Jean P.
Ein erotischer Liebesreigen
Vier Paare, wie sie gegensätzlicher nicht sein können, haben ein Problem: Sie wollen, aber sie können nicht – miteinander! Eine Therapie soll Abhilfe schaffen. Das Konzept der Therapie sorgt allerdings nicht nur für Verwirrung, sondern erzeugt delikate Turbulenzen, an denen schließlich sogar die aus Ruinen wieder auferstandene SPD Anteil hat. Reibt sich da jemand schon jetzt verwundert die Augen?
Es kommt noch dicker, wird doch der therapeutische Prozess immer wieder von allerlei denkwürdigen Ereignissen und obskuren Gestalten durcheinandergewirbelt. Da tauchen Darth Vader und Prinzessin Leia auf, selbsternannte Treuetesterinnen treiben ihr Unwesen und am Ende gibt es sogar ein neues Kommunistisches Manifest. In der Nacht von Samhain tritt ein Dirndlballett auf, nachdem die Bäuerin die Frau gesucht und gefunden hat und die allgegenwärtige Carla Columna wittert Schlagzeile um Schlagzeile.
Ob unsere Paare dabei glücklich werden? Und wenn ja, wer mit wem? Eins sei versprochen: Am Ende unseres Liebesreigens ist - wie bei Shakespeare - nicht alles Verlorene Liebesmüh.
Paartherapie – Ein erotischer Liebesreigen von Jean P.
Copyright: © Jean P. – publiziert von telegonos-publishing
www.telegonos.de
(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der website)
Cover: Kutscherdesign. Covergestaltung und Bilder im Buchinneren unter Verwendung einer Vorlage von Dankalilly via Adobe Stock
Lektorat: Textcheck Agency http://textcheck.agency/
Kontakt zum Autor:www.telegonos.de/aboutJeanp.htm
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Romanfiguren können möglicherweise darauf verzichten, aber im realen Leben gilt: Safer Sex!
Ich widme dieses Buch allen Paaren und solchen, die es noch werden wollen, denn geschrieben steht:
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.
Tief in unserem Unbewussten tummeln sich Gestalten, denen wir, bei Lichte betrachtet, nicht unbedingt begegnen möchten. Gelegentlich erscheinen sie in unseren Träumen und erwecken Verwunderung oder lassen uns verzaubert zurück.
Da gibt es verwegene Kerle und Bösewichter, Halsabschneider und Ganoven. Aber auch die schönen Feen und sonstigen Lichtgestalten, von denen die Märchen und Legenden zu berichten wissen, lassen sich gelegentlich blicken. Gehören sie möglicherweise alle zusammen und sind ein Teil von uns selber? Doch lassen wir das. Vorschnelle psychologische Deutungen gehören nicht in das Vorwort einer Geschichte, die von den Irrungen und Wirrungen einiger Paare erzählt, welche sich in ihrer von absoluter Gegensätzlichkeit geprägten Not aufgemacht haben, um Rat und Hilfe zu suchen.
Verweilen wir vorerst lieber noch bei den Figuren, die unser Traumland bevölkern. Was wäre denn Peter Pan ohne Käpt'n Hook oder die Schöne ohne das Biest? Oder denken wir an Amor und Psyche aus der antiken Mythologie. Da begegnet uns Schönes und Ungeheuerliches. So auch im Froschkönig, das nicht von ungefähr den ersten Platz in der Grimm‘schen Sammlung einnimmt: die schöne Königstochter und der hässliche Frosch … Doch wenn wir genauer hinschauen, ist da noch etwas anderes, das in der menschlichen Seele tief verwurzelt zu sein scheint: die Vorstellung, dass es möglich ist, die Realität durch magische Handlungen, und seien es nur Zaubersprüche, zu verändern. Könnte es nicht durch einen Trick gelingen, etwas so hinzubiegen, wie wir es gerne hätten? Nicht umsonst bevölkert die Figur des Tricksters zahlreiche Märchen und Mythen. Sie versucht, vereinfacht ausgedrückt, ein wenig zu mogeln.
Und schon sind wir mittendrin in unserer Geschichte. Nicht, dass es um Mogeleien geht, aber da soll etwas hingebogen werden. Und da das nicht recht gelingen will, braucht es fremde Hilfe. Immerhin ein Schritt! Vielleicht nutzt es ja doch etwas?
Lassen Sie sich überraschen, was den Paaren in unserer Geschichte passiert, die den Schritt getan haben und sich einer Therapie unterwerfen, denn wenn nicht dort, wo dann kann ihnen geholfen werden? Eines ist gewiss: Der Begegnung mit den inneren Gestalten werden sie nicht ausweichen können, welche Form diese auch immer annehmen mögen. Ob sie die Therapie durchhalten und wenn ja, wird sie von Erfolg gekrönt sein?
Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser wünsche ich ein köstliches Vergnügen und wenn Sie sich das eine oder andere Mal dabei ertappt fühlen, dass Ihnen diese Wesen, vielleicht in anderer Weise, auch schon einmal zugesetzt haben, dann wird es Zeit! Wofür? Na, für die Therapie, was sonst? Welche, das sei Ihnen selbst überlassen, für eine jedoch spreche ich zusammen mit dem Volksmund eine Empfehlung aus! Denn der weiß: Lachen ist die beste solche …
Herzlichst
Ihr Jean P.
Paartherapie
1. Die Paare
Gosbert und Mareike
Gosbert fackelte nicht lange. Wenn er eine Entscheidung getroffen hatte, wurde sie umgesetzt. Lange Überlegungen waren ihm ein Gräuel. Zugetraut hätte man dem Mittdreißiger diese Entschlossenheit nicht unbedingt. Sein jungenhaftes Äußeres vermittelte eher das Bild eines verträumten, leicht versponnenen Möchtegern-Philosophen, dessen Tage damit ausgefüllt waren, über Gott und die Welt nachzudenken.
Unter dem hellbraunen, leicht ins Rötliche spielenden, stets verwuschelten Haarschopf blickten leuchtend hellblaue Augen durch eine runde Nickelbrille, welche das Philosophen-Image noch verstärkte. War es das, was ihm die häufig anhimmelnden Blicke der Frauen eintrug, schon, wenn er bloß mit seinem etwas schlaksigen Gang durch die Türen eintrat, die sich ihm beinahe täglich öffneten, um ihn an einer der vielen Feiern und Partys teilhaben zu lassen, die sein Leben prägten? Oder bewirkte das doch eher der flaumige Drei-Tage-Bart und sein athletischer, gut einmeterneunzig großer, durchtrainiert wirkender Körper?
Er wusste das selber nicht so recht, doch zu genießen verstand er es durchaus. Er liebte das Leben und das Leben liebte ihn. Der Wunsch nach einer festen Beziehung hatte ihn zwar gelegentlich schon ereilt, doch die Buntheit seines Lebens, ja man konnte beinahe sagen der Strudel seiner Aktivitäten, hatte dies stets wieder verdrängt.
Dies änderte sich schlagartig, als er Mareike kennenlernte. Es war, als ob er aus einem Rausch erwacht war. Und wie das Erwachen aus einem Rausch, so war auch dieses Erwachen mit Kopfschmerzen verbunden – und zwar mit sich wiederholenden. Denn seit sie zusammen waren, hatten Gosbert und Mareike sich bereits gefühlte fünf- bis sechsmal getrennt. Niemand wusste zu sagen, ob sie nun gerade zusammen waren oder nicht.
Mareike war von Gosbert so grundverschieden, wie man es sich überhaupt nur vorstellen kann. Schon rein äußerlich eher unscheinbar, war auch ihr ganzes Wesen schüchtern. Wenn sie einmal irgendwo mit dabei war, sah man sie kaum. Zurückhaltend, scheu und häufig zu Boden blickend stand sie meist völlig im Schatten des großen Gosbert, der es verstand zu feiern und stets im Mittelpunkt stand. Mareike war der typische Graue-Maus-Typ. Tatsächlich sah man die fast zehn Jahre jüngere Frau in der Regel grau in grau. Oft trug sie ein einfaches, wenig modisches graues Kleid, zu dem sie schwarze, flache Ballerinas anhatte. Ihr dunkelbraunes Haar war nackenkurz geschnitten und vermittelte die Bravheit einer Frau, die gar nicht schön sein will. Mareike schminkte sich nie und ganz selten sah man ein Schmuckstück an ihr. Gelegentlich trug sie zwar die weiße Perlenkette, welche Gosbert ihr geschenkt hatte, doch man konnte den Eindruck gewinnen, dass sie sich deswegen bereits schämte.
Es muss wohl der tiefgründige Blick ihrer rehbraunen Augen gewesen sein, in den Gosbert sich verliebt hatte. Ein guter Beobachter konnte ein Strahlen darin erkennen, wenn sie hin und wieder zu ihrem mehr als einen Kopf größeren Beschützer aufschaute.
Doch während Gosbert das Leben in vollen Zügen genießen wollte, tendierte Mareike zu trauter Zweisamkeit. Ein ums andere Mal stritten sie sich und es geschah des Öfteren, dass Gosbert die Tür von Mareikes kleiner Mansarden-Wohnung wutentbrannt hinter sich zuknallte. Obwohl es auch im Bett nicht sonderlich klappte, kehrte er allerdings immer wieder zurück. Heißt es nicht Stille Wasser sind tief? Er konnte nicht ohne sie – und sie wohl auch nicht ohne ihn. Denn als er ihr die Entscheidung präsentierte, mit ihr in diese Paartherapie zu gehen, von der er gehört und sie beide ohne ihre Zustimmung angemeldet hatte, sagte sie sofort zu. Ihre Zusage war wortlos. Sie nickte nur an seiner Brust, als er sie nach einer erneuten Versöhnung in seine starken Arme nahm.
Silva und Enzo
Gänzlich anders und doch ein wenig ähnlich verhielt es sich bei Silva und Enzo. Die Ähnlichkeit lag in der Gegensätzlichkeit. Der große Unterschied bestand darin, dass hier die weibliche Kraft die treibende war. Doch sie war auch zugleich die unzufriedene. Während der stille Enzo meist nur seine Ruhe haben wollte, konnte Silva nie genug bekommen, ließ kaum ein Event ungenutzt verstreichen und es kam immer häufiger vor, dass Enzo allein zuhause blieb. Auf die Dauer machte das ihn natürlich ebenfalls unzufrieden und gelegentlich wurde er von regelrechten Eifersuchtsattacken geplagt.
Denn Silva machte sich schön, wenn sie ausging und sie machte sich besonders schön, so kam es Enzo vor, wenn sie alleine ausging. Diese Beobachtung war bestimmt nicht ganz von der Hand zu weisen, da Silva es natürlich darauf anlegte, Enzo eifersüchtig zu machen. Silva war eine Frau wie ein Vulkan – ein Vulkan, der ständig brodelte und kurz vor dem Ausbruch stand.
Doch wer an jenem Abend ausbrach, das war Enzo. Silva hatte es darauf angelegt und war dennoch überrascht, als es geschah. Sie war sich mehr als bewusst darüber, dass er ihr zusehen konnte, wie sie sich für den Abend zurechtmachte. Das war schließlich eingefädelt, nachdem er ihr zum gefühlt tausendsten Mal einen Korb gegeben hatte für diesen Abend im Freundeskreis. Alle Türen ihrer Wohnung standen offen, als sie nackt aus dem Bad kam und durch die Wohndiele in ihr gemeinsames Schlafzimmer stolzierte, in das er unmittelbar von seinem Arbeitszimmer aus blicken konnte, in dem er einmal mehr über einem komplizierten Computerprogramm brütete.
Es war einfach unmöglich, es nicht zu sehen, wie sie vor dem Spiegel stand und ihre rote, lockige Haarpracht bürstete und kämmte. Wie sie es lasziv hochsteckte und diverse Haarspangen ausprobierte, bevor sie sich für die malachitgrüne entschied, die Enzo ihr einmal geschenkt hatte, weil sie dem Grün ihrer Augen am nächsten kam.
Sicher sah Enzo auch, wie sie sich verführerisch über ihre üppigen Brüste strich, bevor sie sie in den etwas zu knappen, schwarzen Spitzen-BH zwängte. Und eigentlich musste er doch spätestens wahnsinnig geworden sein, selbst wenn er das alles nur aus den Augenwinkeln heraus betrachtete, während er Geschäftigkeit vortäuschte, als er sie langsam die schwarzen Selbsthaltenden überziehen und dann, immer noch halbnackt, sich seelenruhig vor dem Spiegel stehend schminken sah.
Wäre es nicht das Normalste von der Welt gewesen, wenn er jetzt über sie hergefallen wäre, wo sie es doch geradezu darauf anlegte? Oder spätestens, als sie ihre dunkelgrüne, langärmelige Bluse überzog, welche nicht nur den schwarzen Spitzen-BH durchschimmern ließ? Doch Enzo war regelrecht verbiestert. Er war sauer und wütend und in sein Denken eingesperrt, das lediglich eine Frage stellte: Warum nur musste sich dieses Weib andauernd mit irgendwelchen blöden Typen umgeben, die ohnehin nur den ganzen Abend lang herumlaberten?
Enzo war so verblendet, dass der Ausbruch kam, als es eigentlich schon zu spät war. Da hatte Silva bereits Jacke und Handtasche ergriffen und stand an der Wohnungstür. Es war, als ob er das Wesentliche der Provokation gar nicht mitbekommen hatte. Nicht, als sie sich den engen Ledermini anzog, der kaum die Ränder der Strümpfe verbarg, und auch nicht, als sie ihre Füße in die hochhackigen Pumps steckte. Es wurde ihm wohl wirklich erst klar, dass sie ohne Höschen loszog, als sie vor der Tür stand und einen letzten prüfenden Blick in den Garderobenspiegel warf. Abrupt sprang er auf, baute sich drohend auf der anderen Seite der Diele auf und ließ eine Tirade vom Stapel, in denen die Worte „Flittchen“ und „genusssüchtiges Luxusweib“ einen Ehrenplatz hatten.
Das italienische Temperament hatten sie beide von ihren Vorfahren geerbt. Allein, es verpuffte. Die Wohnungstür knallte in sein Gebrüll. Die Nachbarn konnten sich ihren Teil denken. Aber den kannten sie ohnehin schon.
Es dauerte geschlagene zwei Stunden, bevor sich Enzos Gemüt beruhigt hatte und sich sein Ausbruch in zielorientiertes Handeln kanalisierte. Natürlich musste er dahin und natürlich musste er etwas tun, dass sie so nicht erwartete. Verlieren wollte er Silva auf keinen Fall. Also entschied er sich tatsächlich für ein weißes Hemd und den Nadelstreifenanzug. Da stand sie drauf. Als er sich mit seinem alten Fiat einen Weg durch den nächtlichen Straßenverkehr gebahnt und einen Parkplatz vor dem Haus der Freunde gefunden hatte, in dem die Party stattfand, war er nahe daran, doch noch einen Rückzieher zu machen. Doch schließlich überwand er sich und ging hinein.
Silva sei vor ein paar Minuten gegangen, meinten sie. Wohin, wusste man nicht. Bedrückt und von der Annahme gequält, dass Silva von einer Feier zur nächsten hüpfte, machte er sich wieder auf den Heimweg.
Aber Silva wartete schon auf ihn. Kaum hatte er die Wohnungstür aufgeschlossen, fielen sie gegenseitig übereinander her. Wer den Anfang machte, ist schwer zu sagen. Sie riss ihm die Klamotten vom Leib. Er hatte ja ein leichtes Spiel. Sie liebten sich auf dem Küchenboden und später noch einmal im Bett. Das Programm für die Nachbarn hatte sein Happy-End gefunden.
Beim Frühstück strich sie ihm zärtlich durch die lockigen, ihr leider viel zu kurz geschnittenen Haare, als sie ihn, nur mit ihrem hauchzarten schwarzen Negligé hinter ihm stehend, auf die Zeitungsannonce aufmerksam machte. Aus seinen dunklen, und wenn er wollte, verschmitzt und charmant lächelnden Auge sah er zu ihr auf und signalisierte sofortiges, spontanes Einverständnis. Er vermied es zu erwähnen, dass er die gleiche Anzeige ein paar Tage zuvor auch schon gelesen und an die Möglichkeit einer Paartherapie gedacht hatte. Wenn er wollte, konnte er richtig klug sein. So war sie es, die es entdeckt hatte, und er konnte auf der widerspenstigen Zähmung hoffen.
Roger und Mariella
Mit Mariella und Roger war das so eine Sache. Lange hatte die Therapeutin gezögert, sie als teilnehmendes Paar anzunehmen und es letztlich nur unter der Bedingung absoluter Verschwiegenheit getan. Damit war nicht etwa die selbstverständliche Schweigepflicht des Therapeuten gemeint. Vielmehr mussten sich Mariella und Roger dazu verpflichten, niemals zu erwähnen, dass sie die Therapeutin kannten und die Therapeutin sie kannte. Nicht, dass sie sich näher kannten, doch der Zusammenhang war ein recht delikater.
Mariella und Roger waren nämlich Mitglied einer Gemeinschaft, welche das erotische Rollenspiel pflegte, und die Therapeutin war lange Zeit deren Vorsitzende gewesen. Die Verschwiegenheitspflicht erstreckte sich auch und insbesondere auf die Erwähnung dieser Gemeinschaft. Das geschah weniger aus Prüderie heraus. Aus Sicht der Therapeutin handelte es sich um eine Art Konkurrenzunternehmen, weil man dort in gewisser Hinsicht auch eine Form der Paartherapie betrieb, wenn auch eine recht spezielle.
Die Initiative im Hinblick auf unsere Paartherapie war von Mariella ausgegangen. Sie liebte ihren Roger abgöttisch und himmelte ihn an bis zur Hörigkeit. Doch es gab ein Problem, welches sie zusehends belastete. Roger war der typische südländische Machotyp, wie er im Buche steht. Schlank, groß, athletisch, stets sportlich bis elegant gekleidet zog er die Blicke der Frauen auf sich, ob er es wollte oder nicht. Seine dunkle Sonnenbrille trug er, wenn er sie nicht brauchte, lässig in sein gelocktes, schwarzes Haar gesteckt und flirtete mit seinen dunkelbraunen, stets lachenden Augen, dass sich die Balken bogen. Er wollte es also wohl meistens doch.
Besonders Isabella, Mariellas bester Freundin, die mit ihrem Mann Robert im selben Haus wie sie lebten, stellte er unverhohlen nach. Er rechtfertigte das damit, dass die Statuten ihrer sogenannten Gemeinschaft, in der auch Isabella und Robert Mitglieder waren, das nicht nur erlaubten, sondern sogar nahelegten. Das war natürlich nicht nur etwas überkandidelt, sondern die unzulässige Übertragung der Würze ihres Spiels auf den Alltag. Möglicherweise war es auch nur die Folge davon, dass dieser Alltag noch eine andere, recht scharfe Würze enthielt. Nein, wir reden jetzt nicht davon, dass Roger das war, was man früher einen Schürzenjäger nannte. Vielmehr sei der objektiven Einschätzung der Sachlage wegen erwähnt, dass Mariella, diese einmeterfünfundsiebzig große Traumblondine mit Modelmaßen, diese devote Anhimmlerin ihres Liebsten, den sie sogar öffentlich ihren Gebieter nannte, eine nicht einmal heimliche Liaison mit ihrer Freundin Isabella unterhielt.
Ob Mariella nun bisexuell war und die Beziehung der Freundinnen gar wirklich mehr als platonisch war, lässt sich nicht so einfach sagen. Sie spielten miteinander das Spiel, das sie aus ihrer sogenannten Gemeinschaft her kannten. In diesem Spiel war Mariella die Dominante und Isabella die Untergebene oder, wie sie es in ihrer Gemeinschaft nannten: Herrin und Sklavin. Isabella war gewissermaßen doppelte Sklavin, die ihres Mannes Robert und die ihrer Freundin Mariella. Das war Roger ein Dorn im Auge. War das der Fall, weil er den Kontrollverlust befürchtete? Oder war es Eifersucht? Das ist schwer zu sagen. Schlimm war das ja nun wahrlich nicht, was die beiden gelegentlich spielten und damit manchmal sogar den Alltag der Herren würzten. Doch Roger war es irgendwie suspekt und so sah er es als gerechten Ausgleich an, dass er sich gelegentlich eine andere Spielgefährtin suchte. Ein Teufelskreis? Mariella fühlte sich gedemütigt, da sie ihn ja schließlich stets mit Liebesbeweisen aller Art überhäufte.
Einmal, als sie in ihrer Gemeinschaft Freiwillige für ein Experiment suchten, erklärte sie sich ihm zuliebe spontan bereit, eine neue Form der Elektrostimulation zu testen. Seitdem trug sie den Estim-Vaginalvibrator regelmäßig – und Roger hatte die Fernbedienung dazu. Er hatte sie also wirklich im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand. Für Fehlverhalten bestrafte er sie gerne auch mal mit kleinen Elektroschocks. Doch meistens belohnte er sie, denn Roger liebte Mariella mindestens genauso innig, wie Mariella Roger.
Deswegen hätte es auch gar nicht des allerliebst von Mariella inszenierten Überredungsversuches bedurft. Roger kommentierte denn auch ihr bezirzendes Getue mit dem ultrakurzen neuen Kleid, das so gerade den Po bedeckte, nur mit einem Klaps auf denselben und dem Befehl, bei nächster Gelegenheit einen Kennenlern-Termin zu vereinbaren. Solche Dinge pflegte er völlig ungeniert in der Öffentlichkeit zu tun. Dass es sich dabei um das nobelste Nobelrestaurant der Stadt handelte, in das Mariella ihn anlässlich ihres Überredungsversuches mit ihrem neuen Kleidchen eingeladen hatte, scherte ihn recht wenig. Auch dafür liebte sie ihn.
Boris und Svetlana
Boris und Svetlana waren nach den Erstgesprächen der Grund dafür, dass die Therapeutin die Zahl der Paare an der Gruppentherapie auf vier begrenzte. Ihr wurde klar, dass die Unterschiedlichkeit der Probleme den Rahmen sprengen würde, anstatt, wie es das Konzept vorsah, zur gegenseitigen Befruchtung beizutragen. Die soziokulturellen Gegebenheiten spielten eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
Die Familien von Boris und Svetlana waren nach der Wende von Russland nach Westeuropa ausgewandert. Doch während Boris, der aus den ärmlichen Verhältnissen einer Großfamilie stammte, sich von Anfang an durchbeißen musste, war Svetlana in ein warmes, weiches Nest gefallen. Ihrer Familie war ein Erbe zugekommen und sie, die im Westen geborene einzige Tochter, war stets die kleine Prinzessin gewesen. Sie war verwöhnt und bekam jeden Wunsch erfüllt.
Irgendwann bekam sie auch den Wunsch erfüllt, dass Boris, den sie schon seit langem von Ferne angehimmelt hatte, sich in sie verliebte. Es passierte einfach. Boris war ein stattlicher junger Mann. Schon rein äußerlich verkörperte er alle Merkmale, die sich ein russisches Mädchen von ihrem Beschützer erhofft. Er war ein großer starker Bär, ein klein wenig rundlich vielleicht und von durchaus gutmütiger Ausstrahlung. Vertrauensvoll dreinblickende, freundliche blaue Augen signalisierten das, was ihn als Mensch auszeichnete: zuvorkommende, einfühlsame Fürsorge. Und doch, man spürte: Den zum Feind zu haben, ist nicht gut. Dazu brauchte der sich nicht einmal breitschultrig vor einem aufzubauen, was er in seinem früheren Job als Türsteher bei einer Disco gewiss als mildeste Waffe eingesetzt hatte.
Inzwischen arbeitete Boris bei einer Security-firma und als er Svetlana zum ersten Mal von zuhause abholte, um sie zu einer Feier des ortsansässigen russischen Traditionsvereins zu begleiten, bestand sie darauf, dass er seine Uniform trug. Die hatte zwar nichts speziell Russisches an sich, aber sie strahlte Autorität aus. Svetlana liebte Uniformen und trug zu diesem Event selber eine, und zwar eine echte russische Schulmädchenuniform. Todschick sei sie ja, meinte Boris – und vermied es zu sagen, dass er Svetlana richtig geil darin fand. Aber echt sei diese Uniform doch wohl kaum, wandte er ein und erläuterte, dass er in Erinnerung hatte, dass seine zwei großen um neun, beziehungsweise zehn Jahre älteren Schwestern so etwas zu Sowjetzeiten getragen hatten. Aber das seien bloß einfache dunkelbraune Kleider mit weißen Leinenschürzen gewesen. Das Kleid, welches Svetlana anhatte, war fein und versetzte Boris in helle Aufregung, was er allerdings tunlichst zu verbergen suchte.
Nein, das kam nicht, weil das Kleid so kurz war, das natürlich auch. Es umhüllte Svetlana wie eine Aura. Diese Aura hatte Boris bisher so nicht wahrgenommen. Das nachtblaue, beinahe schwarze, langärmelige Kleid mit dem kurzen Faltenröckchen und der feinen mit Lochstickerei verzierten Trägerschürze darüber bot ihm, so kam es Boris vor, Svetlana dar. Unmittelbar war klar: Das ist nur für dich! So war es auf alle Fälle in seiner Fantasie. Die hauchzarten weißen Overkneestrümpfe, sowie die schneeweißen Schleifen in ihrem braunen, gelockten Haar beflügelten diese Vorstellung.
Er war so hingerissen, dass er Svetlanas Erläuterung gar nicht richtig wahrnahm. Es sei nur für eine Aufführung, behauptete sie jedenfalls, als sie seine großen Augen registrierte. Sie werde mit einigen Freundinnen zusammen einen Tanz vorführen, wie es die Mädchen beim Abschlussfest der Graduiertenprüfungen zu tun pflegten. Sie beteilige sich daran schon seit drei Jahren, weil sie es zutiefst bedauere, nie in eine russische Schule gegangen zu sein.
An diesem Abend erlitt Boris eine Eifersuchtsattacke nach der anderen. Svetlana flirtete, so erschien es ihm, mit jedem – und einige machten ihr mehr als schöne Augen. Svetlana tanzte, Svetlana lachte, Svetlana stand im Mittelpunkt, Svetlana, Svetlana, Svetlana. Boris taumelte mit gelegentlich geballten Fäusten durch den Abend – und landete schließlich in ihrem Bett. Svetlanas Mutter ließ ihr alle Freiheiten oder hatte es möglicherweise nicht einmal gemerkt, denn Svetlana hatte ihren ganz eigenen Wohnbereich in der großen Villa. Ihr einige Jahre zuvor gestorbener Vater hätte das gewiss nicht geduldet. Schon allein wegen des Standesunterschiedes hätte der Boris nicht einmal ins Haus gelassen.
Als Boris morgens aufwachte und in Svetlanas grünbraune Augen sah, glaubte er sich im Himmel. Svetlana war sein Engel. Er hatte mit einem Engel geschlafen. Doch Svetlana war kein Engel, sondern eine junge Frau mit Wünschen und Bedürfnissen. Boris las ihr auch jeden Wunsch von den Augen ab und vergötterte sie, so gut er konnte. Aber es gab da ein Problem. Er konnte sie nicht befriedigen. Einfach ausgedrückt: Er kam zu schnell. Doch Svetlana liebte ihn, und als er ihr in einer stillen Stunde, um seine Schwäche zu erklären, gestand, dass er überhaupt noch niemals eine Frau gehabt hatte, liebte sie ihn umso mehr.
Als sie Boris den Vorschlag mit der Paartherapie unterbreitete, behutsam und ganz unsicher, ob sie damit nicht zu weit ging, willigte er zu ihrem Erstaunen sofort ein. Denn Boris wollte schließlich Svetlana auf keinen Fall verlieren. Das wäre einmal beinahe der Fall gewesen. Es stand sehr auf der Kippe, als er ihr bei einer erneuten Eifersuchtsattacke unterstellte, sie ginge bestimmt zu anderen, weil er es ihr nicht richtig besorge. Vielleicht war Svetlana doch ein Engel? Den Tipp mit der Paartherapie hatte sie übrigens von ihrer besten Freundin Silva bekommen.
2. Das therapeutische Team
Back to the roots! Der abgedroschene Spruch ging Eva durch den Sinn, als sie über ihren Traum nachdachte. Es war absolut stimmig. Der Traum bestätigte das, was sie vorhatte. Ihren Job als Psychotherapeutin an einer psychosomatischen Klinik hatte Eva irgendwann aufgegeben. Damals waren andere Dinge dran gewesen. Doch im Traum hatte sie sich in ihrem alten Beruf gesehen.
Ob nun wirklich der Traum ihren Entschluss oder ihr Entschluss den Traum hervorgerufen hatte, war ihr später unklar. Doch eins war klar: ihr Entschluss!
Eva ging auf die Vierzig zu und, wenn sie ehrlich war, haderte sie damit wie jede Frau. Da half es wenig, dass nicht nur ihre Freundinnen sie stets komplimentierten, sondern ihr auch objektive Beobachter maximal die Ende Zwanzig zugetraut hätten. Eva war eine Schönheit und verkörperte jenen Typ Frau, deren mit vornehmer Eleganz gepaarte Unnahbarkeit Faszination auslöste – bei Männern und bei Frauen. Ihre hellblonde Haarpracht trug sie häufig aufgetürmt zu einer Hochsteckfrisur oder gar streng zu einem altmodischen Dutt gebunden. Der zumeist dominante Blick ihrer strahlend blauen Augen verlieh ihr Autorität. Wo es langging, bestimmte sie. Das galt auch für ihre Beziehungen. Lange hatte sie sich selbst für bisexuell gehalten und es brauchte die eigene Therapie im Rahmen ihrer psychotherapeutischen Ausbildung, um sich einzugestehen, dass dieser Glaube nur der gesellschaftlich aufoktroyierten Einstellung geschuldet war, dass es unnormal war, dass sie sich – und zwar schon immer – zu Frauen hingezogen fühlte. Sie rettete sich sozusagen damit ein wenig Normalität, dass sie die probierten und von ihr erwarteten Männerbeziehungen als Rechtfertigung sich selbst gegenüber ins Feld führte.
Es kam, wie es kommen musste: Eva fiel in ein Loch, nachdem ihre beiden wirklich intensiven Beziehungen zu zwei devoten Frauen daran scheiterten, dass die ihrerseits zu einem Mann überliefen. Es war wie ein Spiegel, der ihr vorgehalten worden war – auch wenn es ein verzerrter war. Als Folge lebte sie ihre dominante Seite für eine ganze Weile als Herrin in der schon erwähnten Gemeinschaft von Schloss B. aus.
Als ihr klar wurde, dass sie etwas Eigenes und völlig Neues machen musste, kam dieser Traum. Vom Traum zum Plan brauchte es nicht mehr allzu lange. Recht schnell jedoch erkannte sie, dass sie für ihr Vorhaben einen Partner brauchte – einen männlichen Partner.
Doch von der Idee zur Tat benötigte es etwas mehr Zeit als vom Traum zum Plan. Letztendlich fügte dies ein Ereignis, das Eva überdies verdeutlichte, dass es angebracht war, alte Ressentiments über Bord zu werfen. Es war nämlich ausgerechnet Jean, der ihr in einer Angelegenheit weiterhalf, die ihr Kopfzerbrechen bereitete. Jean war es gewesen, der ihr damals Teresa ausgespannt hatte. Seit einiger Zeit unterrichteten sie an der gleichen Akademie. Seines Zeichens Schriftsteller und Traumtherapeut warb Jean in seinen Seminaren für das therapeutische Schreiben. Mit seinem diesbezüglichen Hinweis unterstützte er sie darin, mit einem Studentenpärchen klarzukommen, von dem sie sich ein klein wenig gestalkt vorkam. Die zwei hatten sich in den Kopf gesetzt, dass sie die Einzige sei, die ihnen helfen konnte. Seit der Teilnahme an einem Persönlichkeitsseminar ließen die beiden sie einfach nicht mehr in Ruhe.
Äußerlich so verschieden, wie man es sich nur vorstellen konnte – er, ein athletischer, beinahe zwei Meter großer Hüne, und sie, eine kleine zierliche, gerne das brave Schulmädchen gebende Kindfrau – waren sie im Grund ganz ähnlich: ähnlich schüchtern, ähnlich wenig selbstbewusst, ähnlich voneinander abhängig. So willfährig, um nicht zusagen hörig sie ihm war und sich nach dominanter Führung sehnte, so unfähig war er, ihr genau diese zu geben. Der große Hüne war weich, lieb, zärtlich und genauso scheu wie sein kleines Schulmädchen.
Doch beide waren sich dessen bewusst und hatten das gemeinsame Ziel, selbstsicherer zu werden. Die Struktur, die aus Jeans therapeutischem Hinweis erwuchs, half ihnen. Täglich übten sie sich darin, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Träume aufzuschreiben und aus dem Niedergeschriebenen zunächst ein Spiel zu machen, um es dann später möglicherweise Alltag werden zu lassen.
Der Entschluss der beiden, über diesen Selbsterfahrungsprozess gemeinsam ihre Bachelorarbeit zu schreiben, führte zuerst bei Jean und später dann auch bei Eva zu der Überlegung, dieses Paar quasi als Musterpaar bei passenden Gelegenheiten in das therapeutische Setting zu integrieren. Inzwischen hatten Eva und Jean einen Kooperationsvertrag für die therapeutische Zusammenarbeit abgeschlossen und Jean versprach, bei Gelegenheit ein Konzept zur therapeutischen Mitwirkung der zwei auszuarbeiten.
Die Idee dazu war ihm gekommen, nachdem er den beiden unbeabsichtigt bei einem Streit zugesehen hatte. Er saß gerade wartend bei seinem Friseur, dessen Überredungsversuch, sein allmählich grauer werdendes Haar mit einer Tönung zu kaschieren, er gerade ein weiteres Mal abgewehrt hatte.
Die beiden schienen laut und wild gestikulierend so in ihren Streit vertieft zu sein, dass sie die überraschten Blicke der Passanten auf der Straße gar nicht mitbekamen – und den seinen durch die Schaufensterscheibe des Friseurladens natürlich erst recht nicht, obwohl er, seiner eigenen Überraschung Tribut zollend, aufgesprungen war, um zu erraten, was da wohl los sei.
Die Entscheidung, den beiden zu folgen und seinem Friseur einen Korb zu geben, fiel erst, als sie schon aus dem Blickfeld verschwunden waren. Es war der Moment des Zauderns gewesen, doch schließlich hatte die Neugier gesiegt. Oder war es der Voyeurismus gewesen, denn die Kleine hatte ein apart kurzes Röckchen an? Auf der Straße kam er sich wie einer dieser Privatdetektive in den alten Krimis vor: auffällig unauffällig! Doch die zwei bemerkten ihn wohl wirklich nicht. Es waren ja auch viele Menschen unterwegs. Allerdings bogen die beiden schließlich in eine unbelebte Nebenstraße ab, so dass er seinen Abstand unweigerlich vergrößern musste.
Irgendwie konnte er sich nach einer Weile des Eindruckes nicht erwehren, dass der Streit nur ein inszenierter war. Sie machte sich immer wieder Notizen auf einem kleinen Schreibblock, den sie in ihrer linken Hand hielt, und er hantierte gelegentlich auf seinem Handy herum. Ob die zwei wohl übten, ging es Jean durch den Sinn, als er dem Paar vorsichtig und in gehörigem Abstand in einen der Nebeneingänge des großen Parks folgte, zu dem sie eine weitere Straße überqueren mussten. Einmal hatte Jean das Gefühl, sie hätten ihn bemerkt, doch das war wohl eher der Befürchtung geschuldet, ertappt zu werden, denn die Arglosigkeit der beiden deutete darauf hin, dass sie ziemlich in ihr Spiel vertieft waren und sich völlig unbeobachtet vorkamen.
Hätte er ihr sonst – auch wenn sie inzwischen in einem recht abgelegenen Teil des Parks angelangt waren – ein ums andere Mal einen Klaps auf den Po gegeben? Wohl kaum auf diese Art, die eindeutig und jedes Mal weiter zunehmend über das normale, von der Frau nicht nur gestattete, sondern heimlich ersehnte machohafte Balzverhalten hinausging. Sie steigerte sich dahingehend, dass immer klarer wurde, was die beiden spielten. Sie, das kleine Schulmädchen, wurde von ihm, dem großen Lehrer, gezwungen stehen zu bleiben, um nach einem Blick auf ihren Notizblock einen vermeintlichen Fehler festzustellen und sie dafür an Ort und Stelle zu bestrafen. Dabei wurden die Klapse nicht nur heftiger, sondern die übergriffige Hand des Lehrers wanderte immer wieder unter ihr kurzes Schottenröckchen. Gerne zog er ihr auch den Kopf an dem zu einem Pferdeschwanz gebundenen roten Haar in den Nacken, um ihr einen dominanten Kuss auf die Lippen zu pressen. Ob das eine Belohnung darstellte?
Endlich waren sie bei einer der Bänke angelangt, die hier und da abgeschieden zwischen den alten Weidenbäumen herumstanden. Jean hatte es soeben geschafft, sich hinter einem mächtigen Baum zu verschanzen, als er – inzwischen gar nicht mehr erstaunt – mit ihn selber ein wenig erschreckender, voyeuristischen Neugier beobachten konnte, dass die zwei die Bank mitnichten dazu nutzten, sich hinzusetzten. Eine ganze Weile blieben sie innig umarmt davor stehen und Jean musste schmunzeln, hatte er doch unwillkürlich die Assoziation von Beißer und Dolly aus dem James-Bond-Film Moonraker, obwohl dieser stattliche junge Mann natürlich nichts von der Hässlichkeit des Beißers hatte. Die junge Frau war da der Dolly aus dem Film schon ähnlicher. Wenn sie geflochtene Zöpfe und ein Dirndlkleid angehabt hätte ...
Doch nein, es war lediglich der beachtliche Größenunterschied der beiden, welche diese Vorstellung erzeugt hatte – oder vielleicht auch noch das Gefühl, dass die zwei genauso verliebt waren wie das gegensätzliche Filmpaar. Hätte sich die kleine Rothaarige sonst und wie von selber so ganz demutsvoll auf die Bank gekniet und artig gewartet, bis ihr Liebster in aller Ruhe eine ordentliche Rute geflochten hatte?
Man sah, dass er das nicht zum ersten Mal machte und offenbar wusste, dass die hier überall vom Sturm herumliegenden Weidenzweige sich dafür bestens eigneten. Dafür? Nun, das war ihr Liebesspiel: Die Schülerin wurde von ihrem Lehrer bestraft. Wofür? Dafür!
Man sah auch, dass er nebenbei mit wachendem Blick immer wieder die Umgebung taxierte und dass in ihren Augen trotzdem naturgemäß die angstvolle Sorge des Erwischt-Werdens zu lesen war. War das ein Wunder? Schließlich musste sie ihr Röckchen hochheben und – nach zwei, drei Rutenhieben – auch das Höschen herunterschieben und schließlich ganz ausziehen.
Doch da war die Show zu Ende, jedenfalls für Jean. Beißer und Dolly verschwanden im Gebüsch. Ob er’s nicht ausgehalten hatte? Oder sie? Vielleicht ja auch, im Idealfall, beide nicht. Wie dem nun auch war oder im Allgemeinen zu sein pflegte, Jeans Idee war just in diesem Moment geboren, einem Moment, der geprägt war vom Entzug des voyeuristischen Objekts und des beinahe beim Beobachten Ertappt-Werdens. Fast hätte er nämlich nicht bemerkt, dass sich noch ein paar andere Spaziergänger in diesen entlegenen Teil des Parks verirrt hatten. So unauffällig es ging, setzte er den normalen Weg fort und gab auch nicht dem kurzfristigen Impuls nach, die zwei zu warnen. Die Absurdität dieses Gedankens ließ ihn abermals schmunzeln. Die Idee für sein Konzept mündete in dem Plan, am Ende ein Buch über diese Paartherapie zu schreiben.
Ein paar Tage später kam das komplette Team zu einem ersten Koordinationsgespräch zusammen. Maik und Vanessa erschienen zu diesem Treffen in einem völlig anderen Outfit, denn sie hatten infolge eines Vorgesprächs mit Eva inzwischen eine Ahnung davon, was auf sie zukäme. Sie waren wirklich mit ganzer Ernsthaftigkeit und mit großem Stolz darüber, dass sie mitmachen durften, bei der Sache. Das war nicht nur so und auch kein bloßer Gag. Die zwei waren der absolute Hingucker und sowohl Eva als auch Jean konnten ein Schmunzeln nicht unterdrücken und mussten sich um Zurückhaltung bemühen. Schließlich galt es, diese Ernsthaftigkeit ins therapeutische Setting hereinzuholen.
Maik und Vanessa spielten nicht Flugkapitän und Stewardess, sie waren es! Catch me, if you can war das Erste, was Jean einfiel und er sah in diesem Moment Leonardo Di Caprio mit seinen schmucken Stewardessen über die Gangway flanieren. Maik stand Leonardo in nichts nach. Im Gegenteil, hätte man sich Leonardo als Flugkapitän so mir nichts, dir nichts anvertraut? Hingegen Maik auf alle Fälle – und das nicht wegen der vier dezenten Streifen an den Jackenärmeln seiner nachtblauen Pilotenuniform oder wegen der etwas verwegen in die Stirn gezogenen Kapitänsmütze. Und schon gar nicht wegen seines äußerst gepflegten, sorgfältig gestutzten Bartes.
Nein, dieser breitschultrige, gutmütig dreinschauende, athletische Typ hatte einfach etwas Vertrauenerweckendes. Das ging dann doch, um die Hollywood-Analogie noch einmal zu bemühen, eher in Richtung Brad Pitt. Und seien wir ehrlich, bei dem fühlt man sich doch besser aufgehoben als bei Leonardo Di Caprio, oder? Es war also nicht verwunderlich, dass die Stewardess ihren Flugkapitän anhimmelte. Ja, noch mehr, in Vanessas Augen lag das Strahlen einer Frau, welche sich sicher war, den Kapitän fürs Leben gefunden zu haben. Sicher und geborgen konnte sie in dessen Gegenwart die gewiss aufregendste Stewardessen-Uniform aller Zeiten tragen. Das leicht ausgestellte, dunkelorangefarbene Siebzigerjahre Minikleid konnte man schon als recht kurz bezeichnen. Aber nicht nur das, auch die dunkelblauen, perfekt zur Kapitänsuniform passenden Applikationen wiesen es als reizvollen Retrolook aus. Selbst der Pillbox-Hut der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 24.09.2018
ISBN: 978-3-7438-8182-2
Alle Rechte vorbehalten