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Prolog

Planet New Century

21. Mai 2142

 

Wie ein Ring umschloss die Stadt New Century den gleichnamigen Planeten. Sie war in einem langen Streifen entlang des Äquators gebaut worden und es gab mehrere Raumhäfen. Kilometerweit gab es auf dem Planeten viel unbebautes Land, das wertvolle Ressourcen lieferte. Es gab riesige Ölvorkommen, die dicht unter dem Erdboden lagen und so leicht gefördert werden konnten.

Dieser Planet war im Jahre 2141 zur neuen Heimat geworden, nachdem die Erde nicht mehr genug Nahrung und Rohstoffe für alle Menschen liefern konnte. Da die Bevölkerung nur aus den ehemaligen Bewohnern der Länder USA, Kanada und Mexiko bestand, würden die Ressourcen des bislang unberührten neuen Planeten noch für viele Milliarden Jahre reichen. Das hatte den positiven Effekt, dass Wirtschaftsgüter quasi verschenkt wurden. Der Benzinpreis sank auf ein Rekordtief von 10 Cent pro Liter. Es gab so viel Obst und Gemüse, dass man den Preis erhöhen musste, um die hohe Nachfrage zu senken.

Der Planet verzeichnete ebenfalls eine Arbeitslosenquote von null Prozent. Allein schon für die Ernte der riesigen natürlichen „Vorräte“ wurden unzählige Arbeiter benötigt. Die Regierung des Planeten musste Geld nachdrucken um überhaupt den Wert der neuen Güter in Geld zu verwandeln. Bis das Handelssystem des Planeten ins Rollen kam, wurden Waren einfach getauscht.

Es gab mehr Gold auf dem Planeten als man überhaupt lagern konnte. Das meiste Gold wurde in den Banken gelagert, kleinere Mengen standen in den Privatwohnungen der Bürger herum. Der größte Anteil aber war in einem großen Bunker unter dem Regierungsgebäude gelagert.

Da der Planet ursprünglich ein reiner Vergnügungsort sein sollte, gab es nur Hotels und Casinos. Diese wurden kurzerhand zu Wohnungen oder Häusern umfunktioniert. Selbst das Regierungsgebäude war ehemals ein Casino, das im venezianischen Baustil errichtet wurde. Vor dem Gebäude gab es einen großen runden Springbrunnen, dessen Wasserfontänen per Computer gesteuert wurden. Der Computer bildete mit den Fontänen eine einstudierte Choreographie, die wie ein Kunstwerk auf die Zuschauer wirkte.

Das Gebäude hatte vierzig Stockwerke und auf allen Etagen waren reich verzierte Teppichböden verlegt worden. In der Eingangshalle wurden die runden Säulen mit purem Gold veredelt. Eine provisorische Besucherkontrolle mit Metallscannern und bewaffneten Wachposten war ebenfalls eingerichtet worden. Im Erdgeschoss gab es auch mehrere Besprechungsräume. Hierzu stellte man vorübergehend schalldichte Trennwände auf, denn das Erdgeschoss bestand ehemals nur aus einem Raum, in dem die Spielautomaten und -tische gestanden hatten.

In den oberen Stockwerken befanden sich die Büros der Politiker. Einige der Räume waren allerdings zu klein weil sie ursprünglich nur als einfache Hotelzimmer vorgesehen waren. Deshalb wurden bei den umfangreichen Umbaumaßnahmen ein paar Wände eingerissen, um aus zwei kleinen Räumen einen großen Raum zu machen. Im Keller des Gebäudes gab es ein weit verzweigtes Kabelnetzwerk, welches die Server mit Strom versorgte. Die Server dienten verschiedenen Zwecken für die Gebäude in der näheren Umgebung und dem Regierungsgebäude selbst.

Da die weiteste Entfernung zwischen zwei Orten in der Stadt 4000 Kilometer betrug, brauchte man ein zuverlässiges und schnelles Nahverkehrssystem. Es wurde in der Rekordzeit von 12 Monaten eine Einschienenbahn gebaut, die fast den kompletten Planeten umspannte. Wenn der Zug nicht an jeder Station hielt, konnte er die Umkreisung des Planeten in drei Stunden schaffen. Dies war nur möglich weil die Bahn mit dreifacher Lichtgeschwindigkeit fuhr.

Alle Haltepunkte der Bahn waren Bedarfshalte. Jeden zweiten Kilometer gab es eine Station, was sich somit auf der 6800 Kilometer langen Strecke auf 3400 Bahnhöfe summierte. Damit ein Fahrgast signalisieren konnte, dass er beim nächsten Bahnhof aussteigen wollte, gab es ein ausgeklügeltes System. Wenn er sich am Bahnhof eine Fahrkarte am Automaten kaufte, musste er dabei den Zielort angeben. Nach dem Kauf der Fahrkarte wurde dem nächsten Zug signalisiert, dass ein Fahrgast an dem Bahnhof wartete. Sobald der Zug in den Bahnhof eingefahren war und der Fahrgast durch die Lichtschranke der Sicherheitsschleusen ging, die den Bahnsteig vom Gleis trennten, schlossen sich die Türen und der Zug fuhr los. Die Lichtschranke hatte den Zielort erfasst und der Zug hielt am gewünschten Bahnhof an.

Die Umsetzung dieser technischen Raffinesse war trotzdem noch mit Hindernissen verbunden. Bisher war nur etwa die Hälfte der Strecke zweigleisig gebaut worden. Da wo es eingleisig weiter ging wurden Weichen und Kontaktgeber gebraucht, damit die Züge nicht zusammenstießen. Wegen der hohen Geschwindigkeit durften die Züge nur von Computern gesteuert werden. Die Wahrscheinlichkeit eines technischen Versagens war immer noch geringer als die eines menschlichen Versagens.

Es gab in der Stadt nur drei Straßen. Die Hauptstraße, eine Rettungsgasse für Einsatzfahrzeuge und eine steile, abschüssige Straße die zu einem See führte wo es Restaurants und Diskotheken gab. Hier gab es auch einen Yachthafen, der in ein paar Tagen mit einer großen Feier eröffnet werden sollte. Bis zur Feier stand nur die Yacht von Gustav Winter, dem Firmenchef von Winter Industries, im Hafen. Winter Industries hatte den Hafen errichtet und die Straße zum See gebaut.

Jack Christopher war ein 30 Jahre alter Mann, der 12 Jahre lang für das amerikanische Militär gearbeitet hatte. Nachdem er bei einem Zeitreiseunfall schwer verletzt wurde, wurde er vom Militärdienst befreit und bekam vom Staat eine Rente, die so hoch war, dass er bis an sein Lebensende nicht mehr arbeiten musste. Da das Zeitreiseprojekt jedoch streng geheim war, wurde seine Freistellung mit einer geistigen Krankheit begründet und der Unfall verschwiegen.

Ohne Arbeit langweilte sich Jack den ganzen Tag. Jack hatte sich einen Bart wachsen lassen und nur die Wangen rasiert. Früher hatte er nie Barthaare wachsen lassen sondern alle Stoppeln sofort abrasiert. Doch seitdem er nicht mehr beim Militär war, hatte er sich verändert.

Sein bester Freund war Pete Gumbell. Pete war der Erfinder der Zeitmaschine gewesen und sein Spitzname war „Professor“. Nachdem das Zeitreiseprojekt wegen des Unfalls eingestellt worden war, verlor Pete seine Arbeit beim Militär. Denn Pete hatte keine Kampfausbildung gemacht und nur wenig Kampferfahrung. Er war beim Militär nur ein Ingenieur gewesen und die einzige Person, die die Zeitmaschine bedienen konnte. Zwar hatte bereits sein Urgroßvater Paul Gumbell die Zeitmaschine entwickelt aber nur er war tatsächlich in der Lage gewesen, die Zeitmaschine zu benutzen.

Seine Erfahrung als Ingenieur beim Militär hatte ihm nach dem Ende des Zeitreiseprojekts geholfen, schnell eine neue Arbeit zu finden. Pete war jetzt für die Wartung der Server im Regierungsgebäude zuständig. Aber auch nebenbei wurde er von Privatpersonen für Aufträge herangeholt.  Überall auf dem Planeten schätzte man seine gute Arbeit und so war er viel mit der Bahn unterwegs.

Unbekannter Weltraum

Das Mutterschiff Australia hatte die Völker von Australien und Neuseeland an Bord. Sie waren immer noch auf der Suche nach einem geeigneten Planeten, der genug Nahrung hatte und dessen Atmosphäre für Menschen erträglich war. Langsam gingen ihnen die letzten Vorräte aus. Bald mussten sie einen Planeten finden, sonst würden alle an Bord verhungern. Inzwischen hatten sie unerforschten und  nicht kartographierten Weltraum erreicht. Es war gefährlich, in unbekannte Regionen zu steuern, da ungeahnte Gefahren auftauchen konnten. Kristallnebel, Sonnenstürme oder Minenfelder waren noch das geringste Problem, da man sie schon aus weiter Entfernung sehen konnte.

Die zwei größten Gefahren waren schwarze Löcher oder feindliche Spezies. Schwarze Löcher konnte man oft erst dann sehen wenn es schon zu spät war. Kein Raumschiff der Welt konnte sich der Anziehungskraft eines schwarzen Lochs entziehen, sobald es in Reichweite war. Feindliche Spezies waren völlig unberechenbar. Auf wie viele Schiffe würde man stoßen? Über welche Waffen verfügten sie? Niemand konnte es wissen.

Im Cockpit des Mutterschiffes saßen die Navigatoren, der Kapitän und der Kommandant. Der Kommandant stand auf und ging unruhig hin und her. In dieser Galaxis war es leer. Sie hatten bisher nur zwei Monde und eine kleine Sonne gesehen. Doch sie würden mindestens zwei weitere Tage brauchen, um in die nächste Galaxis zu fliegen.

Plötzlich rief einer der Navigatoren: „Captain! Das müssen Sie sich ansehen!“

Der Kommandant und der Kapitän gingen zum Navigator. Jeder der 10 Navigatoren überwachte einen anderen Sektor rund um das Schiff. Durch die Größe des Mutterschiffes war es unmöglich, die Raumüberwachung mit nur einem Navigator zu erledigen.

Navigator: „Creeky! Das ist ein Mutterschiff!“
Kapitän: „Können Sie die Kennung erkennen?“
Navigator: „Nein Sir! Wir sind noch zu weit weg.“
Kommandant: „Versuchen Sie das Schiff anzufunken.“
Navigator über Funk: „Hier spricht die RMS Australia. Wenn mich jemand hören kann, bitte identifizieren Sie sich!“

Der Lautsprecher des Funkgerätes blieb stumm. Das andere Schiff antwortete nicht.

Navigator (Funk): „Sie befinden sich in Funkweite und wir brauchen eine Identifizierung. Melden Sie sich!“
Kapitän: „Die Triebwerke des unbekannten Schiffes sind ausgeschaltet.“
Kommandant: „Oder zerstört. - Fliegen Sie uns so nah wie möglich heran, wir schauen uns das erst einmal von außen an.“

Mit dem riesigen Mutterschiff so genau zu navigieren war schwierig. Sie näherten sich bis auf 500 Meter aber weniger war nicht möglich. Jetzt standen sie parallel zum anderen Schiff. Der Navigator rief sich nacheinander jeweils die Bilder der Backbordkameras auf seinen kleinen Bildschirm. Diese Kameras dienten der Orientierung, wenn das Schiff durch eine schmale Gasse fliegen musste oder der Landeplatz sehr schmal war. Schließlich hatten sie eine Kamera gefunden, die den Schriftzug auf dem fremden Schiff im Bild hatte.

Der Navigator las den Schriftzug auf dem fremden Schiff vor: „Iberia.“
Kommandant: „Das ist das Mutterschiff der Spanier und Portugiesen. Funken Sie sie noch einmal mit der Kodierung an.“
Kapitän: „Verstehen diese Leute überhaupt Englisch?“
Kommandant: „Wenn sie kein Englisch verstehen, dürfen sie nicht fliegen. Erste und wichtigste Regel in der interstellaren Raumfahrt. – und Sie wollen Kapitän sein!?“
Navigator (Funk): „Hier spricht die RMS Australia. Raumschiff Iberia, bitte antworten Sie.“

Es kam noch immer keine Antwort.

Kapitän: „Das Schiff ist vollkommen unversehrt. Keine Einschusslöcher und nur wenig Schmutz. Es gibt auch keine Anzeichen eines Feuers an Bord. Selbst die Kratzer sind nur klein und spärlich gesät. Entweder waren es nur kleine Asteroiden oder das ist beim Einparken passiert.“
Kommandant: „Finden Sie das etwa lustig? (zum Navigator) Halten Sie das Schiff in Position. Wir werden ein Team mit einem kleinen Frachtlader an Bord schicken. Sie sollen nachsehen, ob es Überlebende gibt und diese dann an Bord holen. Wenn es keine Überlebenden gibt, sollen sie so viel Nahrung einsammeln wie sie finden beziehungsweise tragen können.“

Frachtlader übernahmen im Weltraum die Arbeit, die am Boden von Gabelstaplern oder Lieferwagen erledigt wurden. Da einige Schiffe zu groß waren um an den Handelsstationen im Weltraum anzudocken, brauchte man kleinere Transportfahrzeuge, damit die Ware verladen werden konnte. Außerdem konnten so Waren von havarierten Raumschiffen auf andere Raumschiffe umgeladen werden.

Während der Frachtlader mit der Besatzung den Hangarbereich des Mutterschiffes verließ und sich der Iberia näherte lauschten alle Menschen an Bord gespannt über die Lautsprecher, was draußen geschah. Es gab keine Kamera um das zu sehen, was die Rettungsmannschaft sah. Deshalb war es nötig, dass die Soldaten genauestens beschrieben, was sie sahen.

Soldat (über Funk): „Wir docken jetzt mit der Iberia an. Der Hangar ist dunkel. Nur die Notbeleuchtung ist angeschaltet.“

Man hörte ein Grollen und unmittelbar danach ein dumpfes Geräusch. Der Frachtlader hatte im Hangar der Iberia aufgesetzt.

Soldat (Funk): „Aus unserem Cockpit können wir noch niemanden sehen. Jetzt verlassen wir den Frachtlader.“

Es gab eine kurze Sprechpause, in der man nur die Schritte der Soldaten hörte. Dann verstummten die Schritte und der Soldat schwieg weiterhin.

Kommandant: „Lieutenant Dinkum? Hören Sie uns noch? Können Sie beschreiben was Sie sehen?“
Mit einer deutlich nervöseren Stimme antwortete der Soldat über Funk: „Hier liegen überall Leichen. Ohne Zweifel sind es Besatzungsmitglieder. Aber ich sehe keine Bisswunden oder andere Verletzungen und sie sehen auch nicht abgemagert aus. “
Kommandant: „Gehen Sie weiter. Vielleicht finden Sie irgendeinen Hinweis, was hier geschehen sein mag.“

Wieder vergingen Minuten, in denen nur die Schritte und lauten Atemgeräusche zu hören waren. In den engen Anzügen und unter dem Helm fiel das Atmen schwer.

Soldat (Funk): „Ich glaube, ich habe einen Hinweis gefunden. Hier liegt eine Leiche in Zivilkleidung. Die Verletzungen und die Lage deuten daraufhin, dass die Person gestürzt ist. (nach einer weiteren Pause) – und offensichtlich wurde sie zu Tode getrampelt! Mehrere Fußabdrücke sind auf Gesicht und Körper. Soweit ich das beurteilen kann, sind diese Abdrücke von Soldatenstiefeln und teilweise auch von normalen Schuhen. Ein Abdruck sieht sogar aus wie von einem hochhakigen Schuh.“
Kapitän: „Wenn sie verhungert wären, wären sie zu entkräftet gewesen, um noch jemanden zu Tode zu trampeln. Das ergibt doch keinen Sinn!“
Kommandant: „Sie sind auch nicht verhungert. Was der Soldat beschreibt, deutet eher daraufhin, dass sie vor irgendwas geflüchtet sind. In der Panik ist die Person gestürzt und von der flüchtenden Masse zertrampelt worden.“
Kapitän: „Aber vor was sind sie geflüchtet? Es gibt keine Verletzungen und keine Bisswunden!“
Jetzt meldete sich ein Navigator zu Wort: „Ich habe mal von einer tragischen Geschichte gehört, die so ähnlich verlief. Ein Forschungstrupp hat wochenlang im leeren Weltraum Galaxien kartographiert. Die Tristesse des Weltalls hat sie in den Wahnsinn getrieben. Sie glaubten, von einer Alienspezies attackiert worden zu sein, die sich an Bord geschlichen hatte. Aber sie hatten sich dies alles nur eingebildet und fast die komplette Besatzung hat sich schließlich im Wahn gegenseitig getötet oder Selbstmord begangen. Die restlichen Überlebenden schafften es zurück zur Erde. Man analysierte die Überwachungskameras aber von außerirdischem Leben, dass die Besatzung attackierte, war nichts zu sehen. Die Leichen wurden dann in der Autopsie untersucht und es bestätigte sich dabei, was man vermutet hatte. Alle tödlichen Verletzungen waren von anderen Menschen oder von der Person selbst zugefügt worden. Im Fleisch steckten Munitionskugeln, die allesamt aus menschlichen Produktionen stammten.“
Kommandant: „Nur gibt es einen kleinen feinen Unterschied zur Situation der Iberia. Die Besatzung der Iberia hat keine äußeren  Verletzungen und die Leichen sind auch nicht voller Blei. Auch ein Ausfall des Sauerstoffsystems lässt sich ausschließen, da das panikartige Todtrampeln ebenfalls nicht in dieses Szenario passt. – (über Funk) Nehmen Sie auf keinen Fall Vorräte auf solange wir nicht wissen, was die Besatzung getötet hat! Versuchen Sie, an die Aufnahmebänder der Überwachungskameras zu gelangen und dann kehren Sie zurück zu unserem Schiff.“

Nach etwa 10 Minuten meldete sich der Soldat des Rettungsteams erneut über Funk.

Soldat (Funk): „Wir konnten zwei Überwachungskameras ausfindig machen und die Bänder entnehmen. Befinden uns nun auf dem Rückweg, aber wir haben noch eine weitere Entdeckung gemacht. Einer der Erste-Hilfe-Kästen ist merkwürdig deformiert. Die Klappe ist nach außen gebeult. So als hätte etwas, das drinnen war, versucht sich aus dem Kasten zu befreien.“

Als das Rettungsteam zur Australia zurückgekehrt war, wurden die Aufnahmen der Überwachungskameras analysiert. Aber das Bild blieb während der gesamten Wiedergabe schwarz. Zuerst glaubte man, der Computer hätte bloß Probleme, den Film wieder zu geben. Doch als man sich die Negative unter der Lupe genauer anschaute, stellte man fest, dass der komplette Film tatsächlich pechschwarz war.

 

Das große Feuer

London, England

01. September 1666

 

Das London im 17. Jahrhundert war eine Stadt, in der Brände eine große Gefahr waren. Es existierten noch immer die römischen Stadtmauern. Zwar war die Stadt bereits über die Mauern hinaus gewachsen aber der historische Stadtkern befand sich innerhalb der Mauern. Man schätzte, dass diese Mauern seit dem späten 2. Jahrhundert schon existierten. Im Jahre 457 schützten die Mauern gegen die angreifenden Sachsen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Teile der Mauern eingerissen aber den zweiten Weltkrieg und The Blitz, einen mehrtägigen Bombenangriff der Nazis, überlebte die Mauer. In der Neuzeit existierten nur noch wenige Teile der Mauern und eine Straße namens London Wall.
Im historischen Stadtkern existierten noch viele Holzhäuser. Zwar war der Bau von Holzhäusern vom Bürgermeister verboten worden, doch da innerhalb der Mauern viele arme Leute lebten und Holz ein billigeres Baumaterial als Stein war, musste der Bürgermeister ein Zugeständnis machen und den Bau beziehungsweise die Erhaltung von Holzhäusern weiterhin erlauben.

Innerhalb der Stadtmauern befanden sich viele Arbeitsstätten. Hier gab es unter anderem Gießereien, Schmieden und Glaser. In vielen Gebäuden der Innenstadt wurde mit Feuer gearbeitet. Bürger sorgten mit offenen Kaminen und Kerzen für Wärme und Licht.

Die Fachwerkhäuser Londons hatten außerdem eine Besonderheit. Auf Straßenhöhe waren die Häuser relativ schmal und hatten genügend Abstand zu angrenzenden Gebäuden, aber die oberen Stockwerke waren als sogenannte „Jetties“ über den Grundriss hinaus gebaut worden. Meistens ragten diese Jetties so weit hinüber, dass nur eine schmale Lücke zwischen einem Haus und dem nächsten Haus war. Außerdem lagerten im Keller vieler Häuser noch große Mengen Schwarzpulver vom letzten Bürgerkrieg.

Die berühmte London Bridge war anders als ihr modernes Gegenstück der Gegenwart. Sie war aus Stein und wurde 1209 fertiggestellt. Ein kleiner Teil der Brücke ließ sich hochziehen, um größeren Segelschiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Doch sie war eine Todesfalle, denn auf der Brücke waren Häuser aus Holz errichtet worden. Bereits im Jahre 1212 war ein Feuer an beiden Enden der Brücke gleichzeitig ausgebrochen und hatte die Menschen auf der Brücke eingeschlossen. Im Jahre 1632 wurden bei einem Brand mehrere Gebäude auf dem nördlichen Teil der Brücke zerstört und nicht wieder aufgebaut worden. Deshalb fehlten an dieser Stelle 1666 die Häuser.

Im mittelalterlichen London gab es bereits eine frühe Form der Brandbekämpfung. Es gab Spritzenwagen auf Pferdefuhrwerken, die von fünf Feuerwehrleuten bedient werden mussten. Außerdem hatte die Stadt ein ausgeklügeltes System, dass quasi eine Frühform des modernen Hydranten war.  London hatte ein weit verzweigtes Röhrensystem mit Anschlüssen für jedes Haus. Das Wasser kam aus einem Wasserturm in Cornhill. Die Röhren konnten bei Bedarf geöffnet werden um Schläuche anzuschließen oder Eimer mit Wasser zu füllen. Man konnte theoretisch auch eine Menschenkette von der Themse in die Innenstadt bilden, um Wasser vom Fluss zum Feuer zu bringen.

Da es im 17. Jahrhundert noch keine Rauchmelder gab und auch das Telefon erst deutlich später erfunden wurde, griff man auf andere Möglichkeiten zurück, um ein Feuer frühzeitig zu erkennen. Es gab in der Stadt mehrere Wächter, die nachts die Stadt patrouillierten. Wenn ein Feuer gesichtet wurde, rannte man zu einer von 88 Kirchen und alarmierte den Glockenschläger, der die Glocken läuten ließ und so die Feuerwehr alarmierte.

In der Pudding Lane gab es eine kleine Familienbäckerei, die Thomas Farriner gehörte. Nach einer lang anhaltenden Dürre und eines langen heißen Sommers waren die Gebäude und Straßen staubtrocken. Es war kurz vor 20 Uhr und Thomas wollte an diesem Tag pünktlich Feierabend machen. Er schaute nachdenklich aus dem Ladenfenster auf die schmale Straße, die nur wenig befahren war weil sie weit abseits der Hauptstraßen lag. Ein Pferdefuhrwerk hielt direkt vor der Tür des Hauses der Familie Farriner. Im Erdgeschoss waren die Bäckerei und im Obergeschoss die Schlafgemächer. Der Kutscher stieg ab und betrat den Laden. Er hatte schwarze Stiefel, eine feine Stoffhose, einen langen braunen Mantel, einen schwarzen Hut und einen Gehstock. Seine Haare waren Grau und als er beim Betreten höflich den Hut abnahm, offenbarte sich eine kahle Stelle am Hinterkopf. In der Hand hielt er eine Ledertasche, die er vor der Ladentheke abstellte. Farriner ging hinter die Theke und schaute dem fremden Herrn in die grauen Augen. Diesen Mann hatte er noch nie in seinem Laden gesehen.

Thomas: „Guten Tag, Sir. Möchten Sie ein Brötchen kaufen? Oder dürstet es Ihnen nach einem frisch gerösteten Kaffee? Unsere Kaffeemühle produziert vorzüglichen Kaffee aus Indonesien. Jeden Freitag kommt ein Schiff aus Java und bringt uns eine Ladung Kaffee. Heute ist Freitag, deshalb sind die Bohnen noch frisch.“
Fremder: „Sie sollten Ihren Laden schließen. Die vielen Feuerquellen und die Tatsache, dass die Innenstadt fast ausschließlich aus Holzhäusern besteht, birgt große Gefahr, dass ein Feuer ausbricht.“

Ohne ein weiteres Wort

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Cover created by © T.K.A-CoverDesign / t.k.alice@web.de // http://tka-coverdesign.weebly.com/font-copyrights.html
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2016
ISBN: 978-3-7396-7990-7

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