Donnerstag, am Nachmittag
„Stell Dir doch einmal vor: Vollmond, eine warme Sommernacht. Keine störenden Geräusche. Nur wir beide und ein Picknick-Korb.“ Er schaute in ihr Gesicht. Müde sah sie aus, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Die letzten Wochen hatten ihr viel abverlangt. Sie brauchte dringend Entspannung, Erholung.
„Ich weiß nicht“, ihr Blick wich seinem aus. „Ich werde den ganzen Tag unterwegs sein. Danach ist mir bestimmt nur nach schlafen. Es tut mir Leid, meine Antwort ist nein.“
„So schnell gebe ich nicht auf“, er kramte in seiner Tasche. „Hier, schau, eine Münze. Sie soll entscheiden. Kopf oder Zahl?“
Sie lächelte resigniert. Er hatte ja auch nicht ganz unrecht. In ihrer Phantasie sah sie die kleine Lichtung im Wald, in der Nähe des Sees. Ein verlockendes Bild, dort mit ihm allein zu sein. Sie würde vielleicht endlich einmal wieder den Kopf frei bekommen.
Sie gab sich einen Ruck. „Okay, lassen wir die Münze entscheiden. Ich wähle Kopf“.
Er warf das Geldstück in die Luft und fing es auf dem Handrücken auf. „Zahl!“ jubelte er und umarmte sie stürmisch. „ Also, abgemacht. Morgen Nacht um 11 Uhr auf der Lichtung im Schlosswald. Ich werde alles besorgen. Du musst Dich um nichts kümmern.“ Zärtlich küsste er sie. Dann nahm er seinen Autoschlüssel und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Es wird eine unvergessliche Nacht werden, ich verspreche es Dir.“ Sie lächelte und warf ihm eine Kusshand zu.
Die Kälte, die sie plötzlich streifte, als die Tür sich hinter ihm schloss, schob sie auf ihre Müdigkeit.
Freitag, in der Nacht
„Und, was meinst Du?, fragte er. „Es hat sich doch gelohnt, dass wir hergekommen sind.“
Sie betrachtete die Silhouette seines Profils, das im Mondlicht weich und entspannt aussah. Wie sie ihn liebte. Er war ihr Fels in der Brandung. Ohne ihn hätte sie die letzten Wochen nicht überstanden. Seine Ruhe, seine Stärke bildeten einen Schutzkokon um sie.
Sanft streichelte sie seine Hand. „Ja, es hat sich gelohnt. Danke für dieses wundervolle Moonlight-Dinner.“ Eng kuschelte sie sich an ihn. Beide schlossen die Augen und genossen die Ruhe, die Nähe zueinander. Langsam fielen die Sorgen und Probleme der letzten Zeit von ihr ab.
Plötzlich schreckten sie hoch. Ein beißender Geruch breitet sich aus. Taghell war es. Um sie herum
loderten Flammen. Der Wald um die kleine Lichtung brannte.
Panik erfasste sie. Sie rafften ihre Sachen zusammen und suchten mit den Augen hektisch nach einer Lücke in der Flammenwand. Schnell erkannten sie, dass ihnen der Weg zum Auto, zur Straße versperrt war. Etwas brach durch das brennende Unterholz. Ein Reh jagte mit angstvoll geweiteten Augen an ihnen vorbei in Richtung See.
Sie erkannte die Chance. „Schnell!“ ihre Stimme überschlug sich , „zum See, ins Wasser, der Weg dorthin ist noch frei!“ Sie packte seine Hand, die den Picknick-Korb anheben wollte. „Lass die Sachen liegen , sie hindern uns nur. Wir müssen weg hier, schnell weg.“ Sie rannten los, beißender Rauch ließ ihre Augen tränen, behinderte die Sicht.
Das Feuer hinter ihnen brüllte und fauchte. Zweige knackten, heißer Wind hüllte sie in einen Funkenregen.ein. Es roch nach versengten Haaren, versengter Haut.
Sie stolperte, Schmerzen schossen durch ihr rechtes Fußgelenk. Er riss sie hoch. „Weiterlaufen!“ brüllte er. Die Panik ließ sie den Schmerz vergessen, das Adrenalin verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Sie merkte nicht, dass seine Hand sie losgelassen hatte.
Da war der See. Mit letzter Kraft rettete sie sich ins Wasser. Erst jetzt fiel ihr auf , dass er nicht mehr hinter ihr war. Sie schaute zum Ufer, dem sich das Flammenmeer bedrohlich näherte. Keine Spur von ihm. Sie schrie.
Samstag, am frühen Morgen
Schweißgebadet wachte sie auf. Sie zitterte am ganzen Körper, Tränen rollten über ihr Gesicht. Dunkel erinnerte sie sich an einen fürchterlichen Albtraum. An Feuer, Schmerzen, Verzweiflung. Und an den schrecklichen Verlust.
Benommen schaute sie auf den Wecker und erschrak. Es war 6 Uhr morgens.Sie hatte das Dinner verschlafen! Nur eine Stunde hatte sie sich gestern Abend hinlegen wollen. Nur etwas ausruhen. Aber sie musste fest eingeschlafen sein.
Noch immer zitternd ging sie in die Küche. Der Anrufbeantworter blinkte. Um 0.10 Uhr war eine Nachricht eingegangen. Sicher war sie von ihm, er hatte bestimmt geduldig auf sie gewartet. Allein auf der Lichtung. Sie seufzte, sie wollte die Meldung jetzt nicht hören. Erst brauchte sie einen Kaffee. Die Nachwirkungen des Traums zerrten noch immer an ihren Nerven.
Während das Wasser durch die Maschine lief und sich wohltuender Kaffeegeruch in der Küche ausbreitete, holte sie die Morgenzeitung herein. Vor dem Küchenfenster, durch das ein wunderbarer Sonnenaufgang den erwachenden Tag in warmes Licht tauchte, nahm sie Platz. Der Kaffee belebte ihren Körper. Sie blätterte in der Zeitung und überflog den Lokalteil. Dann blieb ihr Blick an den Meldungen „In letzter Minute“ hängen.
„Gestern Nacht gegen 24 Uhr kam es zu einem verheerenden Brand im Schlosswald. Das Feuer brach an drei Stellen gleichzeitig aus. Die Polizei vermutet Brandstiftung. In der Nähe des Waldes wurde ein Auto gefunden. Von den Insassen fehlt bisher jede Spur.“
Texte: Bilder und Text: Regina Krause
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Söhne und Alex. Sie haben mir Mut gemacht, mich mit einer Geschichte dieser Art auf neues Terrain zu wagen.