Kati war ein fröhliches kleines Mädchen. Sie sprang den ganzen Tag umher, spielte mit ihrem Bruder und ihren Freundinnen im Sandkasten, fuhr mit dem kleinen Traktor aus Plastik, pflückte Blumen auf der Wiese, rannte mit den Hunden um die Wette. Sie mochte die Sonne, sie mochte auch den Regen und sprang in die Pfützen, die sie auf den Wegen fand. Sie malte mit Kreide Hüpfekästchen auf den Weg und sprang mit den anderen Mädchen darüber. Sie konnte sehr gut auf einem Bein hüpfen.
Im Herbst sammelte sie bunte Blätter und Bucheckern unter den Bäumen. Wenn der Wind durch die hohen Baumwipfel pfiff, stand sie unbeweglich da und starrte nach oben, weil sie immer darauf wartete, dass die Bäume ihr etwas erzählen würden.
Wenn sie nicht draußen spielte, veranstaltete sie lange Picknicks mit ihren Puppen und Stofftieren, die sie alle an einen kleinen Tisch setzte und ihnen Tee und Kuchen im Plastikgeschirr servierte.
Kati sang und plapperte den ganzen Tag und brachte ihre Mutter zum Lachen, aber es gab auch etwas, was sie nicht mochte.
Kati mochte nicht schlafen gehen. Sie ängstigte sich in der Nacht, weil es so dunkel und unheimlich war und deshalb wehrte sie sich jeden Abend, wenn ihre Mutter sie ins Bett bringen wollte.
Dann weinte und jammerte und schrie sie, bis sie keine Luft mehr bekam, und sie war jeden Abend sehr unglücklich und ängstlich. Es dauerte immer sehr lange, bis sie einschlafen konnte und in ihrem Kinderbett machte sie sich ganz klein, damit keines der Ungeheuer aus der Dunkelheit sie finden konnte.
Gab es diese Ungeheuer aus der Dunkelheit? Sie glaubte fest daran, obwohl sie noch nie eines gesehen hatte.
Eines Tages erzählte sie ihrer Mutter von diesen Ungeheuern und ihre Mutti sagte: „Kati, es gibt eine ganz einfache Lösung gegen die Ungeheuer in der Dunkelheit.“
Und Mutti zog Kati an und sie fuhren in die Stadt, um in einem großen Warenhaus etwas zu kaufen, was die Ungeheuer aus Katis Kinderzimmer verscheuchen sollte.
Es war ein Nachtlicht.
So etwas hatte Kati noch nie gesehen.
Es war keine Lampe, die sie kannte, wie sie in der Wohnung von der Decke hingen oder an Stangen an den Wänden standen, es war eine kleine gelbe Kugel, die ihre Mutti in die Steckdose steckte. Kati wusste, dass sie die Steckdosen nicht berühren durften, denn darin war Strom und Strom war sehr gefährlich.
Als Mutti das Nachtlicht in die Steckdose steckte, war es noch hell und das gelbe Licht war kaum zu sehen. Kati ging hinaus zum Spielen und verbrachte den ganzen Nachmittag bei den Hühnern und Enten, sammelte verlorene Federn und versuchte herauszufinden, welche Feder von welchem Huhn sein könnte.
Als es langsam dunkel wurde, rief Mutti sie hinein und sie wusch sich die Hände und das Gesicht, zog sich um und sie aßen zu Abendbrot. Vati war von der Arbeit heimgekommen und erzählte, was er den ganzen Tag gemacht hatte. Mutti sagte, sie hätten ein Nachtlicht gekauft.
„Gegen das Monster“, sagte Kati.
Vati meinte, es gäbe in seiner Wohnung keine Monster, aber Vati war den ganzen Tag nicht zu Hause. Und er war auch nicht in ihrem Kinderzimmer, wenn es dunkel war, deshalb konnte er es doch gar nicht wissen.
Nachdem Kati sich die Zähne geputzt hatte, brachte Mutti sie in ihr Zimmer. Sie steckte Kati ins Bett, deckte sie gut zu und erzählte ihr noch eine kleine Geschichte, bis sie ihr einen Kuss auf die Stirn gab und sagte: „Schlaf gut, meine Kleine.“
Kati wollte nicht schlafen. Sie begann zu weinen, wie jeden Abend, aber Mutti stand auf, sagte: „Gib acht“, und schaltete das große Licht aus.
Kati machte erstaunte Augen. Obwohl das große Licht gelöscht war, konnte sie noch immer gelbes Licht sehen. Es war das Nachtlicht aus der Steckdose.
„Siehst du?“, sagte Mutti, „das Monster kommt nicht, denn es ist nicht ganz dunkel. Das Nachtlicht bleibt die ganze Nacht an und du kannst ruhig schlafen.“
Kati traute sich nicht, die Augen zu schließen, denn dann sah sie das Nachtlicht nicht mehr. Aber sie weinte und schrie nicht mehr, sie blieb ganz ruhig und still in ihrem gemütlichen warmen Bett liegen und sah auf das kleine gelbe Licht.
Und irgendwann wurden ihre Augenlider so schwer, dass sie sie nicht mehr offen halten konnte und nachdem sie einmal herzhaft gegähnt hatte, schlossen sich ihre Augen und sie schlief ein.
„Hallo“, sagte eine Stimme.
Kati öffnete die Augen und sah das gelbe Nachtlicht vor sich.
„Hallo“, sagte sie. Sie hatte keine Angst, denn das war kein Monster aus der Dunkelheit.
„Ich bin ein Baum“, sagte das Licht.
„Nein“, sagte Kati, „du bist ein Licht.“
„Hmh“, machte das Licht und sah an sich hinunter. „Aber ich habe Wurzeln. Deshalb bin ich ein Baum.“
Kati setzte sich in ihrem Bett auf, schob die Decke beiseite und schob ihre nackten Beine über den Bettrand.
„Das sind schöne Wurzeln“, sagte sie, „du siehst aus wie die alte Eiche an der Straßenecke.“
„Was bist du?“, fragte das Licht.
„Ich bin Kati“, sagte Kati, „und du bist mein Licht, weil ich Angst vor dem Dunkeln habe.“
„Nein nein“, sagte das Licht, „ich bin ein Baum. In der Erde ist es weich und dunkel und feucht. Es krabbeln dort kleine Käfer und es winden sich Würmer in der Dunkelheit. Aber niemand hat Angst vor ihnen, denn sie tun niemandem etwas. Alles ist an seinem Platz, so, wie es sich gehört.“
Kati nickte. Sie hatte schon oft kleine Käfer gesammelt, die sie unter den Bäumen und Hecken gefunden hatte. Käfer machten ihr keine Angst. Selbst große Spinnen nicht. Nur die Dunkelheit.
„Gehörst du auch in die Erde?“, fragte sie.
„Meine Wurzeln gehören in die Erde“, sagte das Licht, „in die ruhige Dunkelheit. Dort, wo alles träumt und schläft. Mein Kopf ist in der Sonne, wo alles lacht und fröhlich ist.“
„So ist das?“, fragte Kati.
„So ist das“, sagte das Licht.
„Danke schön“, sagte Kati, „ich schlafe jetzt weiter.“
Sie krabbelte wieder unter ihre Decke und schlief.
Das Nachtlicht, was eigentlich ein Baum war, blieb noch eine Weile neben ihrem Bett und wachte über sie.
Nach dieser Nacht hatte Kati keine Angst mehr vor dem Schlafengehen, denn sie hatte keine Angst mehr vor der Dunkelheit.
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2011
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