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Paddy‘s Abschied



Er hatte keine Ausfälle der besonderen Art, nur Anflüge von Kopfschmerzen, die er durchstehen musste, weil keine Schmerztablette dagegen half, aber das überstand er für gewöhnlich ohne Probleme. Noch war er damit beschäftigt, wieder zu Kräften zu kommen, arbeitete ein wenig im Garten und hatte keine Probleme damit, den Tatort immer wieder zu betreten. Es war mehr so, dass der leere Hundezwinger ihm stärker zusetzte als der Garten.
Howard Ryan kam auf Besuch vorbei, nervös und zunächst nicht in der Lage, sich verständlich zu machen, bis Kieran ihm den Gefallen tat und mit ihm einen langen Spaziergang machte. Außerhalb des Hauses und ohne, dass Moira oder Darren hereinplatzen konnten, begann Howard zu erzählen, dass er von dem Command schon vor Monaten kontaktiert worden war, um ein paar Informationen zu sammeln.
„Ich hab mir doch nichts dabei gedacht“, sagte Howard, „wir sind doch alle Freunde und wir vertrauen einander. Ich dachte, sie wollten einfach nur wissen, ob bei uns alles so läuft, wie es sollte. Als sie sagten, sie müssten den Druck auf dich erhöhen und ich könnte dabei behilflich sein, wollte ich es nicht tun, aber sie haben gesagt, es würde mir schlecht ergehen, wenn ich mich weigerte. Es würde euch nichts passieren. Deshalb hab ich den Stein durch euer Fenster geworfen.“ Er war den Tränen nahe. „Ich hab mich gehasst dafür und ich wollte, ich könnte es rückgängig machen. Sie haben dann gesagt, ich solle an diesem Abend, an diesem verfluchten Abend zu dir gehen und dafür sorgen, dass du zu Hause bist. Ich sollte die Zwillinge zurückhalten, würden sie dir zur Hilfe kommen wollen. Sie haben mir gesagt, sie würden dich nur erschrecken wollen, damit du wieder zu Verstand kommst. Wenn ich geahnt hätte, was sie wirklich vorhatten, hätte ich es nie im Leben getan. Ich hätte alles unternommen, um das zu verhindern.“
„Du hättest zu mir kommen müssen.“ Kieran hatte etwas geahnt. Howards Beichte und sein verzweifeltes Gesicht, als wolle er sich selbst zerfleischen, brachte ihn dazu, seine Wut und Enttäuschung auf das Command zu richten. Die Männer dort hatten ihm das angetan und Howards Freundlichkeit für sich benutzt. „Aber du kannst sicher sein, dass diese Sache unter uns bleibt. Von mir erfährt niemand etwas und ich trage es dir nicht nach. Wer aus dem Command hat dich angerufen?“ Howard nannte den Namen und Kieran nickte. Er sagte, er wolle darüber nicht mehr sprechen und Howard habe keinen Grund mehr, sich schuldig zu fühlen.

Der Herbst war rasend schnell gekommen, das Wetter wurde richtig stürmisch, es regnete den ganzen Tag und der Nebel verzog sich nur selten. Kieran zwang sich zu der Arbeit, auch, wenn es nass und kalt war, um so schnell wie möglich wieder fit zu sein. Mit Abe und Bee unternahm er Spaziergänge, nahm manchmal auch Jep mit. Er vermisste es nicht, dass er nichts mehr zu tun hatte für die Army, aber er dachte ständig daran, was er alles tun könnte, wenn er wieder hergestellt war, wenn sie ihn nur lassen würden. Malcolm hatte angekündigt, dass sie das Lager unter dem Zwinger räumen würden, aber das konnten sie erst angehen, wenn Gras über die Sache gewachsen war. Seine aktive Zeit war vorbei und das akzeptierte er nur zu gern, wusste aber nicht abzuschätzen, ob das in Pettigoe auch alle verstehen würden. Er stellte sich schon vor, dass er mit einem Schild um den Hals außer Betrieb herumlaufen würde.

Nach der Arbeit war er manchmal so groggy, dass er sich erst mal eine Weile hinsetzen musste und bemüht war, seine zitternden Knochen unter Kontrolle zu kriegen. Er hätte es sehr gern übernommen, Darren täglich zur Schule zu fahren und wieder abzuholen, aber als er sich zu einer Testfahrt in den Datsun setzte, merkte er schnell, dass er sich nicht auf den Verkehr konzentrieren konnte. Erst jetzt begriff er, wie viel Dinge gleichzeitig abliefen und kontrolliert werden mussten, wenn man nur abbog oder einen Trecker überholte. Er gab das Autofahren vorerst auf. Die Zwillinge blieben beim Fahrdienst, den sie sehr gerne übernahmen und wenn sie doch mal keine Zeit hatten, holte Moira ihn ab. Bei allen anderen Dingen war Howard Ryan immer wieder eine große Hilfe, er kam oft vorbei und half unaufgefordert, wofür Kieran richtig dankbar war.

In der Schule war man von Natur aus vorsichtig und Schulleitung und Lehrer wussten, wer Darren abholen durfte und wer nicht. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, da Darren mit einem Fremden kaum mitgefahren wäre, nicht nach dieser Nacht. Sie alle warteten auf den Knall, den es an der Schule geben musste, aber es blieb alles ruhig. Darren hatten sie oft genug eingetrichtert, dass er bei Anmachen jeder Art sofort bescheid geben solle. In Darrens Klasse waren fünfzehn Jungen, die mit den unterschiedlichsten Behinderungen zu kämpfen hatten und trotzdem am normalen Schulunterricht teilnahmen. Nur die Sonderstunden waren auf jeden Schüler speziell abgestimmt und bei Darren glaubten sie festgestellt zu haben, dass seine Sprachbehinderung auf ein Trauma zurückzuführen sei. Das schienen sie sich allerdings erst zurechtgelegt zu haben, nachdem Darren einen Aufsatz über seine Erinnerungen an Belfast geschrieben hatte. Wurde er in den Sitzungen dazu aufgefordert, sprach er leise und atemlos, verschluckte sich beim Atmen und die Logopädin, eine junge Frau mit schwarzem Haar, in die Darren sich augenblicklich verliebte, begann mit den einfachsten Atemübungen, um diese Spasmen unter Kontrolle zu bekommen.

Drei Tage nach Weihnachten fiel Paddy im Garten so böse auf einer vereisten Steinplatte, dass er sich das Handgelenk und das Schlüsselbein brach. Die Ambulanz war sehr schnell zur Stelle, einige Nachbarn glaubten schon, Kieran hätte den Löffel abgegeben, schwankten zwischen Enttäuschung und Erleichterung, als sie sahen, dass es der alte Paddy war, den man in den Krankenwagen schob. Kieran und Moria fuhren mit ihm, und obwohl keine akute Lebensgefahr bestand, weigerte Kieran sich, ihn allein zu lassen. In der Notaufnahme machten sie Röntgenbilder und die üblichen Untersuchungen und ließen sie im Behandlungszimmer warten, während man alles für die stationäre Aufnahme vorbereitete.
Kieran saß neben seinem Vater, hielt seine gesunde Hand und sprach unablässig ihm. Paddy antwortete in seinem beinahe unverständlichen Murmeln, bis er sehr deutlich auf Gälisch sagte, dass er Durst habe und ein ganzes Fass Whiskey trinken könne. Kieran erwiderte, sobald sein Gips fest sei, würde er ihn in den nächsten Pub bringen und dort mit ihm bis zum umfallen trinken. Patrick lächelte, schloss die Augen und Kieran brauchte eine ganze Weile, bis er begriff, dass er nicht mehr atmete.

Er rief nicht nach den Ärzten, die ihn sicher zurückgeholt hätten; er wartete so lange, bis Paddys Hand so kalt geworden war, dass kein Zweifel mehr darüber bestand, dass er einfach gestorben war, ohne Schmerzen und mit einer inneren Ruhe, die er nicht gehabt hätte, wenn die Ärzte ihn immer wieder zurückgeholt hätten. Schon unmittelbar nach dem Sturz im Garten hatte Kieran gewusst, dass er Paddy nicht lebend nach Hause bringen würde. Er schien es selbst so bestimmt zu haben. Kieran legte Paddy die Hände auf der Brust zusammen, ordnete seine Kleidung und ging auf den Flur, um eine Schwester zu suchen. Er sagte, dass sein Vater soeben gestorben sei und kein Krankenhausbett mehr benötigte. Sie reagierten alle freundlich und nicht sehr betroffen. Sie sahen sehr viele alte Männer sterben in diesem Haus. Kieran machte ein paar Anrufe, um die Beerdigung zu regeln und alles, was dazugehörte, dann ging er zu Moira, die im Besucherraum wartete und sofort begriff, was geschehen war, als sie sein Gesicht sah.
„Du hast es geahnt, nicht wahr?“, weinte sie.
„Ich hab’s ihm angesehen.“
„Ist er friedlich eingeschlafen?“
„So friedlich, wie es nur ging“, sagte Kieran, „mit der Aussicht auf so viel Whiskey, wie er vertragen konnte. Es war ein gutes Ende.“

Sie räumten sein Zimmer aus, gaben seine Sachen weg, die noch gut genug dazu waren, und behielten nur die Dinge, die sehr persönlich waren. Der Bestatter brachte Paddy nach Hause und sie bahrten ihn im Wohnzimmer auf, bereiteten alles für die Trauerfeier vor. Kieran verhinderte erfolgreich, dass Paddys alte Weggefährten in ihren angestaubten Kampfanzügen erscheinen, sagte ihnen, sie sollten Paddy die letzte Ehre in ordentlichen Anzügen und Straßenschuhen erweisen und sie hielten sich daran. Das Haus der Finnigans war kein Provo-Haus mehr. Allerdings erlaubte er ihnen, in ihrer antiken Montur auf dem Friedhof zu erscheinen, wo sie sich unter Tränen von ihm verabschieden konnte. Sie waren zu alt und klapprig, um den Sarg zu tragen, das übernahmen die drei Brüder und Michael. Sonst regnete es tagelang in Dun na nGall

, aber auf Patricks Beerdigung herrschte purer Sonnenschein.

Zu Weihnachten hatte Kieran zwei Schäferhundmischlinge geschenkt bekommen, die allerdings in der Küche ihren Platz fanden, weil Kieran fand, dass sie für den Zwinger noch zu jung waren. Sie tobten den ganzen Tag im Garten herum, schliefen dann auf ihren Decken neben dem Torfkorb. Jep war eifersüchtig wie ein kleiner Teufel, weil er bislang der einzige Hund gewesen war, der im Haus geduldet worden war und er hatte die beiden jungen Hunde, die dreimal so groß waren wie er, voll unter Kontrolle. Während der zwei Tage, die Paddy aufgebahrt war, kamen die Hunde immer wieder unter die Räder und so brachte Kieran sie doch in den Zwinger. Er blieb dabei stehen, als sie von den Jagdhunden und Jep empfangen wurden und der kleine Terrier startete keine einzige Attacke. Sein hochmütiger Gesichtsausdruck sagte alles. Ihr seid da, wo ihr hingehört, Jungs. Das Haus vom Boss ist allein meine Sache

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Tag der Veröffentlichung: 04.08.2011

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