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Take me away- take me home XXL Leseprobe

Pia Recht

 

Take Me Away

Take Me Home

 

N e w  A d u l t  R o m a n

 

1

 

Wieder träumte Roper von diesem Rodeo.

Er ritt in die staubige Arena ein, war umgeben von Mittagshitze, dem Schnauben des Pferdes, dem Geruch von Leder und Schweiß. Das Pferd galoppierte an, trug ihn an der Tribüne vorbei, und Ropers Herz raste vor Freude, als er das Grölen des ausgelassenen Publikums hörte. Sie jubelten ihm zu, der Hengst wurde immer schneller.

Im Traum genoss Roper den halsbrecherischen Ritt. Aber wie jedes Mal wandelten sich die Bilder, das Hochgefühl endete abrupt. Sie stürzten.

Der Jubel um ihn herum verstummte.

Das Pferd trat um sich, versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Pure rasende ahnungslose Panik. Die Hufe trafen laut knallend auf Holz.

Erneut gefangen in der Erinnerung an ohnmächtige Verzweiflung, Staub im Mund und in den Augen, mit zitternden Händen kämpfte er sich aus dem Traum. Einige Sekunden lang lag er schweißüberströmt einfach da, hielt die Augen geschlossen. Die Luft war heiß in seinem Zimmer über der Garage, obwohl das Fenster zum Hof weit offen stand. Ein dumpfes Knallen ließ ihn zusammenzucken. Das Pferd trat noch immer um sich.

Roper horchte mit angehaltenem Atem in sich hinein.

Dann erst begriff er. In das unregelmäßige Klopfen unter seinem Fenster mischten sich lachende Kinderstimmen. Ruckartig setzte er sich auf, rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht und griff nach seinem Smartphone.

Viertel nach eins.

Verdammt, dachte er. Können diese kleinen Nervensägen mich nicht einmal ausschlafen lassen?

Auf dem Weg zum Fenster kickte er herumliegende Kleiderbündel mit den nackten Füßen beiseite, trat auf eine dicke Gürtelschnalle und hüpfte fluchend auf einem Fuß weiter. Im Hof saßen die Zwillinge Peter und Charlie in seinem Chevrolet Impala Cabrio. Abwechselnd warfen sie vom Rücksitz aus einen Basketball gegen die Garagenwand, versuchten in den Korb zu treffen, der dort angebracht war. Seit Monaten stand der Impala auf Ziegelsteinen aufgebockt im Hof.

Roper starrte zu den Söhnen seines Bruders hinunter, wandte sich schließlich ab und sah sich suchend in seinem Zimmer um. Kurz danach flog ein alter Turnschuh im hohen Bogen durch das offene Fenster, bis er mit einem satten Knall auf der Kofferraumhaube des Impalas aufschlug.

Augenblicklich verstummte das Kindergeschrei.

Roper verfolgte grinsend, wie die Jungs aus dem Auto sprangen und zum Haus hinüberrannten. Es machte ihm nichts aus, wenn sie in dem Wagen spielten, sie sollten ihn nur ausschlafen lassen. Die kalte Dusche spülte die letzten Erinnerungen des Albtraums weg. Seine Unterkunft über der Garage verfügte über ein Bad, nicht aber über eine Küche, deshalb würde er sich im Kühlschrank seiner Schwägerin Dana bedienen.

Irgendwann schaffe ich es, dachte Roper, während das kalte Wasser über seine Haut rann. Irgendwann kriege ich das alles wieder in den Griff und habe ein eigenes Haus. Ein eigenes Leben. Und kann den Reinfall der Extraklasse in Kalifornien vergessen.

 

Vor Monaten war er zurückgekehrt nach Wyoming, zurück auf die ehemalige Rinderranch seiner Eltern, zurück ins Land der Telefonmasten und hoher Arbeitslosigkeit. Ein Herzliches Willkommen hatte es nicht gegeben. Seitdem lebte er in einem trägen Limbo.

Ohne sich abzutrocknen stieg Roper in Unterhose und Jeans, zog eines der kurzärmeligen Hemden über, das er auf dem Stapel der frisch gewaschenen Kleidung fand. Trotz der Hitze entschied er sich für seine alten ausgetretenen Arbeitsstiefel. Kurz darauf polterte er die knarrende Holztreppe nach unten. Flimmernde Luft empfing ihn.

Er brauchte nur wenige Schritte hinüber zum alten zweistöckigen Ranchhaus. Einst ein prachtvolles zweistöckiges Gebäude, war die Holzfassade nun verwittert, die Fenster zugig, und Regen tröpfelte durchs Dach. Jeden Herbst stiegen er und sein Bruder Allan nach oben, hämmerten Dachziegel fest und klebten Teerpappe auf. Ein mühsamer Kampf gegen den langsamen Verfall.

Hinter Roper schlug die Fliegengittertür zu, und er stand einen Moment lang reglos im düsteren Flur. Kühle Luft und die Erinnerung an seine Kindheit. Er runzelte die Stirn und starrte auf die Familienfotos, die gerahmt an der dunklen Holzvertäfelung hingen. Zeugen der guten alten Zeit, die er wohl nie hinter sich würde lassen können.

Die große Wohnküche befand sich links vom Flur. Roper hörte die Stimmen der Kinder. Er trat ein, bedachte die beiden Jungs und das Mädchen mit einem kurzen Grinsen. Sie sahen von ihren Spielkonsolen auf und grinsten zurück. Der Kühlschrank, ein riesiges altes Monstrum, stand hinter ihnen in der Ecke. Roper bediente sich an dem Rinderbraten und dem Süßkartoffelstampf.

»Und?«, fragte er, ohne sich zum Küchentisch umzudrehen. »Was habt ihr drei vor am Wochenende?«

Es waren Sommerferien, aber Dana mit der ständigen Angst um ihren Nachwuchs hatte etwas gegen das Sommercamp. Besser die Kinder langweilten sich zu Hause in der brütenden Hitze. Caroline, die Jüngste, von allen Cookie genannt, sah ihn erwartungsvoll an und fragte: »Fährst du mit uns Eis essen, Onkel Roper?«

Noch bevor er antworten konnte, hörte er Danas Stimme hinter sich: »Joe, wir haben vor einer Stunde gegessen. Immer bedienst du dich am Kühlschrank ohne zu fragen.«

Mit vollem Mund, in der rechten Hand die Schüssel mit den Süßkartoffeln, drehte Roper sich zu ihr um. Dana, der Eindringling. Sie war selbst als Siebzehnjährige keine High School Ballkönigin gewesen, und Allan behauptete, sie sei ein sanftes Wesen mit einem unauffälligen Äußeren. Dieses sanfte Wesen war Roper allerdings noch nie begegnet. Allans Frau, Mutter von drei Kindern, ließ keine Gelegenheit aus, ihm deutlich zu machen, dass er in diesem Haus unerwünscht sei. Sie war es auch, die sein Zimmer unmittelbar nach seiner Abreise an die Westküste in ein Gästezimmer umgestaltete. Dabei gab es nie Gäste auf der Ranch, die über Nacht blieben. Sie war die Einzige, die sich weigerte, seinen Spitznamen Roper zu verwenden.

Immer noch kauend antwortete Roper: »Weil ich zu euren Zeiten keinen Hunger habe.«

Dana drückte sich an ihm vorbei, schloss demonstrativ den Kühlschrank und blieb mit verschränkten Armen davor stehen. Ihr dunkelblondes Haar fiel in dünnen Strähnen auf ihre Schultern herab.

»Du hast schon wieder die Kinder beworfen.«

Er drehte sich zu den beiden Jungs herum und tat so, als wolle er die Schüssel nach ihnen werfen. Dana nahm ihm diese mit einer heftigen Bewegung weg.

Ihre Augen funkelten.

»Halt den Ball flach, nur ein Turnschuh, kein Pflasterstein. Die Zwerge wissen schon, wie es gemeint war«, erwiderte Roper. Sie stellte die Schüssel zurück in den Kühlschrank und knallte die Tür zu, dass die Milchflaschen klirrten.

Dana, das sanfte Wesen.

Und Allan wundert sich, dass ich mit diesem Seelchen nicht klarkomme, dachte Roper, steckte sich auf dem Weg zurück in seine chaotische Behausung eine Zigarette an. Den Glimmstengel im Mundwinkel sah er sich um und begann, die gröbste Unordnung wegzuräumen, machte das Bett.

Heute ist Freitag, sinnierte er. Möglicherweise bringe ich ein Mädchen mit nach Hause.

 

Es waren zehn Meilen bis Summit, wo die Kreuzung den Stadtkern wie ein Diagramm in vier Teile schnitt, und es außer ein paar Läden und Bars nichts Besonderes gab. Gerade als er den Hof Richtung Hauptstraße verlassen wollte, kam ihm Allan im Wagen entgegen. Sein Bruder kurbelte das Fenster herunter und bat Roper zu warten. Missmutig blieb er stehen. Kurz überlegte er, ob er zurückgehen und seinen alten Stetson holen sollte, um sich gegen die Sonne zu schützen, entschied sich aber dagegen. Seit Rodeos für ihn Geschichte waren, trug er diesen Hut nicht mehr gerne.

Allan stieg aus, nahm Laptoptasche und Jackett von der Rückbank. Normalerweise war er auch freitags nicht vor sechs Uhr zu Hause, aber heute kam er früher.

Er muss sicher mit seinem Weib die Einkäufe für die Woche erledigen, dachte Roper.

Ungeduldig verfolgte er, wie Dana ihrem Mann die Fliegengittertür öffnete und sofort auf ihn einredete. Eine herzliche Begrüßung sah anders aus. Schließlich drehte sich Allan zu ihm um und winkte ihn heran. Roper ignorierte es, warf demonstrativ einen suchenden Blick in den wolkenlosen Himmel.

»Wo willst du schon wieder hin?«, fragte Allan, als er vor Roper stand. Sie waren gleich groß, zwei Jahre auseinander. Allan verkaufte Versicherungen für Landmaschinen in Scottsbluff, und dieser Bürojob hatte Spuren hinterlassen. Roper dagegen war noch immer schlank und muskulös. Er sah Allan mit einem verkniffenem Grinsen an und erwiderte tonlos: »In die Stadt.«

Langsam lockerte Allan seine dunkelblaue Krawatte.

»Was macht die Jobsuche?«

»Wenn du die Ranch nicht verkauft hättest, müsste ich mir darüber keine Gedanken machen.«

»Dich hat die Ranch doch nie interessiert«, schnappte Allan, drehte sich halb zum Haus um. Dort stand Dana, die Arme demonstrativ vor der Brust verschränkt. In ihrem grauen formlosen Kleid wirkte sie wie ein Geist.

»Ich hätte jedenfalls nicht einfach alles verkauft.«

»Nein«, sagte Allan. Über die Schulter hinweg erwiderte er: »Du hättest alles nur noch schlimmer gemacht. Wie jedes Mal.«

Roper wartete ab, ob Allan dem noch etwas hinzufügen würde, doch sein Bruder verschwand im Haus.

Die Fliegengittertür klappte hinter ihm zu.

Immer wieder fängt er mit dem Mist an, dachte Roper, lief zur Straße und trat Steine aus dem Weg. Ich wäre besser an der Westküste geblieben.

 

In der sengenden Hitze marschierte er Richtung Summit, drehte sich immer wieder um, ob sich ein Wagen näherte, der ihn mitnehmen könne. Auf dem Asphalt flimmerte die Luft, und der einzige Farbpunkt am Horizont war der dunkelrote Wasserspeicher.

Roper erreichte den zweiten teerverschmierten Mast der Überlandstromleitung, dann hörte er einen Truck hinter sich herantuckern. Er blieb stehen und musste nicht einmal den Daumen heben. Es war der alte Honeycutt, direkter Nachbar der Wheaton-Ranch, der neben ihm hielt und lediglich rief, er solle aufspringen. Auf der Ladefläche des Pick-ups lag rostiges Werkzeug, außerdem ein zusammengeschnürter Strohballen.

Roper sprang hoch und setzte sich auf den Ballen, schlug mit der flachen Hand auf das Dach der Fahrerkabine. Carl Honeycutt fuhr an, rief kurz darauf durch die fehlende Rückscheibe: »Was macht dein Impala, Roper?«

»Hast du ne Zigarette für mich?«

Honeycutt reichte ihm die Schachtel nach hinten, beobachtete ihn im Rückspiegel. Roper nahm den ersten Zug und gab dem alten Rancher die Packung zurück.

»Meine Karre ist noch aus dem Verkehr gezogen«, sagte er.

Carl schüttelte den Kopf, rückte die speckige Baseballkappe zurecht. »Ich habe gehört, du hast den Kalifornien-Job hingeschmissen«, rief er.

Wäre ich sonst wieder hier?, dachte Roper und zog es vor, nicht darauf zu antworten. Der Fahrtwind zerrte an seinem Hemd, brachte aber keine Kühlung. Mit jener Hand, an der ihm zwei Finger fehlten, fuhr er sich durch das kurze schwarze Haar.

»Du weißt, dass ich jederzeit einen Job für dich habe, Roper. Du magst denken, dass ich das nur deinem Vater schuldig bin, aber ich halte noch immer große Stücke auf dich.« Auch er konnte es nicht lassen, immerhin meinte er es ehrlich. »Ich weiß das zu schätzen, Carl«, sagte Roper. »Aber ich habe da schon etwas anderes im Auge.«

Carl nickte. Diese Antwort hörte er jedes Mal.

 

Der Rancher ließ Roper beim alten Schrottplatz raus, der abseits des Zentrums an den Gleisen der Güterzugstrecke lag. Es lohnte sich nicht, vor acht Uhr abends im Obnox aufzutauchen. Roper überquerte die mit Unkraut überwucherten Gleise und betrat das Schrottplatzgelände. Das hohe Gittertor stand weit offen. Mike sprang von dem Gabelstapler, mit dem er eine rostige Karosserie zur Seite geschoben hatte. Sein langes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und in seinem bunten XXL Hemd sah er aus wie der letzte lebende Hippie in Wyoming. Er begrüßte Roper gut gelaunt mit einem Schulterschlag und fragte, ob er etwas rauchen wolle.

Sie setzten sich auf die alte Couch unter dem vorspringenden Wellblechdach des Wohnwagens, der als Büro diente. Neben ihnen döste Bruiser, ein grau gestromter Staffordshire. Er gehörte Mikes Boss Sal und sollte den Platz bewachen, aber entgegen seines furchteinflößenden Äußeren war Bruiser eine friedliche Seele von Hund.

»Was machen die Geschäfte?«

Roper nahm sich eine dünne selbstgedrehte Zigarette.

»Könnte besser laufen.« Mike winkte ab. »Die Ersatzteile gehen gar nicht mehr. Niemand repariert noch seine Autos, alle kaufen sich billige Japaner, fahren, verkaufen, neu kaufen. Ich habe Sal gesagt, er solle umsteigen auf Oldtimerzubehör, aber er hört nicht auf mich.«

Roper sah zu den aufgestapelten gebrauchten Reifen hinüber, die in der heißen Sonne schmorten und penetranten Gummigeruch verströmten. »Hast du vier Stück davon für meinen Impala dort rumliegen?«

Mike legte den Kopf in den Nacken und blinzelte.

»Ich habe welche in der Ecke, wo es Sal nicht auffallen wird, dass sie weg sind.«

Roper grinste.

»Wir verstehen uns, Buddy.«

Mike erhob sich träge, verschwand im Wohnwagen. Roper hörte die Tür des Kühlschranks klappen. In der Tür stehend warf Mike ihm eine gekühlte Dose Dr. Pepper entgegen. Roper fing sie mit der unversehrten Hand und riss den Verschluss auf.

»Was hast du heute Abend vor?«

»Plane, am philosophischen Zirkel im Obnox teilzunehmen«, erwiderte Roper. »Aber vermutlich werde ich wieder nur vollkommen besoffen nach Hause kommen.«

Er leerte den Dr. Pepper und warf die Dose zielsicher in die rostige Öltonne neben dem Wohnwagen.

 

Sie mussten hinter einer Reihe ausgeschlachteter Karossen nicht lange suchen, um die passenden Reifen für Ropers Chevy zu finden. Gemeinsam rollten sie diese aus dem Tor hinaus und legten sie auf der anderen Seite des Drahtzauns in das hohe vertrocknete Gras.

»Denk nur dran, sie so schnell wie möglich abzuholen«, gab Mike zu bedenken. »Ab und zu läuft Sal den Zaun ab, um Löcher zu flicken.«

Sie kehrten unter das Wellblechdach zurück, redeten über ihre High School Zeit, über Mädchen und die lokale Footballmannschaft, die mal wieder mit gnadenlosen Niederlagen glänzte. Die Zeit tickte zähflüssig dahin. Ein Güterzug rollte so langsam vorbei, dass man hätte aufspringen und verschwinden können. Die Räder der Waggons klackten im gleichmäßigen Rhythmus über die Weiche. Roper blickte dem Zug gedankenverloren nach.

»Wir sehen uns«, erklärte er schließlich und schlug Mike in die hingehaltene Handfläche. Er verschwand gerade noch rechtzeitig, bevor der Schrottplatzbesitzer Sal eintraf.

»War das Roper?«, fragte Sal, als er aus dem Wagen stieg. Mike kratzte sich am Kinn und nickte. Sein Boss stemmte die Hände in die breiten Hüften und murrte: »Es ist eine Schande, dass seine Karriere so den Bach runtergegangen ist.«

Die Autorin

 

 

Pia Recht wurde 1966 in Düsseldorf geboren.

Die gelernte Einzelhandelskauffrau arbeitet als Clinical Operations Analyst in einer internationalen Firma für klinische Forschung. Als Autorin konzentriert sie sich auf irische Geschichten, schreibt aber auch Liebesromane, Science-Fiction, Fantasy, Krimis, Tier- und Kindergeschichten. Inzwischen lebt sie mit eigenen Ponys in Mettmann auf einem Reiterhof. Sie verbringt jeden Urlaub in Irland.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.06.2019

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