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Liturgie – mittendrin statt nur dabei!

Alkuin, der als größter Gelehrter seiner Zeit galt, war der Ratgeber Karls des Großen in Staats- und Kirchenfragen. Als Kaiser Karl der Große eines Tages seinen Minister Alkuin fragte: "Sage mir, was ist die Liturgie?", da erhielt er von ihm die Antwort: "Die Liturgie, das ist die Freude Gottes."

Wir, jeder einzelne von uns, sind aufgerufen, an der Freude Gottes Anteil zu nehmen. Wir sind berufen, in der Liturgie unsere Freude an Gott zum Ausdruck zu bringen und uns in seine göttliche Freude hineinnehmen zu lassen.

Das Wort Liturgie kommt von dem griechischen Begriff leiturgia, der aus den Wörtern laos (Volk) und ergon (Tun, Handeln) zusammengesetzt ist. In der Septuaginta, der von den Juden erarbeiteten griechischen Übersetzung der Bücher des Alten Testaments, bezeichnet leiturgia den priesterlichen Opferdienst im Tempel. In der Liturgie drückt sich die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk aus. Liturgie ist einerseits das Handeln des Volkes zur Ehre Gottes und andererseits das Handeln Gottes am Volk.

Als Dialog zwischen Gott und Mensch erreicht die Liturgie in der Eucharistiefeier der Kirche ihre Vollendung. In jeder Eucharistiefeier geschieht das unfassbare Wunder, dass Gott sich klein macht und in unsere Hand gibt. Er erniedrigt sich und wird ein Teil von mir, damit er mich verwandeln kann und ich Anteil an seiner Herrlichkeit habe. Und wir sind dabei nicht nur bedeutungslose Randfiguren. Wir sind durch die Liturgie mit hineingenommen in das Handeln Gottes.

In der Liturgie antworten wir Gott. Was ist unsere Antwort? Was sage ich da eigentlich jeden Sonntag in der Messe? An sich sind die Antworten der Gemeinde ja dazu gedacht, dass sich jeder aktiv beteiligt. Wir wollen doch eine lebendige Liturgie mit einem lebendigen Gott feiern. Wenn mein Herz nicht dabei ist, ist die Liturgie tot. Wenn ich keinen inneren Anteil an der Liturgie habe, dann laufe ich Gefahr, dass ich auch keinen Anteil an Gott habe, weil das Handeln Gottes mich nicht erreichen kann.

Der Ursprung und das Ziel aller Liturgie ist Gott. In diesem Buch wollen wir uns der Liturgie von ihrem biblischen Ursprung her nähern, damit wir sie verstehen und durch die Liturgie Gott nahekommen können. In der Bibel sind die wesentlichen Ereignisse der menschlichen Heilsgeschichte, des Weges, den Gott mit den Menschen gegangen ist, aufgeschrieben. Alle Teile der Liturgie haben ein biblisches Fundament. Ich habe die Bibel nach Textstellen durchsucht, die die Antworten der Gemeinde in der Messe widerspiegeln. Hinter jeder Antwort, die ich während der Messe spreche, steht eine biblische Geschichte, die mir das, was hier gerade mit mir und in der Messe passiert, erklären will.

Ich lade dich ein, diese Bibelstellen zu betrachten. Wir wollen versuchen, die biblischen Fundamente der Mess-Liturgie auszugraben, damit wir darauf eine lebendige Liturgie aufbauen können.

Wenn ich nicht nur Zuschauer bei der Liturgie bin, sondern selbst lebendiger Teil der Liturgie werde, dann kann Gott auch an mir handeln. Die Liturgie der Messe bietet mir die Chance, Gott zu begegnen. Wenn Gott in der Messe mein Innerstes berührt, werde ich durch die Liturgie Freude an Gott erfahren und Kraft von Gott bekommen.

Michael P.W. Moos


Adjutorium nostrum

Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn – der Himmel und Erde erschaffen hat.

 

Mit diesen Worten beginnt die heilige Messe. Meist hört man die Worte des Priesters nicht, weil er sie spricht, bevor er den Kirchenraum betritt. Doch gerade das ist ein schönes Bild. Noch bevor Gott sichtbar in unser Leben tritt, hat er schon auf unsere Bedürfnisse geantwortet. Er hat uns schon umsorgt und alles vorbereitet, bevor wir überhaupt wussten, dass uns etwas fehlt oder dass wir bedroht sind.

Psalm 124

Wäre der HERR nicht für uns gewesen so bekenne Israel!, wäre der HERR nicht für uns gewesen, als Menschen sich gegen uns erhoben: dann hätten sie uns lebendig verschlungen, als ihr Zorn gegen uns entbrannt war; dann hätten die Wasser uns überflutet, ein Wildbach hätte sich über uns ergossen; dann wären über uns hingegangen die wildwogenden (oder: überwallenden) Fluten. Gepriesen sei der HERR, der uns nicht ihren Zähnen zum Raub hat preisgegeben! Unsre Seele ist entschlüpft wie ein Vogel dem Netz der Vogelsteller: das Netz ist zerrissen, und wir sind frei geworden. Unsre Hilfe steht im Namen des HERRN, der Himmel und Erde geschaffen.

In Gott werden wir frei. Alle Drohungen und Gefahren dieser Welt können uns nichts anhaben, wenn wir uns Gott anvertrauen, wenn Gott uns zur Seite steht. In der Messe versammeln wir uns vor dem Angesicht Gottes. Wir stellen uns und unser ganzes Leben unter seinen Schirm und Schutz, denn wir wissen: Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn.

Auch in Psalm 121 finden wir eine ähnliche Formulierung. Hier ist es die Antwort auf die Frage des Psalmisten: Woher kommt mir Hilfe?

Psalm 121

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: von wo wird Hilfe mir kommen? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde geschaffen. Er wird deinen Fuß nicht wanken lassen; nicht schlummert dein Hüter. Nein, nicht schlummert und nicht schläft der Hüter Israels. Der HERR ist dein Hüter, der HERR dein Schatten über deiner rechten Hand, daß dich bei Tage die Sonne nicht sticht, noch der Mond in der Nacht. Der HERR behütet dich vor allem Übel,er behütet deine Seele (oder: dein Leben); der HERR behütet deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.

Alles, was ist, kommt von Gott. Alles, was geschieht, geschieht vor dem Angesicht Gottes. Alles ist unter Gottes Schutz und Führung gestellt.

Der Priester, der beim Eintritt in die Kirche die Hilfe Gottes erbittet, kann als Mensch aus sich selbst heraus keine Messe feiern. Nur mit der Hilfe Gottes, nur aufgrund der Einheit mit Christus, die ihm in der Weihe geschenkt ist, wird er fähig, die Sakramente zu spenden und Jesus Christus selbst im Wunder der Eucharistie zu den Menschen zu bringen.

Mit dem Eintritt des Priesters in die Kirche wird deutlich, dass jetzt und hier Gott in unser Leben tritt. Gott, der sonst verborgen und unsichtbar wirkt, tritt in der Einheit des Priesters mit Christus sichtbar vor mich hin. Er, der Himmel und Erde erschaffen hat, kommt zu mir, um mir den Weg zu seiner himmlischen Herrlichkeit zu zeigen und mir auf dem Weg zu dorthin zu helfen.

 

Dominus vobiscum

Der Herr sei mit euch – und mit deinem Geist!

 

Gleich mehrfach erschallt dieser Ruf in der Messe. Er markiert jeweils den Beginn eines neuen Abschnitts des Gottesdienstes. Es ist ein Segensruf, mit dem der Priester die Gemeinde zur Hinwendung zu Gott aufruft. Die Gemeinde antwortet indem sie Gott bittet, den Priester bei seinem Dienst zu leiten. Wenn der Priester sich vom Heiligen Geist führen lässt, wird er zum Hirten der Gemeinde. Wenn die Gemeinde bereit ist, sich der Führung Gottes anzuvertrauen, dann kann der Priester sie zu Gott führen. Auf dem gemeinsamen Weg zu Gott werden Priester und Gemeinde dann auch Gott in die Welt hinaustragen und so die Welt verändern.

Liturgisch ist der Ruf "Dominus vobiscum" Bischöfen, Priestern und Diakonen vorbehalten, er ist also an die Weihe gebunden. Dies macht deutlich, dass es sozusagen Jesus selbst ist, der uns zuruft: "Der Herr sei mit euch!" Es ist gleichsam ein Weckruf, denn wir stehen mit unserem Tun im Gottesdienst als Gemeinschaft vor Gott. Wir sollen wach sein, für die Anwesenheit Gottes.

Sein Vorbild hat dieser Segensruf in einer Begebenheit aus dem Alten Testament:

Buch Rut 2, 3-17

So ging sie denn hin und las auf dem Felde hinter den Schnittern her auf, und der Zufall wollte es, daß das Grundstück dem Boas gehörte, der aus der Familie Elimelechs stammte. Da kam Boas gerade aus Bethlehem und sagte zu den Schnittern: »Der HERR sei mit euch!«; sie antworteten ihm: »Der HERR segne dich!« Darauf fragte Boas den Großknecht bei seinen Schnittern: »Wem gehört das Mädchen (oder: die junge Frau) da?« Der Großknecht antwortete: »Es ist das moabitische Mädchen, das mit Noomi aus dem Lande der Moabiter heimgekehrt ist. Sie hat uns gebeten: ›Laßt mich doch Ähren lesen und zwischen den Garben sammeln hinter den Schnittern her!‹ So ist sie denn gekommen und hat ausgehalten vom frühen Morgen an bis jetzt und sich keinen Augenblick Ruhe gegönnt.«

Da sagte Boas zu Ruth: »Hörst du wohl, meine Tochter? Du brauchst auf kein anderes Feld zu gehen, um dort aufzulesen, und brauchst auch nicht von hier wegzugehen, sondern schließe dich hier an meine Mägde an! Laß deine Augen immer auf das Feld gerichtet sein, wo sie schneiden, und gehe hinter ihnen her; ich habe auch den Knechten befohlen, dich nicht zu belästigen. Und wenn du Durst hast, so gehe nur zu den Gefäßen und trinke von dem Wasser, das die Knechte geholt haben!« Da warf sie sich mit dem Angesicht vor ihm auf die Erde nieder und sagte zu ihm: »Wie kommt’s doch, daß du so freundlich gegen mich bist und dich meiner annimmst, da ich doch eine Ausländerin bin?« Boas antwortete ihr: »O es ist mir alles genau berichtet worden, was du an deiner Schwiegermutter nach dem Tode deines Mannes getan hast: Vater, Mutter und Heimatland hast du verlassen und bist zu einem Volk gezogen, das du früher nicht kanntest. Der HERR vergelte dir dein Tun, und voller Lohn möge dir zuteil werden vom HERRN, dem Gott Israels, unter dessen Flügeln du Schutz zu suchen hergekommen bist!« Da antwortete sie: »Ich danke dir für deine Freundlichkeit, mein Herr! Denn du hast mich getröstet und deiner Magd mit Herzlichkeit zugesprochen, obgleich ich nicht einmal wie eine von deinen Mägden bin.«

Zur Essenszeit sagte dann Boas zu ihr: »Komm hierher und iß mit von dem Brot und tunke deinen Bissen in den Essig!« Als sie sich nun neben die Schnitter gesetzt hatte, reichte er ihr geröstete Körner, und sie aß, bis sie satt war, und behielt noch einen Teil übrig. Als sie dann aufstand, um wieder zu lesen, gab Boas seinen Knechten den Befehl: »Sie darf auch zwischen den Garben lesen, und ihr sollt ihr nichts zuleide tun! Zieht vielmehr hin und wieder Halme für sie aus den Bündeln (oder: Schwaden) heraus und laßt sie liegen; sie mag sie dann auflesen, ohne daß ihr sie scheltet!« So las sie denn auf dem Felde bis zum Abend, und als sie dann das ausklopfte, was sie gesammelt hatte, war es beinahe ein Epha Gerste.

"Der Herr sei mit euch" ist eine Einladung von Jesus selbst an uns, in die Gemeinschaft in der Gegenwart Gottes einzutreten. Unsere Antwort: "Und mit deinem Geiste!" ruft den Heiligen Geist auf den Priester herab, damit Jesus uns durch ihn den Weg in die himmlische Herrlichkeit zeigen kann.

Aus diesem Blickwinkel bekommt die Geschichte von Boas und Rut eine tiefere Bedeutung. "… geh auf kein anderes Feld … entfern dich nicht von hier … geh hinter ihnen her …" In diesen Worten steckt die Zusage: Hier bist du richtig. Willkommen auf diesem Feld (in der Messe). Folge dem Weg, den die anderen vorangehen und du wirst alles bekommen, was du brauchst. In Boas Aufforderung "Komm und iss von dem Brot" wird eine Parallele zur Eucharistie erkennbar. Im gemeinsamen Mahl mit dem Herrn und dem, was der Herr gibt, wird Rut, werden wir Teil der Gemeinschaft derer, die mit Gott verbunden sind. Bei Rut wird auch die überreiche Fülle, mit der uns Gott beschenken möchte, sichtbar, denn "sie aß sich satt und behielt noch übrig". Ähnliches geschieht, als Jesus bei der Hochzeit in Kanaan Wasser in eine Fülle von Wein verwandelt oder bei der Speisung der Fünftausend, wo fünf Brote und zwei Fische, nachdem Jesus sie gesegnet hat, für alle reichen und noch zwölf Körbe voll übrigbleiben. Jetzt in der Messe will Gott auch uns an seiner Fülle teilhaben lassen.

Boas befiehlt seinen Knechten, für Rut zu sorgen. Diesen Aufruf können wir in unsere heutige Zeit und auf unsere Gemeinden übertragen. Als Christen sind wir eine Gemeinschaft und aufgerufen, füreinander da zu sein und uns gegenseitig zu helfen. Die Gemeinschaft, die sich hier zum Gottesdienst versammelt, reicht über den Gottesdienst hinaus. Wenn Gott das Zentrum der Gemeinschaft ist, dann muss sich das auch auf unser Leben miteinander übertragen und darin sichtbar werden.

Einen Widerhall findet der Segensruf "Der Herr sei mit euch - und mit deinem Geist!" auch im Neuen Testament. Der Ruf rahmt den zweiten Brief des Apostels Paulus an Timotheus gewissermaßen ein. In diesem Brief berät Paulus Timotheus und sagt ihm, wie er seine Gemeinde führen soll.

Zweiter Brief des Paulus an Timotheus 1, 1-2

Ich, Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 15.01.2018
ISBN: 978-3-7438-5054-5

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist für alle, denen ab und zu in der Messe langweilig ist.

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