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Wer sich nicht rührt, spürt keine Ketten.
(Unbekannter Verfasser)




Personenübersicht



Plymouth


Mary Linley, Tochter von Francis Linley, angehende Botanikerin
Francis Linley, Vater von Mary Linley, Arzt und Botaniker
Henriette Fincher, Schwester von Francis Linley
William Middleton, Bediensteter im Hause Linley
Landon Reed, Kaufmann
James Canaughy, Bankier
Ebenezer Stone, Portier des Navy Board

London



Sir Carl Belham, Botaniker und Mitglied der Royal Society
Sir Wellington, Philosoph, Mitglied der Royal Society
Sir Joseph Banks, Botaniker, Vorsitzender der Royal Society
Franklin Myers, Gehilfe von Sir Carl Belham

An Bord der HMS Sailing Queen



Kapitän Taylor
Kyle Bennetter, Bootsmann
Nathaniel Bennetter, Sohn von Kyle Bennetter, Schiffsjunge
Seth Bennetter, Sohn von Kyle Bennetter, Schiffsjunge
Doc Havenport, Schiffsarzt
Rafael Peacock, Astronom
Smutje Henry, Schiffskoch
Bartholomäus Kellington, Toppsgast
Peter Sohnrey, Vollmatrose und Backsvorsteher
Lukas Smith, Seesoldat
Toni Sellers, Zimmermann
Edison, Vollmatrose
Dan, Schiffsjunge
Randy Hall, Midshipman
John, Segelmacher

Tahiti



Owahiri, Vater von Tupaia
Revanui, Frau von Owahiri, Mutter von Tupaia
Tupaia, Sohn von Owahiri und Revanui

An Bord der HMS Challenge



Kapitän Fairbanks


Prolog




Plymouth, 14. Mai 1775



»Schau genau hin! Siehst du die durchscheinende Haut, die aufgestellten Härchen, die Seitenrippen und das Geäst der Äderchen?
Konzentriere dich, bevor du Hand anlegst, denn sollte deine Entscheidung die falsche sein,wirst du einweiteres Opfer bringen müssen.
Hörst du das leise Knacken beim Brechen?
Jede deiner Beobachtungen musst du nun genau notieren, denn du bist dafür verantwortlich, all denen, die dies nicht sehen können, davon zu berichten und ihnen deine Erkenntnisse weiterzugeben.
Denn das, Mary, das ist das Herz derWissenschaft: die Erkenntnis.Und du siehst es hier vor dir: Erkenntnisse sind nicht zu erringen, ohne dass Opfer erbracht werden müssen. Deshalb entscheide ruhigen und klaren Gemütes, egal, was du tust. Hast du das verstanden?«
»Ja, Vater, das habe ich.«
Sie fixierte das dem Schutz der verzweigten Hecke entrissene Blatt und begann, den Armzurückzuziehen. Behutsam wölbte sie die Finger zur halboffenen Faust, darauf bedacht, dass das junge Grün sich in die Handfläche schmiegte, ohne zu zerknicken. Mitder anderen Hand schob sie das rankende Buschwerk zur Seite, doch dieDornen des Strauches gruben sich tief in ihre Haut.


Teil 1




Plymouth, 13. Juli 1785



DieWellen rollten in die Bucht, dass man hätte glauben können, der Hafen sei über Nacht zu klein geworden. Achtlos rissen sie die Schiffe in die Höhe, ließen sie wieder in die Tiefe sinken und suchten ihren Weg zur Kaimauer, an der sie sich weißschäumend brachen.
Am Horizont erhoben sich dunkelgraue Wolkenberge, deren Ausläufer bereits die Küste erreicht hatten. Schwer trugen sie am Regen und ließen vereinzelte Tropfen fallen. Böen jagten über das Wasser und wölbten die Segel der Schiffe, dass die Masten unter dem Druck bedrohlich knackten. Die schwarze Wand, die über das Meer auf Plymouth zukam, kündete nicht nur von Regen, sie kündete von Sturm.
Mary wandte den Kopf und blickte zu einem der Schiffe hinüber, das noch zur rechten Zeit im Hafen eingelaufen war. Der Wind zerrte an den Kleidern der Passagiere, als sie die Pier betraten.
Die Erleichterung, wieder festen Grund unter den Füßen zu spüren, war ihren Gesichtern anzusehen. Mit ausholenden Schritten eilten sie davon und bestiegen die Droschken. Eisenbeschlagene Wagenräder rollten über das Straßenpflaster hinweg, Peitschen zuckten und Zungen schnalzten, bis der Wind die leiser werdenden Geräusche gänzlich verschluckte.
Bald würde er erscheinen. Es war spät, und die Stadt hüllte sich bereits ins fade Licht der Dämmerung. Mary fröstelte und hob die Kapuze ihres Umhanges über die Haube. Kurz darauf trat er neben sie. William, dieser erschöpfte, alte Mann, der Tag um Tag ausgeschickt wurde, sie zu suchen, und der Abend für Abend nach der Rückkehr Geschichten erfand, wo er sie aufgelesen hatte. Im
Rosengarten, auf dem Markt, in der Kirche. Nur den Hafen,wo er sie ein ums andere Mal abholte, den erwähnte er nie.
»Mary, Eure Tante ist kurz davor, Euch Ausgangsverbot zu erteilen. Sie bezweifelt, dass Eure Spaziergänge der körperlichen Ertüchtigung dienen.«
Williams Stimme war sanft, fast zärtlich.
»Sie sind noch keine sieben Monate unterwegs.« Unsicher, ob er sie gehört hatte, musterte Mary Williams vertrautes Profil.
Seine dunklen Augen, die gebogeneNase und den schmallippigen Mund.
»Ja«, sagte er und sein Kehlkopf machte einen Sprung, »es sind heute hundertsiebenundachtzig Tage.«
Er zählt also auch die Tage

, dachte Mary und setzte erneut an:
»Vielleicht sind sie umgekehrt und auf dem Heimweg. Nur weil das Schiff havariert ist, heißt das nicht, dass sie es nicht wieder flottmachen konnten.«
»Ihr habt die Meldung des Town Magazine

gelesen. Das Schiff ist bei Kap Hoorn zerschellt. Die Strömungen dort sind unberechenbar, das Wetter ist oft schlecht. Umhertreibende Eisberge und im Wasser verborgene Felsen machen die Umrundung zum Wagnis. Und Ihr wisst das.«
Er zögerte und atmete tief ein.
»Wir haben keinen Grund mehr zu hoffen.«
»Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben.« Mary hörte, dass ihre Antwort flehentlich klang, fast als würde sie William bitten, er möge sie noch einen Augenblick schonen und die Wahrheit für sich behalten. Doch der tat nichts dergleichen.
»Niemand hat überlebt«, sagte er leise. »Auch Euer Vater nicht. Er ist tot.«


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Texte: Deutscher Taschenbuch Verlag ISBN: 978-3423248471
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2011

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