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Cavanaugh



Es war für Kieran kein Problem, das Hauptquartier der Red Hands

ausfindig zu machen, er beobachtete das Haus eine Weile und entdeckte zwei der Männer, die ihn überfallen hatten. Sie kamen und gingen regelmäßig, anscheinend schöpfte niemand Verdacht, aber die anderen beiden tauchten nicht auf. An ihren Gesichtern hätte er sie nicht erkannt, da er keine Erinnerung an den Überfall hatte und auch wusste, dass sie ihre Gesichter nicht gezeigt hatten.
Conor hatte gute Arbeit geleistet, ihm Namen und Polaroidfotos zugespielt. Stundenlang hatte er sich diese Gesichter eingeprägt. In den verfeindeten Gruppen war es ein offenes Geheimnis, wer für den Überfall verantwortlich war und wer zu den Red Hands

gehörte. Der harte Kern der Red Hands

bestand aus kaum zehn Mann, wie die meisten Splittergruppen waren sie sehr klein, pfiffen auf die üblichen Strukturen der großen Organisationen, von denen sie sich losgesagt hatten. Sie benahmen sich, als seien sie unverwundbar.

Kieran ärgerte es, dass sie in einem Wohnhaus inmitten einer belegten Einkaufsstraße ihr Quartier bezogen hatten, das machte alles etwas kniffeliger, aber nicht unmöglich. Niemand ahnte, dass er eines der Waffenverstecke nicht preisgegeben, noch ein paar Dinge für sich behalten hatte, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Ursprünglich hatte er dieses letzte Versteck wirklich nur vergessen, es dann aber als Chance gesehen, sein eigenes Ding durchzuziehen. Möglicherweise hatte er es unbewusst zurückgehalten, weil er geahnt hatte, was kommen würde.

Er fuhr nach Hause, holte sich unterwegs etwas zu essen, machte es sich bis zum späten Abend gemütlich. Nach Einbruch der Dunkelheit machte er sich auf den Weg, Trash an seiner Seite, orientierte sich an alten Häusern, halb überwucherten Wegen und markanten Bäumen. Im Licht der Taschenlampe fand er das Versteck nahe des Lower Lough Erne unberührt, ließ Trash neben sich sitzen und begann zu graben. Die Ausbeute hatte Platz in seinem Rucksack, Spaten und Hacke ließ er in dem Loch zurück, das er mit Händen und Füßen zuschaufelte, anschließend lockere Erde und Laub darüber verstreute. Die ganze Zeit über war Trash ruhig und gleichzeitig wachsam, knurrte bei ungewohnten lauten Geräuschen, während er den Boss im Auge behielt. Er hatte sich blendend erholt, selbst, wenn seine zwischenzeitlichen Besitzer ihn zu Gesicht bekämen, würden sie ihn nicht wieder erkennen. Sein Fell war wieder tiefschwarz und glänzend, mit grauen Spitzen an den Läufen und am Bauch, die Schnauze war weiß geworden.

Auf dem Weg nach Hause ließ Kieran ihn über eine freie Weide jagen, wo er im diesigen Morgenlicht ein paar Kaninchen aufschreckte, die im letzten Moment in ihren Löchern verschwinden konnten. Trash steckte die Nase in den Bau, schnaubte und schnüffelte und begann eifrig zu graben, bis er bis zur Brust in der Erde verschwunden war. Die Kaninchen bekam er nicht zu fassen, dazu war er zu groß, aber er war nach dieser Jagd verdreckt und zufrieden.
„Du schläfst heute draußen“, sagte Kieran, „bis der Dreck getrocknet ist.“
Er versteckte den Rucksack hinter dem Haus, legte sich wieder schlafen und träumte von Boston und von vergangenen Dingen, wusste nach dem Aufwachen nur noch, dass seine Sehnsucht nach Moira und Darren größer war als der Wunsch, sich an den Red Hands

zu rächen, die ungeschoren davongekommen waren.

Zunächst hatte er gedacht, die Trennung würde ihm eine Vergeltungsaktion leichter machen, aber das genaue Gegenteil war eingetreten. Alles drängte ihn, nach Boston zu fliegen und wieder bei ihnen zu sein und sich darum zu kümmern, dass sie sich dort ein neues Heim aufbauen konnten. Moira hatte sich am Telefon vollkommen begeistert angehört, hingerissen von den Wolkenkratzern, dem guten Wetter, dem Land und den freundlichen schönen Menschen. Darren, der noch immer glaubte, es sei nur ein befristeter Urlaub, spielte den ganzen Tag in dem Park vor dem Haus und hatte dort bereits ein paar Freunde gefunden. Der Haken an der Sache war, dass Kieran nicht flüssig war und nicht einmal den Flug bezahlen konnte. Alle Quellen, die ihm eingefallen waren, hatte er längst abgegrast und sein Schuldenkonto war bis über die Schmerzensgrenze hinaus überzogen. Jetzt konnte er nur noch frische Quellen auftun und andere Wege gehen.
Malcolm hatte ihm eine Menge Geld geliehen, obwohl er von Anfang an gesagt hatte, dass er es vermutlich nicht zurückzahlen konnte, und mit dem Geld hatte er die Flüge und Unterkunft in Boston bezahlt, Father Cormac hatte die Verbindung zu Father Judge hergestellt, der Kaplan der New Yorker Feuerwehr war und Kontakte zu Sinn Fein

hatte. Er hatte bereits unzähligen Familien bei der Einwanderung geholfen.
Ich muss etwas tun

, dachte er, und es muss dabei genug Kohle raus springen, dass ich nach meiner Rückkehr nicht wieder bei Null anfangen muss. Es wäre am einfachsten, ich könnte an Spendengelder kommen, solche Zahlungen verlangt niemand zurück.


Er ließ Trash über die Reste des Gartenzauns springen und ging ins Ryan’s, hörte dort von Tim, dass Pol und Brendan wieder unterwegs waren. Sie hatten sich nicht verabschiedet von ihm, vielleicht waren sie noch sauer auf ihn.
„Sollen sie“, sagte Kieran zu Trash, der sofort wedelte, „sie haben endlich ihr eigenes Leben.“
Howard spendierte ihm einen Whiskey und warf Trash einen Hundekuchen über die Theke hinweg zu.
„Das ist der Letzte“, sagte er.
„Habt ihr noch was zu essen in der Küche?“
Die Waldarbeit hatte ihn richtig hungrig gemacht. Howard beugte sich zur Küchentür hinüber, rief durch den Spalt, ob noch irgendwas im Kühlschrank sei und Tim antwortete, dass er die letzten Reste an die furchtlosen Zwei ausgegeben habe. Kieran winkte ab, kramte Kleingeld aus seiner Hosentasche, ging ans andere Ende der Theke und zog sich eine Handvoll M&Ms. Wenn er Glück hatte, hatte die Fish & Chips Bude neben der Tankstelle noch auf, wenn er aus dem Ryan’s kam.
Trash legte sich an die Theke, die Schnauze auf den Vorderpfoten und döste vor sich hin, fühlte sich in Sicherheit, wenn er Kieran in seiner Nähe wusste. Der Pub füllte sich stetig, bis Tim und Howard zu viel zu tun hatten, dass sie mit dem Zapfen nicht nachkamen. Ohne Aufforderung krempelte Kieran die Ärmel hoch, stellte sich zu ihnen hinter die Theke und übernahm das Gläserspülen. Trotz der Hektik und der zunehmenden Lautstärke war es ein guter Abend im Pub; es fanden sich ein paar Musiker aus der Gegend ein, die den Samstagabend nutzten, in der Ecke einen Tisch zur Seite schoben und munter zu spielen begannen.
Howard drehte das Radio aus und brachte den Musikern freie Getränke. Ein paar Kinder liefen herum, die irgendwann den Hund entdeckten und Trash furchtbar auf die Nerven gingen, bis er sich freiwillig hinter die Theke flüchtete. Eines der Mädchen, angetan mit Kleidchen und roten Schleifenzöpfen, schob sich einen Barhocker an den M&Ms Spender auf der Theke, kletterte hoch und drehte vergeblich an dem Hebel. Als Howard die Kassenlade öffnete, griff Kieran in die Abteilung der Zehn-Pence-Stücke, nahm einen heraus und reichte ihn dem Mädchen. Sie strahlte ihn an und sagte: „Danke schön.“
Ihre Hände waren zu klein für die vielen M&Ms, die aus der Schütte rollten und Kieran gab ihr eine Kaffeetasse, bevor die Bonbons auf dem Boden landeten.
„Tu die da rein, Engelchen“, sagte er, ging mit dem Tablett durch den Pub, sammelte die leeren und umgeworfenen Gläser ein.

An dem Fenstertisch wurde laut darüber diskutiert, ob Michael und Kevin O’Flanagan Brüder waren oder Vater und Sohn, die für Irland Fußball gespielt hatten, und da sich auch niemand an den Fußballclub erinnern konnte, für den sie gespielt hatten (falls sie für einen gemeinsam gespielt hatten), konnte niemand eine wirklich plausible Lösung anbieten. Jemand fragte Kieran nach seiner Meinung, als er an ihnen vorbei nach den Gläsern griff, er müsse das wissen, er sähe aus wie ein alter Fußballer.
„Brüder“, erklärte Kieran, stellte die Gläser ineinander auf das rutschige Tablett, ein Teil der Männer johlte triumphierend auf, der andere Teil protestierte und wollte einen Beweis dafür haben.
„Ich kannte die Mutter der beiden“, sagte Kieran sehr ernst und trug die Gläser zum nächsten Tisch.
„Du bist eine Seele von Freund“, sagte Howard, füllte die nächste Runde Guinness ab und Kieran zuckte nur mit den Schultern.
„Wer konnte ahnen, dass irgendwo da draußen ein Schiff anlegt“, sagte er, „kann ich schnell telefonieren?“
Inmitten der klirrenden Gläser, der schnellen munteren Musik war ihm plötzlich eingefallen, wie er schnell und ohne Probleme an genug Geld für die nächsten Monate kommen würde. Er rief den alten Cavanaugh in Belfast an, klingelte ihn aus dem Schlaf oder von wichtiger Arbeit weg, es war jedenfalls sicher, dass man Cavanaugh nie zu einem passenden Zeitpunkt anrufen konnte.
Kieran sagte, er wolle sich mit ihm treffen, aber an einem sicheren Ort und Cavanaugh schlug Dublin vor. Das passte ihm gut in den Kram, er konnte den Datsun gerade noch volltanken und losfahren, ohne sich in neue Schulden zu stürzen.
„Hättest du nicht zwei Stunden früher anrufen können? Ich hätte noch irgendeinen Zug erwischt. Worum geht es? Muss ich mich auf irgendwas einstellen?“
Kieran sah in den Pub, beobachtete die fröhlichen Leute, hielt sich das freie Ohr zu und überlegte einen Moment, wie weit er gehen konnte.
„Nicht am Telefon“, sagte er.
„Wann kannst du in Dublin sein?“
„Morgen Abend. Ich komme in dein Hotel.“
Er half noch bis zur Sperrstunde im Ryan’s, trank ein letztes Guinness und weckte Trash, als es Zeit wurde, nach Hause zu gehen. Der Hund hatte sich unter dem Spültisch zusammengerollt und schlafen gelegt. Beim Hinausgehen nahm er einen übrig gebliebenen Betrunkenen mit, der sich nur widerwillig nach Hause bringen ließ, weil er wusste, dass er zu betrunken war, um leise ins Haus zu kommen und ihn ein Donnerwetter seiner Frau erwartete.
Er selbst fand nur mühsam nach Hause, denn abseits der Straße gab es keine Beleuchtung und er musste sich den Weg mit der Taschenlampe suchen. Trash war keine Hilfe dabei, weil er nicht begriff, dass sein Boss gegen tief hängende Äste lief.

Kieran legte sich für einige Stunden schlafen, machte sich ein schnelles Frühstück und rief Trash ins Haus, wo er sein Trockenfutter bekam. Wenn er nach Dublin fuhr, musste er jemanden finden, der sich um den Hund kümmerte, nichts dagegen hatte, es auch für längere Zeit zu tun. Er hätte ihn zu den anderen Hunden zu Michael bringen könne, aber das war keine gute Idee. Von den anderen Hunden hatte er sich getrennt und sie deshalb zu Michael gebracht, aber bei Trash war das etwas anderes, wenn es irgendwie ging, wollte er ihn behalten. Also entschied er sich, Howard zu fragen, ob er nicht einen guten Wachhund gebrauchen konnte. Howard hatte gar keine Chance, etwas anderes zu sagen und so ließ Kieran den Hund bei ihm.
„Zuerst nach Dublin“, sagte Kieran auf die Frage, wo es hinging, „und dann hoffentlich nach Boston.“
„Grüß mir die beiden“, sagte Howard.

Es gab ein Ritual, das eingehalten werden musste, wenn man sich mit Cavanaugh traf – üblicherweise quartierte er sich im Hotel seines Vertrauens ein und dann hatte man in der Lobby auf ihn zu warten, unabhängig davon, ob man eine Uhrzeit vereinbart hatte oder nicht. Kieran war es gewöhnt, bis zu drei Stunden herumzusitzen, bis er auftauchte und man sich gemeinsam in die Bar verzog.
Kurz nach sieben erreichte Kieran das Hotel, hatte den Datsun fast am anderen Ende der Stadt geparkt und war den Weg zu Fuß gegangen. Mit einer Zeitung setzte er sich in einen Sessel in die Lobby, hatte Mühe wach zu bleiben. Schon die Fahrt war anstrengend gewesen, aber gottlob waren die Kopfschmerzen ausgeblieben, jetzt war er nur so müde, dass ihm immer wieder die Augen zufielen. Er drehte ein paar Runden durch die Halle, setzte sich wieder hin, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Da er selbst spät dran gewesen war, musste er diesmal nicht lange auf Cavanaugh warten, vielleicht war der alte Reporter auch nur so neugierig, dass er nicht länger warten wollte.
Der alte graue Mann, der hager und gebückt aussah, kam von den Fahrstühlen zu ihm hinüber, trug einen zerknitterten grauen Anzug, der genau zu ihm passte, in Ehren gemeinsam ergraut. Er hatte sich einen schwarzen Schlips locker umgebunden, den trug er meistens, weil er in die guten Restaurants, die er besuchte, ohne Binder nicht hineinkam. Stöhnend und ächzend setzte er sich zu Kieran. Cavanaugh machte gern den ersten Schritt, deshalb wartete Kieran hinter seiner Zeitung, dass er etwas sagte.
„Was macht der Schädel?“, fragte Cavanaugh in einem Ton, in dem andere über das Wetter geplaudert hätten – nicht wirklich interessiert, wenn er daraus nicht irgendeine Story machen konnte. Kieran legte die Zeitung beiseite. Seit sein Haar länger geworden war, waren die Narben nicht mehr zu sehen, aber selbst Fremde erkannten an seinem Gesichtsausdruck, dass etwas mit ihm nicht stimmte, dass er ständig auf einen heftigen Schmerz wartete.
„Es tut ab und zu weh, aber es ist auszuhalten. Vermutlich macht dir dein Knie mehr zu schaffen.“
„Ich war geschockt, als ich davon gehört habe.“
„Gab nicht viele, die eine Kerze für mich angezündet haben.“ Er grinste. „Ich hab’s trotzdem geschafft.“
„Was kann ich für dich tun?“, fragte Cavanaugh.
Endlich sah er Kieran direkt an, musterte ihn prüfend, und bevor er etwas sagen konnte, machte der alte Mann eine Kopfbewegung zur Bar hinüber.
„So, wie du aussiehst, werd ich wohl einen guten Schluck brauchen“, sagte er.

Vor etwa vierzig Jahren war Cavanaugh nach Irland gekommen, um seine Großeltern zu besuchen, war in der Nähe von Belfast in eine Polizeikontrolle geraten und hatte aus seinem Wagen heraus mit angesehen, wie aus dem Wagen vor ihm zwei Jugendliche rausgezerrt und ordentlich verprügelt worden waren. Er hatte einen Artikel in seiner Londoner Zeitung veröffentlicht, danach nur noch Ärger bekommen und war nach Belfast gewechselt, um dort für die Zeitung zu arbeiten. Er entwickelte einen beißenden Ton im Umgang mit der britischen Regierung, wurde immer wieder vor Gericht gezerrt und auch verurteilt, obwohl man ihm nie etwas anderes als Propaganda nachweisen konnte. Während der Bombenanschläge in Großbritannien, die er ohne Abstriche in jedem seiner Artikel unterstützt hatte, war sein Leben ernsthaft in Gefahr gewesen; er hatte lange Zeit nur in Hotels gelebt, mit einem Baseballschläger neben seinem Bett und einem Feuerlöscher an der Eingangstür. Seit dem Karfreitagsabkommen hatte er seinen Ton gemäßigt, aber man konnte nicht gerade behaupten, dass er den Friedensprozess unterstützte. Cavanaugh war ein altes Streitross, das keine neuen Tricks mehr lernen wollte.
In der Bar setzten sie sich in eine ruhige Ecke, wo bereits Cavanaughs Whiskey und zwei Gläser bereitstanden. Kieran begann bei den Red Hands, die ihm die Kugel verpasst hatten und der Tatsache, dass seine Leute davon gewusst haben mussten.
„Willst du es übernehmen, dich zu rächen, wenn es schon deine Leute nicht tun?“
Kieran zögerte einen Moment, ob er ihm etwas davon erzählen sollte. Seine Pläne wollte er nicht in der nächsten Ausgabe finden, bevor er sie umgesetzt hatte. Es war gefährlich, Cavanaugh zu viel zu verraten, weil er gern über die Stränge schlug.
„Wenn ich zurück nach Pettigoe fahre, wird sich bei den Red Hands

etwas tun. Frischer Wind durch’s Haus, mehr sag ich nicht. Aber der Grund, weshalb ich hier bin, ist ein anderer. Ich kann dir ein paar interne Informationen geben, kommt ganz darauf an, was sie dir wert sind. Das ist keine Racheaktion, ich will nur einigen der alten uneinsichtigen Kerle einen Denkzettel verpassen, die bis jetzt noch nicht verstanden haben, dass sich die Zeiten geändert haben. Sie tragen eine Teilschuld an dem, was mir passiert ist. Ich fordere nur eine Entschädigung auf meine Art.“
Cavanaugh nickte, klopfte die Asche von seiner Zigarre und nahm einen Schluck aus dem Glas.
„Ich verstehe, was du vorhast. Es kommt bei mir auch ganz darauf an, was du zu bieten hast. Dann überlege ich, was es mir wert ist.“
Schon allein, dass ich Cavanaugh hier gegenübersitze und über dieses Angebot rede, wäre das dem Command schon eine Kugel wert,

dachte Kieran und trotzdem begann er: „Ich weiß von einigen Namen auf der Abschussliste und ganz oben steht Eamon. Das ist kein Geheimnis, aber ich wette, dass er das nächste Jahr nur knapp überlebt, wenn überhaupt. Willst du weitere Namen hören?“
Cavanaugh machte sich Notizen, ließ dabei seine Zigarre in dem Aschenbecher verglühen.
„Ich habe Namen und Adressen der Red Hands

aus Belfast und von der Unterabteilung in Ederny. Fände ich ziemlich interessant zu sehen, wie sie reagieren, wenn Reporter mit Kameras vor der Tür stehen und Fragen stellen.“ Kieran lehnte sich zurück. „Und ich gebe dir eine Liste mit Namen von RUC

Polizisten, die bei Überfällen auf Katholiken beide Augen zudrücken und sich umdrehen und auch sonst nicht zimperlich sind.“
„Das ist ein heikler Rundumschlag.“
„So soll’s auch sein. Ich pack alles aus, was ich noch in meinem löcherigen Schädel habe.“
Sie tranken einen Whiskey nach dem anderen, redeten, diskutierten, bis ihnen die Hotelbar zu voll wurde und sie nach oben ins Zimmer gingen. Im Fahrstuhl betrachtete Kieran sich in den verspiegelten Wänden, schob es aber auf das grelle Neonlicht, dass er so furchtbar aussah.
Ich sollte mehr essen

, dachte er beiläufig, vielleicht hilft es, wenn ich ein paar Kilo mehr auf die Waage bringe.


Kieran wollte hören, was seine Informationen wert waren für die Zeitung und den Verlag und Cavanaugh meinte, es könnte auch für ein Buch reichen. Die verkauften sich im Moment richtig gut und Kieran müsste nur tief genug ins Detail gehen. Besonders die amerikanischen Verlage rissen sich um solche Themen. Er erwiderte, dass das kein Problem war, solle die Bezahlung stimmen.
„Ich verlasse das Land“, erklärte er, „wenn ich noch ein paar Jahre vor mir habe, will ich sie nicht mit Grabenkämpfe und Drohanrufe verbringen. Früher oder später würden sie mich erwischen, das ist klar, deshalb bleibe ich nicht hier. Meine Familie ist bereits im Exil und ich werde nicht so dumm sein, wieder einen Fuß nach Nordirland zu setzen, wenn ich einmal die Brücken hinter mir abgebrochen habe.“
Cavanaugh brach die nächste Flasche Whiskey an, obwohl Kieran signalisierte, dass er nichts mehr trinken wolle. Er nahm keine Rücksicht darauf, dass Kieran sein Glas zuhielt, er bog ihm grunzend die Finger beiseite und füllte beide Gläser gut auf.
„Niemand verlässt das Zimmer bei einer angebrochenen Flasche“, sagte er, „eine meiner Regeln. Eins stört mich an der Sache, Kieran, du bist nicht der Typ, der auf diese Art und Weise Auf Wiedersehen sagt. Du hast die Namen der Jungs, die auf dich geschossen haben. Ich hätte jede Summe darauf gewettet, dass man sie innerhalb eines Monats mit Säcken über den Köpfen findet. Wieso lässt du sie so davonkommen?“
Kieran nippte am Whiskey, der ihm noch den Rest geben würde. „Ich hab angefangen langfristiger zu denken“, sagte er.
Er hatte etwas vor mit den Red Hands

, aber das konnte er Cavanaugh nicht sagen. Seine Sache an den Kerlen würde nicht den normalen Weg nehmen. Obwohl er es nicht geplant hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als in dem Hotelzimmer auf der Couch zu übernachten. Er streckte als Erster die Waffen und sagte, er sei todmüde und müsse endlich schlafen, selbst wenn er sich auf den Boden legen müsse, und Cavanaugh räumte Zeitungen und Klamotten von der Couch.
„Leg dich hin“, sagte er, „morgen früh verhandel ich mit dem Redakteur. Wann verlässt du uns?“
„Ich hoffe, ich hab noch ’n paar Jahre“, murmelte Kieran schläfrig, legte den rechten Arm über seine Augen und schlief ein. Irgendwann wurde er auf der Couch wach, weil Cavanaugh zur Toilette wankte und dabei ‚Finnegans Wake’

sang.
„... and Timothy, jumping from the bed cried, while he lathered round like blazes ‚in the name of the devil, d’ye think I’m dead...’“


Kieran wälzte sich auf der schmalen Couch auf die andere Seite, hielt sich das freie Ohr zu und schlief wieder ein. Am nächsten Morgen konnte er sich nicht mehr daran erinnern, er war froh, überhaupt noch ein Gefühl für irgendetwas zu haben nach diesem Abend und Cavanaugh ging es wohl ähnlich.
Mit Brummschädel und klarer Stimme machte er das Telefonat mit seinem zuständigen Redakteur und bekam die Zusage für mindestens zwei Artikel und Kieran bekam die Zusage für eine gute Bezahlung.
„Die erste Rate brauch ich sofort in bar“, sagte er während des Frühstücks, das Cavanaugh aufs Zimmer hatte bringen lassen, „ich muss das Ticket kaufen und hab noch einiges zu erledigen.“

Zurück in Pettigoe verbrachte er Stunden bei Father Cormac in dessen Haus, setzte mit seiner Hilfe einige Briefe auf, die an alle geschickt werden sollten, von denen er sich nicht persönlich verabschieden konnte. Es war ein Problem, dass er nicht wusste, wo es Pol und Brendan hinverschlagen hatte, hoffte nur, dass sie sich melden würden, solange er noch in Pettigoe war.
Die meiste Zeit verbrachte er im Ryan’s, von wo aus er mit Moira telefonierte und ihr sagte, dass er in den nächsten Tagen in Boston ankommen würde.
Die ersten sechs Monate konnten sie mit dem Touristenvisum im Land bleiben und danach würde ihnen die irische Gemeinde bei der Aufenthaltsgenehmigung helfen. Sie würden sich um einen Arbeitgeber kümmern, um Kierans weiße Weste, um alle nötigen Unterlagen. Alle Freunde und Bekannte, denen er sagte, dass er auswandern wollte, waren ungläubig, einige begannen zu lachen und sprachen von einem guten Scherz, aber sie nahmen ihn ernst, als er Kisten mit Hausrat, Darrens Spielzeug, und allen Dingen, die man nicht missen wollte, packte und nach Boston schickte. An den Datsun klebte er ein Schild ‚zu verkaufen’

, weil die Zwillinge mit Geld mehr anfangen konnten als mit der alten Kiste.
„Was ist mit Trash?“, fragte Howard, „ich würde ihn behalten, aber in den Tagen, als du nicht da warst, hat er kaum gefressen. Er gewöhnt sich nicht mehr an einen neuen Chef.“
Also brachte Kieran den Hund zum Tierarzt, der ihn untersuchte, impfte und die Dokumente ausstellte, die für Trash’s Einreise in die USA nötig waren.
Das Ding konnte ganz übel nach hinten losgehen, wenn Darren auf die Idee kam, auch Tadhg einreisen zu lassen, aber das Risiko musste er eingehen.
Pol erreichte ihn am Telefon im Ryan’s und war nicht überrascht zu hören, dass er das Land verließ und sie sich nicht mehr sehen würden. Es war die Zeit des Abschieds. Die Zwillinge waren in Limerick gelandet, wo sie in einem neu eröffneten Einkaufszentrum Geschenke verpackten und überteuerten Wein verkauften.
„Wir kommen euch besuchen“, sagte Pol, „und du hast keine Chance, uns das auszureden.“
In einer stillen Nacht fuhr er nach Ederny. Die prall gefüllte Tasche, die er bei sich gehabt hatte, war bei seiner Rückkehr leer und er war sehr zufrieden, dass alles so gut geklappt hatte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
To Father Judge - RIP (11 Sep 2001)

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