Der Bär in der Kiste
Mama - wo bist du? Ich kann dich nicht mehr sehen, nicht mehr riechen und dein Brummen nicht mehr hören. Mama? Sie haben mich in eine Kiste gesteckt, alles ist dunkel.
Ich habe versucht, ein Loch hineinzukratzen, wie ich es mit meinen kleinen Krallen an den Bäumen getan habe, aber ich konnte nicht hindurch. Meine Pfoten tun weh und ich bin so müde. Ich bin so durstig.
Die Kiste bewegt sich und das macht mir Angst. Überall sind laute Geräusche, die ich nicht kenne. Bist du noch in den Bergen, Mama? Du hast gesagt, ich soll weglaufen, als diese Fremden gekommen sind, es waren keine Bären, sie haben so anders gerochen. Sie waren laut und ich bin so schnell gelaufen, wie ich nur konnte, aber sie haben mich trotzdem gefangen. Wo sind die anderen, Mama?
Ich möchte wieder mit dir an den Fluss laufen, wo wir die Lachse einfach mit einer Pfote aus dem Wasser ziehen konnten. So viele Lachse. Du hast mir erklärt, dass sie zu einer bestimmten Jahreszeit immer so zahlreich sein werden. Wir haben so viel gegessen, bis wir beinahe geplatzt sind und du hast darüber gelacht, weil ich sagte, ich würde vom Lachs träumen.
Du kannst vom Lachs träumen, wenn wir sehr lange nur Gras und Beeren essen müssen, Sohn, hast du gesagt.
Jetzt träume ich von meiner Mama, die nicht mehr bei mir ist. Ich träume von der Freiheit und von den Wäldern, in denen wir gelebt haben. In denen wir andere Bären gesehen haben, die sich aber immer in respektvollem Abstand zu Mama gehalten haben. Die alten Bäume, in deren Rinde wir unsere Krallen geschlagen haben, wie als Zeichen, dass wir hier waren und noch sehr lange hier sein werden.
Mama hat so wütend gebrüllt und dann war sie plötzlich verstummt. Alle Geräusche waren verstummt und als ich stehen geblieben war, um nachzusehen, was geschehen war, haben sie mich gefangen.
Ich bin so müde, Mama … aber ich will nicht schlafen.
Die lauten Geräusche wandeln sich. Das Rütteln stoppt. Ich lausche den Geräuschen, die diese Fremden machen. Es sind mehrere, ich kann sie unterscheiden. Und ich kann hören, dass sie wütend sind. Ich rieche die Wut durch die Holzkiste. Aber ich wage nicht, mich zu rühren. Ich mache mich ganz klein in der Kiste. Vielleicht vergessen sie mich und ich kann ein Loch ins Holz beißen und zurück in den Wald laufen.
Plötzlich bewegt sich die Kiste wieder, es rumpelt und ich werde hin-und hergeworfen. Dann wird es ruhiger, wie ein ruhiges Flüstern. Ich spüre ein wenig Wind durch die Ritzen der Kiste. Als würde ich durch den Wald laufen, aber es riecht anders. Hier ist kein Wald mehr.
Wieder schlafe ich ein. Ich bin so durstig. Ich nage an meinen Pfoten.
Plötzlich knirscht die Kiste über mir, und als ich meine Nase hebe, erscheint ein breiter Spalt, durch den helles Licht fällt. Es tut in meinen Augen weh und ich muss blinzeln. Der Spalt wird immer breiter, ich könnte hindurchspringen, wenn ich kräftig genug wäre, und wenn ich den Mut dazu hätte.
Ein fremdes Gesicht taucht auf. Große Augen, eine kleine Schnauze. Wie die Fremden, die im Wald aufgetaucht sind. Unbehaarte Pfoten mit langen weichen Krallen greifen vorsichtig nach mir. Ich werde aus meiner Kiste herausgehoben.
Weicher Waldboden unter meinen Pfoten. Ich kann Wasser in der Nähe riechen, Bäume, Gras, warme Sonne, und Bären! Ich kann Bären riechen!
Vorsichtig sehe ich mich um. Hinter den Bäumen sehe ich lange große Dinge, die aus dem Boden wachsen, aber sie sehen nicht lebendig aus. Zwischen ihnen sind dicke Spinnweben gespannt.
Das fremde Wesen streichelt mein Fell, ich bin ängstlich, aber es fühlt sich gut an.
„Hallo, kleiner Bursche“, sagt die Stimme, „du bist in Sicherheit. Willkommen in unserem Tierpark.“
Bildmaterialien: Bärenbild: http://www.morguefile.com/archive/display/155948
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Bären-Charity Aktion Februar 2012