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Prolog
Verschwommene Erinnerungen
Quarantäne
Im Katzenzwinger
Lektion 1
Lektion 2
Die Eroberung
Abgeholt


Prolog



Ich hatte in meinem Katzenleben schon viele Namen. „Miststück“, „Bastard“, „Mieze“, „Kleiner“ „Buddha“.
Jetzt heiße ich Poppey. Mein Rudel sagt, ich hätte einen Gang wie ein Seemann. Deswegen der Name.
Ich hätte sie auch an den Gang eines Cowboys erinnern können. Dann hieße ich jetzt vielleicht „John Wayne“.

Mit Poppey bin ich ganz zufrieden. Bin überhaupt sehr zufrieden. Habe mir ein feines Rudel ausgesucht. Gut erzogen, fleißige Futterzubereiter, eifrige Schmuser.
Dabei stand meine Geburt nicht unter einem guten Stern. Was sage ich, schon meine Zeugung nicht.



Verschwommene Erinnerung



Meine Mutter war eine reinrassige Katze. Welche Rasse? Ich weiß es nicht. Zu kurz war die Zeit, die ich bei ihr verbrachte, um mehr über sie zu erfahren.
Ich weiß nur, eine reinrassige Katze darf niemals Bastarde werfen. Und sie umhegen und groß ziehen erst recht nicht.
Meine Geschwister und ich aber waren Bastarde. Das Produkt einer Paarung mit einem streunenden Kater. Hatte meine Mutter ausbüxen können? Oder habe ich einen heroischen Vater, dessen Liebesdurst ihn in das Haus eindringen ließ? Ich habe keine Ahnung.

Woran ich mich erinnere, ist Kälte, Hunger und Einsamkeit. Weggeworfen in ein Gebüsch, vegetierend, mindestens zwei Tode gestorben. Krank und verzweifelt.
Und dann plötzlich Wärme, Licht, streichelnde Hände. „Mieze“, hörte ich eine Stimme. „Was bist denn Du für eine?“ Ich fauchte. Erstens war ich ein „einer“ und zweitens konnte mein Name nicht Mieze sein. Ich war doch „Miststück“, das sich an eine Hand krallte, die zum Wurf in das Gebüsch ausholte.
Aber lange ärgerte ich mich nicht. Denn man machte es mir sehr behaglich. Futter genug und immer wieder Streicheleinheiten.

In Quarantäne



Im Laufe der nächsten Wochen erfuhr ich, dass ich in einem Tierheim gelandet war. Dort wurde ich aufgepäppelt. Lästig war nur die ewige Nieserei. Mein Nase war immer verstopft, meine Augen tränten und juckten. Ich kratzte mich viel und als Ergebnis bildete sich über meinem linken Auge eine Hornhaut. Ich war eine Katze, die einem Teil ihrer Sinne beraubt war. Keine guten Aussichten. Aber ich ertrug es stoisch. Die meiste Zeit saß ich ruhig auf meinem Lager, die Augen in weite Ferne gerichtet. „Schaut“, hörte ich oft, „unser Buddha meditiert wieder.“

Bis zu dem Tag, als ein Mann in weißem Kittel sagte: „Jetzt kann er kastriert werden und dann kommt er zu den anderen Katzen“
Kastriert? Was war das? Etwas so Wunderbares wie gefüttert, gestreichelt? Ich bezweifelte es. Sie machten so ernste Gesichter, die Menschen um mich herum. Sicherheitshalber fauchte ich und schlug nach der Hand des Mannes. Ratsch, ich habe beeindruckenden Krallen und der Mann zuckte zurück. Ich versuchte, mich aus den haltenden Händen zu winden. Nieste wie ein Verrückter, biss um mich.
Widerstand war allerdings zwecklos und nach einem langen Schlaf erwachte ich mit Schmerzen in der Gegend des Schwanzansatzes. Etwas fehlte, aber ich war viel zu benommen, um nachzuschauen.

Im Katzenzwinger.



Kaum genesen von der Tortur musste ich übersiedeln. In einen riesigen Käfig, in dem es von Katzen und Katern aller Farben, Altersklassen und Rassen nur so wimmelte. Zum Glück gab es hier Fluchtmöglichkeiten, Säulen mit Höhlen und Plätzen zum Liegen. Ganz hoch hinauf floh ich. Rollte mich zusammen und wollte nur schlafen. Und vergessen.
Das klappte nicht. Eine Pfote stupste mich an. „Hey, Kleiner“ schnurrte es in mein Ohr. Ich blinzelte. Ein Kater hockte neben mir, sehr groß und eigentlich gut aussehend, wäre da nicht das fehlende Ohr gewesen und die Narben quer über der Nase.
„Darf ich mich vorstellen?“ fragte er. „Ich bin Sir, Herrscher der oberen Etagen hier.“ Neugierig musterte er mich. „Bastardmiststückmieze“ nuschelte ich beeindruckt. Ein rollendes Lachen schüttelte ihn. „Du bist mir ja ein Witzbold“, meinte er. „Ich glaube, ich nehme Dich hier unter meinen Schutz. Du gefällst mir.“

Und so lernte ich von ihm, lernte viel fürs Leben. Und lernte die Magie der Katzen kennen, ihre Fähigkeit, andere Lebewesen und besonders die Menschen zu beeinflussen.

Lektion 1



„Lektion 1“ erklärte er, während wir wieder einmal auf der höchsten Plattform lagen und unseren Artgenossen zuschauten, die spielten und rauften. „ Sei niemals unterwürfig. Bitte nicht, sondern fordere. Belohne Wohlverhalten, aber bestrafe Fehler. Sei stolz. Dann fressen Dir die Menschen, die Katzen mögen, aus der Hand.“
„Warum sollte ich wollen, dass Menschen mich mögen“ fragte ich erstaunt. „Menschen werfen unsereins in Gebüsche, beschimpfen uns und schneiden uns Körperteile ab“. Bei diesen Gedanken bekam ich eine heftige Niesattacke vor Wut.
Sir schüttelte seinen Kopf. „Nein, Kleiner, sie sind nicht alle so. Manche werden als Diener der Katzen geboren. Sie wissen es nicht immer. Da müssen wir nachhelfen. Aber wenn Du so einen Menschen gefunden hast, dann bist Du im 7. Katzenhimmel“.
Neugierig schaute ich ihn an. „Hast Du schon einmal einen solchen Menschen gefunden?“
Er schwieg lange, putzte sich sein Fell. „Ja,“ erwiderte er. „Eine alte Dame. Ein Katzenengel. Aber sie starb und ihre Kinder setzten mich auf die Straße. War lange unterwegs da draußen, bis ich eingefangen und hierher gebracht wurde. Habe viel erlebt, viel gekämpft.“
Er wirkte traurig. „Du wirst sicher wieder so einen Engel finden.“ versuchte ich ihn zu trösten.
„Nein“er schloss die Augen. „Hier ist meine Endstation. Nur ein Leben ist mir noch geblieben und das wird von einer Krankheit zerfressen. Hier ist mein letztes Heim. Ich gehe nirgendwo mehr hin.“

Bestürzt bearbeitete ich meine Pfoten mit der Zunge. Sir rollte sich zusammen und tat, als würde er schlafen.

Lektion 2



Sir schaute verträumt einer jungen Füchsin zu, die sich auf dem Boden räkelte. „Süß, die Kleine.“ meinte ich.
„Ja“, erwiderte er. „Und damit sind wir schon bei Lektion 2. Neben den Katzenhassern und den Katzenengeln gibt es noch die Plüschtiersammler. Sie haben keine Ahnung von unserem erhabenen Charakter. Wenn Du an diese Menschenspezies gerätst, dann kann es passieren, dass man Dir Schmuckhalsbänder umbindet, Dich shampooniert und parfümiert. Ihre Welpen ziehen Dir Kleider an und schleppen Dich den ganzen Tag auf dem Arm herum“. Ein Niesanfall schüttelte mich. Das hörte sich nach einem grausamen Katzenschicksal an.
„Deswegen“ fuhr Sir fort, „sei nie zu süß, zu hübsch. Dann nimmt Dich auch keiner von denen mit."

Und so vergingen die Tage, in denen mein Lehrer mich einweihte in all seine Weisheit, seine Erfahrungen. Ich werde nicht mehr davon verraten. Manche Katzengeheimnisse müssen Geheimnisse bleiben.

Als Sir einige Zeit später starb, einfach einschlief und nicht mehr erwachte, hinterließ er eine große Lücke. Ich trauerte, aber seine Worte, die vergaß ich nie.

Die Eroberung



Ich trauerte lange. Mein Niesen wurde immer schlimmer, ich bekam Ausschlag. Fellpflege interessierte mich nicht. Man versuchte es mit Spritzen und widerlicher Medizin, aus mir wieder einen vorzeigbaren Kater zu machen, aber ohne Erfolg. Die meiste Zeit verbracht ich auf der Plattform und hing meinen Gedanke nach. Die anderen Katzen ließen mich in Ruhe. Zum Glück.
Ich philosophierte über den Tod, den Sinn des Katzenlebens. Hielt Zwiegespräche mit meinem toten Freund.
„Eine alte, verrückte Katze“, so hieß ich nun. Dabei war ich erst 1 Jahr alt, aber mein Lebensfunke schien verlöschen zu wollen. Bald kümmerten sich auch die Menschen kaum noch um mich. Sie hatten mich aufgegeben. Ich mich auch.

Doch dann passierte das Wunder. Eine Frau mit 2 Kindern betrat den Zwinger. Neugierig schauten sie sich um. Viele Katzen stürmten sofort auf sie los. Umschmeichelten ihre Beine, maunzten und bettelten. „Nimm mich, ich bin schön.“
Angewidert schaute ich zu. „Sei niemals unterwürfig. Bitte nicht, sondern fordere. *

Sirs Worte gingen durch meinen Kopf. Ich schämte mich für meine Artgenossen, ihr in meinen Augen würdeloses Verhalten.
Aber etwas -ein Gefühl? Eine Schwingung? - ließen mich nicht auf meiner Plattform ausharren . Ich kletterte nach unten. Hockte mich neben die Frau. Sie beachtete mich nicht. Zunächst. Denn ohne Maunzen, ohne Beineumrunden sprang ich hoch und krallte mich an ihrer Handtasche fest. Erstaunt schaute sie mich an. „Du bist aber ein Frecher“ lachte sie. Kraulte meinen Kopf. Ich starrte sie nur an. „Sorry, aber wir suchen ein junges Tier“, erklärte sie mir. „es tut mir ja leid für Dich.“ Vorsichtig löste sie meine Krallen von der Tasche und setzte mich behutsam auf den Boden. Dabei schaute sie die ganze Zeit in meine Augen. „Ich bin der Richtige“ dachte ich. „Du wirst es schon noch merken.“
Die Frau verließ den Zwinger, ohne eine der anderen Katzen mitzunehmen. Zufrieden begab ich mich wieder auf meinen Stammplatz. Ich wusste, sie würde wiederkommen. Ich hatte sie verzaubert, sie hatte keine Chance.

Abgeholt



Und sie kam wieder. Ich erkannte ihre Stimme, bevor sie den Zwinger betrat. Mein Herz pochte. Aber ich blieb auf meinem Platz sitzen. „Sei stolz*

hörte ich Sir flüstern. Die Frau schaute sich suchend um. „Wo ist der alte Kater, der gestern unbedingt mit wollte? Ich würde ihn gern abholen.“
Für einen Moment schien mein Herz stehen bleiben zu wollen. Vor Freude. Ja, ich hatte es geschafft. Ich hatte sie überzeugt -ohne Schmeichelei, ohne Bettelei – dass ich, nur ich, die Katze war, die sie suchte.

Ich sprang von dem hohen Kratzbaum herunter. Die Frau nahm mich auf den Arm. Vor lauter Freude bekam ich einen heftigen Niesanfall. Ich erschrak. Hoffentlich hatte ich sie jetzt nicht abgeschreckt. Aber ich war schnell beruhigt. Sie streichelte mich und wandte sich an den Menschen, der uns immer mit Fressen versorgte.
„Er ist ziemlich krank, scheint mir“ sagte sie. Der Mann nickte: “Krank und alt. Was er braucht, ist ein liebevolles Gnadenbrot. Ich bin froh, dass Sie ihn nehmen.“

Was ein Gnadenbrot war, wusste ich nicht. Aber es würde mir sicher gut schmecken, wenn diese Frau es mir reichte.

Epilog



Noch bevor ich mein neues Heim kennenlernen konnte, fuhr die Frau mit mir zur Untersuchung. Und erlebte eine Überraschung.
„Das ist kein alter Kater“ lachte die Tierärztin . „Der Kerl ist höchstens zwei Jahre alt!“

Als wir wieder im Auto saßen, schaute die Frau mich lange an. Dann sagte sie: „Du bist mir ein Schlawiner. Da hast Du uns alle aber ganz schön reingelegt.“ Dann kraulte sie mich zärtlich zwischen den Ohren. Ich vergaß meinen Stolz und schnurrte und nieste abwechselnd. Vor Begeisterung und Liebe.
Und von der Liebe, werte Leser, da verstehen wir Felidae eine Menge!

Impressum

Texte: Texte und Bilder: Regina Krause
Tag der Veröffentlichung: 09.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Poppey und alle Katzen, die im Tierheim auf ein neues Zuhause warten.

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