Abstand zwischen uns brachte.

„Scheiße, Cade!“ Wir keuchten beide, als hätten wir einen Marathon hinter uns. Dieser Kuss hatte mich so umgehauen…

Wenn das jetzt jedes Mal passierte, wenn ich ihn küsste, würde ich ab jetzt ein  beschissenes Sauerstoffzelt mit mir rumschleppen müssen! Ich stemmte die Hände in die Hüften und versuchte, ihn nicht anzusehen. Er hatte nämlich diesen ganz bestimmten Gesichtsausdruck, der mich echt schwach werden ließ, weil ich ihn so gerne wieder küssen wollte! Gott, wie konnte er mir deswegen Vorwürfe machen?

Nur weil ich Jungfrau war, hieß das nicht, dass ich Mutter Theresa war!

„Mach das… nie wieder“, murmelte er atemlos und sah mich mit diesem ‚Ich-Werde-Dich-Gleich-Nehmen’- Blick an. Wohlige Schauer ließen mich erzittern. „Kleine, so gerne ich dir in diesem Moment auch die Kleider vom Leib reißen und dich auf dem Asphalt nehmen würde…“ Er ließ den Satz unbeendet, packte mich unsanft am Arm und schleifte mich fast Nachhause.

Er musste wirklich seine ganze Beherrschung aufbringen, um einigermaßen sanft mit mir umzugehen.

„Wir sehen uns morgen.“ Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn und fliehte beinahe.

Ich unterdrückte ein Kichern. 

Feels

Chapter Twenty Three

 

„100%?“, hatte ich unsicher gefragt. Sean hatte genervt geschnauft. „Ja doch! Die Party ist bei uns, ich seh keinen Grund, wieso du nicht auch kommen kannst. Es seiden du hast Angst, dass deine Eltern dich erwischen?“ Das hatte so spöttisch geklungen, dass ich böse die Augen zusammenkniffen hatte. Er hatte gerade versucht mich davon zu überzeugen, dass es okay wäre, wenn ich auch auf die Party heute Abend käme. Ich hatte tief eingeatmet.

„Okay… aber ich kann erst so um zwölf, weil ich mich rausschleichen muss.“ Sean hatte sich geräuspert. „Das ist okay. Die Party geht sowieso erst nach Mitternacht richtig los.“ Wir hatten noch ein bisschen gequatschten weiter, hin und wieder hatten wir uns angezickt, bis ich schließlich hatte auflegen müssen.

„Man sieht sich!“ Er hatte lediglich sein zustimmendes Gebrummel abgegeben und  mich abgewürgt.

 

Und dieses Gespräch lag jetzt gut vier Stunden zurück. Mittlerweile war es kurz vor Mitternacht, ich hatte mich in ein cremefarbenes Kleid gequetscht, mir die Haare hochgebunden und prüfte mein Make-Up im Spiegel. Das Kleid war ziemlich eng geschnitten und recht kurz. Ich hatte nicht mal gewusst, dass es sowas in meinem Kleiderschrank gab! Wahrscheinlich war es eines dieser Fummel, zu denen mich Cher überredet hatte, die ich aber nie und nimmer anzog! 

Ich war echt aufgeregt- noch könnte ich mich aus den Klamotten schälen, ins Bett gehen und Sean morgen erzählen, ich wäre eingeschlafen. Aber darauf hatte ich keine Lust, weil meine Neugierde mal wieder stärker war.

Ich wollte unbedingt wissen, wie die Partys so aussahen, die Jason und seine Freunde gaben. Also schwang ich mich schwerfällig über's Fensterbrett. Entweder ich nahm jetzt den Baum, der mir ziemlich instabil schien, oder ich ging über die Veranda und musste einen Zweieinhalbmeter-Sprung riskieren. 

Ich entschied mich für Letzteres und brach mir fast die Beine! Fluchend richtete ich mich wieder auf, warf einen Blick zurück. Die Fenster des Hauses waren immer noch dunkel. Erleichtert drehte ich mich um und lief durch den Garten hinaus auf die Straße.

Schnell brachte ich die kurze Strecke hinter mich und stand mit großen Augen in Jasons Einfahrt.

Was zur Hölle? Hier sah es aus wie in nem scheiß Musikvideo von J-Lo und Pitbull! Nur schon hier draußen standen an die 30 Leute und rauchten Shisha oder knutschten rum.

Auf dem Kiesplatz, und schon vorher am Straßenrand, standen etwa 20 mehr oder weniger teuer aussehende Autos. Diese Musik machte echt einen mega Krach und ich wunderte mich, wieso die Nachbarn noch nicht die Bullen gerufen hatten!

Ich wartete gar nicht lange, sondern ging auf das Haus zu. Drinnen war alles verraucht, Sean hatte wohl eine ganze Bar ausgeraubt- überall standen halbleere Flaschen.

Ich reckte den Kopf und versuchte, jemanden erkennen zu können. Aber Fehlanzeige. Ich wurde von hinten geschubst und stolperte in einen blonden Surfer-Boy. „Was geht, Süße?“ Ich wandte mich angewidert ab. Irgendwie war das wohl doch so keine gute Idee gewesen!

„C’?“ Ich drehte mich erleichtert um, als ich meinen Spitznamen, den Jared immer benutzte erkannte. „Was machst du hier?“ Er sah sich panisch um und ich runzelte die Stirn. „Sean hat gesagt, ich darf kommen.“ Er fluchte sauer.

„Das hätte er nicht tun dürfen!“ Misstrauisch verschränkte ich die Arme.

„Wieso? Wo ist Jason? Soll ich ihn suchen?“ Jared riss die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf. „Sag mal, bist du dicht oder was?“, schnauzte ich ihn an. „Ich will doch nur wissen, wo er ist!“ Jared sah bedrückt aus.

„Er… ist nicht hier.“ Ich verdrehte die Augen. Wollte der mich verarschen? „Du bist voll high, Jared! Ich geh’ ihn jetzt suchen.“ Ich war ein paar Meter gelaufen, als Jared mich von hinten packte. „Du darfst ihn nicht suchen!“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, er versuchte was vor mir zu verbergen.

„Lass mich“, fauchte ich und riss mich von ihm los. Dabei stolperte ich zwei Schritte nach hinten, gegen jemandes Rücken. Ich drehte mich, um eine Entschuldigung hervorzubringen. Aber da blieb mir die Spucke weg.

Jason knutschend mit Paisley. Nein, nein das ging nicht mehr als nur ‚Knutschen’ durch. Immerhin holte sie ihm indirekt einen runter- jedenfalls war sie kurz davor. Durch den Schubser von mir fiel Jason gegen Paisley und die ließ einen spitzen Schrei los.

„Was zum“, spuckte er und drehte sich zu mir um. Ich lächelte falsch, während ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. „Ich wollte nicht stören.“ Damit warf ich ihm einen missbilligenden Blick zu und drehte mich auf dem Absatz um.

Ich hörte Jasons Flüche hinter mir und Paisleys protestierendes Gejaule. Ich hatte doch gewusst, dass es eine Scheißidee war, auf diese Party zu gehen! Und jetzt wurde mir auch wieder bewusst, wieso ich Partys so hasste! Gott, was hatte ich mir nur dabei gedacht, als ich diese Kleid angezogen hatte und rausgeschlichen war? Ich musste völlig verrückt geworden sein! „Cade, wage es nicht, jetzt einfach zu gehen“, knurrte er ziemlich nahe hinter mir.

Oh scheiße, er folgte mir? Panisch legte ich einen Zahn zu. Geh weg, hätte ich am liebsten ängstlich geschrien. Ich hatte eine Heidenangst vor McCann, wenn er diesen Massenmörder-Tonfall drauf hatte. Ich wurde gewaltsam an der Hand gepackt und die Treppe raufgeschleppt.

Hilfe!

 

Jason PoV

 

Ich packte sie an der Hüfte und zerrte sie die Treppe hinauf. Es gab nur ein Zimmer in diesem Haus, welches schalldicht war. Und wo wir das in Ruhe ausdiskutieren konnten. Hölle, was machte Cade hier?

Ich schloss die Tür zu meinem (!) Zimmer auf, schob Cade hinein und machte wieder zu. Dann drehte ich leise den Schlüssel im Schloss um… nur um sicherzugehen. Unwohl kaute ich auf meiner Unterlippe… ich hatte noch nie irgendjemanden in mein Zimmer genommen. Gott sei dank war es stockdunkel!

„Was? Was willst du jetzt hier drin tun?“, blaffte sie.

„Was tust du hier?“, spuckte ich, ohne auf ihre Frage einzugehen. Was. Hatte. Sie. Hier. Verloren?

„Feiern, was sonst“, brachte sie gepresst hervor. Scheiße. Scheiße, sie klang echt verletzt, auch wenn sie es zu verstecken versuchte. Ich verfluchte mich dafür, mit dieser anderen rumgemacht zu haben.

Wie kam es, dass ich meiner Ex-Freundin widerstehen konnte, aber nicht dieser zweitklassigen Göre? Ich wollte mich doch nur etwas ablenken und nach jemandem suchen, der mich genau so unglaublich zurückküssen konnte, wie Cade. Aber da würde ich niemanden finden.

„Lass mal stecken, McCann! Ich brauch keine Erklärung. Ist ja nicht so, als ob ich dein Mädchen wäre…“ Der hatte gesessen. Ich presste die Lippen aufeinander und versuchte sie im Dunkeln auszumachen. Wo verdammt noch mal steckte sie?

Ich hörte, wie sie die Tür zu öffnen versuchte. „Gib mir die Schlüssel.“ Sie versuchte ruhig zu bleiben, damit ich ihre Panik nicht bemerkte.

„Nein“, kam es ebenso ruhig von mir zurück. War sie verrückt geworden? Ich ließ sie doch da draußen nicht in diesem Fummel rumrennen, bei diesen ganzen notgeilen Typen! Noch so einFranccesco-Arschgesicht konnte ich nicht gebrauchen! „Gib mir diese verdammten Schlüssel“, brüllte sie. Aber das interessierte mich nicht. „Shawty…“ Sie unterbrach mich barsch.

„Nenn mich nicht so, klar? Ich bin weder dein Shawty, noch dein ‚Babe’ oder dein Mädchen oder sonst was! Ich hab’s kapiert, McCann! Ehrlich… also hör auf, mich so zu nennen, und mir die Illusion zu geben, als würdest du es ernst meinen!“

Ich war verdammt noch mal sooo sauer! Ich wollte sie einerseits einfach nur schütteln, bis sie endlich kapierte, was ich ihr die ganze Zeit sagen wollte. Aber ich konnte es nicht aussprechen.

„Ich meine es ernst“, entgegnete ich knurrend und kniff die Augen zusammen. „Jason, wenn du Probleme mit deiner Schizophrenie hast, empfehle ich dir ein andermal gerne einen guten Psychologen, aber jetzt lässt du mich erst mal raus, klar?“

Als ich mich nicht rührte, blies sie genervt die Backen auf. „Was willst du eigentlich?“, zickte sie. Das brachte das Fass zum überlaufen.

„Was ich will?“ Ich klang bitter und verzweifelt und... ich wollte eigentlich stark bleiben, aber um mit dieser verwirrenden Frau normal zu reden, brauchte man Nerven aus Stahl! Ich haute auf den Lichtschalter und es wurde gleißend hell.

„Ich will diese ganze Scheiße endlich hinter mir haben“, brüllte ich und zeigte auf die Wände. „Ich will endlich wieder ruhig schlafen können! Ich will endlich vergessen, was in dieser verdammten Nacht passiert ist!“ Meine Stimme überschlug sich beinahe.

Ihre Augen klebten an den Wänden. Bilder von meiner Familie. Bis oben hin waren die Wände damit gefüllt. Zeitungsartikel von Spekulationen, was in der Nacht passiert war. Dunkle, schemenhafte Zeichnungen mit Kohlestift. Namen. Konfuse Sätze, die ich während meiner schlaflosen Nächte und meiner Angstattacken aufgezeichnet hatte.

Dieses Chaos an den Wänden- genau so sah es in mir drin aus.

Alles verschwamm zu einem einzigen Bild, und ich hätte zu gerne gewusst, was sie gerade gedacht hatte. Sie wandte sich mir zu, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich endlich verstand. Dass sie verstand, dass ich nicht so war, wie ich vorgab zu sein. Ich war nicht einfach ‚Jason McCann’, der kriminelle Junge von nebenan.

Ich hatte das Gefühl, sie würde jetzt gleich losheulen. So sah sie auch aus.

„Scheiße“, murmelte sie, kam auf mich zu und umarmte mich. Also warf ich den letzten Rest meines beschissenen Stolzes über Bord der S.S. Ich-bin-zu-hart-um-Gefühle-zu-zeigen und presste ihren winzigen, zerbrechlichen Körper an mich….

 

Be Mine

Chapter Twenty Four

 

Cade PoV

 

Ich war sooo kurz davor, einfach nur loszuheulen! Jetzt mal ganz im Ernst! Sein Körper bebte gegen meinen und ich hatte das Gefühl, es ging ihm gerade nicht viel besserals mir. Eigentlich hätte ich ihn jetzt trösten müssen, aber es war eher umgekehrt. Unten hörte man immer noch undeutlich die Stimmen und die laute Musik, aber es war wie ein surrendes Hintergrundgeräusch, welches leicht auszublenden war.

Ich hatte Jason echt noch nie so schwach gesehen, und das machte mich verdammt noch mal fertig! Scheißegal was er da unten mit Paisley getrieben hatte, scheißegal, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hatte!

In diesem Moment verzieh ich ihm alles und ich hatte das Gefühl, er ließ mich endlich mal hinter seine Fassade blicken. Und was ich da sah, das machte mir eine scheiß Angst! Er klammerte sich an mich wie ein Ertrinkender und ich hätte verdammt gerne gewusst, wie es gerade in seinem Inneren aussah.

Ich wollte auf keinen Fall, dass er diesen Schritt bereute. Ich wollte nicht, dass er dachte, dass ich ihn jetzt für Verrückt hielt oder ihn fallen lassen wollte.

 

„Und seit dem ist ihm jede Chick weggerannt, nachdem er ihnen seine Geschichte erzählt hat. Glaub mir…“

 

Austins Worte fielen mir gerade jetzt wieder ein. Irgendwie konnte ich verstehen, dass er vorsichtiger war. Wie kamen diese Schlampen überhaupt auf die Idee, einfach abzuhauen? Konnten sie sich nicht ausrechnen, dass es ihm weh tat? Ich presste die Lippen aufeinander.

Wir standen einfach so da und kämpften beide mit unseren Gefühlen. Ich wollte unbedingt wissen, wie seine Familie, sein Dad ausgeschlossen, gestorben war. Aber anderseits war ich mir sicher, dass ich die Geschichte nicht hören wollte. Und er würde sie mir sowieso nicht erzählen. Aber das war vollkommen gleich. An diesem Abend hatte er mir genug von sich gezeigt.

Ich strich ihm über die braunen Haare und lächelte. „Bist du okay?“ Es dauerte eine Weile, bis er ein Lebenszeichen von sich gab. Er nickte, rückte aber kein Stück von mir ab. Mein Blick hatte so an den Wänden gehangen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, was sonst noch in seinem Zimmer war.

Ein Bett, ein Schrank. Mein Blick blieb an etwas Großem hängen, und ich gab einen überraschten Laut von mir.

„Du spielst?“ Jason löste sich vorsichtig von mir und fuhr sich durch die Haare.

„Ich habe schon lange nicht mehr…“ Sein Ton war ziemlich harsch, aber ich wusste, dass er es nicht so meinte.

Ich drückte beruhigend seine Hand. „Alles okay. Du musst nicht.“ Dieser Junge erstaunte mich immer mehr. Ich ließ meinen Blick über den weißen, wunderschönen Flügel gleiten. Zu gerne hätte ich ihn jetzt spiele hören, aber ich durfte ihn zu nichts drängen. Ich seufzte und fühlte plötzlich, wie mich die Müdigkeit packte. Ich war zwar erst seit einer knappen halben Stunde hier, aber es war immerhin mitten in der Nacht und ich war es nicht gewöhnt, lange wach zu bleiben! „Ich glaube, ich gehe Nachhause“, murmelte ich deshalb.

Jason nickte, führte mich aus seinem Zimmer durch das ganze Haus nach draußen. Er wahrte einen gesunden Sicherheitsabstand, während wir durch die dunklen Straßen liefen. Sein Blick wanderte dabei herum, als suchte er nach einer Gefahr.

Schließlich standen wir unter meinem Fenster. Ich sah hoch in seine braunen Augen, die fast jetzt gerade fast schwarz schienen.

„Schlaf gut…“

„Du auch“, entgegnete ich nur, küsste ihn vorsichtig auf die Wange und wandte mich dem Baum zu. Er half mir mit einer Räuberleiter hoch und ehe ich mich versah, machte er auf dem Absatz kehrt und wurde von der Dunkelheit verschluckt…

Ich zog mich das Fensterbrett hoch und kletterte durchs Fenster. Im Zimmer angekommen -und noch ziemlich aus der Puste- blickte ich hoch, und erschreckte mich fast zu Tode! „Oh schei…“

„Ausdruck“, unterbrach mich meine Mutter scharf. Sie saß  auf meinem leeren Bett, säuberlich gemachten Bett.

„Mum, was tust du hier?“, fragte ich panisch. Sie zog eine Augenbraue hoch. „Die Frage ist wohl eher, was tust du hier! Ich möchte gerne wissen, was du mit dem Jungen da unten zu schaffen hast.“ Ich schluckte. Oh, das war alles so was von gar nicht gut!

„Ich… also…“, stotterte ich. Ich brauchte jetzt echt ne verdammt gute Ausrede auf die Schnelle!

„Und versuche nicht, mir wieder eine Lüge aufzutischen. Das hast du in letzter Zeit genug getan! Ich kann nicht fassen, dass du uns so belogen hast!“ Sie klang nicht sauer, viel mehr enttäuscht. Ich konnte immer noch nichts sagen, ich war zu geschockt! „Wieso sagst du es uns nicht einfach? Dass du einen Jungen gefunden hast? Ist es, weil er ein Krimineller ist?“ Ich zuckte zusammen uns sah erschrocken in ihr zu einer spöttischen Grimasse verzogenes Gesicht.

„Ich bin nicht von Gestern, Cade! Ich weiß rein zufällig genau wer dieser Junge ist.“

„Bitte erzähl Daddy nichts“, platzte es aus mir heraus. Ich sah sie flehend an und sie verdrehte die Augen. Natürlich würde sie es Dad erzählen- sie hatten keine Geheimnisse voreinander.

„Ich erzähle es ihm nicht.“

Wie bitte? Entgeistert starrte ich sie an. Nicht das sie sowieso schon viel zu verständnisvoll reagierte, nein, sie versprach mir sogar noch, es Dad nicht zu erzählen. Das war ja wirklich fabelhaft, aber mein Misstrauen war jetzt voll geweckt und in meinem Kopf schrillten die Alarmglocken.

„Setz dich mal hin, Cadens.“ Ich gehorchte stumm und setzte mich auf den Schreibtischstuhl. „Okay, hör zu. Als ich in deinem Alter war, ein Jahr bevor ich deinen Dad kennengelernt hatte und von dir schwanger geworden war, habe ich jemanden kennengelernt.

Er war ein paar Klassen über mir und ich habe ihm bei einem Diebstahl geholfen.“ Mum hatte mir zwar gesagt, dass sie als Teenager ein paar krumme Sachen gedreht hatte, und ihre Schwangerschaft damals wie ein Weckruf war…

Aber diese Geschichte war mir neu.

„Tyson Del Vertes. Er war Kleinkrimineller und wir hatten eine Art  Romanze. Ich war ganz vernarrt in ihn... er war meine erste Liebe. Und er wollte mit mir nach Mexico durchbrennen. Wir hatten die wildesten Zukunftspläne und er war innen drin so ein Charmeur.“

Während sie erzählte, hatte Mum diesen komischen Blick drauf, als wäre sie auf einem anderen Stern. Nun sah sie mir wieder in die Augen.

„Was ist passiert?“, fragte ich heiser. Ich räusperte mich. „Er ist alleine nach Mexico gegangen.“ Ich runzelte die Stirn. „Hat er dich versetzt?“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Weißt du, während dieser Romanze war ich wie blind. Ich sah nur noch Tyson und all seinen Charme und sein gutes Aussehen. Und ich wollte unbedingt glauben, dass er der Richtige wäre…

Aber irgendwie wurden mir plötzlich die Augen geöffnet. Ich sah, dass ich mit ihm keine sichere Zukunft hätte. Zwar versprach er mir das Blaue vom Himmel herab, aber… du weißt, was ich meine.

Also ließ ich ihn alleine gehen. Drei Monate später lernte ich deinen Vater kennen und nach weiteren neun wurde ich schwanger.“

Ich nickte mit einem komischen Gefühl im Bauch. „Honey, was ich dir damit sagen möchte: Ich verstehe, dass du dich zu diesem Jungen hingezogen fühlst! Er ist gefährlich und rebellisch und aufregend. Aber er ist auch unberechenbar.“

Ich schluckte. „Weiß Dad von diesem Tyson?“ Mum schüttelte den Kopf. „Nein. Und weißt du auch wieso? Es spielte keine Rolle mehr. Es war nichts als eine dumme Teenager-Liebe. Tyson war spannend und prickelnd, aber ich konnte mir nur mit deinem Dad zu 100% vorstellen, eine Zukunft zu haben.“

Ich schluckte hart. Sie sprach die verdammte Wahrheit aus! Aber ich weigerte mich, ihr zuzuhören und summte innerlich vor mich hin, oder versuchte ihre Worte auszublenden.

„Ich werde deinem Vater nichts erzählen. Aber ich bin im Bilde… und ich möchte, dass du vorsichtig bist. Und gib mir immer bescheid, wenn du dich mit ihm triffst.“ Ich nickte erleichtert.

„Danke, Mum!“ Ich umarmte sie glücklich. „Das heißt aber nicht, dass ich mit eurer ‚Beziehung’ einverstanden bin“, warnte sie. Ich nickte schnell. Ich konnte nur verdammt froh sein, dass Mum nicht wusste, dass Jason ein Mörder war. Oder, dass er ein Bombenspezialist war…

Und, und, und.

„Achja... du hast eine Woche Hausarrest. Keine nächtlichen Ausflüge mehr, verstanden? Und Jesus Christus, was hast du da nur an! Von wo hast du den Fummel nur ausgegraben?“

Ich wurde rot. „Versprochen“, murmelte ich. Sie schloss kopfschüttelnd die Tür.

War das gerade wirklich passiert? Ich konnte es gar nicht richtig glauben! Immerhin war nun jemand im Bilde, was ein riesiger Fortschritt war! Sie wusste zwar nicht alle Einzelheiten, wie zum Beispiel das ich wegen Jason auf die Polizei-Wache musste aber…

Es war ein Anfang.

Müde schälte ich mich aus dem Partykleid und ließ mich ins Bett fallen! Ich konnte nicht leugnen, dass mich Mums kleiner Vortrag ein wenig beschäftigte. Aber ich war kein Kind mehr!

Ich wusste damals nur noch nicht, auf was ich mich da einließ.

 

-

 

Endlich Wochenende! Meine Eltern wollten Samstag und Sonntag hinüber nach Boston, um dort eine Auszeit zu nehmen. Meine Eltern waren an den Wochenenden eigentlich immer unterwegs. Manchmal nervte das ziemlich, aber ich konnte es ihnen nicht verdenken:

Zwischen ihrem 20. und ihrem 30. Lebensjahr mussten sie voll und ganz für mich sorgen, da gab es keinen Platz, um noch jung zu sein. Ich fand es nur gerecht, dass sie jetzt -etwas verspätet aber immerhin- nachholten, was sie versäumt hatten.

 

Ich hatte keine Ahnung was Jason über die Leber gelaufen war, aber als ich den Jungs am nächsten Tag zum Aufräumen helfen wollte, benahm er sich echt merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, er bereute es, sich mir gegenüber so weit geöffnet zu haben. Genau das, was ich eigentlich hatte vermeiden wollen! Er war irgendwie so, wie in den ersten Tagen, als wir uns kennengelernt hatten. Abweisend, aggressiv… Ich kam echt nicht mehr mit!

Sonntag verbrachte ich den ganzen Tag mit viel Schokolade und einem Haufen DVD’s. Es war einer dieser Tage, an denen ich Cher total vermisste, obwohl wir uns im Flur so angezickt hatten! In meinen Augen war sie immer noch meine Freundin!

Traurig blickte ich auf mein Handy. Vorgestern hatte ich die letzte Nachricht abgeschickt, seit gestern hatte sie mich geblockt. Das war dann wohl eine klare Ansage! Meine Eltern kehrten am späteren Nachmittag wieder Nachhause und wir bestellten uns eine Pizza.

Mum hatte ihr Versprechen gehalten und Dad nichts erzählt. Ich war mir sicher, dass er ausrasten würde, wenn er es erfuhr. Immerhin war er Polizist! Das die Tochter sich dann mit einem Kriminellen abgab war natürlich ein absolutes No-Go!

 

-

 

Es war Montagmorgen und der erste Schnee war gefallen.

Keine Ahnung wo sich Jason befand, aber er war nicht gekommen, um mich abzuholen. Also nahm ich einfach den viel zu engen Bus, der mir -jetzt da ich in den Genuss von Jason McCanns Eins A Ledersitzen gekommen war- total unattraktiv vorkam!

Ich hasste es, wenn Jason einfach so nicht in die Schule kam! Dann fühlte ich mich immer so alleine! Und Cher nutzte die Gelegenheit natürlich, um mir ihre neuen besten Freunde zu präsentieren! Gott, war es jetzt echt meine Schuld, dass sie sich zu einer Bitch verändert hatte?

Nach der 12. Stunde, und somit Schulschluss, beschloss ich, Jason einen Besuch abzustatten. Ich machte mir ehrlich Sorgen- was, wenn am Sonntag etwas passiert war? Oder war er vielleicht einfach nur krank?

Statt vor meinem Zuhause auszusteigen, fuhr ich mit dem Bus einfach eine Haltestelle weiter und lief zu Jasons Haus. Clay ging nach dem 100-sten Mal Klingeln erst an die Haustür. „Ach, du bist es“, murrte er.

„Wer sonst?“, pflaumte ich gereizt zurück. Heute war echt nicht mein Tag! „Eine meiner ehemaligen Frauen rennt schon die ganze Zeit wie eine verrückte Bitch ums Haus“, erklärte er das ganze ziemlich schamlos.

„Jaja, interessiert mich nicht. Wo war Jason heute?“ Clay’s Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig. „Er ist nicht Zuhause.“ Ich schnaubte. „Wo sollte er denn bitte sonst sein?“

Clay kratzte sich am Kopf.

„Hey, wer ist denn da?“, rief da Jared aus dem Wohnzimmer. Ich rauschte an Clay vorbei und baute mich vor Jared auf, der auf der Couch saß. „Wo ist Jason?“ Ich war suuuper angepisst!

„Keine Ahnung.“ Ich setzte meinen ‚What-The-Fuck-Ihr-Seid-Viel-Zu-Dumm-Um-Mich-Verarschen-Zu-Können’ -Blick auf. „Lüg mich nicht an, Jared! Ich dachte wir wären Freunde!“

Jared seufzte. „Ist es nicht klar, dass er weg ist?“ Ich schüttelte den verwirrt den Kopf. „Oh…“ Jared stutzte. „Jason hat es dir nicht erzählt?“ „Was nicht erzählt“, wollte ich ungeduldig wissen. „Heute ist der 15.“ Ich durchforstete mein Gehirn nach irgendwas, was ich mit dem 15. Dezember in Verbindung hätte bringen können. Aber da war nichts.

„Und?“, fragte ich auffordernd. „Vor genau drei Jahren wurde McCanns Familie tot aufgefunden.“ Er sagte aufgefunden, deshalb nahm ich an, dass er auch nicht glaubte, dass Jason seine Familie umgebracht hatte.

Ich ließ mich auf die Couch plumpsen. „Oh“, ließ ich nur hören. Jared nickte. „Allerdings. Das ist ’ne ziemlich harte Sache für ihn. Er versucht es weitgehend zu verdrängen, aber dieses Datum…“

Er schüttelte den Kopf. Jetzt tat es mir schon fast leid, hier wie eine Furie hereingestürmt zu sein. „Und wo ist er jetzt?“ Jared zuckte die Schultern.

„McCann flieht jeden 15. aus dieser ganzen Scheiße und verpisst sich mit Austin. Er ist der Einzige, der mit darf. McCann muss mal raus aus seinen vier Wänden, um sich abreagieren zu können. Und Austin muss mit, damit McCann nicht auf die Idee kommt, Amok zu laufen“, erklärte Chris, der aus der Küche auftauchte.

Ich seufzte. „Und was macht ihr jetzt so lange?“ Clay zuckte die Schultern. „Wir warten, bis er kommt.“ Ich sah auf die Uhr. 17:39

„Könnt ihr Jason bei mir vorbeischicken, wenn er wieder kommt?“ Jared zog eine Augenbraue hoch. „Klar. Aber das könnte ziemlich spät werden. McCann macht wahrscheinlich ordentlich einen drauf und haut reihenweise Nutten flach.“ Ich sah ihn entgeistert an.

„War nur ein Scherz“, lachte er. „Sehr witzig“, giftete ich. „Reg dich ab, Cade! Aber es könnte nur sein, dass er ziemlich besoffen ist, okay?“ Ich nickte und wedelte mit der Hand... wen interessiert's? „Schickt ihn trotzdem!“

„Versprochen“, grinste Clay. Ich stand wieder auf, winkte den Jungs zu und ging wieder.

Heute war also der Todestag seiner Familie. Ich konnte mir vorstellen, wie Jason sich jetzt fühlen musste. Ich war ja nur schon am Freitag total geschockt gewesen, als ich in seinem Zimmer war. Und heute war noch mal ne Nummer größer!

Ich dachte nicht, dass er heute Abend kommen würde. Aber man konnte ja mal träumen!

In diesem Moment vibrierte mein Handy. In der Hoffnung es könnte Jason sein, warf ich einen Blick darauf.

Unbekannt an ‚Mein Mädchen’: Du wirst mir gehören. Versprochen. M’

 

Ich riss die Augen auf. Was zur Hölle…!

 

O’Shea PoV

 

Er stand vor ihrem Haus. Dem Mädchen mit den roten Locken. Cadens’ ehemaliger bester Freundin.

Er war sich nicht sicher gewesen, ob die zwei noch Freundinnen gewesen waren. Aber es war wohl ganz eindeutig gewesen, nachdem er gesehen hatte, wie sie reagiert hatte, als er Cadens aufgelauert war.

Er schloss die Augen. Stellte sie sich vor. Ihre klaren, blauen und unschuldigen Augen, ihre braunen Haare…und ihren Wahnsinnskörper. Jeder Mann würde dafür morden, über solche Kurven fahren zu dürfen.

Böse lächelnd sah er, wie die Rothaarige aus dem Schulbus stieg. In ihrem schwarzen Minirock, den hohen Pumps und der durchsichtigen Bluse sah sie ganz anders aus, als er sie in Erinnerung hatte.

Sie sah aus wie eine verfluchte Schlampe. Er leckte sich über die Lippen.

Als sie an ihm vorbei lief, zog er sie ins Gebüsch und legte ihr die Hand auf den Mund. „Wehe du schreist“, knurrte er in ihr Ohr. Sofort hörte sie auf zu zappeln und war gelähmt von der Panik. Er liebte diese Momente.

Die Momente der Macht. „Du wirst nicht schreien, wenn ich meine Hand wegnehme, verstanden? Ich tu dir nicht weh, versprochen.“ Die Rothaarige nickte und er nahm ihr zufrieden die Hand vom Mund. „Du magst dich an mich erinnern?“ Sie nickte und musterte ihn.

„Gut… Weißt du, du bist mir schon damals aufgefallen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Hast du Lust, ein Spielchen mit mir zu spielen?“, fragte er. Die Rothaarige sah ihn skeptisch an, nickte aber.

„Findest du nicht, deine ex-beste Freundin, Cadens, hätte eine Lektion verdient?“ Die Augen der Rothaarigen weiteten sich. Sie biss sich unsicher auf die Lippen. „Ich weiß nicht.“

Er verdrehte die Augen. „Ach komm, sei keine Memme!“ Das hörte die Rothaarige wohl gar nicht gerne. „Was für ein Spielchen?“, fragte sie willig. Er lächelte. „Genau das wollte ich hören! Weißt du, wenn wir diesen Jason McCann von hier wegschaffen würden, wäre alles wieder normal! Du hättest deine alte beste Freundin wieder und niemandem passiert war. Versprochen.“

Die Rothaarige hörte ihm zu, als er ihr seinen Plan erzählte. Er sah sie an und wartete darauf, dass sie ihm einen Korb geben würde. Denn der Plan war ziemlich brutal und die Rothaarige würde sicher nicht so weit gehen.

Wenn sie ihn abwies, würde er ihr wohl oder übel wehtun müssen, damit sie ihm gehorchte. Aber zu seiner Überraschung nickte sie nur gewillt und warf ihm ein verführerisches Lächeln zu.

„Und was kriege ich, wenn ich dir dabei helfe?“

Er grinste. Mit einer raschen Bewegung zerriss er ihren Minirock und begann ihren Hals zu küssen.

 

Nachdem er die Rothaarige mitten im Gebüsch genommen hatte, nahm er sein Telefon hervor und tippte ihr die Worte, die ihm in der Seele brannten.

Sie. Würde. Ihm. Gehören! Und McCann würde darunter zerbrechen! 

Endlich würde dieser Bastard das bekommen, was er verdiente! 

Truth

Chapter Twenty Five

 

Cade PoV

 

Ich hatte echt nicht gedacht, dass er noch kommen würde. Aber gehofft hatte ich es schon. Und deshalb lag ich jetzt noch wach aus meinem Bett. Aber als ich unsere alte Holzstanduhr im Gang schon dreimal läuten hörte, gab ich es schließlich auf.

Wahrscheinlich lag Jason jetzt in seinem Bett, um seinen Rausch auszuschlafen, und eigentlich war es von Anfang an klar gewesen, dass er nicht mehr kam! Ich stand schwerfällig auf und zog mir mein Pyjama absichtlich langsam und träge an. Letzte Chance, Jason! Aber nichts.

Okay, er würde wohl wirklich nicht mehr kommen. Ich legte ein Buchzeichen zwischen die Seiten meiner neuen Errungenschaft und legte sie auf's Nachtisch. Anschließend hüllte mich in die warme Decke, machte das Lämpchen auf und schloss die Augen. Es würde ihm schon nichts passiert sein! Austin war ja bei ihm, er würde schon dafür sorgen, dass Jason nichts anstellte.

 

Als ich schon halb ins Traumland weggedriftet war, klingelte mein Handy, welches auf dem Fenstersims lag. Sofort war ich wieder wach. Normalerweise rief niemand um diese Uhrzeit noch an, also nahm ich an, dass es dringend war. Hastig schälte ich mich aus der Decke und stolperte im Halbdunkel auf's Fenster zu, um auf's Display zu linsen:

 

Austin

 

Verwundert nahm ich den Anruf entgegen, während mein Blick aus dem Fenster wanderte. Am anderen Ende war schweres Atmen zu hören, so als wäre Austin eine Meile gerannt! Ich runzelte die Stirn.

„Scheiße, hast du McCann gesehen? Es gab ne fette Prügelei, weil der Hurensohn drüben von der Gang in Brooklyn ihn dumm angefickt hat“, gab Austin keuchend von sich. Während er redete, ließ ich meinen Blick durch den Vorgarten auf die Straße vor dem Haus wandern... 

„Sean sagt er ist nicht Zuhause, und…“

„Austin?“, unterbrach ich ihn. Sofort hörte er auf zu reden.

„Er ist bei mir.“  Meine Augen waren rechts auf der Straßenseite geheftet, wo Jason an seinen schwarzen BMW gelehnt stand. Er starrte direkt zu mir hoch, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet, dass ich endlich zum Fenster kam. Sein Blick verankerte sich mit meinem- mein Herz klopfte mir bis zum Hals!

„Ich leg jetzt auf.“ Damit würgte ich Austin einfach ab, bevor er etwas erwidern konnte, ohne den Augenkontakt zu Jason zu verlieren. Man sah den Zigarettenstummel in seiner Hand im Dunkeln glühen, und das helle Licht des Vollmonds tauchte alles in ein seltsames, fahles Licht. Ich sah undeutlich wie Jason die Hand hob und mich zu sich winkte. Ich kaute auf meiner Unterlippe und bedeutete ihm, zu warten.

Der Rest ging ganz mechanisch. Ich dachte gar nicht lange darüber nach und zog mich in Windeseile wieder um. Weil ich meine Jacke unten in der Garderobe hatte, musste ich zwei dicke Pullis übereinander anziehen. Dabei stellte ich mich -dank meiner Nervosität- ziemlich ungeschickt an und brauchte doppelt so lange wie normalerweise.

Nachdem ich das hinter mich gebracht hatte, schob ich das Fenster hoch. Draußen erwartete mich die eisige Kälte und mein Atem blies kleine Wölkchen in die Luft. Leise zog ich beide Beine über das Fensterbrett und griff nach dem Ast. 

Binnen zwei Minuten war ich im Garten und schwang mich über den Zaun. Mittlerweile war ich ziemlich geübt im Klettern. Das Adrenalin schoss mir ins Blut und ich hatte das kribbelige Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Ich war noch nie einfach so abgehauen, obwohl ich Hausarrest hatte.

Jasons Augen funkelten erwartend und abenteuerlustig- seine Hände hatte er tief in den Hosentaschen vergraben. Gott, es war so kalt! 

„Steig ein.“ Es hörte sich nicht wie ein Befehl an, aber er duldete auch keinen Widerspruch. Nicht, dass ich ihn jetzt einfach versetzt hätte!

„Ich hätte eigentlich Hausarrest. Ich schieb es auf dich, wenn ich erwischt werde“, informierte ich, während ich um den Wagen lief.

Ich musste mich davon abhalten wie eine Dämliche zu hüpfen, so aufgeregt war ich. Jason trat die Zigarette aus und warf mir einen undefinierbaren Blick zu. „Damit hab ich kein Problem.“

Ich hatte mir seinen Zustand anders vorgestellt. Aber jetzt, wo ich so darüber nachdachte, konnte ich mir auch nicht mehr vorstellen, dass Jason McCann irgendwie heulend zusammenbrechen würde. So war er nicht. Er ließ sich nicht mal jetzt was anmerken.

Und ich hatte auch erwartet, er wäre sturzbesoffen. Aber er schien nicht mal einen Schwips zu haben. Ich hätte einmal mehr gerne gewusst, was in ihm vorging!

Ich ließ mich auf den weichen Sitz fallen, als er losbrauste und Richtung Brooklyn fuhr. Die Lichter von New York blendeten mich und wir versuchten durch den Verkehr zu kommen. Ich lehnte mich zurück, und versuchte mich zu entspannen. Aber das war gar nicht so einfach, wenn Jason mit dieser hohen Geschwindigkeit am Verkehr vorbei fuhr. Was sollte ich jetzt sagen? Sollte ich fragen, wie es ihm ging? Oder sollte ich einfach so tun, als wüsste ich nicht, was heute für ein Tag war, und fragen, wieso er nicht in der Schule gewesen war?

Oder ich ignorierte es einfach…

„Austin sucht nach dir“, bemerkte ich gedankenverloren. Jason hob die Schultern. „Mir egal.“ Ich zuckte innerlich zusammen, als ich seine schneidende Stimme hörte. Jason warf mir einen prüfenden Blick zu, aber ich ließ mir nichts anmerken und musterte ihn genauer. Auf den zweiten Blick merkte man, dass er alles andere als ruhig war! Ganz im Gegenteil.

Erst jetzt sah ich, wie er mit den Zähnen knirschte. Ich sah den Schweiß auf seiner Stirn, sah wie seine Hände das Lenkrad umklammerten. Ich sah, wie er seine Atmung zu kontrollieren versuchte, und wie sein rechtes Bein nervös zuckte. Seine Haltung war nervös und verkrampft und er sah so aus, als drehte er innerlich durch. 

„Jason? Geht’s dir gut?“, erkundigte ich mich dann doch mal und konnte die Besorgnis in meiner Stimme nicht verhindern. „Ging mir nie besser“, gab er gepresst zurück. „Ich muss nur… muss nur kurz hier raus“, schob er nach. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte. ‚Kurz raus’.

Er fuhr aus der Stadt und folgte den Mount Macy- Schildern. Ich fragte mich echt, was er dort wollte. Er wollte doch nicht allen ernstes auf den Berg fahren? 

Doch, genau das hatte er vor. Er fuhr durch die kurvige, leicht steigende Straße. Wir ließen die Lichter der Großstadt zurück und es wurde wieder dunkler. Das Gehupe wurde leiser und schließlich waren alle Geräusche verstummt. Nur Jason und ich, seine unregelmäßige Atmung, das Aufheulen des Wagens, welchen er immer weiter antrieb. Irgendwas stimmte nicht mit ihm.

„Wo willst du hin, Jason?“, fragte ich leicht hysterisch. Keine Reaktion. Hölle, was hatte er vor?

„Jason? Jase!“ Er zuckte so heftig zusammen, dass ich erschrocken aufquiekte. „Nenn mich nie wieder so“, spuckte er in meine Richtung. Ich hob eine Braue - er konnte mich nicht einschüchtern. Aber ich war trotzdem verwirrt. 

Und ich fragte mich, wie lange er noch fahren wollte. Er wollte raus hier- aber war ihm bewusst, dass die Uhr auf dem Armaturenbrett halb vier anzeigte? Und das mich meine Mutter um sechs Uhr wecken wollte? Ich hatte zwar die Zimmertür abgeschlossen, aber das würde sie nur umso mehr beunruhigen! Und ich hatte ihr doch eigentlich versprochen, dass ich keine nächtlichen Ausflüge mehr machen wollte.

Jason bog um eine Ecke und bremste dann scharf auf dem Kiesplatz am Rande. Wir hatten ca. die Hälfte des Berges durch. Vor uns erstreckte sich ein hoher und drahtiger Zaun, die mich ziemlich einschüchterte. War es legal, hier zu parkieren? Ich wollte Jason fragen, was er hier wollte. Aber dann war er bereits ausgestiegen und lief auf die Absperrung zu.

Oh Gott! Er war verrückt geworden.

Schnell stieg tat ich es ihm gleich. Die beißende Kälte empfing mich unangenehm, und ich lief ihm nach, alsbald ich die Autotür zugeschlagen hatte. Das Geräusch hallte in der Dunkelheit und ich fühlte mich mehr als unwohl.  

„Jason! Was machst du da, komm zurück!“ Was zum...?

Als er begann, sich über den Drahtzaun mit der Aufschrift Danger zu angeln, wurde mir halb schlecht.

Oh, Jason! Was hast du jetzt schon wieder vor?

„Jason, das ist mein ernst! Hör auf mit der Scheiße“, meinte ich erneut. Ich erwartete, dass in jeder Sekunde die Security oder das FBI aus einer Ecke stürmte und sah mich panisch um. 

Jason jedoch schien das ganze entspannt zu sehen.

„Mach kein Drama, Cadens.“ Er war jetzt oben am Zaun angekommen und schwang ein Bein auf die andere Seite, damit er dort sitzen konnte. Er reichte mir die Hand- sauffordernder Blick lag auf mir und ich fühlte mich sehr unbehaglich. Wollte er jetzt ohne Scheiß, dass ich da rauf kletterte?

„Sei kein Schisser, Cade“, spottete er laut. Zu laut!  

„Hier ist keiner! Vertrau mir.“ Ich fluchte über ihn -was er saukomisch zu finden schien- und griff nach seiner Hand. Es war als würde seine Berührung kleine Elektroschocks durch mich hindurch jagen. Nicht unangenehm, aber doch definitiv spürbar. Also ließ ich seine Hand so schnell wie möglich wieder los, und ließ mich mit ihm auf die andere Seite fallen.

„Komm.“ Ich folgte ihm. Ich hatte echt kein gutes Gefühl bei der Sache. Wir liefen an kleinen Büschen vorbei, das Kies quietschte unter meinen Sohlen. Wir bewegten uns vom Berg gen Stadt. Ansonsten sah ich nicht besonders viel. Jason hielt mich abrupt zurück, bevor ich weitergehen konnte.

„Nicht so hastig, Kleine“, knurrte er warnend. Erschrocken sah ich, dass ich den nächsten Schritt in den Abgrund gemacht hätte. Der Hang war ziemlich felsig und den Sturz in auf harten, ausladenden Steine hätte niemand überlebt. Holy...

Jason setzte sich hin und ließ die Füße über dem Hang baumeln. Ich konnte nicht leugnen, dass es hier total schön war:

Vor uns lag New York. Der Anblick war atemberaubend. Das Licht der Sterne und des Mondes war vollständig neben den Großstadtlichtern verblasst. Man sah die riesige Brücke, die Rücklichter der Autos, irgendwo konnte ich den Central Park ausmachen und das Empire State Building ragte zwischen all den Hochhäusern hervor. Die Geräusche der Großstadt erreichten uns nicht, und man konnte nur erahnen, wie hektisch es da unten vor sich ging. 

Es war fantastisch.

Ich setzte mich vorsichtig- nicht so dicht an den Abgrund wie Jason. Erst hatte ich das Gefühl gehabt, dass er hier runter springen wollte, aber das war jetzt weg. Ich presste die Lippen aufeinander und konnte beinahe vergessen, dass das hier verboten war.

„Ich komme jedes Mal hierher. Ich bin hierher geflohen, nachdem ich sie tot gefunden habe“, verriet Jason langsam.

„Es war kein Unfall, dass sie gestorben sind“, stellte ich fest. Jason lachte verächtlich. „Natürlich nicht.“

Er inhalierte die klare und kühle Dezemberluft. Der Schnee war wegen den doch noch hohen Temperaturen wieder geschmolzen. Die Zeit der Schneestürme war in New York erst nach Weihnachten, gegen Neujahr hin.

„Weißt du, wer es war?“, fragte ich vorsichtig und hielt gespannt den Atem an. Es gab jetzt zwei Optionen: Entweder er erzählte mir die ganze Geschichte, oder er schwieg weiterhin eisig darüber.

„Sicher“, antwortete er bitter. Ich atmete aus und betrachtete die kleine Wolke, die ich dabei in die Luft blies. „Er hat mir sogar ein Geschenk hinterlassen.“ Jason deutete auf seine Hosentasche.

„Dein Handy?“, fragte ich stirnrunzelnd. Jason verdrehte die Augen. „Ein Video.“ Ich kaute auf meiner Unterlippe. Ich hatte so viele Fragen.

„Ich seh es mir jedes Jahr an und…“ Seine Stimme zitterte vor blinder Wut und sein ganzer Körper schien zu vibrieren. Er fuhr sich müde übers Gesicht und sein Blick wanderte ins Leere. Ich wollte ihn irgendwie beruhigen, aber ich wusste nicht wie.

Zaghaft berührte ich seinen Arm- er glühte. Aber Jason zog ihn wieder weg. Ich wunderte mich, was auf dem Video drauf war! „Darf ich es sehen?“

Jason sah mich an, als wäre ich verrückt geworden. „Niemals! Du hast keine Ahnung, was da drauf ist… das… das ist nichts für solche Mädchen wie du.“ Ich machte einen Schmollmund.

„Was soll das den jetzt heißen?“ Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. „Immerhin bin ich nicht schreiend weggerannt, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe“, fügte ich inzu. Obwohl mir danach zu Mute gewesen war- aber das wusste er wahrscheinlich eh schon,

„Und ich hab schon gesehen, wie du jemanden umgebracht hast. Naja, fast“, fuhr ich fort. „Das ist kein Vergleich“, zuckte er die Schultern.

„Dann erzähl mir, was passiert ist“, bat ich. Jason schüttelte den Kopf. „Dann müsste ich dir auch mehr über mich erzählen. Und dann würdest du weglaufen. Und ich will nicht, dass du wegläufst. Verstehst du, Kleine?“ Mein Herz schlug ein paar Takte schneller. „So schlimm?“

Jason schwieg. Dann sagte er vorsichtig und jedes Wort betonend: „O’Shea war’s.“ Ich riss die Augen auf. „Matt? Matt hat deine Familie umgebracht? Der Matt, der hinter mir her ist?“ Ich wollte am liebsten kotzen, damit dieses mulmige Gefühl in meiner Magengegend verschwand.

„Ja, der.“ Und als hätte Jason meine Gedanken gelesen, fügte er hinzu. „Er wird dich nicht kriegen. Ich verspreche es dir.“ Ich bewegte meine kalten, tauben Finger und. „Und auf dem Video ist er drauf. Und was er mit deiner Familie gemacht hat“, schlussfolgerte ich leise. Wie in diesen Horrorfilmen.

„Ja. Das willst du nicht sehen“, bestätigte er. Oh. „O’Shea hat sich bis vor ein paar Wochen weiß Gott wohin versteckt. Und jetzt ist er wieder da, und jetzt kriegt er seine Lektion.“

Jason sagte das so ruhig und doch so bedrohlich, dass mir Matt beinahe leid tat. Wenn Jason ihn in die Finger bekam, na dann gute Nacht. Wir schwiegen und hingen unseren Gedanken nach. Jason hatte sich jetzt wieder einigermaßen beruhigt und saß ruhig neben mir. Ich hoffte, dass es auch ein wenig an mir lag.

Ganz plötzlich zog er mich hoch. „Komm. In einer Stunde musst du aufstehen.“ Ich war überrascht, dass die Zeit so schnell vergangen war!

Wir gingen zurück, kletterten über die Absperrung und liefen zum Auto, um zurückzufahren.

 

-

 

McCann PoV

 

Ich begrüßte Sean mit einem Handschlag. „Ich frage mal nicht, was du letzte Nacht noch gemacht hast“, grinste Sean und wackelte mit den Augenbrauen. Ich schnaubte und ließ Cade, welche gerade in ihrem Zimmer war, nicht aus den Augen. Ich war hier, um Sean von seiner Schicht abzulösen. Die Beschützersache war mein beschissener ernst.

„Sag mal, vögelst du sie?“, fragte Sean plötzlich neugierig. „Bist du behindert, bro?“, zischte ich. Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Dann denkst du zumindest darüber nach“, beharrte er. Ich verdrehte die Augen.

„Wie kommst du nur immer auf diese Scheiße“, spuckte ich. Verpiss dich einfach, Sean, dachte ich.

„Na, wie du sie ansiehst. Du siehst sie an, als gehört dir jeder einzelne Teil ihres Körpers. Ey, ich nehm’s dir nicht übel, bro. Die würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ Er warf einen Blick zum Fenster. Ich kniff die Augen zusammen. Und ich würde ihm gleich die Fresse polieren!

„Komm schon, bro! Wir wussten es schon, bevor du es wusstest. Denkst du nicht, Chris hätte sie sich schon lange gekrallt? Der fickt doch alles, was nicht bei drei auf’m Baum ist. Fast schlimmer als du!

Nein, bro. Wir haben uns schön zurückgehalten, weil sie dein Mädchen ist. Nicht diese gespielte Scheiße, seit du bei den Bullen warst. Sie ist dein Mädchen. Du hast es nur noch nicht realisiert, bro.“

„Arschloch“, fluchte ich ihm hinterher, als er sich wegdrehte und sich einfach verpisste. Cadens war nicht mein Mädchen. Aber ich konnte nicht leugnen, dass sie etwas in mir bewegte. Verdammt!

Es war ein Fehler gewesen, ihr gestern von dieser ganzen Scheiße zu reden. Sie gehörte nicht in meine Welt, und das würde sie auch nie!

 

Leider steckte sie schon viel zu tief drin…

Close

Chapter Twenty Six

 

Cade PoV

 

„Und, naja, ich dachte wir könnten vielleicht was kochen.“

Jared warf mir einen kurzen, flehenden Blick zu. Ich schnaubte. „Wer ist wir?“ Er verdrehte die Augen. „Na ich kann ja helfen“, bot er an. Ich grinste.

„Und mit was wollt ihr essen?“ Er zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, aber ich hab eingekauft.“ Ich runzelte die Stirn. „Du hast eingekauft aber weißt nicht, für was?“ Ich musste lachen, als er mir einen vertrottelten Blick zuwarf.

„Ihr nehmt mich doch nur bei euch auf, damit ich euch die ganze Woche lang bekochen kann“, zog ich ihn auf. „Aufgeflogen“, rief er theatralisch. „Hände ans Steuer“, befahl ich immer noch lachend.

Ich mochte Jared- bei ihm war es nicht so offensichtlich, dass er ‚kriminell’ war. Er war eine Frohnatur, aber ich war mir sicher, dass er auch anders konnte. Ich würde noch nicht so weit gehen um zu sagen, dass wir Freunde waren. Aber wir verstanden uns gut.

Diese Woche würde ich bei den Jungs verbringen. Meine Eltern hatten in zwei Tagen ihren Hochzeitstag. Sie hatten sich eine Woche frei genommen, um nach Chicago zu fliegen. Dem Ort wo sie sich kennengelernt hatten und Dad meiner Mum einen Heiratsantrag gemacht hatte. Ich hatte meiner Mutter hoch und heilig versprechen müssen, nichts anzustellen. Und vorsichtig zu sein.

Also war ich für eine ganze Woche auf mich alleine gestellt. Jason hatte natürlich darauf bestanden, dass ich bei ihnen blieb. Mir war das nur recht! Jason war mit allen anderen außer Jared (er war zum Beschützer degradiert worden) losgezogen. Schon wieder eine Mission. Keine Ahnung, was er vorhatte. Aber ich vermisste ihn, obwohl ich ihn vorgestern -am Freitag- erst in der Schule gesehen hatte. Mir war bis jetzt nie bewusst gewesen, wie abhängig ich von ihm geworden war.

Verstohlen warf ich einen Blick aufs Handy und sah erleichtert, dass ich keine neue Nachricht hatte. Ich hatte Jason immer noch nichts davon erzählt- von Matt's SMS-en, meine ich. Das hätte ihn nur unnötig aufgeregt, wo er doch sowieso schon zu viel um die Ohren hatte. Mittlerweile hatte auch ich gelernt, dass Jason irgendwie manisch aggressiv zu sein schien. Gut und Schlecht, es gab nichts dazwischen. Und diese zwei Stimmungen konnten bei ihm urplötzlich und ohne jegliche Warnung auf die andere Seite schlagen umschlagen.

 „Da wären wir.“ Ich stieg aus und schulterte die Tasche mit dem Schulzeug plus Kleidung für eine Woche.

Mir gehörte das Gästezimmer, wo ich mich jetzt sofort einnistete. Dann versuchte ich aus den Sachen, die Jared gekauft hatte, irgendwie ein genießbares Essen zu kochen.

 

Um ca. halb 11 hörten wir das Auto.

Die Autotüren wurden zugeschlagen und ich war gerade fertig geworden. „Hey“, begrüßte ich Sean, der als erster ins Zimmer geschlurft kam. Er und der Rest -Jason ausgeschlossen- nickten mir zu. Sie sahen alle dreckig, ziemlich fertig und vor allem extrem frustriert aus. Ich wollte ihnen gerade sagen, dass ich essen gemacht hatte, doch dann kam Jason und drängte sich an Allen vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich sein Gesicht. Er war dreckiger als sie alle, seine Lippe blutete und verkrustetes Blut hing an seiner Wange. Seine dunklen Augen hielten meine kurz gefangen und in ihnen waren so viele Gefühlsregungen, die ich nicht verstand, es verwirrte mich. Mein Herz begann wie wild zu klopfen und der Kochlöffel fiel mir kurzerhand auf den Boden. Ich wollte etwas sagen, aber dann war er schon vorbei.

Er lief die Treppe hinauf und ich hörte nur noch wie die Zimmertür so fest zuknallte, dass der Hund, der ihnen auf jede Mission folgte, alarmiert zu bellen begann. 

„Was ist passiert?“, fragte Jared alarmiert und zog die Augenbrauen zusammen. „Die ganze Scheiße ich nach verfickt noch mal hinten losgegangen. O’Brian und der Rest dieser behinderten Wichser wussten, dass wir kamen und waren bewaffnet. Weiß Gott woher sie diese verdammten Militär-Knarren hatten! McCann musste ziemlich einstecken. Dann ist die Bombe nicht losgegangen weil Chris, der Idiot, kein Feuer hatte! McCann ist ausgerastet und hat ihn halb tot geprügelt.“ Erst jetzt bemerkte ich, dass der arme Chris ein völlig zugeschwollenes Gesicht hatte. 

„Also mussten wir uns auf die Schnelle was anderes einfallen lassen… das war so was von scheiß verrückt! Wir wären da draußen fast abgekratzt!“

„Ich hab Essen gemacht“, unterbrach ich. Sie sahen mich überrascht an und Clay stöhnte auf. „Gut. Wenn ich jetzt auch noch diesen Dreck aus der Dose hätte essen müssen…“, knurrte er. Er ließ den Satz in der Luft hängen und alle sprangen in die Küche. Ich sah ihnen zu wie sie assen und versuchte irgendwie, Chris' Gesicht wieder in Ordnung zu bringen. „Macht es euch was aus, wenn ich schlafen gehe? Ich mach die Küche morgen nach der Schule“, versprach ich und versorgte den Erste-Hilfe-Kasten dort wo ich ihn her hatte.

„Geh“, knurrte Sean zur Antwort und Jared warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu- als könnte er etwas dafür! Nachdem ich ihm ein kurzes Lächeln geschenkt hatte, drehte ich mich um und lief aus der Küche. Ich ging hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und lief langsam den Gang entlang. Statt in McCanns ‚Zimmer’ brannte das Licht eine Tür weiter, neben dem Gästezimmer. Kurz überlegte ich, ob ich nach Jason sehen sollte. Aber das wäre sicher hässlich geworden, und ich wollte nicht schon wieder mit ihm streiten.

Also zog ich in Windeseile meine Schlafklamotten an und sprang ins Bett. Draußen schneite es noch immer! Ich legte mich flach hin und schloss die Augen- aber ich wollte einfach nicht einschlafen. Egal wie weit ich die Decke hoch zog, ich fror. Ich wand mich, knetete mein Kissen und stellte schließlich das Licht an.

So ging das nicht, ich konnte nicht schlafen!

Ich beschloss, meine Mum anzurufen. Kurz telefonierte ich also mit meinen Eltern und versicherte ihnen, dass ich Zuhause war und es mir gut ging. Sie waren jetzt angekommen und assen in dem teuren Hotelrestaurant. Als das Essen kam, mussten sie auflegen.

Dann las ich noch mal die neue Nachricht von Matt, die er mir heute Morgen geschickt hatte.

 

Richte McCann aus, ich bin noch nicht fertig mit ihm. Runde zwei beginnt.

 

Was konnte er damit nur meinen? Runde zwei. Ich kaute auf meiner Unterlippe - er wollte unbedingt, dass ich starb. Ich seufzte, ließ mich in die Kissen fallen. Und wieder mal stellte ich mir die Frage, ob sich das alles lohnte. Ob ich mich weiterhin in Gefahr bringen sollte, nur um Jason zu bleiben. Aber wie immer kam ich auf dasselbe Ergebnis- natürlich war es das wert!

Ich erschrak mich fast zu Tode, als mein Handy wieder vibrierte.

 

McCann an ‚Kleine’: Licht aus.

 

Ich verengte die Augen. Was hatte er bitte für ein Problem? Wer war er- meine Mutter? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er, immer wenn er schlechte Laune hatte, alles an mir ausließ!

 Und das ging tierisch auf den Geist!

 

 ‚Shawty’ an McCann: Oder was? Nennst du mich wieder eine Schlampe?

 

Oh ja. Ich hatte das noch nicht vergessen und ich kannte ihn. Seine Antwort kam umgehend.

 

McCann an ‚Shawty’: Wenn du es verdienst?

 

Was sollte das denn jetzt bitte heißen! Ich schnaubte aufgebracht!

 

‚Shawty’ an McCann: Du bist so ein Arsch, Jase!

 

„Jason? Jase!“ Er zuckte so heftig zusammen, dass ich erschrocken aufquiekte. „Nenn mich nie wieder so“, spuckte er.

 

Er mochte es offenbar nicht, wenn man ihn so nannte. Und genau deshalb tat ich es! Ich hatte es satt, dass er mich so behandelte! Außerdem ging mir die Tatsache das er es fast mit Paisley getrieben hatte immer noch nach! Wut machte sich in mir breit. 

 

McCann an ‚Shawty’: Und?

 

McCann/‚Shawty’ an ‚Shawty’/McCann: Fick dich!

Diese zwei Wörter schickten wir uns beide zeitgleich. Na warte, Mr.!

Ich sprang auf und lief aus der Tür. Er schien die gleiche Idee gehabt zu haben und so knallten wir die Tür beide gleichzeitig zu. Ich marschierte schnurstracks auf den mir entgegenkommenden Jason und setzte an: „Du bist so ein verdammter…“

Aber ich wurde unterbrochen, als er meinen Kopf in seine Hände nahm. Und als seine harten Lippen auf meine trafen, war ich außer Gefecht gesetzt. Wie. Machte. Er. Das. Nur? Wie schaffte er es, dass mein Ärger sofort verpuffte? Dieser Kuss war nicht einer der heißen Sorte. Es war einfach eine bittersüße Entschuldigung, was ihn nicht minder gut werden ließ! Jason McCann war einfach der Meister des Küssens und ich konnte nicht genug davon bekommen!

Er war sich seines Talentes durchaus bewusst, weshalb er jetzt auch leicht lächelte. Ich liebte dieses Lächeln. Kurzerhand fasste er unter meine Kniekehlen und hob mich hoch, um mich in sein Zimmer zu tragen. Mein Herz klopfte wie wild und ich versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. „Tut mir leid“, murmelte er, sein heißer Atem streifte meinen Nacken. Ich akzeptierte es sofort. Ich wusste, es kam nicht oft vor, dass Jason sich echt und ehrlich entschuldigte.

Er trug mich geradewegs in sein Zimmer und ließ mich auf sein Bett nieder. Ich tat nichts dagegen, als er sich hinter mich legte. Erschrocken riss ich die Augen auf, als er mich mit einem heftigen Ruck an sich zog. Sein tätowierter Arm presste mich an seine Brust und er spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte.

„Tut mir leid, babe“, murmelte er sogleich in mein Ohr. „Ich kann einfach nicht anders.“

Irgendwie war es befriedigend zu wissen, dass auch ich Jason nicht vollkommen kalt ließ. „Schlaf mit mir, Jason“, flüsterte ich. Ich meinte nicht, dass ich Sex mit ihm wollte, und das wusste er genau so- aber jedes Mal, wenn wir zusammen in einem Bett lagen, schlief ich. Und nur ich. Er war immer derjenige, der mich dabei beobachtete. „Ich kann nicht schlafen“, antwortete er sanft. Ich kaute auf meiner Lippe und drehte meinen Kopf zu ihm. Seine dunklen Augen empfingen meine und ich wünschte mir so sehr zu wissen, was in seinem Kopf vorging.

„Schlaf, Jason“, wiederholte ich. Er seufzte, schloss aber gehorsam die Augen. Ich wartete und sah ihn so lange an, bis ich sicher war, dass er eingeschlafen war. Dann schloss auch ich die Augen.

Und mit Jason neben mir konnte ich plötzlich ohne Probleme einschlafen.

 

-

 

Ich wurde sanft geschüttelt. „Shawty“, flüsterte Jason an mein Ohr. Trotz meiner Schläfrigkeit breitete sich sofort eine Gänsehaut an meinem Nacken. 

„Hmm?“, antwortete ich. „Du musst jetzt aufstehen. Du bist zu spät.“ Ich riss sofort die Augen auf.

„Du kannst mein Bad benutzen. Gegenüber meines Zimmers.“ Jason war schon angezogen und saß entspannt auf dem Bett. „Wieso hast du mich früher nicht geweckt?“, klagte ich. Er zuckte die Schultern. „Ich fand die Vorstellung witzig, dass dich beeilen musst.“ Ich zeigte ihm den Mittelfinger, als ich aus seinem Zimmer sprintete. Arsch!

Aus dem Gästezimmer holte ich irgendwelche Kleider und lief ins Bad. Nach der Eil-Dusche roch ich zwar nach Jasons Duschgel, aber das war mir sowas von egal. Ich kämmte mir rasch die Haare und schminkte mich. Ich war noch nie so schnell gewesen!

Dann nahm ich meine Zahnbürste. Leider hatte ich die Zahnpasta Zuhause vergessen, deshalb öffnete ich Jasons Schrank und suchte nach seiner. Er hatte sicher nichts dagegen. „Da“, murmelte ich und griff danach. Dabei fiel etwas zu Boden.

Ich hob das rote Döschen hoch und hielt inne, um die Etikette zu lesen.

Beruhigungstabletten

Dann drehte ich um und überflog die Gebrauchsanweisung. „Gegen Angstausbrüche“, las ich und ließ die Hände sinken. Was zur Hölle... Wieso brauchte Jason so was?

„Cade? Ich fahr gleich ohne dich los!“ Ich zuckte zusammen und legte das Döschen hastig zurück in den Schrank. „Ich komme“, rief ich gedankenverloren zurück. Irgendwas sagte mir, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um Jason nach diesen Tabletten zu fragen.

Nachdem ich mir doch noch die Zähne geputzt hatte, lief ich zu Jason.

„Bereit, Shawty?“ Ich nickte und mein Herz machte ein paar Hüpfer, als er nach meiner Hand griff und seine Finger mit meinen verschränkte. Für ihn mochte das kein großes Ding sein, aber für mich war es alles. 

Ich sah auf unsere Hände. Meine Haut war rein und weich, während seine rau und von Narben überzogen war. Sie waren so verschieden, wie aus anderen Welten, und trotzdem schienen sie füreinander geschaffen. Meine Finger gehörten zwischen seine, und seine zwischen meine. Sie waren perfekt.

Ich kaute auf meiner Lippe, während wir zu seinem Auto liefen.. „Arbeitet keiner von den anderen Jungs?“, fragte ich neugierig. Jason schüttelte den Kopf. „Die haben schon genug zu tun“, erwiederte er. Ich nickte, hatte aber kein Plan von was er redete. Ich hatte keine Ahnung, wie es in ihrem Buizz so lief!

 

In der Schule begleitete er mich bis zum Schließfach. „Bis dann“, verabschiedete ich mich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange- war ja keine große Sache mehr, oder? Und plötzlich verstummten sämtliche Gespräche und ich wurde von allen Mitschülern  entgeistert angestarrt. Ich konnte ihre Gedanken beinahe hören! Was hat Cadens mit Jason McCann zu tun?

Ich winkte Jason zu und lief ins Klassenzimmer. Stirnrunzelnd bemerkte ich, dass Cheryl wieder auf ihrem alten Platz neben mir saß. Hatte ich was verpasst? Ich lief zu ihr und blieb unschlüssig stehen.

„Hast du dich im Platz geirrt?“, fragte ich vorsichtig, um sie nicht zu verärgern. Hätte ja sein können. Cher lachte nur. Laut und quietschig. Es klang schrill in meinen Ohren. Hatte sie schon immer so geklungen oder bildete ich es mir nur ein? Sie trug immer noch diese unmöglich kurzen Röcke und hohe Sky Heels.

„Nein, das ist ganz richtig so! Hör mal, Cade. Wir sind doch Freundinnen, oder? Und wir müssen zusammenhalten! Es ist dein Leben und du kannst zusammen sein mit wem du willst! Ich mache mir nur Sorgen, verstehst du? Aber ich bin nicht mehr sauer auf dich“, erklärte sie und strahlte mich an. Wollte die mich verarschen? Ich schüttelte den Gedanken ab und lächelte erleichtert.

„Cool! Ich wollte dich nicht belügen, ich wusste nur nicht, wie ich es dir sagen sollte“, erklärte ich. Cher nickte verständnisvoll. „Aber Süße, das ist doch klar! Alles wieder gut?“

„Alles wieder gut“, bestätigte ich. Sie quietschte vergnügt und knuddelte mich. „Ich hab dich vermisst!“

Gott, wieso freute ich mich eigentlich nicht? Cher war wieder meine Freundin. Aber meine beste Freundin würde sie nicht mehr sein! Sie hatte sich irgendwie verändert. Immer noch warf sie den Jungs verführerische Blicke zu und lief in diesen komischen Nutten-Klamotten rum.

Ich wurde den Gedanken nicht los, dass sie mir nur was vorspielte. Aber das war doch Schwachsinn- wieso sollte sie das tun? Ich schob den Gedanken beiseite und beschäftigte mich lieber mit Jason.

Was war zwischen ihm und mir? Was war ich überhaupt für ihn? War ich immer noch einfach eine ‚Mission’? Oder war ich mehr?

Ich machte mir wahrscheinlich nur unnötigen Kopf darüber- Jason hatte schon mit Unmengen an Mädchen rumgemacht. Ihm bedeutete das nicht mehr viel. Mir schon.

 

Aber hatte er auch nur mit einer von ihnen Händchen gehalten?  

Melodies

Chapter Twenty Seven

 

Ich hätte beinahe aufgejubelt, als der Unterricht am Nachmittag ausfiel, weil es ein Problem mit der Heizung gab und sie repariert werden musste.

„Wie cool“, freute sich Cher lautstark. „Ja“, gab ich knapp von mir, während ich meine Schulbücher achtlos in die Tasche stopfte. „Man sieht sich.“ Für diese Einsilbigkeit erntete ich einen verwirrten Blick von ihr.

„Isst du nicht noch in der Cafeteria, bevor du Nachhause gehst?“ Ich schüttelte den Kopf. Jason hatte mir eine SMS geschrieben, wir sollten uns auf dem Parkplatz treffen.

„Nicht heute.“ Sie zuckte die Schultern. „Okay!“ Sie drückte mich zu fest an sich, als wollte sie mich erdrücken. Buchstäblich! „Ich schreib dir!“ Ich sah ihr stirnrunzeln nach. Was stimmte bloß nicht mit ihr?

Wahrscheinlich war ich einfach nur paranoid. Wen wundert’s? Nach Allem, was ich die letzten zwei Wochen erlebt hatte? In Gedanken versunken lief ich auf den Ausgang zu und lief die Treppe zum Schulparkplatz hinunter.

„Montgomery!“

Ich hielt inne und drehte mich um. Ein paar Meter von mir entfernt stand die wohl dümmste Barbie überhaupt! Was wollte bitte Paisley von mir? Die Zicke hatte mich noch nie richtig wahrgenommen, und ich war bis jetzt sehr froh darüber gewesen. Reflexartig wollte ich mir die Ohren zuhalten, um ihre nasale und herablassende Stimme nicht hören zu müssen. Was fanden nur alle Jungs an der?

„Was?“, fragte ich leicht genervt. Ich war selbst überrascht- früher hatten mich Leute wie Paisley immer eingeschüchtert, und ich war ihnen aus dem Weg gegangen. Sie antwortete lediglich mit einem Schnauben und blieb vor mir stehen. Durch ihre hohen Schuhe war sie mindestens zwanzig Zentimeter größer als ich, da ich auch so schon von ziemlich kleiner Statur war.

Ich kniff die Augen zusammen, weil ihre unnatürlich weißen Zähne mir mit 1000 Watt in die Visage blendeten. Sie musterte mich und ich zuckte zurück. Ich hasste es, wenn man mich so genau betrachtete. Ihre stumpfen, hellblauen Augen sahen durch mich hindurch, als sie sprach.

„Was findet McCann nur an dir?“, murmelte sie vor sich hin. Ich verdrehte innerlich die Augen. Also hatte jetzt wohl die ganze Schule von diesem kleinen ‚Küsschen’ Wind bekommen? Klasse! Ich hätte es wissen müssen!

Frag ihn doch, wollte ich ihr entgegenblaffen.

„Also, jetzt hör mir kurz zu, Schätzchen! Ich sag dir das, weil ich dich mag. Und glaub mir, nicht nur ich denke so. Ich bin nur die Einzige, die es ausspricht:

McCann ist nichts für solche Mädchen wie dich! Er ist nicht beziehungsfähig! Er benutzt dich nur, so wie er mich benutzt hat. Er will uns Mädels nur für das Eine“, sagte sie lieblos und betrachtete dabei ihre manikürten Nägel. „Ich versuche bloß, dich zu warnen! Nur Gott weiß, was McCann in dir sieht - ich sehe es jedenfalls nicht.“ Vielen Dank auch! Sie warf ihre Haare über die Schultern.

„Denk darüber nach, Schätzchen! Es ist sowieso offensichtlich, weil du außer Sex eh nichts zu bieten hast.“ Ich schnappte nach Luft. Ich ließ mich doch von der Tusse nicht runtermachen! „Nimm es nicht persönlich. Wenn er dich gefickt hat, lässt er dich fallen wie eine heiße Kartoffel. Wie deine Tausend Vorgänger. Du bedeutest ihm nichts. Du bist die Letzte, mit der er was anfangen würde.“ Sie lächelte falsch während ich nur dastehen konnte, geschockt von so viel Gemeinheit.

„Verzieh dich, Pais“, hörte ich Jason von hinter mir knurren. Ich zuckte zusammen. Paisley warf Jason einen gespielt freundlichen Blick zu. „Ich wollte mich nur kurz mit deinem Mädchen unterhalten- solange sie noch dein Mädchen ist.“

Damit drehte sie sich um und lief hüftschwingend weg.

 

McCann PoV

 

Ich sah besorgt zu Cade. Was hatte diese niveaulose Bitch ihr erzählt? Ich fluchte innerlich und schnitt einem pinken Cabrio den Weg ab. „Ist Cheecesake Factory okay?“, fragte ich um einen neutralen Tonfall bemüht. Cade nickte. Das Mädchen sah aus dem Fenster und sie sah aus, als dachte sie über etwas nach.

 

Nach ein paar Minuten fuhr ich in die Parklücke vor Cheesecake Factory.

Cade hatte den Rest der Fahrt geschwiegen und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie irgendwie sauer war. Dieses Mädchen war so verdammt kompliziert- ich hatte mich noch nie so um jemanden bemüht. Wenn jemand sauer auf mich war, dann war es mir egal.

Aber wenn Cade von mir gestört war, dann rannte ich ihr jedes verdammte Mal nach, um es wieder in Ordnung zu bringen. Um uns in Ordnung zu bringen. Auch wenn ich -wie in diesem Moment - nicht einmal wusste, was ich genau falsch gemacht hatte. 

Wir liefen nebeneinander in das beliebte Fast Food-Restaurant und ich versuchte ruhig zu bleiben, obwohl ich innerlich alle möglichen Dinge durchging, von denen Paisley ihr erzählt haben könnte. Diese Bitch hatte mich schon immer angewidert. Aber sie war gut im Bett. Also hatte ich mich so lange mit ihr abgegeben.

Wir setzten uns in eine der Eckbänke und warteten, bis die Bedienung kam. Ich checkte sie kurz aus. Höchstens 19, schwarze Haare und mittelmäßiger Körper. Ich wog kurz ab, ob sie einen Flirt wert war und entschied mich dann dagegen. Keine Lust, heute.

„Was darf's denn sein?“ Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich nehme was sie nimmt“, spuckte ich kühler als beabsichtigt und wedelte mit der Hand in Cade's Richtung. „Das Übliche“, antwortete Cade und strich sich eine braune Strähne hinters Ohr. Die Bedienung nickte ein wenig enttäuscht über mein weniges Interesse und wandte sich ab. Ich warf einen Blick auf ihren Arsch. Meine Entscheidung war richtig gewesen- die war nichts Besonderes. 

Ich spielte mit meinem Feuerzeug. Ich brauchte jetzt unbedingt 'ne Kippe. Aber nicht hier drin.

„Du kommst oft hierher?“, fragte ich Cade wenig interessiert. Sie nickte. „Ich hab nicht immer Lust mir was zu kochen, und meine Eltern sind nie Zuhause“, erklärte sie. 

„Meine auch“, antwortete ich, ohne darüber nachzudenken. Dumm. So verdammt dumm.

Sie warf mir einen merkwürdigen Blick zu.  „Jase…“ Ich schüttelte den Kopf und schnitt ihr das Wort ab. „Kannst du mich nicht so nennen, bitte?“ Eingeschnappt verschränkte sie die Arme. „Na schön“, spuckte sie. Wahrscheinlich fragte sie sich, was sie falsch gemacht hatte.

Gar nichts. Aber bei mir kann man nichts richtig machen, dachte ich.

Das Essen kam. „Darf es sonst noch was sein?“, fragte die Schwarzhaarige und sah mich auffordernd an. Ich stöhnte innerlich. Nervige Bitch, ich will deine Nummer nicht! Checkte sie nicht, dass es unhöflich war, mit anderen zu flirten, wenn deren Begleitung daneben saß?

„Nein.“

Beleidigt zog sie ab. Besser so! Ich hoffte, dass Cade mich nicht noch mal auf meinen Ausrutscher ansprach. Aber das Mädchen war scheiß stur, und natürlich konnte sie es nicht lassen:

„Du hast ja noch einen Vater“, erinnerte sie mich, als sie in ihr Hühnchen biss. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Mein Vater? Beinahe hätte ich gelacht. Mein Leben war doch so viel besser ohne ihn. Ich brauchte weder ihn, noch die täglichen Prügeleien, die seine Präsenz mit sich zog. Dieser Bastard war so aggressiv, dass es abnormal war. Aber er war auch clever genug um zu wissen, wie er die Tatsache, dass er seinen minderjährigen Sohn misshandelte vor dem Jugendamt vertuschen konnte.

„Komm mir nicht damit“, knurrte ich. Cade hatte ja keine Ahnung, keine verdammte Ahnung. Ich war es gewohnt, so mit anderen umzugehen. Dieser kalte Ton war Standard. Aber ich war wohl der Einzige in Cades Leben, der sie so behandelte. Sie war bestimmt die Prinzessin, ein Einzelkind in einer perfekten, kleinen Familie. Wahrscheinlich wurde sie Zuhause mit Samthandschuhen angefasst. Bestimmt war ihr einziges Problem, dass sie sich von ihren Eltern vernachlässigt fühlte. 

Und weil es für sie so ungewohnt war, schnappte sie auch gleich wieder ein und ließ das Hühnchen in den Teller fallen.

„Was bitte ist dein Problem? Ich sag ja nur, wenn du eine Familie willst, gehst du zu ihm“, zischte sie darum bemüht, ruhig zu sein. Aber mir war es doch scheißegal, wer uns hörte. Die Leute hatten mich doch nur schon verurteilt, als ich das Restaurant betreten hatte. Schon auf den ersten Blick verurteilten sie mich. Wie immer.

„Zu meinem Erzeuger? Hat dir wer ins Gehirn geschissen, Cade? Dieses Arschloch kann von mir aus irgendwo in der Gosse verrecken, mich interessiert's nicht!“ Sie starrte mich fassungslos an, erschrocken über meine Gleichgültigkeit.

„Du bist unmöglich“, schnaufte sie dann aufgebracht und stand auf. Sie lief Richtung Ausgang, während ich leise vor mich hinfluchte. Musste sie immer gleich wegrennen?

Ich knallte einen Fünfziger auf die Theke, bevor ich ihr hinterher joggte. „Behalt den Rest“, spuckte ich in Richtung der Bedienung. Diese Frauen!

„Warte“, rief ich entnervt aus und holte Cade auf dem Parkplatz ein. „Nein, ich warte nicht! Ich komme nicht immer angerannt, wenn du nach mir pfeifst, verstanden McCann?“, zickte sie mich an. Ich verdrehte die Augen. „Hab ich ja nicht gesagt, Kleine“, stöhnte ich und nahm damit in Kauf, dass sie noch wütender wurde.

„’Kleine’ mich nicht, kapiert? Vielleicht hat Paisley recht! Du benutzt mich doch nur… ich bin für dich doch bloß eine hirnlose und nervige Schlampe, die du leider Gottes beschützen musst. Aber weißt du was?“ Sie lachte. „Heute muss dein Glückstag sein! Mir ist es egal ob Matt mich holen kommt, und dir auch. Von mir aus gehe ich freiwillig zu ihm, damit das ganze endlich ein Ende hat!“

Sie deutete meinen erschrockenen Gesichtsausdruck falsch.

„Keine Sorge, ich gehe natürlich nicht, ohne mich von dir flachlegen zu lassen. Das ist es doch, was du willst, stimmt’s? Du widerst mich an, Jason McCann!“

Ich zuckte zusammen. Was für ein verdammter Bullshit hatte Pais ihr da erzählt?

„Wieso redest du nie mit mir über irgendwas?!“ Aha. Darauf wollte sie also hinaus. „Manchmal überflutest du mich mit deinen Geschichten, und an anderen Tagen rastest du aus, nur wenn ich eine Andeutung mache! Du hast doch mit deiner Familie angefangen! Weißt du, du kotzt mich echt an! Schizophrenes Arschloch…“

Normalerweise hätte ich ’ner anderen Frau jetzt eine gescheuert, weil sie es gewagt hatte, mich so zu nennen. Aber es war Cade. Ich konnte sie nicht schlagen. Wieso muss das Mädchen nur immer so rumschreien?

„Wenn du keine Lust hast mit mir zu reden, dann lass es! Für immer.“

Damit drehte sie sich um und ging weg. Einfach so.

Lauf ihr nach, McCann!

Wenn sie jetzt noch mal einfach so weg lief wie damals, und ich sie suchen musste. Und wenn ich sie wieder bei so einem Bastard wie 'Francesco' fand, dann drehte ich durch! Endgültig. Ich würde Paisley den Schlampen-Hals umdrehen, nachdem ich mir selber in den Arsch getreten hätte! Und plötzlich war ich panisch wie verrückt. Wo ging sie jetzt hin? Sie konnte mich nicht einfach alleine lassen, das ging nicht. Was tat ich denn? Wenn O'Shea, dieser Dreckskerl sie wirklich aufgabelte, dann...

„Warte.“ Keine Reaktion. „Bitte!“ Es war mir scheißegal, dass ich gerade wie ein verfluchtes Weichei geklungen hatte. Sie blieb endlich stehen und drehte sich langsam zu mir um. Ich ging auf sie zu, bis ich kurz vor ihr stand. Wenn ich wollte, dass sie blieb, dann müsste ich mit der Sprache rausrücken.

„Mein Dad…“, ich unterdrückte den Brechreiz, als ich das Wort ‚Dad’ in den Mund nahm, „…also ich habe keine Ahnung wo er ist“, brachte ich lahm hervor.

„Er und meine Großeltern sind abgehauen, kurz nach der Nacht. Wir haben uns gestritten. Es war meine Schuld, dass sie alle gestorben sind, und er wusste es. Und er hasste mich dafür. Mehr als alles andere auf der Welt. Tut er immer noch. Er will mich nie wieder sehen. Und ich auch nicht.“

Ihre klugen, blauen Augen lagen auf meinem Gesicht und sie hörte mir ruhig zu. Sie wollte mehr.

„Mein Vater war Alkoholiker und hat uns, mich im Speziellen, gerne verprügelt. Und das hat er auch getan, bevor er abgehauen ist. Er ist gegangen, und ich war ein Straßenkind, ohne ein Dach über dem Kopf. Ich war erst sechzehn…“ Ich fuhr mir durch die Haare. Ihr Blick verwandelte sich von wütend in mitfühlend.

„Ich will kein Mitleid“, knurrte ich barsch, nur um das klar zustellen. Sofort bereute ich es. Ich wusste, wie sensibel sie sein konnte. Oder vielleicht war sie normal, und ich war einfach zu abgefuckt.

„Paisley ist eine hinterhältige Göre. Sie hasst mich, weil ich sie sitzen gelassen habe“, beeilte ich mich zu sagen. Cade senkte den Blick.

„Ich bin nicht hier, weil ich dich beschützen muss. Ich will dich beschützen. Ich tu' das nicht alles, um dich zu vögeln, Kleine. Wenn ich es gewollt hätte, hätte ich es schon längst getan“, sagte ich und lächelte sanft. Es war verdammt schwer, das zuzugeben. Cade erschauderte und hob den Kopf.

Eine Weile sahen wir uns einfach nur an. Dann war sie die Erste, die sich rührte. Sie lief schnurstracks an mir vorbei. Ich drehte mich verwirrt um und sah ihr nach. Wo wollte sie jetzt schon wieder hin?

„Kommst du nicht? Ich will Nachhause“, sagte sie, als sie schon neben meinem Auto stand. Es gefiel mir, dass sie mein Haus unbewusst ihr ‚Zuhause’ genannt hatte. Ich brauchte noch einen Moment, bevor ich mich umdrehte und ihr folgte.

Es war seltsam befreiend, zu wissen, dass sie es jetzt auch wusste. Zumindest ein Teil. Auch wenn er noch so klein war.

 

Cade PoV

 

Wieder Zuhause angekommen stiegen wir aus dem Auto und liefen ins Haus.

„Endlich! Es war so scheiß langweilig ohne euch“, jammerte Clay sofort los, alsbald wir hinein getreten waren. Sie hingen alle wie die Penner vor der Glotze, jeder ein Bier in der Hand und nur in Unterwäsche… oh, bitte! Jason grinste. „Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass jeder von euch, außer Jason, schwarz ist?“, fragte ich neugierig. Jared räkelte sich stolz.

„Tja, C', da gibt es die einfache 3-Punkte-Regel, nach der wir auserkoren worden sind“, meinte er wichtigtuerisch und ich rollte schon jetzt die Augen.

„Erstens: Schwarze sind einfach cool! Zweitens und Drittens ist nicht so wichtig.“ Austin schaltete sich ein. „Jap, wir sind die Coolsten. Und Chris darfst du nicht beachten, er ist die einzige Ausnahme“, lachte er. „Fick dich, du Bastard“, fluchte Chris verärgert, während ihn die anderen aufzogen und mit Popcorn bewarfen.

Ich grinste in mich hinein. Irgendwie waren sie tief in sich drin doch nicht so verkorkst, wie sie immer schienen. „Aber innerlich ist Jason auch unser bro“, grinste Sean und die zwei schlugen ein.

Dann standen sie alle auf. „Wir müssen los. Alles für heute Abend planen.“ Somit waren sie aus dem Haus, und ich und Jason waren alleine. Ich wandte mich ihm zu. „Du hast doch mal gesagt, dass ich was gut bei dir hätte.“ „Ja?“, antwortete er verwirrt. Ich grinste ihn breit an. „Ich möchte das jetzt gerne einlösen.“

„Aha?“, fragte er misstrauisch. Ich holte tief Luft. „Du musst mir was vorspielen.“ Er sah mich einige Sekunden an. „Ich spiele nicht mehr“, antwortete er langsam. „Wieso nicht?“, fragte ich verwirrt.  Er grinste. „Das ist fast genauso bescheuert, wie die Harry Styles-Poster an den Wänden.“ Ich lachte.

„Ich hab sie abgenommen, kurz nachdem du da warst“, verteidigte ich mich und haute ihm auf den Arm. „Wieso das denn? Und war das alles, was du drauf hast?“, erwiderte er. Ich wurde rot. Sollte ich ihm sagen warum? „Naja, ich hab gemerkt das Harry Styles nicht mehr so mein Typ ist“, stotterte ich. „Und halt die Klappe, ich bin verdammt stark…“ Er hüstelte spöttisch und ich stürzte mich auf ihn. Ich versuchte irgendwie mit ihm zu rangeln, aber er war definitiv viel zu stark!

Jason nagelte meine Hände über meinem Kopf an die Wand und urplötzlich war mein Gesicht ganz nah an seinem. „Wer ist denn jetzt dein Typ, huh?“, raunte er, und griff die Poster-Geschichte wieder auf. Ich konnte nicht antworten. Ich kriegte keine Luft, wenn er mir so nah war (ich musste mir wirklich ein Sauerstoffzelt anschaffen), und klar denken konnte ich sowieso nicht. Ich spürte seinen heißen Atem auf meinem Gesicht und ich wollte nichts mehr, als das er die Entfernung überbrückte. Wenn ich jetzt hätte reden können, hätte ich ihn angeschnauzt, er solle mich endlich küssen! Ich wurde immer so verdammt schwach, wenn er das tat!

Seine braunen, dunklen und merkwürdig gefährlichen Augen lagen auf mir und seine Haare waren zerzaust, weil ich sie durcheinander gebracht hatte. Er sah so scheiß umwerfend aus, und es war so scheiß unfair!  

Gerade als ich schon fast ohnmächtig vor Vorfreude wurde, ließ er mich los. Ich wollte mich schon über den Kontaktverlust beschweren, als er meine Hand nahm und einen Kuss drauf drückte.

„Was ich nicht alles für dich mache, Cadens“, seufzte er und zog mich die Treppe hinauf. Ich strahlte. „Danke“, flötete ich, als er mich in sein Zimmer schob. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er mich ein zweites Mal in sein Reich nahm.

Der Hocker vor dem Klavier war lang genug für uns beide.

Ich sah neugierig dabei zu, wie er seine Finger auf die Tasten legte, ohne zu drücken. Einige Sekunden verstrichen, in denen er einfach nur auf seine Hände starrte. Ich wollte ihn nicht drängen, also wartete ich geduldig, bis er bereit war.

Dann, endlich, drückte er auf die Tasten und fing an zu spielen. Erst zaghaft, dann immer sicherer. Er verspielte sich kein einziges Mal und ich war erstaunt- ich hätte nicht gedacht, dass er so gut spielte. Seine langen Finger flogen über die Tasten, so schnell das ich ihnen kaum folgen konnte, und er kreirte die perfekte Melodie. Sie war keinesfalls kitschig oder klassisch. Auch nicht zu fröhlich- es passte einfach zu ihm. Die Musik hallte im ganzen Raum wieder und weil der Raum so leer war, hallte er von den vollen Wänden wieder zurück… es war magisch!

Ich identifizierte es als ein Schlaflied. Vielleicht hatte es seine Mutter immer für ihn gespielt…

Es war mir schleierhaft, wie seine Hände, die zu so viel Furchtbarem fähig waren, solch wunderschöne Musik machen konnten! Ich war so gefangen in der Musik gewesen…

Jetzt wanderten meine Augen zu seinem Gesicht. Und der Ausdruck, der auf ihm lag, war so friedlich und vollkommen ruhig, wie ich es noch nie an ihm gesehen hatte.

Viel zu schnell war es zu Ende. Ich schwieg. Ich wollte den Moment nicht zerstören.

„Gefällt’s dir?“, flüsterte er.

Merry Christmas

Chapter Twenty Seven

 

 

Ich nickte andächtig und ließ meinen Blick über die Wände schweifen.

„Darf ich sie sehen?“, fragte ich vorsichtig. Ich wollte nicht, dass er wieder ausrastete. Ich hielt den Atem an, als ich seinen Blick auf mir spürte. 

Dann erhob er sich. „Komm.“ Mein Herz hüpfte aufgeregt, als ich mit ihm auf die Wände zuging. „Es ist mein persönliches Tagebuch. Deshalb darf niemand hier rein.“ Mein Puls beschleunigte sich fast augenblicklich.

Ich betrachtete erst die Fotos. Darauf waren ein Mädchen, höchstens zehn, ein Junge an die 14, Jasons junge Mutter und Jason selbst. Der letzte Fünftel des Fotos war abgerissen worden- vermutlich war darauf sein Vater gewesen. Und in dieser Geste lag so viel Unausgesprochenes, das mir die Luft wegblieb!

Jasons Schwester war das süßeste Prinzesschen überhaupt. Jason trug sie auf dem Rücken, und sie strahlte in die Kamera, so sorglos wie es nur ein kleines Kind konnte. Sie hatte dieselben braunen Augen wie Jason und unglaublich niedliche Grübchen!

Jasons Bruder hingegen blickte sehr ernst drein und stand ziemlich nahe da, wo der Vater hätte sein sollen. Im Gegensatz zu Jason hatten seine Geschwister blonde Haare.

Mein Blick schweifte weiter zu Jasons Mutter. Ihre blauen Augen strahlten warm und sie hatte ihre braunen Haaren hochgesteckt. Ihr Lächeln war freundlich und so herzerwärmend- ich war mir sicher, sie war eine unglaublich nette Frau gewesen!  Von seiner Mutter also hatte Jason sein gutes Aussehen geerbt!

Ich warf einen Blick in seine Richtung. Sein Gesicht zeigte keine Gefühlsregung. Gerade als ich meinen Blick nach rechts schweifen lassen wollte, machte Jason eine Bewegung auf mich zu.

„Ich will nicht, dass du die Zeitungsartikel liest. Sie sind schrecklich“, sagte er hart. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass er mir gerade eine Scheißangst eingejagt hatte, und nickte.

Wir ließen die Fotos Fotos sein und drehten der Wand den Rücken zu.

 

-

 

„Schöne Weihnachten! Ich ruf dich in den Ferien mal an, Süße!“ Cheryl winkte mir auf dem Parkplatz zu. „Was auch immer du sagst“, murmelte ich vor mich hin. Ich drehte mich um und lief auf Jason zu, der an seinem Wagen lehnte und den Rauch seiner Zigarette in die Luft blies. Der kalte Wind verwuschelte seine braunen Haare und er sah einfach unwiderstehlich gut aus!

Es war zwei Tage vor Weihnachten, der 23. Dezember, und die zweiwöchigen Ferien begannen. Ich freute mich überhaupt nicht darauf. Denn in diesen Ferien waren meine Eltern die ganze Zeit Zuhause. Deshalb musste Jason auch nicht kommen, um mich zu ‚beschützen’. Mit anderen Worten: Zwei Wochen kein McCann!

Dabei erinnerte ich mich noch, wie sehr ich ihn nach nur schon 5 Tagen vermisst hatte! Ob es ihm genau so ging? Ich bezweifelte es.

„Hey“, knurrte Jason, als ich bei ihm war. Ich verkniff mir ein Grinsen- manchmal war sein Bad Boy-Getue so knuffig! „Danke, dass du gewartet hast.“

Er zuckte gleichgültig die Schultern, schnippte die Zigarette weg und stieg ein. Ich tat es ihm gleich.

„Feiern du und die Jungs Weihnachten? Also, schenkt ihr euch was?“, fragte ich neugierig.

„Seh ich aus wie ein Weihnachtstyp?“, brummte er. Sollte ich darauf jetzt antworten?

Ich seufzte. „Du hast es gut! Ich wünschte, ich müsste auch keine Weihnachten feiern! Stattdessen gibt es ein riesiges Familienessen mit meinen Großeltern“, beschwerte ich mich lautstark, während ich meine Haare zurückband. „Du hältst es doch nur nicht einen ganzen Abend ohne mich aus“, schnaubte er. Er war arrogant, aber auf eine spielerische Art, die ich liebte. „Bullshit“, lachte ich. Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr er damit ins Schwarze getroffen hatte!

„Chris haut mich durchgehend an, du sollst ihm wieder diese ‚krassen’“, er malte Gänsefüßchen in die Luft, „Weihnachtskekse bringen!“ Ich verdrehte die Augen. „Meine Mutter bedankt sich“, schnaubte ich angepisst. Ich hatte mein ganzes letztes Wochenende damit verbringen müssen, mit meiner Mutter Kekse zu backen und Lichter am Haus zu befestigen.

Dabei hatte sie mich schön über Jason ausgequetscht und mich immer wieder gewarnt, und am Ende hatten wir viel zu viele Kekse. Deshalb hatte ich den Jungs welche vorbeigebracht und Chris hatte sie in seinem Zimmer versteckt und alle alleine gegessen. Der Rest der Jungs hatte ihn dafür fast todgeprügelt… ich glaube ich und Jason waren noch nie wegen irgendwas so amüsiert gewesen!

„Außerdem hat er genug von denen gehabt“, fügte ich hinzu und Jasons Mundwinkel zuckten einen Millimeter nach oben.

Er hielt vor meiner Haustür und blickte stur geradeaus. Wortlos stieg ich aus und sah ihm hinterher, wie er um die Ecke bog. Manchmal hatte er diese Tage, an denen er sich nicht mal traute, mich anzurühren. An denen der Klang seiner Stimme unter der Null-Grad-Grenze lag.

„Wer war das?“ Ich zuckte zusammen. „Dad! Was machst du denn schon hier?“, wich ich aus und drehte mich nervös um. Hatte er Jason gesehen?

„Es war nichts mehr los, deshalb bin ich früher Nachhause gekommen. Wer war das?“, wiederholte er. Ich kaute auf meiner Unterlippe. „Ein Freund.“ Er nickte. Er sah nicht besonders misstrauisch aus, eher etwas nachdenklich. „Schönes Auto… es kommt mir irgendwoher bekannt vor…“, grübelte er.

Ich unterdrückte ein Grinsen. Ja, wahrscheinlich weil Jason damit schon 100 mal geblitzt worden war! „Ja, kann sein. Gehen wir rein“, drängte ich, ehe er länger darüber nachdenken konnte.

 

Der 24. ging für Geschenke einpacken, Baum schmücken und Faulenzen dahin. Und am 25. kamen frühmorgens meine Großeltern aus Chicago geflogen, damit wir allgemeines Geschenke-Auspacken machen konnten. Sie blieben dann über den 26. und flogen wieder zurück.

Meine Großeltern waren im Großen und Ganzen okay, aber sie waren ziemlich langweilig und sehr spießig. Sie konnten einander nicht ausstehen. Für die Eltern meines Vaters waren die Eltern meiner Mutter dumme Hinterwäldler und umgekehrt sah es nicht besser aus! Deshalb überhäuften sie mich jedes Jahr mit Geschenken und stritten sich darum, wer mir jetzt das Schönste gekauft hatte!

Anstrengend.

 

-

 

„Und, wie läuft es bei dir in der Schule?“, fragte Grandma. Ich seufzte tief und erzählte etwas über meine Noten und die Lehrer. Die Wahrheit war- seit ich Jason kannte, tat ich rein gar nichts mehr für die Schule. Die Hausaufgaben kritzelte ich nachlässig, damit ich schneller rüber zu den Jungs konnte, um sie zu bekochen oder einfach nur faul rumzuhängen.

Ich zuckte zusammen, als mein Telefon klingelte. „Cadens“, sagte Grandma tadelnd, als ich aufstand. „Bin gleich wieder da“, lächelte ich entschuldigend. Wer versuchte mich um elf Uhr Abends anzurufen?

Stirnrunzelnd nahm ich den Anruf entgegen, sobald ich aus dem Raum war. „Was ist los, Sean?“ „Ist McCann bei dir?“ „Nein, wieso?“ Was hatte er jetzt schon wieder angestellt?

„Ich hab keine Ahnung wo er ist… ich dachte nur, dass er vielleicht bei dir sein könnte. Fuck, das ist gar nicht gut. McCann geht niemals irgendwo alleine hin. Ich muss ihn suchen gehen“, redete er mit sich selbst.

„Lass mich mit“, bat ich. „Bist du dir sicher? Seid ihr schon fertig mit Essen?“ Eigentlich waren wir nicht mal zum Nachtisch gekommen, aber das brauchte ich ihm nicht auf die Nase zu binden.

„Bitte, Sean!“ Wenn Sean sich schon sorgte, dann tat ich es erst recht. „Vielleicht wollte er uns auch einfach nicht dabeihaben und ist an seinem speziellen Ort, wo er immer hingeht“, wich Sean aus.

„Oder aber ihm ist was zugestoßen!“ Sean schnaubte am anderen Ende. „Cade, du weißt McCann braucht uns nicht. Er ist Jason McCann- ihm stößt nie was zu.“ Und wieso bitte wollte er ihn dann suchen gehen? „Komm schon! Ich penn’ hier gleich ein“, maulte ich leiser, damit mich meine Familie nicht hörte.

„Okay, Kleine. Ich fahr gleich bei deinem Haus vorbei.“ Gott, endlich befreite mich jemand! Die letzten Jahre hatte ich es nie so schlimm gefunden, mit meinen Großeltern über meine Noten und langweiliges Zeug zu sprechen. Aber dieses Jahr hatte ich mich wohl irgendwie verändert.

Ich würde richtig Ärger bekommen. Aber egal - dann würde ich meine Ferien eben wegen Hausarrest Zuhause verbringen! Ohne Jason wären sie eh langweilig geworden und auf die verdrehte Cheryl hatte ich keinen Bock!

„Ich muss noch mal los“, sagte ich und lief am Tisch vorbei, um in meine Stiefeletten und den Mantel zu schlüpfen. „Was soll das bitte heißen?“, fragte Mum alarmiert. „Ich bin bald wieder da“, erwiederte ich vage.

„Wo willst du hin? Spinnst du?“, brüllte Mum mir hinterher. Grinsend rannte ich zu Sean ins Auto. „Fahr“, lachte ich. Ich fand das Ganze zum Brüllen komisch! „Seit wann bist du so Badass-mäßig?“, fragte Sean anerkennend, und brauste los.

Ich zuckte die Schultern. „Ich habe ja euch als die besten Lehrer. Und jetzt gib Gas!“ Gott, ich liebte dieses Auto. Und Sean hatte recht- vielleicht war Jasons Lebensstil ein bisschen ansteckend. Aber wenn ich noch eine Sekunde länger im Esszimmer hätte bleiben müssen…

„Hast du ne Ahnung, wo er sein könnte?“ Sean nickte. „In seinen Standardclub, nehm ich an. Eigentlich wollte ich ihn suchen um mitzufeiern, aber dann musstest du ausrasten, Missy.“

Ich zuckte die Schultern. Es tat mir nicht leid, dass ich ihm seine Party versaut hatte. Was Jason jetzt wohl trieb? Machte er wieder mit einer Anderen rum? Die Eifersucht überrollte mich wie eine schwere Welle und stieß mir ihre giftigen Stacheln ins Herz.

 Reiß dich zusammen, Cade! Du bist nicht sein Mädchen, auch wenn du’s gerne wärst, und auch wenn jeder um dich herum denkt, du wärst es.

 „Wir sind gleich da. Kannst du nicht… also, die lassen da nur bestimmte Leute rein.“ Ich verstand sofort und löste meinen unordentlichen Dutt, um die Haare durchzuschütteln. Dann schälte ich mich aus dem warmen Wintermantel.

Darunter trug ich ein schwarzes Kleid, aber es war viel zu lang. Kurzerhand riss ich den Saum ab, dehnte den Kragen, bis er wie gewünscht über der Schulter saß.

Nochmehr Schminke hatte ich leider nicht dabei, aber das was ich jetzt drauf hatte, musste reichen. „Besser“, schluckte Sean, der mich beobachtet hatte. Wir stiegen aus. Der Club sah ziemlich exklusiv aus. Jedenfalls versprachen das die blinkenden Neonlichter, die mich an Las Vegas erinnerten.

Gute Musik hatten sie schon mal. Ohne anstehen zu müssen lief Sean mit mir im Schlepptau nach vorne. „Calito, ist McCann da drin?“ Der bullige Türsteher begrüßte Sean mit einem Handschlag.

„Ja, der ist vor 'ner knappen Stunde hier rein“, nickte er auskunftsfreudig. „Dein Mädchen?“, fragte Calito anerkennend und betrachtete mich ziemlich genau. Ich wurde rot. „Nein, McCanns.“

Calito lachte sich den Arsch ab. „Der war gut! McCann und ein eigenes Mädchen. Rein mit euch!“ Verwirrt folgte ich Sean in das Innere. Ich musste mich an seinen Rücken festkrallen, um ihn nicht zu verlieren.

Wir liefen mitten durchs Gedrängel und ich landete zwischen zwei Lesben, die mich in ihre Mitte nahmen. Oh Gott! Ich machte, dass ich da raus kam- aber leider wusste ich jetzt nicht mehr, wo Sean war! Toll!

Die Bar erschien mir in diesem Moment wie ein Rettungsanker! Ich boxte mich durch und ließ mich auf den Hocker fallen. Von hier aus suchte ich in der Menge nach Sean. „Darf ich was bringen, schöne Frau?“

Ich drehte mich zum Barkeeper um und lächelte entschuldigend. „Kein Geld.“ Der mehrmals gepiercte Junge lachte. „Ich geb dir natürlich Einen aus.“ Und bevor ich ihm sagen konnte, dass ich normalerweise nicht trank, hatte er mir schon ein bläuliches Getränk vorgesetzt.

„Hab Spaß, Kleine“, grinste er. Langsam aber sicher verlor ich das Vertrauen in diese Keeper in New York. Ich sah nicht annähernd aus wie 21 und trotzdem bettelten sie geradezu darum, dass ich etwas trank!

„Eh, Shawty“, lallte jemand neben mir. Ich verschluckte mich fast an meinem Drink und drehte mich hustend zu der Stimme um. Jason? Ich glaube ich hatte ihn noch nie so betrunken gesehen. „Hallo“, brachte ich perplex hervor. Er lächelte schief. Er sah so sexy aus!

„Du siehs’ genauso aus, wie mein Mädchen“, grinste er. Mein Herzschlag beschleunigte sich auf der Stelle. „Tu ich das?“, spielte ich mit. „Ja“, nickte er und bestellte sich schon wieder was. Fand er nicht, er hatte genug getrunken? „Und wo ist sie gerade?“

Jason verzog angesäuert das Gesicht. „Sitzt ’Suhause bei ihren Verwandten. Sie is’ ein braves Mädchen“, erklärte er und fuhr sich müde übers Gesicht. Er brauchte zwei Anläufe, um den Satz zu beenden. 

Ich nickte. Wo war Sean? „Na dann hast du dir ja was Besonderes ausgesucht“, sagte ich sarkastisch. Ich komplimentierte mich nicht gerne selbst. „Ich g-glaube sie is’ seit Jahren das Beste in mein’ Leben“, lallte er. Ich zuckte zusammen.

 Er ist dicht, Cade! Er weiß nicht, was er da sagt! Er hat dich nicht mal erkannt, so besoffen ist er! Also bilde dir bloß nichts darauf ein.

 „Hast du ihr das gesagt?“ Er schüttelte traurig den Kopf und stürzte den Drink runter. „Nah. Und is werd’ auch nis.“ Er lallte stärker und brüllte schon nach dem nächsten Getränk.

„Wieso?“ Er zuckte die Schultern. „Is’n gutes Mädsen. Kann is nis hab’n.“ Ich runzelte die Stirn. „Was laberst du da für Bullshit“, entkam es mir hitzig.

„Is gefährlis. Darf nie verle-verletzt werden. Muss is besützen. Hab’ is n’ Job 'su tun.“ Er sah mich eindringlich an und ich bekam fast Schiss, dass er mich erkannt hatte. „Wenn du ihr sag’s, bring is dis um.“ Er war nicht mal mehr geistesgegenwärtig genug um zu begreifen, dass ich -a.k.a. Fremde- sein Mädchen nicht einmal kennen sollte.

„Zu spät. Und jetzt komm Nachhause“, brummte ich, packte ihn und schleifte ihn Richtung Ausgang. Er machte nichts dagegen, stolperte mir einfach hinterher. Was bitteschön hatte ich da gehört? Okay, vielleicht war Jason betrunken gewesen, aber…!

Ächzend lief ich hinaus an die frische Luft und entfernte mich ein paar Schritte mit ihm. Plötzlich fing er an zu fluchen. „Cade? Bis’u das?“ Na da war er ja ganz früh.

Ich zog ihn über die Straße auf die andere Seite, aber er schaffte es nicht mal über den Asphalt.

Er flog einfach so auf die Schnauze, und es schien ihn nicht zu interessieren. Toll! Jetzt lag Jason hier rum wie so ein scheiß gestrandeter Wal- ich musste Sean unbedingt anrufen!

Dieser versprach in einer Minute draußen zu sein.

Jason hatte echt zu viel getrunken. Viel zu viel, meine ich. Und er hätte noch weitergemacht, wenn wir nicht gekommen wären.

Erleichtert seufzte ich, als ich Sean sah. Der besoffene Jason folgte meinem Blick. „Sean, was mach’su denn hier?“, brüllte er unnötigerweise und einige Köpfe drehten sich nach ihm um. „Halt mal die Klappe, bro! Ich und Cade sind nur gekommen, um…“

„Has’u was mit dem Typen?“, fragte Jason misstrauisch an mich gewandt. „Wenn du mein Mädsen anfässt, slag is dis tot! Is’ swöre…“, zischte er feindselig zu Sean. Ich verdrehte die Augen. „Sei ruhig, Jason. Wir nehmen dich jetzt Nachhause.“

Besitzergreifend wie er war, zog Jason mich an sich, und somit weg von Sean. Der betrunkene Jason konnte noch viel besser fluchen als normalerweise.

„Wieso muss is hinten sitzen! Is will neben den Kerl“, brüllte er von hinten, als ich mich auf den Beifahrersitz pflanzte.

Die ganze Fahrt über fluchte Jason rassistisch und lautstark. Wenn ich Sean gewesen wäre, hätte ich Jason schon längst Eine iverpasst! Aber wenn Jason morgen mit einem blauen Auge aufwachte, würde er Sean später bestimmt umbringen.

Wir stützten Jason, als er ins Haus torkelte. Weil ich seinen Schlüssel nicht hatte, brachte ich ihn einfach im Gästezimmer unter. „Bleib hier“, lallte er. Ich betrachtete ihn, wie er mich mit seinem Schlafzimmerblick ansah und ich konnte einfach nicht widerstehen.

Also legte ich mich neben ihn und schloss die Augen. Die Konsequenzen, die das mit sich zog, blendete ich aus. Die würden noch genug früh kommen! 

Hungover

Chapter Twenty Eight

 

McCann PoV

 

Fuck! Mein Kopf fühlte sich an, als explodierte er in den nächsten paar Sekunden! Und wieso war es hier verfickt noch mal so kalt? Was für eine Scheiße! Ich drückte das warme Kissen enger an mich und vergrub mein Gesicht darin. Das Kissen antwortete mit zufriedenem Seufzen und kuschelte sich an mich. Jetzt war ich auch noch bekifft? Fantastisch.

Verwirrt riss ich die Augen auf und sah, dass ich gerade jede Faser von Cades Körper an mich presste. Was verdammt noch mal tat sie hier? Und wieso waren wir im Gästezimmer? 

Ïch musste gestern ziemlich viel Scheiße in mich geschüttet haben, weil ich den fettesten Filmriss aller Zeiten hatte. Da war fast gar nichts mehr, nur beschissene Leere und den bitteren Beigeschmack von Wodka auf der Zunge.

Und wieso steckte Cade in diesem total scharfen Kleid, was gerade mal die Hälfte ihres Arsches verdeckte? Ich hätte am liebsten die Augen geschlossen und wäre wieder neben ihr eingepennt, aber meine beschissenen Kopfschmerzen zwangen mich aufzustehen.

„Cade“, stöhnte ich in ihr Ohr. Mehr lag da grade nicht drin. Sie rührte sich kein Stück. Eigentlich störte mich das nicht, aber ich wollte wissen, was gestern passiert war.

„Wach auf, Kleine“, versuchte ich es erneut. „Hm?“, stöhnte sie zurück und ich musste mich beherrschen, sie nicht gleich zu nehmen. „Babe, du musst jetzt aufstehen“, drängte ich mit kratziger Stimme und lockerte widerwillig den Griff um ihre Taille.

Sie gähnte ausgiebig und streckte sich. „Scheiße“, fluchte sie plötzlich und sprang auf. Ich rollte mich auf die Seite und stützte mich mit dem Ellbogen ab. Ich beobachtete, wie sie zerstreut herumwuselte und sich ihre Schuhe und den Mantel suchte. Ihre Haare waren verfilzt und das Make Up verschmiert. In diesem Moment hatte noch nie jemanden so schön gefunden. Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken zusammen mit den Kopfschmerzen zu verscheuchen. Letzteres würde bleiben, bis ich eine Tablette und viel Schlaf bekommen hatte.

Und das Erste konnte ich auf meinen Kater schieben.

„Du musst mich fahren“, bat sie dringlich.

„Kleine, muss das sein?“, maulte ich. „Biiitte“, bettelte sie und blickte mich aus ihren großen, blauen Augen bittend an. „Du hast keine Ahnung, was ich alles für dich tue, oder?“, grollte ich sauer auf mich selbst, weil ich ihr nicht widerstehen konnte, und richtete mich auf. Sie wich meinem Blick aus und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir etwas verheimlichte.

„Was ist gestern passiert?“, wollte ich wissen. Hatte ich aus Versehen jemanden abgeknallt? Ein Auto geklaut? Das war mir nämlich schon mal passiert.

„Naja, du hast dich ziemlich übel besoffen. Ich und Sean sind dich dann suchen gegangen und haben dich in deiner Lieblings-Bar gefunden und Nachhause gebracht.“ Ich runzelte die Stirn und dachte nach.

„Hättest du nicht bei deinen Eltern sein müssen?“ Sie zuckte unbehaglich die Schultern. „Ich bin einfach gegangen. Wenn ich Nachhause komme, ist da wahrscheinlich die Hölle los, also müssen wir schnell machen.“ Sie war einfach gegangen? Kein Scheiß? Ich warf ihr einen anerkennenden Blick zu. So gefiel sie mir schon viel besser.

„Und mehr ist nicht passiert?“ Sie errötete unter meinen stechenden Augen und senkte den Blick. „Du warst betrunken und hast ziemlich viel Zeug gelabert, das du wahrscheinlich nicht ernst gemeint hast“, wich sie aus, während ich mir die Schuhe suchte. „Was denn zum Beispiel?“, wollte ich beiläufig wissen.

Da gab es eine endlose Liste an Scheiße, die ich ihr möglicherweise hatte erzählen können. Und kein Punkt auf dieser Liste wäre für ihre Ohren bestimmt. „Ach, naja, du weißt schon. Ich sei dein Mädchen und so“, erwiderte sie leise. Ich erstarrte. „Was?

„Ich sagte doch, du hast es nicht ernst gemeint“, warf sie nuschelnd ein und wich meinem Blick aus. Ich hatte ihr also gesagt, dass sie mir gehörte? „Und was hab ich noch gesagt?“, bohrte ich nach. Scheiße, was zögerte sie so lange? Wollte sie, dass ich hier gleich einen Anfall kriegte?

„Dass du gefährlich für mich bist“, murmelte sie. Ich grinste leicht. Sie war ziemlich süß, wenn sie verlegen und schüchtern war.

„Tja, da siehst du, was man für Bullshit labert, wenn man dicht ist“, winkte ich ab, als wäre es keine große Sache. Aber das war es. Sie nickte unbehaglich, während ich mir innerlich in den Arsch trat.

Ich durfte mich nie wieder besaufen, wenn sie in der Nähe war! Nächstes Mal fickte ich sie aus Versehen noch, oder so'n Scheiß!

 

Keine fünf Minuten und zwei Aspirin später saßen wir in meinem Wagen, und ich fuhr sie Nachhause.

„Kriegst du jetzt Ärger, babe?“, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch, während ich rechts ran fuhr und sie betrachtete. Sie hatte sich notdürftig die Haare hochgebunden und die schwarzen Striemen waren weg. Sie zuckte die Schultern.

„Wahrscheinlich kriege ich Hausarrest bis ich 20 bin“, stöhnte sie und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Starr sie nicht so an, McCann!

„Okay.“ Und ich musste es einfach tun. Ich musste einfach meine Lippen kurz auf ihre drücken, um dieses Gefühl zu bekommen, was ich dann immer hatte.

Und auch diesmal verfehlte es seine Wirkung nicht. Auf der Stelle fühlte ich mich nur noch halb so beschissen, wie gerade vor einer halben Sekunde. „Viel Glück, babe.“ Verdattert starrte sie mich an und fragte sich wohl, wie sie das jetzt verdient hatte. „Ja, danke“, stotterte sie und stieg unsicher aus.

Ich wendete den Wagen in ihrer Einfahrt und brauste wieder Nachhause.

 Dort angekommen warf ich mich auf die Couch und vergrub das Gesicht im Kissen. Ich war fertig. Ich konnte mit dieser beschissenen Situation einfach nicht umgehen! Verwandelte ich mich jetzt in eine gefühlsvolle Schwuchtel? Gefühle brachten nur Probleme, das wusste ich, seit Olive-Bitch mich damals so übelst beschissen hatte.

Ich spürte, wie sich die Couch senkte, als sich jemand neben mich setzte. „McCann?“ Sollte ich so tun, als schlief ich? „Ich weiß, dass du wach bist, bro.“ Dann halt nicht. Was wollte Sean, dieser Pisser?

„McCann, sieh mich mal an.“ Widerwillig hob ich den Kopf und sah in Sean in die Augen. Ich war froh, dass er nichts zu meinen wahrscheinlich rot geränderten Augen sagte.

„Es passiert dir schon wieder, hm?“ Ich nickte langsam. „Sie… Sean, sie heilt mich“, gestand ich, als wäre es eine Schande. „Ich wusste, dass es dir wieder passiert. Das mit Olive kann einfach nicht alles gewesen sein.“ Und jetzt brauchte er mir das unter die Nase zu reiben? Außerdem war das mit dieser anderen Schlampe überhaupt nichts gewesen. Alles fake.

Nichts im Vergleich zu dem Chaos jetzt. Wenn man meine Gefühle für Olive damals mit diesen hier verglich… Damals war sie mir wichtig gewesen, aber das hier war weit aus dramatischer. 

Was redete ich da, das war eine verfickte Katastrophe!

Ich war voll am Arsch, was war nur in mich gefahren?

„Ich kanns einfach nicht fassen! Jason McCann ver-“ „Halt die Klappe, du Arschloch“, spuckte ich sauer und unterbrach ihn. Wenn er es jetzt aussprach, würde ich ihm sein beschissenes Grinsen vom Gesicht schnitzen!

Es konnte nicht wieder passiert sein! So Jemand wie ich, dem durfte das nicht passieren. So Jemand wie ich, durfte nichts fühlen.

„Ist doch nicht schlimm, bro. Willst du’n Bier?“ Ich nickte und straffte die Schultern. Wie konnte man den Kater vom letzten Abend am besten vernichten? Mit noch mehr Alkohol, natürlich!

„Cheers. Du bist der Mann.“ Wir stießen an.

Sean fing plötzlich an zu lachen. „Was ist jetzt wieder los“, stöhnte ich. „Und nächste Woche an Silvester kommt die ganze Bostoner-Crew, unter anderem Olive, um hier zu feiern. Ich kanns kaum erwarten, ihr Gesicht zu sehen, wenn du Cade als dein Mädchen vorstellst“, lachte Sean. Ich schnaubte.

„Bist du behindert? Ich erzähl es Cade doch nicht!“ Er hörte auf zu lachen. „Was? Wieso denn nicht… ich dachte sie hilft dir über ihren Tod hinweg!“ Ich fragte mich echt, wieso ich Sean überhaupt eingestellt hatte, so grenzenlos bescheuert wie er manchmal war! 

 

Das, was ich Cade gestern gesteckt hatte, das war kein erfundener Bullshit. Verfluchte Scheiße, das durfte doch alles nicht wahr sein!

 

Cade PoV

 

„Du hast Hausarrest, die ganzen Ferien über! Handy ist gestrichen, kein Fernseher, kein Computer, du triffst dich nie wieder mit diesem Jungen“, schrie Mum fuchsteufelswild.

„Ich dachte ich spinne, als meine Tochter gestern einfach in das Auto dieses Fremden steigt, wie ein Flittchen! Kannst du das glauben, Dale?“, kreischte meine Mutter hysterisch und wartete die Antwort meines Vaters gar nicht erst ab. „Ich hab mich so geschämt, vor meinen Eltern und den Eltern deines Vaters! Ich kann nicht glauben, dass du das gemacht hast! Ich kenne dich doch so überhaupt nicht! Und ich habe dich gewarnt, Cadens Montgomery! Diese Typen sind nichts für dich, glaub mir! Was ist nur aus dir geworden? Dieser Junge hat einen schlechten Einfluss auf dich! Du gibst dir überhaupt keine Mühe mehr in der Schule und um deine Freundschaft mit Cheryl kümmerst du dich überhaupt nicht mehr! Und aus lauter Frust muss sie sich verändern, um mit anderen Leuten rumhängen zu können, nur weil du dir zu fein für sie bist!“

Wie bitte? Cheryl war die Komische hier! Ich war ganz normal geblieben, oder? Und vielleicht gab ich in der Schule nicht mehr 100 Prozent, aber dafür lebte ich! Und ich war glücklich. Zählte das denn überhaupt nicht?

Ich hörte ihr gar nicht erst zu. Meine Lippen kribbelten noch immer und ich hatte nur den Blick von Jason und seinen braunen Augen im Kopf. Er hatte mich geküsst. Er war es gewesen, ich nicht. Und ich hatte ihn nicht darum gebeten, er hatte es gewollt! Ich musste mich beherrschen, jetzt nicht zu grinsen. Dann hätte mich Mum bestimmt zum Psychologen geschickt! 

Ich entschuldigte mich nicht mal für gestern Abend. Klar, ich wusste, dass es falsch gewesen war. Aber leid tat es mir noch lange nicht. „Geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr sehen“, brüllte sie und zeigte auf die Treppe. Ohne einen Widerspruch ging ich in mein Zimmer, schälte mich aus dem Kleid und duschte mich. Ich war so glücklich und frei wie schon lange nicht mehr. Ich glaubte Jason nicht, dass es nur Mist war, was er mir gestern verraten hatte!

Es musste einfach ein Fünkchen Wahrheit dahinter stecken. Und das er mich heute geküsst hatte, bestätigte mich in meinem ‚Verdacht’.  Ich stieg aus der Dusche und zog meinen Jogginganzug an. Ich musste meinen Eltern den Laptop abgeben. Sie nahmen mir den Fernseheranschluss weg und schalteten das W-Lan ab. ‚Nur zur Sicherheit’, wie Mum vernichtend gemeint hatte.

„Cade, bring mir jetzt dein Handy runter“, brüllte Mum hoch. In diesem Moment fing das Teil an zu vibrieren. Wieso rief Sean eigentlich immer an?

„Fass dich kurz, ich darf gleich mein Handy abgeben“, drängte ich genervt. „Okay: Herzlichen Glückwunsch, du bist zu unserer mega Silvesterparty eingeladen! Zieh dich so scharf an wie noch nie. Vertrau mir.“

Damit legte er auf. Silvesterparty?

Hölle, was erwartete mich denn jetzt schon wieder? „Cade! DAS HANDY!“

„Ich komme ja“, brüllte ich sauer zurück und stapfte die Treppe hinunter.

Deal

Chapter Twenty Nine

 

Cheryl PoV

 

Ich starrte auf meine hellblau lackierten Fingernägel. Wo blieb Matt? Ich hatte nicht den ganzen Tag zeit, ich war später mit Ryan verabredet. Ich wollte nicht, dass Matt mir meine Chance auf einen scharfen Boy verbaute!

Gelangweilt bestrich ich meine Lippen mit mehr Aprikosen-Lipgloss. Cade hatte ihn mir geschenkt- der Gedanke brachte mich zum Seufzen.

Dieser Jason McCann versaute mir echt meine Freundschaft mit Cadens! Alles war perfekt gewesen, bis er aufgetaucht war, und mir meine beste Freundin weggeschnappt hatte! Unglaublich, dass Cade sich mit so einem widerlichen Kriminellen herumtrieb. Dieser kranke Vollidiot hatte seine ganze verdammte Familie ermordet, wie konnte sie diese Tatsache einfach ignorieren?

Ich hatte schon immer darauf gehofft, dass er endlich eingebuchtet wurde. Seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Solche Menschen wie er verdienten es nicht, frei zu leben. Er gehörte hinter Gitter genau wie seine kranken Freunde! Aber das passierte sowieso nie, dazu war Jason McCann zu clever. Und genau deshalb hatte ich jetzt diese Abmachung mit Matt. Zwar traute ich ihm nicht ganz über den Weg, aber es war mir grundsätzlich egal, was er mit Jason McCann anstellte, sobald er ihn hatte. Er würde McCann schon nicht umbringen oder so was, er wollte mir nur helfen.

Und Cadens kam auch nicht zu Schaden, das war das Wichtigste.

Verärgert warf ich mir meine frisch gefärbten Haare über die Schultern. Ja, meine Haare waren nicht natürlich rot. Aber das brauchte ja niemand zu wissen, sonst verlor ich noch meinen guten Ruf!

„Hey, baby.“ Ich drehte mich zu Matt um, der mir sofort einen Kuss aufdrückte. Igitt, das war so widerlich. Matt war der unattraktivste Mann auf der ganzen Welt, mit seiner hässlichen Narbe! Er hatte die Kapuze seines schwarzen Pullis tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den Hosentaschen vergraben. Es war so abstoßen, ihn zu küssen. Aber ich wollte doch nicht als prüde abgestempelt werden. Außerdem hatte ich immer noch Angst vor Matt. Immerhin hatte er beinahe meine beste Freundin angeschossen!

„Hey, baby“, begrüßte ich ihn verführerisch lächelnd. Bah. Ich benahm mich so lächerlich, und ich hasste mich dafür. Aber das war immerhin besser, als die verletzte, beste Freundin zu spielen. Cadens sollte bloß nicht glauben, dass ich ohne sie aufgeschmissen wäre! Ich verlor nämlich nicht gerne, und wenn es einmal geschah, dann musste es ja nicht die ganze Schule mitbekommen.

„Es ist alles vorbereitet. Wir müssen nur den perfekten Moment abpassen“, informierte er mich. „Du weißt ja, was du zu tun hast?“

Ich nickte. „Ich locke McCann zu dir, und du packst ihn dir.“ Und ich hätte meine beste Freundin endlich wieder! „Und dann erzählst du Cadens, er wäre abgehauen.“ Ich nickte, innerlich triumphierend. Denn wenn Jason McCann erst mal weg vom Fenster war, wäre ich da, um sie zu trösten. Dann sah sie bestimmt ein, wie dumm die ganze Jason McCann-Sache gewesen war. Und alles wäre wieder wie früher. Perfekt.

„Ich gib dir Bescheid, wenn es so weit ist, baby. Hier ist die Kohle.“ Er reichte mir einen Umschlag und ich linste kurz hinein. Natürlich wollte ich für diese Aktion mehr, als nur einmal im Gebüsch rummachen. Und Geld konnte ich immer gebrauchen, um mir neue Schuhe zu kaufen.

„Danke“, lächelte ich falsch und wollte mich wegdrehen, um endlich zu gehen.

„Hey.“ Er hob den Kopf und sah mich aus seinen stechend grünen Augen warnend an. Ich hielt inne und sah ihn fragend an „Versau das bloß nicht, klar?“ Es rieselte mir eiskalt den Rücken hinunter, als ich mir ausmalte, was er mit mir anstellte, falls ich versagte. Ich lachte selbstbewusst, um meine Angst zu überspielen.

„Vertraust du mir nicht, baby?“

Matt grinste mich an und trat einige Schritte zurück.

„Also dann-“

Ich nickte ihm zu und drehte mich weg. Toll, jetzt war ich fünf Minuten zu spät! Hoffentlich war Ryan nicht schon weg…

 

Cade PoV

 

„Cadens, hilfst du mir mal beim Abwasch?“, fragte Mum distanziert. „Wenn’s sein muss“, schnappte ich und krallte mir ein Glas, um es abzutrocknen.

Meine Eltern benahmen sich schon die ganze Woche über so. Sie hatten mir mein ‚unmögliches Benehmen’ immer noch nicht verziehen. Und mir tat es auch immer noch nicht leid.

Bei meinen strengen Großeltern, die vor fünf Tagen wieder nach Chicago geflogen waren, war ich unten durch. ‚Was für ein ungezogenes Mädchen ich doch geworden sei!’

Bevor sie abgereist waren, hatten sie meinen Eltern hunderte an Tipps gegeben, wie man mich wieder in das Mädchen verwandeln konnte, dass immer gute Noten schrieb und Zuhause saß, um zu lernen. Aber ich wollte dieses blöde Mädchen nicht mehr sein! Ich wollte nicht Mutter Theresa spielen, das hatte ich lange genug getan.

Ich pfefferte den letzten Teller in die Schranktür, warf das Handtuch auf die Küchenzeile und stapfte aus der Küche. Nachdem ich die Treppe hinaufgestürmt war, und mich in meinem Zimmer verbarrikadiert hatte, warf ich mich aufs Bett. In dieser Woche hatte ich viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Ich hatte mich nämlich stundenlang eingeschlossen und Musik gehört, während ich nachdachte. Nachdachte, und ihn vermisste.

Das war das Beschissenste an alldem. Ich vermisste Jason so wahnsinnig, dass es wehtat! Ich hatte ihn in den letzten Wochen immerhin jeden verfluchten Tag gesehen und dieser plötzliche Kontakt-Abbruch warf mich völlig aus der Bahn. Ob Jason so oft an mich dachte, wie ich an ihn? Bestimmt hatte er mich schon vergessen, und seine Bilanz, jedes Mädchen in ganz New York zu ficken, gesteigert!

Aber es war ja immerhin sein gutes Recht, ich war ja nicht sein Mädchen.

Wenigstens war heute der 31. Dezember. Heute war die Silvesterparty, zu der mich Sean hochoffiziell eingeladen hatte. Ich hatte nur noch keine Ahnung, wie ich dahin verschwinden wollte. Mum und Dad hatten echt ein scheiß Schloss an meinem Fenster angebracht! Ich fühlte mich wie in einem verfluchten Gefängnis!

Es stand außer Frage, nicht auf diese Party zu gehen.

Ich musste einfach. 

 

-

 

Vergebens rüttelte ich am Schloss. Es war zehn Uhr und dieses beschissene Schloss ließ sich nicht wegmachen!  Und was jetzt? Durch die Haustür, vorbei am Schlafzimmer meiner Eltern? Würde ich das schaffen? Ich atmete tief durch und warf meinem Spiegelbild zum wiederholten Male einen kritischen Blick zu.

 

„Zieh dich so scharf an wie noch nie. Vertrau mir.“

 

Sean hatte mir zwar aufgetragen, mich hübsch zu machen… aber ich war nun mal keine Schlampe, und dabei würde es bleiben. Ich trug das graue Kleid, welches ich mit Cheryl in der Mall ersteigert hatte. Wenn ich mich so zurückerinnerte, kam es mir vor wie eine Ewigkeit!

Jedenfalls war das Kleid oben eng und unten ging es steif ein wenig nach außen. Meine Haare lagen offen und wurden mit einem Bandana, dass oben zu einer Schleife gebunden war, gebändigt. Mit dem Make Up hatte ich mich wie immer zurückgehalten.

Ich schlüpfte wieder aus meinen schwarzen, hochhakigen Schuhen und öffnete geräuschlos die Tür. Dann tapste ich barfuss aus dem Zimmer und versuchte ohne einen Mucks die Treppe runter zu schleichen. Das konnte doch nicht so schwer sein!

Leider war unsere Holztreppe nicht mehr die Neuste. Deshalb knarrte sie auch bei jeder Stufe und ich zuckte kurz zusammen, um dann einige Sekunden zu lauschen, ob jemand aufgewacht war. Wenn mich meine Eltern jetzt schon wieder bei dem Versuch erwischten, abzuhauen... dann gute Nacht. Dann schickten sie mich vermutlich in ein Kloster-Internat nach Europa!

Aber der schwierigste Teil kam erst noch, weil meine Mutter nämlich einen sehr leichten Schlaf hatte, und verdammt schnell aufwachte. Langsam setzte ich einen Fuss vor den Anderen und atmete erleichtert auf, als ich an ihrer Tür vorbei war. Der Rest war ziemlich leicht, ich nahm einfach meinen Mantel vom Hacken und öffnete leise die Tür.

Draußen schlüpfte ich hinein und lief die ersten paar Meter ohne Schuhe. Als ich mir sicher war, dass ich nicht mehr zu hören wäre, zog ich sie mir über und lief die Straße entlang.

 

Wie letztes Mal war die Hölle los. Es waren nur noch mehr Leute in Jasons Hütte, noch mehr Autos standen auf der Straße und dem Kiesplatz. Noch lautere Musik und noch mehr Alkohol.

Wenn mir vor ein paar Wochen jemand gesagt hätte, dass ich jemals auf solch eine Party gehen würde, dann hätte ich laut losgelacht und angeboten, ihm einen guten Psychologen zu bestellen. Und jetzt stand ich hier, ohne, dass mich jemand stundenlang hatte weich kochen müssen. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr mich Jason eigentlich verändert hatte.

Ohne länger darüber nachzudenken schritt ich in Jasons Haus, vorbei an den aufreizend tanzenden Mädchen und den allesamt betrunkenen Jungs. Drinnen war es viel voller als draußen- ich schälte mich aus dem Mantel und verstaute ihn sorgfältig im Eckschrank der Garderobe.

Ich fühlte mich gerade ziemlich nackt, auch wenn es hier drin sehr warm war. Jetzt dachte ich doch darüber nach, wieso ich so dumm war, und mir nicht einfach ein normales Shirt übergestreift hatte.

„Willkommen“, dröhnte Chris, der im Flur stand, und sich einen Joint drehte. „Oh, du bist es, Cadens.“ Er ließ seinen Blick anerkennend über mich gleiten. „Hätte dich fast nicht erkannt. Wusste gar nicht, dass du kommst. Komm mit, Cade, McCann will dir sicher gerne ein paar seiner Freunde aus Boston vorstellen.“

Er winkte mich zu sich und führte mich durch das Haus...

New Years Eve

Chapter Thirty

 

Jason saß mit ein paar seiner Freunde in einer Ecke und rauchte. Bei seinem Anblick begann mein Herz so hastig zu rasen, dass es schmerzte. Meine Beine wurden ganz schwach und es fühlte sich an, als würde etwas an meinem Magen ziehen. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass die Härchen auf meinen Armen zu Berge standen- Gott, wieso hatte er nur immer wieder diesen Effekt auf mich?

Jason war -wie immer eigentlich- ganz in Schwarz gekleidet, seine Haare lagen in diesem perfekten Chaos, während er seinen Mund zu einem amüsierten Lächeln verzogen hatte. Seine Freunde waren bis auf Einen wahrhaftig allesamt dunkelhäutig. Und Ebendieser, der neben Jason saß, stach dafür umso mehr heraus. 

Nicht nur die Tatsache, dass er weiß war- er sah auch unverschämt gut aus mit seinen dunkelbraunen, zerzausten Haaren und den maskulinen, aber vor allem attraktiven Gesichtszügen. 

„McCann“, brüllte Chris und winkte so wild, wie es nur ein Betrunkener konnte. Jason hob den Blick und begegnete meinem. Es fühlte sich an, als blickte er direkt in die Tiefen meiner Seele, und mein schwaches Herz setzte einen Schlag aus. Am liebsten wäre ich jetzt einfach auf ihn zugeeilt, hätte mich in seine Arme geworfen und ihn geküsst, weil ich das so sehr vermisst hatte. Am liebsten hätte ich auch die dummen Schmetterlinge in meinem Bauch ausgekotzt! Aber das ging natürlich beides nicht.

Jasons Lächeln wurde ein Stück breiter, während er mich zu sich heranwinkte. Er drückte seine Zigarette aus und zog mich schlicht auf seinen Schoß, da es hier sowieso schon eng war.

Ich war hier beinahe am Hyperventilieren, und was für ihn das Normalste der Welt schien, war für mich wie ein Traum. Ich saß auf dem Schoß von Jason McCann. Ich, obwohl es hier so viel andere Mädchen gab, die besser als ich aussahen. 

„Sean hat mich gefragt, ob ich auch käme“, informierte ihn geradeheraus. Ich hatte so das Gefühl, Sean hatte das über Jasons Kopf hinweg mal so bestimmt.

Jason nickte. „Ich weiß. Das ist Cadens. Sie ist vor ’nem Monat aus Miami hierhergezogen“, stellte er mich seinen Freunden vor.

„Was geht, Kalifornien?“, fragte der einzig Weiße und schenkte mir ein leicht reserviertes, aber doch höfliches Lächeln. Er schien charmant, aber ich war mir sicher, dass er das bei jedem Mädchen war. Ich reichte ihm die Hand, auf der er einen Kuss platzierte und wurde leicht rot. Definitiv charmant. Ich spürte, wie Jason mich besitzergreifend enger an sich zog.

„Ich bin Bruce und das sind meine Leute aus Boston“, stellte er sich vor. Bruce musterte mich neugierig, und ich tat es ihm gleich. Von nahem sah er noch viel besser aus. Er hatte dunkle, sehr dunkle Augen. Noch dunkler als die von Jason. Sie schienen einem wie einem wie ein Strudel einzusaugen. Auch seine Arme waren tätowiert, aber die Kunstwerke zogen sich -anders als bei Jason- über beide Schulterblätter. Er war größer als Jason und hatte etwas Dunkles an sich. Etwas Lauerndes. Auf eine verdrehte Art und Weise machte mir das nichts aus. Ich war mich fast schon daran gewöhnt.

Bruce fühlte sich wohl dazu verpflichtet, mit mir zu reden.

„Bevor Jason nach New York gekommen ist, hat er bei uns in Boston gelebt“, erklärte er.

Wieso war Jason nach New York gekommen, statt bei seinem Freunden zu bleiben? Die endlose Liste an offenen Fragen für Jason wuchs mit jedem Mal, dass er in der Nähe war. Ich nickte zum Zeichen, dass ich ihn trotz der Lautstärke verstanden hatte.

Die Anderen in der Runde, die mich bis jetzt nur nieder gestarrt hatten, drehten sich wieder weg und redeten weiter. Bruce versuchte sich derweilen über den Lärm hinweg mit mir zu unterhalten, aber das klappte irgendwie nicht so gut.

Mittlerweile hatte ich endlich meine verkrampfte Haltung abgelegt und es mir auf Jasons Schoß bequem gemacht, auch wenn ich mir die ganze Zeit Sorgen machte, dass ich bald elendig an Herzversagen starb wenn das so weiter ging!

„Das heißt also, du hast dich von Zuhause weggeschlichen?“, fragte Bruce mittlerweile und zog die Augenbrauen hoch. Ich verdrehte die Augen. „Meine Eltern haben alle Fenster mit Schlössern versehen“, grinste ich. Seine Augen blitzten amüsiert - Bruce war freundlich aber sehr mysteriös. Er redete viel, aber doch verriet er nicht viel.

„Kleine?“ Sofort verabschiedete sich meine Konzentration, als ich Jasons Stimme hörte. „Holst du uns mal was zu Trinken?“

Ich hatte keine Lust, jetzt aufzustehen. Es war gerade so bequem! Trotzdem sah ich kurz in seine schwarzen, sanften  Augen, lächelte und stand auf. 

Der Alkoholbunker war in der Küche, also machte ich mich auf den Weg dahin.

Bis auf ein völlig besoffener Junge, der unter dem Tisch lag, war es dort drin leer. Jason hatte nicht gesagt, was er zu Trinken wollte, und hier stand eine Unmenge an verschiedenen Flaschen!

Ich schreckte auf, als ich Absätze auf dem Boden hörte. Mit einer Flasche Jack Daniel’s in der Hand drehte ich mich um. Vor mir stand ein braunhaariges, dunkelhäutiges Mädchen in einem gelben, viel zu kurzen Kleidchen. Sie war sehr stark geschminkt und hatte die roten Lippen zu einem Lächeln verzogen.

Ihre stumpfen, grauen Augen lagen freundlich auf mir. Eigentlich war sie sehr hübsch, mit ihrem Schmollmund und den hohen Wangenknochen.

„Kann ich dir behilflich sein?“, fragte ich höflich. Ich wollte schnell wieder zurück zu Jason. „Das wollte ich gerade dich fragen. Hast du McCann gesehen?“

Ich kaute auf meiner Unterlippe und hatte ein ungutes Gefühl im Bauch. Sofort wurde sie mir unsympathisch. Ja, diesmal war ich eifersüchtig.

„Kennt ihr euch?“, erwiederte ich neugierig. „Klar“, lächelte sie. „Ich bin Olive, Jasons Freundin.“ Die Flasche rutschte mir aus den Händen.

Bye bye, Jack Daniel’s!

 

McCann PoV

 

„Das ist also das Mädchen, von dem du mir erzählt hast“, stellte Bruce fest und sah zu der Stelle, an der Cadens verschwunden war.

Ich hatte ja nichts dagegen, wenn Cade sich für mich scharf anzog. Aber wenn diese notgeilen Wichser ihr hier alle auf den Arsch starrten, nachdem sie an ihnen vorbei lief- das pisste mich dann schon an. 

„Ja. Mein Mädchen“, präzisierte ich aus zusammengekniffenen Augen. Bruce hob abwehrend die Hände.

„Ich wollte sie nur kennen lernen, bro. Unglaublich, dass du dir jetzt auch schon Eine angelacht hast! Ich dachte, du wärst mein Bruder“, klagte er. Ich grinste. Bruce hielt es nicht länger als eine Woche mit einem Mädchen aus. „Aber die ist wenigstens besser als Liv.“ Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Komm mir lieber nicht mit der Zicke.“ Olive war das Letzte, worüber ich jetzt mit ihm reden wollte. Diese Bitch war eine Diskussion nicht wert.

Bruce lachte. „Sie sah ziemlich wütend aus, als sie Cadens auf deinem Schoß gesehen hat“, meinte er nachdenklich. Ich erinnerte mich an Olive’s wütenden Blick, und dass sie mir etwas zugezischt hatte, was ich nicht verstanden hatte. Ich hob die Schultern. War mir doch egal, was die von mir dachte.

„Ich zieh’s nicht mehr“, lehnte ich ab, als mir Drake einen Joint unter die Nase hielt. Er hob eine Braue. „Bist du krank, bro?“ Ich grinste und schüttelte den Kopf. „Ich schaff’s jetzt ohne.“ Drake schüttelte ungläubig den Kopf und zündete sich selbst einen an.

Was brauchte Cade denn so lange? „Ich geh mal nach ihr sehen, bro“, murmelte ich leicht besorgt, klopfte Bruce auf die Schulter und stand auf, um mich durch die Menge zu drängen.

Wahrscheinlich war Cade noch in der Küche und wusste nicht, was sie mir bringen sollte.

Ich kam in der Küche an und erstarrte. Ich sah die zerschlagene Jack Daniel’s- Flasche und daneben Olive. Das war gar nicht gut. Wo zur Hölle war Cade? Hatte Olive mit Cade geredet? Wenn ja, was hatte sie ihr erzählt? Olive war Eine der Wenigen, die jedes meiner Geheimnisse kannte- jetzt im Nachhinein verfluchte ich mich dafür, ihr alles über mich erzählt zu haben.

„Wo ist sie?“, fragte ich alarmiert und ziemlich laut „Pass auf deinen Ton auf, McCann“, lächelte Olive sarkastisch. Ich verzog angewidert das Gesicht. „Sag mir jetzt, wo sie ist, Bitch.“

„Ach, dein Mädchen, meinst du? Sie ist vor ca. zehn Sekunden hier raus gerannt, nachdem wir uns unterhalten haben“, meinte diese leichthin. Ich warf Olive einen letzten, tödlichen Blick zu. „Ich habe überhaupt nichts gemacht“, gurrte sie unschuldig. Dumme Bitch. Wieso war Cade rausgerannt?

Ich lief wieder aus der Küche und suchte den Raum ab. Weit konnte sie jedenfalls noch nicht gekommen sein. Ich bildete mir ein, sie auf der Tanzfläche gesehen zu haben. „Cade“, rief ich. Sie drehte sich zu mir um, starrte mich enttäuscht an und lief schneller.

Ich fluchte. Was hatte diese dumme Zicke angestellt? Nichts als Ärger machte sie! Ich musste rennen, um Cade nicht aus den Augen zu verlieren. Nachdem ich die Tür aufgestoßen hatte, blickte ich mich um. Ich entdeckte sie, wie sie schon am Ende der Einfahrt war. 

„Fuck“, murmelte ich und lief ihr hinterher.

„Kleine, was ist los? Hat sie dir was getan?“, fragte ich, als ich sie auf der Straße eingeholt hatte, und drehte sie zu mir um.

Fass mich nicht an!“ Whoa! Ich ließ verwirrt Cade los, und sie brachte schnell einige Schritte Abstand zwischen uns.

Olive hat g-g-gar nichts gemacht! Sie h-h-h-h… Gott!“ Ich sah hilflos, wie ihre blauen Augen sich mit Tränen füllten. Was zur Hölle chon hatte sie denn jetzt schon wieder?

„Wie k-k-konnte ich nur so bescheuert sein? Du k-küsst mich und be-benimmst dich so, als wäre ich d-d-d-d-ein Eigentum! Dabei hast du eine verdammte Fr…“ Cade brach ab.

Ich hatte keine Ahnung, was mich gerade mehr beschäftigte: Entweder die Tatsache, dass Cade anfing zu stottern wenn sie sauer war, oder was Olive ihr verfickt noch mal eingetrichtert hatte, oder das sie verdammt wunderschön aussah, wenn sie wütend war. „Eine was? Was habe ich“, spuckte ich sauer. „T-tu nicht so b-b-blöd!“

„Was denn, ich hab keine verfluchte Ahnung, von was du da redest“, brüllte ich zurück. Ich konnte es nicht haben, wenn mich jemand zu etwas beschuldigte, was ich gar nicht getan hatte! Oder jedenfalls nicht bewusst.

„Na, d-d-das du eine verdammte Freundin ha-hast!“ Sie schloss die Augen und ich starrte sie entgeistert an. Von wo hatte sie den Scheiß denn bitte her? Ich fing hysterisch an zu lachen.

„D-d-as ist nicht witzig, J-J-Jase!“ Oh doch, es war verdammt witzig. Und verdammt ironisch. Und es stand jetzt verdammt noch mal fest, dass ich Olive später den Schlampen-Hals umdrehen würde.

„Du hast recht, das ist nicht witzig“, sagte ich und trat einen Schritt näher. Ihre Augen weiteten sich und sie presste die Lippen aufeinander. Ich strich ihr eine Strähne ihrer braunen  Haare aus dem Gesicht.

„Und wer hat das gesagt, hm?“, flüsterte ich und beobachtete zufrieden, wie sie erschauderte. Sie schluckte hart und begann zu zittern. Ich liebte den Effekt, den ich auf sie hatte. 

Ich beugte mich zu ihr runter und sah, wie sich ihre Augen noch ein Stück größer wurden „Wer, Kleine?“ Meine Lippen berührten beinahe ihren Hals und ich hörte, wie sie stockend einatmete. Ich fuhr hoch, bis zu ihrem Ohr. Ich musste lächeln, als ihre Beine wegknickten, und stützte sie mit einer Hand. Sie war so schwach, wenn ich sie berührte.

„War es Olive?“, grollte ich und biss leicht in die Haut an ihrer empfindlichen Stelle dahinter. Ich hörte, wie Cade ein Stöhnen ausstieß. Und das war das Heißeste, was ich je gehört hatte. Sie mochte es also, gebissen zu werden. Verdammt, ich werde jeden Teil ihres Körpers beißen, nur um dieses Geräusch noch mal zu hören!

„Hat Olive das gesagt?“, wisperte ich und fuhr wieder unter ihr Kinn.

„M-…hm“, machte Cade, während ich einen Arm um sie schlang. Ich ließ von ihrem Hals ab, um den Anblick zu betrachten, der sich mir bot. Sie hatte die Augen geschlossen und den Hals zurückgeworfen, während sie mir ihren Oberkörper entgegenwölbte.

Fuck! Ich biss mir auf die Lippe. Ich würde sie jetzt nehmen. Hier und jetzt. Cade öffnete ihre Augen und sah mich verzweifelt und auffordernd an.

Meine Lippen landeten auf ihren und erlösten sie von den Qualen. Ich liebte dieses Gefühl der Dominanz, dass ich über sie hatte. Ich führte, sie folgte. Bedingungslos.

Sie presste sich an mich und zog an den Enden meiner Haare. Das war besser als alles, was ich bisher mit Olive gehabt hatte. Das war besser als alles, was ich bisher mit irgendwem gehabt hatte.

Ich war so kurz davor, sie in irgendein Gebüsch zu zerren, aber irgendwas hielt mich davon ab. Ich löste ihre Hände, die sich mit meinen Haaren verkeilt hatten, und nahm sie in meine, während ich meine Stirn an ihre lehnte.

Sie schnappte nach Luft, während ich sie ernst ansah.

„Ich habe kein anderes Mädchen. Du bist die Einzige, die mir gehört. Du gehörst mir, hast du gehört?“

Ich lächelte und legte meine Lippen erneut auf ihre.

Sie gehörte mir

Happy New Year

Chapter Thirty One

 

Cade PoV

 

Wir sahen auf die Stadt hinunter, sahen wie am Times Square das Konfetti in den Himmel katapultiert wurde, und wie man das Feuerwerk abfeuerte. In jeden erdenklichen Farben und Formen zersprangen die Raketen im Himmel und warfen den wilden Funkenregen durch die Luft.

Die New Yorker sagten immer, wenn man an Neujahr noch nie in New York gewesen war, hatte man nie richtiges Silvester erlebt. Recht hatten sie.

Ich zog die Beine an und kuschelte mich in Jasons Kapuzenpulli, den er mir geliehen hatte.

Ein bisschen quälte mich das schlechte Gewissen schon, dass Jason nicht auf seiner eigenen Party war. Aber es war seine Idee gewesen, hier zu seinem geheimen Ort zu fahren. An unseren geheimen Ort.

Mich hätten sowieso keine zehn Pferde mehr auf diese Party gekriegt, auf der Olive und ihr verlogenes Gesicht auf mich warteten. Eigentlich hätte ich ihr sowieso nicht glauben sollen- aber ich wusste ja, was man sich über Jason und seine Verflossenen erzählte.

Jason ließ meine Hand los und wandte sich ganz mir zu. Er sah schon wieder so gut aus! „Bist du dir auch sicher?“ Er klang ernst.

Ich nickte lächelnd.

„Ich denke du weißt nicht, auf was du dich da einlässt, babe“, murmelte er zweifelnd. Ich verdrehte die Augen. Oh, bitte! Natürlich wusste ich nicht, auf was ich mich da einließ, aber wer wusste das schon? Der springende Punkt war nur: Es interessierte mich auch nicht.

„Okay, hör- hör zu. Erstens: Es gibt da ein paar Dinge, die du von vorne herein wissen solltest.“ Ich nickte brav und sah ihn auffordernd an.

„Es gibt Sachen, die sind nicht dein Business. Manche Dinge gehen dich nicht an und ich will dich so weit wie möglich aus meinen Angelehenheiten raushalten. Verflucht, nur der Gedanke daran, dass du etwas mit dem ganzen, kranken Scheiß da draußen zu tun haben könntest...

Also wenn ich dir etwas nicht erzählten will, oder ich für eine Weile verschwinden muss, belass es dabei, okay?“ Ich nickte, wenn auch widerwillig. Wenn es ihn glücklich machte und ich dann endlich ihm gehörte, würde ich das in Kauf nehmen. Jason lächelte und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Gutes Mädchen“, flüsterte er, während ich erschauerte. Ich hatte Mühe, mich auf seine nächsten Worte zu konzentrieren.

„Zweitens: Wenn ich dich mit einem Anderen sehe, bring ich ihn um“, sagte er und sah mich durchdringend an. Der Ernst in seiner Stimme sorgte dafür, dass es mir schon wieder eiskalt den Rücken hinab lief. Diesmal aus Angst. Wieder griff er nach meiner Hand und drückte sie.

 „Ich leg ihn um, verstanden, Kleine?“ Ich schluckte und nickte. Er bemerkte meine Panik und strich beruhigend mit dem Daumen über meinen Handrücken.

„Und… du weißt ich bin manchmal…“ Er suchte nach Worten.

„Ich weiß schon“, flüsterte ich. Er war manchmal aggressiv, total launisch, fies, manchmal brachte er Menschen um, und ich beharrte immer noch auf die Schizophrenie-Theorie. „Genau. Also, du musst wissen, was dich erwartet.“ Ich nickte. „Kein Problem.“

Er sah mich immer noch zweifelnd an. „Ich glaube wir sollten zurück. Ich hab meine Jacke bei dir vergessen“, wechselte ich das Thema. Ich war lange nicht mehr so glücklich wie in dem Moment, als er mich mit sich hoch zog und in seine Arme schloss. Niemals in einer Million Jahre nicht hätte ich geglaubt, dass ich mit diesem Kerl zusammenkäme! Ich inhalierte sein Jason McCann- Aroma und spürte wie sich seine Arme um meine Taille legten.

Ich hätte zu gerne gewusst, was er jetzt dachte.

 

Wir fuhren den Berg wieder hinunter durch die Stadt, die immer noch voll von Konfetti und Leuten war. Deshalb brauchten wir auch eine volle Stunde, um in unser Viertel zu kommen.

Schon als wir auf dem Parkplatz standen, wusste ich, dass da was nicht stimmte. Vor dem Haus standen zwei Streifenwagen und die Musik war aus. Im Übrigen sah es aus, als wäre ein Großteil der Leute wieder gegangen.

Jason fing wütend an zu fluchen. „Kann man diese Idioten nicht mal alleine lassen?“, spuckte er böse und stieg aus. Mein Herz begann schmerzhaft zu pochen. Was war hier passiert? Eine Schlägerei?

Sofort kam ein glatzköpfiger Beamter auf uns zu, alsbald wir den Wagen verlassen hatten.

„Sind sie der Besitzer dieses Hauses?“, fragte er und musterte Jason. „Ja“, knurrte dieser. Respekt gab’s bei ihm wohl nicht. Der Mann winkte einen Zweiten zu sich heran.

„Gut. Es wurden Drogen auf ihrer Party gefunden, wir müssen alle mit auf die Wache nehmen.“ Oh, scheiße. Drogen? Wie hatten sie denn bitte die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gezogen?

Das Viertel, in dem wir wohnten, war nicht gerade besonders beliebt. Shit, das sah überhaupt nicht gut aus! Ich blickte vorsichtig zu Jason, der meine Hand viel zu doll umklammerte. Er sah aus, als wolle er gleich Amok laufen und den Polizisten abstechen. Sein Mörderblick schreckte sogar den Beamten ab.

Gott, Jason, tu jetzt nichts Unüberlegtes!

„Mein Kollege wird sie erst abtasten“, stotterte der Polizist und deutete auf den Älteren. Widerwillig ließ Jason sich mitnehmen, während ich von dem Jüngeren abgecheckt wurde. Mir war bisher gar nicht klar gar nicht klar gewesen, wie einsam meine Hand war, wenn sie nicht in Jasons lag.

Er bat mich meine Taschen zu leeren. Aus Jasons Kapuzenpulli kam nur ein Feuerzeug und ein Döschen zum Vorschein.

Ich blickte kurz auf das Etikett, bevor ich es dem Polizisten aushändigte. Beruhigungstabletten

Schon wieder. Wozu brauchte Jason die?

„Sie ist sauber! Nimm sie mit“, rief er einem Anderen zu, nachdem er meine Taschen durchsucht hatte. „Warten sie, wo muss ich jetzt hin?“, fragte ich verwirrt. Durfte ich nicht Nachhause?

„Auf die Wache, wie der Rest auch. Deine Eltern werden dich dort abholen müssen, da du noch minderjährig bist.“ Nein. Nein, nein, nein! Das durfte doch alles nicht wahr sein, verdammt noch mal!

Shit. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie meine Eltern jetzt reagierten. Sie würden ausrasten, wieso ich schon wieder aus dem Zimmer geschlichen war! 

Mist, wieso passierte mir das immer? Ich verfluchte diesen Abend. Es hätte alles so gut enden können! Und wo war Jason? Hatten sie bei ihm etwas gefunden?

Ich fragte den Fahrer, aber er gab mir keine Auskunft. Also setzte ich mich zu den zwei anderen Betrunkenen und ließ mich zur Wache gutschieren.

 

Auf der Wache waren schon zahlreiche Andere. Ich stellte mich hinten an die Reihe des Münztelefons und war heilfroh, dass die Schlange so lange war.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und blickte mich um, konnte Jason aber nicht ausmachen. Wo zur Hölle war er? Und wo waren seine anderen Jungs? Ich fühlte mich nicht so, als gehörte ich hierher zu diesen komischen Leuten. Ich war nicht betrunken, ich hatte noch nie mit Drogen zu tun gehabt!

„Du bis’ dran“, lallte einer von hinten und schubste mich gegen das Telefon. Na danke!

Ich warf ein paar Münzen ein und wartete.

„Montgomery“, meldete sich die müde Stimme meiner Mutter. Ich holte tief Luft.

„Mum, ich bin’s...“ Es blieb erst mal still. „Honey, wo bist du?“, fragte Mum gefährlich leise. „Du bist doch in deinem Zimmer, oder?“ Besser wär’s!

„Du oder Dad, ihr müsst mich bei der Polizeiwache abholen. Bitte, es tut mir leid…“

Sie legte auf. Einfach so. Und was bedeutete das jetzt? Kam sie oder nicht? Ich setzte mich auf den Boden und schloss die Augen, während ich wartete. Ich hatte echt Scheiße gebaut, das war mir klar…

 

Und Mum kam. Sie war in zehn Minuten da, ließ sich alles zehnmal vom Polizisten erklären und  schleifte mich hinaus, fuchsteufelswild. „Diesmal hast du den Bogen überspannt, Cadens“, flüsterte sie, als ich mich auf den Beifahrersitz pflanzte.

Beschämt wich ich ihrem Blick aus, während sie losfuhr. Sie schwieg den ganzen Weg lang, aber ich war mir sicher, wenn wir Zuhause waren, dann wäre die Hölle los!

Und ich behielt recht. Sobald die Haustür ins Schloss gefallen war, nahm sie mich ins Wohnzimmer und dann ging das Gepolter los:

„Bist du noch ganz bei TROST?“, schrie sie. „Du hattest Hausarrest, Cadens! Wie bist du überhaupt aus deinem Zimmer rausgekommen!?“ Ich zuckte zusammen, aber es ging schon weiter.

„Und dann krieg ich den Anruf von der Polizei, meine Tochter sei auf einer Party gewesen, und ich weiß noch nicht mal was davon! Was suchst du auf der Feier dieses Kriminellen“, brüllte sie.

„Du kennst ihn nicht“, schoss ich zurück. Sie hatte keine Ahnung von Jason! „Ist das ein verdammter Scherz? Dieser Junge hat eine extra Schublade für seine 30cm dicke Strafakte, Cade“, schaltete sich mein Vater ein. Okay, vielleicht kannte er ihn doch. Aber nicht so wie ich!

„Du hast keine Ahnung, was er alles durchmachen musste“, regte ich mich auf. „Wie kannst du nur so dumm sein, Cade! Dieser Junge nutzt dich doch nur aus, nach Strich und Faden! Du bemerkst nicht mal mehr, wie sehr du dich verändert hast! Du siehst nicht nur aus wie eine Schlampe, du benimmst dich auch wie eine“, wütete er. Okay, das hatte gesessen.

Aber ich war besser. Und jetzt sprach ich das aus, was schon seit Jahren zwischen uns gestanden hatte.

„Du hast doch keine Ahnung“, schrie ich zurück, „weißt du wer eine Schlampe ist? Die Bitch, mit der du Mum betrogen hast, das ist ’ne Schlampe!“

Ich sah es nicht kommen. Ehrlich nicht. Ich spürte nur, wie seine flache Hand auf meine Wange traf und ich zurück stolperte.

„Dale“, schrie Mum entsetzt. Dad sah mich erschrocken an. „Cade, es tut mir leid! Ehrlich, bitte komm…“

Ich hatte mich auf dem Absatz umgekehrt und lief weg. Ich hörte ihre Rufe, aber ich lief einfach weiter durch den Garten und über den Zaun, die Straße entlang.

 

Ich bin zwölf und es ist heißer Sommer.

Ich und meine beste Freundin Lily sind Shoppen und ich habe mir einen neuen Rock gekauft, mit vielen bunten Flicken. Vielleicht kann ich so meinen Schwarm, Christian, beeindrucken!

Jetzt wollen wir uns bei mir Zuhause ein paar DVD’s angucken. Kichernd laufen wir den Weg entlang und biegen in die Einfahrt zum Haus. Hoffentlich haben wir auch Popcorn da, mit ganz viel Butter!

„Halt mal kurz meine Tüte“, lache ich und suche meinen Schlüssel. Aber als ich ihn ins Schloss stecke bemerke ich, dass die Tür schon offen ist. Hmmm, vielleicht ist Dad früher Nachhause gekommen!

Ich laufe in’s Wohnzimmer. „Daddy, ich bin wieder da“, schreie ich lächelnd und erstarre.

Mein Vater sitzt auf der Couch, halbnackt auf einer stöhnenden, blonden Frau. Sie lässt einen spitzen Schrei los und bedeckt ihren nackten Körper.

„Oh mein Gott, ich kann nicht fassen, dass dein Dad fremdgeht“, sagt Lily hinter mir in Schock. Ich lasse die Tüte fallen und renne hinaus.

Diese Frau ist nicht meine Mutter gewesen.

 

Ich hatte ihm versprochen, es Mum nicht zu sagen. Er musste mich mit Süßigkeiten bestechen, hat mich angefleht und beteuert, es sei nur ein Fehler gewesen. Und ich hatte geschwiegen, aber nur für Mum. Sie hatte es damals schon schwer genug, weil sie sich mitten in ihrem Medizinstudium befunden hatte.

Aber zwischen mir und Dad war es nie wieder so wie früher gewesen. Es war nicht nur, dass er Mum betrogen hatte. Er hatte mich vor Lily blamiert, vor meiner damals einzigen Freundin!

In der Gegenwart rannte ich einfach weiter. Ich bemerkte erst, dass mich meine Beine Richtung Jason getragen hatten, als ich schon vor seiner Tür stand und die Klingel drückte…

Anger

Chapter Thirty Two

 

Bevor ich die Klingel drücken konnte, bemerkte ich, dass die Tür schon offen stand. Ohne nachzudenken schlüpfte ich ins Haus und erstarrte, als ich Jasons lautes Gebrülle hörte. Es hörte sich so an, als würde er seinen Kumpels die verfluchte Hölle heiß machen!

„Weißt du, Jared, du kannst jetzt einfach deine dreckige Fresse halten, oder ich nagel deinen verdammten Arsch an die Wand“, spuckte er kalt. Ich blieb im Gang und versuchte die Schluchzer zu unterdrücken. Ich wollte jetzt nicht reinplatzen- außerdem machte mir Jason gerade eine Scheißangst!

„Nicht einmal kann ich euch Arschgesichter alleine lassen, ohne dass diese verfickten Bullen gleich vor der Matte stehen! Ihr könnt verdammt froh sein, dass ich vor der Party mein Gras an Leeds weitergegeben habe! Diese ganze Scheiße pisst mich sp verflucht an, Jared. Und weißt du was passiert, wenn mich etwas anpisst?“

Gott sei Dank hatte die Polizei wenigstens nichts an Jason gefunden!

„Jetzt bleib ruhig, McCann! Wir können die Kaution zumindest für Bruce locker bezahlen“, wandte Chris ein. Ich hörte nur ein lautes Deppern und zuckte zusammen.  

„Es geht nicht um die verfickte Kohle, du Bastard“, brüllte Jason so aggressiv, dass es mir kalt den Rücken hinab rieselte. Jetzt wollte ich nicht in JChris' Haut stecken! Am liebsten hätte ich mich wieder umgedreht und wäre weggelaufen, so schlecht wurde mir vor Angst! Aber wo hätte ich denn sonst hinsollen?

„Nirgends hab ich meine Ruhe! O’Shea hängt mir auf dem Sack und Jeremy, dieser rückgradlose und penetrante Arsch lässt mir meine beschissene Ruhe nicht! Ich muss Cade beschützen und dafür sorgen, dass meine Boston-Crew nicht absauft, die Bullen sind kurz davor mich hinter Gitter zu werfen und ihr Pisser steht nur da und fällt mir mit solcher unnötigen Scheiße in den Rücken!!!“

Jeremy? Was zur Hölle will dein Vater von dir?“, fragte Austin fassungslos. Darauf kriegte er keine Antwort.

Dann erhob Jared wieder das Wort: „Jetzt fahr mal n’ Gang runter, McCann! Wärst du nicht weggegangen, wäre das Ganze auch nicht so außer Kontrolle geraten.“

Ich riss die Augen auf. Es blieb einige, schmerzhaft lange Sekunden ruhig und ich wagte es nicht mal, zu atmen! Das hätte Jared nicht tun sollen. „Würdest du das bitte noch mal sagen?“, fragte Jason ruhig. Wieder war der Raum erfüllt mit Stille.

„McCann, nicht“, schrie Clay. Im nächsten Moment hörte es sich so an, als verprügelte Jason den armen Jared mit einem Stuhl oder Derartigem! Ich verstand McCann ja, er stand unter Druck. Aber das war einfach zu viel. Ich spürte wie sich ein Schluchzer den Weg durch meine Kehle bahnte und verfluchte mich dafür. Ich wollte nicht, dass sie sich jetzt prügelten! Sofort verstummte der Lärm, als sie mich hörten.

Ich sah nichts, meine Tränen verschleierten mir die Sicht, aber ich spürte, wie sich zwei Arme um mich schlangen, und wie mir Jasons vertrauter Geruch in die Nase stieg. Ich fühlte mich sofort Zuhause, als er mich fest an sich presste, und schlang instinktiv die Beine um seine Mitte.

Ich brauchte seine Nähe jetzt einfach, obwohl er mir Angst einjagte!

„Nicht mehr schlagen, bitte“, flehte ich hilflos.

„Was tust du hier und wie lange hörst du schon zu, Cadens?“, fragte Jason sanft aber immer noch angespannt. Ich sagte nichts dazu und krallte mich in seine Schultern wie ein Klammeräffchen.

Jason setzte sich in Bewegung und lief die Treppe hoch, um den Gang entlang zu laufen, und in sein bereits offenes Zimmer zu laufen. Die anderen Jungs ließen wir einfach links liegen- sie würden sich schon irgendwie beschäftigen können. Zum Beispiel diese Sauerei von der Party aufräumen! 
Oder Jared verarzten! Hoffentlich ging es ihm gut! 

Aus den Augenwinkeln sah ich verschwommen, dass Jason mit frischer Farbe einige neue Worte an seine Wand gepinselt hatte. Aber ich konnte sie nicht lesen.

Er setzte mich auf seinem Bett ab und ließ mich vorsichtig los. „Sag mir was passiert ist, Cadens.“ Ich konnte mich nicht beruhigen, die Erinnerungen schwirrten noch immer in meinem Hirn. Mein Dad brauchte sich nicht so aufzuführen, immerhin hatte ich Mum doch nie etwas davon erzählt!

„Meine Eltern sind ausge-“

Ich quiekte erschrocken auf, als Jason mein Kinn packte und mein Gesicht drehte. „Was. Ist. Das?“, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne. „Mein Dad.“

Mehr brauchte ich nicht zu sagen, da war er aufgesprungen. „Dieser Wichser“, spuckte er und wollte aus dem Zimmer laufen. „Jason, warte! Wo willst du hin?“

„Ich bring dem Arschloch eine Lektion ‚Wie bin ich ein guter Vater’ bei, was sonst?“, fauchte er sarkastisch und vor Wut bebend. Seine schwarzen Augen funkelten bedrohlich und mir drehte sich der Magen um. Das wollte ich nicht!

„Nein, bitte nicht! Jason, er ist Polizist, du kannst da nicht einfach hingehen und ihm wehtun, bitte! Er hat’s nicht so gemeint, er hat so was noch nie gemacht!“

Jason, der jetzt im Türrahmen stand, hielt inne und drehte sich um. Er verschränkte die Arme und starrte mich aus zusammengekniffenen Augen an.

„Willst du mich verarschen? Wie soll ich ihm bitte nicht weh tun? Babe, hast du mal in den Spiegel gesehen? Du bist mein Mädchen, wer dich verletzt kriegt es verfickt noch mal mit mir zu tun, mir scheißegal ob es ein Bulle oder dein Vater oder gleich beides zusammen ist! Ich bin jetzt für dein Schutz zuständig, verstehst du, Shawty?

Und jeder der dich auch noch zum weinen bringt, der kriegt einen Extra-Bonus auf die Schnauze!“

Ich betrachtete Jason, wie er so dastand in der Naturgewalt seines guten Aussehens und ich musste einfach lächeln.

 

Du bist mein Mädchen.

 

Trotzdem wollte ich nicht, dass Jason Ärger anzettelte! Davon hatten wir schon reichlich genug am Hals. 

Er seufzte und schloss die Tür hinter sich, als ich ihn flehend angesehen hatte. „Du gehst da nicht mehr zurück, du bleibst jetzt hier bei mir, verstanden Shawty?“

Ich nickte und er setzte sich auf’s Bett, um den das Gesicht in den Händen zu vergraben. Für’s Erste wollte ich meine Eltern auch nicht wieder sehen! 

„Die wollen mich sowieso nicht zurück“, sagte ich dann leise. Okay, wahrscheinlich standen sie in ein paar Tagen wieder hier, aber trotzdem fühlte es sich gerade so an, als wäre ich defintiv bei meinen Eltern ausgezogen. „Was hast du gemacht, als du auf dich allein gestellt warst?“, fragte ich.

Er zuckte die Schultern. „Ich bin in die Szene abgerutscht.“ Ich stupste ihn an. „Und weiter?“, fragte ich neugierig. „Hab klein angefangen. Einige Dinge geklaut- und bin durch einen Kumpel nach Boston. Dort hab ich mir Anhänger für ’ne Gang gesucht.“

„Und dein Vater ist immer noch in Kanada?“ Es blieb still. „Stratford.“ Aha. Ich schlang vorsichtig die Arme um ihn. „Danke, dass ich hier bleiben darf. Ich mach auch keine Umstände, versprochen.“ Er verdrehte die Augen und nahm mein Gesicht in seine Hände. Mein Herz holperte kurz und begann zu rasen. Wenn er mich so aus seinen dunklen Augen ansah, wurde ich so was von schwach! Und es erinnerte mich an die Dinge, die er mit mir anstellen konnte, wenn er wollte. Es war fast peinlich, was er für eine Macht über mich hatte.

„Hier gibt’s genug Platz, Kleine. Und wenn du es mir irgendwann vielleicht erlaubst, polier ich deinem Vater die Fresse.“ Ich grinste. „Idiot“, brummte ich. Er wich zurück und legte schockiert die Hand auf’s Herz.

„Harte Worte, Montgomery! Das verletzt mich jetzt ernsthaft.“ Ich streckte ihm die Zunge raus und er lachte.

Jetzt hatte er es binnen Minuten echt fertig gebracht, dass ich mich besser fühlte. „Und jetzt schlaf lieber, Cade. Es ist schon fast wieder Morgen“, meinte er. „Du willst mich doch nur zum Einschlafen bringen, damit du zu mir Nachhause fahren und meinem Vater eine ‚Lektion’ erteilen kannst“, grinste ich dämlich. „Du kennst mich viel zu gut. Und jetzt schlaf“, erwiderte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Dann legte er sich hin und zog mich an seine Brust. Ich war mir nicht sicher, ob er schon schlief. Aber es gab da noch etwas, was mir im Kopf rumgeisterte…

„Jason. Was will dein Vater von dir?“, flüsterte ich und hielt die Luft an.

Er zog mich noch etwas enger an sich. „Nichts Wichtiges. Ich bin mir sicher, er gibt bald auf und lässt mich in Ruhe. Mach dir keine Sorgen.“

Ich konnte ihm zwar nicht recht glauben, aber mehr würde ich sowieso nicht aus ihm herausbekommen.

Also musste das wohl bis morgen warten.

 

-

 

McCann PoV

 

„Cade, dein Handy“, brummte ich. Sie sollte das Scheißteil ausschalten, ich wollte schlafen! „Hmpf“, gab sie nur zurück. Na dann eben selber!

Ich fasste in ihre Jackentasche und zog das Handy heraus. Müde sah ich, dass sie einige Anrufe von ihrer Mutter bekommen hatte. Das war zu Erwarten gewesen.

Was mir auf dem Lockscreen jedoch entgegen sprang, war diese eine Nachricht.

 

Unbekannt an Cadens…

 

Was zur Hölle...? Ich löste den Griff um Cade’s Taille und fuhr auf, um fassungslos auf ihr Handy zu starren. Was für eine verdammte Scheiße, seit wann kriegte Cadens Drohungen von O’Shea? Wie der Wichser an ihre Nummer kam war kein großes Ding.

Ich wurde wütend.

„Cade, was soll das?“, spuckte ich, als ich sie rüttelte. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Als ihr müdes Hirn realisierte was ich ihr da zeigte, biss sie sich auf die Lippe. Oh ja, Kleine, genau das!

„Seit wann kriegst du diese Scheiße?“, zischte ich. Sie zuckte zusammen. „Eine… Weile?“ Ich stöhnte und rollte mich vom Bett.

„Ich wollte nicht, dass du dich aufregst! Deshalb hab ich’s dir nicht gezeigt.“ Ich raufte mir die Haare! „Wie soll ich dich denn bitte beschützen, wenn du mir diese Nachrichten nicht zeigst“, fauchte ich aufgebracht!

War sie noch ganz bei Trost, mir diese Nachrichten nicht zu zeigen? Weiß Gott was für kranke Scheiße O’Shea meinem Mädchen geschickt haben könnte!

„Ich reiß mir doch meinen verdammten Arsch für dich auf, und du sagst mir nicht mal, wenn er dich terrorisiert?“, grollte ich aggressiv. Gott, das durfte doch nicht wahr sein! Ich konnte mir gar nicht ausmalen, was für Angst er ihr gemacht haben könnte!

Und der Gedanke stresste mich so sehr, dass ich unwillkürlich spürte, wie die tonnenschwere Panik unter meiner Oberfläche brodelte.

Ich brauchte dringend meine Tabletten!

„Scheiße, ich glaub das einfach nicht“, fluchte ich laut. Sie sah mich ängstlich an und rückte mit dem Rücken an die Wand, während sie die Decke um sich schlang. „Was?“, fragte ich. Sie hatte doch keine Angst vor mir?

„Du bist sauer“, flüsterte sie. „Klar bin ich das“, schnaubte ich. Wieso auch nicht, wenn sie Nachrichten von diesem Stück Scheiße kriegte! Er sollte sie verdammt noch mal in Ruhe lassen!

„Bitte nicht du auch noch, ich… meine Eltern sind doch schon sauer auf mich!“ Ich runzelte die Stirn. Was laberte sie da schon wieder?

„Ich bin doch nicht auf dich sauer! Ich bin sauer auf diesen Scheißkerl, der dir diese Nachrichten schickt! Und ich bin sauer auf mich, weil ich mir das ja hätte denken können! Ich muss endlich was gegen diesen Hosenscheißer anstellen. Komm mit“, meinte ich und zog sie hinauf.

„Was hast du vor?“ Ich fuhr mir durch die Haare.

„Wirst du schon sehen.“

 

Cade PoV

 

„Was soll das heißen? Wie lange willst du noch warten, Sean“, spuckte Jason ungeduldig. „McCann…es ist einfach noch nicht an der Zeit! O’Shea provoziert nur, weil er weiß, wie gerne du ausflippst! Vertrau mir, es ist besser, wenn wir den Überraschungsmoment auf unserer Seite haben.“

Ich ließ meinen Blick zu Jared wandern. Um seinen Kopf lag eine notdürftige Bandage und ich wunderte mich, wieso sich Jason nicht entschuldigte. Und wieso Jared keine Entschuldigung verlangte!

Lief das einfach so ab? Jason verprügelte jemanden, und derjenige musste es halt einstecken?

„Bro, sieh dir diese Nachrichten an! Er hat ihr Angst gemacht, kapierst du’s nicht? Ich kann ihm das nicht einfach so durchgehen lassen“, versuchte Jason seinen Kumpel zu überzeugen. Aber Sean schüttelte nur den Kopf.

„Bald.“ Und diesmal beließ Jason es. Er gab wohl echt viel auf Sean’s Urteil, weil er für gewöhnlich immer das tat, was er für das Beste hielt.

Erst später würde sich herausstellen, dass Sean diesmal nicht recht behielt. Diesmal hätte man O’Shea ausschalten müssen, bevor es zu spät war.

Aber wer konnte das schon wissen? 

Attack

Chapter Thirty Three

 

Cade PoV

 

Ich runzelte die Stirn und starrte auf das leere Laken neben mir.

„Ich gehe nicht zurück zu Dad, Mum“, flüsterte ich in mein Handy. Mum seufzte. Ich musste sie irgendwann mal anrufen, um ihr zu sagen, dass es mir gut ging. Und wo ich war.

„Ich… es tut mir leid, dass ich dir das mit Dad nicht früher gesagt habe. Ich hab ihm versprochen, es für mich zu behalten“, beteuerte ich und versuchte den dicken Kloß in meinem Hals zu schlucken. „Es ist okay. Ich bin… muss mir erst über meine Gefühle im Klaren werden. Ich bin momentan im Hotel, ich hab’s nicht mehr ausgehalten.

Ich habe deinem Vater gesagt, ich brauche Zeit für mich. Aber, Honey… du weißt, es war nicht seine Absicht. Er wollte dir nie wehtun- bitte geh zu ihm zurück“, bat sie. Ich seufzte. „Nicht jetzt, Mum. Sag ihm einfach von mir, dass es mir gut geht. Er soll sich keine Sorgen machen.“ Es blieb eine Weile still.

„Ich kann dir nichts verbieten, Cade. Du würdest meine Verbote sowieso wieder umgehen und einen Weg finden, dich rauszuschleichen. Aber du spielst mit dem Feuer, Schatz. Verbrenn dich nicht.“

Ich mochte es nicht, wie sie das sagte. Ich wollte das nicht hören. Mir würde schon nichts passieren, Jason passte auf mich auf.

„Ich muss auflegen, Mum.“ Damit würgte ich sie ab. Ich schob den Streit meiner Eltern in die hinterste Ecke meines Kopfes und fummelte am Saum von Jasons Shirt herum. Er hatte mir sein Mapple Leafs Hockey-Shirt als PJ-Ersatz geliehen, weil ich keine Kleider mitgenommen hatte. Jason war also nicht hier, als ich vorher aufgewacht war- aber wo dann? Mir die Augen reibend kletterte ich aus dem King Size Bett und drehte mich ratlos im Kreis. 

Vielleicht war er ja schon in die Küche gegangen, er konnte ja sowieso nie schlafen. Aber in der Küche war er nicht, und auch so schien das Haus eigenartig ruhig. Normalerweise lief der Fernseher permanent und die Jungs waren nicht gerade leise. Aber da war kein Jason in der Küche. Wo zur Hölle waren sie alle hin? „Jared? Wo sind die Anderen“, wollte ich wissen, als ich Jared glücklicherweise im Wohnzimmer fand.

„Mission. Er kommt heute Abend wieder.“ Ich biss mir auf die Lippen und lehnte mich an den Türrahmen. „Ist es gefährlich?“ Jared sah mich in ‚Willst-Du-Mich-Verarschen‘-Manier an. Okay, also war es gefährlich. Na ganz toll. Das beruhigte mich jetzt ungemein!

„Und wo?“, fragte ich ungeduldig. Er verdrehte die Augen. „Bronx.“ Was? Ich riss die Augen auf.

 

„Honey, egal was passiert. Du gehst nie, niemals in dieses Stadtviertel, hast du mich verstanden? Niemals! Dort warten gefährliche Dinge auf dich, Leute, denen du nur in deinen Albträumen begegnest.

Versprich mir, dass du niemals einen Fuß in diese Gegend setzen wirst.“

„Ja, Daddy“, verspreche ich.

 

Ausgerechnet Bronx, das schlimmste Pflaster New Yorks! Wo Missbrauch, Gewalt und Kriminalität zur Tagesordnung gehören. Wo es so höllisch her und zu ging, dass sogar die Polizei davor scheute. Wo jeder, der nicht schwarz war, das Zeitliche segnen konnte!

„C’. Es ist alles okay, ihm wird nichts passieren. Er muss nur was Kleines erledigen, keine große Sache.“ 

„Wieso bist du nicht mit?“ Er schnitt eine Grimasse. „Ist nicht so, dass er mich braucht. Wenn es nach McCann ginge, wäre er ganz alleine losgezogen. Vergiss nicht, dass er ein ganzes Jahr auf sich gestellt war. Er weiß, wie man überlebt. Außerdem- wer soll sonst auf dich aufpassen?“ Ich fand das nicht witzig. So überhaupt nicht! „Ich brauche keinen Babysitter“, fauchte ich gereizt. Ich machte mir Sorgen. Große Sorgen. Wieso hatte Jason mich nicht geweckt? „Was ist das für eine Mission?“, wollte ich wissen. Er winkte ab. „Der übliche Kram. Nach drei Warnungen hat McCann seine Kohle immer noch nicht bekommen, jetzt muss er sie sich holen.“  Sich holen. Aha. Ich hatte keinen Schimmer, was das bedeuten sollte, aber ich wollte auch gar nicht darüber nachdenken! Wieso zur Hölle ging Jason an diesen Ort? 

„Bis jetzt ist auch nie was passiert“, versuchte es Jared weiter. „Es gibt immer ein erstes Mal, nicht wahr?“, gab ich zurück. Er konnte mich nicht beruhigen, hatte er denn nicht gehört, was man über die Bronx sagte? Verdammt noch mal. „Ruf Jason an. Sag ihm er soll da nicht hin, bitte!“ Jared runzelte die Stirn und wandte sich mir ganz zu. „Jetzt hör mal zu, Kleine. McCann kennt sich aus. Ihm wird nichts passieren. Ich weiß was du tust- du stellst dir immer das Schlimmste vor, du bereitest dich vor, damit du nicht enttäuscht werden kannst, falls es wirklich passiert. Aber du musst damit aufhören! Bevor du da warst, ist auch immer alles gut gelaufen. Außerdem ist es eh schon zu spät, Kleine. McCann ist schon dort. “

„Tja, jetzt bin ich aber da! Interessiert es ihn nicht, wie ich mich fühle, wenn er einfach so abhaut?“, zischte ich und wirbelte herum, um die Treppe hoch zu stapfen. Das Gefühl, das ich verspürte, kannte ich nur zu gut. Ich hatte seit Jahren damit Leben müssen. Die Angst, dass mein Vater eines Abends nicht zurückkam. Dass ihm etwas zugestoßen war, dass ihm jemand wehgetan hatte. Immer wenn Dad seine Späteinsätze gehabt hatte, war ich die ganze Nacht wach geblieben.

Ich hatte immer beobachtet wie Mum neben dem Radio kauerte, um zu hören, was diese Nacht alles für Verbrechen fabriziert wurden. Ich war wach geblieben, bis ich die Haustür gehört hatte, und sicher gewesen war, dass er heil wieder Zuhause war. Und genau diese Angst hatte ich jetzt wieder. Nur diesmal war es nicht Dad, sondern Jason. Was machte ich, wenn Jason nicht wieder kam? Wenn diese Kerle ihn verletzten oder er erschossen wurde? Was geschah dann mit mir?! „Hey, vertrau mir! Jason macht das nicht zum ersten Mal. Klar, es ist immer gefährlich, aber er ist ja nicht alleine losgezogen. Und er weiß, was er tun muss, um zu überleben“, rief er mir hinterher. Mich konnte er nicht beruhigen, egal wie sicher Jared sich seiner Sache war! Scheißegal. Vielleicht übertrieb ich, aber nur schon ‚Jason’ und das Wort ‚Verlassen’ in einem Satz zu benutzen war wie ein Schlag ins Gesicht. Undenkbar!  Wo war Jason jetzt? Und wieso musste er diese Dinge tun, wieso konnte er nicht einfach hierbleiben und die Anderen schicken!? Was machte er jetzt wohl? Vielleicht hielt ihn in diesem Moment jemand eine scheiß Knarre an den Kopf, oder er wurde gerade in einen dunklen Van gezogen.

Oder du hast zu viele Krimis geguckt, Cade!

Mein Herz klopfte schmerzhaft schnell in meiner Brust. Jason war doch das Einzige, was ich noch hatte! Wo sollte ich den hin, wenn er nicht zurückkam? Ich konnte doch nicht wieder zu meinen Eltern zurück und mein altes Leben weiterleben, das ging nicht! Wo sollte ich dann unterkommen? Ich erschreckte, als sich Kayla's riesiger, schwerer Kopf auf meinen Schoss legte. Ich betrachtete die braunen, treuherzigen Augen, die sich in meine bohrten. „Du bist der hässlichste Hund, den ich je gesehen habe“, komplimentierte ich leicht lächelnd. Dann strich ich der, riesigen alten Hündin über den Kopf. Ich hatte sie seit unserer ersten Begegnung nie richtig wahrgenommen.

„Du wartest ebenso auf dein Herrchen wie ich, was?“, fragte ich und starrte auf die Wand. Die Wand!  Ich sprang auf, von der Neugierde gepackt. Kayla wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und beobachtete mich mit Argusaugen. Jetzt hatte ich etwas gefunden, was mich ablenken konnte! Andächtig trat ich an die Wand und sah mir die Bilder genau an. Immer wieder die gleichen Personen, wie auf dem letzten Familienbild. Jason schien ein sehr glückliches Kind gewesen zu sein. Ich ging rüber zu den Zeitungsartikeln, obwohl Jason mir verboten hatte, sie zu lesen. Er war ja auch nicht da.

 

Grausame Bluttat erschüttert New Yorker

 

Ein unglaubliches Verbrechen erschüttert das beschauliche Stadtviertel Manhattan. Am Abend des 15.12. 2010 wurden in der Nähe des Chrysler Building zwei Leichen gefunden, welche als Jazmyn (11) und Patricia McCann (34) identifiziert werden konnten. Die Körper waren übel zugerichtet, einer der Toten fehlte eine Hand. Anhand der Würgemale wird vermutet, dass die Opfer mehrmals gewaltsam stranguliert wurden.  "Solche Wunden habe ich noch nie gesehen. Es ist grauenhaft", so Officer O'Connor, Polizeidirektor Manhattans.  Der Mörder setzte die Lagerhalle, in welcher die beiden Opfer festgehalten wurden, in Brand, um die Beweise zu vernichten. Vom Täter selbst fehlt jede Spur...

 

Ich kaute auf meiner Unterlippe- wieso hatte Jason diese Sachen hier hängen? Wenn er diese Nacht vergessen wollte, war es ja nicht besonders hilfreich, sie in 3x5m Format aufzuhängen, um es mal unverblümt auszudrücken. Mit solchen Artikeln im Zimmer würde ich auch nicht schlafen können, wenn ich Jason wäre! Aber je mehr Berichte ich las, desto mulmiger wurde mir. Was, wenn ich bald auch so einen Artikel über Jason aufhängen konnte?

Verdammt! Ich zuckte zusammen, als ich unten plötzlich Lärm hörte. „Jared?“, rief ich verwirrt.

 

McCann PoV

 

„Beruhige dich, McCann. Willst du uns umbringen?“ Ich warf ihm einen tödlichen Blick zu. Wenn Chris nicht gleich seine Fresse hielt, sperrte ich ihn in den verfickten Kofferraum! Ich war so schon nur widerwillig auf diese Mission gekommen. Aber ich hatte nun mal meinen Job zu tun, ich wollte meinen Ruf nicht verlieren.

Es wäre peinlich gewesen, wenn sich herumgesprochen hätte, dass ich Jemandem das Geld geschenkt hätte. Schade eigentlich, ich hatte Sommers immer sehr gemocht.

Jetzt war ich auch noch spät dran, weil der Wichser mich mit seinen Bodyguards erwartet hatte. Das hatte mich natürlich nicht aufgehalten, aber die ganze Sache war doch etwas ärgerlich gewesen.

„Halt lieber die Klappe, Chris. Hast du nicht gesehen, was McCann mit Sommers angestellt hat?“, brummte Austin neben mir. Ja, Sommers hatte leiden müssen- aber er hatte es gewusst. Wenn er nicht zahlte, war er dran. So war die Devise, so würde sie bleiben.

Ich drückte das Gaspedal durch, woraufhin der Motor heulend antwortete. Ich wollte jetzt einfach nur noch so schnell wie möglich zu Cadens zurück.

 

 Wir parkten vor dem Haus, und schon da wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Auf dem Kiesplatz waren Spuren von mehreren großen Autos. Beunruhigt fuhr ich mir durch die Haare und stieg aus. Die Haustür stand sperrangelweit offen.

„Fuck“, zischte ich und winkte die Jungs zu mir heran. Langsam traten wir in das Haus- es war alles verwüstet, aber das bereitete mir weniger Sorgen. Alles ersetzbar.

Aber wo war Cade, wo war mein Mädchen?

Ich war verdammt froh, dass ich meine Tabletten geschluckt hatte, denn sonst wären bei mir jetzt alle Systeme lahmgelegt. Ich stand erst mal nur da, meine Hände bebten vor rasender, unbändiger Wut- Wut über meine eigene Dummheit. Der kalte, klebrige Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, während das Adrenalin mit jedem Atemzug durch meine Adern pumpte. Meine Gedanken rasten wie in einem Kettenkarussell: Jemand. War. Hier. Gewesen.

Jemand war hier eingebrochen. Jemand hatte wirklich die Nerven gehabt, zu meinem Haus zu fahren, in mein Reich einzubrechen, meine VERDAMMTEN Sachen zu zerstören und jemand hatte meinem Mädchen Angst gemacht.

Vielleicht hatte er sie mitgenommen, vielleicht hatte er sie bedroht. Vielleicht hatte er… sie angefasst. Nein, nicht vielleicht. Bestimmt.

Verdammt, für jeden noch so kleinen Kratzer an ihrem Körper würde ich ihm eine Kugel in die Brust donnern.

Dieser verfluchte Jemand musste so scheiß lebensmüde und grenzenlos dumm sein, sich mit Jason McCann anzulegen.

Mein Puls raste und es war, als drückte etwas auf meine Brust, sodass ich unkontrollierbar keuchte- ich war kurz davor, hier durchzudrehen. Diese ganze verdammte Scheiße war so was von übel. So. Übel. Ich wollte einfach nur noch schreien, um mich schlagen und diesen verdammten Bastard finden.

Dieser Hurensohn wollte einfach sterben, vielleicht war es das. Vielleicht wollte er einfach eine verfluchte Abreibung. Vielleicht wollte er einfach, dass ich ihm seine Fresse wegblies. Vielleicht schrie er einfach danach, dass ich ihm sein Leben ruinierte, ihm alles nahm, was ihm lieb und teuer war.

Aber was redete ich da- ich wusste genau, wer für diese Scheiße verantwortlich war.

Die Augen starr auf das Desaster vor mir gerichtet nahm ich am Rande wahr, fingen die Jungs an, das Wohnzimmer nach irgendwelchen Anhaltspunkten zu durchsuchen.

Es machte Klick und ich riss meinen Kopf ruckartig nach oben. „Cade“, schrie ich, während sich die bittere Verzweiflung in mir breit machte. Wo war sie, wo war Jared? Die Jungs zuckten zusammen und sahen mich schluckend an.

Ich beachtete sie gar nicht und ging nach oben, um alles abzusuchen. O’Shea musste irgendwo irgendwas hinterlassen haben. So machte er es immer.

Ich steuerte auf mein Zimmer zu. Ich hatte es nicht abgeschlossen, als ich gegangen war. Schwer atmend betrat ich meinen privaten Raum und nahm jedes verdammte Detail genau unter die Lupe.

Das Bett, in dem ich Cade heute Morgen alleine gelassen war, war auseinandergerissen worden. Ich horchte auf- da war doch was. Mein Blick lag auf meinem Kleiderschrank. Die Schranktür war angelehnt.

Mit zwei Schritten stand ich davor, riss die Tür auf und blickte auf die zusammengekauerte Cade, die sich mit weit aufgerissenen Augen die Seele aus dem Leib schluchzte. Ich sog scharf die Luft ein.

Dieser verdammte verfluchte beschissene Bastard würde alles zurückbekommen.

„Kleine“, sagte ich erleichtert und zog sie hoch. Weinend vergrub sie ihr Gesicht in meinem Shirt und krallte sich an meine Brust.

O’Shea war also doch nicht so dumm…wieso hatte er sie nicht mitgenommen? „J-J-Jason“, stotterte sie. „Jared!“ Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht. „Ist er nicht hier?“

„In der Küche. Er ist tot, Jason.“ Mhm. Das hatte ich mir schon gedacht. „Austin“, rief ich ruhig. „McCann?“, kam es zurück. „In die Küche.“ Jared war also weg. Einer meiner besten Jungs. Das älteste Mitglied. Mein Bruder.

„Hey, hör mir zu.“ Ich schüttelte sie leicht. „Sie sind weg, verstehst du? Haben sie dir was getan?“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber Jared. Jared ist tot, Jason! Jared ist tot. Sie haben ihn einfach umigebracht, einfach so“, krächzte sie hilflos.

„Wer? O’Shea?“ Sie nickte müde. „Okay“, flüsterte ich und lächelte beruhigend. Sie war noch vollständig im Schockzustand. „Hast du gesehen, wie sie ihn umgebracht haben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Jared hat gesagt, ich soll mich im Schrank verstecken.“ Ich schloss die Augen.

Ich wusste doch, wieso ich Jared zu meiner rechten Hand gemacht hatte. „Okay. Komm mit, du musst hier raus. Komm.“

„Ich kann nicht laufen, Jason.“ Ihre blauen Augen füllten sich wieder mit Tränen. Ich griff unter ihre Kniekehlen und hob sie hoch. „Es ist vorbei“, beruhigte ich sie.

„Jason. Er hat gesagt er kommt wieder, Jason“, meinte sie dringlich.  

„Ich weiß“, erwiderte ich und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf.

 

Ich weiß. 

Relatives

Chapter Thirty Four

 

„Okay, McCann. Wir sind alle einverstanden“, nickten die Anderen. Ich atmete erleichtert auf. Normalerweise holte ich mir vor einer Mission nicht die Erlaubnis meiner Leute- ich war immerhin Jason McCann! Aber diesmal war es etwas Anderes.

O’Shea bekam seine Abreibung, ich musste nur noch die richtigen Vorbereitungen dafür treffen, ein paar Leute kontaktieren, die richtigen Fäden ziehen… Bedauerlicherweise dauerte das ziemlich lange, weil ich mir für ihn etwas ganz Spezielles ausgedacht hatte. Er sollte sich also lieber glücklich schätzen, dass ich mir so viel wertvolle Zeit für ihn nahm.

„Gut, dann los. Schaffst du das, Kleine?“, fragte ich Cade leise. Sie presste die Lippen aufeinander und nickte, während sie sich an meinen rechten Arm klammerte. Ihre großen, blauen Augen wanderten unruhig umher und ich küsste sie auf den Scheitel, um sie zu beruhigen und sie still zu halten.

Kurze Zeit vorher hatte die Zeremonie in der Kirche geendet, jetzt standen wir am schmiedeeisernen Tor, dem Eingang zum Friedhof, der nur einige Straßen von meinem Haus entfernt war.

Angespannt krempelte ich die Ärmel meines Jacketts hoch und atmete tief durch. Ich verabscheute diesen Ort, er weckte viel zu viele, lästige Erinnerungen. Aber Jared verdiente es, eine Beerdigung zu bekommen, er verdiente es, dass man ihn richtig verabschiedete. Er war der loyalste Mensch den ich gekannt hatte, auch wenn ich öfters schon seinen verdammten Arsch verfluchen musste.

Es kam mir vor wie gestern, als ich ihn kennengelernt hatte:

Drogenabhängig, obdachlos, dreckig und stinkend. Ich hatte ihn einfach mitnehmen müssen, nachdem er von einer Truppe an Schlägern verprügelt worden war. Das war genau an dem Abend gewesen, als ich zum ersten Mal nach New York gekommen war. Seit dem war er mir nicht mehr von der Seite gewichen, er war das, was einem Bruder am nächsten kam. Und ob ich es mir nun eingestehen wollte oder nicht, ich würde ihn in meinen Reihen verdammt vermissen.

„Mit der Kleinen alles okay?“, raunte Bruce von rechts und nickte in Cade’s Richtung. Er und einige Andere waren extra ins Flugzeug nach New York gestiegen.

Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden.

Wann hast du beschlossen zur Schwuchtel zu werden, McCann? Er ist nicht der Erste, den du verloren hast!

Um auf seine Frage zu antworten hob ich die Schultern und legte einen Arm um Cade. Sie war nicht okay. Keine Ahnung was sie da unten in der Küche für Geräusche gehört hatte, aber es musste sie verflucht noch mal verstört haben. Sie weigerte sich, darüber zu reden, was mich ziemlich stresste.

„Nein“, grollte ich frustriert und versuchte meine Erschöpfung zu verbergen.

Die ganze Scheiße überforderte mich. Es war verdammt noch mal zu viel und jetzt erinnerte ich mich wieder, wieso ich es unbedingt verhindern wollte, mir eine Schwäche zuzulegen.

Ich ließ Cade nicht mehr aus den Augen, 24 Stunden war sie an meiner Seite und ich würde den Teufel tun, sie alleine zu lassen- denn jetzt galt es ernst. O’Shea machte vor gar nichts halt, wenn er sich nicht mal davor scheute, seine Männer in die Höhle selber zu schicken. Aber woher hatte dieser kleine Bastard gewusst, dass ich nicht im Haus war?

Wenn die Schule wieder begann, würde die ganze Beschützersache schwieriger werden, das war mir klar. Bruce klopfte mir auf die Schultern, als läse er meine Gedanken.

Keiner sagte ein Wort, als wir das Tor passierten und meine ganz persönliche Hölle betraten. Innerlich aus vollen Zügen fluchend spannte ich meine Muskeln an.

Für Jared, du Schisser! Tu’s für deinen besten Mann, erinnerte ich mich mit zusammengebissenen Zähnen.

Cade, die mich viel zu gut kannte, griff nach meiner Hand, als wir uns zu den Anderen stellten ans Grab stellten.

Bald fiel der erste, dicke Tropfen, während der Sarg in die Erde gelassen wurde. Aus einem wurden zwei, drei, hunderte. Und dann, in Sekundenschnelle, waren wir bis auf die Knochen durchnässt. Derweilen standen alle niedergeschlagen in ihrer Reihe, trotteten ans Grab und ließen die Rosen aufs Grab fallen.

Ich starrte in den verfluchten Himmel hoch und fragte mich, womit Jared das verdient hatte. Ich hatte es verdient, meinen besten Freund zu verlieren. Ich hatte alles Schreckliche verdient… aber nicht Jared. Jared war verflucht noch mal gut gewesen. Resigniert sah ich zu, wie Cade ihre Rose auf den Haufen fallen ließ.

„Fuck“, hörte ich Chris wispern. Ich warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Er sollte seine kleine, unsensible Fresse halten!

Aber ich hielt inne, als ich seine feindselige Miene sah. Irritiert folgte ich seinem Blick und hielt den Atem an. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte durch den Regen. Das durfte doch nicht wahr sein, verflucht noch mal!

Am anderen Ende des Friedhofs stand der, dem ich diese ganze Scheiße zu verdanken hatte: O’Shea hatte wirklich die Nerven, hier seine hässliche und nur schwer übersehbar vernarbte Visage vorzuführen.

Ich ließ Cade’s Hand los und schluckte die Galle hinunter. Dieser verdammte Bastard. Dieser verfluchte verdammte Bastard.

Ich starrte ihn an, ich war leider Gottes nicht in der Lage, meinen Körper auch nur einen verfickten Millimeter zu bewegen, während er mich anlächelte und die Hand hob, um mir zuzuwinken. Er bereute nichts, er genoss es, jede einzelne Sekunde. Weiß Gott wie lange dieses Arschloch schon hier gestanden hatte!

Überraschenderweise blieb meine Wut auf Sparflamme. Ich zuckte nicht mal mit der Wimper, was vielleicht an der Anti-Depressiva lag, mit der ich mich vollgepumpt hatte. Dann war er eben hier, na und? Er wollte mich provozieren? Schön, aber was das Arschgesicht konnte, konnte ich schon lange!

Also erwiderte ich sein Lächeln. Dieser kleine Scheißer kriegte schon noch, was er verdiente. Mein Grinsen wurde breiter, während seines erlosch.

Oh ja, für dich habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht!

„Ich hol ihn mir“, spuckte Sean leise, der ihn auch bemerkt hatte. Ich schüttelte den Kopf. „Er ist zwar behindert, aber so dumm alleine hierherzukommen ist er nicht. Dazu hat der Wichser niemals die Eier. Wir bleiben bei unserem Plan, klar? Keiner bewegt sich“, befahl ich drohend. Etwa eine halbe Sekunde lang starrten er und ich uns an, und beide dachten wir dasselbe:

Wir wollten einander zerstören. Aber wer war schneller, wer würde das Rennen machen? Ich behielt mein Lächeln und sah zu, wie er sich abrupt umdrehte, und den Friedhof verließ.

Ja, O’Shea. Lauf um dein Leben, denn jetzt hatte sich das Blatt gewendet.

Ich kriegte ihn, koste es, was es wollte.

 

Cade PoV

 

„Was für ein Bullshit ist das?“, schnaubte Austin finster. Ich seufzte müde. „Das der sich so eine verfickte Scheiße erlaubt, ich schneid ihm jeden einzelnen Finger ab“, kommentierte Chris.

„Wie kann dieser Bastard es nur wagen, zu Jared’s Trauerfeier zu kommen?“

Regt euch nicht auf, Jungs“, murmelte ich. Wir stiegen ein, ich auf dem Beifahrersitz neben Jason. Nachdem Matt wieder verschwunden war, ging auch die Beerdigung zu Ende. Jason’s Leute in Boston waren bereits wieder auf dem Weg Nachhause.

Ich sah wieder rüber zu Jason und seufzte. Wenn ich nur einmal in seinen Kopf schauen könnte! Besonders jetzt, wo er so verdammt ruhig blieb. So kannte ich ihn definitiv nicht! Der Jason den ich kannte wäre Matt mit einem Raketenwerfer hinterher gehechtet!

Ich schnallte mich (als Einzige) an während Jason den Wagen anspringen ließ und beinahe reflexartig nach meiner eiskalten Hand griff und sie drückte.

„Das bringt doch nichts, er will euch nur provozieren“, redete ich weiter. Aber ich glaubte selber nicht, was ich da sagte.

„Und das gelingt diesem verfickten Arschloch auch, Gratulation“, fluchte Sean.

„Sag doch auch mal was, McCann“, rief Chris böse dazwischen. Ich hielt die Luft an und sah zu Jason rüber, der konzentriert auf die Straße achtete.

Er verdrehte entnervt die Augen. „Was soll ich den dazu sagen? Wieso regt ihr euch überhaupt so auf? Wir haben einen erstklassigen Plan! So lange wir sicher sind, dass O’Shea zur Hölle wandert, ist mir scheißegal, was er alles tut. “ Aber er war zu Jareds Beerdigung gekommen! Das war das Respektloseste, was er hätte leisten können, und er hatte es getan.

Ich schluckte den dicken Klos runter, als ich an den Abend vor ein paar Tagen dachte. Bloß weg mit den Erinnerungen!

Stattdessen dachte ich an den „Plan“. Der sadistische Teil von Jason war verdammt kreativ. Ich wusste nicht ob ich ihn dafür bewundern, oder Angst haben sollte. Es gab einfach eine Seite von Jason, die ich nicht kennen wollte, auch wenn sie mich noch so brennend interessierte. Es gab Dinge, die sollten einfach unaufgedeckt bleiben.

Das war so ein Ding.

 

Jason manövrierte den Wagen durch die schmale Einfahrt des Hauses.

Ich runzelte die Stirn, als ich den blauen Mercedes sah, der großzügig über den Kiesplatz parkiert war. Ich erinnerte mich nicht daran, ihn schon mal gesehen zu haben.

Jason hielt den Wagen und ich sah neugierig auf das Nummernschild des eleganten Autos. Das Auto war aus Kanada? Ich war verwirrt- was hatte das zu bedeuten? Wessen Wagen war das?

„Oh scheiße“, stöhnte Clay entsetzt. Verwundert hörte ich, wie jemand von den Jungs die hintere Wagentür öffnete. Keine Sekunde später zog Austin am Auto vorbei auf den Eingang zu. Nein, er lief nicht auf die Haustür zu sondern auf die Person, die davor stand. Ich warf schnell einen Blick auf Jason und erschrak mich fast zu Tode!

„Jason?“, flüsterte ich.

Jason sah aus wie ein geprügelter Hund, verletzlich, fassungslos. Sein Gesicht gab so viele Emotionen preis, das mir schwindelig wurde. Seine große, zitternde Hand war kurz davor, meine zu zerquetschen, und mir wurde schlecht. Irgendwas war hier nicht in Ordnung.

Jemand den Jason offenbar nur zu gut kannte war hier.

„Jase!“ Ich wurde panisch. Wieso sagte er denn nichts, was hatte das zu bedeuten?

Mein Blick schnellte zurück zur Frontscheibe. Wer war dieser Mann im teuren Designer-Anzug, der blitzenden Rolex und dem 1.000-Dollar Haarschnitt?

„Was hast du hier verloren“, hörten wir Austin bis zu uns brüllen. Ich zuckte zusammen. Dieser Mann war offenbar nicht gern gesehen.

„Jeremy, ich rate dir dringendst, das Grundstück zu verlassen“, murmelte Clay hinter mir mehr zu sich selbst. Ich hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen, um mir den Mann genauer anzusehen. Aber natürlich, die Ähnlichkeiten waren doch unübersehbar! Die braunen Augen, die eigensinnig geschwungenen Lippen und die arroganten Gesichtszüge.

Oh scheiße!

„Das ist dein Dad“, platzte ich heraus. Jason sah so aus, als wäre auch ihm mehr als übel. „Hey, bist du okay?“, erkundigte ich mich.

Blitzschnell ließ Jason meine Hand los, griff das Erstbeste was ihm in die Hände kam und schleuderte es mit voller Wucht von Innen gegen die Windschutzscheibe. Das Glas splitterte und wurde undurchsichtig, während sein Handy daran abprallte und haarscharf an meinem Gesicht vorbeizog. Ich schnappte nach Luft und riss die Augen auf. So machte er mir Angst. So mochte ich ihn nicht.

„Sagt ihm, er soll verschwinden“, befahl Jason scharf. Ich zuckte zusammen- sein Schmerz hatte sich wohl in Zorn umgewandelt.

„Er soll samt seiner Karre von meinem Grundstück verschwinden, und zwar schnell. Sagst du ihm das bitte?“ Ich warf ihm einen beunruhigten Blick zu. Ich hatte zwar gewusst, dass er seinen Vater nicht mochte- aber diese Reaktion schockte mich trotzdem.

Brav stieg Sean ebenfalls aus -beherrschter als Austin- und gesellte sich zu Ebendiesem. Ich hatte keine Ahnung, was sie da besprachen. Aber Jeremy schien nicht gehen zu wollen. Fasziniert beobachtete ich, wie er genau die Handbewegung machte, die Jason auch immer tat, wenn er angepisst war.

Jason knurrte leise und öffnete die Tür zeitgleich mit dem Rest der Insassen. Ich beeilte mich, es ihnen gleich zu tun,

„Ich gebe dir verdammte 10 Sekunden um deinen Arsch zu retten“, schrie er. Jeremy zuckte nicht mal mit den Wimpern. Viel mehr sah er zufrieden aus, dass Jason endlich auftauchte.

„Da hab ich ja verdammt Glück, meinen 20.000 Dollar Arsch gut versichert zu haben“, antwortete Jasons Vater kühl mit diesem Blick, den ich von Jason so gut kannte. Wie der Sohn, immer einen Spruch auf der Zunge.

Ich kaute auf meiner Unterlippe und verfolgte das Spektakel angespannt. Meine Nerven lagen blank! Wenn das hier außer Kontrolle geriet…!

„Ich bin nicht dein verfluchter Sohn!“ Jasons Stimme klang gequetscht, so als bekäme er nicht genug Luft. Ich wollte zu ihm gehen, aber ich hatte Angst.

„Wieso hast du mich nicht zurückgerufen?“, entgegnete sein Vater ungeduldig. Jason machte ein angewidertes Geräusch, bei dem ich schon wieder zusammenzuckte.

„Ich muss gar nichts. Clay, bitte bringt seine Drecksvisage einfach so schnell wie möglich außer Sichtweite“, spuckte er.

„So spricht man aber nicht mit seinem Vater“, entgegnete Jeremy missbilligend und musterte seinen Sohn. Clay zögerte und blieb wo er war.

Jason ballte die Hände zu Fäusten und ich hätte es ihm zugetraut, wenn er seinem Vater jetzt selbst eine reingehauen hätte. Aber er hielt sich zurück.

„Was willst du, Jeremy? Was ist der Grund, dass du nach Jahren wieder auftauchst?“, zischte Sean.

„Darf ich meinen Sohn nicht besuchen?“ Jason seufzte. Jetzt trat ich trotzdem neben ihn und nahm seine Hand- vielleicht half das ja ein bisschen.

„Ich habe ein Meeting in New York und dachte mir, ich schau mal vorbei, wenn du meine Anrufe schon ignorierst.“ Es klang reserviert. „Nicht hier“, erwiderte Jason knapp. Was nicht hier?

„Also hast du meine Nachrichten doch gelesen“, stellte Jeremy fest. „Es ist ziemlich dringend.“ „Ich weiß“, fauchte Jason und sah sich um. „Also kommst du.“

„Hab ich eine Wahl?“ Jeremys Mundwinkel zuckten. „Falls du keine Probleme mit der Behörde willst, dann nicht.“ Jason schluckte und bemühte sich darum, die Fassung zu bewahren.

Wenn sein Vater wieder weg war, dann rastete er sicher komplett aus!

„Ich buch dir das Flugticket. Deine Großmutter wird sich freuen, dich wieder zu sehen“, meinte Jeremy beiläufig und lief an uns vorbei. Ich zuckte zurück und sah weg, als seine Augen mich streiften.

Jason schob mich unwillkürlich ein wenig hinter sich und wir warteten, bis sein Vater ins Auto gestiegen war und wegfuhr. „Scheiße, Jason. Was ist hier los?“, fragte Austin sauer. „Was hat dieses Arschloch hier verloren, wo musst du hin? Hättest du uns nicht vorwarnen können?“ Offenbar war ich nicht die Einzige, die hier verwirrt war.

Jason kniff die Augen zusammen. „Woher sollte ich denn wissen, dass der hierher kommt“, erwiderte er trocken. Wie schaffte er es, so ruhig zu bleiben? Er ließ meine Hand los, griff in die Hosentasche und holte einen Joint hervor, den er sich anzünden wollte. Ich stand nur daneben und beobachtete das Ganze mit gerunzelter Stirn.

Sean schlug ihn ihm aus der Hand. „Was ist mit dir los, bro?“ Jason legte den Kopf schief. „Würdest du mir bitte meinen Joint wieder geben?“ Sean packte ihn am Arm. „Scheiße, McCann! Was hast du geschluckt!?“ Jason schlug seine Hand weg. „Fass mich nicht an, Winter.“

„Oder WAS? Ich dachte du willst damit aufhören! Du weißt, wenn das Zeug seine Wirkung verliert, bist du ein beschissenes Wrack! Ich hab keine Lust, dass du deine verfickte Wut dann an mir auslässt!“,

„Bist du meine Mutter?“, erwiderte Jason böse. „Komm mir nicht mit der Scheiße, McCann!“ Jason hob eine Braue und sah Sean kalt an. „Muss ich dir deinen Arsch versohlen, Mistkerl?“

„Versuch’s doch, verfickte Scheiße! Bring mich um, aber davon geht das Problem auch nicht weg, dass du ein kranker, kaputter Wichser bist, der…“

„Ruhe!“ Alle sahen mich überrascht an. „Hier legt gar niemand jemanden um, klar? Reicht es nicht, dass Jared tot ist? Es bringt nichts, wenn ihr euch jetzt prügelt! Davon gehen die Probleme auch nicht weg, Sean hat recht!“

Sean fuhr sich durch die Haare. „Shit. Tut mir leid, bro!“ Jason lächelte müde und atmete tief ein. „Komm her“, murmelte er leise an mich gewandt und zog mich an sich. Ich schmiegte mich in seine Arme und hörte, wie er gedämpft seufzte.

„Ich muss nach Kanada. Nur für ein paar Tage.“ Die Jungs sahen ihn betreten an. „Wann? Wofür?“, fragte Chris nach ein paar Sekunden der Stille. „Paar Wochen. Die denken, dass sie einen Beweis dafür haben, dass ich meine Familie umgebracht habe.“ Ich hielt die Luft an.

„Heilige Scheiße! Wieso hast du das nicht gleich gesagt“, stöhnte er angepisst.

„Weil ihr sowieso nichts ändern könnt und weil ich Cade nicht alleine lasse, da ihr Wichser wohl nicht fähig seid, auf mein Mädchen aufzupassen und weil ich Jeremy nicht mehr sehen wollte“, schnappte er.

„Das ist verdammt ernst, McCann.“ „Glaubst du das weiß ich nicht?“ Sean fischte den Hausschlüssel aus der Hosentasche und schloss die Tür auf.

„Was, wenn du deine Unschuld nicht beweisen kannst?“, flüsterte ich monoton. Jason sah plötzlich unglaublich müde aus. Erst dachte ich, er hätte es nicht gehört, bis er schließlich doch antwortete.

„Was wohl?“

„Ich lande im Gefängnis“, beendete ich den Satz. 

Old Friends

Chapter Thirty Five

 

McCann PoV

 

„Wir sind hier fertig“, beschließe ich, schaue ein letztes Mal auf die brennende Hütte und lächle böse. Das hat der Kerl verdient. Wenn ein Kunde nicht bezahlt, geht’s ihm an den Kragen. Da drücke ich mich klar und deutlich aus.

Bruce schnalzt mit der Zunge winkt seine Leute zurück. „Hast du die Spuren auch wirklich verwischt?“,

Ich hebe eine Augenbraue. „Zweifelst du an mir?“ Er zuckt die Schultern und folgt mir in geduckter Haltung zurück. Ich fluche, als ich die Sirenen höre. Verdammt schnell, die Bullen.

„Sag Santiago, dass er schnellstens verschwinden soll“, ordne ich an, woraufhin Bruce sein Handy hervorholt. Er wählt Santiagos Nummer und wechselt einige Worte mit ihm. „WAS?“, zischt er plötzlich.

„Du hast verfickt noch mal gesagt, da ist niemand drin! Was das…, ehrlich, N*gga? Scheiße, das ist wichtig!!! Wer war diese verdammte Missgeburt? Ich soll mich beruhigen? Das war nicht der verfickte Plan! Wir sollten nur seine beschissene Hütte abfackeln, von seiner Familie war nie die Rede!

Jaja, verpiss dich einfach so schnell wie möglich!“

Bruce wirft wütend sein Handy gegen den nächsten Baum. „Da war noch jemand drin, McCann“, erklärt er und fährt sich durch die Haare. Ich runzle die Stirn. Ich mag es nicht, wenn die Dinge nicht so passieren, wie ich sie gerne möchte. Und dieser Abend ist ein beschissener Reinfall! „Sicher?“

„O’Sheas Kind und sein Mädchen“, antwortet er. Ich kneife die Augen zusammen. Noch eine schlechte Nachricht? „Ist das Haus nicht überprüft worden?“, frage ich nervös. Das hier ist das erste Mal, dass ich ein Haus anzünde, und eigentlich ist es auch keine Absicht gewesen. Der Plan ist es gewesen, diesen Kerl zu suchen, und ihm eine Lektion zu erteilen. Aber Santiagos Zuständiger für die Überprüfung des Hauses ist ein Fehler unterlaufen, und jetzt fackelt das Scheißteil lichterloh. Kann ich ja nichts für.

Schlampiges Personal kann ich nicht gebrauchen. „Santiago hat jemanden geschickt, aber…“ Er beendet den Satz nicht.

Ich atme tief durch und beinahe fühle ich mich schlecht für ‚O’Shea’ oder wie auch immer der heißen mag. Dann zucke ich schnell die Schultern.

„Die schaffen das schon raus.“ „Bist du sicher?“ Ich packe ihn am Kragen und obwohl ich einige Zentimeter kleiner bin, bin ich doch ziemlich viel stärker als er.

„Jetzt behalt deine verfickten Nerven, du Idiot, und pack die Pussy wieder ein! Wir müssen jetzt einfach schnell weg hier! Wenn sie das Feuer gelöscht haben, werden sie nach uns suchen. Außerdem kennst du meine Mutter- die rastet aus, wenn sie bemerkt, dass ich mich schon wieder rausgeschlichen habe! Außerdem hat sie so ’ne Ahnung, dass ich für einen Dealer arbeite…“

Er nickt resigniert und wartet, bis ich ihn wieder losgelassen habe. Scheiß auf diesen O’Shea. Selber schuld, wenn er die Kohle nicht bringt.

Den Wichser werde ich sowieso nie mehr wieder sehen.

 

In Gedanken versunken stieg ich die Stufen der Metro hinauf, die Umgebung tief in mich einsaugend. Überall stapelte sich der Abfall, die Wohnungen waren heruntergekommen, dreckig. An den Wänden hatten die verschiedenen Gangs ihre Reviere mit Graffitis markiert, zerrissene Plakate hingen rum und in den ungepflegten Vorgärten stapelten sich kaputte Klappstühle oder zerschlissene Fahrräder. Irgendwo weiter entfernt ertönten Schüsse.

Die Fenster waren entweder eingeschlagen oder notdürftig mit Brettern zugenagelt, um sich gegen die beißende Neujahrs-Kälte zu schützen.

Es war eine beschissene Idee gewesen, um diese Zeit hierher zu kommen. Es war arschkalt und im Übrigen wurden in den Ost-Staaten starke Schneestürme angekündigt. Leider ließ sich mein Vorhaben nicht länger aufschieben.

Meine Aufmerksamkeit wurde von einem Mädchen auf der anderen Straßenseite auf sich gezogen, welches von einem zwielichten Typen vergewaltigt wurde, während ein paar Meter weiter drei Jungen einen alten Mann verprügelten.

Ich wich den neugierigen Blicken der gruppierten, dunkelhäutigen Jungs aus und setzte meinen Weg fort.

Wenn man hier alleine unterwegs war, konnte das verdammt gefährlich sein und ich registrierte, wie sich mindestens vier Typen ‚unauffällig’ an meine Fersen geheftet hatten. Überraschend? Nicht wirklich.

Endlich ragte die heruntergekommene Lagerhalle vor mir in den Himmel. Als meine Verfolger mitbekamen, wo ich hinwollte, machten sie sich wie zu Erwarten schnellstens vom Acker. Ich verkniff mir ein Grinsen- also hatte Santiago immer noch einen schlechten Ruf in der Bronx.

Vor dem großen Gebäude schlüpfte ich flink durch das kleine Loch in der verputzten Wand- der einzige Eingang. Meine Augen mussten sich erst an das dämmrige Licht gewöhnen, nachdem ich mich wieder vollends aufrichten konnte. Ganz im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild, war es hier nicht nur sauber sondern auch stilvoll.

Die Halle war ein einziger, großer Raum, der von alten Containern unterteilt wurde. Auf den Containern postiert standen maskierte Riesen mit Schrotflinten um jeden Eindringling sofort wegzupusten.

Ich duckte mich, bevor sie mich entdeckten, und hechtete in den Schatten der Container, der mich sofort verschluckte. Leise schlich ich in die Mitte des großen Raumes, wo sich die Blechriesen lichteten. Dort waren unzählige Sessel, ein Sofa, kleine Tische mit Wodka und eine offene Zigarrenschachtel.

Er saß auf seinem Sessel, gelangweilt an seinem Joint ziehend. Neben ihm auf dem Sofa räkelten sich seine Dienstmägde in Unterwäsche.

„Leg dir mal bessere Sicherheitsleute zu, Santiago“, bemerkte ich. Er hob seinen Blick und sah in die Richtung, aus der er meine Stimme vermutete. Die Augen kniff er zusammen, während er mit einer raschen Bewegung einen Riesen zu sich heranwinkte, der seine Waffe in etwa auf mich richtete.

„Wer bist du?“, fragte er langsam.

Ich trat aus dem Dunklen, woraufhin sich seine Miene sich sofort aufhellte.

„McCann, scheiße, sag das doch gleich! Verpiss dich wieder, Vito“, befahl er, und sein kanadischer Akzent war unüberhörbar.

Der Riese aka Vito brummelte unverständlich vor sich hin und ging, während Santiago mich musterte. „Du hast dich kaum verändert. Fuck, bro, ich dachte schon, du lässt dich nie mehr blicken“, grinste er und schlug mit mir ein.

„Wie geht’s Lia?“, erkundigte ich mich. „Sehr gut. Die Geburt steht nächsten Monat.“ Ich nickte anerkennend. Ich konnte nicht fassen, dass er Vater wurde! Immerhin war er nur ein halbes Jahr älter als ich.

„Guscha, bring ihm was zu trinken“, spuckte er in Richtung Sofa. Ein schwarzhaariges Mädchen stand auf und lief eilig ein paar Schritte, um vom Beistelltisch eine Flasche Whisky zu holen, den sie mir Augen klimpernd brachte. „Guscha ist brandneu aus dem Katalog, falls du verstehst. Russin- wenn du willst, leih ich sie dir aus“, zwinkerte er. Früher hätte ich die Frau sofort mitgenommen und ihr gezeigt, wie man’s ihr richtig besorgen konnte. Dann hätte ich sie fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel und hätte mich verpisst- aber früher war früher und ich war schon längst über solche Frauen wie die da hinweg.

„Lass mal, ich hab mein Mädchen“, lächelte ich, ohne Guscha auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie wandte sich schmollend ab und beleidigte mich auf Russisch.

Santiago verschluckte sich und riss die Augen auf. „Warte, kein Scheiß? Du und eine dauerhafte Chick? Na darauf rauchen wir Einen.“ Er warf mir einen Joint zu, den ich sofort zurückgab. Auch wenn es verlockend war… „Ich mach nicht, die Scheiße bringt’s nicht mehr“, erklärte ich. „Jesus Christus, McCann! Bist du weich geworden?“ Er riss die Augen auf und schüttelte ungläubig den Kopf, bevor er wieder an seinem Joint zog. „Shit, shit, shit. Dabei hab ich extra neue Ware aus Korea… Erzähl mal, Bruder- wie ist sie so, die Gute? Muss ja ’ne hammer Braut sein, dass die dich so umhaut.“

Mein Lächeln vertiefte sich. „Sie ist perfekt, bro.“

„Brinst’ sie aber schon mal mit, huh?“

„Fix“, bestätigte ich und schlug mit ihm ein.

„Eh, setz dich doch, McCann.“ Er deutete auf einen Sessel.

„Ich kann leider nicht lange, ich bin geschäftlich hier.“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert und er hob wissend eine Augenbraue. „Wer hat denn diesmal die Ehre?“

„Matt O’Shea.“ Santiago riss die Augen auf. „Ach, der Hosenscheißer? Kann man nicht ernst nehmen, aber hast schon recht. Dieses mittelmässige Stück Scheiße beginnt langsam, mir so’n bisschen auf die Eier zu gehen. Den mach ich natürlich sofort. Wie viel brauchst du?“

Ich grinste und nahm einen Schluck vom der gelblichen Flüssigkeit. Genau das hatte ich hören wollen.

„Ach, weißt du…“

 

 

„Ich schick meine Leute nächste Woche, wenn’s hier ist.“

Ich zuckte zusammen. „Nächste Woche bin ich in Kanada.“ Und wahrscheinlich blieb ich nicht länger als eine Woche, bis die Verhandlung durch war und die sicher waren, dass ich nicht meine Familie umgebracht hatte. So krank war ich nicht.

Santiago runzelte die Stirn. „Fuck, was verpasse ich eigentlich noch? Ich dachte, du gehst nicht mehr in dieses Drecksloch!“ Ich zuckte die Schultern.

„Ich muss. Jeremy hockt mir mit dem Scheiß schon zu lange auf’m Sack.“ Er lachte laut los. „Verarschst du mich? Dein alter Herr? McCann, du steckst wohl dein ganzes Leben lang in der Scheiße- was hast du diesmal angestellt?“

Ich winkte ab. „Nicht so wichtig. Bringst’s mir dann halt übernächste Woche, huh?“

„Safe“, bestätigte er grinsend und schlug ein.

Ja, nächste Woche Kanada- auch wenn Cade dachte, dass ich erst ‚in ein paar Wochen’ gehen musste.

 

„Klar passen wir auf die Kleine auf, wenn du weg bist. Aber viel Glück, wenn du’s ihr erzählst, bro“, hatte Sean gemeint, als ich es ihm erzählt hatte.

 

Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich es ihr erklären sollte, ohne dass sie austickte.

 

-

 

Nach dem Gespräch mit ihrem Vater war sie wieder bei sich Zuhause eingezogen. Jetzt wartete ich schon fünf Minuten, bis das Mädchen sich endlich blicken lassen konnte.

Endlich kam sie aus der Tür, welche sie kurz darauf abschloss, und drehte sich wieder zu mir um. Schon wieder war sie zu spät.

Sie stieg die Stufen zum Haus runter und war so auf mich konzentriert, dass sie ausrutschte und strauchelte. Bevor sie auf die Fresse fliegen konnte, fing sie sich aber wieder und warf sich beschämt die Haare über die Schultern.

Ich verkniff mir ein Auflachen- Cadens war so ein verdammter Idiot. Aber sie war mein Idiot.

„Kein Kommentar“, befahl sie, alsbald sie ihren Arsch in meinen BMW bekommen hatte. Ich schloss den Mund wieder, drehte breit grinsend den Zündschlüssel und fuhr los.

Und schon redete sie ohne Punkt und Komma auf mich ein- ich liebte es.

Es war verdammt rutschig auf den Straßen und mit Cade im Auto forderte das sogar noch ein bisschen mehr Konzentration. Ich krallte die kribbelnden Fingerkuppen ins Lenkrad, als ihr Geruch mir in die Nase stieg- Vanille. Nicht jetzt! Konzentrier dich auf die Straße, McCann!  

Es war verdammt ungesund, was für einen Einfluss sie auf mich hatte. Und das wurde immer schlimmer, je mehr ich sie sah und je mehr ich sie berührte. Ich biss die Zähne zusammen, atmete tief durch den Mund und dachte an was Anderes.

Das Wetter war im Arsch- aber nicht tief genug, als das man die Schule hätte schließen können. Das würde in den nächsten Tagen aber hundert Prozent der Fall sein.

„Jase?“ „Hm?“, antwortete ich und wandte meine Aufmerksam widerwillig wieder Cade zu. „Was, wenn du ins Gefängnis musst? Ich meine… du weißt nicht, was das für ein ‚Beweis’ ist“, bemerkte sie und ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie nervös mit ihren Haaren spielte. „Ich geh nicht in den Knast- ich bin Jason McCann“, antwortete ich gebannt.

„Ist das eigentlich deine Entschuldigung für alles?“ lächelte sie und legte ihren Kopf schief. Sie machte mich verrückt.

Gestresst fuhr ich mir durch die Haare. Wieso war es so scheiß schwer, ganz normal neben ihr zu sitzen, ohne sie anzufallen? „Ich meine das ernst, Jason. Was, wenn du nicht zurück kommst? Was machen die Jungs dann, was mache ich dann.“

Ich hielt abrupt vor einer roten Ampel -ich hielt nie vor einer Ampel- nahm ihren Kopf in meine Hände und küsste sie- sie hatte keine Ahnung, wie sich das anfühlte.

Cade gab einen überraschten Laut von sich, vergrub aber dann die Hände in meinen Haaren.

 

Cade PoV

 

Oh shit!

Dieser Kuss kam aus dem verdammten nirgendwo und ich war nicht darauf vorbereitet, was die Intensivität nur noch heftiger werden ließ. Jedes Mal wenn seine harten und suchtpotenziellen Lippen meine berührten, schalteten bei mir sämtliche Systeme auf Stand-By. Ich vergaß wie man atmete, wie man dachte und meine Eingeweide fühlten sich an, als würden sie in den Mixer geworfen- aber auf eine positive, eine gute Weise.

Ich war mir sicher, dass er mein laut pochendes Herz hören konnte, während ich durch seine weichen Haare fuhr.

Eine Mischung aus Stöhnen und Seufzen entkam mir, als er mit seinen rauen Händen über mein Schlüsselbein fuhr und mir die Haare über die Schultern strich.

Wenn es einen Weltrekord für ‚Bester Küsser’ gegeben hätte, hätte ich Jason verdammt noch mal eigenhändig dort hin geschleppt!!!

Als hinter uns wildes Gehupe einsetzte, zog er sich zurück und trat kopfschüttelnd auf’s Gaspedal. „Fuck, Cade- wie kommt’s eigentlich, dass du mir jedes Mal fast wegkippst, wenn ich dich berühre?“, stöhnte er und biss sich auf die Lippe.

„Du bist halt eine verdammte Kussmaschine“, keuchte ich und brachte meine verstrubbelten Haare in Ordnung.

„Außerdem hat mich niemand gewarnt, dass du dich sofort wie ein Verrückter auf mich stürzt!“ Er verschränkte seine Finger mit meinen und warf mir ein Grinsen zu.

„Ich weiß, dass du total in mich verschossen bist, Kleine“, zwinkerte er nur.

Pff, überhaupt nicht.

 

Jetzt wusste ich, wie Jason sich immer fühlen musste. Ich sah mich verwirrt um, als ich zu meinem Spind lief. Die Leute gingen mir so gut es ging aus dem Weg und musterten mich mit Respekt. Sobald ich jemandem in die Augen sah, wandte derjenige den Blick ab.

Stirnrunzelnd öffnete ich meine Spindtür und holte die Bücher heraus, bevor ich mich auf in die Klasse machte.

Cher quietschte und umarmte mich, als sie mich entdeckte: Traurig aber wahr: Ich hatte sie total vergessen! Lächelnd umarmte ich sie und setzte mich.

„Cher… wieso starren mich alle so komisch an?“, unterbrach ich sie in ihrem Redefluss über den Urlaub in ATL. Sie bedachte alle mit einem bösen Blick, sodass sie wieder wegsahen. „Weißt du, Süße- es hat sich rumgesprochen, dass du mit diesem Ar… Jason zusammen bist. Einen der Nachteile, wenn du dich mit ihm triffst“, meinte sie und ihre Stimmlage verrutschte ein wenig.

Ich schüttelte verwirrt den Kopf- sie war so komisch geworden…

Love

Chapter Thirty Six

 

„Also?“ 

„Wie bitte?“ Cher verdrehte die Augen.

„Ob ich nächstes Wochenende bei dir übernachten darf.“ Ich hob die Schultern.

„Keine Ahnung… Ich muss noch meinen Dad fragen“, wich ich aus. Sie nickte etwas enttäuscht- früher hätte ich sofort ja gesagt, aber jetzt…

Ich entdeckte Jason. Er lehnte an seinem Wagen, dunkel und geheimnisvoll und kriminell und einfach nur unwiderstehlich, während er sich durch die dunklen Haare fuhr.

„Bye“, winkte ich nachlässig und lief zu Jason. Er erwiderte mein Lächeln einen kurzen Moment, dann blickte er über meine Schultern und starrte finster auf einen Punkt hinter mir. Ich erschauerte- ich hatte Angst, wenn er diese Art von Serienkiller-Blick auf dem Gesicht hatte.

„Was?“, wollte ich verwirrt wissen. Ich drehte mich um und bekam gerade noch mit, wie Cher sich wegdrehte und zu den Bussen lief.

„Mir gefällt ihr Blick nicht“, antwortete er aus zusammengekniffenen Augen. „Sie wird schon drüber hinweg kommen“, winkte ich ab und kletterte auf den Beifahrersitz, wo ich nach dem Gurt griff und mich anschnallte. Ich wusste, dass Cher Jason immer noch nicht mochte. Aber wenn sie wirklich meine Freundin war, beließ sie es irgendwann.

Jason stieg neben mir ein, parkte aus und passierte waghalsig schnell die Ausfahrt. Mittlerweile hatte ich mich an seinen aggressiven Fahrstil gewöhnt. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln wie er eine Zigarette hervor holte und sie sich in den Mundwinkel steckte.

„Zünd an.“ Er warf mir ein Feuerzeug in den Schoß. Ich widersprach nicht, ich war zu alarmiert, während ich das Dejà-Vu-Gefühl verdrängte. Ich kannte Jason genug lange um zu wissen, dass er nur rauchte, wenn er nervös war.

„Alles okay?“, fragte ich stirnrunzelnd und beugte mich vor, um ihm den Gefallen zu tun. Er inhalierte tief, blies einen perfekten Ring in die Luft und ignorierte meine Frage, was mich noch misstrauischer machte.

Ich ließ das erst mal unkommentiert. Ich ließ auch unkommentiert, dass er sich alle paar Sekunden gestresst an den Haaren rumzupfte, oder dass er nervös auf das Steuer trommelte, bis wir vor seinem Zuhause parkten.

Er hielt mir die Tür auf und griff nach meiner Hand, sobald er sie geschlossen hatte.

„Hey Jungs“, begrüßte ich Jasons Freunde und wurde schnell die Treppe hochgezogen, bevor die anderen etwas erwidern konnten. Er hatte echt Probleme!

Der Schaden in Jasons Zimmer und dem Rest des Hauses war im Übrigen wieder ersetzt worden und jetzt war es so, als wäre nie irgendwas passiert. Aber ich vergass nicht, was passiert war: Jared war wegen mir gestorben.

„Okay, was ist los?“, fragte ich und hob eine Augenbraue. Jason seufzte und wich meinem Blick aus.

„Und sag mir jetzt nicht, dass es ‚Nichts’ ist“, fügte ich genervt hinzu. Wenn er dachte, er müsste mir immer noch Dinge verschweigen, hatte er sich geschnitten.

„Ich muss morgen nach Kanada“, platzte es aus ihm heraus. WAS?

„Das ist doch nicht dein ernst“, lachte ich. Der leicht hysterische Unterton ließ sich dabei nicht vermeiden. „Ich. Muss schon morgen. Nach Kanada“, wiederholte er langsam und vorsichtig, während er meinen Blick gefangen hielt. „Nein, nein, nein. Du sagtest in ein paar Wochen!“ Ich klang gefährlich ruhig und wartete darauf, dass er mir sagte, dass das ein Scherz war!

Er verdrehte die Augen. „Dann muss ich eben morgen dahin!“

„Aber vorher hast du gesagt…“

„Ich muss dir nicht alles erzählen, okay?“, spuckte er und unterbrach mich somit. Ich wurde sauer- was hatte er jetzt bitte für ein Recht, sauer auf mich zu sein? Gott!

„Was soll denn das alles jetzt schon wieder“, fauchte ich lauter werdend. „‚Alles’? Ich weiß gar nichts über dich, verflucht noch mal! Du erzählst mir überhaupt nichts, außer das Zeug an deinen Wänden, aber was soll ich damit bitte schön anfangen? Mann, Jason! Bring deine Stimmungsschwankungen unter Kontrolle und hör endlich auf, mich wegen jeder Kleinigkeit dumm anzumachen, ich kann den Bullshit nicht haben, du schizophrener Psychopath!“

Zugegebenermaßen hätte ich leiser sein können aber er hatte mich doch erst dumm angemacht!

Während ich gesprochen hatte, konnte ich beobachten, wie sein Blick mit jedem kleinen Wort angepisster wirkte. Ich erwartete alles, aber nicht den schmerzverzerrten Gesichtsausdruck, den er jetzt zeigte.

Ich wusste nicht ob es an dem Wort ‚Psychopath’ oder ‚schizophren’ lag, aber es schien ihn zu treffen. Sehr.

„Scheiße, ich tu doch alles!“ Ich zuckte zusammen, weil sich seine Stimme plötzlich von Null auf Hundert überschlug. Es hörte sich so an, als würde er die längst aufgestaute Wut endlich rauslassen. „Ich tu alles für dich, siehst du das denn nicht?“ Ich presste die Lippen aufeinander. „Ich will dich doch nur vor diesem beschissenen Bastard beschützen, jeder erwartet was von mir, und jetzt auch noch du? Lass es doch endlich… Lass…“ Er sah gleichzeitig so verletzlich und so wütend aus, dass mir schwindelig wurde.

„Fuck, wieso musst du diese Scheiße immer und immer wieder ausgraben, siehst du nicht, dass es weh tut? Hör endlich auf, etwas an mir ändern zu wollen, denkst du ich weiß nicht, dass ich ein kaputtes Arschloch bin? Ich bin ein Krimineller, ich habe Menschen umgebracht, ich werde es wieder tun! Aber das ist alles was du von mir kriegst, wenns dir nicht passt, dann verpiss dich doch!

Ich verstehe sowieso nicht, wieso du so lange geblieben bist! Geh so wie die anderen Schlampen- weißt du, ich dachte echt du wärst anders, aber nein. Du bist schlimmer!“

Seine laute Stimme ließ mich erschaudern.

„Du kommst einfach hierher und… du kommst, und du machst alles, was ich mir mühsam zusammengeflickt habe wieder kaputt!“

Ich zuckte heftig zurück, als er sich das Erstbeste in greifbarer Nähe krallte und es in meine Richtung schleuderte. Er verfehlte mich zwar um einige Zentimeter und ich wusste, wenn er mich wirklich hätte treffen wollen, dann hätte er es geschafft (seine Trefferquote war verdammt hoch), aber es machte mir trotzdem angst.

Ich schnappte erschrocken nach Luft, als der Gegenstand hinter mir zerschellte, machte einen Schritt nach hinten und knallte die Tür zum angrenzenden Bad zu, um sie dann zu schließen.

Ich ließ mich auf die Fliesen nieder und kauerte an die Badewannenwand. Es blieb eine Weile still. Ich hatte verdammt angst, wenn Jason diesen irren und verzweifelten Blick drauf hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass es so schlimm war, was er hatte.

Mein Blick wanderte zum kleinen Schränkchen oberhalb der Spüle und ich erhob mich wankend. Ich hörte Schritte- ich wollte seine Entschuldigung nicht, diesmal hatte er gewaltig übertrieben, und zwar ohne Grund!

„Cade?“ Ich öffnete den Schrank und hielt inne. War er etwa wirklich kurz davor, zu heulen? Na dann sollte er doch. Er hatte mich angeschrien, er hatte mich zu Dingen beschuldigt, die ich nicht getan hatte! Ich durfte wütend sein, er war derjenige, der sich morgen nach Kanada verpisste! Scheiße.

„Cade, mach die Tür auf.

Meine Augen suchten nach dem roten Röhrchen mit der Inschrift Antidepressiva. Von dieser Scheiße konnte ich jetzt ehrlich ’ne Menge gebrauchen.

„Cade, ich meins ernst. Mach auf, oder ich trete die Tür auf.“ Pff, als kriegte er das hin! Ich schnappte mir eine der kleinen Pillen und drehte sie zwischen den Fingern.

„Cadens Montgomery, was machst du da drin?“ Er stieß einige unschöne Flüche aus und ich guckte verdattert hoch, als er einmal gegen die Tür trat, was das Schloss wegknallte, und sie sperrangelweit aufflog. Mist!

Okay, ich hatte mega schiss vor ihm, wie er finster und schwer atmend im Türramen stand, mich ansah, als wolle er mich erwürgen…

Er war offenkundig genau so wütend auf mich, wie ich auf ihn.

„Cade, gib mir diese Pille“, verlangte er, und kämpfte um einen beherrschten Ton. Er bemühte sich zwar ruhig zu sein, aber ich hörte die unterdrückte Wut in seiner Stimme. Ich schüttelte den Kopf, was ihn dazu veranlasste, die Augen zu Schlitzen zu formen. „Cade, ich meins ernst. Das ist nicht das, wonach es angeschrieben ist. Das ist gefährlich, leg das weg.“ Flehte er, nervlich zu sehr am Ende, um noch auf seinen Ton zu achten.

Ich war verwirrt- was war es denn bitte sonst? Er nutzte den Verwirrungsmoment, war mit zwei großen Schritten bei mir, riss mir das kleine Ding aus der Hand und warf es ins Klo. Aus reinem Trotz griff ich abermals nach dem Röhrchen, was er mir sofort aus der Hand schlug. Okay, das würde ’nen blauen Fleck geben!

„Du bist wohl lebensmüde, was?“, knurrte er, nagelte mich hart an die Wand und drückte meine Hände über meinem Kopf an die Wand. War es so offensichtlich, dass ich ihn einfach nur schlagen wollte?

Ich wollte doch nur wissen, was da drin war! Er sollte mich verdammt noch mal loslassen, Griffel weg! Ich machte den Mund wieder zu, als ich in seine beinahe schwarzen Augen sah.

Ehe ich mich versah lagen seine harten Lippen auf meine und er küsste mich auf diese Weise, für die er in die Hölle gehörte! Verbrennen sollte er da unten! Ich stöhnte kapitulierend und schloss die Augen, um es einfach über mich ergehen zu lassen. Gegen seine dominierende Zunge ging echt nichts.

 

Ja, Cade, tu so, als wären seine Lippen nicht der Himmel auf Erden!

 

Als ich schon fast keine Luft mehr bekam, gab er mich frei und vergrub das Gesicht in meiner Halsbeuge. Ich hielt die Luft an. Er fuhr mir den Hals hinauf, die Lippen konstant auf meiner Haut, und ich hasste ihn dafür, dass er sein Verführungstalent als Waffe benutzte.

Und noch mehr hasste ich ihn dafür, dass er den Schwachpunkt hinter meinem Ohr kannte, an welchem er leicht hinein biss. Ich atmete zitternd aus und schloss die Augen. Er brachte mich um.

„Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, verstanden, Kleine“, flüsterte er heiser und immer noch aggressiv. Ich wimmerte nur, während er meine Hände von seinen befreite, und sie meine Seiten hinab wandern ließ. Ich biss mir auf die Lippe und versuchte mich zu konzentrieren.

Denn höchstens Gott wusste, was er da an meinem Hals trieb- aber es sollte definitiv verboten werden.

„Jason“, stöhnte ich- konnte er mal zur Sache kommen? Meine Stimme ließ ihn erstarren. Er versuchte sanft mit mir umzugehen, als er mich hochhob und zurück ins Zimmer trug, direkt auf sein großes und brandneues Bett zu. Betonung auf ‚Versuchte’. Er warf mich nämlich so heftig auf das King Size- Monster, das ich mir bestimmt weh getan hätte, wenn er den Fall nicht durch seinen muskulösen, tätowierten Arm gebremst hätte.

Endlich drückte er seine Lippen wieder auf meine. und offenbarten mir seinen ganzen Frust. Ich stoppte ihn nicht, als er mein Oberteil kurzerhand zerriss und es war ein beinahe befriedigendes Gefühl, seine nackte Haut auf meiner zu fühlen. Seine rauen Hände fuhren über meine erhitzte und nackte Haut.

Auch sein T-Shirt landete neben meinem, während er mich geschickt und ohne große Anstrengung entkleidete, so als hätte er jahrelang geübt. Weil er jahrelang geübt hatte. Seine Lippen gaben meine dabei nicht auch nur eine Millisekunde frei, während ich wie eine Furie an seinen Haaren zerrte und riss.

Ich war so verdammt wütend!! Wütend auf ihn, weil er so ein Arschloch zu mir war. Aber auf mich selbst war ich noch wütender, weil ich seine Nähe dennoch so sehr wollte. Ich grub meine spitzen Nägel in seinen Rücken und zerkratzte alles, was es da zu zerkratzen gab. Ich wollte ihm wehtun.

Ohne Erfolg. Ganz im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, das brachte ihn nur noch mehr in Fahrt. Aber es war nicht so, als ob ich es nicht auch gewollt hätte. Mein Unterleib zog sich vor Sehnsucht zusammen und ich wollte ihn verdammt noch mal in mir! Und diese Gedanken erschraken mich nicht mal mehr. 

„Fuck“, fluchte er und sah mich vernichtend an. Ich realisierte gar nicht richtig, wo das alles hinführte, ich war zu abgelenkt von seinen dunklen Augen und seinem nackten Oberkörper und seinen Muskeln und wie weich sich seine Haare anfühlten. Die Liste konnte noch laaange fortgesetzt werden!

Er sandte Stromschläge durch meinen Körper und ich hatte das Gefühl, unter seinen Händen zu zerfließen!

„Nur ich darf dich so sehen, hast du verstanden? Wenn dich jemand so berührt wie ich, dann mache ich ihn fertig“, raunte er.

„Ja“, stöhnte ich heiser. Mir war so verdammt heiß, das war nicht mehr normal! Seine Finger wanderten an meinem Oberschenkel entlang, immer weiter hoch. Seine vor Lust dunkel funkelnden Augen lagen auf mir und trotz seiner Wut sah ich die Zärtlichkeit dahinter. In diesem Moment wusste ich, dass er mich einfach bewusstlos hätte vögeln können, um es mal  unverblümt auszudrücken. Ohne Schwierigkeiten. Aber er hielt sich zurück. „Du gehörst mir“, flüsterte er. Ich schluckte hart, als sein Zeigefinger um meine empfindliche Stelle kreiste. Dort war ich noch nie berührt worden. 

„Mir.“ Mit diesen Worten schob er einen Finger in mich. Ich stöhnte laut, als er ihn fast sofort wieder hinaus zog. „Verstehst du das?“ Seine rauchige Stimme hallte in meinem Kopf. Diesmal ließ er zwei Finger in mich gleiten und zog sie schneller hinaus, um sie wieder in mich zu versenken. „Verstehst du das?!“, wiederholte er knurrend. „Ja“, keuchte ich und krallte mich in seine Schultern.

„Ich höre dich nicht“, knurrte er und ich verstand, dass er hier der Dominante war. Und das gefiel mir. „Ja, verdammt“, fluchte ich atemlos und küsste ihn. Er verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Gutes Mädchen.“ Dann zog er seine Finger hinaus und ich spürte, wie seine gewaltige Erektion gegen meine Oberschenkel drückte. Heilige Mutter Gottes, dafür würde ich in die Hölle wandern! Ich wimmerte als ich mir seiner Größe bewusst wurde. „Schhh, ist schon okay, baby“, beruhigte er mich und küsste meine Stirn. Seine Wut hatte nachgelassen und jetzt versuchte er nur noch, möglichst sanft mit mir umzugehen. Und das war gar nicht so einfach, weil ich nämlich schon total scharf auf ihn war. Und wenn das bei mir so war, dann musste er kurz vor'm Durchdrehen stehen!

 

„Ich mach ganz langsam, ja?“, murmelte er an meinem Ohr. Ich nickte und wartete auf den Schmerz.

 

 Und der 14. Januar war der Tag gewesen, an dem ich meine Unschuld an Jason McCann verloren hatte...

 

McCann PoV

 

Das Gefühl, wenn etwas so richtig war. Wenn sich alles so richtig anfühlte, mit dieser einen Person. Der einen, richtigen Person. Die Person, deren Gesicht man in und auswendig kannte, jedes kleine Detail, jede Sommersprosse und jeder Schönheitsfleck…

Und alles war perfekt. Und danach war keine andere Person mehr gut genug, weil man diese eine Person so sehr begehrte, dass nichts mehr vergleichbar war. Vielleicht gab es andere Personen, die aus der Perspektive eines Dritten in vielerlei Hinsicht schöner oder besser waren, aber nicht aus der des Betroffenen. Weil es keine Rolle mehr spielte.

Weil diese eine Person so wunderschön und perfekt war, aber gleichzeitig so unperfekt, weil relativ gesehen nichts perfekt war. Aber wenn es einen Standard für die Beschreibung ‚Perfekt’ gegeben hätte, dann wäre es diese Person gewesen. Ohne jeden Zweifel.

Die Person war die Gegenwart, und die Zukunft des Betroffenen, weil die Vergangenheit nicht mehr von Belang war. Diese Person war alles was man je wollte, und man gäbe alles für sie auf.

 

Wie beschrieb man dieses Gefühl am besten, wenn man es selber nicht verstand?

Ich warf einen Blick über die Schulter, auf ihren nackten Körper auf ihre Haare, die über dem Kissen ausgebreitet waren, während sich ihre Brust gleichmäßig hob und senkte.

Lächelnd drehte ich mich wieder um und ließ den Stift über das weiße Papier gleiten…

 

Cade PoV

 

Ich schlug die Augen auf und fand die leere Betthälfte neben mir vor. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und tastete nach meiner Jeans. Ich durchwühlte die Taschen nach meinem Handy und warf einen Blick auf das Display…

 

05:14

 

Jason musste ziemlich frühe aufgestanden sein, um den Flieger zu erwischen. Ich ließ mich wieder in die Kissen fallen und fuhr über den weichen Stoff der Decke, bis meine Finger auf etwas Kleines, Quadratisches stießen.

Stirnrunzelnd nahm ich das Kärtchen in die Hand und knipste die kleine Lampe an. Immer wieder schweiften meine Augen über diese drei Wörter…

 

Ich liebe dich.

 

Mein Herzschlag beschleunigte sich, während ich mich anzog. Ich hielt es hier drin nicht mehr aus, wo es immer noch nach Jason roch. Ich vermisste ihn schon jetzt und ich hatte solche Angst, dass er vielleicht überhaupt nicht mehr zurückkam!

Mir über die Augen reibend lief ich die Treppe hinunter und sah neugierig ins Wohnzimmer, wo die Jungs immer noch auf waren.

„Wart ihr die ganze Nacht wach?“, fragte ich die Jungs perplex. Jasons Freunde hoben gleichzeitig die Blicke und klopften aufs Sofa.

„Spielwiederholungen der letzten Saison, wir konnten nicht anders“, verteidigte sich Clay. „Du hast aber auch nicht besonders viel Schlaf bekommen, was?“, zwinkerte Chris und sie grinsten wissend.

Ich spürte wie ich rot wurde lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Bildschirm. Nach einigen Minuten wurde es ziemlich langweilig, weshalb ich aufstand.

„Ich gehe dann mal“, kündigte ich an. Sean stand ebenfalls auf. „Jason will deinen Rund-Um-Schutz“, antwortete er auf den fragenden Blick, den ich ihm zuwarf. Aha. Zusammen gingen wir nach draußen und stiegen in einen der vielen Wagen, die Jason in seinem Besitz hatte.

„Ich weiß, du machst dir Sorgen, er könnte nicht zurückkommen. Aber das brauchst du nicht. Es mag vielleicht lächerlich klingen, aber ‚Ich bin Jason McCann’ ist wirklich eine ziemlich gute Entschuldigung für fast alles. McCann hat seine Verbindungen, er wird nicht ins Gefängnis kommen.“

Etwas an seiner Stimme beruhigte mich. „Wieso hassen sich Jason und Matt?“ Sean kratzte sich am Hinterkopf. „Er bringt mich um, wenn ich es dir erzähle.“ „Bitte“, bettelte ich. Er seufzte tief, bog in meine Straße ein und begann dann unwillig zu erzählen:

„Vor Jahren, als McCann noch in Kanada war, hat er für jemanden gearbeitet, bevor er selbstständig wurde. Er hat schon damals illegale Dinge gemacht, aber er hat noch niemals jemandem Schmerzen zugefügt.

Einer der Aufträge ist schief gelaufen… O’Shea hat etwas bei McCann’s damaligen Boss bestellt und konnte ihm die Kohle nicht zurückzahlen. McCann hatte die Aufgabe, seine Hütte abzufackeln, aber nur, wenn niemand mehr drin war.

Er wusste nicht, dass O’Sheas Freundin und seine damals einjährige Tochter noch in der Villa waren, und dabei mit gebrannt haben. Und als er es erfahren hat, war es schon zu spät.“

Ich schwieg betroffen und ließ es erst mal einwirken.

„Und seit damals will O’Shea ihm alles nehmen, was er liebt. Das ist, weshalb er dich so ‚krankhaft’ beschützt und so oft ausrastet. Er meint das nicht böse, er hat nur Angst, verstehst du? Auch wenn er es nicht zugeben mag. O’Shea hat ihm alles genommen, was er hatte. Die Geschichte mit McCanns Familie konnte ihm nie nachgewiesen werden. O’Shea musste dann wegen Drogenschmuggel ins Gefängnis und für eine Weile dachten wir, wir hätten Ruhe. Aber jetzt ist er wieder draußen und macht dasselbe.

Er weiß nicht, wann genug ist, verstehst du?“

Ich nickte und Sean biss sich nervös auf die Lippen. „Das weißt du nicht von mir!“ Ich lächelte beruhigend. „Natürlich nicht“, versprach ich und stieg mit wackeligen Beinen aus dem Auto.

Holy shit…

Revenge

Chapter Thirty Seven

 

Montag.

Noch nie war mir ein Tag so verflucht lange vorgekommen. Die Zeit zog sich wie Kaugummi, auch wenn es erst Tag Eins von Vier war, vermisste ich Jason wie verrückt.

Bereits, als ich heute Morgen aufgewacht war, hatte ich dieses seltsame Gefühl verspürt… Wie Phantomschmerzen. So als wäre mir ein wichtiger Teil durch rohe Gewalt entrissen worden, und ich wollte, ich brauchte ihn wieder zurück! Ich brauchte Jason wieder zurück, auch wenn es erst 24 Stunden her war, seit ich neben ihm im Bett gelegen hatte. Meine Wut wurde mittlerweile durch Sorge ersetzt: Ja, er war Jason McCann. Trotzdem galten für ihn die gleichen Rechte, er konnte ohne Umschweife im Gefängnis landen.

Die anderen Jungs machten sich zwar momentan noch lustig über meine Angst, aber so lange Jason nicht bei mir war, traute ich sicherheitshalber niemandem. Wie dem auch sei:

Um etwas über Jason hinwegzukommen hatte ich nun trotzdem eingewilligt, etwas mit Cher zu unternehmen. Natürlich immer nur in Begleitung von einem der vier Jungs.

Oder gleich alle vier zusammen, so wie gerade, als wir Popcorn kauend aus dem Kino liefen. Naja, Sean zähle nicht richtig, weil er nur Undercover hinterher schlich. Offenkundig war er nicht besonders scharf darauf, seinen One Night-Stand (aka Cher) wieder zu treffen. Konnte ich ihm nicht verübeln. Wenn Cher wütend war, dann Gute Nacht.

„Leonardo DiCaprio ist ein verfluchter Gott“, meinte sie gerade und stopfte sich im Sekundentakt die klebrige Süßigkeit in den Rachen. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, vom Film hatte ich auch nicht besonders viel mitbekommen. „Wenn er diesmal keinen Grammy gewinnt, wird es Tote geben“, setzte sie ihre nicht enden wollende Rede fort.

Die anderen Jungs, die gezwungenermaßen mit von der Partie waren, verdrehten nur genervt die Augen. „Weiber“, grollte Austin und observierte die Umgebung. Es war schon ziemlich dunkel geworden, um diese Uhrzeit fand man einige vermummte und komische Gestalten. „Ihr wolltet doch mitkommen, weiß Gott wieso“, fauchte Cher darauf hin eingeschnappt und warf mit Popcorn nach den Jungs. „Leg es nicht drauf an, kleine Hexe“ gab Austin sofort zurück und funkelte sie drohend an. Sie, ganz die gute alte Cher, ließ das völlig kalt. Sofort öffnete sie ihre pink gepinselten Lippen, um ihm eine weitere Beleidigung an den Kopf zu werfen. Verflucht!

„Hey, hey“, schaltete ich mich beschwichtigend ein. Das ging jetzt schon den ganzen Abend so! Die drei zankten sich, während ich mit meinen Gedanken ganz wo anders lag. Irgendwo in… Kanada.

„Beruhigt euch mal! Austin, entschuldige dich bei Cher“, orderte ich und warf ihm einen auffordernden Blick zu. Sonst würde sie doch nie Ruhe geben! Derweilen steuerten wir auf seinen grauen Mercedes zu. Austin kniff die Augen zusammen und warf die Hände in die Höhe.

„Ich sag McCann, er soll sich eine neue Freundin zulegen“, brummte er anklagend und fügte eine genuschelte Entschuldigung hinzu.

Ich verdrehte die Augen. Was für Idioten! „Wenn’s dir danach besser geht- nur zu.“

Ich hielt Inne, als ich bemerkte, das Cher ein paar Schritte weiter hinten stehen geblieben war. Ihrem verdutzen Blick folgend bemerkte ich den einen dunklen Typen mit dem Kapuzenpulli, der einfach nur dastand und Cher ansah. Ich runzelte misstrauisch die Stirn- der sah mir nicht gerade vertrauenswürdig aus!

Er hob langsam die Hand und winkte meine beste Freundin zu sich. Was zum Henker…? Wer war das, und woher kannte er Cheryl?

„Meint der dich“, wollte ich wissen von ihr wissen. Cher nickte, den Blick nicht von dem zwielichten Kerl wendend. Sie schluckte hart. „Schätze schon. Geht schon mal vor“, flüsterte sie. Ich sah ihr beunruhigt hinterher, als sie auf den Typen zusteuerte.

„Bist du sicher? Cher, wenn was los ist, dann sag’s mir jetzt!“ Sie war immer noch meine Freundin, und der Kerl schien kein guter Umgang. „Ganz sicher“, warf sie mir über die Schulter zu und lächelte gekünstelt.

„Wo bleibst du denn, Cade?“ Ich ließ mich von Clay weiterziehen. Cher wusste schon, was sie tat.

Hoffte ich mal.

 

Cher PoV

 

„Was?“, fragte ich leicht genervt, als ich bei Matt angekommen war. Was wollte er jetzt schon wieder! Bis jetzt war der Abend super gewesen, endlich wieder ich und meine beste Freundin. Na gut, McCanns Gorilla-Gang war mir zwar immer am Arsch kleben, aber das war es wert! Und ausgerechnet jetzt kam er? Es war verdammt riskant, hier vor Cade aufzutauchen! Ein Glück, dass ich sie abwimmeln konnte!

Sofort lagen seine vernarbten Hände um meinen Hals und drückten zu. Ich riss erschrocken die Augen auf und schnappte klagend nach Luft. Wie konnte er es wagen, mir die Luft abdrücken zu wollen?

„Achte auf deinen Ton, Bitch. Verstanden? Ich kann dich in Null Komma nix umlegen“, spuckte er. Ich hasste ihn so sehr; was war er nur für ein kranker Psychopath! In Wahrheit war ich kurz davor, mir in die Hosen zu machen!

Es war nicht immer einfach, die Toughe zu spielen- aber das hatte sowieso bald ein Ende. Wenn der Deal zu Ende war, musste ich ihn nie wieder sehen. Und ich hatte endlich wieder meine alte Cadens zurück, die mich nicht immer versetzte.

„Antworte mir!“ Ich spuckte ihm ein ‚Ja’ vor die Füße. Sofort ließen seine Pranken von mir ab, und ich befriedigte meine nach Sauerstoff schreienden Lungen.

Outch!

Er hatte ’nen eisernen Griff! Ich rieb mir über den schmerzenden Hals, während er eine Zigarette hervorholte und sie sich zwischen die Lippen steckte.

„Du fragst dich bestimmt, wieso ich dich schon so früh wieder besuche. Folgendes: Wir haben ihn.“ Ich riss noch immer röchelnd die Augen auf und fühlte mich plötzlich so, als müsste ich übergeben.

„Was soll das heißen?“, presste ich hervor und fuhr mir nervös durch die roten Haare. „Was soll es wohl heißen, Bitch? Brauch ich es zu buchstabieren?“, donnerte er leise. Er hatte was?

Ich schluckte und versuchte meinen Tränendrüsen zu sagen, dass sie ihre verfluchte Pisse zurückhalten sollten! Ich hatte heute keine wasserfeste Mascara aufgetragen, und mich hier als Waschbär zu blamieren, kam überhaupt nicht in Frage! Denn das war es doch immerhin was ich wollte, oder? Deswegen hatte ich mich überhaupt mit Matt getroffen. Wieso fühlte es sich plötzlich wie Hochverrat an meine beste Freundin an? So ein Mist!

„Warst wohl doch zu was gut.“ Matt’s dunkelblauer Kapuzenpulli rutschte etwas hoch und entblößte sein einschüchterndes, verunstaltetes Gesicht. Wie eine Figur aus einem riiichtig guten Horrorfilm.

„Ohne dich hätte ich niemals den richtigen Moment abpassen können. Ist verdammt schwer, den Bastard zu fangen. Herzlichen Glückwunsch, Mission erfüllt.“ Er lächelte freudlos, seine stumpfen, grauen Augen lagen unbarmherzig auf mir. Wie konnte ich nur jemals zulassen, dass er mich berührte? Gott…

Langsam griff er in die Hosentasche und holte den Umschlag mit dem Rest des Geldes heraus. „Hier ist die andere Hälfte. Braves Mädchen“, lobte er halbherzig. Stumm starrte ich das Geld an und trat einen Schritt zurück. Dann noch einen, und noch einen- bis ich einen gesunden Sicherheitsabstand hergestellt hatte.

 „Nein“, flüsterte ich dann und schüttelte verstört den Kopf. „Nein, behalt es! Behalt dein Geld und lass mich in Ruhe!“ Matt sah amüsiert zu, wie ich mich einfach umdrehte und auf wackeligen Beinen die Flucht ergriff.

Hölle, was hatte ich verdammt noch mal getan?

„Wir haben ihn.“

 

Cade PoV

 

„Cher, wer war der Typ?“ Ihr Lächeln verrutschte, als sie sich neben mich in den weißen Ledersitz fallen ließ. „Einer meiner ehemaligen Bettgenossen. Hat sich erledigt“, erwiderte sie knapp und so lässig wie möglich, bevor sie ungewohnt verschwiegen an ihrer Unterlippe herumkaute. Irgendwas stimmte mit diesem Mädchen einfach nicht! Unglaublich, wie fremd sie mir geworden war.

Ich zuckte die Schultern. Vielleicht war es wirklich nur einer ihrer Exfreunde. Und wenn schon- in dieser Sparte ihres Lebens hatte ich wenig zu melden.

„Gib Gas“, fauchte sie so unerwartet, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Chris gehorchte auf’s Wort und drückte das Gaspedal durch.

Die Jungs fuhren erst Cher, dann mich Nachhause. „Bis morgen“, rief ich ihr zu, als sie schon ausgestiegen war und richtung Haus lief. Aber sie hörte mich gar nicht.

„Schon was von Jason gehört?“, wollte ich wissen, als Chris auch schon wieder losgedüst war.

Clay schüttelte den Kopf. „Cade, er antwortet auch nicht auf unsere Nachrichten. Wahrscheinlich hat sein Handy kein Akku mehr.“ Ich seufzte- ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache.

Ich sah aus dem Fenster und bemerkte, dass wir vor meinem Haus standen.

„Bis morgen“, brummte ich resigniert und schlug die Autotür zu, um auf die Haustür zu zujoggen. Schnell schloss ich auf, schlich die Treppe hoch und schloss mich in meinem Zimmer ein.

Ich war hundemüde, aber an Schlaf war nicht zu denken. Zum wiederholten Male nahm ich mein Handy hervor und checkte das Display.

 

Keine neuen Nachrichten

 

Frustriert stöhnte ich auf und schnappte mir mein Buch vom Nachtisch. Was sollte ich bitte davon halten, wenn er mir eine Liebeserklärung machte (bei Jason McCann musste das echt was heißen), und mir dann nicht mal eine Nachricht schreiben konnte?

Ich seufzte und schloss die Augen.

 

„Wach auf, Honey“, schrie meine Mum. Ich drehte mich im Bett um und wollte schon wieder die Augen schließen, als es mir dämmerte. „Mum“, rief ich, kletterte ungeschickt aus dem Bett und trampelte die Treppe hinunter. „Du bist wieder da“, strahlte ich und fiel ihr um den Hals. Sie lachte und deutete auf die frischen Pancakes. „Iss erst mal was!“

Ich gehorchte und musterte sie neugierig. „Ich hab’ dich vermisst, Mum! Wieso bist du wieder hier?“ Sie lächelte verhalten.

„Während du mit Cher unterwegs warst, habe ich mich gestern mit deinem Vater getroffen und wir haben gesprochen. Du weißt schon…“

Ich sah sie erleichtert an. „Du ziehst wieder ein?“ Sie nickte und begann, die Pfanne abzuwaschen. Gott, wie ich ihre Pancakes vermisst hatte. „Ja. Es war während meiner Ausbildung und ich kann verstehen, dass er sich einsam gefühlt hat. Aber noch einmal, und er hat mich gesehen“, bemerkte sie mit warnendem Ton und schnappte sich das Geschirrtuch.

Ich nickte eifrig. Wenigstens war jetzt das Thema Elterndrama abgehakt!

Nachdem ich drei der flachen Teigdinger mit viel Blaubeersauce verdrückt hatte, sprintete ich nach oben und schlüpfte in Jeans und Shirt.

„Bis dann, Mum“, rief ich und lief auf Austins Mercedes zu, während ich meine Haare durch das Gummi zwängte. Wie immer stand er pünktlich bereit, um mich zur Schule zu bringen.

„Morgen“, flötete ich, alsbald ich die Tür offen hatte, und krallte mir den Gurt. Austin sah nur ernst aus der Frontscheibe, wendete den Wagen und fuhr los. In die falsche Richtung, wohl bemerkt. Was war bitte los?

„Austin, zur Schule geht’s da lang“, erinnerte ich ihn verdutzt. „Du gehst nicht zur Schule. Du kommst zu uns Nachhause.“ „Sag mal, bist du high? Ich muss zur Schule“, fauchte ich leicht genervt. Was sollte denn jetzt dieser Bullshit! Er war doch nicht mehr ganz dicht!

„Das geht nicht. Wir müssen etwas mit dir besprechen“, seufzte er und sah plötzlich ziemlich erschöpft aus. Alarmiert zog ich die Brauen hoch. „Besprechen? Was denn… hat Jason angerufen?“

Er antwortete nicht und driftete in die Einfahrt von Jasons Anwesen. „Du bist doch bescheuert“, schnaubte ich und wir stiegen unisono aus. „Wenn was mit Jason ist, dann sag es mir jetzt“, bat ich und stolperte ihm hinterher. Er blies genervt die Backen auf. „Halt einfach ’nen Moment die Klappe, okay?“, fuhr er mich an. Ich ließ mich nicht mehr so leicht abschrecken. Vor allem, da solche böse Bemerkungen bei den Jungs zum Alltag gehörten.

Ich sollte also einfach hinnehmen, dass dieser Arsch mich hier festhielt, statt in die Schule zu fahren?

Noch bevor ich Schuhe und Jacke loswerden konnte, wurde ich ins Wohnzimmer gezogen, wo mich drei ernst dreinblickende Gestalten empfingen. Das sah nach einem ziemlich ernsten Anlass aus.

„Ich will wissen, was hier los ist!“ Ich stemmte die Hände in die Hüften und funkelte alle vorwurfsvoll an. Austin setzte sich zu den Anderen.

„Wir… Jeremy hat angerufen. Er fragt, wo McCann ist.“ Ich rollte die Augen.

„Na in Kanada, bei ihm!“ Chris schüttelte genervt den Kopf. „Jeremy hat nachgefragt, Cade. Jason McCann war nie an Bord eines Flugzeugs nach Kanada.“ Mir wurde schwindelig.

„Was soll das bitte bedeuten?“ Meine Beine zitterten so sehr, dass ich auf Jasons rotem Lieblingssessel platz nehmen musste.

Sie sahen alle bedrückt aus. „Das bedeutet, dass wir nicht wissen, wo genau McCann gerade ist.“

Scheiße“, flüsterte ich…

Was hatte Jason jetzt schon wieder vor?

 

McCann PoV

 

Ich stöhnte auf und versuchte mich daran zu erinnern, wie ich mir den Kopf gestoßen haben könnte. Ich erinnerte mich nur daran, auf dem Weg zum Flughafen gewesen zu sein- dann wurde alles schwarz.

Ich versuchte mir an den vor Schmerz pochenden Kopf zu greifen. Was zum… Welcher verdammte Idiot hatte meine Hände an einen Stuhl gefesselt?

Sofort schlug ich die Augen auf und nahm die Umgebung in mich auf. Gedimmtes Licht, in jeder Ecke muskelbepackte Riesen mit Knarren- das konnte nur eins bedeuten. Ich fluchte. Ich hatte keine Zeit für diesen Kinderkram, ich sollte eigentlich in Kanada sein! Welches Datum hatten wir heute?

Hatte die Verhandlung schon begonnen? Hätte ich schon wieder zurück sein sollen? Verflucht, Cade machte sich bestimmt wieder Sorgen!

„Na, na, na. Das sind aber böse Worte, McCann.“ Ich drehte meinen Kopf nach rechts und verengte die Augen.

„Was soll denn das werden“, fragte ich spöttisch und betrachtete seine Truppe leicht belustigt. „Nach was sieht’s denn aus, Bastard“, spuckte O’Shea erbost. „Sieht so aus wie ein Raum voller hässlicher Arschgesichter. Willst du das wirklich tun, O’Shea?“ Ich lächelte mitleidig, während er seine Hände zu Fäusten ballte und mich boshaft nieder starrte.

„Du willst mich also wirklich ‚entführen’ und mir ‚weh tun’?“, grinste ich und musterte ihn herablassend. Was für ein Vollidiot.

„Wär’ besser für dich, wenn du die Fresse hältst, McCann“, meinte eine andere, mir bekannte Stimme. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und lächelte sarkastisch.

„Na bravo. Hässlon hat Freunde gefunden, herzlichen Glückwunsch“, bemerkte ich ruhig und betrachtete Olive mit gehobener Augenbraue. Wusste ich’s doch, dass man der Schlampe nicht trauen konnte!

„Und jetzt, was wollt ihr? Rache? Weil ich jemanden gefunden habe, der mich mehr liebt als dich?“, bemerkte ich und musterte Olive angewidert. Dann wandte ich mich an O’Shea. Dieser verfluchte Arsch.

„Und du, weil ich dein Kind und deine hässliche Freundin elendig habe verrecken lassen“, ich leckte mir genüsslich über die Lippen, „kurz nachdem ich ihr das Hirn rausgevögelt habe?“

„Halt die Klappe, McCann“, brüllte O’Shea böse und donnerte mir die Faust ins Gesicht. Ich spuckte das Blut aus, welches sich in sekundenschnelle in meinem Mund gesammelt hatte. Das war gar nichts- in diesem Business konnte man in fast jeder Mission mit solch einem Schlag rechnen.

„Mal sehen ob du immer noch so große Töne spuckst, wenn wir dein Mädchen erst mal hierher bestellt haben“, lächelte er böse. Ich schluckte hart und schloss die Augen.

Nein, nicht Cade. „Lasst sie da raus“, knurrte ich. Nur der Gedanke, dass sie hier war, ließ mich durchdrehen. O’Shea lachte bloß gönnerhaft.

Dieses elendige Schwein! Wenn er auch nur daran dachte, mein Mädchen anzufassen oder sie zu belästigen, dann gnade ihm Gott, würde ich ihm den hässlichen Schädel wegballern. Ich hatte versprochen sie zu beschützen, ich hatte es mir selber versprochen.

Ich stellte mir ihr unschuldiges Gesicht vor und biss die Zähne zusammen.

„Bitte“, fügte ich mit brüchiger Stimme hinzu…

 

Final I

Chapter Thirty Eight

 

Cadens PoV

 

„Hast du sie nicht mehr alle oder was?“, blaffte ich in den Hörer und rieb mir erschöpft den Schlaf aus den Augen. Wieso um alles in der Welt rief mich Sean um sechs Uhr morgens an?

„Zeit für Schule, Kleine“, erwiderte er amüsiert. „Vergiss es“, erwiderte ich kurz und angebunden. Der hatte sie doch nicht mehr alle!

„Ich stehe pünktlich um acht vor deiner Tür. Wenn du nicht bereit bist, brech ich die Tür auf und schleppe dich mit“, kündigte er drohend an.

Ich stöhnte genervt auf, würgte ihn ohne ein weiteres Wort ab und starrte erschöpft die kleinen Lichtpunkte an der Decke an.

Genau eine halbe Stunde bevor Sean’s Anruf mich eben erreicht hatte, war ich endlich eingeschlafen- nachdem ich mich die ganze Nacht im Bett herumgewälzt hatte. Noch immer kein Lebenszeichen von Jason, und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt! Ich war kurz vor’m Durchdrehen. Es war nun definitiv bestätigt worden, dass Jason nicht in Kanada war.

Ich schälte mich schwerfällig aus der Decke, kletterte aus dem Bett und stolperte im Halbdunkel ins Bad, wo ich das Licht anmachte und mir die verschwitzten Strähnen aus dem Nacken strich.

Unbarmherzig musterte ich mein Spiegelbild und verzog angesäuert den Mund. „Cadens Montgomery, du siehst beschissen aus“, betitelte ich mich selbst und ließ die Hüllen fallen, bevor ich mich unter die Dusche stellte und nachdachte.

Wusste Jason, was er mir damit anstellte? Nicht zu wissen wo er war machte mich wahnsinnig- ich hoffte nur, dass es ihm gut ging. Ich war abhängig von ihm, seit ich jede freie Minute mit ihm verbracht hatte. Alles drehte sich nur um ihn. Es war ungesund und es machte mir Angst, aber es war zu spät, um es zu ändern.

Ich erinnerte mich an die Nacht, bevor er abgereist war.

 

„Jason?“, frage ich leise und sehe auf unsere verflochtenen Finger. Ich liege halb auf ihm und fahre mit meiner freien Hand gedankenverloren seine beeindruckenden Bauchmuskeln nach. Wir liegen nackt in unser Laken gehüllt und ich will einfach nicht einschlafen weil ich weiß das er nicht mehr da ist, wenn ich aufwache.

Er wird auf dem Weg nach Kanada sein.

„Ja?“, ertönt seine raue, dunkle Stimme, die mir leichte Stromstöße  über den Rücken jagt und die Härchen auf meinen Armen zu berge stehen lässt. Er streicht über meinen Arm und ich habe mühe, mich zu konzentrieren, wenn er mich so ansieht.

Er wirft mir ein schiefes Lächeln zu, was mein Herz dazu veranlasst, wehmütig zu pochen. Gott, er zerreißt mich innerlich, er hat ja keine Ahnung! Ich schlucke.

„Was, wenn du nicht mehr zurück kommst? Ernsthaft.“ Ich beiße auf die Innenseite meiner Wange und weiche seinem Blick aus. Ich weiß, dass ich ihn mit dieser Frage schon mehrmals belästigt habe, aber ich habe auch nie eine richtige Antwort bekommen!  Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht- ich bin sicher, dass er hört, wie mein Herz viel zu laut gegen meine Brust schlägt. Seine schwarzen Augen funkeln unberechenbar auf mich herab und ich glaube, er denkt ernsthaft darüber nach.

„Babe, ich hab dir doch schon gesagt…“ Er scheint nach Worten zu suchen. „Das wird nicht passieren“, meint er dann schlicht. Ich versuchte meine Enttäuschung zu verbergen. Das ist mir nicht genug.

 „Versprich es mir“, verlange ich flüsternd und sehe ihm auffordernd in die Augen. Er drückt meine Hand und sieht zur Seite. Manchmal würde ich alles geben, um in seinen Kopf sehen zu können um zu sehen, was ihm vorgeht. Er scheint mit sich zu kämpfen und ich schweige ungeduldig, bis er die Stimme wieder hebt.

„Ich verspreche…“, er stockt kurz, „ich schwöre, dass ich wieder zurückkomme.“ Er blickt auf mich herab und die Härte aus seinen Gesichtszügen verschwindet.

„Und jetzt schlaf“, befiehlt er beinahe schroff.

Ich gehorche verwirrt.

 

Das eiskalte Wasser aus der Brause vermischte sich mit meinen Tränen, die unaufhörlich heiß und salzig über meine Wangen schlichen. Zitternd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper und dachte nicht daran, die Wassertemperatur hochzustellen.

Er hatte mir geschworen, dass er mich nicht im Stich ließ, dass er wieder zurückkam. Und wo war er jetzt? Irgendwo am Arsch der Welt!

„Honey, aufstehen“, brüllte Mum hoch, als ich schon aus der Dusche war. Schnell hatte ich mich abgetrocknet, angezogen, und war geschminkt. Das Resultat sah genau so scheiße wie vorher aus, aber das kümmerte mich nicht.

Leise schlich ich nach unten und setzte mich still an meinen Platz, wo ich lustlos in den Pancakes herumstocherte.

Der Appetit war mir vergangen.

Mum sah mich erschrocken an und legte den Pfannenwender zur Seite.

„Cade, du siehst aus wie ein Geist“, stellte sie fest. „Ist alles okay?“ Nein.

„Ja“, log ich, stand auf und ließ sie verdutzt stehen. Ich hatte keinen Bock, ihr zu sagen, was los war. Sie wartete doch nur darauf, dass ich ihr erzählte, wie Jason einfach abgehauen war.

Damit sie mir ihren ‚Ich-Habs-Dir-Doch-Gleich-Gesagt’- Vortrag runterleiern konnte? Nein, aber nein danke!

Ich verzog mich wieder nach oben, um mir die Zähne zu putzen. Nachdem ich mir die Umhängetasche über der Stuhllehne geschnappt hatte, ging ich nach unten.

Mum sah mir argwöhnisch zu, wie ich in die Winterstiefel und den roten Mantel schlüpfte und aus der Haustür lief. Draußen schlug mir die beißende Kälte entgegen. Scheiß Winter! Ich machte, dass ich in den Mercedes kam, der wie versprochen bereitstand.

„Ich hatte schon das Brecheisen griffbereit.“ Ich schnaubte finster.

Leck mich, Sean!

Wegen ihm durfte ich heute zur Schule, ich fand das überhaupt nicht witzig!

Er fuhr mich schweigend zum Gelände der Pacific High, wo ich aus dem Wagen hüpfte und Cher mit versteinerter Miene entgegenlief. „Cade, was ist denn los?“, fragte sie alarmiert, als sie mich sah. Sah ich so schlimm aus?

Ich winkte schwach ab, aber sie wäre nicht Cher, wenn sie es dabei belassen hätte. Ungeduldig zerrte sie mich zur Mädchentoilette.

„Wir haben Mathe“, versuchte ich sie abzuwimmeln. Ich hatte keine Lust, sie mit meinem Liebesleben zu belasten, wo sie Jason doch sowieso nicht so sehr zu mögen schien.

Sie verdrehte die Augen und stieß die graue Tür auf! „Ist mir doch scheißegal. Verpisst euch“, fauchte sie ein paar Mädchen aus den unteren Jahrgängen an, die sich sofort verkrümelten. Sie sah mich durchdringend aus ihren grünen Augen an. „Cade, du kannst immer mit mir reden, okay? Ich bin für dich da, das weißt du.“ Irgendwo in ihr sah ich immer noch die gute alte Cher und ich war plötzlich verdammt froh, sie wiederzuhaben.

„Du bist die Beste“, schniefte ich und sie sah mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle. „Wieso heulst du jetzt?“

Ich musste ihr alles erzählen, auch wenn sie Jason nicht mochte! Ich setzte bereits an, als mein Telefon klingelte.

Mein Herz überschlug sich von Null auf Hundert. Was, wenn es Jason war? Ich sah aufs Display und keuchte erschrocken auf, als ich ihn auf dem Display sah! Er hatte mir schon eine ganze Weile mit seinen Nachrichten in Ruhe gelassen und ich war überrascht, dass er sich ausgerechnet jetzt wieder meldete. Ich kniff die Augen zusammen und wurde plötzlich so wütend auf ihn! Er sollte mich in Ruhe lassen.

„Ich hab keine Zeit für dich, Matt“, knurrte ich in den Hörer. Cher neben mir versteifte sich- konnte ich gut verstehen. Sie hatte Matt zwar nur einmal zur Gesicht bekommen, aber das war offenbar genug gewesen. Er war super gruselig!

„Cadens“, hörte ich Jasons Stimme. Mein Mund klappte auf. „Jason?“, flüsterte ich mit geweiteten Augen und schluckte einige Male leer. Meine Hände begannen zu schwitzen… Ich war so erleichtert von der Tatsache, dass er noch lebte, dass ich beinahe vergaß, wie man atmete. Aber wieso hörte sich seine Stimme so gepresst an?

„Ich liebe dich.“ Ich brach in Tränen aus; ich war endgültig am Ende! Zwei Tage nichts und dann das! „Jason, wo bis…“

Er unterbrach mich: „Komm nicht hierher, Cade! Hast du gehört“, bettelte er und ich hatte ihn noch nie so verzweifelt und panisch gehört. Irgendwas stimmte hier nicht! Wenn ich damals gewusst hätte, dass es das Letzte war, was ich von ihm hören würde…

„Wieso, was ist…“ Ich hörte nur ein Krachen, und wie Jason schmerzerfüllt aufstöhnte. „Halt die Klappe, McCann!“ Oh Gott, nein!

Mir wurde erst jetzt bewusst, dass Jason mich über Matt’s Handy erreicht hatte. Was heißen musste, dass er bei ihm war. Deshalb war er nicht in Kanada. Dieses Arschloch hatte ihn entführt! Ich stützte mich am Becken ab und biss die Zähne zusammen, um nicht wegzukippen.

„Also gut, Kleine, hör zu. Ich und McCann lassen hier ’ne kleine Party steigen und wir fänden es einfach perfekt, wenn du dich dabei zu uns gesellst“, informierte Matt vergnügt. Ich hörte wie Jason ihm ein paar böse Beleidigungen an den Kopf warf. „Wirst du wohl still sein“, zischte Matt und wieder hörte ich, wie Jason vor Schmerz aufstöhnte. „Nein“, wimmerte ich.

„Also, nur um mich klarer auszudrücken: Wenn du nicht hierher kommst, werde ich McCann die Visage wegblasen“, fuhr er freundlich und ruhig fort. Ich schnappte nach Luft.

„Aber wenn du kommst, dann lassen wir ihn gehen. Na, wie hört sich das an?“ „Das hört sich so an, als wolltest du mich verarschen“, erwiderte ich schwach. Er ließ Jason doch niemals freiwillig gehen, jetzt wo er ihn hatte! Cher sah mich mittlerweile ängstlich an und kaute nervös auf ihren Nägeln.

„Keine Sorge, ich stehe zu meinem Wort. Ich habe kein Interesse an McCann. Also, kommst du?“ Mein Herz raste. Er schnurrte die Adresse in den Hörer.

„18 Uhr. Wenn du die Polizei oder irgendjemand mitbringst, lasse ich ihn verrecken. Verstanden?“ „Ja“, erwiderte ich mit brüchiger Stimme, während mir die Tränen weiterhin über die Wangen liefen.

 

„Ich verspreche…“, er stockt kurz, „ich schwöre, dass ich wieder zurückkomme.“ Er blickt auf mich herab und die Härte aus seinen Gesichtszügen verschwindet.

„Und jetzt schlaf“, befiehlt er beinahe schroff.

 

Matt legte ohne ein weiteres Wort auf. Er wusste, dass ich kommen würde. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich aus der Toilette stürzte. „Cade, verdammt! Was machst du nur, du kannst doch jetzt nicht zu Matt! Das ist Teil seines Planes, denkst du wirklich, er ist so dumm und lässt McCann frei? Cadens, bleib doch stehen!“ Ich hörte nicht hin. Es interessierte mich nicht, wie hirnrissig die ganze Scheiße war, ich musste zu Jason. Ich musste ihn retten, und zwar so schnell wie möglich!

„Cade, er wird euch beide umbringen“, schrie sie verzweifelt…

 

McCann PoV

 

Alles schmerzte.

In Gedanken zählte ich die Sekunden, um mein Zeitgefühl nicht zu verlieren.

Ich drehte durch, während das altbekannte Erstickungsgefühl so heftig zunahm, dass mir schwarz vor Augen wurde. Alles drehte sich- ich war nach vorne gebeugt, den Blick auf den Boden geheftet, während das Schwindelgefühl die Überhand gewann, sodass ich mich auf nichts Anderes denken konnte.

Wieso hatte ich diesen Bastard nicht eher verrecken lassen? Wieso hatte ich ihm nicht damals auf dem Friedhof einfach die Kugel gegeben? Dann wäre es gar nicht so weit gekommen!

Der Schweiß rann mir kalt den Rücken hinab, während ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Es war, als hätte mein Körper Feuer gefangen, welches sich nun wie ätzendes Gift in meinem Körper ausbreitete. Ich hatte Angst- schlimmer noch, ich hatte Panik und kämpfte permanent gegen das Ohnmachtgefühl an.

Es ging verdammt noch mal um meine Cade, mein Mädchen! Wenn ich nur daran dachte, dass er sie zu sich holte… Ich ballte die Hände zu Fäusten, spannte den Kiefer an und versuchte mein schmerzendes Gesicht zu ignorieren.

Fieberhaft durchforstete ich mein Gehirn nach einer Lösung, während sich meine Brust heftig hob und senkte.

„Ist das nicht aufregend? Unsere eigene kleine Party“, grinste O’Shea dreckig. Ich hob den Kopf und durchbohrte ihn flehend. 

„Bitte, ich tu alles was du willst, aber lass Cade da raus. Bitte!“  Ich fühlte mich elendig und zitterte am ganzen Körper- ich musste aus diesem Albtraum erwachen! Ich hatte es gewusst, die ganze Zeit. Ich hatte gewusst, dass ich Cade irgendwann in Gefahr brächte. Die Gefahr war so verdammt hoch gewesen! Und trotzdem hatte ich mich auf sie eingelassen, hatte mir meine verfickte Schwäche zugelegt. Wie konnte ich nur so bescheuert sein? Ich war so wütend auf mich selbst.

„Siehst du, und schon hast du deine große Klappe weggepackt.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin wirklich enttäuscht, McCann, dass du glaubst, ich lasse sie da raus. Was erwartest du von mir, huh? Nachdem du mir alles genommen hast, was ich besaß?“, spuckte er. Was für ein verdammtes Arschloch. Ich kniff die Augen zusammen und schluckte, nicht länger fähig, meine Wut unter Kontrolle zu halten. Es musste irgendeinen Weg geben!

Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie hierherkam? Verdammt hoch…

„Enrico, sobald die Kleine hier ist, packst du dir McCann und schaffst ihn hier raus. Dann brauchen wir ihn nicht mehr.“ Ich knurrte zornig auf und warf ihm einen wütenden Blick zu, den er nicht einmal beachtete.

„Und jetzt warten wir, meine Schöne“, wandte er sich an Olive und setzte sich auf einen verstaubten Sessel. „Was hast du mit Cade vor?“, fragte ich aus zusammengebissenen Zähnen. Ich musste einfach fragen.

„Lass das mal meine Sorge sein“, winkte er belustigt ab. Es machte ihm wohl Spaß, zuzusehen, wie ich langsam an meine Grenzen kam. Aber dieser Wichser spielte viel zu weit über seinem Limit. Er konnte überhaupt nicht gewinnen. Wenn ich mich doch nur befreien könnte! Ja, was dann? Ich sah mich um, beäugte all die Riesen mit ihren Knarren. Hoffnungslos.

Scheiße.

„Sie ist hier.“ Ich riss panisch die Augen auf.

 

Cade PoV

 

Ich schluckte.

„Du schaffst das. Wir holen dich da raus, ich verspreche es dir.“

Ich sah Sean zweifelnd an. War es richtig gewesen, sie einzuweihen? „Wir warten hier draußen. Los, bevor er denkt, du hättest ihn versetzt“, drängte er.

Ich atmete tief durch und fuhr mir durch die braunen Haare. Zitternd ging ich auf das große Gebäude zu und drückte die Plane zum Eingang weg- Matt hatte mir alles genau beschrieben.

Ich hustete, als ich in den staubigen Raum gekrochen kam. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fand ich die Tür, welche ich zögernd aufmachte. Wahrscheinlich führte sie in den Gang.

Meine Augen weiteten sich erschrocken, als ich den Riesenkerl mit der Knarre sah, der direkt gegenüber der Tür stand sah.

Ich hätte mich am liebsten auf der Stelle übergeben. Ich hörte den Kerl leise und böse lachen, bevor er mir grob in die Haare griff. „Da ist unsere Prinzessin“, knurrte er und drückte mir den Lauf der Knarre in den Rücken. „Komm mit.“

Ich stolperte den unbeleuchteten Gang entlang, vorbei an einigen Türen. Eine davon stieß er auf und wir standen in einer heruntergekommenen, nicht besonders großen Halle.

„Cadens! Na endlich“, lächelte Matt sarkastisch und erhob sich. Er war der Einzige im Raum. Der Riese stieß mich grob in den Raum. Ich presste ängstlich die Lippen aufeinander und sah mich um.

„Was? Denkst du, ich habe mein Wort nicht gehalten?“ Er lächelte amüsiert. „McCann ist schon lange draußen, aber das macht mir keine Mühe. Er wird sowieso wieder kommen, um dich zu holen. Aber setz dich doch.“ Er deutete auf einen Stuhl. Ich rührte mich nicht. Matt runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. „Baby, wir können das jetzt auf die harte oder weiche Tour durchziehen. Du wirst auf diesen Stuhl sitzen, hast du mich verstanden?“

Seine Stimme wurde etwas schärfer und ich zuckte zusammen, bevor ich mich langsam auf dem Stuhl niederließ. Matt strahlte mich an.

„Geht doch. Ich bin wirklich froh, dass uns deine kleine Freundin… wie hieß sie noch mal? Cheryl?“ Ich riss die Augen auf. Woher kannte er verdammt noch mal ihren Namen? Hatte er ihr was angetan? Oh die arme Cher!

„Ohne sie, hätte ich das nie geschafft. Schade, dass du nie dazu kommen wirst, dich bei ihr zu bedanken.“ Ich schluckte hart. Cheryl hatte ihm geholfen? Meine beste Freundin?

 

„Cade, verdammt! Was machst du nur, du kannst doch jetzt nicht zu Matt! Das ist Teil seines Planes, denkst du wirklich, er ist so dumm und lässt McCann frei? Cadens, bleib doch stehen!“

 

Ich schluckte die Tränen hinunter. Wie konnte sie mir das nur antun?

„Du warst der Junge vor dem Kino“, flüsterte ich mit belegter Stimme. Jetzt ergab alles einen Sinn! Wie konnte sie mir das nur antun!

Matt zuckte gleichgültig die Schultern. „Und wenn schon. Jetzt ist es zu spät.“

„Weißt du, es ist eine Schande. Du wärst so ein schönes Mädchen.“ Er ließ seinen Blick lüstern über meinen Körper wandern. Ich fühlte mich unwohl und entblößt unter seinem stechenden Blick.

„Wirklich schade. Du weißt, wem du das alles zu verdanken hast?“ Ich biss mir auf die Lippen, nicht sicher, was er meinte.

„Jason hat deine Familie umgebracht. Genau wie du seine.“ Matt verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Findest du nicht, er hatte es verdient?“ Ich zitterte noch immer. Die Panik durchflutete mich, und ich war irritiert. Hatte er mich hierher bestellt, damit ich mit ihm plauderte?

„Er hat gesagt, es war es ein Versehen!“ Ich hätte Matt’s Reaktion nicht so heftig erwartet: Er packte mich an den Haaren zu zog mich zu sich hin. Outch!

„Hör zu, Miststück. Du weißt rein gar nichts“, zischte er. Ich riss die Augen auf und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, in dem ich nach ihm trat. Er holte aus und ich spürte nur noch ein Brennen auf der Wange, während mein ganzer Körper zur Seite sackte. Holy shit, das tat weh!

„Wage es nie wieder, mich schlagen zu wollen“, knurrte er. Ich spuckte ihm wütend ins Gesicht. „Du brauchst mir gar nichts zu…“

Ich brach abrupt ab, als er mir erneut ins Gesicht schlug. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht armselig aufzuheulen. Verdammt, wieso konnte ich nie meine Klappe halten?

„Weißt du, was ich mit McCanns Schlampe von einer Mutter gemacht habe?“, lächelte er genüsslich und ich ächzte ob dem brennenden Schmerz, der sich auf meiner Kopfhaut ausbreitete. Wollte er mir den Haarschopf mit bloßen Händen abreißen?

Er wartete nicht auf eine Antwort. „Gefickt habe ich sie, bevor ich sie Stück für Stück habe sterben lassen.“ Er lächelte teuflisch, der Ausdruck auf seinem Gesicht war irre. Würde ich jetzt sterben? Wahrscheinlich. Ich hatte es mir anders vorgestellt zu sterben. Wenigstens war Jason in Sicherheit.

„Noch ein paar letzte Worte?“ „Psychopathisches Arschloch“, zischte ich.

Woher dieser plötzliche Mut kam, wusste ich nicht. Aber es war mehr Fluch als Segen. Seine Augen wurden einen Tick dunkler und er funkelte mich wütend an.

„Schlampe“, schimpfte er und stieß mich zu Boden. „Muss ich dir zeigen, wie nutzlos du bist?“

Ich war, abgesehen von dem einen Mal mit Dad, noch nie in meinem Leben geschlagen worden. Deshalb traf mich der Schmerz jetzt doppelt so hart und betäubte mich. Heilige Scheiße.

Er presste seinen Mund auf meinen und packte mich grob an den Oberarmen damit ich bewegungsunfähig war. Ich fühlte mich leer, als er mein Shirt heben wollte. Aber bevor seine Hand meine nackte Haut berühren konnte, wurde er von mir weggeschleudert.

„Wenn du sie auch nur einmal anfasst, du verdammter Bastard.“ Ich sah erschrocken auf und mein Herz zog sich zusammen vor Glück und Schmerz. Jason stellte sich zwischen ihn und mich. Ich war noch nie so froh gewesen, seine Stimme zu hören. Jetzt würde alles gut werden, oder?

Ich bemerkte, wie meine Sicht trüber wurde und sträubte mich gegen das schwarze Loch, dass mich einzusaugen drohte. Nein, nein, nein! Ich durfte jetzt nicht das Bewusstsein verlieren. Ich versuchte mich aufrecht zu halten, aber keine Chance.

Meine Augen schlossen sich von selbst und mein Körper gehorchte mir nicht mehr, als ich zu Boden glitt…

 

Final II

 Chapter Thirty Nine

 

Cade PoV

 

Ich schluckte.

„Du schaffst das. Wir holen dich da raus, ich verspreche es dir.“

Ich sah Sean zweifelnd an. War es richtig gewesen, sie einzuweihen? „Wir warten hier draußen. Los, bevor er denkt, du hättest ihn versetzt“, drängte er.

Ich atmete tief durch und fuhr mir durch die braunen Haare. Zitternd ging ich auf das große Gebäude zu und drückte die Plane zum Eingang weg- Matt hatte mir alles genau beschrieben.

Ich hustete, als ich in den staubigen Raum gekrochen kam. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fand ich die Tür, welche ich zögernd aufmachte. Wahrscheinlich führte sie in den Gang.

Meine Augen weiteten sich erschrocken, als ich den Riesenkerl mit der Knarre sah, der direkt gegenüber der Tür stand sah.

Ich hätte mich am liebsten auf der Stelle übergeben. Ich hörte den Kerl leise und böse lachen, bevor er mir grob in die Haare griff. „Da ist unsere Prinzessin“, knurrte er und drückte mir den Lauf der Knarre in den Rücken. „Komm mit.“

Ich stolperte den unbeleuchteten Gang entlang, vorbei an einigen Türen. Eine davon stieß er auf und wir standen in einer heruntergekommenen, nicht besonders großen Halle.

„Cadens! Na endlich“, lächelte Matt sarkastisch und erhob sich. Er war der Einzige im Raum. Der Riese stieß mich grob in den Raum. Ich presste ängstlich die Lippen aufeinander und sah mich um.

„Was? Denkst du, ich habe mein Wort nicht gehalten?“ Er lächelte amüsiert. „McCann ist schon lange draußen, aber das macht mir keine Mühe. Er wird sowieso wieder kommen, um dich zu holen. Aber setz dich doch.“ Er deutete auf einen Stuhl. Ich rührte mich nicht. Matt runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. „Baby, wir können das jetzt auf die harte oder weiche Tour durchziehen. Du wirst auf diesen Stuhl sitzen, hast du mich verstanden?“

Seine Stimme wurde etwas schärfer und ich zuckte zusammen, bevor ich mich langsam auf dem Stuhl niederließ. Matt strahlte mich an.

„Geht doch. Ich bin wirklich froh, dass uns deine kleine Freundin… wie hieß sie noch mal? Cheryl?“ Ich riss die Augen auf. Woher kannte er verdammt noch mal ihren Namen? Hatte er ihr was angetan? Oh die arme Cher!

„Ohne sie, hätte ich das nie geschafft. Schade, dass du nie dazu kommen wirst, dich bei ihr zu bedanken.“ Ich schluckte hart. Cheryl hatte ihm geholfen? Meine beste Freundin?

 

„Cade, verdammt! Was machst du nur, du kannst doch jetzt nicht zu Matt! Das ist Teil seines Planes, denkst du wirklich, er ist so dumm und lässt McCann frei? Cadens, bleib doch stehen!“

 

Ich schluckte die Tränen hinunter. Wie konnte sie mir das nur antun?

„Du warst der Junge vor dem Kino“, flüsterte ich mit belegter Stimme. Jetzt ergab alles einen Sinn! Wie konnte sie mir das nur antun!

Matt zuckte gleichgültig die Schultern. „Und wenn schon. Jetzt ist es zu spät.“

„Weißt du, es ist eine Schande. Du wärst so ein schönes Mädchen.“ Er ließ seinen Blick lüstern über meinen Körper wandern. Ich fühlte mich unwohl und entblößt unter seinem stechenden Blick.

„Wirklich schade. Du weißt, wem du das alles zu verdanken hast?“ Ich biss mir auf die Lippen, nicht sicher, was er meinte.

„Jason hat deine Familie umgebracht. Genau wie du seine.“ Matt verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Findest du nicht, er hatte es verdient?“ Ich zitterte noch immer. Die Panik durchflutete mich, und ich war irritiert. Hatte er mich hierher bestellt, damit ich mit ihm plauderte?

„Er hat gesagt, es war es ein Versehen!“ Ich hätte Matt’s Reaktion nicht so heftig erwartet: Er packte mich an den Haaren zu zog mich zu sich hin. Outch!

„Hör zu, Miststück. Du weißt rein gar nichts“, zischte er. Ich riss die Augen auf und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, in dem ich nach ihm trat. Er holte aus und ich spürte nur noch ein Brennen auf der Wange, während mein ganzer Körper zur Seite sackte. Holy shit, das tat weh!

„Wage es nie wieder, mich schlagen zu wollen“, knurrte er. Ich spuckte ihm wütend ins Gesicht. „Du brauchst mir gar nichts zu…“

Ich brach abrupt ab, als er mir erneut ins Gesicht schlug. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht armselig aufzuheulen. Verdammt, wieso konnte ich nie meine Klappe halten?

„Weißt du, was ich mit McCanns Schlampe von einer Mutter gemacht habe?“, lächelte er genüsslich und ich ächzte ob dem brennenden Schmerz, der sich auf meiner Kopfhaut ausbreitete. Wollte er mir den Haarschopf mit bloßen Händen abreißen oder…?

Er wartete nicht auf eine Antwort. „Gefickt habe ich sie, bevor ich sie Stück für Stück habe sterben lassen.“ Er lächelte teuflisch, der Blick auf seinem Gesicht war Irre. Würde ich jetzt sterben? Wahrscheinlich. Ich hatte es mir anders vorgestellt zu sterben. Wenigstens war Jason in Sicherheit.

„Noch ein paar letzte Worte?“ „Psychopathisches Arschloch“, zischte ich.

Woher dieser plötzliche Mut kam, wusste ich nicht. Aber es war mehr Fluch als Segen. Seine Augen wurden einen Tick dunkler und er funkelte mich wütend an.

„Schlampe“, schimpfte er und stieß mich zu Boden. „Muss ich dir zeigen, wie nutzlos du bist?“

Ich war, abgesehen von dem einen Mal mit Dad, noch nie in meinem Leben geschlagen worden. Deshalb traf mich der Schmerz jetzt doppelt so hart und betäubte mich. Heilige Scheiße.

Er presste seinen Mund auf meinen, packte mich grob an den Oberarmen, damit ich bewegungsunfähig war. Ich fühlte mich leer, als er mein Shirt heben wollte, aber bevor seine Hand meine nackte Haut berühren konnte, wurde er von mir weggeschleudert.

„Wenn du sie auch nur einmal anfasst, du verdammter Bastard.“ Ich sah erschrocken auf und mein Herz zog sich zusammen vor Glück und Schmerz. Jason stellte sich zwischen ihn und mich. Ich war noch nie so froh gewesen, seine Stimme zu hören. Jetzt würde alles gut werden, oder?

Ich bemerkte, wie meine Sicht trüber wurde und sträubte mich gegen das schwarze Loch, dass mich einzusaugen drohte. Nein, nein, nein! Ich durfte jetzt nicht das Bewusstsein verlieren. Ich versuchte mich aufrecht zu halten, aber keine Chance.

Meine Augen schlossen sich von selbst und mein Körper gehorchte mir nicht mehr, als ich zu Boden glitt…

 

McCann PoV

 

Ich fing sie auf, bevor sie auf den Boden knallen konnte. Besorgt betrachtete ich ihr viel zu blasses Gesicht, dass von Schrammen und bläulichen Flecken übersäht war. Ich wurde verdammt wütend- mehr als das. Was hatte dieser Hurensohn mit ihr angestellt? Schnell legte ich sie zu Boden und sah zu, wie  O’Shea aufrappelte. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr“, lächelte er.

„Na, gefällt sie dir? Wäre sicher ein netter Fick geworden. Ich hätte der Schlampe endlich mal beigebracht, wie man es einem Kerl richtig besorgt.“

Dieses Arschloch. Ich war mit zwei Schritten bei ihm und donnerte meine Faust in seine hässliche Visage. Das hatte er verdient!

Er hatte sie angefasst, er hatte es gewagt, ihr Schmerzen zuzufügen. Das würde er bitter bereuen!

 „Verdammter. Bastard. Ich. Bring. Dich. Um“, knurrte ich und drückte seine Kehle zu, bis er blau anlief.

Ich wollte ihn ersticken, wollte endlich, dass das ein Ende hatte!

Aber ich war nicht darauf vorbereitet, dass er eine Knarre hatte. Er tastete in seiner hinteren Hosentasche, zog das Teil hervor und hob es an meinen Kopf, während ich meinen Griff verstärkte. Scheiße!

Ich riss die Augen auf.

„Jetzt sind wir quitt, huh?“, röchelte er. Es verstrichen mehrere Sekunden, in denen wir uns hasserfüllt anstarrten.

Dann hörte ich den Schuss. Ich wartete auf den Schmerz, der in meinem Kopf explodieren sollte. Stattdessen sackte Matt in sich zusammen und lag reglos vor mir.

Das Blut rann aus seiner Brust- was zum...

Ich sah mich um und erblickte Olive, welche die Pistole immer noch zitternd auf Matt gerichtet hatte. Ihr Blick begegnete meinem.

„Bring sie hier raus! Schnell“, flüsterte sie und nickte auf Cade. Ich schluckte leer und sah auf meine Uhr.

 

„Ich gehe da rein und hole sie.

Santiago kommt gleich mit der Ware…

Eine halbe Stunde, Leute. In einer halben Stunde zündet ihr die Bombe, egal ob ihr nun wisst, ob ich es geschafft habe oder nicht. Kapiert? Eine halbe Stunde.“

Die anderen nicken.

 

Noch drei Minuten. Schnell gabelte ich Cade auf.

„Beeil dich! In drei Minuten fliegt hier alles in die Luft“, rief ich Olive dringlich zu. Sie stand da, als wären ihre Füße in den Boden zementiert… Fuck! Ich packte ihre Hand und versuchte mit Cade im Gepäck den Gang entlang zu rennen.

Ich hörte wie mir das Blut in den Ohren rauschte und zählte die Sekunden. Wir mussten es einfach schaffen! Ich lief auf das Fenster zu, durch das ich hineingeklettert war, und zog mich daran hoch.

59, 58, 57…

Dann blickte ich auf Olive hinunter, die Cade im Arm hielt. „Gib sie mir hoch. Vorsichtig…!“ Ich hob Cade’s schlaffen Körper durchs Fenster.

„Jetzt du. Mach schon, Liv“, drängte ich und streckte ihr die Hände entgegen. Aber sie schüttelte nur den Kopf und trat vom Fenster zurück. Was zum…

„Wir haben nicht genug Zeit! Renn, McCann! Bringt euch hier weg! Na mach schon!“

Ich warf ihr einen letzten Blick zu, bevor ich rannte. So schnell ich konnte.

3, 2, 1…

Der Boden bebte während die markerschütternd laute Bombe hoch ging. Ich rannte weiter, bis uns die Schockwelle von hinten erreichte und zu Boden riss.

Santiago hatte ziemlich viel von dem Zeug in die Bombe getan! Ich musste mich nicht umsehen um zu wissen, dass die ganze Bude fackelte.

Schnell rappelte ich mich wieder auf und lief weiter, mehrere Meter.

Bis ich dort angekommen war, wo ich hinwollte, und Cade auf den Boden legte.  

Ich strich ihr die Haare aus der Stirn und betrachtete sie.

Es war meine Schuld. Meine Schuld, dass es so weit gekommen war. Sie hätte sterben können! Verdammt, sie war so kurz davor gewesen…

So etwas durfte nie wieder geschehen. Ich war zu gefährlich für sie!

 

„Gut. Und wenn die Bombe hochgegangen ist, ruft ihr die Bullen von meinem Handy aus. Macht es gleich danach kaputt, verstanden? Und dann rennt ihr weg, so schnell es geht!

Ich komme nach, nachdem ich Cade irgendwo hin gebracht habe, wo man sie findet. Alles klar?“

Wieder nicken die Jungs.. Ich drehe mich um und renne in Richtung Lagerhalle.

 

„Ich liebe dich“, flüsterte ich ihr zu.

Ich warf einen letzten Blick auf Cadens, drehte ihr den Rücken zu und lief in den Wald, wo mich die Dunkelheit verschluckte...

 

 

Epilogue

 

Epilog

 

Bitteschön, meine Geschichte.

Nachdem ich im Krankenhaus aufgewacht war und mich schon gewundert hatte, wo er denn steckte…

Er hatte sein Versprechen gebrochen, als hätte es ihm nichts bedeutet. Nun war er weg und hatte bloß einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.

Es schien so, als hätte er mir etwas Wichtiges gestohlen, als er ohne Abschied aus meinem Leben verschwunden war. Und ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er mich verlassen würde. War nicht darauf vorbereitet gewesen, sein Haus leer vorzufinden. Kein Lebenszeichen mehr, keine Nachricht. Er war einfach verschwunden und hatte alles mitgenommen und es war fast so, als hätte er nie existiert. Und für mich war eine Welt zusammengebrochen.

Alles in Schutt und Asche, mein Leben kam mir wie ein einziger Scherbenhaufen vor. Das Gefühl, dass etwas Schweres auf meine Brust drückte und die Erstickungserscheinungen blieben konstant. Ich war verletzt aber allen voran verwirrt. Ich kam nicht zu recht ohne ihn, ich war orientierungslos. Es war wie das Gefühl, als er eine Woche weg war. Nur um mehrere hundert Male intensiver und mit dem Gewissen, dass er diesmal nicht zurückkam.

Müde schlurfte ich in die Klasse und setzte mich alleine in die hinterste Ecke. Ich presste die Lippen aufeinander. Noch immer warfen mir meine Mitschüler verstohlene Blicke zu.

Cher setzte sich an ihren gewohnten Platz neben mich und sah mich aus ihren grünen Augen an. Ich hätte ihr die Augen auskratzen sollen, sie anschreien oder zumindest wegschicken sollen, aber ich war zu erschöpft. Also ließ ich es zu, dass sie mich in den Arm nahm.

Ich hatte keine Lust vor allen anderen zu heulen, wo ich das doch sowieso schon genug Zuhause tat. Stattdessen löste ich mich und blickte nach vorne.

Der Unterricht begann. Zerstreut irrten meine Augen herum nach etwas, was sich zur Ablenkung eignete.

Apathisch wanderte mein Blick aus dem Fenster über den Parkplatz. Ich blinzelte gegen die Sonne und starrte auf den Platz, wo sein Auto immer gestanden hatte.

Mein Herz machte einen Sprung und ich lächelte- etwas von dem ich gedacht hatte, es nie wieder tun zu können. Das war doch…

Ungläubig riss ich die Augen auf und schnappte nach Luft.

Ich stand auf und lief an meinen verdutzten Mitschülern vorbei, hinaus in den Flur, um dem empörten Gezeter des Lehrers zu entgehen.

Das Glück durchströmte mich und benebelte meine Sinne und hatte plötzlich das Gefühl, nicht schnell genug zu sein. Und ich bekam Panik, dass er wieder weg war, wenn ich unten angekommen wäre!

Ich begann zu rennen, die Gänge entlang zu stolpern. Meine Sicht verschwamm und mein Herz drohte vor Aufregung aus der Brust zu springen.

Atemlos stieß ich die schwere Tür auf, trat ins Freie und… stand plötzlich vor ihm. Mein Brustkorb hob und senkte sich, während ich ihn genau in Augenschein nahm, jedes Detail in mir aufsaugte. Er war hier, er war zurückgekommen!

„Jason“, flüsterte ich tonlos.

Und er breitete seine Arme aus, um mich in Empfang zu nehmen…

 

Jason McCann entsprach nicht deinem typisches „Boyfriend“ -Ideal.

Er war eher entspannt. Ruhig. Die meiste Zeit jedenfalls. Er würde deine Hand nicht halten, so wie es andere tun- er hielte zwei oder drei Finger, und würde es dabei belassen. Wenn er zur „Arbeit“ ginge –wie er es gerne nannte- würde er deine Aufmerksamkeit darin erlangen, indem er zu dir hin liefe. Er würde dein Gesicht grob, aber auf eine sanfte Art in seine Hände nehmen, damit du ihn ansähest.

Und er würde sagen: „Ich gehe. Warte nicht auf mich.“

Er würde ohne ein weiteres Wort gehen. Du wüsstest nicht genau, wann er zurück käme. Ob er zurück käme. Aber bis jetzt tat er es doch immer.

Wenn seine Arbeit in stresste, würde er dich zu sich rufen, nur um dich um sich zu haben. Er würde dir nicht viel Aufmerksamkeit schenken, aber deine bloße Präsenz würde ihn beruhigen.

Und wenn es zu viel würde, platzierte er dich auf seinem Schoss, während er seine Zigarette rauchte, um seine Nerven zu beruhigen.

Er würde es bemerken, wenn du ihn dabei anstarrtest. Und dann würde er lächeln- böse, lauernd, auf eine Weise, die dir Schauer über den Rücken jagen würde. Er würde mit seiner rauen Hand deine Lippen öffnen, und den Rauch langsam von seinem in deinen Mund wandern lassen.

Wenn du hustetest, würde er leise lachen; rau und spöttisch, bevor er dir einen Kuss auf die Stirn drückte.

Wenn er alleine mit dir wäre, würde er neben dir auf der Couch sitzen- meist am Telefon- während du einen Film startetest. Es würde ihn nicht interessieren was du tätest, oder wie du dich an ihn kuscheltest. Du würdest deinen Kopf auf seine Schulter legen, auf seine Knie vielleicht. Es würde ihn nicht interessieren.

Du würdest dich an ihn kuscheln, aber er würde nicht zurück kuscheln. Das höchste was er täte, wäre einen Arm um dich zu legen. Aber es machte dir nichts aus. Eigenartigerweise mochtest du die Dinge so wie sie waren.

Wenn die Nacht käme, würdest du das Fenster offen lassen und dich nicht davon abhalten lassen, deine nächtliche Routine durchzuführen. Spät- nach Mitternacht- wenn du schon im Halbschlaf wärst, würde er, Jason, durchs Fenster klettern, um nach dir zu sehen. Er würde es sich auf deinem Bett bequem machen, und dich an sich ziehen.

Dein Rücken wäre an seine Brust gepresst, während du in einen tiefen Schlaf glittst.

 Wie du... nein, wie wir alle wissen, trug er seine Gefühle nicht sehr offen mit sich herum. Und wenn es zu dem ‚Ich liebe dich’-Part kam, wärst du die Einzige, die es aussprechen würde.

Aber er würde nur seine Lippen gegen deine Stirn pressen, um dir auf seine eigene Weise sagen, was er für dich empfände.

Ja. Er hatte Probleme, mit romantischen Gefühlen. Er hatte keine Probleme mit Eifersucht.

Und.

Wut.

Wenn Jason je einen anderen Jungen mit dir reden sähe, würde er seine Wut zurück beißen. Er würde kein Wort von sich geben- er würde dich nur besitzergreifend küssen und ging sicher, dass der Junge es gesehen hatte. Damit ihm, jedem, der ganzen Welt klar war. Wem du gehörtest.

Wenn Jason auf dich wütend war, würde er nie seinen Ton heben. Er würde ruhig reden, der Klang seiner Stimme immer angepisster, je mehr die Konversation außer Kontrolle geriet.

Dann würde er aufstehen und sich seinen Weg zu dir bannen, immer näher, bis dein Rücken gegen die Wand gepresst war. Und es kein Entkommen mehr gab. Es würde den Rauch seiner Zigarette in dein Gesicht blasen, und dir leise murmelnd klar machen, wer hier das sagen hatte.

Aber wenn es deine Zeit zum reden war, würde er seine Faust in die Wand donnern, nur Millimeter von deinem Gesicht entfernt. Du sähest die Angst in seinen Augen. Dass er dir- wenn er sich nicht kontrollierte- in irgendeiner Weise körperlich weh tun könnte. Auch wenn es klar war, dass er dazu nie in der Lage wäre.

Danach würde er das Haus verlassen, um euch beiden Zeit zu geben, euch zu beruhigen. Und dann, irgendwann, würde er zurückkommen.

Und ihr würdet so tun, als wäre nichts gewesen.

Manchmal war es schwer. Es war kompliziert. Er. War kompliziert. Aber du würdest ihn niemals verlassen. Niemals.

Denn du gehörtest ihm. Permanent.

Jason McCann.

 

ENDE

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Leser.

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