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Kapitel 1

Kapitel 1

 

Es war ein langer Abend gewesen. Meine Finger waren schrumpelig vom Spülwasser und ich hatte das Gefühl, dass nur ein sehr langes Bad den Geruch nach Bier, Qualm und verbrauchter Luft aus meinen Haaren waschen konnte. Meine Augen würden wohl jeden Moment zufallen und kurz überlegte ich, ob es sinnvoll wäre, sie für den Rest des Weges bis zu meiner kleinen Studentenwohnung einfach zu schließen.

 

Ich motivierte mich mit der Aussicht, bald in meinem warmen, weichen Bett liegen zu können, als meine müden Augen einen Schatten zu sehen glaubten. 

Ich war dankbar für den Streich den mir meine Augen spielten, denn so war ich wenigstens ein bisschen wacher geworden. Noch wacher wurde ich, als zwei Motorräder einige Meter vor mir, mitten auf der Straße anhielten. Mein Herzschlag beschleunigte sich sofort und ich versuchte meine Fantasie davon abzuhalten Horror-Filmszenen an mein armes Gehirn zu schicken, das entnervt versuchte, die Informationen unter "Spam-nicht Ernst nehmen" einzuordnen und mich aufrecht gehen ließ, nur um meiner Fantasie zu beweisen, dass sich in diesem Dorf kein Massenmörder am Werk war.

 

Als auch meine Augen die Befürchtung der Fantasie zu bestätigen schienen, erstarrte ich.

Denn sie schienen direkt auf mich zuzukommen.  Die Massenmörder.

 

Neeeein das sind keine Massenmörder, oder siehst Du etwa irgendwo eine Leiche ?!, meldete mein Gehirn.

 

Vielleicht haben sie sie schon versteckt ?! Oder sie wollen erst noch einen Mord begehen und haben gerade ihr nächstes Opfer gefunden ?! Außerdem schau mal: Die haben schwarze Masken an!, entgegnete Intuition.

 

Das sind keine "schwarzen Masken", das sind Sturmhauben für Motorradfahrer, du Idiot, spottete Gehirn.

 

Nenn mich nicht Idiot. Das Denken ist dein Part.

Jetzt war meine Intuition beleidigt und schmollte irgendwo im hinteren Eck meines Kopfes. Mein Gehirn schien auch keine Lust mehr zu haben.

Auf diese zwei war eben kein Verlass, jetzt musste ich selber etwas tun. Nur was?

Ich entschied mich für ,Nichts - es kann nur besser werden‘. Aber da hatte ich mich geirrt.

Kapitel 2



Ich versuchte den Blicken mit denen sie mich musterten standzuhalten, als plötzlich alle drei synchron losrannten. Direkt auf mich zu.
Ich hatte das Gefühl in irgendeinem schlechtem Traum gefangen zu sein, bei dem man nicht von der Stelle kommt. Meine Verfolger hingegen rannten mit einer Geschwindigkeit, auf die selbst Twilight-Vampir Edward neidisch gewesen wäre und kamen mit jeder Sekunde näher. Das war der Zeitpunkt an dem auch mein Gehirn akzeptieren musste, dass es sich hier keineswegs um harmlose Motorradfahrer handelte. Oder besser gesagt: Motorradfahrer schon - harmlos: Ooooh Nein.
Sie schienen eher ziemlich aufgebracht zu sein, auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum. Schließlich hatte ich ihnen nichts getan, außer zufällig in ihre Nähe gekommen zu sein. Die schienen ja sehr empfindlich zu sein, was das betraf.
Ich traute mich nicht, mich umzudrehen, aber die Schritte hinter mir kamen immer näher. Nicht gut.
Sie riefen sich irgendetwas zu, aber ich war viel zu panisch und hysterisch, um mitzukriegen was genau sie da zu besprechen hatten.
Ich hatte echt ein beschissenes Timing. Warum war ich ausgerechnet heute Abend, ausgerechnet um diese Uhrzeit, in ausgerechnet in dieser Straße spazieren gegangen ?!
Noch während ich das dachte schmiss sich etwas von hinten auf mich. Schätzungsweise war dieses "etwas" einer der drei Jungs. Der Aufprall war nicht besonders angenehm. Ich hätte nichts dagegen gehabt, auf die Erfahrung, mit dem Gesicht auf Asphalt entlang zu schrammen, zu verzichten. Irgendwie hatte ich bei dem Fall den Überblick verloren. Wo war noch mal oben ?
Einige Sekunden später wurde mir meine aussichtslose Lage bewusst: Einer der Typen drückte mich auf den kalten, rauen Boden, aber ich hatte nicht vor, so schnell aufzugeben. Das Geld das ich in diesen Selbstverteidigungs-kurs gesteckt hatte sollte auf keinen Fall umsonst gewesen sein. Leider hatten wir nicht gelernt, wie man sich gleich gegen DREI Jungs verteidigen sollte.
Ich erinnerte mich, dass manche Tiere sich tot stellten, wenn sie angegriffen wurden. Na, das konnte ich auch. Ich hielt die Luft an und versuchte, möglichst wie eine Leiche auszusehen. Meine Taktik ging überraschenderweise auf. Der Junge hielt mich noch eine Weile fest, kam dann aber wahrscheinlich zu dem Schluss, dass eine Tote ihm nicht gefährlich werden konnte. Zu zweit zerrten sie mich wieder auf die Füße, wobei ich mich sehr zusammenreißen musste, um mich nicht abzufangen, als sie mich versehentlich losließen. Ich machte zum zweiten mal an diesem Abend Bekanntschaft mit dem Asphalt, diesmal allerdings zum Glück aus nicht so einer Höhe wie beim ersten Mal.
Weh tat es trotzdem. Ich blendete den Schmerz aus und lauschte, was der dritte Typ zu sagen hatte.
"Jungs, seid ihr zu schwach, um mit einem ohnmächtigen Mädchen fertig zu werden ?!"
Schien so, als ob meine Rolle als Leiche doch nicht so überzeugend gewesen war, wie ich gedacht hatte. Naja, ohnmächtig war auch nicht schlecht.
Die ersten zwei Jungs ließen mich los. Das war vielleicht meine einzige Chance. Ich stieß mich vom Boden ab und sprintete los.
Ich war furchtbar stolz auf mich und das machte mich noch schneller. Das Problem war nur, dass ich im Sprinten schon immer besser gewesen war, als in Langstreckenläufen. Ich wünschte, ich hätte mich in letzter Zeit öfter dazu aufraffen können, joggen zu gehen und schwor, dass ich das nachholen würde, wenn ich aus dieser Sache wieder rauskam. WENN ich aus dieser Sache rauskam.
Ich. wurde. gerade. von. irgendwelchen. Massenmördern. verfolgt.
Nicht gut. Mein sowieso schon vom Rennen schnell klopfendes Herz beschleunigte seinen Schlag noch mal.
Diese Geschwindigkeit konnte ich nicht lange durchhalten.
Fieberhaft suchte ich nach einem Plan, wie den mit dem Tot-stellen. Leider war mein Repertoire für geniale Ideen aufgebraucht. Dumm gelaufen.
Ich würde in eineigen Minuten wahrscheinlich tot sein. Meine Familie würde einen Schock kriegen, wenn sie das erfuhr. Meine kleine Schwester... jetzt hatte sie keinen mehr, der ihr beistand, wenn sie 'Germany's Next Topmodel' schauen wollte, unser Dad aber lieber StarWars. Meine Familie... Meine Freunde... Mein geplantes Auslandsjahr in Australien... Ich würde nie eine Familie gründen oder ein Haus bauen oder irgendwas richtig verrücktes machen, bevor ich starb. Nie Fallschirmfliegen. Nie so richtig verliebt sein. Nie einen Tag lang nur Schokolade essen. Nie mit einem Filmstar verwechselt werden. Nie lernen, chinesische Schriftzeichen zu schreiben. Nie Abi bestehen. Nie in einer WG wohnen. Nie einen Tag NICHTS tun-ohne schlechtes Gewissen. Nie.
Ich stellte mir vor, wie mein ganzer Jahrgang zu meiner Beerdigung kam. Alle würden weinen, selbst die, die vorher nicht mal meinen Namen gekannt hatten, während ich rannte, obwohl ich wusste, dass ich keine Chance mehr hatte.
Ich wusste ja nicht mal, wohin ich gelaufen war. Auf jeden Fall war ich nicht mehr im Dorf und hatte meinen Verfolgern damit wahrscheinlich sogar einen Gefallen getan. Dann hörte niemand meine verzweifelten Schreie wenn sie mich umbrachten.
Aber nein: ich würde nicht schreien. Ich würde wie in Zeitlupe zusammensacken und dann Schnewittchen-mäßig, mit blutroten Lippen auf dem taunassen Gras liegen und wunderschön aussehen. Einziger Schönheitsfehler war, dass hier weit und breit kein taunasses Gras zu finden war.

Kapitel 3



Dass es hier kein taunasses Gras gab, auf dem ich sterben konnte, brachte mich völlig aus dem Konzept. Plötzlich war mir alles egal. Sollten sie mich doch umbringen, egal ob meine haare dabei aussahen wie ein Wischmop oder kohlrabenschwarz wie bei Schneewittchen. ich blickte zurück. Zu meiner Überraschung war mein Vorsprung größer als angenommen. Trotzdem war ich mit den Nerven und meiner Kondition völlig am Ende, hatte es satt weiter zu rennen. Mein Kampfgeist hatte sich aus dem Staub gemacht, frustriert blieb ich da wo ich war stehen.

Tod. Mord. Das waren Worte aus den Nachrichten, die mich nicht betroffen hatten. Bis jetzt. Gleich würde ich sogar beides sein. Tot und ermordet. Ich hatte keine Angst zu sterben, aber ich hatte Angst vor dem Tod. Vor dem, was nach dem sterben kam.
Ich hatte keine Ahnung, was danach auf mich wartete. Oder ob überhaupt irgendetwas oder irgendjemand auf mich wartete.
Ich war nie wirklich überzeugt von Gott gewesen. Ich war manchmal in die Kirche gegangen, obwohl ich das eher langweilig fand. Gebetet hatte ich auch - aber nur dann, wenn ich nicht abgefragt werden wollte oder wenn ich sonst einmal göttliche Hilfe brauchte.
Jetzt würde ich gleich wissen, ob es jemanden wie Gott gab.
Aber was, wenn nicht? Was wenn danach nichts war? Alles Schwarz? Oder würde ich einfach ausgelöscht werden, ohne es zu merken?

Ich drehte mich um und blickte in die näher kommenden, überraschten Gesichter der Jungen. Meine Beine fingen an, unkontrolliert zu zitterten und ich ließ mich am Rand der Straße auf die Knie sinken, vergrub meine Gesicht in den Händen. Als ich jünger gewesen war, hatte ich geglaubt, die anderen würden mich auch nicht sehen wenn ich mir die Augen zuhielt. Leider klappte das in der Realität nicht. Durch die Spalten zwischen meinen Fingern sah ich ein Paar Sneakers, die direkt vor mir standen. Der Besitzer der Schuhe schien nicht so Recht zu wissen, was er mit mir anstellen sollte. Mit einem sich wehrendem Opfer konnte er umgehen, mit einem das sich ergab und auf der Straße sitzen blieb nicht. Typisch Jungs. Die Sneakers machten einen weiteren Schritt auf mich zu und der Junge Hockte sich neben mich.
"Emmm... Alles klar ?!", fragte er.
Klar. Ist ja nicht so, dass ich gleich ermordet werde, oder so.

, dachte ich.
Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und hoffte, mein Blick verriet, was ich dachte.
"Sorry", sagte er nur. Für Verwirrung blieb keine Zeit, er presste mir ein feuchtes Tuch auf den Mund.
Dann wurde alles schwarz.


Kapitel 4



Der erste Gedanke nach meinem Aufwachen war: Scheiße.

Der zweite:Scheiße.


Dann erinnerte ich mich an meine vorletzte Chemiestunde. Meine Chemielehrerin hatte uns die Formeln von verschiedenen Stoffen aufstellen lassen. Unter anderem die von CHCl3. Chloroform. Dass der Stoff heute nicht mehr als Narkosemittel eingesetzt wurde, konnte ich gut nachvollziehen. Mir war kotzübel.
toxische Wirkung auf Herz, Leber und andere innere Organe

, hörte ich die Stimme meiner Lehrerin immer wieder in meinem Kopf hallen. Wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Eine Weile lag ich da und konnte nur meine Kopfschmerzen und die Übelkeit fühlen.
Ich konnte meine Augen nicht mehr offen halten und irgendwann fiel ich wieder in einen erschöpften Schlaf.
Ich hatte keine Ahnung wie lange ich geschlafen hatte, wahrscheinlich waren es nur einige Minuten gewesen, aber ich fühlte mich gleich viel besser. Meine Kopfschmerzen waren zu einem nur noch ein kaum spürbaren Pochen geworden.

Jetzt, wo ich mich wenigstens ein bisschen wie ein normaler Mensch fühlte, nahm ich auch noch andere Dinge war, die mir vorhin nicht aufgefallen waren, wie zum Beispiel die ja sooooo leicht zu übersehende Tatsache das mich irgendjemand mit Handschellen an mein Bett gefesselt hatte. Stop - MEIN Bett ? Das hier sah anders aus als mein Bett. Das ganze Zimmer sah nicht aus wie meines.

Da prasselten plötzlich alle Erinnerungen auf mich ein, wie Hagelkörner - und zwar bei einem richtigen Hagel-orkan mit Windstärke 12.
Oh. Mein Gott. Ich wurde hier gerade entführt, Und zwar so richtig. (wobei sich die frage stellt wie man UNRICHTIG entführt werden kann.)
Das Gute: ich war nicht tot.
Das Schlechte: das hier war auch nicht besser. Und ich gebe zu: ich hatte Angst. Und zwar so richtig.
Das hier war kein Räuber-und-Gendarm-Spiel. Ich erlaubte mir nicht, anzufangen, zu heulen, auch wenn ich mir gerade sehr lebhaft vorstellen konnte, was meine Entführer alles mit mir machen konnten. Vielleicht hatten sie mich nur noch nicht getötet, um das hier zu tun. In diesem kleinen, dunklen Zimmer, wo mich keiner hörte, während sie mich folterten und niemand meine Leiche finden würde.
Jetzt musste ich doch ein bisschen weinen. Mir tat alles weh, vor allem mein Kopf. Mir war kotzübel. Ich war gefesselt. Und bald würden irgendwelche Typen reinkommen, um weiß- was-ich mit mir zu machen.
Ich wollte hier raus !!!

Ich überraschte mich selber, weil bei all dieser Panik auch noch ein paar Gehirnzellen für das Gefühl "wütend" übrig waren.
Diese. verdammten. Idioten.
Was fiel denen ein? Wollten die mal kurz Bad Guy spielen, oder was ?!
Da hatte ich ja nix dagegen, aber das sollten sie gefälligst nicht bei MIR machen,sondern bei irgendjemand anderem, der Lust auf solche Spielchen hatte !
Ich zerrte wie verrückt an meinen Fesseln. Nachdem ich mich einige Minuten wie eine Irre aufgeführt hatte (was, wie ich fand, verzeihbar war wenn man bedachte das ich gerade entführt worden war), setzte ich ausnahmsweise mal meinen Verstand ein und machte mir die paar Dedektivfilme, die ich geschaut hatte zu Nutze. Viele waren es zwar nicht gewesen, aber genug um zu wissen dass man nur eine Haarspange brauchte, um solche primitiven Schlösser wie die, dieser Plastikhandschellen hier aufzubekommen. Anfänger, diese Möchtegern-Bad-Guys.
Hatten wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass sie es mit einer so intelligenten, schlauen, geistreichen, scharfsinnigen, ... - ich durchwühlte mein Gehirn nach weiteren Synonymen, wurde aber nicht fündig - Geisel zu tun hatten.
Leider musste ich zugeben das meine Flucht nicht gerade auf geistliche Stärke schließen ließ. Welcher Idiot blieb denn bitte mitten auf der Straße stehen, wenn er gerade verfolgt wurde ?!
Ich musste mich nicht einmal besonders lange an dem Schloss zu schaffen machen, nach kurzer Zeit sprang das der linken Hand auf. Zugegeben: ich war kein Anfänger, ich hatte meine Fähigkeiten diesbezüglich schon beim Geburtstag meines kleinen Cousins trainieren können, wo ich mich aus Langeweile versehentlich an sein Regal gefesselt hatte.
Für das Schloss der rechten Hand brauchte ich etwas länger, weil ich mein Haarspängchen in der linken Hand halten musste, aber irgendwann musste auch das hier meinen geschickten Fingern nachgeben.
Stolz rieb ich mir die Handgelenke und fühlte mich wie in einem Bond-Film.
Jetzt kam eigentlich die Szene in der ich mich wahlweise aus dem Fenster seilte oder erst das Gebäude in die Luft sprängte und mich DANN aus dem Fenster abseilte. Ich fragte mich, was James wohl getan hätte, wenn er, wie ich, weder Sprengstoff noch ein Fenster gehabt hätte. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und genoss die 360-Grad-Panorama-Ansicht eines grauen, dunklen Betonraumes. Irgendwie hatte ich das unbestimmte Gefühl, das die einzige Tür, die ziemlich widerstandsfähig Aussah abgeschlossen war. Meine Intuition ließ mich nicht im Stich.
Meine Wut auf diese Kotzbrocken von Entführern fiel mir wieder ein und ich hatte das dringende Bedürfnis allen Dreien in den Arsch zu treten. Leider stand kein Hintern zu Verfügung und so mussten einige CDs, die sowieso unaufgeräumt auf dem Boden herumlagen herhalten. Das tat gut. Das leere Glas war innerhalb weniger Sekundenbruchteile ebenfalls zu Scherben geworden.
Zerstören machte echt Spaß. Vor allem wenn das, was man zerstörte gewissen Leuten gehörte, die man am liebsten umgebracht hätte.
Leider fand ich nicht mehr viel, was mir zum Opfer hätte fallen können.
Schnelle Schritte kamen auf die Tür zu meinem Gefängnis zu. Da kam mir eine meiner genialen Ideen. Ich presste mich an die Wand neben dem Eingang, wartete bis sich der Schlüssel im Schloss drehte und sich die Tür öffnete ...
... und rannte in einen der drei Typen hinein. Ich wollte mich an ihm vorbeidrängen, aber er packte mich grob am Oberarm und zerrte mich zurück in mein Gefängnis.
Ich trat um mich, versuchte mich aus seinem Griff zu Winden, obwohl ich wusste,dass ich keine Chance hatte. Trotzdem schaffte ich es,ihn quer über seine Linke Wange zu Kratzen. Daraufhin schien es als hätte er entgültig genug von meinen erbärmlichen Fluchtversuchen.
Er schubste mich und dückte meine Handgelenke links und rechts neben meinem Kopf an die Wand.
Eine Weile standen wir so da, schwer atmend, bis ich zischte : "Du kannst mich wieder loslassen."
"Bist du sicher ?", spottete er.
"Allerdings", antwortete ich gereizt.
"Du wirst nicht versuchen abzuhauen und auch sonst keine Dummheiten machen ?"
Er zog seine Augenbrauen hoch.
"Nein", knurrte ich gereizt.
"Nein, wie Nein, ich werde nicht nicht versuchen abzuhauen

oder wie,
Nein ich werde keine Dummheiten machen

?"
Ich kannte den Typ seit nicht mal zwei Minuten und er hatte es schon geschafft, mich total in Rage zu bringen. Feindselig starrte ich ihn an.
"Du denkst gerade, an was für einen tollen, gut-aussehenden Tpen du da doch gelangt bist, was ?"
Ich explodierte fast.
"Tausche toller, gut-aussehender Typ

gegen eingebildeter Arsch

aus, dann stimmt's."
Er grinste wissend, packte mich an den Schultern und schob mich Richtung Bett. Dabei kickte er mit dem Fuß blitzschnell die Türe zu, die ins Schloss fiel, sodass meine Fluchtchancen ziemlich gegen Null Prozent sanken.
Ich setzte mich auf die Matratze und sah ihm dabei zu, wie er erst die gecknackten Plastik-Handschellen in die Hände nahm, grinste, dann seinen Blick durch den Rest des Zimmers schweifen ließ und wieder grinste.
"Du hast hier ja ziemliches Chaos veranstaltet", kommentierte er das Ganze.
Ich nahm das als Kompliment.



Kapitel 5



Er hatte sich ebenfalls auf das Bett gesetzt und nun saß ich da, die Arme um die Knie geschlungen und wartete darauf, dass er irgendetwas Tat.
Aber er starrte nur zurück. Ich versuchte dem Blick standzuhalten. Nach gefühlten 10 Minuten schaute ich verlegen weg. Er grinste zufrieden.
"Tjaaa was mache ich jetzt mit dir...? " Sein Blick wanderte zu den Handschellen.
"Schaut aus als ob die hier nicht besonders wiederstandfähig sind. Nur so aus Neugier: wie hast Du die aufbekommen ?"
Ich schmunzelte.
"Das wüsstest Du wohl gerne was ? Na gut ich verrat's Dir: Ich bin Geheimagentin und habe erst letztes Wochenende eine Lockpicking-Fortbildung gemacht. Schwerpunkt-Werkzeug: Extractor."
Mein Opa hatte früher hobbymäßig Schlösser geknackt. Ich war schon genial. Aus seinem Gesichtsausdruck konnte ich nicht schließen, ob er mir die Story abnahm oder überhaupt verstanden hatte, dass "Lockpicking" das englische Wort für "Schlösser knacken" ist.
Einige unangenehm schweigsame Minuten verstrichen, bis er seinen Mund öffnete, dann aber wieder schloss. Schließlich entschloss er sich wohl doch noch etwas loszuwerden.
" Wie heißt Du ?"
"Mia.", antwortete ich schlicht. Die Stille kehrte zurück
"Wie alt bist Du ?" Ich ließ ihn zappeln.
"Bald 17."
"Ah... und was machst du so in Deiner Freizeit, außer Schlösser zu knacken ?"
"Ich steh nicht so auf Smalltalk mit meinem Entführer."
"Ich hab Dich nicht entführt.", empörte er sich.
"Du wart einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und wir haben dich sozusagen aus Notwehr mitgenommen."
"So was nennt man entführen", entgegnete ich unbeeindruckt.
"Ich würde sagen, ich bin mal dran mit Fragen stellen. Also: Wieso habt ihr mich entführt ?", plötzlich war mir nicht mehr nach Scherzen.
"Wie schon gesagt: Du hast einfach Pech gehabt. Wärst Du nicht in dieser Straße spazieren gegangen, wärst Du jetzt nicht hier."
"Aaach jetzt bin ich also schuld, oder wie ?!"
"Gewissermaßen ja", antwortete er und grinste schon wieder.
"Das. ist. nicht. witzig.", der Typ brachte mich schon wieder total aus der Fassung. Und das nicht im positivem Sinne.
Plötzlicher war jeder Humor aus seiner Stimme und seinem Gesicht verschwunden. "Nein, das ist es nicht."
Ich war völlig perplex von der Wendung dieses Gesprächs. Er drehte sich um und verschwand durch die Tür.
Einige Momente lang starrte ich reglos auf einen Punkt auf der Wand und konnte nur denken: Er hat Recht. Das hier IST ernst.
Ich fragte mich, wie ich in einer solchen Situation hatte Witze machen können. Der Typ hatte mich entführt. Und ich benahm mich, als ob das hier Alltag wäre. Ein bisschen quatschen zwischendurch mit dem hübschen Idioten von neben an ?!
WAR ICH NOCH GANZ DICHT ?!
Der Typ hatte mir das Gefühl gegeben, dass das hier just-for-fun war. Wären statt ihm maskierte, grobe 40-Jährige Männer reingekommen und hätten mich wieder ans Bett gefesselt, hätte ich Panik bekommen.
Aber dieser hier war doch nicht viel älter als ich !
Außerdem nicht maskiert. Grob vielleicht ein bisschen am Anfang.
Aber sonst hatte er sich nicht gerade wie ein Entführer aufgeführt und schon gar nicht wie ein Massenmörder. Ich musste vorsichtig sein.
Ich war völlig fertig mit den Nerven. Wieso konnte der sich nicht einfach wie ein normaler Entführer benehmen, anstatt hier mit mir rumzualbern ?
willst Du etwa einen brutalen Sadisten, der dich erst vergewaltigt, dann foltert und dann langsam und qualvoll umbringt?

, entgegnete irgendeine Stimme in meinem Kopf empört.
Ich fing schon wieder an zu heulen. Ich wollte überhaupt nicht entführt werden. Weder von einem netten Jungen, noch von einem sadistischem Verbrecher. Ich wollte einfach nur raus hier. Der Raum kam mir plötzlich so klein vor und die Wände schienen immer näher zu kommen, als wollten sie mich erdrücken. Ich schloss die Augen, aber dadurch wurde es nur noch schlimmer. Ich fühlte mich abwechselnd riesig groß sodass der Raum viel zu eng für mich war und im nächsten Augenblick war ich wieder winzig klein und furchtbar alleine. Ich fühlte mich wie Alice im Wunderland, als sie vom Pilz aß.
Irgendwann siegte das „Der-Raum-ist-viel-zu-klein-Gefühl“. Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen und ließ die Tränen über meine Wangen laufen.


Kapitel 6



Ich hatte keine Ahnung wie lange ich schon so dasaß, bewegungslos. Ich wusste nicht mal, ob ich in den letzten Minuten geblinzelt hatte. 
Es war dunkel geworden. Noch dunkler als es in diesem fensterlosen Raum sowieso schon war. Ein letzter einsamer Lichtstrahl fiel durch das kleine Fenster über mir, so weit oben, dass ich nicht hinkommen würde, selbst wenn ich mich aufs Bett stellte.
Ich fragte mich, ob sie geplant hatten, mich zu entführen oder einfach nur das Glück gehabt hatten, so einen perfekten Raum für eine Gefangene zur Verfügung zu haben.
Einige Augenblicke später war die Sonne vollständig aus dem Raum verschwunden und es war stockfinster geworden. Ich bekam schon wieder Panik. Dieser Raum war schon im Licht schrecklich gewesen, aber jetzt war er RICHTIG gruselig. Ich hatte Geisterbahnen schon immer gehasst und konnte nicht verstehen, wieso manche Leute auch noch Geld dafür ausgaben. Ich legte mich aufs Bett, schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, dass ich in meinem Zimmer, auf meinem Bett lag.
Plötzlich hörte ich ein knurren.
Bevor ich mich erschrecken konnte realisierte ich, dass das nur mein armer Magen war, der seit heute Mittag nichts mehr gegessen hatte.
Der Service hier war echt nicht besonders toll. Kurse wie „10 Dinge, damit sich Ihre Geisel wohl fühlt“ oder „Entführer und Gentleman zugleich - Einsteigerlehrgang“ waren wahrscheinlich noch eine Marktlücke. Ich stieß ein humorloses Lachen aus, welches in dem fast leerem Raum unheimlich hallte und sich anhörte wie in einem billigen Horrorfilm.
Mein schon wieder knurrender Magen machte die Geräuschkulisse perfekt. Ich konnte schon den Werwolf hören, der gleich aus der stockdunkeln Ecke springen würde. Die Tür knarrte...
Moment... Die Tür knarrte wirklich. Ich würde sterben. Mein Schrei hätte alle Geisterbahn-Mitarbeiter vor Neid grün werden lassen.
Der Werwolf knurrte: „Hast Du Hunger ?“
Okeeey. Eigentlich hatte ich angenommen, ER hätte Hunger, aber ich hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden, jetzt doch nicht als Mitternachtssnack zu enden.
Ein Schatten schob sich durch die Tür. Achso. Doch kein Werwolf. Nur ein Vampir.
Eine Taschenlampe leuchtete mir ins Gesicht, sodass ich die Augen zusammenkniff. Und ich hatte immer gedacht, Vampire würden im Dunkeln sehen können.
Als ich mich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte ich, dass dieses Exemplar hier verdächtige Ähnlichkeit mit meinem Entführer hatte.

Ich nahm mal an, dass die Silhouette, die hinter ihm auftauchte einer seiner Komplizen war.
Mein Verdacht wurde bestätigt, als dieser Schatten anfing, zu sprechen. 
„Keine Sorge, wir sind‘s nur“
NUR war gut. Das hier waren vielleicht meine zukünftigen Mörder. Seltsamerweise war ich trotzdem beruhigt, dass es keine Vampire waren.
Mir fiel ein, dass mich einer der zwei vor gefühlten 20 Minuten gefragt hatte, ob ich Hunger hatte. Mein Magen war schneller mir dem Antworten als mein Mund.
„Ich werte das mal als ein ja“, erwiderte der, den ich noch nicht kannte. Ich sah zu dem Jungen, mit dem ich mich vor einigen Stunden - vielleicht auch kürzer - unterhalten hatte. Sein Blick war so ernst, dass ich ihn fast nicht wieder erkannt hätte.
Der andere hielt ein Tablett in den Händen. Bei dem Gedanken an Essen lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Sie traten in den Raum, schlossen die Tür und stellten das Tablett auf dem Bett ab, dann standen sie etwas unschlüssig im Raum herum.
„Wie heißt Du? “, fragte Tablettträger. Diese Frage hatte ich heute schon einmal beantwortet und ich fragte mich, warum der, der sie gestellt hatte es ihm nicht erzählt hatte. Auch jetzt tat er unbeteiligt, als ob wir uns das erste mal sahen.
„Roberta“, antwortete ich mit dem erstbesten Namen, der mir einfiel. Ich war einfach neugierig, wie ER reagieren würde. ER zog die linke Augenbraue hoch, ließ sich aber sonst nichts anmerken.
Ich schielte zu dem Teller links neben mir, auf dem eine wunderbar duftende Pizza darauf wartete, von mir gegessen zu werden.
„Ich bin übrigens Alex und der da heißt Ian.
„Ich würde ja gerne so etwas sagen wie ´freut mich euch kennen zu lernen` , aber unter diesen Umständen verzichtete ich lieber darauf.“ , knurrte ich.
„UNTER DEN UMSTÄNDEN, dass du hier gerade entführt wirst, solltest du mal lieber still sein.“, entgegnete Ian.
Tjaa... dann wollen wir dich mal nicht weiter vom essen abhalten. Guten Appetit“
verabschiedete sich Tablettträger Alex.
Das was er gesagt hatte, wollte nicht so recht dazu passen, dass ich hier gefangen gehalten wurde. Es hatte sich eher angehört, als ob wir uns gerade zufällig auf der Straße getroffen hätten und uns ein bisschen unterhalten wollten. Ich wurde aus diesen Leuten einfach nicht schlau.
Sie wandten sich zum gehen, als Ian sich noch einmal zu mir umdrehte und sagte: „Ach, bevor ich‘s vergesse: ich hab doch noch was für dich, ROBERTA.“
Plötzlich waren ein paar Handschellen in seinen Händen, die aussahen, als ob sie meinen Haarspängchen mit Leichtigkeit standhalten könnten. 
Ich zog meine Augenbrauen zusammen, sagte nichts, sondern Blickte ihm nur in die Augen, während er auf mich zukam. Auch als er mein linkes Handgelenk mit seiner Hand umschloss und das kalte Metall um sie legte wandte ich den Blick nicht ab. Starrte ihn stumm an. Den anderen Ring kettete er genau wie die Handschellen davor an das Bettgestell. Ohne mich anzusehen steckte er den Schlüssel in die Hosentasche , ging auf die Tür zu. Alex etwas verwirrt von seiner Aktion gerade zu sein, also nahm ich an, dass das gerade Eigeninitiative dieses Idioten gewesen war.
Womit hatte ich das verdient ?!

Kapitel 7




"Kannst Du mir mal verraten, wie ich ohne Hände essen soll ?!", keifte ich wütend bevor er durch die Tür verschwinden konnte. Ein schadenfrohes Grinsen huschte über sein Gesicht.
"Dann muss ich dich wohl füttern, was, ROBERTA ?"
"Du könntest mich auch einfach wieder losmachen, IAN.", zischte ich.
"Nein ich denke nicht, ROBERTA.", erwiderte er mit einem zuckersüßen Lächeln. Alex schien ein bisschen verwirrt.
"Sag mal hab ich irgendwas verpasst ?", fragte er.
"LEIDER musste ich schon vor ein paar Stunden mit diesem Idioten hier Bekanntschaft machen. Keine Ahnung, wieso er dir das nicht erzählt hat.", klärte ich Alex auf.
"Ich warte oben auf dich, Ian.", sagte er nur und ich konnte nicht erkennen, ob er sauer auf seinen Freund war. Das war mir im Moment aber auch ziemlich egal.
Nachdem dieTür zugefallen war setzte sich Ian neben mich aufs Bett, nahm den Teller auf den Schoß und schnitt die Pizza in mundgerechte Stückchen. Als er mir eins davon vor den Mund hielt, presste ich die Lippen aufeinander. Ich war noch nicht so sehr verhungert, dass ich mich von diesem Kotzbrocken füttern lassen würde.
"Flugzeug erbittet Landeerlaubnis", grinste er und ließ das Pizzastück alias "Flugzeug" Loopings vor meinem Gesicht ziehen.
Ich lachte mich tot. - Achtung: Ironie -
"Och komm schon, Mia. Oder soll ich lieber 'Roberta' sagen ?"
Ich öffnete den Mund, um ihn anzugiften, dass er ja dem anderen Typ -Alex- von unserer ersten 'Begegnung' hätte erzählen können. Aber er nutzte die Chance sofort und schob mir schnell das Pizzastück in den Mund, sodass ich nicht mehr als "Du hättest... hmpfff..." herausbrachte.
Wütend kaute ich auf dem Flugzeug... ääh... Pizzastück.
Als ich geschluckt hatte, ließ er mich meinen Satz erst überhaupt nicht anfangen, sondern schob mir gleich die nächste Gabel in den Mund.
Beim nächsten mal rutschte ich erst aus seiner Reichweite, bevor ich mit dem Sprechen begann.
"Was soll der ganze Mist ? Wieso hast Du Alex nicht erzählt wie ich heiße ? Und warum kettest du mich an dieses bescheuerte Bett, hm ? Ich kann doch sowieso nicht raus hier. Du..."
Er wollte mich unterbrechen, aber ich fuhr ihn an:
"Nein, jetzt lässt du mich mal ausreden. Du bist so ein Arsch und ich bin..."
Weiter kam ich nicht. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie er aufsprang und hinter mich trat. Bevor ich mich umdrehen konnte presste er seine Hand auf meinen Mund und beugte sich zu meinem linken Ohr hinunter.
"Eine Geisel sollte nicht so mit ihrem Entführer sprechen, findest Du nicht ?", flüsterte er und sein Atem kitzelte meinen Nacken. Mein Herz klopfte so laut und schnell, dass ich mich sicher war, er hörte es auch.
Er legte seine freie Hand an meine Kehle.
Wenn er mir nicht meinen Mund zugehalten hätte, hätte ich aufgeschrien.
"Alex und Josh unterschätzen dich vielleicht, aber ich mache diesen Fehler nicht. Du wirst in Zukunft etwas respektvoller mit den Leuten umgehen, die über dein Leben entscheiden, klar ?"
Er schloss seine Hand wie zur Warnung ein bisschen fester um meinen Hals. Ich beeilte mich, mit klopfendem Herzen und weit aufgerissenen Augen zu nicken.
"Gut", flüsterte er kaum hörbar. "ich sehe, wir verstehen uns. Aber Strafe muss trotzdem sein. Ich hoffe, du lernst daraus. "
Verwirrt und immer noch geschockt von seiner plötzlichen Stimmungsschwankung blickte ich in seine eisblauen Augen. Auf einmal hatte er zwei Seile in der Hand.
Wenn möglich, wurden meine Augen NOCH größer und mein Herz schlug NOCH schneller.
"Leg dich hin.", befahl er ohne jegliche Emotionen und deutete auf die Matratze.
Ich war so geschockt, dass ich widerstandslos gehorchte.
Er machte einen Schritt zum Ende des Bettes, legte das erste Seil um mein rechtes Fußgelenk und band es an den Bettpfosten. Ich wehrte mich erst, als er das Selbe auch bei meinem linken Fuß tun wollte. Verzweifelt versuchte ich ihn zu treten, aber er packte meinen Fuß und sah mich kalt an.
"Zu 'respektvoll' gehört auch, seinen Entführer nicht versuchen zu treten."
Er unterbrach den Augenkontakt nicht, während er auch meinen zweiten Fuß fesselte. Ich war schon fast so weit, mich zu entschuldigen, biss mir aber noch rechtzeitig auf die Lippen und zwar so fest, dass ich Blut schmeckte. Seltsamerweise tat der Schmerz gut; lenkte mich von seinem eisigen Blick ab. Er stand auf, trat auf mich zu und kniete sich neben meinen Kopf. Ich starrte die graue Decke an, musste mich beherrschen nicht zu ihm zu schielen und kaute weiter auf meiner Lippe herum.
"Mia, schau mich an und hör damit

auf, du tust dir weh."
Bei so viel falschem Mitgefühl und Sorge fragte ich mich, ob ich es wagen sollte, ihn anzuschreien.
Das was er mir bis jetzt angetan hatte, zeugte schließlich nicht gerade davon, dass ihm mein Wohlergehen wichtig war.
"Nicht.", murmelte Ian.
Er schien meine Wut und meinen inneren Kampf zu bemerken und legte seinen Zeigefinger auf meinen Mund, als ob er mich vor der Dummheit, ihn zu provozieren, bewahren wollte.
das war ein bisschen zu viel für meine Nerven und ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Schnell drehte ich mein Gesicht noch weiter von ihm weg.
"Mia, ich sagte, du sollst mich ansehen.", sagte er. Diesmal eine Spur sanfter. Trotzdem konnte ich heraushören, was er mir mitteilen wollte: Tu was ich sage; Ich entscheide, wie es mit dir weitergeht.


Mit der Hand, die als einzige meiner Gliedmaßen noch ungefesselt war, wischte ich mir die Tränen aus den Augen und drehte zögerlich mein Gesicht zu ihm.


Ich bildete mir ein, das seine Hand kurz zu mir zuckte, aber dann ließ er sie sinken und sah sie verwundert an, als gehöre sie gar nicht zu ihm.
Dann drehte er sich um und ließ mich mit der immer noch himmlisch riechenden Pizza und mit knurendem Magen, der von den wenigen Stückchen nicht wirklich satt geworden war, allein.


Kapitel 8





ICH HASSE IHN. ICH HASSE IHN. ICH HASSE IHN.
Was denkt sich dieser gehirnamputierte Idiot eigentlich dabei ?! Nichts wahrscheinlich-was soll man bei einer Gehirnamputation auch anderes erwarten...
WAS HABE ICH DIR GETAN DU OBERAFFEN-OPFER-MISTVIE-DEPP-ARSCH, DU !!!
Was fällt diesem... mir fiel keine Bezeichnung ein, die ihm gerecht wurde... ein, mich mit diesen beschissenen Handschellen an dieses beschissene Bett zu ketten ?!
Als ob ich von hier abhauen könnte. ICH HASSE IHN. ICH HASSE IHN. ICH HASSE IHN. ICH HASSE IHN. ICH HASSE IHN !!!
Meine Gedanken nicht besonders abwechslungsreich.
ICH. HASSE. IHN.

Ich hatte nicht besonders viel geschlafen in dieser Nacht.
Dementsprechend scheiße fühlte ich mich auch am nächsten Morgen und wie man sah trug der Gedanke an ihn nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühlte.
Mein Magen knurrte. Die Pizza von gestern Abend, die es in meinen Magen geschafft hatten, bevor ich so blöd gewesen war, ihn zu beleidigen, schienen schon wieder voll und ganz verdaut zu sein.
Ich glaube, ich hatte mich noch nie so bescheuert gefühlt. Mein ganzes Leben war gelaufen, wenn ich hier nicht rauskam, mein Kopf tat schon wieder weh, meine Gelenke schmerzten von den Handschellen und ich war müde, konnte aber nicht mehr schlafen.
Kurz: Der Beginn eines wundervollen Tages.
Ich freute mich ja so.
Stöhnend versuchte ich mich aufzurichten, zumindest so weit wie die Fesseln das erlaubten.
Da ging die Tür auf und ein mir fremder Junge trat in ,mein‘ Zimmer. Ich vermutete das er der Dritte war, der mich gestern Nacht verfolgt hatte.
Idiot Nr. 3 also. Zugegeben: ich begegnete ihm nicht ganz unvoreingenommen: Ich hasste ihn schon jetzt.
Er war kleiner als Ian und Alex und wirkte auch jünger.

„Hey, ich bin Joshua. Ehhm...
Ich bin ein bisschen verwirrt, was deinen Namen angeht. Ian und Alex hatten gestern eine kleine Auseinandersetzung und ich konnte aus ihrem Geschrei nur Roberta und Mia heraushören, keine Ahnung, welche davon du bist.“
„Schätze, ich bin beide“, seufzte ich. Ian und Alex hatten sich also gestritten. Interessant.
Anscheinend war Alex nicht sonderlich begeistert davon gewesen, dass Ian ihm nichts von unserem ersten „Treffen“ erzählt hatte. Tja, geschieht ihm Recht, wenn er jetzt sauer auf ihn ist.
„Ehhhm weshalb ich gekommen bin: ich... wollte fragen, ob du mal ins Bad musst. Ich mein duschen, oder so?“, druckste er herum.
Er schien ein bisschen schüchtern zu sein und sofort war er mir etwas sympathischer.
Seine Art war mir schon jetzt deutlich lieber, als die von Ian, diesem A...
„Gerne“, ich lächelte ihn an. Vielleicht konnte ich ihn ja dazu bringen mich aus diesem schrecklichen Keller zu befreien, wenn ich nett zu ihm war.
Ich kam mir irgendwie blöd vor, wie ich da auf dem Bett lag, bewegungsunfähig und er auf mich herabblickte. Kein schönes Gefühl.
„Wie wär‘s wenn du mich mal losbindest?“, schlug ich vor, weil er selbst nicht so recht zu wissen schien, was er als nächstes tun sollte.

„Achso, äh, ja, tschuldige.“, murmelte er und trat zögerlich auf mich zu.
Als er mich endlich aus meiner misslichen Lage befreit hatte, rieb ich mir mein schmerzendes Handgelenke. Die Haut war rot und an einigen Stellen von den rauen Seilen aufgeschürft. Ich beschloss, es zu ignorieren.
Er trat neben mich und griff etwas ungelenk nach meinem Arm. Im Gegensatz zu Ian -ich bekam schon wieder Brechreize- schien er sich in der fiesen Entführer Rolle nicht wirklich wohl zu fühlen.
Er öffnete die Tür und trat mit zögernden Schritten in den dahinter liegenden Gang hinaus.
Interessiert, weil ich hoffte, Informationen darüber zu bekommen, wo ich mich befand, folgte ich ihm. Aber der Flur war fensterlos, wir schienen uns in einem Keller zu befinden. Einmal kamen wir an einer Treppe vorbei, die links von mir nach oben führte, aber Joshua zog mich weiter, sodass ich nicht erkennen konnte, wohin sie führte.
Einige Meter weiter wies er auf eine Tür und schob mich in den Raum. Ich war überrascht, das es so hell war. Im Gegensatz zum Gang gerade eben und meinem Gefängnis sah das Bad schlicht, aber modern und neu aus. Alles war weiß gekachelt und Fenster über mir durchfluteten den Raum mit Licht. Eine Fluchtmöglichkeit waren sie jedoch nicht, selbst wenn ich bis zu ihnen hochkäme, ich würde nie im Leben durchpassen.
Aber jetzt würde ich erstmal duschen. Über den weiteren Verlauf dieser Entführungssache konnte ich später noch nachdenken.


Kapitel 9






Es war ein wundervolles Gefühl, frisch geduscht zu sein. Ich schlüpfte in die Kleidung, die Joshua mir gegeben hatte. Die Jeans und das Top passten perfekt und auch die Unterwäsche war weder zu groß noch zu klein, stellte ich verwundert fest.
Meine nassen Haare band ich mit dem Haargummi, den ich in meiner eigenen Hosentasche gefunden hatte, hoch, dann öffnete ich die Tür. Dort wartete Joshua auf mich. Er nickte mir kurz zu und schob mich dann wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Aber anstatt weiter zu dem Zimmer zu laufen, in dem ich übernachtet hatte, bogen wir ab und stiegen die Treppe hinauf. Ich runzelte die Stirn, sah ihn überrascht an, sagte aber nichts. Nach der letzten Stufe versperrte eine geschlossene Tür mir die Sicht. Bevor mein Begleiter sie öffnen konnte, rief eine Stimme hinter uns: „Hey, Josh! Warte kurz ich komm auch mit hoch.“
Es war Alex.
„Ich werde nicht begrüßt?“, fragte ich schmollend.
„Ich würde ja gerne, aber leider weiß ich nicht, ob ich Roberta oder Mia begrüßen soll.“
Ich wurde rot.
„Mia. “, antwortete ich schlicht. „Aber eigentlich brauchst du dir diesen unglaublich schwierigen und langen Namen nicht zu merken. Lass mich einfach gehen und das Problem ist gelöst.“
Er seufzte.
„Leider nein. Und selbst wenn ich es wollte, Ian würde das garantiert nicht zulassen.“
„Arschloch“, zischte ich wütend.
Ich war enttäuscht, obwohl ich nicht wusste, warum. Hatte ich mir wirklich eingebildet, er würde mich gehen lassen?!?
„Ich hoffe die Beleidigung eben hat sich auf Ian und nicht auf mich bezogen?“, fragte Alex, gespielt beleidigt.
„Allerdings“, antwortete ich resigniert.

Alex sah mich von der Seite an.
„Ich muss sagen, ich bin ziemlich gut im Kleidergröße-schätzen, was?“, er lächelte zufrieden.
„Wohin gehen wir eigentlich?“, wechselte ich das Thema.
„Überraschung...“, meldete sich Josh wieder zu Wort.
„Gute oder schlechte?“ Ich war misstrauisch.
Die beiden schwiegen. Keine Antwort ist auch `ne Antwort.
Das konnte ja toll werden.

Wir liefen durch die Zimmer einer kleinen Wohnung. Eigentlich war nichts aufeinander abgestimmt, vollkommen verschiedene Möbel waren zusammengewürfelt, aber überraschenderweise passte es irgendwie doch. Es sah gemütlich aus. Ich fragte mich, wer hier wohnte. Die drei Jungs?
Und zum ungefähr tausendsten Mal fragte ich mich, wieso sie mich entführt hatten.
Vielleicht würde ich das ja jetzt erfahren.

Ich wurde in das Wohnzimmer der Wohnung geführt. Josh bedeutete mir, auf dem Sessel Platz zu nehmen.
Er und Alex ließen sich auf die gegenüberliegende Couch fallen.
Ich blickte aus dem Fenster. Wald. Bäume, Bäume, Bäume und noch mal Bäume.
Und kein einziger Spaziergänger, der mich befreien könnte.
Meine Laune sank noch weiter. Erwartungsvoll hob ich die Augenbrauen und sah die Jungs an.
„Wir wollen mit dir reden. Aber zu erst warten wir noch auf Ian.“
„Ian, Ian, Ian ! Ich höre immer nur Ian. Ist er der Boss von eurer kriminellen Organisation und ihr seid seine verdammten Diener?!“
„Es gibt keinen Boss“, widersprach Alex.
„Dann stört es ihn sicherlich nicht, wenn ihr mir schon mal verratet, warum ihr mich gekidnapped habt.“
Josh und Alex wechselten einen BIick.
Dann holte Alex Luft und nickte Josh zu.
„Wir möchten, dass du uns verrätst, wo sich dein Freund aufhält.“
In meinem Kopf ratterte es. Jetzt sollte ich nach Möglichkeit nichts Falsches sagen.
„Ich... hab keinen Freund.“, antwortete ich zögernd, und das war die Wahrheit.
Genauer gesagt war ich, was das Thema `Freund` anging alles andere als Erfahren.


Eine Stimme rechts hinter mir ließ mich zusammenzucken. Die Situation verwirrte mich und ich war ein bisschen nervös.
Ich wand mich um und erblickte Ian, cool und mit verschränkten Armen im Türrahmen stehend.
„Nein, natürlich nicht.“
Seine Worte trieften vor Sarkasmus.
Gestern hatte er mir zugegeben ziemlich Angst gemacht, als er mich ans Bett gefesselt hatte, aber ich hatte nicht vor, mich weiter einschüchtern zu lassen.
„Ich lüge nicht.“, antwortete ich mit fester Stimme, betonte jedes einzelne Wort,
„Das würde ich an deiner Stelle auch behaupten.“
er blickte mich wissend an.
„Wir wissen alles, auch, dass du mit diesem Mistkerl unter einer Decke steckst.“
Ich war sprachlos.
„Das glaubst DU. Wir - “
Alex war offensichtlich anderer Meinung was Ian‘s letzte Aussage betraf. Mit der Behauptung, ich hätte einen Freund, der noch zu ein Mistkerl war, stand ich alleine da.


"Ist ja echt unglaublich wie viel Geschmack ihr mir zutraut. WENN ich einen Freund hätte, wäre das wohl kaum ein Arsch!"
"Also hast du doch einen Freund." Das war Ian.
Mein Blick glitt zur Tür, wo er immer noch stand.
"NEIN verdammt noch mal. Ich wiederhole mich echt ungern, weißt du? Aber ich will ja Leute mit einer eher unterdurchschnittlichen Gehirnkapazität nicht benachteiligen, also noch mal ganz exklusiv für dich, Ian: ICH.HABE.KEINEN.FREUND. "
Er blitzte mich wütend an. Wir würden schon mal keine Freunde werden. Aber schließlich war das auch nicht mein Ziel - dieser Typ ging mir am A... vorbei.
"Er ist ein Mörder."
Josh klang als ob er gerade das Ende der Welt prophezeite.
"Hä?", machte ich und war mir im klaren das dieser Laut gerade auch nicht auf eine besonders hohe Gehirnkapazität schließen ließ.
"Vielleicht erzählt mir mal jemand die ganze Geschichte ein bisschen detaillierter und in chronologischer Reihenfolge ?"
Oh, ich liebte es so zu tun, als hätte ich einen IQ von mindestens 160.
Ian, wie wär's mit dir? Dann kannst du auch gleich dafür sorgen, dass aus deinem Mund mal was sinnvolles kommt anstatt der üblichen Scheiße.", flötete ich zuckersüß und klimperte mit den Wimpern, obwohl ich wusste dass das höchstwahrscheinlich aussah, als ob ich meine Augenlid-Muskeln nicht ganz unter Kontrolle hätte.
Ich war überrascht, wie viel Spaß es machte Leute dazu zu bringen mich zu hassen. Ein ganz neues Gefühl für mich.
Und ich schien ziemlich talentiert darin zu sein, denn Ian knurrte fast als er mir antwortete.
Eine schwarze Strähne war ihm über die Augen gefallen und ich ärgerte mich, dass ich sie am liebsten weggestrichen hätte.
Ian ließ sich neben Josh fallen.
"Erklär du's ihr." Plötzlich sah er müde aus und die Ringe unter seinen Augen verrieten mir, dass er in letzter Zeit nicht viel Schlaf abbekommen hatte.
Aber das war mir doch egal. Ich hasste ihn. Ich macht mir keine Gedanken darum, wie es ihm ging. Nein, ganz entschieden nicht.
"Ian's Schwester wurde ermordet als sie zwölf war."
Unwillkürlich schnappte ich nach Luft. Diese Information kam ein bisschen plötzlich und vor allem unpassend, da ich mir ja eigentlich geschworen hatte, kein Mitleid mit ihm zu haben.
"Aber...warum...wer...", stotterte ich.
"Das wussten wir bis vor kurzem keiner, aber jetzt haben wir eine Spur. Dich."
Angesichts der der Umstände verzichtete ich auf den Kommentar, dass Josh klang wie in einem schlechten Krimi."
"Ich bin die Spur?", fragte ich mit gerunzelter Stirn.
Ich glaubte zu wissen, worauf er hinaus wollte, sollte aber sicher gehen, dass ich nichts falsch verstanden hatte.
"Ihr glaubt, mein imaginärer Freund ist der...Mörder ?"
Fassungslos sah ich zu wie Josh nickte.
„Ich habe keinen Freund und ich hatte nie einen.“ , wiederholte ich verzweifelt.
Keiner der drei sah aus als ob er mir glaubte.
Mein Blick zu Ian verriet mir, dass seine coole Fassade bröckelte, sein Blick war starr gerade aus gerichtet, die linke Hand zur Faust geballt.
Plötzlich erhob er sich ruckartig.
„Ok, Jungs, das reicht. Ihr könnt frühstücken gehen. Ich klär das mit Mia.“
Alex sah Josh an, hob die Augenbrauen. Zögernd, fas unwillig verließen sie den Raum.
„Da gibt es nichts zu klären.“ Ich gebe zu, ich machte mir sorgen, was passieren würde, wenn Ian alleine mit mir wäre. Wie gestern.
„Hast du Angst vor mir?!“
Spottete er sofort.
Hatte ich. Und ich hätte mich ohrfeigen können deswegen. Aber das musste er ja nicht wissen.
„Vor dir? Träum weiter“, meine Stimme wackelte nur ein kleines bisschen.
„Solltest du aber vielleicht.“
Er packte mich am Oberarm und zog mich hinter sich her, ich fiel fast als wir die Treppe hinabstiegen, aber er machte erst halt, als wir wieder in „meinem“ Raum standen.
Panisch versuchte ich seinen Griff zu lockern.
Überrascht davon dass er los ließ, stolperte ich einen Schritt nach hinten.
„Du hast also keine Angst vor mir?“
Er umkreiste mich wie ein Raubtier seine Beute. Mit weit aufgerissenen Augen schüttelete ich den Kopf. Nicht besonders glaubwürdig.
Als er grinste, wusste ich, dass er eine Idee hatte. Und ich war mir sicher, dass sie mir nicht gefallen würde.
„Morgen fahre ich für paar Tage weg und ich habe nicht vor, dich hier von Alex und Josh verhätscheln zu lassen.
Außerdem brauche ich noch eine Begleitung. Es ist unauffälliger zu zweit zu reisen, weißt du.“
„Was ... soll das heißen ?“ knurrte ich.
„Du wirst meine Begleitung sein.“
„Wie bitte?!“, fragte ich, noch gefährlich ruhig.
Ian schien sich zu freuen, mich aus dem Konzept gebracht zu haben.
„Du wirst so tun, als ob du meine Freundin bist.“, erwiderte er, fast beiläufig.
In mir braute sich ein Hurrikan zusammen.
„Und was, wenn nicht?“, zischte ich herausfordernd.
„Ich empfehle dir, es nicht auszuprobieren. Im Gegensatz zu dem was dich dann erwartet, war ich gestern Abend nämlich noch ein richtiger Gentleman.“


Kapitel 10





„Du bist schon extrem schizophren. Am Anfang warst du einigermaßen nett. Dann fesselst du mich ohne jeden Grund ans Bett. Grade hast du mich angebrüllt und mich durch die Gegend gezerrt und jetzt machst du hier Witze. Was soll das ?!“, fragte ich und hätte mich ohrfeigen können, weil ich ihn damit vielleicht schon wieder gereizt hatte.
Außnahmsweise schien das Glück jedoch auf meiner Seite zu sein.
er rastete nicht aus, sondern runzelte nur die Stirn.
„Ich weiß nicht was ich von dir halten soll.“
„Das ist eigentlich MEIN Text. Ich bin nicht die, die abwechselnd super gut drauf und total fies ist.“
„Eigentlich hatte ich vor dich zu hassen, weil ich dachte du hast... na du weißt schon. Aber irgendwie...“
„Jaaaa?“ Ich kostete jede Sekunde seiner Unsicherheit aus.
Viele waren es leider nicht.
„Ach vergiss es.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. Am liebsten wäre ich noch weiter auf dieses Thema eingegangen, aber er wich geschickt aus.
„Morgen früh fahren wir. Wir sehen uns dann.“
Er wandte sich zur Tür.
„Hey. Ich hab seit gestern Mittag nichts gegessen!“, protestierte ich.
„Selber Schuld“, erwiderte er unbeeindruckt.
„So wie ich Josh kenne, bringt er dir sowieso gleich ein 5-Sterne-Frühstück“
Er sollte Recht behalten. Kurz nachdem er - wohin auch immer - verschwunden war, genoss ich das beste Frühstück.
Josh hatte sich im Schneidersitz neben mich gesetzt und sah mir beim Essen zu. Unter anderen Umständen wäre mir das unangenehm gewesen, aber ich war so hungrig, dass mir das egal war.
„Dieses Omelett ist einfach himmlisch“, schwärmte ich mit vollem Mund.
„Hat Ian gemacht.“
„Waaaaas ?! Der macht für MICH Omlett ?!“, ich verschluckte mich fast.
„Er ist gar nicht so fies wie er es gerne hätte.“
Wusste ich‘s doch. Der sollte sich mir gegenüber mal nicht so aufspielen. Leider hatte ich nicht den Mumm ihm das persönlich zu sagen. Die Aktion gestern war mir noch zu gut im Gedächtnis.
Den Tag verbrachte ich damit zu essen, aufs Klo zu gehen und den Rest der Zeit Fernsehen zu schauen. Allmählich fühlte ich mich wie die Leute aus „Mitten im Leben“.
Alex hatte mir zwar erlaubt, oben in der Wohnung zu tun was ich wollte, ließ mich dabei jeddoch nicht aus den Augen, sodass ich den ganzen Nachmittag keine Möglichkeit hatte zu fliehen.
Erst nach dem Abendessen, als Ian pitschnass vom Regen, der schon den ganzen Tag monoton vom Himmel tropfte von seinem rätselhaften Ausflug zurückkehrte und Josh und Alex damit beschäftigt waren, ihm dabei zu helfen, irgendetwas vom Auto ins Haus zu tragen, realisierte ich, dass das die wahrscheinlich letzte Chance war, von hier wegzukommen.
Während die mehr als schlechten Schauspieler von „Berlin Tag und Nacht“ sich weiter weggepiepte Beleidigungen an den Kopf warfen, erhob ich mich vom Sofa und fühlte mich wie ein Schwerverbrecher, als ich in die Küche schlich, das Fenster öffnete und hinausstieg. Ich atmete schwer; mehr vor Aufregung als vor Anstrengung und mein Herz klopfte wie ein Presslufthammer.
Das war zu einfach gewesen. Ich war misstrauisch und erlaubte mir nicht, aufzuatmen, bevor ich nicht weit genug von dieser Hütte entfernt war.
Ich hatte nicht die Zeit gehabt, Schuhe anzuziehen und meine Socken waren schon jetzt vom regennassen, laubbedeckten Boden durchnässt. Die Holzhütte, aus der ich geflohen war, war nicht besonders groß und stand mitten im Wald. Es schien, als ob ich meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt war.
Panisch, weil ich ständig das Gefühl hatte, verfolgt zu werden, rannte ich so schnell, dass ich auf den rutschigen Blättern beinahe ausgerutscht wäre.
Der Wald wollte einfach kein Ende nehmen, die Bäume sahen überall gleich aus und ich hatte den Verdacht, im Kreis gelaufen zu sein.
Als ich kleiner gewesen war, hatte ich mir unendlich oft diesen einen Benjamin-Blümchen-Film angesehen, in dem der mit Otto in der Wüste rumlief und sie erst merkten, dass sie im Kreis gelaufen waren, als sie ihre eigenen Fußspuren im Sand sahen. Ich fragtre mich, ob das im richtigen Leben auch funktionierte. Im Wald jedenfalls nicht.
Ich wurde langsamer und überlegte, wie Benjamin es geschafft hatte aus der Wüste zu finden, aber mir fiel es nicht mehr ein.
Irgendwann, meine Haare waren vom Regen nass geworden und kräuselten sich äußerst unschön um meinen Kopf, blieb ich stehen, lehnte mich an einen Baum und schloss die Augen. Einige Tropfen fielen immer noch auf den Waldboden, aber ich war mir nicht sicher, ob es immer noch regnete oder das Wasser nur von den nassen Blättern heruntertropfte.
Hinter mir raschelte eine Maus auf der suche nach Essbarem. Ich hatte keine Ahnung was ich jetzt machen sollte. Auf jeden Fall würde ich mich jetzt erst mal eine kleine Pause einlegen. 
Als sich ein Arm um mich legte und eine Hand auf meinen Mund, schaffte ich es nicht einmal zu schreien.

Eine Gefühlte Unendlichkeit tat keiner von uns beiden etwas. Ich weil ich viel zu sehr unter Schock stand und mein unbekannter Angreifer vermutlich, um sicherzugehen dass ich nicht weglief.
„Wenn ich meine Hand wegnehme, wirst du nicht schreien.“
Als ich merkte, dass er eine Antwort erwartete, nickte ich hastig.
„Gut.“
Langsam verschwand der Druck auf meinen Lippen, stattdessen wurden mir die Arme auf den Rücken gedreht. Es war nicht besonders angenehm, aber ich würde mir nicht die Blöße geben, rumzujammern.
Er schob mich vor sich her, ein Stück weg von dem Baum, an dem ich gelehnt hatte. Dann blieb er stehen, ließ meine Arme los, packte mich aber sofort wieder an den Schultern und drehte mich zu ihm um.
Ein Blick in sein Gesicht zeigte mir, wer da vor mir stand: Ian.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte er und ich war mir nicht sicher, ob seine Stimme wütend klang.
Bevor ich antworten konnte, sprach er weiter.
„Den Versuch hättest du dir sparen können. Aber ich bin heute gut gelaunt, deswegen gönne ich dir einen Fluchtversuch. Aber nur EINEN. Falls es NICHT der letzte war, mach dich auf was gefasst.“
Ich verkniff mir ein „Uuuuuuh jetzt hab ich aber Angst.“
„Übrigens war ich schon die ganze Zeit hinter dir und du hast es nicht mal gemerkt.“
Ich schwieg. Plötzlich war ich völlig am Ende; versuchte mich damit abzufinden, dass ich den Rest meines Lebens in irgendeinem Keller verbringen würde.
Nie wieder würde ich meine Familie oder meine Freunde wiedersehen und beim Gedanken daran, traten mir die Tränen in die Augen.

Kapitel 11

Ich saß auf dem Bett, auf dem ich vermutlich den Rest meines Lebens schlafen würde und starrte geradeaus auf die graue Wand. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, seit Ian mich hierher zurückgebracht hatte. 

Vermutlich saß ich schon mehrere Stunden so da, bewegungslos und ich hatte das Gefühl an nichts zu denken, obwohl ich nicht mal wusste ob das möglich war.

Meine Tränenvorrat war schon lange aufgebraucht und jetzt hatte ich Kopfschmerzen. Außerdem war ich unglaublich schlecht gelaunt, was neben der Tatsache, dass ich entführt worden war, auch daran lag, dass ich ziemlichen Hunger hatte.

Mein armer Magen hatte in den letzten Tagen nur sehr unregelmäßig etwas zu tun gehabt.

Ich schrak auf als jemand an der Tür klopfte.

„Kann ich reinkommen?“, fragte eine Stimme. Ian.

„Nein.“ Mich wunderte es, dass er überhaupt fragte.

Die Klinke der Tür wurde heruntergedrückt.

„Ich wusste, dass du das sagen würdest.“, schmuzelete Ian, während er sich neben mich aufs Bett schmiss.

 

Ich ignorierte ihn, starrte weiter an die Wand. 

„Was ist los?“

Blöde Frage.

„Okay, verstanden. Du bist sauer auf mich.“

Sehr gut erkannt.

„Hast du Hunger ?“

Hinterhältige, fiese Frage. Ich werde nicht ja sagen, ich werde NICHT...

„Jaaa“

super.

Schmunzelnd sah er mich an. „Frag mich!“, forderte er mich auf.

„Hä?“, machte ich, obwohl ich glaubte, verstanden zu haben, was in seinem kranken Gehirn vorging.

„Ich werde garantiert nicht vor dir auf die Knie fallen und dich darum bitten, mir was zum Essen zu machen.“

„Okay.“, sagte er einfach, zuckte die Schultern und begann, Temple Run auf seinem iPod zu spielen.

Wütend starrte ich ihn an. So. Ein. Kotzbrocken.

Aber mein Magen konnte sehr überzeugend sein wenn er wollte. Und wenn ich hier weg wollte durfte ich nicht halb verhungert sein.

„Machst du mir was zum Essen ?“, gab ich mich seufzend geschlagen.

Er sah mich mit erhobenen Augenbrauen an. 

„Das nennst du eine Bitte ? Hast du vorhin nicht was von auf-die-Knie-fallen-gesagt ?“, fragte er unschuldig.

Jetzt war ich nicht nur hungrig, sondern auch sauer. Eine explosive Mischung.

„Raus.“, zischte ich und zeigte auf die Tür.

Amüsiert sah er in die Richtung, in die mein Finger deutete.

„Nö.“

Gut, dann würde ich das eben tun. Bevor er mich daran hindern konnte, war ich durch die Tür und weiter die Treppen zum Obergeschoss hochgerannt.

Völlig außer Atem hechtete ich in die Küche, wo mich ein überraschter Alex erwartete. 

Bevor ich ihm die Situation erklären konnte, hörte ich Ian hinter mir.

„Mia...“, sagte er mit zuckersüßer Stimme und überhaupt nicht außer Atem.

„Was machst du denn hier?“

Ich ignorierte ihn, griff mir einen Apfel, der auf dem Tisch lag, blickte ihn spöttisch an und biss demonstrativ hinein. Während ich kaute, stellte ich fest, dass er ausnahmsweise nicht wusste, was er sagen sollte.

 

 

Ich verdrängte den Gedanken daran, dass meine Familie und Freunde wahrscheinlich grade verrückt vor Sorge waren und genoss den Triumph.

„Aalsoo... was ist der Plan?“, fragte ich.

„Welcher Plan?“, fragte Ian zurück.

„Euer Plan? Ich meine, was habt ihr vor?“

„Mit mir?“, fügte ich leiser als beabsichtigt hinzu.

Keiner der beiden Jungs sah mich an. 

Nach einer scheinbar endlosen Zeit brach Alex die drückende Stille.

„Wir...“, setzte er an. Verstummte, und schaute Ian fragend an.

„... wissen‘s selber noch nicht.“, vollendete Ian seinen Satz.

„Und wenn wir‘s wüssten würden wir‘s dir nicht sagen.“ 

Er nahm sich einen Apfel und biss hinein.

„Komm mit.“, befahl er an mich gewandt und ich folgte ihm ergeben.

Wir liefen in ein Zimmer, das ich bisher noch nicht kannte. Es war wunderschön, weiß gestrichen, ein Traumfänger hing an der Wand über dem großen, schwarzen Metallbett. Ich grub meine nackten Zehen in den unglaublich weichen Teppich. 

„Wow. Das Zimmer ist ein Traum!“, seufzte ich bewundernd. Ian nickte nur und steuerte auf die alt aussehende Holztüren zu, der in der Ecke stand.

Er öffnete sie und was sich dahinter befand, machte den Raum einfach perfekt: ein begehbarer Kleiderschrank. Nicht besonders groß, aber bis auf den letzten Zentimeter mit Kleidern, Schuhen, Hosen, Tops in allen Variationen und Farben gefüllt. Ich musste ein Quietschen unterdrücken. Normalerweise ging ich gar nicht so oft shoppen, ich hatte nicht das Glück einen Körper zu haben, dem einfach alles steht und auch nicht so viel Geld, dass ich mir alles hätte kaufen können was ich wollte und das machte Kleidung kaufen einfach nicht so reizvoll. 

„Such dir paar Sachen raus, die dir passen. Du wirst sie brauchen, wenn wir wegfahren.“

Ian weckte mich aus meinem Rausch, in den ich Verfallen war, seitdem ich den Raum betreten hatte. Ups, das mit der Reise hatte ich ganz vergessen.

„Du wirst so tun, als ob du meine Freundin bist“, erinnerte ich mich an Ians Worte.

Mein Mund verzog sich zu einem Strich. „Okay. Wärst du so freundlich mir etwas Privatsphäre zu gönnen während ich mich umziehe?“

Ian grinste , drehte sich dann aber wortlos um und lies mich alleine.

„Ich warte vor der Tür.“

Natürlich. Seit meinem Fluchtversuch ließ er mich nicht mehr aus den Augen.

Ich strich mit den Fingern über eine Reihe Kleidungsstücke und überlegte, welche Art von Kleidung ich wohl brauchen würde. Ich hatte keine Ahnung, wo es hinging, wollte Ian aber auch nicht fragen, da er ja scheinbar beschlossen hatte, mich nicht in seine Pläne einzuweihen. Ich entschied mich für Jeans und hoffte in der hohen Stapel einige Paare zu finden, die genung Platz für meinen Hintern hatten.

Überraschenderweise passte gleich die erste Hose. Ich legte sie auf den Boden und probierte noch einige Andere an, die ich dazu legte. Nach kurzer Zeit war der Kleiderhaufen auf dem Boden um einige Oberteile und Sneakers gewachsen. Mein Blick schweifte zur linken Ecke des Raumes, wo einige Kleider und Highheals standen. Ich widerstand dem Drang sie anzuprobieren, schließlich würden wir kaum auf irgendeine Öffentliche Veranstaltung gehen, bei der ich gesehen werden könnte.

Ich schaffte es beim dritten Versuch alle Kleider auf Einmal aufzuheben und steuerte die Tür an, was nicht besonders einfach war, da der Berg aus Hosen, Shirts und Blusen mir die Sicht versperrte. Ich trat ein paar Mal gegen sie Tür und hoffte Ian würde sie öffnen, da ich beim besten Willen keine Hand frei hatte, um sie zu öffnen.

„Oooh wow.“, hörte ich Ians erstaunte Stimme auf der anderen Seite des Kleiderbergs.

„Wie lange hast du denn vor wegzubleiben?“, fragte er spöttisch.

Ich drückte ihm meine Kleiderauswahl in die Hände und hatte nun endlich wieder freie Sicht. Bei ihm wirkte er lange nicht so groß wie in meinen Armen, er konnte sogar locker darüber schauen, aber es gefiel mir, dass er jetzt die Hände voll hatte. Ich fühlte ich ihm irgendwie weniger unterlegen. Rein körperlich natürlich. Intelligenz-mäßig war ich ihm natürlich schon immer weit vorraus.

„Ich hoffe du hast einen großen Koffer für mich.“

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Tag der Veröffentlichung: 16.03.2012

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