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Shit Hall


Die Arbeit in Nidd Hall entwickelte sich zu einem echten Arschtritt, nachdem Pol vollkommen ahnungslos eines der Zimmermädchen angebaggert hatte. Die hatte ihm nicht verraten, dass sie praktisch verlobt war und seine Annäherungsversuche freundlich quittierte und so tat, als sei sie nicht abgeneigt.
„Ich bin doch nicht verliebt in sie“, sagte er zu Christy, „aber hast du ihren Hintern gesehen? Mann oh Mann.“
Leider gehörte dieser Hintern einem cholerischen Typen namens Jimmy, vollkommen ohne Humor, der sich Pol zur Brust nahm, nachdem sein Mädchen ihm von Pols Avancen erzählt hatte.
Sie prügelten sich nicht wirklich, denn Pol wehrte sich nicht. Als sich der Brocken auf ihn stürzte, während er noch damit beschäftigt war, den Zierrasen außerhalb der akkuraten Blumenbeete zu mähen. Sie wären von jemandem erwischt worden, hätte es an diesem frühen Vormittag nicht wie aus Kübeln geschüttet. Pol empfand diese Aufgabe, bei diesem Wetter den Rasen zu mähen, als reine Schikane, erwartete alles Mögliche, aber keinen Kerl, der sich ohne Vorwarnung auf ihn stürzte. Er landete mit dem Gesicht im Gras und der herrenlose Rasenmäher sauste in ein Blumenbeet und pflügte eine Glatze in die Reihe der Feuerlilien.
Christy hatte ganz in der Nähe gearbeitet, warf seine Sachen beiseite, als er Pol zu Boden gehen sah. Er rannte quer über die Beete und durch frische Setzlinge, stürzte sich mit vollem Körpereinsatz auf Jimmy, der auf Pols Rücken kniete, und obwohl er nicht mal halb so viel wog wie der Mann, der die Ehre seiner Freundin verteidigte, konnte er ihn überwältigen und niederschlagen.
Pol hatte eine blutige Nase und einen ausgerenkten Zeigefinger, den er sich im Fallen umgeknickt hatte, aber diese Blessuren registrierte er gar nicht, weil er dachte, der tasmanische Teufel persönlich hätte sich auf seinen Angreifer gestürzt. Er hatte den Eindruck, dass Christy seine mangelnde Körpermasse durch Technik wettmachte, die er irgendwo gelernt haben musste - so was brachte man sich unmöglich selbst bei.
Jimmy vergaß nach dieser heftigen Attacke, weswegen er Pol eigentlich die blutige Nase verpasst hatte, er saß benommen auf dem Boden und fiel fast hintenüber, als er den Kopf schüttelte. Pol war schneller wieder bei sich, sah auf Jimmy hinunter, der ein halbherziges „Lass meine Freundin in Ruhe, du Bastard“ hören ließ, woraufhin Pol noch immer ein ahnungsloses Gesicht machte, weil er nicht wusste, um welches Mädchen es sich drehte.
Er wollte mit Jimmy reden, nahm ihm den Klopper auf die Nase nicht übel. Er wollte nur wissen, welches Mädchen er in Ruhe lassen sollte. Und ob er irgendwann so besoffen gewesen war, dass ihn eines der Mädchen wirklich rangelassen hatte und er sich nicht mehr dran erinnern konnte.
Christy zog ihn mit sich, ignorierte seine Proteste.
„Ich soll den blöden Rasen mähen“, sagte Pol stolpernd, „lass mich los.“
„Was glaubst du denn, was passiert, wenn einer von den Hotelleuten euch erwischt? Dann bist du den Job los. Jimmy wird kaum einem davon erzählen, also tun wir so, als wäre nichts passiert.“
Christy schüttelte ihn etwas.
„Ich frag mich, wie du überhaupt einen Job länger als drei Wochen behältst, wenn du so büffelig durch die Gegend läufst.“
Sie setzten sich im Gewächshaus zu den Salaten, pickten Schnecken ab, die den Weg hineingefunden hatten, und ließen sie in einen Plastikeimer fallen.
„Ich hatte schon einige Jobs länger als drei Wochen.“
„Kam dir bestimmt nur so vor.“
Pol warf eine Nacktschnecke nach ihm und ihre Schneckenschlacht artete nur deshalb nicht in einem Handgemenge aus, weil Dick auftauchte.
„Was treibt ihr denn hier?“ fragte er unfreundlich.
Christy wandte den Kopf ab, griff sich an die Stirn und schloss die Augen. Er wurde ganz grau im Gesicht. Pol sah ihn von unten mit gerunzelter Stirn an, wischte sich abwesend das letzte Blut unter der Nase weg. Er machte sich Sorgen deswegen, vor allem, weil Christy nicht mehr zu atmen schien. Er ignorierte Dick, der wieder wissen wollte, was los sei, musterte Christy vorsichtig, bis sein Aussehen sich wieder normalisierte.
„Bist du Okay?“ fragte er und Christy nickte.
„Was sind das, Kopfschmerzen?“
„Kleine Spannungsattacken, hat nichts zu bedeuten. Das ist mein Tick, wie andere Leute ständig blinzeln.“
Dick stand unschlüssig herum, nachdem er anhaltend ignoriert wurde, drehte sich schließlich um und ging wieder an die Arbeit, was Pol und Christy nicht einmal bemerkten.
Sie pickten weiter Schnecken ab, Pol zog immer wieder die Nase hoch und spuckte das Blut neben sich ins Beet und sie diskutierten darüber, wie manche Leute Schnecken essen konnten. Ob sie nur die im Häuschen aßen oder alle anderen auch?
Christy hielt sich eines der Weichtiere vor die Nase und beobachtete schielend, wie die Fühler langsam wieder ausfuhren und herumtasteten.
„Ich weiß gar nicht, wie die zubereitet werden“, sagte er, drehte die Schnecke hin und her, „schmeißen die die mit etwas Öl in die Pfanne? Machen die vorher die Fühler ab? Oder werden die gehäutet?“
„Ich weiß, wen wir fragen könnten“, meinte Pol eifrig, „den Chef der Küche.“
Christy warf die Schnecke zu den anderen. „Der wird dir was husten. Ich hab gestern mitgekriegt, wie er einen seiner Lehrlinge runtergemacht hat. Es ging um irgendeine Soße, in die er irgendein Gewürz reingetan hat. Gott, der hat sich aufgeregt. Ich dachte, er würde Gavin umbringen.“
Nachdem der Regen nachgelassen hatte, holte Pol den Rasenmäher und brachte ihn in die Werkstatt zurück, behauptete, der Motor würde ständig ausgehen. Um nicht als Idiot dazustehen, hatte er eine Handvoll Schnecken in den Tank geworfen. Er kam zurück ins Gewächshaus und Christy war verschwunden.
Um bei den Vorbereitungen fürs Abendbuffet zu helfen, wurde er in die Küche geholt, ein Hilfskoch schnauzte ihn an, er solle sich den dreckigen Pulli ausziehen und sich die Hände waschen.
Er hatte noch immer zwei Schnecken in der Hosentasche und die schmuggelte er auf eine fertige Salatplatte, versuchte sich die Gesichter der Gäste vorzustellen, wenn sie die Jungs auf der Gabel hatten. Am Abend erzählte er Christy flüsternd davon und sie bekamen Bauchschmerzen vom unterdrückten Lachen.

„Wo hast du die Narbe am Hals her?“ wollte Pol wissen.
Sie waren beim morgendlichen Rasieren und Zähneputzen, es war Mittwoch und somit war der Freitag, an dem es Geld gab, fast in greifbarer Nähe. Jeder für sich allein hätte Nidd Hall längst verlassen, aber gemeinsam hielten sie es durch.
Christy hob das Kinn an und fuhr mit dem Zeigefinger die rote Narbe entlang, grinste und begann zu erzählen, was passiert war. Pol konnte es ihm an den Augen ansehen, dass er nicht die Wahrheit sagte. Ihm war es egal, weshalb Christy log und was er auf dem Kerbholz hatte, vielleicht tat er es nur, weil er befürchtete, Pol könnte ihm die Freundschaft kündigen. Christys Geschichte vom Motorradunfall quittierte er mit einem „Was für ne Scheiße“ und sie trennten sich auf dem Weg zur Arbeit.
Nach Jimmys Attacke beachtete Pol kein Mädchen mehr, gab sich wirklich Mühe, den Hintern nicht mehr hinterher zu sehen und ging auch Jimmy aus dem Weg. Jimmy hatte sich offensichtlich von seinem Mädchen beruhigen lassen, oder Christys Attacke hatte ihm die Lust genommen, jedenfalls versuchte er es nicht noch mal.
Jimmy allerdings konnte die Schmach nicht auf sich sitzen lassen, dass ein dummes irisches Fliegengewicht ihn umgehauen hatte und seine ganze wütende Aufmerksamkeit galt Christy. Er wartete nur auf eine passende Gelegenheit, um ihn allein zu erwischen.
Pol grub ein neues Gemüsebeet um, hatte sich dafür eine Stelle ausgesucht, wo der Boden feucht war und nicht zu viel Sonne abbekam, legte zwölf schnurgerade Furchen an, in der er Mutterkartoffeln setzte, die er von Gavin bekommen hatte. Es war eine besondere Kartoffelsorte, die sehr viel besser schmeckte, in der Region aber offenbar nicht sehr bekannt war. Gavin, ein heller Kopf aus Gwynedd, Wales, zeigte ehrliches Interesse und versprach, sich im Herbst um die Ernte zu kümmern.
„Da wirst du ja wohl nicht mehr hier sein“, mutmaßte er.
„Bestimmt nicht“, sagte Pol, „es sei denn, ich sterbe hier und ihr verscharrt mich heimlich.“
Gavin lief zurück in die Küche, flüchtete förmlich vor den Schotten, die Zigarette rauchend um die Ecke geschlendert kamen, während Pol die Furchen ausbesserte und vorsichtig wässerte. Dick, Jimmy und Tony standen herum wie die Three Stooges, die sich Pol und Brendan mit Begeisterung als Kinder angesehen hatten, machten hämische Bemerkungen über Kartoffeln, Iren und Lazy Beds, dem Kartoffelacker.
Pol behielt jede Erwiderung für sich, obwohl er richtig wütend wurde. Er biss sich auf die Zunge, bis es wehtat.
„Wo ist denn dein Kumpel?“ rief Jimmy und auch darauf antwortete er nicht.

Jimmy versuchte immer wieder, Christy allein zu erwischen, was ihm aber auch in den nächsten zwei Wochen nicht gelang, denn Christy war ständig von anderen Arbeitern umgeben, mit denen er am See beschäftigt war. Er wurde ungeduldig und er wollte nicht noch länger warten, nur um dann vielleicht festzustellen, dass der Ire den Job geschmissen hatte und verschwunden war, also bat er ein paar seiner Freunde um einen Gefallen und gemeinsam sorgten sie dafür, dass die anderen Arbeiter vom Badesee abgezogen wurden. Christy blieb allein zurück.
Der Morgen war trocken und warm, es schien ein schöner Tag zu werden, auch wenn es für ihn hieß, wieder die ganze Zeit nasse Füße zu haben. Obwohl er diesen See niemals perfekt hinkriegen würde, hatte er den Ehrgeiz entwickelt, seine Sache so gut wie nur möglich zu machen. Der Steg, der einige Meter in das zunächst seichte, dann tiefe Wasser reichte, ihn wieder aufbauen zu dürfen. Das war Zimmermannarbeit und etwas anderes, als nur Zwei-Meter-Unkraut zu zupfen. Die Polen hatten den Kiesstrand gesäubert, der den See zu einem Drittel umgab, aber das Unkraut und die Disteln kamen bereits Stunden später wieder durch die losen Steine. Christy überlegte, den Kies abzutragen und den Untergrund zu erneuern. Nur der Gedanke, dass sie es ihm sowieso nicht erlauben würden, hielt ihn davon ab, nachzufragen.
Er trug eine Baseballkappe gegen die Sonne, starrte auf das flackernde Wasser und drehte sich nichts ahnend um, als er im Kies Schritte hinter sich hörte. Jimmy packte ihn ohne eine Vorwarnung oder Erklärung, brachte ihn zu Fall und setzte sich auf seinen Brustkorb. Er lag mit seiner rechten Hälfte bereits im Wasser und hoffte, dass Jimmy nicht auf die Idee käme, ihm das Gesicht in den See zu drücken. Er wehrte sich nicht, dazu war es zu spät, er war eingeklemmt zwischen Jimmys Schenkeln.
„Was sagst du jetzt, du Kleeblattarschloch?“ fragte Jimmy, „du hättest dir überlegen sollen, mit wem du dich anlegst.“
Er war noch immer frustriert und gedemütigt, nicht wirklich wütend, das würde er erst werden, wenn Christy sich zu wehren versuchte. Wenige Meter neben ihnen lagen eine Heckenschere und andere Gartengeräte im Gras, mit denen Christy gearbeitet hatte, aber es war für ihn unmöglich, an sie heranzureichen. Er blinzelte zu Jimmy hinauf, konnte wegen einer weiteren plötzlichen Attacke in seinem Kopf das linke Auge nicht mehr öffnen, sagte mühsam: „Ist schon in Ordnung, Jimmy. Ich hab nur verhindert, dass du meinen Kumpel verprügelst.“
„Und dafür“, erwiderte Jimmy grinsend, „bist du jetzt dran.“

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Tag der Veröffentlichung: 05.02.2011

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