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Red Hands
Eine Woche vor Darrens Einschulung, der praktisch nichts mehr im Wege stand, ging es wieder mit den Anrufen los, hauptsächlich zu den Zeiten, wenn Kieran zu Hause war. Das ließ sie vermuten, dass die Anrufer das Haus beobachteten. Die männliche Stimme drohte unmissverständlich mit Tod und Verderben, mit dem Niederbrennen des Hauses. Sie nannte Adressen von Sanitärgeschäften, in denen man günstig Rollstühle bekam, gab den Rat, noch schnell Fotos machen zu lassen, um für die bebilderte Todesanzeige gerüstet zu sein.
Kieran legte jedes Mal ohne ein Wort wieder auf, verbrachte dann die ganze Nacht damit, darüber nachzudenken, wer dahinter stecken könnte. Selbst die kleine aber feine Drogenszene hatte er jetzt am Hals, weil er ohne Pols Wissen diesen René aufgesucht und ihn kräftig gegen den Strich gebürstet hatte. Er hatte damit gedroht, die Provos auf ihn zu hetzen, sollte er seinen Drogenhandel weitertreiben wie bisher. Das zog fast immer, weil jeder wusste, wie es noch in den 70ern zur Sache gegangen war und das nicht nur in Belfast.
Kieran hatte das Versprechen aus René herausgeprügelt, das Geld in Raten von Pol anzunehmen, ihn nicht weiter unter Druck zu setzen und danach in Ruhe zu lassen. Er hatte danach im Ryan’s gesessen und Howard davon erzählt, als der wissen wollte, wie er seine Knöchel ramponiert hatte. Howard fürchtete immer noch, Tim könnte irgendwann wieder in diese Kreise abrutschen, aber er sagte zu Kieran, dass er nicht anders reagiert hätte in seiner Situation. Am selben Abend fingen die Anrufe an.

Weil das Wetter so schön war, machte Darren mit Tadhg einen Ritt über die Felder, traf auf dem Rückweg Laoise, die mit dem Rad unterwegs gewesen war. Sie traten gemeinsam den Heimweg an.
„Ich hab mich mit Liam getroffen“, sagte sie, „aber das bleibt unter uns, Okay? Tom findet das nicht gut, dass ich mich mit ihm treffe. Versprichst du mir, dass du es ihm nicht erzählst?“
Darren nickte eifrig, obwohl er überhaupt nicht verstand, weshalb man aus so einem Treffen ein Geheimnis machen musste. Er grinste über das ganze Gesicht, als Laoise sagte, dass das Pony immer besser aussähe. Er fand selbst, dass Tadhg immer gleich aussah, aber er hatte einfach noch nicht das Auge für die kleinen Veränderungen. Das Einzige, was ihm wirklich sofort auffiel an dem Pony, waren kleine Verletzungen, die er sich auf der Weide mit den anderen Ponys holte. Er fand solche kleinen Kitschen nicht schlimm, schließlich holte er sich auch mal eine Schramme, wenn er vom Rad fiel oder Tadhg ihn in die Hecke warf.
Am Abend kam er müde nach Hause, bekam sein Abendessen und eine Tasse Tee, ging hinauf in sein Zimmer und packte seine Schulsachen aus, die er in etwa einer Woche brauchen würde. Die Stifte und Hefte hatte er schon ausprobiert und sich angesehen und an die hundert Mal in den Fingern gehabt, sich dabei vorgestellt, wie es in einem Raum mit anderen Jungs sein würde. Es tat ihm nur leid wegen der Zeit, die er nicht mit Tadhg verbringen konnte. Sollte sich keine Mitfahrgelegenheit in einem Schulbus ergeben, würde er morgens im Datsun hingefahren und nachmittags abgeholt werden, das war Okay. Aber vollkommen cool wäre es, könnte er mit Tadhg zur Schule reiten, wie der Junge in den schwarz-weißen Fury Filmen. Das musste er mal in einer ruhigen Minute mit Tom besprechen.

Er verbrachte den frühen Abend damit, dass er graue Bleistiftponys auf die Vorderseiten seiner Hefte malte, die allerdings alle mehr wie Schafe aussahen, danach packte er alle Schulsachen zurück in die Tasche. Er schlich sich aus seinem Zimmer, horchte die Treppe herunter und hörte den Fernseher laufen, was aber nicht hieß, dass seine Eltern auch davor saßen und ihn nicht ertappen würden. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich schnell aus dem Haus zu schleichen, um im Garten nachzusehen, ob man hinter dem Hundezwinger einen Unterstand für Tadhg bauen konnte. Er war nicht sicher, ob sein Daid

sich über diese Arbeit schon Gedanken gemacht hatte. Es reichte Darren nicht, dass an Tadhgs Box bei Tom sein Name stand, in so großen Buchstaben, dass es sofort auffiel, wenn man den Stall betrat: Tadhg – Connemara – Darren Finnigan

.
Ganz am Rand, wo die Stufen nicht knarrten, schlich er sich die Treppe herunter bis in die Küche, setzte sich dort an das Fenster und sah hinaus. Die Sonne verschwand gerade und der erste Nebel kroch über die Wiesen. In dem Dämmerlicht sah der Garten unheimlich aus, dass Darren sich nicht hinauswagte. Die Bäume sahen aus wie Gespenster und Darren überlegte, wieso ihm das noch nie zuvor aufgefallen war. In dem Garten hatte er noch nie Angst gehabt, noch nie hatte es einen Grund dafür gegeben. Moira entdeckte ihn, als er an die Fensterscheibe hauchte und Kringel mit der Fingerspitze malte.
„Soll ich dir noch einen Kakao machen?“
Sie küsste ihn auf den Kopf, blies in seinen Nacken, was ihn stets zum Kichern brachte, auch diesmal.
„Kakao“, sagte Darren.
Er vergaß den Garten und freute sich auf die heiße Schokolade. Moira erzählte ihm mal wieder, wie es in der Schule zugehen würde, so viele neue Freunde, die er kennenlernen würde, das ganze Drum und Dran, mit dem sie ihm die Schule schmackhaft zu machen versuchte. Wäre er etwas gesprächiger gewesen an diesem Abend, hätte er seiner Mutter gern gesagt, dass sie sich diese Mühe ganz umsonst machte, denn er freute sich darauf, etwas zu lernen, endlich in die Schule zu kommen, und nicht mehr der dumme behinderte Junge in Pettigoe zu sein. Er hätte ihr gesagt, dass er selbst nicht wusste, weshalb ihm ganze Sätze solche Probleme bereiteten, aber so war es nun mal und er wollte es sehr gern lernen, darüber hinwegzukommen. So aber saß er mit Moira am alten Küchentisch und trank seinen Kakao, vollkommen zufrieden und glücklich. Es wurde im Ganzen besser, denn Kieran war seit zweit Stunden zu Hause und das Telefon hatte noch nicht einmal geklingelt.

Kieran warf einen kurzen Blick auf den Wecker, der auf seiner Bettseite stand. Es war zehn vor drei. Die Hunde hatten noch nicht angeschlagen, aber Kieran hörte, dass sie aufgewacht und aufmerksam waren. Er konnte ihre wachen Augen und die aufgestellten Ohren förmlich sehen. Er war schnell aus dem Bett, zog sich seine Hosen an und rannte aus dem Schlafzimmer.
Am frühen Abend war Howard Ryan überraschend aufgetaucht, hatte eine Flasche Whiskey mitgebracht und sich zu einem gemeinsamen Abend eingeladen. Kieran und er hatten es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht, nachdem Moira müde ins Bett gegangen war. Er hatte sich nach Paddy erkundigt, ob nach dem Steinwurf mit ihm alles in Ordnung sei. Kieran konnte nur sagen, dass er sich im Moment nicht beklagen konnte. Sie hatten viel getrunken und viel gelacht und Howard war nach Stunden so abgefüllt, dass er auf der Couch einschlief. Kieran hatte ihm die Schuhe ausgezogen und ihn mit einer Wolldecke zugedeckt, war dann selbst schlafen gegangen.
Moira wachte erst durch das Knarren der Bodendielen auf, setzte sich auf und horchte ihm nach, wie er in den Garten lief und etwas rief. Vielleicht war Howard zum Pinkeln in den Garten gegangen, anstatt die Toilette zu benutzen. Sie blieb im Bett sitzen, klammerte sich an ihr Kopfkissen und wartete einfach darauf, dass Kieran zurückkam und sagte, er habe den dummen Jungen verjagt und für die restliche Nacht hätten sie Ruhe. Oder er habe Howard betrunken im Garten gefunden und alles sei nur falscher Alarm.
Sie hörte Pol und Brendan zum Fenster laufen und miteinander palavern, ob sie ebenfalls nachsehen sollten, was da vor sich ging. Ihr wurde schlecht und ihr Herz begann wie verrückt zu rasen.

Kieran hatte schon zum letzten Winter eine Außenbeleuchtung zum Garten hin über der Hintertür angebracht, aber sie nur selten benutzt, weil die Lampe den Strom fraß wie nichts und häufig die Sicherungen durchknallten, wenn jemand im Haus eine weitere Lampe anmachte oder der Kühlschrank ansprang. Diese Lampe tauchte den Garten in ein grelles Schlaglicht, was selbst die Hunde aggressiv machte.
Kieran hatte zunächst in die Dunkelheit gestarrt, dann noch in der Tür stehend das Stadionflutlicht eingeschaltet. Er sah Bewegungen, flüchtende Schatten, die bei den Bäumen verschwanden und sich dem Licht entzogen.
Hey

“, rief er, „ihr könnt mit dem Versteckspiel aufhören.“
Etwas blinkte aus den Bäumen wie Katzenaugen, bewegte sich erst nach rechts und dann nach links. Kieran dachte an Darrens Katze, die sich dort möglicherweise herumtrieb, machte ein paar Schritte in den Garten hinaus, bis er fast an der Mauer war. Es waren vier Mann, die sich auf ihn stürzten, schwarz gekleidet mit Gesichtsmasken. Sie trugen Springerstiefel, die Hosenbeine in die Stiefelschäfte gesteckt.
Kieran ging zu Boden, kam wieder hoch und versuchte dem ersten Angreifer etwas entgegenzusetzen. Gegen diese vier würde er untergehen, wenn er sich nicht etwas einfallen ließ; er drehte sich um, rannte zum Hundezwinger, und obwohl sie direkt hinter ihm waren, konnten sie nicht verhindern, dass er die Tür öffnete und die Namen der Hunde brüllte. Trash, Jep, Ugly und Randy, schon angestachelt durch den Lärm und das Licht, stürzten sich auf die Männer, verbissen sich augenblicklich in Beine und Arme und ließen nicht mehr los. Zeppo brauchte eine Sekunde länger, bis er mitmachte, einen der Maskierten ansprang und ihm in den Hintern biss. Jep wurde ins Gebüsch geschleudert, kam keifend zurückgestürmt und packte das nächste Bein. Nur Abe und Bee hetzten aus dem Zwinger heraus und verschwanden in der Dunkelheit.
Kieran wehrte sich verbissen, spürte die Schläge und Tritte kaum, die er abbekam, um ihn herum war die Schreie der gebissenen Männer und das Grollen der Hunde, dann Schüsse und beinahe Stille. Zwei Männer hielten ihn fest, er war geblendet von dem Flutlicht, hörte dumpfes Keuchen und Fluchen um sich herum. Irgendwo winselte ein Hund.
Sie schlugen und traten ihm in die Kniekehlen, er knickte ein und die zwei Männer gaben sich Mühe, ihn zu halten. Möglich, dass sie irgendetwas zu ihm sagten, aber das konnte er durch das Hämmern in seinem Schädel nicht hören. Er fürchtete, Pol und Brendan könnten ihm zur Hilfe kommen wollen, murmelte durch das Blut in seinem Mund hindurch, dass sie bloß im Haus bleiben sollten.
Er drehte den Kopf, sah einen grellen Blitz und dann war alles dunkel.

Darren hatte die Geschehnisse im Garten von seinem Fenster aus verfolgt, zitternd und mit klappernden Zähnen vor Entsetzen. Die vier Schatten, die sich auf seinen Dad stürzten, machten ihm Angst, sie sahen nicht wie Menschen aus, sondern wie Monster, und erst, als Kieran es schaffte, die Hunde freizulassen, erkannte er, dass es Männer waren. Ihre scharfen Schatten sahen aus, als wären sie eigenständige Wesen, unheimliche flache Gestalten aus einem Albtraum. Die Männer verprügelten seinen Dad, der sich die ganze Zeit wehrte, ihnen fast entkam und dann wieder zu Boden ging. Das war nicht wie im Fernsehen, wenn erwachsene Männer sich prügelten und es dabei lustig wirkte; es war auch ganz anders als Prügeleien unter Jungs, die einen Streit austrugen. Sie taten seinem Dad weh. Die Hunde halfen ihm und hätten gewonnen, wenn die schwarzen Männer nicht bewaffnet gewesen wären. Trash hatte bereits einen von ihnen an der Kehle gepackt, zerrte an der Maske und ließ erst los, als sie auf ihn schossen. Einer der Maskierten, der rückwärts in ein Gebüsch gefallen war auf der Flucht vor den Hunden, schoss liegend auf Ugly und brüllte dabei wie von Sinnen. Sie schossen auch auf die anderen Hunde, bis sie von ihnen abließen, verletzt das Weite suchten.
Unten im Haus kämpften Pol und Brendan darum, Kieran zur Hilfe zu kommen, aber eine Stimme brüllte sie an, sie sollten im Haus bleiben. Es war Howard, der aufgewacht und zur Tür gerannt war, um die Jungs zurückzuhalten. Er hatte Angst, ihnen könne etwas passieren.
Darren weinte ohne Tränen, wollte zu seiner Mutter, konnte sich aber nicht vom Fenster wegbewegen. Er biss in seinen Daumen, direkt ins Gelenk, ohne den Schmerz zu spüren. Sein Kiefer ließ sich nicht mehr lockern, und als der Schmerz endlich überhand nahm und er den Druck verringern konnte, hatte er Blutgeschmack im Mund.
Er hatte die ersten Lebensjahre in Belfast verbracht, war dort aufgewachsen, hatte dort laufen gelernt. Dort hatte er die Übergriffe erlebt, das nächtliche Stürmen eines Hauses oder einer Wohnung, auf der Suche nach Verdächtigen oder nach Waffenverstecken. Er war erst acht, aber er konnte erkennen, was sich dort unten abspielte, sie waren nicht gekommen, um Kieran nur zu verprügeln, das war erst der Anfang gewesen. Darren wollte das Fenster aufreißen und hinausbrüllen, dass sie das nicht tun dürften, sie sollten aufhören, jemand solle machen, dass sie aufhörten, seinem Daid wehzutun, aber alles, was über seine tauben Lippen kam, war ein jammernder Ton, ein endloses „Daid Daid Daid Daid Daid

“.
Zwei Männer hielten Kieran fest, rechts und links an den verdrehten Armen gepackt, ein Dritter stand schräg vor ihm, entsicherte eine Pistole, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, zielte auf Kierans Kopf und drückte ab. Die Männer ließen ihn los, er fiel in sich zusammen und sie flüchteten augenblicklich.

Darren war bei dem trocknen Knall zusammengefahren, konnte sich endlich vom Fenster lösen und das Einzige, woran der jetzt noch denken konnte, war die oft wiederholte Ermahnung seines Vaters, bei Gefahr das Haus zu verlassen und zu Michael zu laufen. Die Männer würden jetzt ins Haus kommen und sie auch erschießen, das hatte er deutlich vor Augen. Er trug nur seinen Kinderschlafanzug, war auf nackten Füßen, niemand bemerkte ihn, als er die Treppe heruntersauste und nach vorn aus dem Haus verschwand. Er rannte den ganzen Weg bis zu Michaels Haus. Die Hintertür war nie verschlossen, er ging hinein und sie bemerkten ihn erst, als er sich bis ins Wohnzimmer schlich und sich dort zu verstecken versuchte. Er hielt die Hände vor die Augen gepresst, zitterte, kam kaum wieder zu Atem. Seine Füße waren schmutzig und bluteten. Als Michael ihn berührte, ihn hochzunehmen versuchte, aus der Ecke heraus, in die er gekrochen war, begann er zu kreischen. Michaels Frau hockte sich neben ihn, versuchte ihn zu beruhigen und begann ebenfalls zu weinen.

Den letzten Schuss hatten sie alle gehört und waren erstarrt; gleich darauf hörten sie das Heulen des Automotors und die durchdrehenden Reifen im Kies. Pol und Brendan stürmten nach draußen, kaum dass der fassungslose Howard sie durchgelassen hatte. Sie fielen neben Kieran auf die Knie. Brendan riss ihn an den Schultern hoch, hielt ihn an sich gedrückt. Überall war Blut; auf dem Boden, in Kierans Gesicht, auf seinem nackten Oberkörper. Pol wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, tastete zu Kierans Schläfe, wo er das Einschussloch entdeckte. Die Zwillinge sahen sich an, agierten blitzschnell und ohne zu überlegen. Moira kam zu ihnen gelaufen, hatte eine Decke mitgebracht und lief neben ihnen her, als sie Kieran zum Datsun schleppten und mühsam auf die Rückbank legten.
„Ich fahr ihn nach Kesh“, sagte Pol.
„Ich komme mit.“
Moira deckte Kieran zu, versuchte, ihm mit den bloßen Händen das Blut aus dem Gesicht zu wischen, aber es wurde nicht weniger.
„Ich fahr wie der Teufel“, sagte Pol, „also komm rein und halt dich fest.“
Sie klappten den Beifahrersitz nach vorn und Moira hockte sich in den schmalen Fußraum, wo sie Kieran festhalten konnte. Bis zur Ankunft vor dem Hospital waren ihre Beine eingeschlafen und sie musste sich heraushelfen lassen. Sie hatte über ihr Nachthemd nur einen Mantel gezogen und war mit den nackten Füßen in ihre Straßenschuhe geschlüpft, musste sich wegen ihrer tauben Beine sofort hinsetzen. Pol schrie die ganze Zeit nach einem Arzt, obwohl ein paar Weißkittel Kieran bereits auf der rollenden Trage durch den Gang fuhren. Eine Schwester nahm ihn beiseite, hinderte ihn daran, seinem Bruder zu folgen und sagte ihm, er solle sich hinsetzen und warten.
„Ich weiß nicht, wie ich das Darren beibringen soll“, murmelte Moira, „ich kann es selbst kaum glauben. Es ist so schrecklich.“
Pol setzte sich neben sie, griff nach ihrer Hand. „Brendan kümmert sich schon um ihn. Beten wir, dass Kieran durchhält.“

Sie warteten. Das Krankenhaus in Kesh war veraltet und stand in dem Ruf, nicht gerade eines der besten zu sein, aber das nächste in der Umgebung gewesen und sie waren neben den Nachtschwestern die einzigen Anwesenden. Bevor einer der Ärzte ihnen sagte, wie es um Kieran stand, setzte sich ein Uniformierter der RUC zu ihnen. Eine Schwester hatte sie angerufen, als sie gehört hatte, dass es um eine Schussverletzung ging.
„Ich bin Sergeant Muir“, stellte er sich vor, „sie haben Mr. Finnigan hergebracht? Können sie mir sagen, wie das passiert ist?“
Moira konnte darüber nicht sprechen, während Pol schon der Uniform misstraute, sich dann aber doch die Mühe machte, jede Einzelheit zu schildern und darauf zu achten, dass der Sergeant alles aufschrieb.
„Es war eine Hinrichtung“, sagte Pol abschließend, „erst hatten wir regelmäßig Drohanrufe in der Nacht, dann hat jemand einen Stein durchs Fenster geworfen. Sie haben es praktisch angekündigt.“
Moira und er warteten Stunde um Stunde, in denen sie schon glaubten, Kieran könnte längst tot sein und sie hätten sie vergessen, aber Pol beruhigte Moira, wenn sie davon anfing und sagte, dass sie ihn operierten. Das wäre der einzige Grund, weshalb es so lange dauerte. An seine Schulter gelehnt schlief sie irgendwann vor Erschöpfung ein, schreckte bei jedem Geräusch hoch. Die Plastikstühle waren nicht gerade bequem, es zog durch die schmale Halle, wenn jemand hereinkam und die Flügeltür öffnete.
Pol sah auf die Uhr, murmelte, dass sie schon seit vier Stunden warteten, worauf Moira zu weinen begann und nicht mehr aufhören konnte. Pol schleppte sie bis ins Schwesternzimmer und verlangte, dass man ihr etwas zur Beruhigung gab, bevor sie völlig zusammenbrach. Sie setzten sie auf einen bequemen Stuhl, gaben ihr eine Hammertablette und Pol blieb bei ihr sitzen, bis sie endlich weggedämmert war. Er rief zu Hause an und nach dem ersten Klingeln meldete sich Brendans hektische aufgelöste Stimme.
„Wir wissen noch nichts“, sagte Pol, „aber das kann nur ein gutes Zeichen sein. Moira schläft endlich, sie hat was zur Beruhigung bekommen. Was ist bei euch?“
„Ich hab alle angerufen und Tim ist durchs ganze Dorf gefahren und hat alle aus den Betten geklingelt. Die erwischen die Schweine noch irgendwo.“
„War die Garda

bei euch? Hier hat einer von der RUC das Protokoll aufgenommen.“
„Bei uns hat sich niemand blicken lassen.“
Pol wechselte den Telefonhörer an das andere Ohr, sah sich nach jemanden um, der aussah, als könne er ihm sagen, wie es Kieran ging, aber da war nur eine Schwester, die einen leeren Rollstuhl vor sich herschob.
„Darren geht’s nicht gut“, sagte Brendan, „er muss nach dem Schuss aus dem Haus gerannt sein, ohne dass wir es gemerkt haben. Michael hat ihn zurückgebracht, er hat nur noch geschrien. Wir wollten ihn schon in die Klinik bringen, aber Tom kam dazu und er konnte ihn endlich beruhigen. Wir haben versucht, herauszufinden, ob er irgendetwas gesehen, oder ob er nur die Schüsse gehört hat, aber er ist nicht ansprechbar. Ich hab ihn ins Bett gesteckt. Er liegt die ganze Zeit mit dem Rücken an der Wand und hält sich die Augen zu.“
„Scheiße, der Kleine! Er muss oben an seinem Fenster gestanden haben.“

Endlich kam einer der Ärzte auf Pol zu. Er saß wieder bei Moira, die man in ein freies Bett gelegt hatte, wo sie besser schlafen konnte, sah den Arzt nur müde an, als der sie zu einer Besprechung in sein Büro bat.
„Ich komme mit“, sagte er, „aber Moira würde ich gerne weiterschlafen lassen. Ich erzähl ihr hinterher, was sie wissen muss, wenn sie mir jetzt sagen, was mit Kieran los ist.“
Die Schürze, die der Arzt trug, war befleckt wie die eines Schlachters. In seinem Büro zog er sie aus und tauschte sie gegen einen sauberen Arztkittel. An der Wand hingen Röntgenfotos vor einem beleuchteten Glaskasten und Pol sah dort einen Schädelknochen von allmöglichen Seiten. Von diesem Durchleuchtungsgeschäft hatte Pol keine Ahnung, also wartete er ungeduldig darauf, dass der Doktor endlich was sagte.
„Ich bin Dr. Mitchell“, sagte der Arzt, „ich habe ihren Bruder mit meinem Kollegen zusammen operiert.“ Sie setzten sich an den Schreibtisch. „Ihr Bruder war wach, als ich ihn auf den Tisch bekommen habe, was ganz erstaunlich ist, da diese Kugel ihn eigentlich hätte töten sollen. Sie können auf seinen Röntgenbildern sehen, dass die Kugel über dem rechten Ohr in den Schädel eingedrungen ist und dort in diesem Bereich sitzt. Nachdem ich mich mit meinem dazu gerufenen Kollegen beraten habe, haben wir von einer Entfernung der Kugel abgesehen.“
„Was hat da so lange gedauert, wenn sie das Ding dann doch nicht rausgeholt haben?“
„Wir haben Knochensplitter entfernt. Die Wunde soweit gesäubert, wie wir konnten, aber leider sind wir nicht darauf eingerichtet, eine größere Operation am Gehirn vorzunehmen. Wir können nicht abschätzen, welche Beeinträchtigungen er davontragen wird und ob es überhaupt ratsam ist, die Kugel entfernen zu lassen. Es ist möglich, dass nach einem solchen Eingriff schwere Schäden zurückbleiben, Lähmungen, Blindheit und so weiter.“
„Was wird passieren, wenn die Kugel dort bleibt, wo sie jetzt ist?“
„Mit solchen Verletzungen haben wir hier keine Erfahrung, deshalb kümmern wir uns um die Erstversorgung und raten ihnen, sich an einen Spezialisten zu wenden.“ Er deutete zur Bücherwand hinüber. „Es gibt interessante Fälle, die in der Literatur beschrieben sind, von Hirnverletzten, die praktisch ohne Beeinträchtigung überlebt haben. Aber Tatsache ist, dass das Gehirn viel zu komplex ist, um irgendwelche sicheren Prognosen stellen zu können.“
„Das sind gute Aussichten“, sagte Pol frostig, „ich nehm ihn mit und bring ihn zu den Wichsern, die ihm die Kugel verpasst haben. Die werden sich auch freuen, dass sie keine Ahnung haben, was weiter geschehen wird. Kann ich zu ihm?“
Dr. Mitchell hatte eine Spätschicht erwischt, die sich gewaschen hatte. Erst hatte er gar nichts zu tun gehabt, dann einen offenen Beinbruch operiert, dann jemanden auf dem Tisch gehabt, der sich den Lenker seines Motorrades in die Speiseröhre gerammt hatte (nicht durch den Schlund, sondern auf die harte Tour durch den Brustkorb), und diese Schädelschusswunde an einem Mann, der vor ihm lag und ihn mit müden Augen immer noch ansah, war mal wieder etwas, was ihn daran erinnerte, weshalb er mit dem Medizinstudium begonnen hatte.
Sie hatten den Schädel rasiert, keine Austrittswunde gefunden und es nach lautstarken Debatten bei einer Schadensbegrenzung belassen. Er fühlte sich nicht wirklich imstande, ein Fenster in einen Schädel zu sägen und nach einem Projektil zu graben. Sergeant Muir kam wegen seines Bruders zu ihm, verglich die Angaben mit den Aussagen des Bruders. Er reimte sich zusammen, dass die Kugel auf seine Stirn gezielt gewesen war, er in letzter Sekunde aber den Kopf gedreht hatte. Bis zum Abschluss seines Berichtes würde er an der Sache dranbleiben, ein wenig herum graben. Pettigoe war normalerweise ein ruhiges Dorf und es schien seltsam, dass dort jemand mitten in der Nacht aus heiterem Himmel abserviert wurde. Allerdings hatten seine Vorgesetzten etwas dagegen, dass er Nachforschungen anstellte und er beugte sich den Androhungen, an einen noch übleren Ort versetzt zu werden.
Pol führte Moira zu Kieran, aber sie durfte ihn nur durch ein großes Glasfenster sehen, was die Abteilungen trennte. Das Beruhigungsmittel half Moira; sie murmelte, sie sei so glücklich, dass er noch lebte, schien nicht zu realisieren, dass Kieran dort auf der anderen Seite alles andere als gut aussah. Mit Sicherheit hatte Kieran schon aufgebahrte Tote gesehen, die besser ausgesehen hatten als er jetzt.
Obwohl die Glasscheibe sie trennte und Kieran nicht wach war, unterhielten sie sich flüsternd, hielten sich eng beieinander in der sterilen einschüchternden Atmosphäre der Intensivstation.
„Kommen sie morgen wieder“, sagte eine der Schwestern, die trotz ihrer hektischen Arbeit Zeit hatte, etwas von der Gerätemedizin zu erklären, die sie an Kieran angeschlossen hatten.
„Nach den OPs sind wir es, die Tag und Nacht bei den Patienten sind“, fügte sie hinzu, „nicht die Ärzte. Wenn sie möchten, rufe ich sie zu Hause an, falls sich an seinem Zustand etwas ändert. Das mache ich gern.“
Pol schrieb ihr die Telefonnummer auf, reichte ihr den Zettel.
„Das ist sehr nett von ihnen.“
„Ich habe noch zwei Patienten auf der Station, eine Frau nach dem dritten Infarkt und ein dreizehnjähriger mit einer Überdosis. Ich rufe die Verwandten praktisch alle zwei Stunden an, wenn es sein muss, und das so lange, bis sie meine Stationen verlassen. Es gibt nur zwei Wege, von hier wegzukommen, und ich habe es lieber, die Patienten und Angehörigen bedanken sich bei mir.“
Moira wollte nicht von Kieran weg, obwohl sie eingestand, nichts tun zu können und dass Kieran in den besten Händen war. Pol zog sie auf den Flur zurück und sagte ihr dort, dass sie an Darren denken solle, der sie jetzt wirklich zu Hause brauchte.
„Wo ist der Junge?“, fragte sie, sah sich um und begann zu weinen, „er ist wieder mit dem Pony durchgebrannt? Er ist runter gefallen und hat sich wehgetan?“
Das Beruhigungsmittel ließ nach, machte Moira etwas wirr im Kopf und Pol lockte sie in den Datsun, sagte ihr, er würde sie schnell nach Hause fahren und mit Darren sei alles in Ordnung. Der Datsun parkte noch da, wo er ihn in der Hektik abgestellt hatte, halb auf dem Rasen und halb auf dem Fußweg und natürlich hatte Pol ihn auch nicht abgeschlossen. Er führte Moira so um das Auto herum und auf den Beifahrersitz, dass sie keinen Blick auf den Rücksitz werfen konnte.

Auf der Rückfahrt, mittlerweile war es früher Mittag, war Moira zunähst stumm, dann sagte sie plötzlich: „Ich hab seinen Atem gehört, die ganze Zeit, die ich da neben ihm gehockt habe, und wenn ich dachte, ich hör ihn nicht mehr, hab ich ihm die Hand auf die Brust gelegt, über dem Herzen, und dann konnte ich ihn wieder hören. Die ganze Zeit hab ich gehofft, er würde etwas zu mir sagen, so was sie ‚Es ist schon nicht so schlimm’, aber alles, was ich hören konnte, war sein Atem. Ich bete, dass alles wieder gut wird.“
„Ich auch“, sagte Pol und dachte: Hoffentlich erwartet uns zu Hause nicht noch eine Katastrophe mit Darren.



Er hupte vor der Hofeinfahrt, weil das Tor geschlossen war und Gabe kam aus dem Haus gerannt, eine Zigarette im Mundwinkel, von der er schnell einen letzten Zug nahm und sie übe den Zaun auf die Straße schnippte.
„Unglaublich“, murmelte Pol.
Erst, als er Moira ins Haus gebracht hatte, griff er sich Gabe und sagte nur mühsam beherrscht: „Was ist das hier?“ Er deutete in den Garten. „War niemand hier? RUC

oder Garda

? Niemand? Die haben sich nicht mal die Mühe gemacht, Spuren zu sichern oder die Patronenhülsen zu suchen? Es ist nichts abgesperrt?“
„Es war noch niemand hier, aber das hat vielleicht nichts zu sagen. Ich meine, einer von der RUC

war hier, aber der hat sich nur umgesehen und ist wieder weggefahren.“
Gabe hatte dem Polizisten alles zeigen und erklären wollen, aber der hatte kein Interesse daran, auf Brendan, einem Augenzeugen zu warten und fuhr in seinem Wagen davon.
„Die kommen bestimmt nicht mit Verstärkung zurück.“
Im Haus wimmelte es von Freunden und Bekannten und Nachbarn, die wild darüber diskutierten, was man als Nächstes tun sollte. Brendan saß stumm in einer Ecke, enthielt sich dem Ganzen und sah Pol um Hilfe heischend entgegen. Sie hockten beieinander, entdeckten, dass sie beide noch Blut an den Sachen hatten.
„Ich muss aus diesen Klamotten raus“, flüsterte Pol, „und dann musst du mir erzählten, was mit Darren los ist.“
Pol wurde umstürmt mit Fragen nach Kieran, aber er sagte in die Runde, dass es nicht schlecht aussähe und die Klinik sich melden würde. Die Zwillinge verbarrikadierten sich im Bad.
„Ich muss den Datsun saubermachen“, sagte Pol, „vorher kann ich keine Sekunde mehr darin fahren.“
„Wie sieht er aus?“, flüsterte Brendan und er meinte nicht den Zustand des Wagens.
„Sie haben seinen Schädel rasiert und ein Stück aufgesägt“, sagte Pol, „das hab ich an den Nähten gesehen, wo das Loch gewesen ist. Sie sagen, er kommt durch, aber sie wissen nicht, unter welchen Umständen wir ihn nach Hause bekommen. Moira hat’s nur mit Beruhigungsmitteln überstanden. Wenn er nicht wieder in Ordnung kommt, Brendan, wenn von Kieran nur noch eine Hülle mit dem Verstand eines Kaninchens übrig bleibt, sollten sie ihn lieber sterben lassen. Dann haben wir einen Helden in der Familie und die Army übernimmt die Beerdigung.“
„Ich möchte diese maskierten Arschlöcher nicht im Hause haben, du etwa?“
„Wenn Kieran stirbt, haben wir sie hier, daran wirst du nichts ändern können.“
Abwechselnd sahen sie nach Darren, den sie ins Bett gesteckt hatten in der Hoffnung, er würde schlafen und sich danach besser fühlen, aber wann immer sie sich in sein Zimmer schlichen, lag er wach und starrte an die Decke.
Pol verbrachte fast drei Stunden damit, Polster und Boden des Datsun zu schrubben, eine Arbeit, die ihm unvorstellbar schwer fiel, und er das hellrote Seifenwasser, das in dem Eimer zurückblieb, nicht einfach wegschütten konnte. Das war kein Putzwasser, das war organisch. Erst beim Säubern des Wagens fiel ihm ein, dass er gar nicht wusste, ob sie Paddy gesagt hatten, was passiert war. Manchmal fiel der Altes schon bei jeder Kleinigkeit aus dem Bett, dann wieder bekam er überhaupt nichts mit und Pol konnte sich nicht erinnern, ihn in der Nacht, vor oder nach den Schüssen rufen gehört zu haben.
Michael gesellte sich zu ihm, mittlerweile betrunken, und erzählte ihm noch mal, wie er Darren in seinem Haus gefunden hatte, und begann darüber ein wenig zu weinen.
„Ich kann mich nicht trösten mit dem Gedanken, dass Kieran unendlich viel Glück gehabt hat, weil ich weiß, dass alles nicht passiert wäre, wenn ich ihm diese protestantische Schule ausgeredet hätte. Hätte ich doch alles in Bewegung gesetzt, um Darren an eine normale Schule zu kriegen. Und jetzt? Darren sieht aus, als würde er sich von dem Schock nie wieder erholen, alles ist in Aufruhr, die Hunde sind erschossen oder weggelaufen, Moira sitzt da im Wohnzimmer und betet.“
„Die Hunde“, sagte Pol mit plötzlichem Eifer, „sie haben gut zugebissen, nachdem Kieran sie raus gelassen hat. Trash und Ugly müssen an den Händen und Armen Spuren hinterlassen haben bei den Typen, danach müssen wir suchen.“
„Das ist ein guter Gedanke.“
„Welche Hunde sind tot?“
Michael und Howard hatten die Hundekadaver in Mülltüten gepackt. Er kannte die Hunde nicht alle beim Namen, weil sie immer nur als Rudel aufgetreten waren, aber er konnte die beschreiben, die sie eingepackt hatten.
„Die beiden grauen Schäferhundmischlinge, der Schwarze Große fehlte. Trash. Den Irish Terrier hab ich tot in den Büschen gefunden. Jep und die beiden Jagdhunde waren auch nicht mehr da, Brendan hat nach ihnen gerufen und gepfiffen. Nichts.“
„Michael“, sagte Pol, „die Hunde müssen wieder her. Kannst du dich darum kümmern?“
Er nickte. Die Hunde mussten zurück, damit niemand au die Idee kam, den verwaisten Zwinger näher unter die Lupe zu nehmen, das war das, was Michael dazu einfiel, aber Pol dachte einfach nur, dass sein Bruder an den Hunden gehangen hatte und wenigstens Abe und Bee wieder gefunden werden sollten.

Die eingetrockneten Blutflecken auf den Polstern ließen sich nicht vollständig entfernen, aber zumindest sahen sie nicht mehr wie Blut aus. Pol ließ die Wagentüren weit offen stehen, starrte in den Plastikeimer und konnte nicht einmal mehr die Bürste herausfischen aus dem blutigen Wasser. Es erschien ihm plötzlich so unwirklich, als sei das alles letzte Nacht nicht geschehen und er könnte es einfach geträumt haben. Leugnen ist der erste Schritt zur Akzeptanz, aber bis dahin hatte er noch ein ganzes Stück vor sich.
Den Eimer trug er vorsichtig durch den Garten, goss das Wasser an der Steinmauer in die Büsche. Dort landete es nicht in der Kanalisation, sondern im Garten, auf ihrem Boden. Er dachte, er würde sich nach der Nacht im Krankenhaus besser fühlen, wieder zu Hause zu sein, aber dem war nicht so. Er ging ins Haus, Brendan nahm ihn beiseite und flüsterte ihm zu, es sei an der Zeit, die ganzen Leute loszuwerden, damit Moira endlich zur Ruhe kam. Sie hockte noch immer in dem Sessel, aber ihren verwirrten Blicken war anzusehen, dass sie dachte, was die ganzen Leute im Haus wollten und wer die wohl alle eingeladen hatte. Ob es etwas zu feiern gab und sie hatte es vergessen und jetzt war jeder zu höflich, ihr die Wahrheit zu sagen? Während Brendan nach Darren sah, ging Pol von einem zum anderen und sagte, dass sie dankbar für den Besuch seien, es aber besser sei, jetzt nach Hause zu gehen. Er versprach, alle auf dem Laufenden zu halten, reichte Jacken und Mützen, nahm ein paar letzte höfliche Worte entgegen und als Brendan die Treppe herunterkam, verließ Michael als Letzter das Haus.
„Darren ist endlich eingeschlafen“, sagte Brendan, „ich war bei Paddy, er hat mir erzählt, dass er diese Nacht von einem Überfall geträumt hat. Ich hab ihm nicht widersprochen.“
Der Abend kam quälend langsam und sie gingen alle früh zu Bett. Ein Scharren und Kratzen an der Hintertür weckte sie alle wieder auf, und als Pol die Tür einen Spalt öffnete, kam Jep hereingehinkt, mit getrocknetem Schlamm überzogen und so müde, dass er kaum noch laufen konnte. Sie wuschen ihn in der Küche, nahmen ihn mit ins Schlafzimmer, dort durfte er bei Brendan und Pol neben der Tür auf seiner Decke liegen.
„Ich mag diese kleine Ratte“, murmelte Pol, „aber hätte es nicht Trash sein können, der zurückkommt?“

Am Morgen kam Michael mit Abe und Bee an der Leine zurück. Sie hatten hechelnd und fiepsend vor einer Scheune gesessen, in der sich den ganzen Herbst lang die Jäger trafen, um von dort aus die Hasen- und Rotwildjagd zu starten. Trash blieb verschwunden, keiner der Nachbarn sah ihn in der Gegend herumstreunen und deshalb nahmen sie an, dass er sich angeschossen irgendwo versteckt hatte und dort gestorben war.
Sie bekamen einen Anruf aus der Klinik, dass es Kieran langsam besser ginge und zwei Männer der RUC da gewesen seien, um sich nach ihm zu erkundigen. Die RUC war nicht zuständig in Pettigoe, aber da die Attentäter offensichtlich nicht aus der Republik, sondern aus der britischen Kolonie kamen, die viele als Ulster bezeichneten, obwohl das nicht korrekt war, hatte die nordirische Polizei die Ermittlungen übernommen. Wenn es denn Ermittlungen geben würde.
Wenn einem UDA-Arschloch die selbst gebastelte Handgranate in den Fingern explodierte, brachte die RUC nach einer Untersuchung es fertig zu behaupten, die Granate sei von einem IRA-Terroristen geworfen und vom bedauerlichen Opfer aufgefangen worden.
Der Krankenschwester hatten die beiden Polizisten gesagt, sie würden wiederkommen, sobald Kieran vernehmungsfähig war, worauf sie gekontert hatte, dass das auch noch Wochen dauern könnte. Es sei einfacher, alle Zeugen zu befragen und die Spuren zu sichern, solange sie noch frisch waren, als darauf zu warten, dass ein Gehirnverletzter aufwachte. Leider konnte sie übers Telefon nicht demonstrieren, was für Gesichter die beiden gemacht hatten nach dieser Aufforderung und Pol erwiderte: „Wenn sie das den beiden wirklich ins Gesicht gesagt haben, bekommen sie beim nächsten Besuch einen dicken Kuss von mir.“

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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2011

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