Cover

Pferdekauf
Freitag war Darrens großer Tag. In der Nacht davor konnte er kaum schlafen vor Aufregung und Moira musste ihre ganze Geduld aufbringen, um ihn immer wieder ins Bett schicken zu können, ohne ihn anzuschreien. Kieran war längst schlafen gegangen, hatte sich so fein aus der Affäre gezogen, nachdem Darren ihn schon Tage zuvor belagert hatte, wie er es schaffen wollte, Tadhg vor dem Händler zu retten. Selbst Moira hatte mit ihm diskutiert.
„Er wird dich doch in jedem Fall überbieten, wenn ihr es darauf ankommen lasst“, sagte sie, „ich weiß überhaupt nicht, wie wir das Pony bezahlen sollen. Was ist mit seinem Unterhalt?“
„Das hab ich schon geregelt. Das Pony bleibt bei Tom stehen.“
„Tom hält sich gerade so über Wasser“, sagte Moira, „das finde ich nicht gerade fair.“
„Er hat es selbst vorgeschlagen und das lässt sich jederzeit abändern. Ich will Darren diese Freude machen, das wird für ihn ein Ausgleich zur Schule, da wird er es nochschwer genug haben.“
Das wussten sie nur zu genau, dass auf Darren eine harte Zeit zukommen würde, nicht nur, weil er der Älteste in der Klasse war, wenn er endlich eingeschult wurde. Alle würden schnell herausfinden, was mit ihm anders war und sie konnten nur nicht voraussagen, wie er auf das alles reagieren würde.
„Du hast ja recht.“ Moira seufzte. Sie mochte nicht davon anfangen, was alles passieren konnte.
George Baldrick hatte sich für den frühen Nachmittag angekündigt, trotzdem waren sie alle bereits am Morgen auf Toms Hof. Laoise wartete ungeduldig in ihrem Zimmer, wo sie vor ihrem verspiegelten Kleiderschrank rund ein Dutzend verschiedener Kleider, Rücke, Hosen und Kombinationen ausprobiert hatte. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt, dann aufgedreht und die Locken wieder ausgebürstet. Letztendlich zog sie dann doch das Kleid an, in dem sie sich am wohlsten fühlte und in dem sie nicht befürchten musste, es könnte ihr im unpassenden Moment hochrutschten. Sie befolgte den Rat ihrer Freundin, ließ das Haar locker über ihre Schultern fallen und schminkte sich so dezent, wie sie konnte. Schließlich wollte sie hübsch aussahen und nicht den Eindruck erwecken, als wolle sie ihn mit Gewalt rumkriegen. Liam sollte sie nicht für eine Schlampe halten. An die Möglichkeit, dass er gar nicht mitkam, um Tadhg abzuholen, oder dass er mitkam und keine Zeit für sie hatte, dachte sie einfach nicht. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel, zupfte an dem Kruzifix an der kurzen dünnen Kette um ihren Hals, dreht sich einmal und befand sich für annehmbar. Die Auswahl der Schuhe nahm dann noch einmal eine halbe Stunde in Anspruch, obwohl sie nur drei Paar besaß, die diese Bezeichnung auch gereicht wurden. Die Vernunft siegte über den roten Stöckelschuhen, mit denen sie im Schlamm und zwischen den Schottersteinen nur umknicken und sich die Bänder zerren würde. Sie zog die bequemen Turnschuhe an, ging nach unten in die Küche, bewaffnet mit einem Buch als Ablenkung.
Tom nahm das Ganze gelassener, er wusste, dass er sein Geld auf jeden Fall bekam, ob nun von George oder von Kieran. Aus den Augenwinkeln beobachtete er seine Tochter, die selten so hübsch ausgesehen hatte, was er ihr aber niemals gesagt hätte. Sie tat so, als würde sie in einem Buch lesen.
Zuerst traf Kieran ein, trank eine Tasse Tee mit ihnen, eine Stunde später kam George mit dem Transporter auf den Hof gefahren. Darren war die ganze Zeit bei Tadhg im Stall gewesen, hatte sich die Mühe gemacht, einzelne dünne Strähnen aus seinem Schweif von Knoten und Schmutz zu befreien. Als er den Transporter hörte, ließ er Tadhg auf der Stallgasse stehen und rannte zur Tür. Sein Herz raste. Wenn bloß nichts schief ging. Es ging so oft etwas schief. Der alte George stieg aus, gefolgt von Liam. Sie trafen sich alle in der Küche, Tom holte Darren aus dem Stall und stellte das Pony in die Box zurück.
„Du willst das Wichtigste doch nicht verpassen, oder?“
George und Kieran schüttelten sich die Hände, setzten sich zu einem frischen Tee zusammen. Laoise lud Liam zu sich an den kleinen Tisch neben dem Ofen, wo sie ihn anlächelte und fragte, wie seine Woche gewesen sei. Liam hatte versucht, sie anzurufen, aber jedes Mal hatte ihm sein Vater dazwischen gefunkt, ihm noch mehr Arbeit aufgebrummt und keine Sekunde aus den Augen gelassen. Das konnte er Laoise nicht sagen, während sein Dad einen Tisch weiter saß, also erzählte er ihr von den Ponys, die sie gekauft hatten, von denen, die sich dumm anstellten und denen, die begeistert mitarbeiteten.
„Ich denke, sie haben mitbekommen, was mein Junge angestellt hat“, begann Kieran freundlich, „er war todunglücklich, dass Tadhg weg sollte und was soll ich jetzt anderes machen, als ihm das Pony zu kaufen?“
„Das ist ein Problem“, bestätigte George, „denn ich habe das Pony praktisch schon letzte Woche gekauft.“
Unablässig rührte er in seinem Tee herum, der Löffel erzeugte einen hellen klaren Klang an der Tasseninnenseite. So klang das gute Porzellan. Für gewöhnlich legte George Baldrick bessere Manieren an den Tag – man rührte den Tee nicht stundenlang um und schlug auch nicht mit dem Löffel an den Rand – aber er hatte einen ständigen Blick auf seinen Sohn und was er da sah, gefiel ihm gar nicht.
„Ohne Handschlag und ohne Anzahlung. Das ist nicht praktisch gekauft.“
„Ich kann dir direkt mein Angebot machen und noch etwas drauflegen“, sagte George an Tom gewandt. Ihm entging nicht der Blick seines Sohnes, als er das sagte. Diese minimalistischen Blicke hatte er schon als Knirps beherrscht und damit konnte er mehr ausdrücken als tausend Worte.
„Das müsst ihr unter euch ausmachen“, bemerkte Tom brummend, „ich kann es mir nicht leisten, es mit einem von euch zu verscherzen.“
„Nein“, sagte Kieran, „du solltest sagen, an wen du Tadhg verkaufen willst. An wen du ihn wirklich verkaufen willst, um ruhig schlafen zu können.“
Tom sah ihn leutselig an, hätte seinem Nachbarn beinahe gesagt, dass es ihm relativ egal war, wo seine Ponys landeten, da er davon lebte, sie zu verkaufen und es sich nicht leisten konnte, ihnen ein möglichst kuscheliges zu Hause zu suchen. Waren sie einmal verkauft, hakte er sie ab. Das alles hätte er fast herausposaunt, aber Kieran warf ihm einen warnenden Blick zu und machte eine ganze unverfängliche Geste mit dem Zeigefinger an seinem Hals und daraufhin hielt Tom lieber den Mund. Er wagte es nicht, in Darrens Gesicht zu blicken und dann dachte er, dass er die Frage ‚an wen du ihn wirklich verkaufen willst’

auch als Drohung hätte verstehen können. Er wusste nicht mehr, ob er Kieran so etwas zutrauen konnte. Lieber ging er mal davon aus und konterte: „Ich verkaufe ihn an denjenigen, der mir das meiste bietet.“
„Okay“, sagte Kieran, „lassen wir es darauf ankommen.“
George schlürfte an seinem Tee, rieb sich innerlich die Hände, weil er wusste, dass er dieses Duell gewinnen würde. Darren saß dicht gedrängt neben Kieran, bei der Aussicht auf eine Versteigerung des Ponys begann er still zu weinen und drückte sein Gesicht in Kierans Jacke.
„Hey“, flüsterte Kieran, „noch ist überhaupt nichts entschieden. Wir wissen, dass dir Tadhg sehr viel mehr wert ist als jemandem, der ihn nur weiterverkaufen will.“ Er sah George an. „Das sehe ich doch richtig, oder?“
„Es geht hier um den Kaufpreis“, betonte George, „nicht um den ideellen Preis.“
„Das hängt beides zusammen. Damit Darren das Pony bekommt, bin ich bereit, sehr weit zu gehen. Ideell gesehen.“
Bis auf Darrens Schluchzen war sekundenlang nichts zu hören, selbst Laoise und Liam hatten ihre geflüsterte Unterhaltung unterbrochen. Liam sah seinen Vater an, dachte daran, wie glücklich und zufrieden der Junge auf dem Pony ausgesehen hatte und wie die beiden harmonisierten. Den eigentlichen Ausschlag gab aber die Erinnerung an seine eigene Kindheit; er hatte als Junge so vielen Ponys nachgeweint, dass er das nicht auch noch Darren antun wollte.
„Dad“, sagte er, „wir sollten uns das Pony noch mal an der Longe ansehen.“
Es sprach nichts dagegen, und Kieran musste Darren erst anstupsen, bis er hinüber in den Stall lief und das Pony mit Halfter an die Longe hängte. Er ging mit ihm auf den Reitplatz, stellte sich in die Mitte und kam mit der langen Leine nicht zurecht, und bevor er sich und das Pony zu einem Paket einwickelte, trat Liam zu ihm und ließ Tadhg vorwärts traben. An der Longe war Tadhg noch nicht oft gelaufen und er mochte es nicht besonders, er zerrte mit ruckartigen Bewegungen nach außen, verdrehte sich und hatte Mühe, im Takt zu laufen. Nach einigen Runden besserte es sich, aber nach einem Richtungswechsel begann das Spielchen von vorn.
„Ich hab das beim Springen nicht gesehen“, rief Liam über die Schulter zu seinem Vater hinüber, der bei den anderen stehen geblieben war, „er bügelt vorne rechts. Nicht sehr deutlich, aber ich kann’s sehen.“ Er wartete einen Moment, ließ das Pony dabei nicht aus den Augen. „Das behindert sein Springen nicht, aber es sieht immer wie ein Taktfehler aus.“
Tadhg fiel in einen gemütlichen ruhigen Schritt und Liam bemerkte, dass er den einen Hinterhuf beim Abhufen drehte. Viele Pferde machten das, aber es war für den alten George immer ein Grund gewesen, den Preis zu drücken.
„Er ist wirklich hübsch und springt wie Gift, aber mit diesen Mängeln wird es schwierig werden, ihn gut abzugeben. Was meinst du, Dad?“
George wusste längst, worauf Liam hinaus wollte; ein ehrenvoller Rückzieher war möglich, ohne das Gesicht zu verlieren, wenn er darauf einging, oder er stach Darrens Vater aus und machte einen kleinen Jungen unglücklich.
George ließ sich Zeit mit seiner Antwort, betrachtete das Pony, während Darren neben ihm an der Umzäumung stand, eine Stange so fest umklammert hielt, dass seine Knöchel weiß aus seiner Hand heraus stachen. Kieran beugte sich zu ihm herunter, flüsterte ihm ins Ohr, dass er sich entspannen solle, bevor er noch den Zaun aus seiner Verankerung riss.
„Du hast recht, Liam“, sagte George endlich, „ich dachte, er wäre besser gelaufen letzte Woche. Schade – lass uns nach Hause fahren.“
Liam lockte Darren mit einer Kopfbewegung zu sich, übergab ihm das Pony und zwinkerte ihm zu. Darren konnte es kaum glauben. Tom grinste über das ganze Gesicht, zeigte Darren den hoch erhobenen Daumen. Sie brachten Tadhg auf die Weide, wo er sich sofort in das nächste Schlammloch warf und die Kosmetik des Tages zunichte machte.
Da George so schnell wie möglich abfahren wollte, blieb Laoise nicht viel Zeit mit Liam, aber er versprach, in den nächsten Tagen allein vorbei zu kommen.
„Wir könnten was essen gehen“, sagte er vorsichtig und sie erwiderte: „Sehr gerne.“
Sie sahen sich verschüchtert an, lachten Sekunden später darüber, als ihnen klar wurde, dass sie beide gleichermaßen aneinander interessiert waren, und es nicht wagten, den ersten Schritt zu machen. Laoise war zuversichtlich, dass sie gut zusammenpassen würden, aber dazu mussten sie erst einmal aus dm Dunstkreis ihrer Väter herauskommen.
Darren hüpfte herum, umarmte erst seinen Vater, dann Tom und trat dem mürrischen George mutig gegenüber, gab ihm die Hand und sagte: „Vielen Dank, dass ich Tadhg behalten darf.“ Er zögerte und fuhr mühsam fort: „Mir ist es egal, wenn er irgendwelche Fehler hat, das ist nicht schlimm.“
Er sagte das so ernsthaft und überzeugend, dass George einen Moment vergaß, dass Tadhg überhaupt keine Mängel hatte und er Darren den Kopf tätschelte, gefangen in seiner Rührung. Erst, als er im Hintergrund das Pony bockend über die Weide galoppieren sah, fiel ihm wieder ein, dass er sich diesen Kracher nur hatte entgehen lassen, weil sein Sohn einem Anflug von Sentimentalität erlegen war. Das war etwas, was er ihm noch lange vorhalten würde und Liam würde darauf jedes Mal erwidern (wenn er etwas erwiderte), dass er stolz sein sollte, einmal ein gutes Pony im Land behalten zu haben. Das Beste müsse man behalten und dürfe man nicht gehen lassen, das sei in den letzten hundert Jahren viel zu häufig geschehen. Darauf konnte George schließlich nichts mehr erwidern, denn auch für ihn machte es keinen Unterschied, ob es sich um Pferde oder um Menschen handelte.

Kieran schickte Darren nach Hause. Er musste in aller Ruhe mit Tom verhandeln können, denn jetzt stand der Kaufpreis zur Debatte und er war kaum in der Lage, Tom ein vernünftiges Angebot zu machen.
„Hast du irgendwas gedreht?“ fragte Tom, schnaubte verächtlich, als Kieran fragend die Augenbrauen hob, als wisse er nicht, wovon er sprach.
„Du hast Liam doch irgendwas gesteckt, damit er vor seinem Vater diese Show abzieht.“
„Welche Show?“
„Komm schon. Es ist gut gelaufen, jetzt kannst du damit raus rücken. Was hast du ihm gesagt? Oder hast du ihm Geld zugesteckt?“
In dem winzigen Wohnzimmer, in dem sie zusammen saßen, wurde das Licht langsam schwächer und Tom stapelte ein paar Scheite Torf in dem Kamin zurecht. Er klopfte sich die Hände ab, drehte sich zu Kieran herum, der ein nachdenkliches Gesicht machte. Über ihren Köpfen knackte und krachte das alte Gebälk und der Kater, der sich hereingeschlichen hatte, machte es sich auf der Fensterbank gemütlich.
„Ich hatte vor, diesem alten Kerl ein Angebot zu machen. Das Pony für Darren und ein paar gute Kunden im Norden für ihn, das hätte ich irgendwie gedreht, aber sein Sohn ist mir zuvorgekommen. Er hat einfach erkannt, dass Tadhg und Darren zusammengehören. Manchmal ist das so.“
„Das soll ich dir jetzt so abkaufen?“
Kieran hob zur Antwort sein Wasserglas, das Tom mit seinem Whiskey gut gefüllt hatte, sie stießen an, tranken auf den Ausgang der Geschichte. selbst, wenn es anders gelaufen wäre, hätte Tom as nie erfahren, er hätte es ihm nie verraten, wenn er unter der Hand etwas gedreht hätte.
Tom O’Neill hatte für Tadhg eine Summe genannt, bei der Kieran nur warnend gebrummt hatte und irgendwann hatten sie sich in der Mitte getroffen und geeinigt. Tom würde mit dem Geld ein paar Monate besser über die Runden kommen, konnte es für die Wintermonate gut gebrauchen, und Kieran war in der Lage, das Geld zusammenzukratzen und sich den Rest zu leihen.
Eigentlich hatten sie mit dem Whiskey nur den Kauf begießen wollen, aber sie tranken sich die halbe Nacht fest, bis Laoise aus dem Dorf zurückkam und sie im Stall auf den Strohballen fand, über seltsame Dinge diskutierend. Sie waren zur Weide gegangen, um sich das Pony noch einmal anzusehen und waren im Stall hängen geblieben.
„Kieran“, sagte Laoise, „kannst du noch laufen?“
„Klar doch“, antwortete er, fiel fast vom Stroh, als er aufzustehen versuchte. Laoise fuhr ihn mit dem Wagen nach Hause, während der kurzen Tour sagte Kieran nur einmal „Entschuldigung – tá aiféala

“ und schlief ein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.05.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /