Es fing alles an einem sonnigen Augusttag an. Das Licht drang durch die Jalousie am Fenster, das warme Sonnenlicht weckte mich. Ich sah mich in meinem Zimmer um und lächelte. Wir kamen gestern in unserem Ferienhaus an der Nordsee an, sonst machten wir die letzten Jahre immer Urlaub in Spanien oder Italien. Dort fand ich es auch nett, aber meine Welt war es nicht. Da war es viel schöner, wieder hier zu sein. Hier im vertrauten Haus. Nach dem Öffnen des Fensters atmete ich die frische Meeresluft tief ein und war sehr glücklich. Das Erste was ich danach machte, war natürlich ins Bad gehen. Ich sprang schnell unter die Dusche, putzte mir meine Zähne und band meine langen braunen Haare zu einem Zopf zusammen, so trug ich es am liebsten. Als ich fertig war zog ich mir meinen Bademantel über und lief mit noch feuchten, aber gut riechenden Haaren durchs Haus zurück in mein Zimmer. Mein Zimmer lag an der Südseite des Hauses, es hatte einen schönen hellen Laminatboden und gelb-gestrichene Wände, so wie ich es auch zu Hause hatte. Das Zimmer an sich war zwar nicht gerade groß, aber es hatte genug Platz für mein großes Bett und meinen Schrank, der vollgestopft war mit meinen ganzen Klamotten. Auf meinem Schreibtisch lag mein Laptop (neben meinem Block und einem Stift). In der rechten Ecke stand eine Musikanlage, die ich abends immer anschalte, wenn ich nachdachte und direkt daneben mein kleiner Fernseher, falls ich einen Film sehen wollte. Ich stand, wie morgens so üblich, vor meinem Schrank. Die Entscheidung für mein Outfit fiel mir nicht schwer, da ich eigentlich nichts besonderes vor hatte. Ich nahm eine Jeans-Caprihose und ein gelbes Tank Top und zog dies an. Dazu würden jetzt eigentlich gemütliche Flipflops passen. Wo waren die nur abgeblieben?
>>Mum???<<, rief ich durchs Haus. Meine Mutter war eine ganz gewöhnliche Hausfrau, sie hatte früh meinen Vater kennen gelernt und geheiratet. Da er ein doch bekannter Anwalt war, musste sie nun nicht mehr arbeiten.
>>Wir sind hier draußen Lucy!<< hörte ich meine Mutter rufen. Also ging ich durchs Wohnzimmer und sah meine Eltern auf der Terrasse frühstücken.
>> Setz dich doch Kind. Wir haben gerade erst angefangen<< bat mich mein Vater und schob den dritten Stuhl am Tisch ein Stück zurück. Ich war zwar mit 17 nicht mehr wirklich ein Kind, aber ich hörte auf ihn und setzte mich zu ihnen. Meine Mutter gab mir ein Brötchen und die Flasche frische Milch. Das reichte mir, mehr bekam ich morgens einfach nicht runter, auch wenn ich mehr essen wollte.
>>Mum, weißt du wo meine Flipflops sind? << fragte ich beiläufig
>>Ich meine die blauen...<<.
Sie unterbrach mich:>>Ach die, die du gestern bei Frau Möllemann gekauft hast?! Ich glaube die stehen an der Haustüre, schau doch gleich mal nach.<<
Frau Möllemann besaß einen kleinen Einkaufsladen in der Stadtmitte, dort war ich früher immer, wenn meine Mutter irgendetwas brauchte und ich es für sie holen musste oder konnte, denn ich tat es gern.
>>Ach stimmt, danke Mum<<. Ich hatte vergessen, dass ich sie dort gestern Abend einfach hingestellt hatte, da ich todmüde war. Ich aß mein Frühstück auf und unterhielt mich noch etwas mit meinen Eltern. Als ich gerade mein Geschirr aufräumen wollte, fing mein Vater an zu sprechen.
>>Lucy, wartest du bitte kurz?<<
>>Natürlich Papa<<
Kaum hatte ich meinen Teller wieder hingestellt, sprach er in ruhigem Ton los und sah mich dabei an.
>>Eigentlich wollten wir hier noch einen schönen Urlaub haben, aber deine Mutter meinte du solltest es so bald wie möglich erfahren.<<
Ich schaute die beiden abwechselnd mit fragendem Blick an.
>>Was erfahren? Was meint ihr?<<
>>Lucy, liebes. Dein Vater und ich...<< Meine Mutter versuchte es mir zu sagen, doch sie schluchzte nur.
>>Was? Was wollt ihr mir sagen?<< drängte ich. Mein Vater behielt trotz allem einen ruhigen Ton und mir kam es so vor, als sei es ihm egal.
>>Es tut mir Leid, dass ich den Urlaub kaputt mache, aber ich und deine Mutter.. wir... werden uns trennen!<<
Ich starrte ihn geschockt an.
>>Das meint ihr doch nicht etwa auch noch ernst? Wie könnt ihr nur?<< das war alles was ich noch sagen konnte. Ich nahm mein Geschirr und ging ohne ein weiteres Wort zu sagen in die Küche. Vor lauter Wut und gleichzeitiger Trauer fiel mir das Geschirr runter und zerbrach laut scheppernd in 1000 Teile. Eine Glasscherbe schnitt mir in den Fuß doch ich wollte jetzt alleine sein. Ich musste hier einfach weg! Ich schnappte mir eine Packung Taschentücher, die Pflaster lagen auch griffbereit, und rannte durch die Haustüre nach draußen. Meine Mutter, die weinend nach mir rief, hörte ich noch eine Weile, doch ich drehte mich nicht mehr um.
Ich spürte das nasse Gras an meinen Füßen, und sah den Stadtgärtner der die Blumen am Rathaus goss.
>>Hallo Lucy, schön dass ihr da seid!<< rief er mir zu. Natürlich kannte hier jeder jeden, es war nicht wirklich eine Stadt. Die Einwohnerzahl betrug nicht mal 300 Menschen und die meisten kamen sowieso nur einmal alle paar Jahre hier her. Es waren immer die selben wenigen die regelmäßig hier waren oder diejenigen die immer hier wohnten.
Ich hatte jetzt aber keine Lust zu reden, und winkte ihm nur schnell während ich weiter rannte.
Als das Haus außer Sichtweite war, versorgte ich meine Wunde. Naja, es war eher ein Kratzer, es blutete noch ein wenig, aber das würde bald verheilen. Ich lief weiter um an meinen Lieblingsplatz zu gelangen, es dauerte keine halbe Stunde und ich war schon da.
Es war ein leer stehender Leuchtturm. Vor dem Leuchtturm stand noch ein kleines Haus, aber die Treppe zur Tür des Turms war mein Lieblingsplatz, an diesem Ort verbrachte ich mehr Zeit in meinen Ferien, als sonst wo. Immer dann war ich hier, wenn ich alleine sein wollte oder ich etwas wichtiges mit meiner besten Freundin zu reden hatte. So wie jetzt, ich nahm mein Handy und wählte ihre Nummer. Mir liefen die Tränen nicht mehr so sehr über die Wangen als vorher, ich räusperte mich kurz, damit sie meine Stimme auch ohne Probleme verstehen konnte. Es klingelte eine ganze Weile, doch sie ging nicht ran. „Dann eben auf die Mailbox“, dachte ich.
>>Hey Mina, ich bins, Lucy. Du hörst vielleicht, wie es mir gerade geht. Ziemlich.. na du weißt schon. Meine Eltern lassen sich scheiden. Und sie finden keinen besseren Zeitpunkt als den Beginn unseres Urlaubes um mir das zu sagen. Melde dich bitte, ich muss dringend reden!<<
Nach dem "Telefonat" hatte ich mich etwas beruhigt und ich versuchte die Aussicht zu genießen.
Kkkrrhhzzz.. Was war DAS??
Ich blickte um mich herum, wusste nicht was ich tun sollte. Ich wischte mir erst mal die Tränen aus dem Gesicht, und irgendetwas brachte mich dazu nach zuschauen. Aus dem Turm, so glaubte ich jedenfalls, kam das Geräusch. Während ich darüber nachdachte,ob ich es wirklich tun oder doch lieber woanders hingehen sollte, hatte ich auch schon an der Tür geklopft.
>> Moment!<< hörte ich jemanden sagen. Ich spürte, wie mein Herz anfing noch schneller zu pochen, denn es könnte sich alles mögliche drinnen abgespielt haben. Die Stimme hörte sich zwar sehr sympathisch an, aber man weiß ja nie. Ich starrte die Tür an, und es kam mir so vor, als würde diese wie in Zeitlupe aufgehen, sodass ich genug Zeit hätte ,wenn nötig, wegzulaufen. Doch dafür gab es überhaupt keinen Grund, musste ich erleichtert feststellen.
Vor mir stand ER! Ein gut aussehender, junger Mann. Er hatte hellbraune Augen, etwas längere schwarze Haare und einen leichten Bart. Seine Haut war so rein. Seine Lippen wohl geformt, und er roch so gut! Erst schaute er mich komisch, dann fragend an, doch dann lächelte er.
>>Äh hi, kann ich dir irgendwie behilflich sein?<<
Ich merkte gar nicht, dass ich ihn die ganze Zeit anstarrte, ja sogar anschmachtete. Ich schloss für einen Moment meine Augen, schüttelte meinen Kopf um wieder klar zu denken.
>> Oh hi, ich wusste nicht.. ähm... das hier jemand wohnt. Und dann hatte ich Geräusche gehört.<< versuchte ich es ihm zu erklären, während ich nochmal schnell über mein Gesicht wischte.
>>Ach so, ja, der Turm stand ja ne Weile leer. Du kommst wohl öfters hierher?!<< Er wusste wohl, dass ich nicht zum ersten Mal hier war.
>>Ja, jeden Sommer wenn ich mit meinen Eltern hier bin.. oder hier sein muss.... Aber ich will dich auch gar nicht stören, also...<<. Ich hob meine Hand in seine Richtung während ich mich zur Treppe drehte und war schon ein paar Schritte gegangen. Ich schlug mir selbst mir der flachen Hand gegen die Stirn. „Was war das denn, Lucy?!“ sagte ich mir gedanklich selbst. „Warum bin ich immer so verdammt schüchtern, wenn ich einen Typ sehe der mir gefällt?“ Ein letztes Mal musste ich mich noch umdrehen, vielleicht stand er ja noch da und hatte alles mitbekommen, doch ich bereute es gleich wieder. Er hatte wohl schon genug von mir, denn er war nicht mehr zu sehen, oder er hatte alles gesehen und würde sich jetzt über mich kaputt lachen. Mit gesenktem Kopf lief ich zum Meer und setzte mich auf einen großen Stein, so hatte ich immerhin den Leuchtturm noch gut in Sicht und hoffte, dass er mich vielleicht sah und nochmal raus kam. Aber warum auch? Ich war irgendein Mädchen, dass mit verheulten Augen an seiner Tür klopfte und danach einfach ging, und ich ging nicht ganz normal Weg, nein ich schlug mich auch noch selbst. Da kann man ja nicht erwarten, dass er mir hinter herruft und mich womöglich trösten will, wie in einem Liebesfilm. Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser konnte ich ihn verstehen. Nach einer Weile schaute ich auf mein Handy. 17:46 Uhr. Wo ist die Zeit nur hin? Jetzt saß ich schon mehr als 3 Stunden einfach nur am Strand und dachte nach, oder weinte. Ich blickte nochmal zum Leuchtturm. Nichts. Sollte ich etwa nochmal hingehen, und mich entschuldigen? Für meinen peinlichen Auftritt, natürlich. Ich hielt dies für eine, sagen wir mal, akzeptable Idee und stand zumindest schon mal auf. Ich klopfte mir den Sand von der Hose. Ich hatte mich wohl in Gedanken versunken vom Stein auf den Sand gesetzt. Ich wischte mein Gesicht endgültig trocken und blieb noch einen Moment lang über das Meer schauend stehen. Es tat so gut, nur das Meeresrauschen zu hören. Wie ich das vermisst habe und vermissen werde. Aber ich war ja noch 3 Wochen hier, und würde wohl jeden Abend hier her kommen, wenn es auch nur wäre, um das Meer zu hören. Und um alles andere hoffentlich zu vergessen.
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2012
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