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Es war Anfang Januar. Im Laufe des Tages fiel die Temperatur extrem ab. Ein schneidender Wind trieb Schneeflocken vor sich her. Jetzt, am frühen Abend, waren die Straßen voll mit Menschen. Alle beeilten sich. Nur raus aus der Kälte, hinein in die warme Wohnung.

Klaus zog seinen zerschlissenen Mantel enger um sich und hauchte in seine Hände. Er schaute auf den Teller, vor dem er hockte. Wenig Münzen befanden sich darauf. Bei diesem Schweinewetter hasteten die Menschen an ihm vorbei, die Köpfe zum Schutz vor dem eisigen Wind gesenkt. Sie nahmen den Bettler in dem Hauseingang gar nicht wahr.
Klaus hustete, die eiskalte Luft schnitt schmerzlich in seine Lungen. Das Atmen fiel ihm schwer.

Vorsichtig stand er auf. Das lange Sitzen auf dem Asphalt und die Kälte hatten ihn steif werden lassen. Jeder Knochen tat ihm weh.
Er klaubte Kissen, Teller und die Plastiktüte zusammen, dann schlurfte er langsam Richtung Park. Dort traf er sich jeden Abend mit seinem Kumpel Mark. Beide lebten schon lange auf der Straße. Mark war früher Zweigstellenleiter eine Verkaufskette gewesen. Glücklich verheiratet. Dann passierte der Unfall. In einer Kurve überholte auf der Gegenfahrbahn ein PKW. Und knallte frontal in Marks Auto. Mark überlebte, aber seine Frau auf dem Beifahrersitz war tot. Laut Polizeibericht traf Mark keine Schuld, aber das half ihm nicht. Er wurde aus der Bahn gerworfen. Immer wieder lief der Film des Unfalls in seinem Kopf ab. Und immer wieder grübelte er, ob er hätte reagieren können.
Er begann zu trinken, verlor seine Arbeit und nahm schließlich sein Leben als Obdachloser auf.
Auf der Straße lernte er Klaus kennen. Die beiden mochten sich auf Anhieb. Klaus hatte kein Problem mit Alkohol. Er hatte ein Problem mit der Gesellschaft. Und zog es vor, ihr den Rücken zu kehren.


Klaus erreichte den Park. Dort gab es eine Bank, geschützt durch eine Mauer und Buschwerk. Mark war schon da. Wie jeden Abend würden sie die Ausbeute ihrer Bettelei teilen und dann zu der Brücke gehen, unter der sie sich mit Pappkartons und Autoreifen einen notdürftigen Schutz gebaut hatten. „Unsere Burg“ nannten sie es.

Ein neuer Hustenanfall schüttelte Klaus. Mühsam rang er nach Luft.
„Hey Kumpel“, hörte er die Stimme von Mark. „Das klingt gar nicht gut.“
„Ach“, winkte Klaus ab. „Geht wieder vorbei. Ist halt der Winter. Aber dem trotzen wir, oder? Haben wir doch immer geschafft.“
„Naja, aber Du wirst nicht jünger. Und so kalt war es schon lange nicht mehr. Ich fürchte, auch unsere Burg wird uns diese Nacht kaum Schutz bieten. Ich mach mir wirklich Sorgen. Irgendwie musst Du ins Warme. Am besten ins Krankenhaus.“
Klaus lachte heiser: „Die behalten jemanden wie mich doch nicht da, nur weil ich huste. Da krieg ich ein Medikament und nen warmen Händedruck!“

Mark nickte nachdenklich. „Da ist was dran. Husten reicht nicht.“ Seine Miene hellte sich auf. „Ich hab ne Idee!“ rief er. "Wie wir beide für einige Zeit ins Warme kommen.Und Du sogar ins Krankenhaus.“ Er neigte sich zu Klaus und schilderte seinen Plan.

Klaus schaute zunächst skeptisch. Dann nickte er. „Aber bitte nicht zu hart.“ sagte er etwas ängstlich.
„Keine Sorge,“ grinste Mark. „Jetzt besorgen wir mir erstmal ne Pulle Roten. Die trink ich aus und dann ziehen wirs durch.“

Eine halbe Stunde später heulten Polizeisirenen durch den Abend. Passanten hatten eine Prügelei in der Fußgängerzone gemeldet. Mit quietschenden Reifen blieb das Polizeiauto am Gehsteig stehen. Die Beamten stiegen eilig aus. Auf dem Asphalt saß ein älterer Penner, er hielt sich die Hände vors Gesicht. Zwischen seinen Fingern rann Blut hervor. Ein zweiter Obdachloser klammerte sich schwankend an einen Laternemast
Um beide hatte sich eine gaffende Menschenmenge gebildet. Eine Prügelei zwischen Pennern ließ wohl die Kälte vergessen. Allerdings, niemand half dem blutenden Mann am Boden. Besoffene Bettler sind schließlich selber schuld.
„Der da,“ eine Frau zeigte aufgeregt auf Mark, „der Kerl da ist plötzlich auf den anderen los und hat ihm mehrmals ins Gesicht geboxt.“
Einer der Beamten ging vor Klaus, der auf dem Bürgersteig saß, in die Hocke: „Ich rufe einen Krankenwagen“ sagte er. „Das muss bestimmt genäht werden.“
Der andere Polizist näherte sich Mark .Er rümpfte angewidert die Nase, als ihm der billige Fusel aus dem Atem des Mannes entgegen schlug. „Und Du kommst mit, bist ja sternhagelvoll. Ab in die Ausnüchterungszelle mit Dir!“ Er bugsierte ihn ins Auto.

Obwohl seine blutende Nase ziemlich weh tat, und sein rechtes Auge schmerzhaft zuschwoll, mußte Klaus grinsen. Zum Glück sah es niemand, er hatte noch immer die Hände vor dem Gesicht. Der Plan hatte funktioniert. Sie beide kamen jetzt ins Warme. Und er hatte das bessere Los gezogen. Denn ein Krankenhausbett war komfortabler als die Liege in einer Ausnüchterungszelle.


Epilog

Der Plan funktionierte noch einige Male. Klaus und Mark waren bald wohlbekannte Wintergäste auf dem Polizeirevier und in der Klinik. Natürlich wurden sie bald durchschaut, aber niemand ließ sich etwas anmerken.

Doch irgendwann, nach einem weiteren Winter, kehrte nur Mark unter die Brücke zurück. Er riß die Burg ab und verschwand. In der Stadt wurde er nie mehr gesehen.

Impressum

Texte: Cover und Text: Regina Krause
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2009

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