Achtlos warf Busch seine im Lauf der Jahre, mittlerweile seit mehr als zwei Jahrzehnten von den vielen Reisen nach Nahost und zu verschiedenen höheren und auch etwas bescheidener angelegten Institutionen der Vermittlung historischen Wissens in Mitleidenschaft gezogene Ledertasche auf die herausgeklappte Lade seines Sekretärs aus Rosenholz. Es handelte sich um eines der wenigen Erbstücke, das auf seine adelige Herkunft verwies, die weit vor die Zeit reichte, in der die einst österreichische, nachmalige französische Königsgattin Marie Antoinette wegen ihrer reali-tätsverkennenden Äußerung, wenn das Volk kein Brot habe, dann solle es doch Kuchen essen, aufs Schaffot führte. Eigentlich hieß Busch nicht Busch. Seine einstigen Kommilitonen und späteren Kollegen der frühhistorischen Seminare waren aufgrund ihrer Artikulationsunfähigkeit, mangels mangelnder Übung der Mund- und Lippenmus-kulatur, nicht in der Lage, seinen richtigen Namen auszusprechen.
Seine Familie entstammte dem Süden Frankreichs, wo sie öst- wie westlich der Rhône bis hinein ins Delta über enorme Ländereien verfügte, von wo sie allerdings fliehen mußte, da sie sich früh den Eygenots angeschlossen hatte, Anhänger Calvins geworden waren. Die von Caterine de Medici mit verursachte Blutnacht von 1572 hatte die Familie noch überstanden, da sie fernab der königlichen Metropole friedlich ihre Herrschaft über ihre Untertanen auslebte. Doch 1705 verließ sie schließlich eilends das Land dieses mörderischen Katholizismusses und floh völlig mittellos gen Osten, in die Landstriche, in denen diese Frömmigkeit noch gefördert wurde, wo man weiterhin unbehelligt Psalme singen und im heiligen Buch lesen durfte, nahm, wenn auch völlig verarmt, ihren Sitz in Göttingen. So hatte Busch zwar einen wohl-klingenden Namen, den im Land des gewährten Asyls allerdings niemand auszusprechen in der Lage war und deshalb als Fremder wahrgenommen wurde.
In den Anfangsjahren seiner Lehrtätigkeit an der altehrwürdigen Universität zu Heidelberg, von woher der Ruf an ihn bis den hohen Norden Mitteleuropas, nach Südniedersachsen gedrungen war, wurde er immer wieder und wiederholt nach seinem Namen gefragt, eine Frage, die häufig in der noch höflichsten Form darin mündete, wo im Himmels willen der denn herkomme. Um der heiligen Aufklärung und der Einfachheit willen antwortete er einmal, nicht ahnend, welche Ausuferung das bewirken könnte, seine Familie sei etwa seit der Katharer Zeit im 12. Jahrhundert im okzitanischen Raum angesiedelt gewesen, dort, wo die Langue d'oc, die Sprache der Liebe, des Minnesangs gesprochen wurde, sie habe allerdings ihre Besitztümer, ihre Ländereien weit in den heutigen Bouche-du-Rhõne ausgedehnt und folglich dort auch seinen Sitz genommen. Also gut, witzelte etwas dünnhirnig ein Kollege der neueren Historie eines Tages, Boche könne man ihn schließlich schlecht nennen, aber Busch verstünde in hiesigen Sprachbreiten sogar der Pedell. Seither nannte man Aristide François Jean-Marie Henri Marquis de Gueule de Loup Busch.
Mißmutig, in Erinnerung eines enttäuschenden Arbeitstages, auch wegen der neuerlichen Etatkürzungen des ohnehin schmalen Haushaltes seiner Fakultät, sichtete Busch den trotz der sich längst durchgesetzt habenden Form der elektronischen Post immer noch beträchtlichen täglichen Stapel an Schreiben, den er bei Ankunft zuhause dem Briefkasten entnommen hatte. Viele Menschen schrieben ihm an seine private Anschrift, woher auch immer sie sie herhaben sollten, an das abgelegene Haus auf der dem Schloß gegenüberliegenden Seite des Neckars, in den Philosophenweg. Eine für ihn nach wie vor rätselhafte, schließlich mußte seine Familie alles im revolutionären, mörderischen Frankreich zurücklassen, aber gleichwohl passable Erbschaft, ermöglichte ihm bereits zu Beginn seiner Tätigkeit als Wissenschaftler an der dortigen Universität den Erwerb dieses beschaulichen Anwesens; heutzutage könnte ein Ordinarius einer, dieser Hochschule den Kaufpreis für eine derart nobel gelegene Immobilie nicht mehr aufbringen, selbst dann nicht, wenn er Lotto spielte und den Höchstgewinn einheimste.
Es handelte sich gewohnheitsgemäß um Briefe, in denen Menschen sich für seine Verdienste um die Erforschung der mesopotamischen, häufig babylonisch genannten Kultur bedankten, auf der letztendlich, wie einige Absender lobend verlauten ließen, die hiesige hochstehende basiere; wenn das trotz immerwährender Versuche der Aufklärung zu einer breiteren Öffentlichkeit auch kaum durchdringe, verharrte die der christlichen Lehre gemäß doch unabbringbar im von ihm sowie einigen Kollegen im kleinen Kreis witzelnd gerne als Märchenanthologie bezeichneten Buch der Bücher, dem Alten Testament, dem später noch ein Neues hinzugefügt worden war, die kaum zur Kenntnis nehme, daß beispielsweise der Sündenfall schon alleine deshalb historisch unkorrekt sei, da sich der Garten Eden, wenn überhaupt, zwischen Euphrat und Tigris befand, in dem nun einmal keine Äpfel wuchsen sondern allenfalls Feigen; die zugestandenermaßen in Thüringen schwierig vermittelbar waren wie auch irgendwo im heutigen Österreich, wo ein Anonymus zweihundert Jahre vor Martin Luther, ein Antisemit wie der, bereits die Bibel übersetzt hatte.
Meist waren es pensionierte Gymnasiallehrer, in dieser Altersgruppe existierten nicht allzuviele Frauen, denen man eine solche Tätigkeit der Wissensvermittlung zugetraut hätte, die zugleich ihr Leid über den kulturellen Niedergang der Deutschen beklagten. Die Häufigkeit der Zusendungen hatten in letzter Zeit leicht zugenommen, was seine Ursache in der immer älter werdenden Bevölkerung und damit einem zunehmenden Interesse an Vergangenheit haben könnte. Nicht selten waren diese Briefe in grammatikalisch wie orthographisch einwandfreiem, diktional hochstehendem Französisch verfaßt, so daß es Busch, dessen Sprachmutter eben dann doch irgendwie Deutsche war, hin und wieder in leichte Schwierigkeiten brachte, sie beim ersten Lesen zu verstehen. Und ab und an waren den Briefen Schecks mit gleichwohl mehr oder minder bescheidenen Beträgen beigelegt, die die Ermunterungen zu seiner beruflichen Tätigkeit unterstreichen sollten. Es handelte sich um freundliche Gesten, die ihm bei seiner Arbeit allerdings nicht grundlegend behilflich sein konnten, da alleine die Reisekosten zu den Ausgrabungsstätten im Land der zwei Ströme beträchtlich waren.
Ein Brief erregte während der Durchsicht des Stapels seine erhöhte Aufmerksamkeit. Adressiert war er in einer etwas ungelenken, fast krakeligen Handschrift, die nicht unbedingt auf eine vielgeübte Briefeschreiberin schließen ließ, die jedoch bemüht schien, einen bildungsbürgerlichen, gar wohlhabenden Eindruck zu hinterlassen. Dem widersprach allerdings bereits die Absenderanschrift, ein an den Ecken abgerundeter, maschinell gefertigter, wohl Güldenes suggerierender Aufkleber aus geschwungenen, Handschrift vermittelnden Buchstaben, die auf eine orientalische Herkunft verweisen sollten. Der Name und sein berufsbezeichnender Zusatz tat sein übriges. Er las: Khudrun Isch-Tar; in der Unterzeile: Schamanin. Busch war trotz dieser Lächerlichkeit derart aufgeregt, daß er fast zitterte. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit riß er den Brief nicht mit dem Zeigefinger auf, sondern nahm eigens einen kostbar erscheinenden Brieföffner aus Messing aus seinem edelhölzernen Sekretär. Nervös überflog er als erstes das Schreiben. Und rasch war ihm die Ursache seiner anfänglichen, offenbar schicksalhaften Erregung deutlich.
Die Dame namens Khudrun Isch-Tar kündigte an, ihn, den Frühorientalisten, als Universalerben einzusetzen und bat ihn, ihr bei der Gründung einer Stiftung zugunsten seiner Tätigkeit behilflich zu sein. Sie ließe das zwar gerne die für sie bisher tätige Rechtsanwältin erledigen, doch die sei bislang für sie eher in Grundstücksgeschäften und weiteren, ihr leicht ambivalent erscheinenden Angelegenheiten, hin und wieder auch bei Ordnungswidrigkeiten, beispielsweise anläßlich häufig von ihr verursachten Ruhestörungen sowie Geschwindigkeitsüberschreitungen, tätig gewesen, habe sich ihres Wissens noch keinerlei Meriten erworben, die gesellschaftlich von derartiger Bedeutung seien. Busch wurde nachdenklich und zunehmend unsicher, vor allem, nachdem er den Hinweis auf eine biographische Notiz wahrgenommen hatte, die im Brief gleich eingangs als Anlage angekündigt war und ihm beilag. Ihretwegen entschuldigte sich die Dame Isch-Tar, sie sei leicht satirischen Charakters, verfaßt von einem sich partout dem Ernst des Lebens verweigernden Freund, dem Betreiber eines gewissen Bureau für Null, in dessen ständig von vielleicht nicht ganz seriöser Entourage frequentierten Räumen sie gleichwohl mit Vorliebe ihre Freizeit verbringe, so sie denn über welche verfüge, schließlich habe die Versorgung der Menschheit mit Brot, Feigen und Hopfen Priorität. Nachdenklich, unsicher darüber, ob am Ende nicht doch jemand einen Scherz mit ihm betreiben wolle, nahm Busch sich das mit einer offensichtlich älteren Reiseschreibmaschine beschriebene Blatt mit spitzen Fingern vor.
Khudrun Isch-Tar, bürgerlich Faizah (d. h.: Die Siegreiche) Semmelrogge, geborene al-Sahir, kam 1955 am Rande Bagdads zur Welt und wurde im Gepäck der monarchietreuen (Faisal II.) und deshalb 1958 flüchtenden Eltern außer Landes gebracht. Auf Umwegen über Italien, Norwegen, Schweden und der Schweiz landeten sie schließlich in Deutschland, wo man ihnen als Staatenlose Asyl gewährte. Sie bekamen im Südhessischen, am Rande eines Städtchens namens Fangstadt, das seit Jahren leerstehende Austragshäuschen eines ehemaligen Nebenerwerbslandwirtes zugewiesen. Ihr Vater, ehemals königlicher Hofbeamter des Finanzwesens, fand Arbeit als Lagerarbeiter in einer ortsansässigen Brauerei. Die Mutter versorgte den Haushalt und betrieb zum Eigenbedarf Gemüseanbau; für einen Nebenverdienst sorgte eine kleine Hanfplantage, die zu dieser Zeit noch nicht allzuviel Aufsehen erregte. Faizah besuchte die kleinstädtische Haupt- sowie die Realschule und schloß eine Lehre zur kaufmännischen Angestellten ab. Bald langweilte sie sich in dem ihr verordneten Beruf, in ihrer späteren Tätigkeit als Fahrdienstleiterin der Brauerei, in der bereits ihr Vater Arbeit gefunden hatte, jedoch zu sehr und beklagte überdies ihr spärliches Gehalt. Um es aufzubessern und auch, weil ihr der körperliche Kontakt zu jungen Männern Freude bereitete, wurde sie nebenberufliche Dienerin der Liebe in einem der vielen kleinen rot illuminierten Etablissements in der Nähe des Hauptbahnhofes zu Frankfurt am Main. Als eines Tages der Brauereibesitzer in der als fernöstlicher Imbiß getarnten Lokalität auftauchte und altorientalische Liebe suchte, landete er bei Khudrun, die damals noch auf den Namen Faizah hörte. Der Unternehmer erkannte sie zwar nicht sofort, da sie einen Schleier trug, meinte allerdings, ihre Stimme erkannt zu haben. Es kam zu einer Befragung seinerseits beziehungsweise zu einer erheblichen verbalen Auseinandersetzung, in deren Folge er die Vermummung gewaltsam aufhob, ihr Gesicht sah und wutschnaubend die Örtlichkeit verließ. Als Faizah am daraufolgenden Tag an ihrem Arbeitsplatz in der Fangstädter Brauerei erschien, wurde ihr bereits an der Pforte die Tür gewiesen.
In Konsequenz wurde sie hauptberuflich käufliche Liebesdienerin, heiratete ihren aus Castop-Rauxel stammenden Finanzverwalter, konvertierte seinetwegen von der muslimischen in die für gebürtige Nordrheinwestfalen typische katholische Religionsgemeinschaft, auch wenn sie weiterhin an nichts glaubte als an sich selbst, erlangte nach der Verehelichung die deutsche Staatsbürgerschaft und hieß fortan Semmelrogge. Sie verließ ihren Gatten jedoch bald wieder, da er von Beginn ihrer Ehe an weniger Liebe mit ihr machte als sie viel lieber verprügelte, siedelte allerdings vorsichtshalber ins pfälzische Königslautern um, nicht nur um sich von dortigen, überwiegend dunkelhäutigen, US-Militärpolizisten schützen zu lassen, auch weil ihr dort die Verdienstmöglichkeiten als höher erschienen. Als diese, vermutlich aus Gründen nachlassender körperlicher Anspannung, zu sinken begannen, nahm sie ein für sie überraschendes Angebot spontan an, das ihr während eines Stammtischtreffens von leicht in die Jahre gekommenen Luden und Freudenmädchen in Kirchheim-Bolanden vorgeschlagen worden war: ein etwas heruntergekommenes Bordell in der Südpfalz zu recht günstigen Konditionen zu übernehmen. Sie nannte es Club 1001 Nacht und führte es nicht nur aufgrund ihrer kaufmännischen Begabung im Lauf von drei Jahren zu einer derartigen Blüte, daß ein seine Geschäftsfelder erweiternder, international agierender französischer Luxuskonzern ihr ein Kaufangebot für die Immobilie samt Inventar sowie Personal unterbreitete, das sie für alle Zeiten etwaiger Finanzsorgen entledigen sollte. Sie erwarb daraufhin einen nicht allzu weit entfernten, allerdings in einem anderen Landkreis gelegenen Resthof, kaufte günstig weitere Äcker und Felder hinzu und baute fortan, auch das mit sich bald einstellendem beträchtlichen geschäftlichen Erfolg, Hopfen und Feigen sowie, wenn auch im Verborgenen und für den Eigenbedarf beziegungsweise für enge Freunde, auch ein wenig Hanf an und ließ ein ebenfalls von ihr erworbenes dörfliches Backhaus restaurieren, von wo aus sie, wie sie es nannte, dem Volk endlich ordentliches Brot verkaufen konnte, auf daß es nicht ständig Kuchen aus der Fabrik essen müsse. Auch in diesem Geschäftsfeld war sie bald überaus erfolgreich, innerhalb zweier Jahre hatte sie das gesamte Land vom Rhein bis hin zum Neckar mit Backhaus-Filialen überzogen.
Und sie nannte sich fortan Khudrun Isch-Tar, als Berufsbezeichnung gab sie Schamanin an. Diesen Namen hatte sie abgeleitet aus einem 2007 erschienenen Buch, das ihre alte Heimat zum Thema und unter anderem die historische Tatsache zum Inhalt hatte, nach der in der ältesten, in irdischer Erde vorgefundenen beziehungsweise per Keilschrift festgehaltenen Kulturaufzeichnung, dem Gilgamesch-Epos, Wein in Bier umgewandelt worden war sowie Priesterinnen und Liebesdienerinnen gesellschaftlich gleichrangig gewertet wurden, die selbstverständlich mit Göttern verkehrten. Zu letzteren gehörte die bis heute im in der Sintflut untergegangen Zweistromland verehrte Ishtar.
Verfasser respektive Übersetzer des in Keilschrift vorgefundenen Epos war der Assyrologe Aristide François Jean-Marie Henri Marquis de Gueule de Loup, von Eingeweihten der Einfachheit halber, genauer wegen eines vorausgegangenen Mißverständnisses Busch genannt. Der Altorientalist hielt mehrfach Vorträge, von denen Khudrun Isch-Tar nach Möglichkeit beziehungsweise wenn die Pflege der Feigen, des Hopfens und des Cannabis' es zuließen, keinen versäumte; hin und wieder reiste sie ihm bis in tiefprotestantische Länder nach. Nachdem sie eine dramatisierte Fassung dieses Epos auf einer Bühne ihrer neuen Heimat Vorderpfalz miterleben durfte, beschloß sie, ihren Marquis nicht nur endgültig in ihr Herz zu schließen, sondern ihn auch als Erben ihres mittlerweile beträchtlichen, nach wie vor kontinuierlich anwachsenden Vermögens einzusetzen, auf daß er weiterhin in der Lage wäre, ihre alte Heimat auszugraben und somit den Ursprung der Kultur zu erforschen, der Zivilisation, die weitaus älter ist als in Talmud, Thora und Altem Testament dargestellt und in denen die Freuden der Liebe als göttlich gepriesen sind, ohne die daraus bisweilen entstehenden Konflikte zu verschweigen oder gar zu leugnen. Das würde ihrem Leben endlich einen Sinn geben.
Busch ist unsicher, zieht in Betracht, Ziel einer scherzhaften, vielleicht gar böswilligen Kampagne zu sein, aus dem Kreis der Kollegen, möglicherweise gar aus dem Umfeld anderer Hochschulen. Andererseits ist ein solches Angebot zu verlockend, um es nicht zu prüfen. Er recherchiert über Internet, bemüht sich, Näheres über die Absenderin dieses Briefes in Erfahrung zu bringen. Tatsächlich verfügt sie unter dem angegebenen sogenannt schmanischen Namen über eine Webseite, versehen mit einem zwar leicht verborgenen, aber insgesamt gerade noch ordnungsgemäßen, medienrechtlich vorgeschriebenen Impressum, dem zu entnehmen ist, bei der Betreiberin der Seite handele es sich um eine Faizah Semmelrogge-al-Sahir. Und nachdem Busch diesen seriöser klingenden Namen in verschiedene Suchmaschinen eingibt, stößt er nahezu gleichlautend auf mehrere, mit Handelsregister- sowie Steuernummern versehene Unternehmensangaben, die seiner Prüfung standhalten.
Busch antwortet ihr auf postalischem Weg, es entsteht eine durchaus angenehme, sich zunehmend freundlicher gestaltende Korrespondenz, in deren Verlauf er sich auf ihren Vorschlag einläßt, der Einfachheit halber einander elektronisch zu begegnen; er tut dies unter der Bedingung, sie mit ihrem richtigen, am liebsten ihrem Geburts- bezie-hungsweise Mädchennamen ansprechen zu dürfen, dabei humorig darauf verweisend, Faizah al-Sahir käme der Sache und somit ihnen beiden doch um einiges näher.
Schließlich sollen die beiden sich persönlich kennenlernen. Faizahs Vorschlag, ihn in Heidelberg zu besuchen, lehnt er ab, wortringend um Verständnis bittend. Sie bringt es auf. Es gelingt ihr allerdings, Busch vom Treffpunkt Bureau für Null zu überzeugen, aus dem die leicht satirische Charakterisierung ihrerselbst stamme. Und dort, das möge er doch bitte akzeptieren, kenne man sie unter dem Namen Khudrun; das göttlich-priesterliche Isch-Tar habe sich im Lauf der Zeit verflüchtigt. Dort, bei diesen guten, vielleicht etwas anders als er gearteten, nichtsdestrotz kaum minder seriösen Freunden könne man die Gelegenheit nutzen, den Vorgang in die Wege zu leiten; sie möchte es vollbracht wissen.
Mit zu diesen Treffen kommt die Rechtsanwältin, die sich, wie sich herausstellen sollte, sogar im Bereich Stiftungsrecht als ungemein sachkundig erweist; war sie doch zuvor einige Jahre für eine Kanzlei tätig, die auf dieses juristische Geschäftsfeld spezialisiert war. Die Atmosphäre im Bureau für Null erweist sich als angenehm, der eigentlich Rokoko bis Barock bevorzugende Busch ist von der relativ sachlichen Umgebung, auch innenarchitektonisch geradezu nüchternen Umgebung sogar angetan, was auch an den Gastgebern liegt, erweisen die sich doch bei aller Gelöstheit als höflich, zuvorkommend und dennoch sachbezogen nüchtern. Im Verlauf des Abends weicht die Nüchternheit allerdings den Auswirkungen des servierten pfälzischen Rieslings, dem alle, bis auf die Juristin, in zunehmendem Maße zusprechen.
Für eine Grundlage ist allerdings ohnehin gesorgt, denn die Hausherrin hat für ein schmackhaftes Abendmahl gesorgt, das, die vegetarische Orientierung der Vertreterin der Juristerei respektierend, allerdings ausschließlich aus fleischfreien Zutaten besteht. Der Hausherr, von geradezu normannischer Gestalt, aber immer wieder seine westfränkische, gallisch-jüdische Herkunft betonend, bleibt dabei, wenn auch nicht alkoholisch, abstinent, denn er betont mehrfach seine Vorliebe für Speisen tierischer Abkunft aus westlichen Wäldern. Wie nebenbei verweist er auf eine geistige, wenn nicht gar genetische Verwandtschaft zu Khudrun, die seiner Meinung nach arische, somit also persische Ahnen haben müsse, die als Schamanen gewirkt haben dürften. Busch, der bislang durchaus ausgiebig dem Fleischlichen frönte, beschließt dennoch an diesem Abend, aus Gründen der außergewöhnlichen Schmackhaftigkeit des servierten Essens, sich fortan vegetarisch zu ernähren.
Die nüchterne Rechtsanwältin ist gut vorbereitet und legt ausgearbeitete Papiere vor, die für einen Stiftungsvertrag geeignet sind. Zwei Stiftunsgründungen werden in die Wege geleitet, eine gemeinnützige sowie eine fiduziarische. Das Gesamtvermögen beider Stiftungen beträgt 20 Millionen Euro, wovon in der einen das Geld festverzinslich sicher, das der anderen am Kapitalmarkt höherverzinslich angelegt werden wird. Als Treuhänderin gleich Vermögens-verwalterin der auf den Cayman-Inseln angesiedelten zweiten Stiftung eingesetzt wird Faizah Semmelrogge geborene al-Sahir, die bereits über herausragende Erfahrung in Spekulationsgeschäften verfügt.
Etwa ein halbes Jahr nach Stiftungsgründung steht Busch vor seiner ersten nicht universitär, sondern, selbst-verständlich ministeriell genehmigten, privat finanzierten Reise in den Irak, nach Nirvivé. Am Ort wird er nicht nur seine Tätigkeit als Assyrologe über seine Arbeit an der Hochschule hinaus fortsetzen, die in letzter Zeit aus Gründen der Etatkürzungen überwiegend in Feldern der Theorie stattfand, sondern ins Praktische ausdehnen können, weitere Ausgrabungen betreiben, aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus sowie in der Hoffnung, auf weitere Fundstücke der Kultur von Uruk, der seinerzeitigen, von Gilgamesh beherrschten Metropole, aber eventuell auch auf präsumerische Relikte zu stoßen.
Texte: Thierry Portulac
Tag der Veröffentlichung: 27.10.2016
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