Pferdeleben
„Wann ist Dumpty geboren?“, fragte eine Freundin, als wir einen Sonntag nach dem Stallbesuch gemeinsam frühstückten.
„Irgendwann im Januar“, sagte ich.
„Dann war der aber auch ein Weideunfall, das ist ja viel zu früh im Jahr für eine geplante Geburt.“
Ich habe sie nur schräg angesehen und geantwortet: „Du glaubst doch nicht, dass irgendjemand so ein Pferd wie Dumpty absichtlich gezüchtet hätte?“
Es klingt vielleicht hart, aber Dumpty ist nicht das, was man als Reitpferd bezeichnen würde. Überall stehen schwere Pferde auf den Weiden, die hervorragende Jagd- und Springpferde sind, aber die haben sicher nicht so einen queren Charakter wie Dumpty.
Bei ihm haben sich vermutlich ein Kaltblut und ein Pony freundlich die Hand gegeben und gemeint, ihre Verbindung sei das Beste aus dem Jahrgang 1991, aber die Wahrheit ist, dass er niemals einfach zu reiten war.
Unter dem Sattel war er immer zäh und unwillig, blieb in kritischen Situationen lieber stehen, als panisch davonzurennen. Aber das ist eine weitere Seite eines Problempferdes, das niemals freiwillig mitarbeitet.
Als ich während der Vereins-Kochlöffelstunde (die Reitstunden, die am späten Abend den „Hausfrauen“ vorbehalten war) im leichten Sitz galoppieren sollte, klappte das nicht. Wenn man ihm nicht fest im Rücken saß, fiel er sofort in den Trab zurück.
Nach gemeinsamen achtzehn Jahren mit vielen Höhen und noch mehr Tiefen, sehe ich ihm an, ob er Bauchschmerzen hat, ob ihm die Gelenke wehtun, ob er mal wieder seine „irren fünf Minuten“ hat, weil er meint, er sei ganz allein auf der Welt (dabei ist sein Boxennachbar nur nicht da, weil er gerade geritten wird).
Meist kann ich mit seinen Macken und Zipperlein umgehen, aber es passiert sehr oft, dass ich mit Bauchschmerzen nach Hause fahre und die halbe Nacht nicht schlafen kann.
Vorletzten Winter stand ich kurz vor dem Entschluss, ihn den letzten Weg gehen zu lassen, weil er in einem sehr schlechten Zustand war. Er sah vom Fell und Futterzustand nicht schlecht aus, aber er hatte von den Gelenken solche Probleme, dass er sich nicht mehr hinlegen konnte. Der Tierarzt sah ihn sehr kritisch an und sagte: „Dem tun aber alle vier Füße weh…“
Wir bekamen ihn mühsam über den Winter und mit der Unterstützung und viel Tritten in meinen Allerwertesten von einem befreundeten Ehepaar entschied ich mich dazu, den Stall zu wechseln.
Der neue Stall hatte gerade noch eine letzte Box frei und ich schlug zu. Dort wird Dumpty automatisch rausgebracht und reingeholt, er ist den ganzen Tag auf der großen Weide unterwegs und das ist Balsam für seine Gelenke. Im Sommer wird er Tag und Nacht auf die Weide gehen, wenn er damit zurechtkommt. Wenn er meint, er möchte nachts in seine Paddock-Box zurück, um in Ruhe schlafen zu können, wird das auch kein Problem sein.
Ich organisiere alles um Dumpty herum, was sich in meiner Freizeit abspielt; ab und zu auch das Arbeitsleben. Anders geht es einfach nicht. Ich trage die Verantwortung und es war mir klar, dass ich die nicht nur für ein oder zwei Jahre übernehmen würde.
Vom Umgang mit Dumpty habe ich Geduld und Konsequenz gelernt. Schwammiges, unsicheres Verhalten lässt ein Pferd ebenfalls unsicher werden - und man verliert den Respekt. Ich weiß, dass es immer drei Schritte vor und zwei zurückgeht, man dabei aber letztendlich doch die Treppe nach oben ins nächste Stockwerk kommt.
Und manchmal fügt sich ein Mosaik-Steinchen nahtlos in das Nächste – vor Monaten dachte ich, dass es klasse wäre, wenn eine der Wohnungen auf dem Hof frei werden würde … und jetzt habe ich den Mietvertrag für ein kleines Häuschen auf dem Hof unterschrieben. Landleben, ich komme.
Bildmaterialien: Eigenes Foto - Humpty Dumpty, Sommer 2012
Tag der Veröffentlichung: 02.05.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Nicole und Stefan - DANKE