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Die Welt sinnlich erfahren, das ist etwas Wunderbares. Stille hören, in sanften Farben versinken. Abtauchen und Kraft schöpfen.

Die Natur bietet vielfältige Möglichkeiten dafür. Leider spielt sich unser Alltag nicht mehr überwiegend in der Natur ab. Unser Leben ist laut geworden. Laut und grellbunt. Die überwiegende Zahl der Menschen scheint das wenig zu stören. Sie übertreffen sich gegenseitig in immer neuen Variationen von Schall und Farbzusammensetzung.

Schlecht für die, die über sehr sensible Sinne verfügen. Sie ertrinken in einem Meer aus Überreizung. Flucht ist selten möglich.
Die Folge ist Dauerstress. Dis-Stress, der krank macht, den Körper und die Seele schwächt.

Ich möchte mit den nachfolgenden Texten zeigen, wie sich diese Überforderung anfühlt. Welche Probleme sie bereitet. Und was man tun kann, um seine Sinnesfühler so gut es geht zu schützen.

Situationen



Eins



„Boom-boom“. Die jungen Leute über ihrer Wohnung feiern den Start ins Wochenende. Sie tun es laut, mit Techno-Musik. Die Bässe hämmern.
Sie sitzt in ihrem Zimmer, versucht zu lesen. Aber sie kann sich nicht konzentrieren. Vor ihren Augen tanzen die Buchstaben.
„Boom-boom“, die Musik ist unerträglich. Sie ist wie ein grelles Farbenmeer, das die Nerven mit immer höheren Wellen überschwemmt,geht durch den ganzen Körper, der Magen krampft sich zusammen. Der Bass kriecht durch die Haut und lässt ihr Inneres vibrieren. Sie fühlt sich hilflos ausgeliefert.
Aufstehen, sich ablenken, es hilft nur kurz. Die Töne verfolgen sie durch die ganze Wohnung. Tränen steigen in ihre Augen. Sie möchte sich verkriechen, wünscht sich eine dunkle Höhle, tief im Wald. Der Stresspegel steigt. Sie ist hin und her gerissen zwischen Verzweiflung und Aggression. Aber sie kann nichts tun. Die Party war angekündigt, die jungen Leute dürfen feiern. Das weiß sie und will es ihnen ja auch auf keinen Fall verderben. Sie können nichts dafür, dass die Geräusche sie wahnsinnig machen. Es ist ihr Problem, nicht das der Feiernden.

Irgendwann ist diese Party zu Ende. Die Stille, die folgt ist ein Genuss. Sie sitzt noch lange in ihrem Sessel und lauscht ihr. Sieht sie vor sich, freundlich und wohltuend. Langsam sinkt das Adrenalin. Die gereizten Nerven beruhigen sich. Für diesmal ist es überstanden.

Zwei



Junge Frauen gehen gern mit der Mode. Das war schon immer so. Ein Naturgesetz. Sie hat viel mit jungen Frauen zu tun, unterrichte sie. Und ist den Launen der Mode ausgeliefert. Manchmal sind diese Launen erfreulich. Aber bisweilen auch nicht.

Vor einigen Jahren waren in einem Sommer Neonfarben „in“ .Grün, Gelb, Pink, Orange. Und sie stand vor ihrer Klasse, die Sinne ausgeliefert einer Kakophonie von Farben. Was für ihre Mädels Sinnesfreude, Lebensfreude ausdrückte, das war für sie Tortur. Die Farben schrieen sie an. Konzentration fiel in den ersten Minuten des Unterrichts schwer. Die Gesichter vor ihr verschwammen, nur ein Meer aus Neonfeuer schien sich vor ihr auszubreiten.

Die Pausen genoss sie in dem Sommer sehr. Zu ihrem Glück liegt die Schule direkt an einem Wald. Dorthin floh sie. Und beruhigte mit dem satten Grün des Laubes und dem warmen Braun der Stämme ihre Nerven.


Drei



Beruflich muss er viel im Net surfen. Manchmal ist das sehr anstrengend. Die Seitenbetreiber wollen Geld verdienen. Sie brauchen Sponsoren. Das ist sehr gut verständlich.
Die Werbung, die geschaltet wird, sie soll „ins Auge springen“. Also blinkt es, aufdringlich, aggressiv. Aber ihm springt sie nicht nur ins Auge, sie springt ins Gehirn. Raumfordernd.

Je mehr er versucht, nicht hinzuschauen, sondern sich auf die anderen Inhalte der Seite zu konzentrieren, desto größer wird die Macht der blinkenden Botschaften. Sie überlagern seine Sinne, sie spielen mit ihm, vor allem, wenn die Nerven angeschlagen sind. Wegblenden wird dann unmöglich. Schon so manche Seite hat er zunächst einmal schnell wieder geschlossen.

Diese Art der Werbung ist bei ihm kontraproduktiv. Sie macht ihn nicht neugierig auf das umworbene Produkt, sie weckt Aggressionen dagegen.

Vier



Aus dem Lautsprecher dudelt ein Schlager, viel zu laut. An einem Regal arbeitet ein Handwerker mit seiner Bohrmaschine. Ein Baby schreit im Kinderwagen. Es ist müde oder hungrig.

Eigentlich geht sie gerne einkaufen. Es macht ihr Freude, die frischen Zutaten für eine Mahlzeit zu besorgen, in Gedanken das Essen zu komponieren. Sie mag den Anblick von appetitlich ausgelegtem Obst, freut sich an den vielen verschiedenen Gemüsesorten.

Aber wenn der Lärm im Geschäft überhand nimmt, wenn es von allen Seiten dröhnt und schallt, dann hetzt sie durch die Gänge. Sie will nur so schnell wie möglich raus. Der Einkauf ist Qual, kein Genuss.


Strategien



Für überdurchschnittlich empfindsame Sinne ist in unserem lauten, bunten Alltag Schutz notwendig. Rücksicht kann selten erwartet oder eingefordert werden. Deswegen müssen Strategien gefunden werden, die Grenzen gegenüber den flutenden Reizen ziehen. Strategien, die eine Rückzugsmöglichkeit bieten.
Wie sie aussehen, welche helfen, das muss jeder für sich herausfinden. Und mit den verschiedenen Möglichkeiten experimentieren.
Daher sind die folgenden Vorschläge, die mit der Technik der Visualisierung und der Trance arbeiten, nur Gedankenanregungen. Sie sind kein Versprechen auf Hilfe.


Eins





Wenn Sinne zu empfindsam sind, wenn das Draußen zu sehr die eigenen Grenzen bedrängt, dann helfen Bilder im Kopf.

Rauch ist ein wunderbares Bild. Er zeichnet weich, nimmt die bedrohlichen Farben heraus, filtert schrille Töne. Rauch ist ein Kind des Feuers. Und Feuer setzt Grenzen, Grenzen, die nicht überschritten werden. Die wilden Tiere der Geräusche, der Farben, der nicht kontrollierbaren Gefühle, sie weichen zurück, wenn wir im Kopf das Rauchbild abrufen. Wir setzen eine Grenze. Bis hierher, nicht weiter!

Zwei





Kerzenlicht ist Entspannung. Es ist warm, tröstlich. Eine Kerze anzuzünden und die Flamme zu betrachten, kann Ruhe und Frieden bringen.

Beim Betrachten entstehen Bilder im Kopf. Sie können genutzt werden, Sinne zu schützen.


Der Elfentanz ist ein Beispiel für solch ein Bild:

Im Licht der Flamme tanzen Elfen. Die Sinne auf sie fokussiert, tauchen wir ein in das warme Licht. Die Welt um uns herum verschwindet in weicher Watte. Wir lauschen den harmonischen Klängen der singenden Elfen. Keine Disharmonie in Farben und Lauten. Aus unseren Eindrücken formen wir ein Schild aus Elfenfeuer. Und tragen es in unsere Welt. Eine Zeitlang kann es uns schützen.


Drei





Ein Spaziergang in der Natur ist Balsam für die Seele, für die Sinne. Warum nicht dieses Erlebnis mit in den Alltag nehmen und es einsetzen gegen Reizüberflutung?
Das gehtz.B. mit Hilfe eines kleinen Steines. Während des Spaziergangs wird er in der Hand gehalten. Dann stellen wir uns vor, er ist ein Speicher. Ein Speicher für all die angenehmen Eindrücke, die uns begegnen. Wir laden ihn damit auf.
Und wenn wieder zu viel auf uns einströmt, dann nehmen wir ihn in die Hand. Und rufen ab, was uns so angenehm war.


Vier





Nicht nur Augen und Ohren sind oft zu empfindsam, auch Empathie kann überfordern. Wenn sie seelische oder körperliche Schmerzen zu intensiv mitempfinden läßt. So intensiv, dass man sich selber krank fühlt. Da hilft Selbsthypnose/Trance.

Ein Beispiel.

Ein sehr lieber Mensch litt im Krankenhaus. Besuche raubten ihr immer mehr Kraft. Sie nahm sein Leiden jedesmal mit. Sie "fühlte" es.
Sie half sich mit Selbsthypnose.

Ohne genaue Vorgabe, nur mit dem Wunsch nach Schutz und Kraft ging sie in Trance. In ihrer Vorstellung stand stand sie plötzlich auf einem Sonnenblumenfeld. Sie schilderte den Blumen den Grund ihres Daseins. Und die Pflanzen lösten sich von der Erde, schwebten in ihrer Phantasie zum Krankenhaus und regneten dort herab. Das ganze Gelände war mit Sonnenblumen bedeckt.
Zurück aus der Hypnose fühlte sie sich getröstet und gestärkt. Eine grosse Sonnenblume brachte sie das nächste Mal mit zu ihrem Krankenbesuch.
Und immer, wenn sie das Mitleiden zu stark packte, dann schloss sie kurz die Augen und sah den warmen Sonnenblumenregen.

Impressum

Texte: Text und Bilder: Regina Krause
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die hochempfindsame Sinne haben.

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