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Der Taubenhasser
Mit einem Halstuch über Mund und Nase hockte Kieran seit zwei Stunden über der Schleifmaschine. Der feine Staub, eine Mischung aus Kalk und altem Fliesenkleber, der sich von der Wand löste, bedeckte den freien Teil seines Gesichtes und sein Haar, ließ seine Augen tränen und selbst durch das Halstuch hindurch bekam er kaum Luft. Owen war nicht zur Arbeit erschienen, worauf Kelly McGinty ihm den Badezimmerjob gegeben hatte. Er hätte lieber weiter draußen die Einfahrt gepflastert, aber immerhin kam er so in den Genuss, sich still und heimlich im Haus umgehen zu können. Bridget McGinty war einkaufen oder beim Friseur und die Kinder waren in der Schule. Auf Socken, um keine verräterischen Schmutzabdrücke zu hinterlassen, schlich Kieran in die Küche, in die Kinderzimmer, warf einen Blick in die beiden Gästezimmer, die selten belegt waren, blieb im Wohnzimmer vor dem riesigen Fernseher stehen. Auf dem Fernseher lagen die Fernbedienung und eine angebrochene Schachtel Zigaretten, er nahm sich eine und steckte sie sich in die Brusttasche seines Hemdes. Der Tabak würde ihn irgendwann noch mal umbringen.
McGinty stellte anscheinend Ansprüche an sein Bad. Nicht nur, dass er die Wände komplett gefliest haben wollte, den Boden ließ er mit hellgrauen Steinplatten verlegen, die Duschkabine, die er gekauft hatte und die noch unmontiert draußen im Garten stand, war so groß, dass man ein Pferd darin hätte waschen können. Offensichtlich war er auf den Touristenzug aufgesprungen. Nur, dass die sich in diesem hübschen Bad darüber ärgern würden, dass es kaum genug heißes Wasser geben würde für eine ausgedehnte Dusche. Dazu war der Tank zu klein. Kieran setzte sich wieder dem fliegenden Staub aus, hörte bei dem Krach nicht, was draußen vor sich ging und stellte den Schleifer erst ab, als Bertie ihm von hinten auf die Schulter klopfte.
„Was ist das für’n Krach da draußen?“
Kieran hob den Kopf und horchte. Nachdem die Schleifmaschine verstummt war, konnte er die Schüsse deutlich hören. Bertie sah beunruhigt aus. „Das ist McGinty.“
„Ja? Was zur Hölle macht er da?“
Bertie hatte noch bis vor drei Wochen in einem Reiterhotel in Grange gearbeitet, wo er Ställe ausgemistet und Pferde versorgt hatte. Der Job hatte ihm gefallen, aber blitzschnell hatte er sich eine Allergie eingefangen und ihm war nichts anderes übrig geblieben, als sich einen neuen Job zu suchen. Jedenfalls war die Pferdehaarallergie das, was er den anderen erzählt hatte, weil ihm die Wahrheit zu peinlich gewesen war. Der Besitzer hatte ihn mit einer wesentlich älteren Touristin in der Scheune erwischt. Genau in dem Moment, als er das Gesicht zwischen ihren Beinen gehabt hatte. Sie hatte dabei in höchsten Tönen auf Italienisch gejubelt. Das konnte er niemandem erzählen.
Kelly McGintys Schwäche für Tauben hatte sich noch nicht bis zu ihm herumgesprochen. Kieran und Bertie gingen nach draußen, umrundeten das Haus und fanden McGinty, wie er in seinem peinlich ordentlichen Garten stand, breitbeinig und mit hochrotem Gesicht, als würde ihn jeden Moment der Schlag treffen. Er hielt das Gewehr in der Hand, ein kleines Kaliber, aber groß genug, um Kindern die Augen ausschießen zu können, wenn er schlecht zielte. Er legte gerade wieder an und ballerte mit einem trockenen Knall in die Luft. Aus dem bewölkten blauen Himmel fiel eine grau-weiße Taube wie ein Stein zu Boden, flatterte noch einmal und lag dann still. Kieran grinste breit, Bertie stand vor komischem Erstaunen der Mund offen. McGinty drehte sich zu ihnen herum, weder zeigte er eine Reaktion, noch suchte er nach einer Entschuldigung für sein Handeln. Er stellte das Gewehr bei Fuß und wartete scheinbar geduldig.
Um die erschrockenen Tauben wieder anzulocken, warf er wieder Brotkrumen auf seinen britischen kurzen Rasen. Die erste Taube, die sich wieder heranwagte, erledigte er mit einem Schuss. An der Ecke zur Terrasse stand ein schwarzer Müllsack.
„Bertie“, sagte McGinty, während er nachlud, „nimm die Viecher und tu sie zu den anderen.“
„Wo sind die anderen?“ wagte Bertie zu fragen.
„Da, wo sie hingehören.“
„Im Sack“, erklärte Kieran.
Als würde er Bälle aufheben, sammelte Bertie die Tauben auf, die in der Schrecksekunde ihres Todes eine Menge Federn abgeworfen hatte, und stopfte sie zu ihren Artgenossen. Aus dem Sack roch es nach Blut und Federn. Es erinnerte Bertie an den Geruch in einer Hühnerfabrik.
„Weshalb lockst du sie erst an? Du könntest sie doch auch verscheuchen.“
McGinty drehte sich zu Bertie herum und sagte mit mitleidiger Stimme: „Junge, wie soll ich sie abknallen, wenn ich sie verscheuche?“
Er legte sich das Gewehr in die Armbeuge und bemerkte dann murrend, dass die Arbeit im Haus und in der Einfahrt sich nicht von allein erledigte, jedenfalls habe sie das bei ihm noch nie getan, aber vielleicht wäre es bei ihnen ja etwas anderes. Die beiden verzogen sich wieder.
„Wieso hasst er Tauben?“ wollte Bertie wissen.
Tauben waren so unnütz und ohne Bedeutung, dass er sich noch nie Gedanken darüber gemacht hatte, ob er sie mochte oder nicht.
„Sie scheißen“, erklärte Kieran, „und McGinty meint, dass er sich an der Scheiße mit irgendwas anstecken könnte. Er ballert schon seit Jahren auf seinem Grundstück rum, aber die Tauben werden nicht weniger.“
Bertie roch vorsichtig an seinen Handflächen, wischte sie sich an den Hosenbeinen ab.
„Das läuft wie mit den Karnickeln“, sagte er, „die mit dem nächsten Wurf die Verluste wieder ausgleichen. Da kann man nichts dran machen.“
„Sag das McGinty.“
Bertie blies die Wangen auf und seufzte, was wohl hieß, dass er es McGinty nicht sagen würde. Er machte sich lieber wieder an die Arbeit, bevor McGinty noch auf die Idee kam, seinen Job einem anderen zu geben. Er lud Kieran zu einem Bier am Abend ein.
„Auf ein einziges“, sagte Kieran, „ich muss früh nach Hause.“
Am Ende des Arbeitstages waren seine Augen gereizt und feuerrot, seine Nase verstopft von dem Staub, aber das war nur noch ein weiterer Grund für einen ordentlichen Schluck. Bertie brauchte etwas, bis er auftaute. Nach dem zweiten Bier grinste er nur noch, drehte sich immer wieder zu den Mädchen um, die am Nebentisch saßen und Likör tranken. Sie hatten große Einkaufstüten auf ihrem Tisch stehen.
„Die ist nett, was?“ raunte Bertie.
„Welche? Die Blonde?“
„Nein, ihre Freundin. Ich seh sie manchmal an der Bushaltestelle, wenn sie zur Arbeit fährt.“
„Ja, sie ist sehr nett, Bertie.“
„Irgendwann“, flüsterte Bertie verschwörerisch zu Kieran hinüber, „lad ich sie zum Essen ein. Ich kauf ihr einen Haufen Blumen und lad sie ins nächste Restaurant ein.“
Bertie grinste in sich hinein, stützte den Kopf auf die linke Hand und sah aus wie ein kleiner Junge. Sein Haar war kurz geschnitten und brachte seinen runden Fußballschädel richtig zur Geltung. Eines seiner Ohren stand mehr ab als das andere und er schaffte es nie, den Arbeitsdreck von seinem Hals und Nacken zu waschen. Falls er je den Mut aufbringen würde, das Mädchen anzusprechen, war es fraglich, ob sie auch nur ein Wort mit ihm wechseln würde.
Aus dem einen Bier wurden dann doch zwei bis drei, bis Kieran sich endlich verabschieden konnte. Auf dem Heimweg durch Pettigoe und das kurze Stück die Landstraße entlang kam er in einen Regenschauer, der ihm den Staub etwas abspülte. Am Horizont tauchte ein Armeehubschrauber auf, knatterte in Richtung Norden davon. Kieran überlegte, wie er Moira die gute Nachricht überbringen sollte, starrte dem Hubschrauber nach. Er hatte es ihr noch immer nicht gesagt, weil er auf eine passende Gelegenheit wartete. Pol und Brendan hockten draußen auf der Mauer, als er den Hinterhof betrat. Sie rauchten und studierten Kleinanzeigen.
„Ist was passiert?“
„Nee“, sagte Brendan, „wir haben ein Angebot für Glasgow bekommen.“
„Wir überlegen noch, ob wir’s annehmen sollen.“
„Fein“, sagte Kieran, „gute Reise.“
„Ich fahr allein“, meldete sich Pol.
„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst das Mädchen sausen lassen?“
Brendan warf den Kopf in den Nacken und machte ein lautes „HAH

!“ worauf Trash im Zwinger hochsprang und blaffte.
Darüber will ich jetzt nicht diskutieren

, dachte Kieran, es gibt erfreulicheres heute Abend.


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Tag der Veröffentlichung: 03.11.2010

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