Inhaltsverzeichnis
Die blaue Katze Seite 7
Dreimal schwarzer Kater Seite 11
Die Geisterkatze Seite 19
Die Glückskatze Seite 25
Kamikaze-Katze Seite 30
Die blaue Katze
Die Sitzung zog sich endlos hin. Bald gab es Vorstandswahlen und jeder und jede der Damen und Herren wollte sich profilieren. Man überbot sich mit angeblich brillanten Ideen, mit Feuerwerken an Innovation. Oder, wenn man im Rudel noch zu weit unten stand, umschmeichelte man die Leitwölfe. In der Hoffnung, nach der Wahl die übrig gebliebenen Fleischbröckchen zu erhaschen.
Tinka (eigentlich Tinkerbell Kanter, wie können Eltern nur so grausam sein!) seufzte. Sie war hier nur Praktikantin und sorgte für Nachschub an Mineralwasser. Ihre Gedanken schweiften ab. Sie träumte sich in ihre kleine Wohnung, zu ihrer Katze. Wie verführerisch der Gedanke war, jetzt nicht in diesem egogeschwängerten Sitzungssaal zu sein, sondern auf ihrer Couch zu liegen, einen netten Film zu sehen und die Katze auf ihrem Bauch zu kraulen.
„Frau Kanter!“ zischte es neben ihrem Ohr, „Sie sind nicht hier, um blaue Katzen zu zeichnen, sondern sie sollen uns bedienen!“ Frau Dr. Berlinger rauschte ab. Tinka stand schuldbewusst auf. Dabei schaute sie auf das Blatt, das auf ihrem Tisch lag. Sie hatte ganz in Gedanken mit ihrem Kugelschreiber eine kleine Katze gemalt. Ihre Katze.
„Ohje,“ dachte sie, „Musste ausgerechnet diese Zimtzicke mich dabei erwischen.“ Tinka hoffte so sehr, nach absolviertem Praktikum eine Festanstellung in der Werbeabteilung zu erhalten. Und Frau Dr. Berlinger war dort die Abteilungsleiterin. Dumm gelaufen.
„Meine Damen und Herren“ erscholl die Stimme des noch amtierenden Vorstands, „ich denke, unsere Strategie ist jetzt klar. Was wir brauchen, ist nur noch ein Logo! Es soll die Frauen ansprechen. Aber die Männer nicht vergraulen. Es soll Selbstbewusstsein ausstrahlen, aber auch Selbstverliebtheit. Jeder muss es erkennen, dennoch soll es den Charakter von Einzigartigkeit haben.“
Schweigen im Raum.
Tinka ging zu einem der Fenster und öffnete es. Sie brauchte etwas Luft, sie war so müde. Ein leichter Windstoß streichelte ihr Gesicht. Sie genoss ihn und sah dabei nicht, wie das Blatt auf ihrem Tisch langsam herab segelte. Direkt vor die Füße des Vorstands. Der bückte sich, schaute genau hin und strahlte dann: „Ja, das Problem ist gelöst! Wir nehmen diese blaue Katze. Genial! Wer hat die entworfen?“ Erschrocken wirbelte Tinka herum. Und starrte auf die Skizze in der Hand des Vorstands. Das war doch ihre Zeichnung.
„Oh,“ stammelte sie und ihr Gesicht lief puterrot an. „Das tut mir leid. Da ist mir mein Gekritzel vom Tisch geweht.“ Sie wollte das Blatt an sich nehmen, aber der Vorstand gab es nicht her. „Also Kleine,“ er klopfte ihr joval auf die Schulter, „da ist ihnen ein Glücksgriff gelungen. Muss natürlich noch etwas überarbeitet werden. Melden sie sich morgen in meinem Büro. Und jetzt ist die Sitzung geschlossen. "
Tinka stand regungslos da. Sie hatte noch gar nicht begriffen, was passiert war. Frau Dr. Beringer kam auf sie zu. „Also meine Liebe,“ flötete sie,“ich habe die Aussagekraft und vor allem das Potential ihrer Skizze gleich erkannt.“
Langsam dämmerte es Tinka. Ihre Skizze sollte das Logo der neuen Werbekampagne werden. Wow, das war dann bestimmt die Festanstellung!
Nur, wie sollte sie es ihrer Katze zu Hause beibringen. Dass ihr Abbild nun der Werbeträger wurde für :
Softpeel, das ultimative Enthaarungsmittel für die starke Frau und den sanften Mann.“
Dreimal schwarzer Kater
„Wenn man morgens siebenmal mit dem großen Zeh wackelt, bevor man aufsteht“, fiel es Annabell ein, „dann wird es ein guter Tag.“
Sie lächelte. Das hatte sie gestern in dem Buch gelesen, das sie auf einem Sitz in der U-Bahn gefunden hatte. Leider stand dort nicht, welcher Zeh der Glücksbringer war. Rechts oder links. Sicherheitshalber wackelte sie mit beiden Zehen. Dann schwang sie sich aus dem Bett.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass noch immer Winter und Frühling um die Vorherrschaft rangen. Die Morgensonne kämpfte sich durch eine dünne Wolkendecke. Einige blaue Stellen versuchten zaghaft, ihren Platz zu behaupten, aber es zogen von Osten bereits wieder dicke graue Wolken auf.
„Erstmal einen Kaffee, und dann den Tag planen“, dachte Annabell. 3 Tage unverhoffter Urlaub lagen vor ihr. Ihr Chef hatte sich den Arm gebrochen. Den rechten. Eine sehr unangenehme Angelegenheit für einen rechtshändigen Zahnarzt. Zwei Tage hatte er seine Helferinnen angehalten, in der Praxis zu desinfizieren, sterilisieren, sortieren. Das war jetzt bestimmt die sauberste und aufgeräumteste Praxis des Städtchens. Dann hatte er eingesehen, dass es keine weitere Arbeit gab und alle nach Hause geschickt.
Die Kaffeemaschine zischte und fauchte. Sehr laut. „Oh, die muss ich auch mal wieder entkalken“ bemerkte Annabell. Der Kaffee war fertig, sie schaltete die Maschine aus und goss sich eine große Tasse ein. Es duftete verführerisch.
Allerdings, das Fauchen war immer noch zu hören. Annabell sah sich in der Küche um. War irgendwas kaputt? Verlor der Kühlschrank Kühlflüssigkeit? „Bitte nicht“ flehte Annabell. Ihr Budget war klein, Reparaturen rissen immer ein großes Loch hinein.
Sie machte einen Schritt vorwärts und verfing sich in der Verlängerungsschnur, die über den Küchenboden führte. Den heißen Kaffee jonglierend, versuchte sie, das Gleichgewicht zu halten. Es nützte nichts. Sie stürzte. Fast. Im letzten Moment merkte sie, wie etwas den Sturz bremste. Wie ein Airbag. Alles lief in Zeitlupe und so schaffte sie es, sich auf den Boden zu knien statt zu fallen. Nur wenig vom Kaffee war verschüttet.
Erstaunt schaute sie sich um. Und dann sah sie ihn. Einen großen schwarzen Kater. Er starrte sie an, missbilligend, wie ihr schien. Schüttelte er nicht dabei sogar leicht den Kopf? Dann war er weg. Einfach weg.
Annabell stand auf. „Das Kabel muss ich jetzt wirklich endlich besser verlegen“ schimpfte sie mit sich. „Aber jetzt trinke ich den Kaffee und dann suche ich nach dem Kater. Wie ist der bloß rein gekommen?
Eine Stunde lang durchkämmte sie alle Winkel der Wohnung. Kein Kater da. „Man weiß ja, Katzen sind Ausbruchskünstler.“ beruhigte sie sich selbst. „Der ist irgendwie aus der Wohnung entwischt“.
Bei der Inspektion war ihr aufgefallen, dass sich auf dem Schlafzimmerschrank einiges an Staub angesammelt hatte. Also holte sie einen feuchten Wischlappen aus der Küche. Auch die Leiter hervorzuholen, dazu hatte sie keine Lust. Sie kletterte auf den Stuhl, der noch von der Katersuche neben dem Schrank stand. Und zuckte zusammen. Wieder war lautes Fauchen zu hören. „Wo steckt das Tier bloß?“ fragte sie sich. „Na, ich schau nachher, jetzt wird erst geputzt.“ Aber bevor sie mit der Arbeit beginnen konnte, merkte sie, wie ein Stuhlbein weg knickte. Ehe sie sich am Schrank festhalten konnte, geriet sie ins Fallen. Sie ruderte mit den Armen. Und dann war es wieder da, das Airbaggefühl. Und wieder verlief alles in Zeitlupe. So schaffte sie es, vom Stuhl abzuspringen und einigermaßen sicher zu landen. Und oben auf dem Schrank saß der Kater. Fixierte sie. Annabell war sicher, er wollte ihr etwas mitteilen. Und sie war sicher, er war sauer. Auf sie. Warum?
Ehe Annabell reagieren konnte, war das Tier wieder verschwunden.
„Der Kerl nervt“, dachte sie. Dann allerdings wurde sie nachdenklich. Zweimal war es jetzt passiert. Erst das Fauchen, dann ein Beinahunfall, der nur wie durch ein Wunder verhindert wurde.
„Unheimlich“, grübelte Annabell. „Ist der Kater ein Unglücksbringer?“ Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende formuliert, als ganz kurz das Katergesicht vor ihr auftauchte. Und jetzt schaute er wirklich böse. Oder mehr beleidigt?
„Ich lese zu viel Horrorgeschichten“, dachte die junge Frau. „Das ist ja wie bei Stephen King hier. Stammt der Kater vom Friedhof der Kuscheltiere?“ Annabell bekam eine Gänsehaut. Sie wollte jetzt ganz schnell raus aus der Wohnung. Also ging sie ins Badezimmer, um sich zu kämmen. Das Stück Seife auf dem Boden sah sie nicht. Und wieder das Fauchen! „Schluss“, rief Annabell. „Ich will das nicht mehr!“. Energisch trat sie einen Schritt vor. Und rutschte auf dem Seifenstück aus. Wären nicht der unsichtbare Airbag wieder aufgetaucht und die Zeitlupe, es wäre ein böser Sturz geworden.
Zitternd saß Annabell auf den Badfliesen. Das war alles zu viel. Sie wagte gar nicht, aufzuschauen. Da war sicher wieder irgendwo der Kater. Aber sie wollte ihn nicht sehen.
„Jetzt brauche ich Schokolade, die beruhigt,“ dachte sie. Vorsichtig ging sie in die Küche.
Da lag etwas auf dem Küchentisch. Sie ging näher. Es war das seltsame Buch aus der U-Bahn. Das hatte sie doch gar nicht mitgenommen! Annabell hatte zwar Angst, aber die Neugier siegte. Sie schaute genauer hin. Das Buch war aufgeschlagen. Der Abdruck einer feuchten Katzenpfote war auf einer der Seiten zu sehen. Annabell las den Text dort:
„Die häufigsten Fehler beim Umgang mit magischen Regeln
“ lautete die Überschrift:
Und unter Punkt eins stand:
Bitte beachten Sie, nur das Wackeln einer Zehe siebenmal vor dem Aufstehen bringt Glück. Hüten Sie sich, mit beiden Zehen zu wackeln. Wenn nicht gerade ein magischer schwarzer Kater in Ihrer Nähe ist und Sie warnt, sie beschützt, dann kann das böse ausgehen.
Annabell ließ sich auf den Küchenstuhl nieder. „Das glaub ich nicht“, flüsterte sie. Aber dann musste sie zugeben, dass die Tatsachen für diese Beschreibung sprachen. „Und ich habe den Kater verdächtigt, mir zu schaden“, dachte sie. „Dabei hat er mich mit seinem Fauchen nur warnen wollen und mich dann gerettet, wenn das Unglück passierte.
„Es tut mir Leid“, rief sie in den Raum. „Ich werde Dein Fauchen ab sofort befolgen. Und ich stelle Dir auch ein Schälchen Milch hin. Das hast Du Dir verdient.“ Ihr war, als vernähme sie ein leises Schnurren.
Annabell ging zum Kühlschrank und schüttete Milch in eine Untertasse. Auch ein Stückchen Käse entnahm sie und legte es neben den Teller auf den Küchenboden. Dann setzte sie sich an den Tisch. Kein Kater zu sehen. Allerdings, Milch und Käse waren bald verschwunden. Es wunderte sie nicht.
Im Laufe des Tages war kein Fauchen mehr zu hören. Es geschah auch kein Unglück mehr. Annabell war froh, als sie endlich ins Bett gehen konnte. „Diesen Tag werde ich so schnell nicht vergessen“, dachte sie noch kurz vorm Einschlafen.
Um Mitternacht kroch ein schwarzer Kater unter ihrem Bett hervor. Er glitt durch die Schlafzimmerwand und verschwand in die Nacht.
Im Wald, in einer kleinen Höhle, tauchte er wieder auf. Andere schwarze Kater waren dort. Sie begrüßten den Neuankömmling. „Na, Maurizio, wie war der Tag bei Dir?“ fragten sie. „Wenig Arbeit, nur 3 Unfälle“ antwortete der Angesprochene. „Und eine Schale Milch und Käse. War eigentlich eine nette junge Frau. Trotzdem“, er rümpfte seine Nase und die Schnurrhaare zitterten, „ich wünschte mir, die Autorin hätte nie ein magisches Buch erfunden, in dem beidseitiges Zehenwacklen zu Unglück führt und nur magische schwarze Kater es abwenden können. Dann hätten wir jetzt nicht diesen Scheißjob am Hals und könnten einfach glückliche schwarze Kater sein.“
Die Geisterkatze
Krampfhaft umklammerte Thorsten das Steuer. Verdammter Mist, er hatte zu viel getrunken auf der Party. Waren seine Freunde schuld dran. Sie hatten ihm einfach immer wieder ein Bier eingeschenkt. Und wie sollte er da widerstehen. Aber bald war er zu Hause. Alles gut gegangen, keine Bullen unterwegs. Bei einer Kontrolle wäre der Lappen weg gewesen. Und dann neue Prüfung. Er hatte den Führerschein ja nur zur Probe.
Nur noch einmal abbiegen. Und dann ins Bett.
Es tat einen dumpfen Schlag. Der Wagen schlingerte leicht.
So ein Mist, Reifenplatzer? Thorsten hielt an und stieg schwankend aus. Kein Reifenplatzer. Eine Katze lag da. Tot. Er hatte sie wohl erwischt. Fluchend schleifte er das Tier ins Gebüsch, sah sich um. Glück gehabt, alle Fenster waren dunkel. Niemand hatte das Missgeschick gesehen.
Thorsten stieg wieder ins Auto. „Mistkatze“, schimpfte er. Er mochte keine Katzen und leid tat es ihm nicht. Aber er befürchtete, dass sein Auto Lackschäden abbekommen hatte. Und sein Auto war doch sein Himmel.
Aber Thorsten hatte sich geirrt. Er war beobachtet worden. Regungslos hockte Claude hinter einer Fensterscheibe. Er hatte alles genau registriert. Schließlich brauchte er nicht viel Licht, um zu sehen. Rachegelüste stiegen in ihm auf. Und er schmiedete einen Plan.
Aber zunächst musste er sich um die Leiche kümmern. So würdelos im Gebüsch konnte er sie nicht liegen lassen. Auch dafür hatte er einen Plan. Die Besitzer der Katze taten ihm zwar leid. Sie würden ihr Tier vermissen, aber es so schnell nicht finden. Das war sicher schlimm für sie.
Claudes Rachepläne waren jedoch wichtiger.
Am nächsten Morgen umrundete Thorsten seinen Wagen. Und atmete erleichtert auf. Nix passiert. Naja, eine tote Katze, aber was zählte das schon.
Er stieg ein und startete den Motor. Er musste zur Arbeit, war noch Lehrling, konnte sich kein Zuspätkommen leisten. Auch wenn er einen tierischen Kater hatte, krank melden ging nicht. Er grinste: „Das passt“ , dachte er. „Man hat einen Kater. Die Mistviehcher machen eben immer Ärger.“
Er bog um die Ecke, kam zu der Unfallstelle und fuhr langsamer. Spähte ins Gebüsch. Keine Katze zu sehen. „Jemand hat sie entsorgt“, dachte er. Kurz bevor er Gas geben wollte, schaute er zu dem Haus hin. Und machte eine Vollbremsung. Hinter dem Fenster war ein verschwommenes Schemen zu sehen. Die Katze! Sie starrte ihn an. Thorsten zitterte. Das Tier war tot gewesen! So blau war er gestern Nacht nicht , dass er tot und lebendig nicht mehr unterscheiden konnte.
Die Katze saß unbeweglich, schaute ihn an. Starrte ihn an. Kein Blinzeln, nichts, nur ein starrer Blick.
Thorsten schüttelte sich. „Dann lebt sie doch“, dachte er. „Sollen ja sieben Leben haben. War ich eben wirklich sternhagelvoll.“
Nach einem Arbeitstag, durch den er sich mehr schlecht als recht hindurchgehangelt hatte, gings endlich nach Hause. Er passierte die Unfallstelle. Schaute aus den Augenwinkeln zum Fenster. Keine Katze. „Hab ich mir vielleicht eingebildet“, sagte er zu sich. „Hatte ja noch nen Mordskater von der Party.“
Zu Hause angekommen, stieg er aus und wollte zur Haustür. Da fiel sein Blick auf einen Zettel, der am Laternenpfahl angebracht war:
„Wir vermissen seit gestern Abend unsere Belle, graugetigerte Katze, sehr zutraulich. Finder erhält Belohnung“
.
Und darunter war ein Photo. Von der Katze. Der Katze, die er erwischt hatte. Und die Adresse. Es war das Haus mit der Katze im Fenster.
Thorsten durchlief ein Schauder. Das konnte doch nicht sein. Er hatte sie doch gesehen! Sie hatte putzmunter hinter dem Fenster gesessen!
Mit zitternden Händen schloss er die Tür auf. Im Wohnzimmer goss er sich erstmal einen Drink ein. Den guten Whisky seines Vaters. Sollte der Alte ruhig toben, er brauchte jetzt was Hartes. Der Drink tat gut. Er genehmigte sich weitere. Die Eltern waren nicht da, er hatte sturmfreie Bude. Keiner, der meckerte, wenn er trank.
Die Drinks taten nicht nur gut, sie machten auch mutig.
„Ich geh jetzt zum Haus“, beschloss Thorsten. „Und schau in das Fenster. Und da wird keine Katze sein! Kann gar keine Katze sein! Und dann vergess ich den Spuk.“
Schlingernd, aber entschlossen ging er auf das Haus zu. Stellte sich vor das Fenster. Keine Katze. Triumphierend wollte er den Rückweg antreten, da bewegte sich etwas hinter der Scheibe. Und dann saß sie da, verschwommen, aber sie war da. Und sie starrte. Starrte ihm in die Augen.
Thorsten taumelte rückwärts. Das Blut gefror ihm in den Adern. Er versuchte, auf den Beinen zu bleiben, aber der Alkohol ließ ihm keine Chance. Er stürzte. Auf die Fahrbahn. Und der Autofahrer hatte auch keine Chance. Zu spät sah er im Dunklen die fallende Gestalt. Es gab ein böses Geräusch.
Elegant sprang Claude vom Fensterbrett. Er leckte sich ausgiebig und schnurrte. Der Tod seiner Schwester war gerächt. Schnell war es gegangen. Claude hatte eigentlich mehr Zeit eingerechnet. Der Alkohol hatte sich als guter Verbündeter erwiesen.
Dann verließ er das Haus durch die Katzenklappe und lief zum Komposthaufen. Es war eine Heidenarbeit gewesen, die Leiche seiner Schwester dort hin zu zerren und zu verstecken.
Aber das Ergebnis war diese Mühe wert gewesen.
Die Glückskatze
„Platsch“, Schnee rutschte vom Dach. Und traf genau den getigerten Kater, der sich neben der Wassertonne putzte.
Fauchend sprang er auf, schüttelte sich. Dieser Winter war grausam zu ihm. Er kam nicht mehr ins Haus. Seine Leute waren weg. Niemand, der lockend in der Tür stand: „Komm, Timon. Fressen wartet“.
Timon verstand die Welt nicht mehr. Die Frau, der Mann, der kleine Junge, wo waren sie hin? Vor einer Woche war ein großes Auto gekommen, alle Möbel verschwanden darin. Und dann auch seine Menschen. Der kleine Junge hatte geweint. Das Auto fuhr ab, Timon blieb im Garten zurück.
Zunächst hatte er geduldig auf den Treppenstufen gewartet. Er hatte sich geputzt, geschlafen, sich gestreckt, gegähnt. Was Kater eben so machen, wenn ihnen langweilig ist. Aber niemand kam zurück zum Haus.
Als sein Magen bedrohlich knurrte, ging er auf die Jagd. Naja, er wollte, aber er erinnerte sich nicht mehr, wie das ging. Jagen hatte er doch nicht nötig gehabt. Das war was für die räudigen Katzen, die manchmal vorbeistreunten. Die lebten draußen. Aber er hatte doch ein Haus und Diener!
Zum Glück gabs ja die gelben Säcke. Sie lagerten in der Garage, die war offen. Seine Leute hatten sie nicht mitgenommen. Wenn man sie zerriss, dann kullerte der Inhalt heraus und manchmal waren noch Essensreste in den Dosen und Packungen. Gestern hatte er ein kleines Stück Pizza gefunden, es mit Heißhunger verschlungen.
Aber langsam wurde die Lage brenzlig. Richtiges Essen musste her.
Missmutig stapfte Timon durch den Schnee. Brrrr, war das kalt. Und nass. So ein Leben hatte er nun wirklich nicht verdient.
Plötzlich hörte er ein Geräusch. Ein Auto näherte sich. Es hielt vor dem Haus. Waren das seine Diener? Kamen sie zurück? Vorsichtig spähte er durch die Hecke. Nur keine Freude zeigen! Das war unter der Würde eines Katers. Mit Verachtung würde er sie strafen! Timon wetzte die Krallen. Sie würden um ihn werben müssen. Die nichtsnutzigen Menschen!.
Zwei Menschen näherten sich. Aber die kannte er nicht. Er duckte sich unter die Büsche.
Eine junge Frau und ein Mann gingen auf das Haus zu. Der Mann trug einen Aktenkoffer und sah mächtig wichtig aus. Hätte Timon grinsen können, er hätte es jetzt getan. „Ein aufgeblasener Gockel“, dachte er. „Der braucht einen Kater, der ihn erzieht.“
Der Mann holte einen Schlüssel aus der Hosentasche. Und er schloss das Haus auf! „So, Frau Burger, hier ist Ihr neues Heim. Ich hoffe, Sie leben sich schnell ein. Der Möbelwagen müsste auch bald da sein. Ich lasse Sie jetzt allein. Habe noch eine Menge Termine mit anderen Klienten“. Noch während er sprach, wandte der Mann sich ab und wollte die Stufen hinabsteigen. Doch er rutschte aus und landete auf seinem Hosenboden im Schnee. Die junge Frau kicherte hinter vorgehaltener Hand. Oh, was war sie Timon sympathisch!
Leise schimpfend rappelte der Mann sich auf und und eilte zu seinem Auto. "Kein würdevoller Abgang", dachte Timon.
Dann schaute er wieder zur Tür, sie war noch offen, Er sprang auf und raste wie ein geölter Blitz auf die Türe zu, in der noch immer die junge Frau stand. Nur hinein ins Haus!
„Nanu“, die Frau schaute ihm verdutzt nach. „Was war denn das?“. Sie folgte ihm. Timon war in die Küche gelaufen, spähte nach seiner Futterschüssel. Die stand auch noch da, aber sie war leer. Timon war sauer . Schlechter Service.
Die Frau beugte sich zu ihm herab. „Mhm, das hat mir keiner gesagt, dass ich hier einen Mitbewohner habe.“
„Mitbewohner ist gut“, dachte Timon. „Eigentlich bin ich der Besitzer.“
Dann fühlte er, wie die junge Frau ihn kraulte. Das tat gut. Er schnurrte. Das hatte ihm gefehlt.
„Also“, sinnierte die Frau, „ich bin Angela. Magst Du bei mir einziehen?“
Timon konnte sein Glück nicht fassen. So eine nette Dosenöffnerin. Jetzt fehlte nur noch der Kühlschrank.
Kamikaze-Katze
Teil 1
„Die Welt gehört mir! Platz da, aus dem Weg“, so ähnlich könnte Ice in diesem Moment gedacht haben. Ich beobachtete sie amüsiert von meinem Balkon aus. Sie raste über die Waldwiese, als wolle sie alle Weltrekorde brechen.
„Stopp“, wollte ich ihr zurufen, denn ihr Wahnsinnssprint führte schnurstracks auf eine hohe Tanne zu. Aber die Warnung war überflüssig. Denn genau so hatte sie es geplant. Übergangslos ging der schnelle Lauf in Klettern über. Ein weißer Blitz war hier und da zwischen den Tannenzweigen zu sehen. Höher, immer höher. Dann war sie oben. Sehen konnte ich sie allerdings in dem dichten Tannengrün nicht mehr.
Ich wandte mich meinen Aufgaben im Haushalt zu. Und beneidete dabei meine Katze, die so frei und ohne Pflichten im Garten tollen konnte, auf Bäume klettern, einfach vor Lebenslust strotzen. Das schien mir wesentlich angenehmer als Bügeln und Putzen.
Gegen Abend trudelten nach und nach alle meine Stubentiger in der Küche ein. Von draußen, aus dem Wäschekorb, hinter dem Sofa hervor, es war Fressenszeit.
Alle? Nein, nicht alle. Ice fehlte. Das machte mich stutzig. Eine Mahlzeit ausfallen zu lassen, das sah ihr nicht ähnlich.
Ich ging wieder auf den Balkon und rief sie. Keine Reaktion.
Also alarmierte ich meinen Sohn und wir machten uns auf zum Waldrand. Zu der Tanne, auf der ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Und bald hörten wir es. Ein klägliches Maunzen, von hoch oben. Ice saß immer noch in der Tanne. Vor dem Abstieg hatte sie Angst. Also kletterte mein Sohn nach oben ( er war ein geübter Kletterer, schon im Alter von 2 Jahren habe ich ihn mal ganz oben aus einem Regal pflücken müssen. Wie Ice war er nach oben gekommen, runter allerdings ging nichts) . Mein Sohn verschwand in dem dichten Grün. Dann hörte ich lautes Schimpfen und Fluchen: „Autsch, Miststück! Ich will Dir nur helfen. Zieh Deine Krallen ein. Verflixt nochmal!“
Endlich tauchten beide wieder auf. Die Hand meines Sohnes war ziemlich lädiert. Als Ice wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, zischte sie wie ein geölter Blitz auf das Haus zu. Schnurstracks in die Küche. Bei unserem Eintreffen saß sie vor dem Futternapf, genoss ihre Mahlzeit, als wäre nichts geschehen. Dann widmete sie sich ihrer Schönheitspflege.
Mein Sohn war ziemlich sauer auf sie. Er hatte wohl noch nicht begriffen, dass er für Ice der Bodygard war. Und ein Bodygard lebt eben gefährlich. Schließlich muss er das kostbare Leben seines Arbeitgebers beschützen.
Teil 2
Ice war sterilisiert worden. Eine Woche sollte sie im Haus bleiben, auf keinen Fall nach draußen. Ein schwieriges Unterfangen, vor allem, wenn die Katze Türen öffnen kann. Vier Tage ging es gut. Zwar nur unter schärfstem Protest in Form von: „Wenn Du mich nicht rauslässt, dann gehe ich nicht aufs Katzenklo“ oder: „Okay, dann ist mir eben langweilig und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Tapeten abzureißen“.
Dann passierte die kleine Unachtsamkeit. Aufopfernd besuchten wir abwechselnd die Patientin, spielten mit ihr, heiterten sie auf. Und ein Besucher vergaß, beim Verlassen das Krankenzimmers abzuschließen. „Endlich“ wird Ice sich gedacht haben.
Ich saß in meinem Arbeitszimmer. Das Fenster zum Garten war offen. Mein Arbeitszimmer war oben, drei Stockwerke über der Wiese. Aus den Augenwinkeln registrierte ich etwas Weiße, das an mir vorbei schlich. Ja, schlich, Bauch platt auf dem Boden, Zeitlupenbewegung. Schnell stand ich auf, wollte Ice aufheben und zurückbringen. Zu spät, sie sprang auf das Fensterbrett, ein kurzes Zögern und dann verschwand sie in der Tiefe. Mir stockte vor Schreck der Atem. Sehr zögernd und mit Herzklopfen schaute ich aus dem Fenster, darauf gefasst, ein böses Unglück zu sehen.
Aber da unten saß sie, wohlbehalten. Putzte sich kurz und machte sich auf den Weg. Wohin auch immer. Jedenfalls kam sie erst zurück, als die Quarantänewoche vorbei war. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber mir war, als klang ihre Begrüßung nicht wie „Miau“. Es war eher einem „Ätsch“ ähnlich.
Teil 3
Diesmal ist die Hauptperson die Schwester von Ice. Familiengene eben.
Unser Kühlschrank war damals nicht mehr der Jüngste. Man musste ihn fest schließen, von alleine fiel die Tür nicht mehr ganz zu.
Der Kühlschrank war für die Katzen natürlich das Objekt der Begierde. Wie Einbrecher in einer Bank vor einem nicht knackbaren Tresor , so versammelten sie sich oft vor dem Gerät und starrten es böse an.
Belle reichte das Starren wohl nicht. Sie war ein Leckermäulchen, besonders Käse hatte es ihr angetan. Und so geschah es.
Normalerweise beginnt mein Tag um fünf Uhr. Unter der Woche. Aber nicht am Wochenende. Meine Katzen haben zwar nie gelernt, das zu verstehen, aber da bin ich hart geblieben. Ihre Versuche, mir diese dumme Wochenendgewohnheit auszureden, die würden ein Buch füllen.
Es war also Sonntag. Mein erster Weg führte in die Küche. Zur Kaffeemaschine. Nein, stimmt nicht. Bevor ich mir Kaffee kochen konnte, mussten erst die Raubtiere gefüttert werden. Sonst wurde es in der Küche lebensgefährlich für mich. Die Katzen pflegten nämlich, zwischen meinen Beinen herumzuwuseln, bis es endlich Fressen gab. Böse Stolperfallen.
Also, als erstes zum Kühlschrank, neben der Spüle. Die Kühlschranktür war nicht ganz zu. Hatte wieder eins der Kinder vergessen, sie richtig zu schließen?
Beim Öffnen der Tür wäre ich dann fast zum ersten Mal in meinem Leben in Ohnmacht gefallen. In der mittleren Etage saß Belle, satt, zufrieden. Kein bisschen schuldbewusst. Einen verfrorenen Eindruck machte sie auch nicht. Und der Käse war weg. Ihr Blick sprach Bände: „Wenn Du so lange schläfst, dann muss ich eben zur Selbsthilfe greifen."
Einige Tage später habe ich sie dann ertappt. Und meine Kinder waren freigesprochen vom Vorwurf des Türnachlässigschließens.
Belle sprang auf die Spüle, fuhr die Krallen der linken Pfote aus, hakte sie im Gummi der Kühlschranktür ein und schaffte es, so die Tür einen Spalt aufzustemmen. Und drin war sie.
Bis der neue Kühlschrank kam, der sicher schloss und nicht mit diesem Trick zu öffnen war, mussten Klebestreifen her. Dicke, viele.
Nicht, dass ich Belle den Käse nicht gegönnt hätte. Aber was, wenn der alte Kühlschrank dann doch einmal beschlossen hätte, ordentlich zu schließen? Tiefkühlkatze, nein danke.
Texte: Photos, Bilder und Texte: Regina Krause
Photos von Ice (weiße Katze): Ursula Roller
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für unseren Kater Poppey, den magischen Kater, der uns zu perfekten Dosenöffnern erzogen hat.