Er lief durch die leeren Gassen und konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.
Sie dachte, dass sie Macht über ihn hätte. Sie dachte, sie könnte ihn einfach so um den Finger wickeln und so tun, als wäre er ihre Puppe. Sie lebte tatsächlich in dem Glauben, dass sie die Fäden in seinem Leben zog, dabei war sie nur ein Mädchen. Nur ein Mädchen mit großen Augen und einer verklemmten Aura. Sie konnte nicht sein, was er brauchte. Erst 17 Jahre alt und blauäugig.
Beinahe schleichend fuhr er sich durch die Haare und dachte an die erste Begegnung mit ihr.
In einer zwielichtigen Bar entdeckte er eine Frau, blondhaarig und mit hochgeschlossener Bluse. Sie hielt sich für was Besseres. Es war offensichtlich, dass sie die gesamte Bar und deren Klientel für unter ihrer Würde hielt. Ihr Blick streifte durch die tanzende Menge und er konnte den Moment beinahe körperlich spüren, als sich die Augen dieser kleinen Diva an ihn hafteten. Wissend grinsend nahm er einen großen Schluck aus seinem nun schon schal schmeckenden Bier und erwiderte ihren Blick. Plötzlich schien sie Gefallen an dem Ambiente der dunklen Bar zu finden und strich sich – versucht – lasziv durch ihre langen Haare. Er konnte dieses Verhalten nur mit einem Lächeln quittieren und sie missverstand es augenblicklich. Die scheinbare Bestätigung seinerseits machte sie mutiger und mit zu sehr schwingenden Hüfte bahnte sie sich einen Weg durch die tanzende Masse zu ihm. Man konnte deutlich erkennen, dass sie nicht die Herrin über ihre Heels war und sie stolperte mehrere Male über den klebrigen Boden, bis sie nah genug bei ihm war, damit er ihren ekelhaft blumigen Geruch riechen konnte – sie hatte es eindeutig übertrieben, mit ihren sündhaft teuren Parfum.
Als er die sie nun aus der Nähe betrachten konnte, traf ihn die Erkenntnis, dass sie noch ein Mädchen war. Ein prüdes Mädchen in einer zwielichtigen Bar.
Bevor sie auch nur ein Wort aus ihren vom Lipgloss verklebten Mund verlieren konnte, ergriff er die Initiative.
„Hey. Willst du was Bestimmtes?“, gelangweilt sah er sie an und ihre grün blauen Augen, wurden plötzlich noch größer vor Verunsicherung.
„Du… du hast mich angelächelt und ich dachte, dass du mich vielleicht gut findest.“
Das Mädchen sah ihn hoffnungsvoll an. Wie lächerlich. Doch, da er sich gerade etwas gönnerhaft fühlte, konnte er sich auch darauf einlassen – ein bisschen rum machen.
„Natürlich find ich dich gut… ich bin ja nicht der typische bekiffte 18 Jährige. Ich werde es dir beweisen.“
Es war offensichtlich, dass sie mit seinen Worten nichts anfangen konnte, doch es störte ihn nicht weiter. Er nahm ihre Hand und zog sie aus der Bar und schließlich in die Richtung seiner Wohnung, in die Richtung seines Bettes.
„Wie alt bist du?“ fragte er schließlich, um die Stille zu überbrücken. Sie war sicher ein Mensch, der sich schnell langweilte und er wollte sich seiner Sache sicher sein, er wollte sicher sein, dass seine Einschätzung stimmte.
„17 ½“ Sie schien verwirrt über die Frage, doch er klatschte sich in Gedanken selbst Beifall, er war ein Genie.
„Was hast du ihn dieser Bar gemacht?“
„Ich… ich hab eigentlich auf meinen Freund gewartet.“
Verdutzt stolperte er kurz, fing sich jedoch schnell. Ein Freund also? Nun, dann schien sie es mit der Treue nicht so zu haben.
Ihr Freund spielte jedenfalls für ihn keine Rolle.
Für sie auch nicht, als er ihr ihre Bluse aufknöpfte und ihre Lipglosslippen küsste, durch ihre blonden Haare fuhr.
Am nächsten Morgen war sie weg als er aufwachte und er war froh darüber.
Schließlich knisterte es neben ihn und er entdeckte einen Zettel, mit den Worten:
Tut mir leid. Es war nur eine Nacht. Ich habe sowieso einen Freund.
Ja, sie hat sowieso einen Freund und sie dachte tatsächlich, sie würde ihm mit ihren Abgang verletzen.
Dabei war sie nur ein Mädchen. Nur ein Mädchen, große Augen und etwas verklemmt. Nur ein Mädchen, das denkt sie könnte Herzen brechen.
Schließlich schüttelt er den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Fluchend konzentrierte er sich wieder auf die leere Straße vor ihm.
Es interessierte ihn nicht. Sie interessierte ihn nicht. Dieses kleine verzogene Püppchen hatte keine Wirkung auf ihn. Sie war nur ein Zeitvertreib gewesen.
Nur ein unglücklicher Zufall hatte ihre Leben erneut miteinander verknüpft, nach diesem Abend in der Bar.
Er hatte sie beinahe vergessen und plötzlich, nach einem Monat, stand sie vor der Tür.
Wieder war sie vollkommen zugeknöpft, doch dieses Mal war ihr zu rundes Gesicht völlig frei von Make up und er konnte die richtige Farben ihrer Lippen erkennen – ein beinahe verstörendes, lebendiges Rot. Auf einmal zogen Bilder an seinem inneren Auge vorbei: ihre vom Lipgloss verschmierten Lippen an seinem Hals. Auf seinem Mund.
Schnell fing er sich wieder und bedachte sie mit einem unwirschen Blick.
„Was zur Hölle willst du hier?“, dabei betonte er besonders das „Du“, da er sicher gehen wollte, dass sie verstand, dass sie vollkommen unerwünscht war.
„Entschuldige, ich störe nur ungern. Ich habe meinen Ohrring verloren. Ich mag diesen Ohrring.“
Er konnte sich an keinen Ohrring erinnern und selbst wenn, war er jetzt sicher nicht mehr in seiner Wohnung zu finden.
„Waren wohl teuer, huh? Tut mir leid Schätzchen, du störst umsonst. Hier ist nichts.“
Plötzlich spiegelte sich Wut in ihren Augen wieder und ihr ungewöhnlicher Mund wurde zu einem Strich. Verbissen starrte sie ihn an und drehte sich schließlich einfach um und ging.
Noch nie hatte man ihn einfach stehen lassen!
Kopfschüttelnd schmiss er die Tür zu und widmete sich wieder seinem Leben und hoffte, dass das Prinzesschen nie wieder auftauchen würde.
Weit gefehlt.
Der junge Mann auf der leeren Straße musste nun herzlich lachen.
Wie hatte er nur glauben können, dass sie aufgeben würde?
Bereits 3 Tage später stand sie wieder vor der Tür, dieses Mal mit dem passenden Gegenstück des Ohrrings, damit er wusste, nach was er suchen musste und er hatte tatsächlich gesucht. Intuitiv hatte er gewusst, dass sie bleiben würde. So lange, bis der dämliche Ohrring wieder da sein und an ihrem Ohrläppchen baumeln würde.
Und in dem Moment, als er unter seinem Bett lag und sich eigentlich fragte, wie sie ihn dazu gebracht hatte sich so zu erniedrigen, da begann es. Das 17 ½ jährige Mädchen begann zu glauben, sie hätte Macht über ihn. Sie begann zu glauben, dass sie sein Herz brechen könnte.
Und es war auch der Zeitpunkt, in der ihr auffiel, dass sie seinen Namen nicht kannte.
Es hatte ihn nie interessiert, wie sie hieß und es war auch nicht für ihn von Interesse, dass sie seinen Namen kannte.
Jedoch, war sie hartnäckig und sie fragte immer wieder, mit ihrer viel zu hohen Stimme, wenn sie versuchte streng zu sein.
„Lex.“, knurrte er schließlich und klopfte sich den Staub von der schwarzen Hose, als er aufstand.
„Und es befindet sich kein verdammter Ohrring unter meinem Bett. Hast du das Ding nicht vielleicht bei deinem Freund liegen, Schätzchen?“
Auf ihren Lover angesprochen zuckte sie kurz zusammen und verneinte schließlich. Sicher, Madame hielt sich für unfehlbar und war sich ihrer Sache vollkommen sicher. Er hasste solche Weiber und er hasste ihren Geruch, dieses Parfum in dem sie zu baden schien war wirklich ekelerregend.
„Willst du nicht meinen Namen wissen, Lex?“
Sie sprach seinen Namen seltsam aus, sie zog das „e“ zu lang und überhaupt schien sie sich unwohl zu fühlen die Kurzform seines Namens zu benutzen.
„Nein.“, erwiderte er schlicht, doch das interessierte sie nicht, denn sie redete einfach weiter.
„Mein Name ist Amelia und ich hasse Spitznamen.“
„Schön für dich, spielt für mich keine Rolle.“
Lex würde ihren Namen nicht oft genug benutzen, um mit Spitznamen zu beginnen.
Sie stand wie ein Fremdkörper in seinem Zimmer. Ihr rosa Kleid stach schmerzhaft hervor, zwischen den größtenteils dunklen Möbeln und der männlichen Aura des Zimmers.
Sie hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und sah aus wie eine Jungfer in Nöten. In diesem Moment sah sie aus wie 14 und nicht wie 17 ½.
Da war nichts an ihr, was er als anziehend bezeichnet hätte und doch konnte er seine Augen nicht von ihr lassen.
Amelia wurde immer unruhiger unter seinen Blicken und verschwand schließlich erneut so schnell, wie sie gekommen war.
Ja, sie war einfach gegangen. Schon wieder. Erneut stand er wie ein Trottel in seinem Schlafzimmer, mit dreckigen Jeans und wirren Gedanken und er hatte sie gehasst.
Er hasste sie immer noch.
Amelia. Er wünschte, dass er sie niemals gesehen hätte.
Niemals seine Hände ihre Bluse aufgeknöpft hätten.
Und dennoch war sie immer wieder gekommen. Sie hatte nie locker gelassen.
Irgendwann war ihm klar geworden, dass es ihr keines falls um den Ohrring ging.
Sie dachte sie müsste ihn retten. Das Mädchen aus gutem Hause und er, der Kerl, der in einer Einzimmerwohnung hauste. Wohlmöglich fand sie die scheinbare Gefahr aufregend. Noch ein kleines Mädchen, das von bösen Jungs angezogen wurde.
Sie hatte ihre schiefe Nase zu oft in irgendwelche Liebesromane gesteckt.
Er war weder ein böser Junge, noch benötigte er Rettung. Er war ein ganz normaler 18 Jähriger, der von Mädchen genervt war und seine Ruhe haben wollte.
Er war kein Held, sie nicht seine Prinzessin und er legte keinen Wert darauf Zeit mit ihr zu verbringen.
Doch, je öfter er sie von sich stieß, desto mehr fühlte sie sich bestätigt.
Sie kam und verschwand wie es ihr passte und er glaubte, dass er den Verstand verlor.
Amelia spielte mit ihm. Er spürte es genau. Ihre Kleider wurden offenherziger, ihre Haare fielen in sanften Wellen auf ihren Rücken und auf einmal wirkte ihr Gesicht herzförmig. Ihr Mund trieb ihn in den Wahnsinn und sie wusste es. Ebenso nahm er viel zu genau war, dass sie ihr Parfum gewechselt hatte. Dieser Erdbeerduft drehte seinen Magen um, dennoch leider nicht auf die ekelerregende Weise, die er normal gefunden hätte.
Auf einmal begann er die Art und Weise zu mögen, wie sie ihn „Lex“ nannte, plötzlich erschien es vollkommen falsch, wenn Jemand seinen Namen anders aussprach.
Es beherrschte nur noch ein Gedanke sein Hirn – es sponn keine Pläne mehr, wie er sie los werden konnte, es spukte nur ein Satz in seinen wilden Emotionen herum: Sie hat sowieso einen Freund.
Und er hasste sie. Er hasste sie dafür, dass sie ständig da war, dass sie nicht aufgab. Er hasste sie, da sie sowieso einen Freund hatte.
Immer öfter lag er wach in der Nacht. Er sah ihren überheblichen Blick vor sich. Ihre zu großen Augen die ihn anstarrten. Ihren verfluchten Mund, der auf ihn einredete.
Und dann entschloss er das ein für alle Mal zu beenden. Er ging los, suchte ihr Haus und fand sie. Mitten in der Nacht stand er vor ihrer Tür und brüllte sie an.
Amelia. Sie starrte ihn an, in ihrem lächerlichen alten Schlafanzug und schluckte.
„Du hast sowieso einen Freund! Was soll das?!“
„Habe ich nicht. Ich habe dich angelogen. Ich dachte du würdest mich so interessanter finden. Dann wäre ich etwas, was du nicht haben kannst.“
Lex stockte in seiner Schimpftirade, starrte dieses furchtbare Mädchen an und ging.
Sie hatte ihn manipuliert. Sie dachte tatsächlich sie könnte sein Verhalten kalkulieren.
Dieses verdammte Mädchen! Dieses verdammte kleine Mädchen!
Nur ein Mädchen. Immer wieder sagte er sich „Nur ein Mädchen“.
Und nun stand er hier in der Nacht und kickte leere Bierdosen vom Straßenrand.
Als die Wut verraucht war setze er sich auf den kalten Asphalt und kramte seine Hände in die Taschen seiner Jeans und seine Finger fanden etwas.
Überrascht zog er es aus den untiefen seiner Hosentasche und erkannte den kleinen Gegenstand.
Der Ohrring. Das verdammte Teil! Fluchend schleuderte er ihn in die Dunkelheit und steckte seine Hand ruppig zurück in die Tasche.
Das Mädel konnte nicht sein, was er brauchte. Sie war erst 17 ½ und er wusste von Anfang an, dass sie nur Ärger bedeuten würde.
Und doch beherrschte ihn nur ein Satz: „Sie hat sowieso keinen Freund.“
Keinen Freund. Kein Freund. Niemanden.
Erneut fluchend setzte er sich in Bewegung und versuchte den Ohrring wieder zu finden.
Einige Stunden später stand er erneut vor ihrer Tür. Halb erfroren und umso mehr genervt.
Und wieder stand sie vor ihm in dem bescheuerten Fummel und unordentlichen Haaren.
„Du bist nur ein kleines Mädchen, das keine Grenzen kennt. Und du denkst wie deine gesamte Rasse, dass du eine kleine Herzensbrecherin bist. Du denkst, dass du unwiderstehlich bist mit deinen Augen und deinem prüden Gehabe. Es gibt verdammt viele Dinge an dir, die ich ätzend finde. Du gehst mir so sehr auf die Nerven, wie vorher sonst noch nie Jemand. Aber ab jetzt, wenn du wieder mal in einer schmierigen Bar rum hängst, mit zu viel Lipgloss drauf, dann denk dran, dass du sowieso einen Freund hast und gefälligst wirklich auf mich wartest!“
Erschrocken starrte sie ihn an und grinste schließlich siegessicher.
Und sie hatte tatsächlich gewonnen.
Selbst Monate später fragte er sich, was aus seinem Wunsch nur ein bisschen rum zu machen geworden war.
Er hatte ihr nur die Bluse aufgeknöpft und nun lebte sie in seinem Haus.
Das kleine Mädchen, das nun nicht mehr 17 ½ war.
Tag der Veröffentlichung: 14.05.2018
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