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Langer Samstag

Es war ein langweiliger langer Samstag. Früher, in den Zeiten vor flexiblen Öffnungszeiten, gab es einen Samstag im Monat, an dem bis 18 Uhr die Geschäfte geöffnet hatten.  Unter den Angestellten hieß er auch ScheiLaSa. Scheiß Langer Samstag. Der wurde später dann nur noch vom Schei La Do getoppt.

In manchen Abteilungen der Warenhäuser hieß das für die Angestellten, sich Samstags bis in den Nachmittag hinein die Beine in den Bauch zu stehen.

In der Abteilung der Kinderbekleidung waren die beiden Verkäuferinnen damit beschäftigt, aus den chaotischen Wühltischen wieder ordentliche Kleidungsstapel zu machen. Sortieren, falten, staplen. Bis der nächste Kunde kam und auf der Suche nach einer passenden Größe alles wieder durcheinanderwarf.

Die meisten Kunden waren Mütter mit ihren Kindern, aber an diesem Samstag bemerkten Rita und Hillie einen älteren Herrn, der sehr konzentriert und systematisch den Tisch mit den Kinderhosen durchwühlte.

Irgendwann kam er an die Kasse und fragte höflich: „Sind auf dem Tisch da alle Hosen für fünf Mark?“

„Ja“, sagte Rita, „welche Größe brauchen sie denn?“

Verlegenes Schweigen.

„Wie alt ist denn der Junge, für den die Hose sein soll?“

Und Hillie fügte hinzu, um das Eis zu brechen: „Für ihren Enkel?“

„Ich habe keine Enkel.“

Er wandte sich ab, ging zurück an den Tisch und wühlte weiter. Endlich fand er eine Hose, die seinen Ansprüchen zu genügen schien, kehrte damit an die Kasse zurück.

„Ist die auch für fünf Mark?“

„Ja“, sagte Rita, noch immer freundlich.

„Und haben sie die in etwas größer?“

Hillie neben ihr warf einen Blick auf das Etikett und antwortete: „Nein, das ist die größte Größe.“

Der alte Mann murmelte in sich hinein, kehrte an den Tisch zurück, kehrte zurück zu seiner Wühlerei.  Schließlich fand er zwei weitere Hosen, eine blaue und eine rot-karierte und kehrte nun mit allen dreien an die Kasse zurück.

„Wenn er mich jetzt fragt, ob die auch fünf Mark kosten, krieg ich einen Krampf“, flüsterte Rita und lächelte den Mann freundlich entgegen, allerdings schon etwas verkrampft. Hillie kam ihr zu Hilfe.

„Ja, die kosten alle fünf Mark.“

„Und die gibt es nicht in größer?“

„Nein, das sind Kinderhosen. Die gibt es nicht größer.“

Der Mann schien zu überlegen, sah zu den Umkleidekabinen hinüber und machte sich auf den Weg.

Zwei Mütter mit ihren Kindern stürmten in die Abteilung und sofort hatten Rita und Hillie alle Hände voll zu tun und vergaßen den alten Mann in der Umkleide für eine Weile. Den sahen sie erst wieder, als er die Hosen auf den Wühltisch zurückwarf und die Abteilung  verließ.

Kurz vor Ladenschluss, als die Verkäuferinnen mit der Kassenabrechnung beschäftigt waren und darüber diskutierten, ob sie noch gegenüber in der Pizzeria etwas essen wollten, bevor sie ins Kino gingen, um diesen Samstag wie ein halbwegs ordentliches Wochenende zu begehen, war er wieder da.

Da stand er, der alte Mann in dem abgewetzten grauen Anzug, wühlte mit hektischen Handgriffen durch die Haufen der Kinderhosen. Rita platzte der Kragen. Sie sprang vom Kassenstuhl hoch, schoss zu ihm hinüber und herrschte: „Ich habe ihnen doch schon gesagt, dass das alles Kinderhosen sind. Wenn sie Hosen in ihrer Größe suchen, müssen sie in die Herrenabteilung. Erster Stock. Aber wir schließen in fünf Minuten.“

Ihr energisches Auftreten schlug den Mann in die Flucht, wenn auch mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck. Er tauchte nicht wieder auf.

Seine hektische Suche kurz vor Ladenschluss fand allerdings am Montag Morgen eine Erklärung. Als Rita und Hillie die Wühltische wieder in Ordnung brachten und beim falten eine rot-karierte Kinderhose in Größe 146 fanden, in der eine getragene Herrenunterhose steckte.

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Tag der Veröffentlichung: 16.06.2017

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