Vorwort
Minka hat mir ihre Notizen anvertraut und mich gebeten, sie zu veröffentlichen. Das tue ich hiermit gerne.
Und ich soll Folgendes schreiben: Minka ist sich darüber im Klaren, dass es auch nette Bürokraten, Chefs und Automechantroniker gibt. In der kurzen Zeit, die ihr blieb, ist sie nur leider nicht drauf gestoßen.
Inhaltsverzeichnis
Prolog Seite 7
Bürokratie Seite 9
Vorgesetzte Seite 13
Automechantroniker Seite 17
Epilog Seite 21
Minkas Metamorphose
Prolog
Eine Vollmondnacht.
„Ja“, bestätigt Minka. „Ja, ich will“.
„Dann soll es geschehen.“
Minka peitscht mit dem Schwanz. Ungeduldig fährt sie ihre Krallen aus.
Es dauert ihr zu lange. Aber dann ist es vollbracht. Ihr Körper streckt sich. Wird menschlich. Der Spiegel vor ihr zeigt das Bild einer jungen Frau.
Jetzt ist sie eine Katzenfrau. Sie wird unter den Menschen leben und sie werden nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Das Spiel kann beginnen.
Minkas Notizen:
Bürokratie
Ein langer Flur. Büro reiht sich an Büro. Es riecht nach Kaffee, hinter den geschlossenen Türen hört man Stimmen, Lachen.
Ich sitze auf dem unbequemen Stuhl im schmalen Gang. Die Zeit steht still.
Endlich öffnet sich eine Tür. Ich darf herein. Meine Augen richten sich hoffnungsvoll auf den Inhaber des Büros. Und weiten sich entsetzt. Er hat keinen Kopf! Über einem angenehm muskulösen, ja sehr angenehmen Körper geht der Hals über in ein §. Es stimmt. Vor mir sitzt kein Mensch, sonder ein Paragraph.
Ich schlucke.
Der § sondert eine Sprechblase ab: „Sie wünschen?“
„Mein Recht“ stottere ich.
„Sie glauben, Sie haben ein Recht?“ wabert eine neue Sprechblase durch den Raum, höhnend. „Wer hat Ihnen denn diesen Schwachsinn erzählt, dass Sie hier Ihr Recht finden könnten?“
„Aaaber,“ ich ringe nach Worten. „Also, ich erhebe Einspruch gegen Ihren Bescheid“
Die Sprechblase zittert. Höre ich da ein Lachen heraus?
Dann erscheint der Text:“ Sie dürfen Einspruch erheben, aber ist Ihnen klar, dass ich dann meine Kaffeepause verkürzen und mich um den Papierkrieg kümmern muss, den Sie produzieren? Wer glauben Sie denn, sind Sie? Sie schneien hier herein und denken, Sie könnten einfach meine Routine stören? Sie legen Einspruch ein gegen einen Bescheid, den ich, ich, der König der Paragraphen schrieb? Wissen Sie, was im Bürokratenreich auf Majestätsbeleidigung steht?“
Ich verlasse den Raum. Draußen auf dem Flur schärfe ich meine Krallen an der alten Tapete. Ein angenehmes Geräusch. Ritschratsch.
Wenn ich wiederkomme, dann werde ich einen Luxuspelz tragen. Meine Reißzähne werden mein Merkmal sein. Meine Krallen scharf. Mordinstrumente. Tödlich.
Und wenn ich wiederkomme, dann wird auf diesem sehr angenehm muskulösen Männerkörper ein Mausgesicht sitzen. Und ich werde in Lauerstellung gehen. Mit dem Gesicht spielen. Es wird quieken vor Angst. Es wird um sein Leben flehen, aber ich werde nur lachen. Die Katze wird von einer verhuschten kleinen Paragraphenmaus nicht besiegt werden!
3 Tage später steht die Polizei vor einem Rätsel. Aus einem Büroraum ist ein Mitarbeiter verschwunden. Nur zerplatzte Sprechblasen sind auf Boden und Schreibtisch verteilt.
Niemand sieht die Maus, die verängstigt und zitternd ein Schlupfloch hinter einer losen Fußbodenleiste gefunden hat.
In der Ausgangspost liegt ein Schreiben: „Einspruch stattgegeben.“
Vorgesetzte
Das Büro ist groß. Edler Schreibtisch. Elegante Sitzgruppe.
Die Besuchersessel sind weich. Tief sinkt der Untergebene ein, wenn er sich zum Gespräch niederlassen muss. Klein wird er, nicht auf Augenhöhe mit dem Chef, der hinter dem Schreibtisch thront.
Ich versuche, auf diesem Sitzmöbel meine Würde zu bewahren. Streiche meinen Rock glatt. Ignoriere die Blicke, die über meine Beine streichen. Sehe mit Schrecken, dass der Chef über einem sehr ansprechenden Körper ein Karpfengesicht hat. „Blubb, blubb“. Die fleischigen Lippen sondern Luftblasen und Laute ab. Langsam verstehe ich sie.
„Mir ist zu Ohren gekommen – blubb -, dass Sie Kritik an meiner Personalpolitik haben?“
Ich nicke. „Ja, es gibt Beschwerden der weiblichen Teammitglieder, vor allem von Frau Annette Klein“ versuch ich anzusetzen.
„Blubb- die sie aber nicht wirklich ernst nehmen, oder? -Blubb-“ werde ich unterbrochen. „Sehen Sie, Mädchen, sie sind noch jung und sehr hübsch. Sie sollten ihr Köpfchen nicht mit solchen Dingen belasten.“ Hervorquellende Karpfenaugen taxieren meinen Körper. Ich sinke noch tiefer in den weichen Sessel, öffne den Mund, um zu protestieren.
"Blubb", eine Luftblase zerplatzt auf meiner Nasenspitze. Sie riecht unangenehm nach Fischtran.
„Setzen Sie die Fähigkeiten ein, die Sie haben,“ das Fischmaul verzieht sich zu einem Grinsen. „Und halten Sie sich aus allem heraus, von dem Sie nichts verstehen. -Blubb-. Und jetzt bereiten Sie mir bitte einen Tee.“
Ich kämpfe mich aus dem Sessel und verlasse den Raum. Draußen auf dem Flur schärfe ich meine Krallen an der kostbaren Tapete. Ein angenehmes Geräusch. Ritschratsch.
Wenn ich wiederkomme, dann werde ich einen Luxuspelz tragen. Meine Reißzähne werden mein Merkmal sein. Meine Krallen scharf. Mordinstrumente. Tödlich.
Und wenn ich wiederkomme, dann wird auf diesem sehr ansprechenden Männerkörper ein Rattengesicht sitzen. Und ich werde in Lauerstellung gehen. Mit dem Gesicht spielen. Es wird quieken vor Angst. Es wird um sein Leben flehen, aber ich werde nur lachen. Die Katze wird von einer Kanalratte nicht besiegt werden!
3 Tage später steht die Polizei vor einem Rätsel. Der Chef des Unternehmens ist verschwunden. Ein seltsamer Geruch von Fischtran liegt in der Luft.
Niemand sieht die Ratte, die verängstigt und zitternd ein Schlupfloch hinter einer losen Fußbodenleiste gefunden hat und ihre Wunden leckt.
In der Ausgangspost liegt ein Schreiben: „Frau Annette Klein wird mit Wirkung vom 1.4.09 zur Abteilungsleiterin befördert.“
Automechantroniker
In der Halle ist es laut. Es riecht nach Öl und Gummi. Alles ist von dunklem Staub bedeckt.
Ich fahre meinen Kombi hinein. Er bockt manchmal, er muss nachgesehen werden.
Zwei junge Männer nähern sich. Männer? Meine Augen weiten sich, keine Menschengesichter, sondern Aasgeierköpfe über muskulösen Körpern!
Schweigend umkreisen sie mein Auto, die Köpfe rucken vor und zurück.
„Das Auto“, beginne ich...
„Ist Schrott“, unterbricht mich einer der Mechantroniker. Sein Kopf schnellt zu mir. „Mädchen, Sie haben Glück, dass Sie zu uns gekommen sind.“ Können Aasgeier süffisant grinsen? Wenn ja, er tut es gerade.
„Aaaber, Sie haben doch noch gar nicht genau geschaut.“ protestiere ich.
Jetzt taxiert mich auch der zweite Geier. „Müssen wir nicht, wir sind Profis. Sehen Sie“, setzt er an und für mich beginnt ein Albtraum. „Nockenwelleeinspritzdüseauspufftopf! Und dann Radaufhängungkeilriemenbodenrost“, es hageln Begriffe auf mich herab.
Eine kurze Pause entsteht. Dann folgt: „Also, für die Karre geben wir Ihnen 200 Euro. Das Auto ist nicht mehr so viel wert, aber wir haben heute unseren sozialen Tag!“ Ein Aasgeierauge fixiert mein Gesicht.
„Uns Sie kaufen sich einen Smart oder einen Mini. Passt auf jeden Frauenparkplatz.“ Die beiden grölen über ihren Witz.
Ich steige wortlos in mein Auto und verlasse die Halle. Draußen auf dem Parkplatz halte ich kurz neben einem nagelneuen Mercedes und schärfe meine Krallen an dem schimmernden Lack. Ein angenehmes Geräusch. Ritschratsch.
Wenn ich wiederkomme, dann werde ich einen Luxuspelz tragen. Meine Reißzähne werden mein Merkmal sein. Meine Krallen scharf. Mordinstrumente. Tödlich.
Und wenn ich wiederkomme, dann wird auf diesen sehr ansprechenden Männerkörpern ein Hühnerkopf sitzen. Und ich werde in Lauerstellung gehen. Mit den Gesichtern spielen. Sie werden gackern vor Angst. Sie werden um ihr Leben flehen, aber ich werde nur lachen. Die Katze wird von zwei aufgeblasenen Gockeln nicht besiegt werden!
Drei Tage später steht die Polizei vor einem Rätsel. Zwei Mechantroniker sind aus der Werkstatt verschwunden. Ein Hauch von Aasgeruch mischt sich unangenehm mit Benzinausdünstungen.
Niemand sieht die beiden zerrupften Gockel, die zitternd hoch oben auf einer Querstrebe hocken.
Im Handschuhfach meines Kombis liegt eine Rechnung: „Reparaturkosten: 75 Euro“
Epilog
Eine Vollmondnacht.
„Nein“, ruft Minka. „Nein, ich will noch nicht.
Ich muss noch Politiker kennenlernen und Lehrer und...“
Ein leises Lachen ertönt.
„Du hast noch so viele Leben, kleine Katze. Und es folgen noch so viele Vollmondnächte. Die Rückverwandlung geschieht nun.“
Minka hat keine Wahl. Sie muss sich fügen.
Aber ein neues Spiel wird folgen.
Texte: Text und Bilder: Regina Krause
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Gewidmet allen, die ihren täglichen Kampf erleben mit Bürokratie, Vorgesetzten und anderen Schwierigkeiten. Sie können sich vielleicht ein Vorbild an Minka nehmen.