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Brendan&Lilian

Lilian Hughes verdiente sich an ein paar Nachmittagen etwas nebenbei, verkaufte Bettwäsche und Tischdecken in einem kleinen Bekleidungsgeschäft. Im O’Leary’s war es furchtbar langweilig, aber es war der einzige Job, den ihre Eltern ihr erlaubt hatten. Nie hätten sie es unterschrieben, dass sie in einem Pub bediente. Unter der Theke, auf der sie die Decken faltete, hatte sie ihre Schulbücher liegen und warf immer wieder einen Blick hinein, was von ihrem Chef stillschweigend gebilligt wurde. Dagegen konnte er es nicht leiden, wenn Brendan sie besuchte und von der Arbeit abhielt, dann stand Mr. O’Leary auf den Fußballen wippend neben ihnen und scheuchte Brendan mit einem Lächeln wieder nach draußen. Sie war immer höflich und freundlich, kam pünktlich zur Arbeit, allerdings nahm sie sich ab und zu Geld aus der Kasse, wenn sie allein im Geschäft war. Lilian war oft klamm, bemühte sich aber, das Geld immer wieder zurückzulegen. Nach Feierabend aß sie eine Kleinigkeit, fuhr dann nach Hause und setzte sich der ständigen Kontrolle ihres Bruders Albert aus.
Ihre Eltern hatten ein hübsches Reihenhaus am Rande von Ederny, lagen sich ständig mit den Nachbarn in den Haaren wegen der üblichen Kleinigkeiten, die immer wieder passierten, wenn man Wand an Wand lebte.
Man hatte behauptet, Lilian hätte sich dem Sohn der Nachbarn entblößt präsentiert, was beinahe zu einer Schlägerei zwischen den Vätern geführt hätte, wäre dabei nicht herausgekommen, dass Lilian sich vor ihrem Fenster umgezogen hatte, der Sohn des Nachbarn sie aber nur hatte beobachten können, weil er auf die rückwärtige Gartenmauer gestiegen war, um in ihr Zimmer zu linsen.
„Euer Bengel sitzt da ständig auf der Mauer“, sagte Albert, „und außerdem pinkelt er auf unsere Rosenstöcke.“
Zum Wochenende bowlten die Väter schon wieder zusammen, als wäre überhaupt nichts gewesen.
Lilian kam nach Hause, half ihrer Mutter in der Küche und fragte, ob ihr gutes Kleid schon trocken sei.
„Was hast du vor heute?“
„Wir bereiten Marys Hühnerparty vor.“
Ihr gutes Kleid aus gepunkteter Seide und dem tiefen Rückenausschnitt trug sie nur zu besonderen Anlässen. Ihrer Mutter war allerdings aufgefallen, dass sie das gute Stück in letzter Zeit häufig strapaziert hatte.
„Ist es wirklich Marys Hühnerparty oder steckt etwas anderes dahinter?“
Ihre Mutter tat beiläufig, aber sie meinte es ernst. Albert hatte mit ihr gesprochen, hatte ihr erzählt, dass die liebe kleine Lilian das tat, was sie nicht zu sollte und noch dazu mit einem jungen Mann, mit dem sie nicht einmal hätte sprechen sollen. Sie versuchte sich daran zu erinnern, dass sie in modernen Zeiten lebten, in denen es keine Rolle spielen sollte, welche Religion man angehörte oder auf welcher Seite der Grenze mal lebte; dass selbst in Südafrika ein Nelson Mandela Präsident werden konnte, aber dann dachte sie: Gott im Himmel, es geht um meine Tochter und da kann ich so altmodisch sein, wie ich will.


Sie versuchte es auf die vorsichtige Art. Wüsste Lilians Vater davon, hätte er den katholischen jungen Mann geteert und gefedert und ihm eine solche Todesangst eingejagt, dass er nicht wagen würde, seine Tochter auch nur noch anzusehen. Er hätte das mit einigen seiner Bowlingfreunde durchgezogen.
„Was soll denn dahinter stecken, wenn ich mein gutes Kleid anziehen möchte?“
„Du weißt, wovon ich rede.“
„Nein, ich glaube nicht.“
„Lilian.“
Albert kam herein und die beiden Frauen verstummten, gefangen in der eigenen Verlegenheit. Lilian ging hinaus in den Garten, wo die Wäscheleine über den Gänseblümchen und Löwenzahn gespannt war, nahm ihr Kleid ab und verschwand wortlos in ihrem Zimmer, um sich umzuziehen.
Marys Hühnerparty, ihr Abschied vom Junggesellendasein, war ein perfektes Alibi, denn Mary war ihre beste Freundin und sie würde Tod und Teufel schwören, dass Lilian stundenlang bei ihr gewesen sei, um Girlanden zu kleben und Ballons aufzuhängen. Sie hatte ihr von Brendan erzählt, hatte allerdings bei aller Schwärmerei ausgelassen, dass er aus Pettigoe und Katholik war. War sicher besser so.
Sie hatten sich ganz unspektakulär auf einem bunten Wochenmarkt kennengelernt, wo Pol und Brendan Musik gemacht hatten, umringt von Zuhörern, die aber nur wenig Kleingeld springen ließen. Lilian stand mit einer Freundin dabei, aß ein Softeis und drehte die Hüften im Takt. Brendan wurde auf sie aufmerksam, weil sie einen albernen Pullover trug (sie sah aus wie ein Fruchtbonbon), und so nett ihre Hüften bewegte. Während er sang, sah er sie die ganze Zeit an und als sie eine Pause machten, um das spärliche Geld einzusammeln, ging er direkt auf sie zu und fragte, ob sie fünf Minuten Zeit für ihn hätte.
„Fünf Minuten“, sagte er mit schief gelegtem Kopf, „mehr möchte ich nicht von dir.“
Natürlich wollte er mehr von diesem hübschen Mädchen, aber das konnte er ja nicht so direkt loswerden. Lilian trennte sich von ihrer Freundin, die allein weiter zog, und tat Brendan den Gefallen, seine Gitarre zu halten, während er das Geld in der Zigarrenkiste einsammeln ging. Wie immer, wenn die Musik eine Pause einlegte und es um die kleine Belohnung ging, lichtete sich der Kreis der Zuhörer blitzschnell.
„Ich danke dir für deine Freundlichkeit“, sagte Brendan, nahm seine Gitarre entgegen, „das Sammeln lohnt sich kaum noch. Wir haben schon versucht, den Hut rum gehen zu lassen, bevor wir anfangen, aber dann wollen sie ihr Geld wiederhaben, weil wir angeblich nicht gut genug waren. Ich bin Brendan. Das ist Pol, mein Bruder.“
„Lilian. Vielleicht spielt ihr wirklich nicht gut genug.“
Sie sagte das mit einem Lächeln, nicht wirklich zickig, eher herausfordernd.
„Hallo Lilian“, säuselte Brendan, „für einen lausigen Obst- und Gemüsemarkt spielen wir noch gut genug, oder? Trinkst du was mit mir?“
Pol hatte nichts dagegen, so deutlich abgekanzelt zu werden; gewöhnlich war er es, der Brendan loszuwerden versuchte und außerdem hatte er im Moment andere Probleme.

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Tag der Veröffentlichung: 25.10.2010

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