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Eine letzte Warnung

Mit einem Paukenschlag gingen die nächtlichen Drohanrufe wieder los, zeitgleich mit dem erneuten Scheitern der Verhandlungen in Belfast und deren Vertagung, was Moira schier verzweifeln ließ. Nach zwei Tagen zog Kieran das Telefon aus der Wand, mit dem Ergebnis, dass er die Nachrichten zettelweise hinter dem Scheibenwischer seines Wagens fand. Es wurde von Mal zu Mal schlimmer und bedrohlicher, was Kieran allerdings nur darauf schließen ließ, dass sie langsam verzweifelten an ihm. Es würde nichts passieren und es kam nicht aus seinen eigenen Reihen.
Seinen Abrissjob behielt er noch fünf Tage, dann sagte der Vorarbeiter, er könne die Unruhe unter seinen Leuten nicht länger verantworten und gab ihm die Papiere. Kieran ging erst mal einen trinken. Manchmal wurden solche Kündigungen weitaus ruppiger ausgesprochen.
Es waren nur noch Wochen bis zu Darrens Einschulung, er nutzte jede freie Minute, die er noch hatte, um bei Tadhg sein zu können, dass er selbst zum Essen nicht nach Hause kam.
Moira hatte sich darüber beschwert, aber Kieran meinte, sie sollten es ihm durchgehen lassen, schließlich würde sein Schulalltag alles wieder über den Haufen werfen. Dann war es noch immer früh genug, ihm einen festen Tagesplan aufzudrücken. Nach seinem Rausschmiss fuhr er tagelang herum auf der Suche nach einem Job und dachte schon, irgendetwas habe sich gegen ihn verschworen.
Dann bekam er die Nachricht, die ihn nach Portadown lockte, traf auf einen sehr ernsten Malcolm, der die Aufgabe bekommen hatte, ihm ein letztes Mal ins Gewissen zu reden.
„Es gibt keinen Grund, sich über irgendwas aufzuregen“, sagte Kieran, „dass ich Darrens Anmeldung ausgefüllt habe und abgeben durfte, heißt noch nicht, dass sie ihn auch annehmen. Wenn das nicht klappt, werde ich ihn in den Süden schicken, auch, wenn wir das nicht bezahlen können. Es wäre die schlechtere Lösung, aber außer der Schule hier die Einzige, wenn etwas aus ihm werden soll.“
Das mit der Anmeldung war eine dreiste Lüge, da er die Bestätigung bereits schriftlich in der Tasche hatte, aber mit dieser Lüge konnte er sich etwas Luft verschaffen.
„Nimm die katholische Schule, in Gottes Namen“, sagte Malcolm, „du weißt doch, was mit katholischen Kindern auf protestantischen Schulen passiert. Und deine eigenmächtige Handlung wird schon längst als Provokation ausgelegt.“
„Na klar“, erwiderte Kieran und lachte humorlos, „ich lege es doch darauf an, dass Burren mir einen Grund gibt, seine Schule in die Luft zu jagen. Wer von den Leuten ist noch auf meiner Seite, Malcolm?“
„Eine Handvoll, wenn überhaupt. Das Command

ist furchtbar zerstritten, teilweise hab ich das Gefühl, man sei die Oberaufsicht in einem Kindergarten. Es bilden sich Lager, man verbündet sich mit einen, um einen Dritten auszustechen. Es hat sich viel verändert in den letzten Jahren, im Command

sitzt kaum noch jemand, der dich noch aus deiner Belfaster Zeit kennt. Die glauben, was man ihnen erzählt und für die bist du ein untragbarer Unruhestifter.“ Malcolms Stimme klang, als habe er etwas in seinem Hals stecken. „Es ist eine letzte Warnung, Kieran. Wenn du in den nächsten Tagen nicht ein deutliches Zeichen gibst, dass du eingelenkt hast und den Plan aufgibst, verlierst du dein Amt. Einige würden sogar noch weiter gehen. Ich bitte dich, Kieran, lass es nicht drauf ankommen.“ Er schien den Tränen nahe, seine Stimme wurde noch leiser. „Paddy O’Brien“, sagte er, „hat das letzte Wort noch nicht gesprochen, aber das steht kurz bevor. So, wie die Gerüchte um dich brodeln, steht es nicht gut um dich. Bitte, tu mir den Gefallen.“
Kieran ließ sich Zeit, darauf zu antworten. In der kleinen Kirche, in der sie saßen, waren sie allein, sie hatten ein paar Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um nicht gestört zu werden. In dieser Kirche hatte es bereits mehrmals gebrannt, weil protestantische Extremisten Brandsätze geworfen hatten, aber sie hatten jedes Mal alles repariert und in Ordnung gebracht. Sie arbeiteten mit einigen Gemeindegruppen zusammen, stellten Männer ab, um zu helfen oder machten Geldspenden. Durch die Oraniermärsche war Portadown ein heiß umkämpftes Pflaster.
„Ich bin der Einzige, der alle Waffenverstecke kennt. Ihr könnt mich nicht einfach absäbeln, das läuft so nicht. In meinem Bezirk herrscht Ruhe, ich hab alles unter Kontrolle. Niemand kann mir etwas vorwerfen. Ich halte mich an die Regeln.“
„Man war unzufrieden darüber, dass du die Sache mit den Straßenrowdys in die Hand genommen hast, und von den Schlagzeilen war auch niemand begeistert. Sie ziehen dir die Daumenschrauben fest, begreifst du das nicht? Glaubst du, es ist Zufall, dass du keinen Job mehr findest?“
Kieran sah durch die stille einsame Kirche, flüsterte: „Wie weit würden sie gehen, Mal? Kannst du für die Sicherheit meiner Familie garantieren?“
Darauf bekam er keine Antwort, was hätte heißen können, dass Malcolm es nicht wusste, aber er sagte ein Letztes „Gib es auf, Kieran, sonst kann ich für nichts garantieren.“
Das war deutlicher als alles andere, Malcolm hatte seine gute Position eingebüßt und konnte ihm nicht mehr helfen.
Was mach ich

? dachte Kieran, wie bringe ich denen bei, dass sich nichts geändert hat, dass ich nur eine Schule für meinen Jungen will? Ich kann mich nicht ins Abseits drängen lassen.


In der Army waren schon viele gute Leute ihres Amtes enthoben worden, weil sie nicht gemerkt hatten, dass sich die Marschrichtung geändert hatte oder weil man ihnen vorwarf, Spione und Verräter zu sein. Manchmal trafen diese Vermutungen zu, manchmal waren sie Opfer der britischen Verleumdungs-Kampagne. Sein Dad hatte ihm von Intrigen erzählt, die Fußfallen, die man ausgelegt hatte, um Personen das Genick zu brechen und auf vieles wurde man während der Ausbildung und des Trainings vorbereitet. Es machte ihm zu schaffen, dass er so etwas als Quarter Master am eigenen Leib erfuhr, während es ihm zu seiner heißen Belfaster Zeit erspart geblieben war.
„Es ist meine Entscheidung“, sagte Kieran, „es ist mein Ding, was ich durchziehe und es wird schon alles gut gehen.“
Zum Abschied umarmten sie sich, Kieran hielt Malcolm einen Moment an der Jacke gepackt fest und flüsterte ihm zu: „Sag ihnen, sie sollen die Anrufe sein lassen. Es wird nichts an meiner Entscheidung ändern.“

Pol und Brendan begleiteten Darren zu seinem Pony, weil er darum bettelte, es ihnen vorführen zu dürfen, und sahen ihm geduldig beim Reiten zu, diskutierten über die verschiedenen Jobs, die sie in Aussicht haben könnten, wenn sie denn bereit waren, Pettigoe wieder zu verlassen. Pol vermisste Christy und über Schottland erzählte er immer wieder. Laoise kam mit ihrem Fahrrad heran, gesellte sich kurz zu ihnen. Sie trug einen weit geschnittenen Rock, der zum Fahrrad fahren eigentlich zu kurz war, und sie auf der ganzen Strecke die Blicke der Passanten und Autofahrer auf sich gezogen hatte.
„Du wirst mit jedem Tag hübscher“, sagte Brendan und sie erwiderte: „Was ist mit deiner Freundin? Hast du sie in die Wüste geschickt, dass du es wagst, mir solche Komplimente zu machen?“
„Welche Freundin?“ Brendan spielte den Ahnungslosen, allerdings nicht sehr gut.
„Das Mädchen aus Ederny, von wem rede ich wohl? Euer Techtelmechtel ist Gesprächsstoff auf jedem Wochenmarkt. Ich hab gehört, dass sie die Schule geschmissen hat.“
Er machte ein Gesicht, als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen.
„Lilian hat die Schule geschmissen? Davon wusste ich nichts. Ich hab sie länger nicht mehr gesehen.“
„Noch eine traurige unglückliche Liebe“, sagte Laoise, „solche Geschichten gehen wie der Wind durchs Dorf. Eine Freundin hat vermutet, dass sie zu ihrem Onkel geschickt wird, er ist Reverend in Craigavon, und vielleicht ist ja was dran, wenn sie verhindern wollen, dass ihr euch seht.“
Brendan starrte eine Sekunde lang Löcher in die Luft und war dabei vollkommen abwesend. Pol wusste sofort, woran er dachte. Bei seinem Gesichtsausdruck war es wohl unausweichlich, dass sie in Craigavon und Umgebung nach Jobs suchen würden, rein zufällig natürlich. Es konnte ganz lustig werden, wenn Pol auch noch immer frisch die Nettigkeiten in Schottland in Erinnerung hatte und Craigavon war Feindesland. Es lag zu sehr in der Nähe von Belfast, aber dort hatten sich auch einige Industrieparks angesiedelt und das konnte gute Jobs bedeuten.
Brendan dachte an den Brief, den er bekommen hatte und den er nur auf dem Klo lesen konnte, wo er die Tür hinter sich schloss und seine Ruhe hatte.
Lilian schrieb, wie Leid ihr das alles tat und wie sehr sie sich wünschte, dass es anders gelaufen wäre. Aber zwischen den Zeilen konnte Brendan lesen, dass sie sich bereits mit der Trennung abgefunden hatte und sie sich dafür schämte, dass sie sich selbst so leid tat. Seine eigenen Gefühle waren nicht weniger durcheinander.
Laoise rief Darren zu, er solle dem Pony eine Pause gönnen, schob ihr Rad weiter, gefolgt von Pols und Brendans Blicken, die sich an ihren Beinen festgesaugt hatten.
„Ich hab gehört, dass sie...“, begann Brendan und Pol fiel ihm ins Wort: „Genau das hab ich auch gehört.“
Freudestrahlend kam Darren zu ihnen an den Zaun geritten, Dreckspritzer im Gesicht und Heu in den Haaren, er sprang vom Pony und landete mit den Schuhen in einer Pfütze. Seit er das Pony hatte, kam er nicht sauberer nach Hause.
„Das machst du klasse“, sagte Brendan und Pol setzte hinzu, er könnte für die nächste Olympiade üben, worauf Darren kicherte und erwiderte, dass ein Steeplechase-Rennen besser sei als die „blöde Olimpade

“.
Als sie endlich nach Hause kamen, trafen sie auf die freilaufende Hundemeute, die ihnen entgegenstürmte. Kieran hatte sie aus dem Zwinger gelassen, um dort sauber zu machen, hob nur die Hand, als er sie kommen sah. Er war nicht zum Quatschen aufgelegt. Nachdem er fertig war, sperrte er die Hunde wieder ein, setzte sich in den Garten. Die Bäume dort hinten, wo das Gestrüpp überhand nahm, gefielen ihm schon lange nicht mehr, sie versperrten die Sicht und nahmen das Sonnenlicht. Sollte er in den nächsten Tagen keinen Job finden, und er rechnete nicht damit, würde er dem Wildwuchs zu Leibe rücken.
Er hatte irgendwann mal damit angefangen, es unterbrochen, verschoben und vergessen, weil es immer etwas Wichtigeres gegeben hatte und die Büsche und Sträucher hatten begeistert und ungehindert den halben Garten eingenommen. Er konnte ein Stück Mauer zurücksetzen, so den Garten vergrößern und Platz für das Pony schaffen, wenn das Vieh sich anständig benahm. Ging er über die Zäune, kam er sofort zurück zu Tom O’Neill. Vorläufig würde er Darren davon nichts sagen, sonst würde er ihn stündlich löchern, wann er sich an die Arbeit machte, um den Stall zu bauen. Alle Mühe und alles Geld, was er für den Connemara verpulverte, waren es wert, wenn er Darren dadurch so glücklich und ausgelassen sehen konnte. Es kostete den Jungen Überwindung, aber er sprach aus eigenem Antrieb, um von Tadhg zu erzählen, und sie hörten alle begeistert und aufmerksam zu, auch wenn es niemanden wirklich interessierte, was das Pony den ganzen Tag angestellt hatte.
Aus dem Haus hörte Kieran seine Frau schimpfen und Darren eine kalte Dusche androhen, sollte er noch einmal so verdreckt nach Hause kommen, sie packte ihn am Kragen und zerrte ihn in den Garten, verschwand und kam mit dem Wäschekorb wieder.
„Du ziehst dich jetzt aus und stopfst alles hier rein, junger Mann.“
Dann bin ich nackig

“, schrie Darren entrüstet, schlang sich in einer wilden Bewegung die Arme um den Körper, wollte verhindern, dass seine Mutter ihm die Jacke auszog und ihre Ankündigung wahr machte. Ihm selber war es überhaupt nicht aufgefallen, dass er mit einer kräftigen lauten Stimme protestiert hatte, Kieran und Moira sahen sich ungläubig an, sprachlos, weil sie ihn noch nie so gehört hatten. Kieran war halb aus dem Stuhl aufgestanden, ließ sich wieder zurücksinken und grinste Darren aufmunternd an.
„Mom bringt dir saubere Sachen“, sagte er, „und du ziehst dir die Jacke und die Hose aus, verstanden? Sofort.“
Darren nickte, nicht gerade begeistert. Er wusste, dass er sich in nächster Zeit einiges gefallen lassen musste, wenn sie ihm nicht mit Tadhgs Verkauf drohen sollten. Weshalb Moira ihn so seltsam ansah, als sie ihm eine alte Cordhose und einen Sweater brachte, konnte er nicht einschätzen, er vergaß es auch sofort wieder, weil er einen Bärenhunger hatte. Blitzschnell hatte er sich umgezogen, stopfte seine torfigen Sachen in den Wäschekorb, rannte Moira dann auf Socken nach, die nach einem Tag schon nicht mehr wie Socken aussahen, sondern wie etwas, was die Hunde ausgegraben und getötet hatten.
Kieran konnte es sich nicht erklären, weshalb Darren plötzlich in der Lage war, so laut zu reden, nachdem Lehrer vergeblich versucht hatten, einen Ton aus ihm heraus zu kitzeln und die Diagnose der Ärzte hieß, dass er aus unbekannter Ursache nicht sprechen wollte, obwohl er es konnte. Ein Kinderarzt hatte ein traumatisches Erlebnis als Ursache vermutet und gemeint, dass das in die Hände eines Facharztes gehörte.
„Er ist in Belfast geboren“, hatte Kieran gesagt, „aber er hat nichts anderes erlebt, als hundert andere Kinder auch.“
Daraufhin hatte der Arzt ihn streng angesehen und erwidert, dass jedes Kind seine seelischen Probleme anders zum Ausdruck brachte.
Hatte Darren es sich angewöhnt, mit dem Pony zu sprechen und Gefallen daran gefunden?
Er starrte in den Garten, versuchte sich vorzustellen, wie es mit Darren weiter ging, wenn alles so glatt lief, wie er es sich das vorstellte, aber im Hinterkopf hatte er einen immer deutlicher werdenden Warnton, der ihm sagte, dass nichts so laufen würde, wie er sich das ausmalte. In der Nacht klingelte das Telefon nicht ein einziges Mal, er hatte es probeweise wieder eingesteckt und sie alle hatten Ruhe bis kurz vor vier Uhr morgens. Dann flog ein roter Backstein durch das Fenster neben der Vordertür. Glassplitter sirrten durch das halbe Zimmer bis an Paddys Bett. Den Stein fanden sie später unter dem Regal, auf dem die alten Fotographien der Familie standen, er kam von irgendeiner Baustelle in der Umgebung. Durch den Krach geweckt sprangen sie alle hoch, Kieran befahl Moira, im Zimmer zu bleiben, rannte in Pyjamahosen und auf nackten Füßen nach nebenan. Von der Treppe polterten Pol und Brendan nach unten, einer rannte in den Garten, einer zur Tür hinaus, aber es war niemand zu sehen. Die Straße war wie ausgestorben. Kierans Hunde sprangen am Gitter hoch und kläfften wie verrückt. Im Augenwinkel sah Pol die scharfen Brüder Ugly und Randy, die in die Metallschlingen bissen, sich manchmal gegenseitig in die Ohren packten vor Wurt. Kieran wünschte sich, einmal die Gelegenheit zu bekommen, einen dieser Ärsche zu erwischen, der Steine durch Fenster warf, um die Hunde loslassen zu können.
„Kein Licht“, sagte Kieran.
Im Dunklen hatte er sich bis an Paddy herangetastet, der nach diesem Schock nur noch mühsam rasselnd nach Luft schnappte. Kieran sprach beruhigend auf ihn ein, hielt seine Hand und fühlte dabei unauffällig seinen Puls, der sich ganz langsam wieder beruhigte. Brendan fragte von der Tür her: „Soll ich einen Krankenwagen rufen?“
„Nein“, sagte Kieran, „es geht schon wieder, er ist in Ordnung. War draußen jemand zu sehen?“
„Nein, niemand.“
„Geh zu Moira und sag ihr, dass nichts passiert ist. Dann machen wir das Fenster dicht, such eine Holzplatte oder so was. Aus dem Schuppen.“
„Okay.“
„Zieh dir Schuhe an, hier liegen Scherben.“
Pol schnipste mit den Fingern, bis Kieran zu ihm hinüber sah und machte ein Zeichen, dass er nach oben wollte, um nach Darren zu sehen. Kieran nickte, es fiel ihm wieder ein, dass er Darren gesagt hatte, wenn etwas passierte, solle er zu Michael rüber laufen und er hoffte, dass der Junge nicht schon das Haus verlassen hatte, bei dem plötzlichen Krach mitten in der Nacht.
Paddy begriff endlich, dass außer dem Krach nichts weiter passiert war, seufzte und klopfte Kieran mit der flachen Hand auf den Arm.
Ich bin schon wieder in Ordnung, sollte das heißen, den alten Paddy haut dann doch nichts so schnell um.
Es war schwieriger für ihn zu akzeptieren, dass er nicht mehr allein aus dem Bett hochkam, nur mit Mühe sprechen konnte und das Leben an ihm vorbei ging. Er war noch nicht alt, aber sein Leben in Nordirland hatte ihn kaputtgemacht.
Darren hatte sich in seinem Bett wie ein Igel zusammengerollt, unter der Decke verkrochen, obwohl es dort heiß und stickig wurde. Das Bett war immer eine sichere Zuflucht, wenn man ein Kind war, dort würde er ausharren, bis er glaubte, es sei wieder sicher im Haus. Möglicherweise war nur etwas umgefallen und zerbrochen.
„Hey, sóisear

“, sagte Pol, zupfte an der Decke, unter deren Wölbung er Darren vermutete, „es ist alles in Ordnung. Es ist nur ein Fenster zerbrochen und jetzt zieht es ein wenig. Komm raus da, sonst wirst du noch ohnmächtig.“
Zögernd wühlte Darren sich au der Decke, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Sein Haar war zerwuschelt und auf der rechten Wange hatte er den knitterigen Abdruck des Kopfkissenbezugs. Pol hatte an der Treppe das Licht angemacht und die Tür offen gelassen, der breite Lichtstrahl fiel neben Darrens Bett und auf seine Spielsachen, die er nicht weggeräumt hatte.
„Kannst du weiterschlafen?“
Darren zuckte mit den Schultern, und obwohl damit schon alles gesagt war, flüsterte er: „Weiß nicht. Kann ich bei euch schlafen?“
Noch vor Monaten war Darren ein stumm herumspringender Zwerg gewesen, und da er jetzt immer öfter redete, konnte man es kaum übers Herz bringen, ihm eine Bitte abzuschlagen.
„Du bist bei uns willkommen“, sagte Pol, machte ein übertrieben ernstes Gesicht und meinte: „Es sei denn, du schnarchst wie ein Bär im Winterschlaf.“
Darren kicherte, schüttelte den Kopf und dann nahm er seine Decke und zog nach nebenan, wo er in Pols Bett stieg.
„Ich bin gleich wieder da“, sagte Pol.
Sie dichteten das zerbrochene Fenster ab, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wer das aus welchen Gründen und mit welchem Ziel getan haben konnte. Moira machte Tee für alle, jagte ihnen einen Heidenschreck ein, als sie aus Darrens Zimmer wiederkam und rief: „Darren ist nicht in seinem Bett.“
„Er schläft bei mir“, sagte Pol, „Ist das Okay?“
Moira nickte und verschwand. Nach erfolgter Reparatur und einer Tasse Tee wollte Pol zurück in sein Bett, aber das schaffte er nicht. Moira und Darren lagen eng aneinander gedrückt in seinem Bett, schliefen so friedlich, als sei nichts passiert. Da Kieran und Brendan ebenfalls nicht schlafen konnten und noch in der Küche saßen, gesellte er sich wieder zu ihnen.
„Ich dachte, du wolltest schlafen gehen“, sagte Brendan.
„Mein Bett ist belegt.“

Als es hell genug war, machte Kieran einen Kontrollgang um das Haus, betrachtete die Hauswände und die Fenster, achtete darauf, ob sich etwas verändert hatte. Manchmal hinterließen sie Parolen an den Wänden, aber am Haus der Finnigans war nichts zu sehen. Am Hinterhof und im Garten fand er ebenfalls keine Spuren, und da auch die Hunde vor dem Steinwurf nicht angeschlagen hatten, hieß das wohl, dass sie dort nicht gewesen waren. Sie waren nicht ums Haus geschlichen auf der Suche nach einem besseren Fenster.
Kieran hockte sich neben den geparkten Datsun, sah von einer Umgrenzung zur anderen, von Steinmauer zum Stahltor, das meist geschlossen, aber nicht abgesperrt war. Er beschloss, nachts die Hunde laufen zu lassen, Jep mit ins Haus zu nehmen, weil er sich wie eine fette Ratte durch das Gitter drücken konnte. Moira wäre von der Aussicht, den Hund im Haus zu haben, nicht begeistert, aber Jep würde bei jedem Geräusch auf der Straße anschlagen und sie warnen. Das war der Grund, weshalb ihn sein Vorbesitzer hatte loswerden wollen, er hätte ihn auch in die Mülltonne gedrückt, wäre Kieran nicht vorbeigekommen. Jep hatte ausgesehen wie ein kleiner süßer Knuddelhund für Kinder, hatte sich auch wahnsinnig gefreut, mit Kieran mitgehen zu dürfen, aber zu Hause hatte er sich in einen hyperaktiven Horrorköter verwandelt. Im Zwinger bei den anderen Hunden konnte er sich trotz seiner geringen Körpergröße gut durchsetzen und so blieb er in seinem neuen Heim, auch, wenn er eine Nervensäge war. Er war hart im Nehmen; ab und zu packte Trash ihm im Nacken und schüttelte ihn, dass er in die nächste Ecke flog und selbst das steckte er weg. Richtig gut verstand er sich nur mit Zeppo, dem Irish Terrier, mit dem er schon mal tiefe Löcher in den Garten buddelte.
Kieran wartete darauf, dass Pol und Brendan von oben herunterkamen, winkte sie zu sich und begann ihnen in kurzen Worten zu erklären, wie er sich die Maßnahmen gegen weitere nächtliche Überraschungen vorstellte.
„Wir werden verhindern, dass Schlimmeres passiert“, sagte er, „und euch beide spanne ich mit ein.“
Die Zwillinge waren nicht begeistert, aber das sagten sie ihm nicht direkt ins Gesicht, es war nur an ihren kleinen Gesten und Reaktionen abzulesen, die sie in solchen Situationen nicht unter Kontrolle hatten.
„Was habt ihr heute vor?“
„Gar nichts“, antwortete Brendan.
Pol kratzte sich am Rücken und sagte: „Ich besuche ein paar Freunde, wenn du nichts dagegen hast.“

Moira zählte das spärliche Haushaltsgeld, das ihr noch bis zum Ende der Woche blieb, strich ein paar Dinge von ihrer Einkaufsliste. Als sie den Fernseher hörte, steckte sie Geldbörse und Liste in ihre Jackentasche, schickte Darren nach oben in sein Zimmer, wo er aufräumen sollte. Sie schaltete den Fernseher aus. Manchmal kam der Junge auf die unmöglichsten Ideen. Er war der Meinung, dass etwas von dem Steinwurf in den Nachrichten gebracht werden würde.
Gegen das Zimmeraufräumen protestierte er nicht, lief nach oben und rumorte dort eine ganze Weile herum. Er hatte nicht sehr viel Spielzeug, ein paar Stofftiere aus seiner Babyzeit, Plastikautos und eine aktuell zerlegte Eisenbahn. In vielen anderen Kinderzimmern gab es Pistolen und Gewehre aus Plastik, aber das hatte Kieran untersagt. Auch, wenn die britische Armee in Pettigoe sich nur durch Hubschrauberüberflüge bemerkbar machte, wollte Kieran nicht, dass sein Sohn mit einer Waffenattrappe herumlief und Krieg spielte. In Belfast hatte er es zu oft erlebt, dass aus kindlichem Spiel tödlicher Ernst geworden war, weil die Soldaten zu spät erkannten, dass es Gewehre aus Plastik und der Terrorist ein spielendes Kind gewesen war.
„Was ist mit Darren?“, rief Moira in den Garten, „kann er rüber zu Tadhg?“
„Brendan bringt ihn rüber“, rief Kieran zurück, „er hat nichts vor heute.“
„Nein“, sagte Brendan freundlich, obwohl er sich liebend gern abgesetzt hätte, „mach ich gern.“
Pol war längst verschwunden, hatte nichts gesagt, wen er treffen wollte.
„Brendan“, sagte Kieran leise, sah hinüber zu den dösenden Hunden, „wenn irgendwas passiert, packst du dir den Jungen und bringst ihn zu Michael. Behalt ihn im Auge. Vermutlich bin ich nur überreizt, aber sicher ist sicher.“
Brendan hatte seine eigenen persönlichen Erfahrungen mit Kierans überreizten Nerven gemacht und war lieber doppelt vorsichtig. Vor Jahren waren sie auf einer einsamen Strecke von einem Musikfestival Richtung Heimat gefahren und Kieran hatte sich geweigert, an einem liegengebliebenen Strohlaster vorbeizufahren. Er hatte gedreht und eine andere Straße genommen, ohne auf ihre Proteste zu achten. Im Radio hatten sie dann eine halbe Stunde später von einer Sprengfalle gehört, die an einem Strohtransporter angebracht gewesen war und zwei Menschen schwer verletzt hatte.
„Gott segne deine Eingebung“, hatte Moira gesagt und sich bekreuzigt, aber die Zwillinge hatten vermutet, dass er nicht seiner Eingebung, sondern seinem Wissen, wie man eine solche Falle baute, gefolgt war. Baute man sie oft genug, erkannte man sie auch von Weitem.
Darren rannte aus der Hintertür hinaus in den Garten, kletterte über die Steinmauer und wartete auf der anderen Seite ungeduldig darauf, dass Brendan endlich den Hintern hochbekam.
„Ich bring dich rüber zu Tom“, sagte er, als sie unterwegs waren, „aber mach mir ja keinen Ärger.“
Pol hatte sich nicht nur schnell abgesetzt, um Kierans Laune zu entgehen. Er traf sich mit Tim Ryan am Sportplatz, wo die Jugendmannschaft Fußball spielte, sich aber reichlich lustlos anstellte. Den ganzen Vormittag hatte er damit zugebracht, Geld aufzutreiben, bis Tim, der Mann mit den alten Verbindungen, endlich Zeit für ihn hatte. Am schlechten Wetter konnte es nicht liegen, dass die Mannschaft so furchtbar spielte, schließlich waren sie den Regen gewöhnt, aber sie hatten ein paar Experten im Team, die den Ball immer wieder ins Aus kickten oder sich gegenseitig grundlos von den Beinen holten.
Der Trainer war bereits heiser vom Schreien.
Tim und Pol standen am Rand des Platzes, in der Nähe von einigen Vätern, die ihre Söhne begleitet hatten, aber dem Trainingsspiel nicht wirklich folgten. Einer reichte die Tauffotos der Jüngsten herum, der nächste studierte eine Rennzeitung und hinter dem einen Tor war einer, die Arme beladen mit den Trainingsjacken der Jungs, auf seinem Klappstuhl eingeschlafen. Es schien alles nicht so wichtig, wo sie nicht mal gegen eine andere Mannschaft antraten. Sie spielten in ihren Mannschaftstrikots gegeneinander, die eine Mannschaft hatte die Shirts auf links übergezogen.
Wieder hackte ein Junge einen anderen zu Boden, ein Vater schrie wütend auf, wobei nicht klar wurde, ob sein Sohn der Klopper oder der Getretene war, und begann sich mit dem Trainer anzubrüllen.
„Da hinten“, sagte Tim, „der mit der roten Kapuze, das ist dein Mann. Der taucht hier ab und zu auf, aber er wird dir hier nichts verkaufen. Die Väter würden sich zusammentun und ihn abservieren, wenn sie glaubten, er verkaufe seinen Stoff an ihre Kinder. Er wird sich mit dir woanders treffen, da werde ich aber nicht dabei sein. Bist du sicher, dass du das wirklich tun willst?“
„Irgendwie muss ich von meinen Schulden runter.“
Pol rauchte noch eine Zigarette und sie taten so, als sähen sie sich das Fußballspiel an, waren froh, nicht selbst durch den Matsch gejagt zu werden. Tim sagte, er müsse noch was für die Schule tun und Pol schlenderte zu dem Kapuzenmann hinüber, ließ die Bemerkung fallen, dass es offensichtlich mit dem irischen Fußball bergab ging. Tim kannte die Typen, die mit Dope handelten, wollte aber mit ihnen nichts mehr zu tun haben, aus Angst, er könne mit ihnen gesehen werden und sein Vater würde denken, er treibe sich wieder mit den falschen Freunden herum. Und außerdem hatte er nicht gerade Sehnsucht nach ihnen. Der Kapuzenmann kam Pol bekannt vor, er hoffte, dass er ihn einfach nur schon mal in den Pubs oder Discos in der Umgebung gesehen hatte oder wie jetzt beim Fußballspiel – er hatte ein schmales irisches Allerweltsgesicht – andererseits war es gut möglich, dass er aus Renés Dunstkreis kam und deshalb würde Pol nicht danach fragen.
„Hey“, sagte er, zeigte mit dem Kinn zu den Jungs hinüber, „wenn die am Samstag auch so spielen, seh ich schwarz.“
„Der Sohn meiner Schwester steht im Tor, der kleine Fettsack da. Ich warte nur darauf, was passiert, wenn er ein Tor reinkriegt.“
Sie standen beieinander, lehnten mit den Ellenbogen auf der Metallstange, die als rostige Absperrung den ganzen Spielraum umgab und eigentlich nur dazu gut war, dass man sich beim Anlehnen Fäden aus dem Pullover zog. Pol reichte dem Kapuzenmann die Zigarettenschachtel und sagte: „Ich bin Pol. Nimm dir eine.“
„Ich hab’s aufgegeben, danke. Du willst was Bestimmtes von mir?“
Er hatte eine ruhige angenehme Stimme, sah aber Pol nicht an, als er sprach. Von der Seite war von seinem Gesicht bis auf die Nase nicht viel zu sehen. Pol nickte.
„Dann kannst du mich Kevin nennen. Ich hab gesehen, dass du mit Tim gekommen bist. Ist er ein Freund von dir?“
„Wir trinken ab und zu einen zusammen.“
„Alkohol ist das pure Gift“, erwiderte Kevin.
Ein Junge, der sich mit dem Ball nicht ganz so dumm anstellte, stürmte nach vorn, den Ball vor sich hertreibend und mit einem so wütenden Gesichtsausdruck, dass sich ihm niemand in den Weg stellte. Er knallte das Leder an Kevins Neffen vorbei ins Tor, der sich kaum zu bewegen gewagt hatte, nur dem Ball hinterher sah und sich augenblicklich zu Boden warf und zu heulen begann.
Je-des-mal

“, betonte Kevin, schüttelte den Kopf, „ist das nicht peinlich? Und sie stecken ihn nur ins Tor, weil er auf dem Platz zu langsam und zu schwerfällig ist. Er sieht aus wie eine Fleischwurst auf Beinen.“
„Muss ihn jetzt jemand trösten kommen?“
Der Junge lag unter der Torstange bäuchlings auf dem weichen Boden, schlug mit den Fäusten und trat mit den Füßen, als mache er Schwimmübungen, dabei heulte er wie ein Baby.
„Ich hab’s längst aufgegeben, ihn trösten zu wollen, das mach ich nur, wenn seine Mutter in der Nähe ist, um des lieben Friedens Willen.“
Der Trainer kam mit säuerlichem Gesicht auf das Tor zu, blieb kurz davor stehen und steckte sich die Trillerpfeife zwischen die Zähne. Er schien einen Moment zu zögern, dann stieß er einen schrillen Pfiff aus, spuckte die Pfeife aus, die an der Kette vor seiner Brust baumelte, und brüllte in der gleichen Lautstärke, dass er keinen Nerv mehr auf diese kleine Heulsuse habe und er einen anderen Jungen ins Tor stellen würde.
Pol dachte, der Junge würde jetzt erst recht zu toben beginnen, aber kaum hatte der Trainer ihn von Platz gestellt, stand er in aller Seelenruhe auf und marschierte in Richtung Umkleidekabinen davon.
„Diese kleine durchtriebene Memme“, sagte Kevin, „Okay, Pol, in einer Stunde am Friedhof. Da sehen wir, was ich für dich tun kann.“

Pol verbrachte einen Nachmittag in Enniskillen auf dem Universitätsgelände, machte einen Haufen vergnügungssüchtiger Studenten sehr glücklich und konnte sich ebenfalls nicht beschweren. Er hatte gutes Geld verdient und dachte nur widerwillig daran, dass er es nicht behalten konnte, es war Renés Geld, was er ihm noch immer schuldete. Auf dem Weg nach Hause saß er im Wagen eines Viehtransportes und lachte mit dem Fahrer über das Radioprogramm.

Brendan hatte sich von Tom O’Neill’s Farm abgesetzt und darüber die Zeit vergessen, es war schon später Abend, es war stockdunkel und er hätte Darren längst nach Hause bringen sollen. Das würde tierischen Ärger nach sich ziehen. Anstatt sich durch die Hintertür reinzuschleichen und seine Schuld einzugestehen, nahm er die Vordertür, rief ein „Hallo

“ und ging direkt nach oben. Er horchte durch Darrens Zimmertür und hörte, dass er an seinem Radio herumdrehte, also war er gut nach Hause gekommen. Pol war noch nicht da. Er zog sich die Straßenklamotten aus, hörte von nebenan das Radio laut plärren und sang zu dem Lied lauthals mit, worauf Darren seinen Kopf durch die Tür steckte und breit grinste.
„War Kieran sauer, dass ich dich nicht nach Hause gebracht habe?“
Darren schüttelte den Kopf.
Daid

ist noch nicht zu Hause“, sagte er.
„Es tut mir leid“, meinte Brendan, setzte sich auf sein Bett und machte eine Kopfbewegung, dass Darren hereinkommen sollte, „ich hatte viel zu tun und konnte nicht anrufen, es lief alles Drunter und Drüber. Hattest du Spaß mit Tadhg?“
Darren war erst mit einer Gruppe Touristen durch die Gegend geritten, Tom war vorgeritten und er hatte als Schlusslicht darauf geachtet, dass niemand zurückblieb. Dabei war Tadhg die ganze Zeit brav gewesen. Weil sie die Gruppe eng zusammengehalten hatten, war diesmal nichts passiert und sie hatten alle heil auf den Hof zurückgefunden.
„Wir springen noch ein wenig“, hatte Tom gesagt, „damit der Junge im Training bleibt.“
Heimlich hatte Tom die Sportblätter aus der Umgebung nach kleinen Turnieren durchgesehen, sich ernsthafte Gedanken darüber gemacht, wo er Tadhg und Darren am besten zeigen konnte und was so in der Nähe lag, dass man nicht lange unterwegs war. Er wollte mit ihm einen kleinen Parcours üben, denn das war etwas anderes als einzelne Sprünge auf einem Sandplatz. Darren hatte genug Ehrgeiz, um es zu schaffen, er stellte sich bei den Sprüngen ganz gut an, fand den richtigen Absprung und das richtige Tempo.
„Morgen packen wir ihn in den Hänger und fahren zum alten Sullivan“, rief Tom, nachdem Darren eine komplette Runde aus drei Sprüngen gemacht hatte, „der hat auf seinem Gelände einen richtigen Parcours. Wollen doch mal sehen, was er dazu sagt.“
Darren hatte große internationale Springreiten schon öfters im Fernsehen verfolgt, hätte sich aber niemals träumen lassen, so etwas selbst einmal auch nur annähernd zu wagen. Und außerdem – er hatte gar nicht die Ausrüstung dazu; konnte er dort überhaupt einen ganzen Parcours springen, wenn er dort in seinen alten Reithosen und mit Joghpurs ankam? Darüber machte er sich wirklich Gedanken und fragte Tom danach schon halb überzeugt, dass aus der Sache nichts werden würde. Tom begann schallend zu lachen und meinte nur, dass er sich keine Sorgen machen brauche, seinem alten Kumpel Sullivan sei es vollkommen egal, wie man aussah, solange das Pony die Füße vom Boden bekäme. Es sei ein gutes Zeichen, dass es ihm gar nicht in den Sinn gekommen sei, er könnte es nicht schaffen. Das sei die richtige Einstellung.
„Immer mutig voran“, sagte Tom, als sie auf Brendan warteten, der aber nicht kam, um Darren abzuholen, „dann hat dein Pony gar keine Gelegenheit, sich Blödsinn einfallen zu lassen.“
Darren hätte seinem Dad gern davon erzählt, mit einmal gab es so vieles, was er erzählen wollte, aber selten die richtigen Worte und den Mut dazu fand. Kieran war noch immer nicht zu Hause und dann schickte Moira ihn schlafen. Er versuchte an Ihrem Gesicht abzulesen, ob sie sich Sorgen deswegen machte, aber sie schien zu beschäftigt mit dem Waschen und Bügeln. Es war lustig, Jep im Haus zu haben, den man die ganze Nacht herumtapsen hören konnte, mal an den Türen schnüffelnd, mal auf dem Flur und an der Treppe.
Kieran kam nach Hause und Jep begrüßte ihn hysterisch, weckte die ganze Familie auf. Er griff sich den Hund, steckte ihn sich fest unter den Arm und hielt ihm die Schnauze zu. Da er wusste, dass durch Jeps Gebell das ganze Haus wach war, rief er am Fuß der Treppe: „Ich bin’s nur. Entschuldigung.“
Jep zappelte und knurrte empört in seinem Arm, war aber wieder ruhig, als Kieran ihn absetzte. Er setzte schnüffelnd seine Kontrollgänge im Haus fort.
Beim Krach des Hundes war Moira aufgewacht, aber als Kieran das Schlafzimmer betrat, leise die Tür hinter sich schloss, stellte sie sich schlafend, reagierte nicht, als er sie flüsternd ansprach. Normalerweise ließ er sie in Ruhe, wenn sie sich tot stellte, diesmal allerdings rutschte er im Bett an ihre Seite, flüsterte ihr zu, weshalb er so spät war und nahm einfach an, dass sie sich nur schlafend stellte.
„Ich versuche einen Job zu finden“, sagte er in die Dunkelheit hinein, „und das ist nicht einfach im Moment. Sie setzen mich unter Druck, weil sie damit nicht einverstanden sind, dass Darren auf diese Schule geht, aber im Grunde können sie es nicht verhindern. Das ist ein Fortschritt, oder? Darren bekommt eine gute Ausbildung, er ist glücklich mit seinem Pony und wer weiß, vielleicht leben wir schon bald nicht mehr in der Nachbarschaft von britischen Truppen. Es tut mir leid, Moira, wenn ich immer wieder der Grund für Sorgen bin, ich versuche es abzustellen, aber du kennst mich.“ Er verstummte, horchte auf ihren Atem, der ihm aber nicht verriet, ob sie wach war oder schlief. „Es ist alles nicht so wichtig“, murmelte er, „Hauptsache, euch allen geht es gut. Sollte es wieder jemand wagen, einen Stein zu werfen, schnapp ich ihn mir.“
Was er ihr nicht sagen konnte, wovon sie keine Ahnung hatte, war sein zufälliges Treffen mit einem alten Freund. Es war unglaublich, dass Tommy ihm in die Arme gelaufen war, von dem er geglaubt hatte, dass er schon längst nicht mehr auf der Insel war. Er hatte abgenommen und sah nicht wirklich gut aus, aber was zählte das schon, wo er wenigstens nicht in einem britischen Gefängnis saß. Sie tranken einen Kaffee zusammen, setzten sich dazu in ein winziges Café, in dem sie ihre Ruhe hatten.
Tommy rauchte mehr als er sprach, und Kieran hütete sich davor, ihm auf die Nerven zu gehen mit zu vielen falschen Fragen. Stattdessen erzählte er von den Zwillingen und Darrens Fortschritten.
„Als ich ihn das letzte Mal gesehen hab, hat er noch in die Windeln geschissen“, sagte Tommy, „ich würde euch besuchen kommen, aber an die Grenze wage ich mich nicht ran. Was tut sich sonst bei euch?“
Kieran dachte an die Belfaster Zeit, als Tommy ihn unter seine Fittiche genommen hatte, ihn mehr als einmal die Haut rettete und mehr war als nur ein Kollege. Sie hatten sich Zimmer geteilt, wenn sie untertauchen mussten und Tommy hatte bei jedem Umzug der Finnigans geholfen. Es schien erst einen Tag her zu sein, dass Tommy den brüllenden Darren unter dem Arm geklemmt hielt, drei prall gefüllte Taschen in der anderen Hand, während er Kieran zu erklären versuchte, wie er die Sachen, die schon auf der Straße standen, am besten auf den Handwagen packte, damit sie alles auf einmal wegbekamen. Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass sie Möbel und den halben Küchenstand zurücklassen mussten, und als sie mit dem leeren Handwagen zurückkamen, hatten die britischen Soldaten bereits alles kaputt geschlagen.
„Wir hätten einen Umzugswagen besorgen sollen“, hatte Kieran gesagt.
„Die hätten dich nie durch den Kontrollpunkt gelassen.“
„Nur gut, dass Moira das nicht sieht.“
Tommy war trockener Alkoholiker, rauchte wie ein Schlot und konnte ohne Probleme in Pubs gehen und sich neben Betrunkene setzen. Kieran hatte erlebt, wie er einem Ulster Freedom Fighter die rechte Hand gebrochen hatte, weil der an dem katholischen Pub stehen geblieben und mit besagter erhobener Hand hineingegrüßt hatte, alle fünf Finger weit abgespreizt. Es hatte keine Ähnlichkeit mit dem Hitlergruß, denn es hatte eine andere Bedeutung. Fünf Finger – fünf tote Katholiken auf einem Streich.
Er war blitzschnell und kompromisslos und hatte dabei noch immer Humor, was den meisten Provos leider abging. Zumindest konnten diejenigen darüber lachen, die ihm noch nicht in die Finger gefallen waren. Er sagte, er wolle noch in der Nacht wieder zurück nach London, um dort unterzutauchen, vielleicht ging er auch nach Frankreich. Die Sprache würde ihn umbringen, aber dort könnte man in einem milden Klima leben, sich einen Job suchen und man müsse keine Angst haben, wenn einem ein abfälliges Wort über Großbritannien herausrutschte.
Kieran gab ihm das Geld, was er noch in den Taschen hatte, entschuldigte sich, dass es nicht mehr war, und rang ihm das Versprechen ab, sich zu melden, wenn er etwas für ihn tun konnte.
„Hast du noch Kontakt zu den anderen?“, fragte er und Tommy sagte abschätzig: „Die behaupten, ich sei tot, wenn ich mich bei denen melde.“

Kieran wühlte sich auf seiner Seite des Bettes zurecht, seufzte kaum hörbar und sein Schnarchen ließ darauf schließen, dass er bereits Minuten später eingeschlafen war. Moira lag noch umso länger wach, unglücklich über ihre eigene Unfähigkeit, auf Kierans Erklärungsversuch mit etwas anderem zu reagieren als mit Schweigen und sich tot stellen. Als sie endlich einschlief, träumte sie von der Zeit in Belfast. Sie war in der ersten Bruchbude in der katholischen Sozialbausiedlung so unglücklich gewesen und gleichzeitig froh darüber, endlich dem Einfluss ihrer Mutter entronnen zu sein. Ihre ganze Familie war geschlossen gegen die Verbindung mit Kieran gewesen, hatten aber nichts dagegen tun können. Die einzige Schande, die sie von ihrer Familie abwenden konnte, war unverheiratet schwanger zu werden, denn Darren kam erst zwei Jahre nach ihrer Heirat zur Welt. Sie konnte das Gerücht entkräften, sie habe diesen seltsamen Chaoten heiraten müssen, der sich ständig in einer beunruhigenden Mischung aus Schüchternheit und Starrsinn präsentierte. In Belfast waren sie oft umgezogen in den ersten zwei Jahren, oft hatte Kieran nur an ein oder zwei Nächte wirklich dort geschlafen, weil er ständig unterwegs war. Die Umzüge verliefen mitunter im Wochentakt, was mit der kaum zu verheimlichenden Tatsache zusammenhing, dass Kieran immer mal wieder untertauchen musste. Sie besaßen zu dieser Zeit kaum mehr, als in vier Koffern Platz fand. Natürlich blieben sie in den katholischen Straßen, wechselten aus der Falls Road nach Ballymurphy und zurück in die Limestone Road. Sie lebten mit Schießereien, britischen Soldaten auf den Straßen, Kontrollen und Scharfschützen, die im Dämmerlicht über die Dächer liefen, mit der RUC, die nie eingriff. Und sie lebten irgendwie mit der SAS. Dennoch waren diese zwei Jahre mit Kieran in einer unsicheren Kleinstadt in Nordirland, wo sie mit einmal zwischen guten und bösen Nachbarn unterscheiden musste, wundervoll gewesen. Abseits seiner kaum verheimlichten politischen Aktionen verbrachten sie gemeinsame Stunden und manchmal fuhren sie aufs Land übers Wochenende, um alles einmal hinter sich zu lassen. Kam Kieran zurück, war seine erste Frage: „Ist jemand gestorben, während ich weg war?“
Als Moira schwanger wurde, bemühte sie sich um eine erste feste Wohnung in einem ruhigen Viertel, in dem Kieran nicht häufig auftauchen würde, um die RUC nicht dorthin zu locken. Durch den Umstand, dass Tommys Vater und Bruder bei einer Passantenkontrolle erschossen wurden, bekamen sie die Wohnung seines Bruders und zogen zwei Wochen später dort ein. Moira hatte ein schlechtes Gewissen, aber er drängte ihnen die Wohnung förmlich auf. Kieran schleppte alte Möbel an, er brachte eigentlich alles mit nach Hause, was er unterwegs fand oder organisieren konnte, und Moira hielt alles zusammen, besserte Blessuren und Schäden aus, und wenn Reparaturen nicht mehr halfen, dekorierte sie alles mit Blumen und Bildern, um das Auge von dem Makel abzuwenden. Sei waren glücklich miteinander, hatten keine großen Streitereien, weil nichts außer ihrem seltenen Zusammentreffen wirklich wichtig zu sein schien.
Kieran kämpfte, verschwand für einige Tage und wollte nicht sagen, wo er gewesen war und was er getan hatte. Es war ein Wunder, dass sie über die Runden kamen, Kieran hatte selten einen gut bezahlten Job und brachte so wenig Geld nach Hause, dass es kaum für die Miete reichte. Obwohl sie von der Hand in den Mund lebten, machten sie sich kaum Sorgen deswegen. Sie waren jung genug, konnten für den Moment leben und wenn nichts zu Essen im Haus war, gingen sie zu Nachbarn oder zu Freunden und ließen sich durchfüttern.
Moira fragte sich, wie sie wieder zu dieser zufriedenen Einigkeit zurückkommen konnten, ohne auch die üblen Begleiterscheinungen ins Leben zurückzurufen wie die Geister lang Verstorbener.
In dieser Nacht hatten sie Ruhe, abgesehen von dem ständigen taptaptap

von Jeps Pfoten, was man aber irgendwann ignorieren konnte. Beim Frühstück versuchten Moira und Kieran alles so normal aussehen zu lassen wie möglich, um Darren nicht zu beunruhigen, aber der Junge war ohnehin mit Tadhg beschäftigt und wollte so schnell wie möglich zu Tom rüber. Als Brendan und Pol nach unten kamen, war er schon verschwunden. Kieran hatte sich dazu überreden lassen, ihn allein gehen zu lassen.
„Er ist doch vorsichtig“, sagte Moira, „du kannst ihn nicht ständig überall hin begleiten.“
Die Zwillinge stritten wegen eines Ausflugs nach Craigavon, hatten keine Zeit für ein Frühstück oder für eine Tasse Tee, schienen nur noch darüber nachzudenken, ob sie es wagen konnten, Kieran nach dem Auto zu fragen. Sie stritten laut und unbeherrscht, fingen sich dann plötzlich wieder und flüsterten miteinander, als seien sie die dicksten Verbündeten, wurden dann wieder lauter, als es darum ging, wer den ersten Schritt tun sollte. Es war Brendan, der die Katze aus dem Sack ließ.
„Wir wollen rüber nach Craigavon“, sagte er, „ich hab gehört, dass sie dort ein Countryhotel aufmachen und die Jobs sind bestimmt gut bezahlt.“
„Hört sich gut an“, antwortete Kieran und seiner Stimme nach meinte er es ehrlich, „wenn Pol noch nicht die Nase voll hat von Hoteljobs, solltet ihr es versuchen.“
„Wie sieht’s aus, kriegen wir den Datsun?“
Kieran nahm seine Teetasse und stellte sie in die Spüle, wo er Wasser hineinlaufen ließ. Das Brunnenwasser war leicht trübe und an manchen Tagen dunkel vom Torfboden, als würde der schwarze Tee schon fertig aus dem Hahn fließen. Kieran sah in den Abfluss und sagte, ohne sich umzudrehen: „Wie soll ich den Wagen wieder kriegen?“
Pol und Brendan sahen sich kritisch an und Brendan sagte: „Wir kommen abends zurück, das ist kein Problem. Und wenn wir dort was Festes haben, bleiben wir erst mal ’ne Weile.“
„Ihr wisst, was passiert, wenn ihr den Wagen nicht zurückbringt. Dann könnt ihr was erleben. Aber nehmt ihn ruhig. Ich kann mit Michael fahren.“
Die verdutzten Zwillinge starrten sich noch immer an, übertrafen sich in lauten Bekundungen, dass sie bis zum Abend zurück seien, mit einem sauberen und aufgetankten Datsun und machten sich auf die Reise, bevor Kieran es sich anders überlegen konnte.
„Sie werden nie im Leben pünktlich zurück sein“, sagte Moira, „da machst du dir was vor, Kieran.“
„Ich weiß“, erwiderte er, „aber lieber gebe ich den Wagen her als die Plagegeister ständig im Haus zu haben.“
„Was hast du mit Michael vor? Geht es um einen Job?“
Hoffentlich

, dachte sie, erinnerte sich an ihren Traum von Belfast. Er war dort mit vielen anderen jungen Männern herumgezogen, von denen die meisten nicht mehr lebten oder lebenslänglich bekommen hatten.
„Ich versuche noch immer rauszukriegen, wer den Stein geworfen hat.“
Kieran fuhr sich mit der Hand durch den Nacken. Er bemerkte, dass sein Haar zu lang wurde. Moira sagte sehr vorsichtig: „Als du so lange weg warst, haben sie wieder angerufen. Zweimal bin ich drangegangen, dann hab ich es nur noch klingeln lassen.“
„Ich kümmere mich darum, dass es aufhört.“
„Hauptsache, du scheuchst uns nicht auch so aus dem Haus wie die Zwillinge.“
Kieran seufzte. „Ich bin doch nicht so scheußlich zu den Beiden, weil ich sie nicht leiden kann, ich muss nur aufpassen, dass sie nicht auf die Idee kommen, in meine Fußstapfen zu treten und es mir gleich zu tun. Was ich mache, ist meine Überzeugung, aber die Zwillinge sollen da raus bleiben. Ich will nicht, dass ihnen etwas passiert.“
Moira flüsterte so leise, dass Kieran sie kaum verstand, sie klang so müde und ausgelaugt, dass er eine Gänsehaut bekam. Es war nicht nur was

, sondern auch wie

sie es sagte.
„Wer ruft mitten in der Nacht an und wer wirft uns Steine durchs Fenster? Sind es die, gegen die du kämpfst, oder sind es deine eigenen Leute?“
Diese Frage wagte er ihr nicht zu beantworten. Stattdessen zog er sich aus der Affäre, in dem er sich halb abwandte, den Kopf schief legte und scheinbar endlos darüber nachdachte, was er am besten sagen sollte. Im Endeffekt aber sagte er gar nichts. Die Frage traf ihn hart und deshalb verstummte er lieber.
Moira zog sich ebenfalls zurück, ging in Paddys Zimmer, nur um aus der Küche herauszukommen. Sie las Paddy aus der Zeitung vor und ließ dabei die politischen Meldungen aus, um ihn nicht unnötig aufzuregen. Sie wandte nur kurz den Kopf, als sie Kieran das Haus verlassen hörte. Sie hasste es, wenn er sich einfach so davon machte. Wie leicht konnte es passieren, dass ihm etwas zustieß, er nicht mehr zurückkam und dann blieb sie zurück, ohne sich zuvor mit ihm versöhnt zu haben. Es war seltsam, aber der Gedanke, um unguten auseinandergegangen zu sein und das endgültig, wog fast noch mehr als der Gedanke daran, dass Kieran sterben könnte. Der alte Patrick merkte, dass etwas nicht stimmte, ergriff mit zittriger Hand die Zeitung, riss sie an sich und verteilte die Seiten über seine Bettdecke. Seine Faust krampfte sich um die Hauptschlagzeilen und er ließ sie nicht mehr los. Moira sammelte den Rest ein und brachte sie wieder in Zeitungsform zurück.
„Paddy“, sagte sie, „lass doch den Unsinn. Möchtest du lieber in den Garten?“
Paddy funkelte sie an, knitterte die Zeitung zusammen und schien verzweifelt etwas sagen zu wollen, es machte ihn mitunter rasend vor Wut, wenn er sich mitteilen wollte und es nicht konnte. Er wollte nicht in den Garten, heute wollte er keinen Blick auf sein Stückchen Land werfen, er machte sich Gedanken über seine Familie und wollte wissen, wohin sein Sohn verschwunden war. Auch, wenn es nicht immer so aussah, bekam er fast alles mit, was in diesem Haus vor sich ging, vermisste die Zeiten, in dem er das Oberhaupt der Familie gewesen war.
„Lass es gut sein, Paddy“, flüsterte Moira, überließ ihm die Zeitung, „ich komme später noch mal zu dir.“
Wenn Pol und Brendan weg waren, wagte Moira sich mit dem Staubsauger in das Zimmer, um den Motten und Staubflocken zu Leibe zu rücken. Jetzt stand sie mitten im Zimmer, das Saugrohr in der Hand, sah sich zweifelnd um, ob sie hier noch irgendetwas tun konnte oder direkt alles auf den Hof werfen und verbrennen sollte. Den Klamotten, die in Haufen herumlagen, war nicht wirklich anzusehen, ob sie sauber oder getragen waren und bei manchen Teilen war nicht einmal mehr erkennbar, was Ärmel und was Kragen war.
„Langsam reicht es“, murmelte sie, packte alles, was herumlag in einen großen Müllsack, den sie in die Ecke unter das Fenster stellte, dann so gründlich wie möglich saugte, obwohl sie den eingetretenen Dreck entweder nicht ausbekam oder ganze Faserbündel wegsaugte, die irgendwann die Düse verstopften.
Das Zimmer sah nach der Aktion nicht viel besser aus, aber sie hatte so wenigstens das Gefühl, etwas getan zu haben. Sie warf einen Blick zu Paddy ins Zimmer, ging schnell einkaufen, wo sie sich im Supermarkt an der Kasse festquatschte und doch später nach Hause kam. Vor dem Supermarkt traf sie dann noch Mrs. McGinty, missmutig wie immer, die sie darüber auszuquetschen versuchte, wie die Finnigans sich in ihrer Lage ein Pony leisten konnten und ob es überhaupt das richtige war, einem Jungen mit einem Handicap durch die Gegend reiten zu lassen.
Moira sagte darauf nur sehr freundlich auf Wiedersehen

und marschierte mit ihren roten Plastiktüten davon.

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Tag der Veröffentlichung: 18.05.2011

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