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Inhaltsverzeichnis


Seite 6 Epilog
Seite 8 Blau
Seite 18 Violett
Seite 25 Rot
Seite 33 Orange
Seite 38 Grün
Seite 44 Gelb


Prolog



Ein blauer Planet mitten in einem riesigen Sonnensystem.
Viel Wasser, aber noch kein Leben. Es wird sich erst entwickeln.
Eine große Kugel nähert sich der Atmosphäre. Sie gleitet hinein, glüht auf. Alle Regenbogenfarben leuchten . In tausend Einzelteilen sprüht es, regnet hinab auf Land und Wasser.

„Auftrag ausgeführt“, schnarrt eine Computerstimme in einem Raumschiff , „Violetter Hass und rote Liebe, grüne Hoffnung und blauer Mut, orangefarbene Verzweiflung und gelbes Glück. Alles ausgesät.“

Über dem blauen Planeten dreht ein Raumschiff ab und verschwindet in der Unendlichkeit des Alls.
Zurück bleiben viele verschiedenfarbige Kugelsplitter. Wind und Wasser werden sie schleifen und polieren.




Kapitel 1
Blau
Iverness, Schottland, Grundschule


20. Jahrhundert



Ryan McLeod duckte sich. Sein Kopf verschwand hinter dem Müllcontainer auf dem Pausenhof. Kyle und Logan liefen vorbei. Große Jungs, Schlägertypen, die Ryan als Lieblingsopfer ausgesucht hatten. So wie heute wieder. Den ganzen Vormittag hatten sie ihn gehänselt, ihm Schläge angedroht, wenn er petzen würde. Und ihn ausgelacht. Weil er die Mutprobe nicht machen wollte. Niemals würde er um Mitternacht in die alte Burgruine klettern und den Wimpel, der noch in einem zerbrochenen Fenster hing, holen. Dort spukte es, sogar die Erwachsenen glaubten daran. Alle machten einen großen Bogen um das Burggelände.
Kyle und Logan waren noch nie in der Ruine gewesen. „Wir müssen niemandem unseren Mut beweisen. Alle wissen, wie stark und tapfer wir sind!“ hatten sie vorhin erst geprahlt.
Ryan war schnell vor ihnen weggelaufen. Für heute würde er Ruhe haben. Sein Zimmer in dem kleinen Haus seiner Eltern verließ er nachmittags nie. Aus Angst, dass er den anderen Jungs über den Weg lief, aber auch, weil er ein Bücherwurm war. Lesen und träumen, das konnte er am besten in seinem kleinen Reich.

Ryan schob sich vorsichtig hinter dem Container hervor. Die Luft war rein. Er lief zu seinem Fahrrad und radelte so schnell er konnte nach Hause. Dort angekommen erledigte er seine Hausaufgaben, dann träumte er sich mit einem Buch weit weg von seinen Sorgen und Problemen.

„Ryan!“ die Stimme seiner Mutter holte ihn in die Wirklichkeit zurück. „Ich brauche noch Schnittlauch fürs Abendessen. Holst Du mir bitte welches aus dem Garten?“
„Mach ich!“ antwortete er und schlüpfte in seine Schuhe. Draußen war es neblig und die letzten Strahlen der Sonne konnten nur ein diffuses, etwas unheimliches Licht verbreiten.
Als Ryan sich bückte, um ein Büschel Schnittlauch abzuschneiden, sah er etwas glänzen. Mitten im Kräuterbeet lag ein runder, blauer Stein. Obwohl kein Licht ihn erreichte, funkelte er geheimnisvoll. Ryan hob ihn auf. Seltsam, der Stein fühlte sich warm an, schien sich in seine Hand zu schmiegen.

„Ryan! Wo bleibt das Schnittlauch?“ Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken über diesen seltsamen Stein. Schnell steckte er ihn in die Hosentasche und beeilte sich, seiner Mutter das Gewünschte zu bringen.

Nach dem Abendessen kehrte er in sein Zimmer zurück. Sein Fundstück legte er neben sich auf den Nachttisch. Müde löschte er das Licht und schlief schnell ein.

In der Dunkelheit der Nacht kam Leben in den Stein. Er schien zu wachsen, kleine blaue Feuer tanzten in seinem Inneren. Aus der Oberfläche wuchsen dünne Tentakel, die sich wie in Trance hin und her wiegten. Sie bewegten sich auf das Bett zu, tasteten nach dem Kopf von Ryan. Streichelten sein Gesicht. Ein blauer Schimmer hüllte Ryans Kopf ein. Dann fiel der ganze Spuk in sich zusammen. Auf dem Nachttisch lag wieder nur ein blauer Stein.

Ryan erwachte. Die Uhr zeigte 23.30 , bald würde es Mitternacht sein. Er wollte sich schon umdrehen, um weiter zu schlafen, aber ein leises Summen in seinem Kopf ließ ihm keine Ruhe. Leise Stimmen schienen in einem Chor unterschiedlichster Töne seinen Geist zu beherrschen. „Ruine“ raunten sie . „Mutprobe“. Ryan schüttelte heftig den Kopf. Vielleicht konnte er die Stimmen so loswerden. Aber sie blieben.

Nachdenklich stand er auf. Schaute aus seinem Fenster. Der Nebel war dichter geworden. Gespenstische Schleier tanzten im Garten. Der Mond war nur als milchig blasse Scheibe zu erkennen. Ryan seufzte tief. Eine Nacht, wie geschaffen für die Mutprobe. Ein Ruck ging durch seinen Körper.
„Ja“, dachte er entschlossen, „ja, heute tue ich es. Ich werde den Wimpel aus der Ruine holen. Ich werde beweisen, dass ich mutiger bin als Kyle und Logan zusammen.“

Schnell zog er sich an, ganz in Gedanken steckte er auch den Stein in die Tasche seines Anoraks.
Dann schlich er durch das schlafende Haus. In der Küche wählte er am Telefon die Nummer von Kyle. Der Anrufbeantworter sprang an. Ryan sprach eine Nachricht: „Hi Kyle, ich bins, Ryan. Morgen wirst Du eine Überraschung erleben. Schau doch einfach auf dem Weg zur Schule bei der Ruine vorbei. Da wird kein Wimpel mehr sein.“
Dann holte er die Taschenlampe aus der Abstellkammer neben der Küche und verließ lautlos das Haus.

Der Weg zur Ruine war unheimlich. Im Nebel sah nichts so aus, wie Ryan es vom Tag her kannte. Aber er verzagte nicht. Mutig ging er auf die Ruine zu. Ihre Silhouette mit den eingefallenen Türmen und den leeren Fenstern wirkte auf ihn wie ein verwundetes Tier. Jetzt verließ ihn doch der Mut. Nachdenklich steckte er seine Hände in die Anoraktaschen. Seine Finger berührten den Stein. Wärme und Kraft schien er auszustrahlen. In Ryans Kopf erklang wieder das Summen. „Mut, nur Mut“ raunten die Stimmen.

Entschlossen ging Ryan weiter. Das beschädigte Tor der Burg war schwer zu öffnen. Endlich war der Spalt groß genug, dass Ryan hindurch schlüpfen konnte. Etwas streifte sein Gesicht. Erschrocken zuckte er zusammen, aber dann sah er im Schein seiner Lampe, dass es Spinnweben waren. Sie spannten sich überall in dem großen Saal, den er betrat. Dicke Staubschichten bedeckten den Boden und den zerstörten Tisch, der als einziges Möbelstück dort stand. Ryan leuchtete den Raum aus. Eine Treppe mit einem sehr wackeligen Geländer führte in den ersten Stock. „Ob die hält?“ fragte er sich. Vorsichtig setzte er einen Fuß auf die unterste Stufe. Es knarrte verdächtig, aber das alte Holz schien sein Gewicht auszuhalten. Langsam tastete sich Ryan Stufe für Stufe nach oben. Etwas sprang gegen sein Bein. Ryan schrie erschrocken auf, fast hätte er das Gleichgewicht verloren. Im letzten Moment konnte er sich an der Wand abstützen. Mauerputz rieselte auf ihn. Im Schein seiner Taschenlampe sah er eine dicke Ratte weg huschen. „Mistvieh“, knurrte er. Dann tastete er sich weiter vor und erreichte den Flur im ersten Stock.
Die Tür zu dem Zimmer, in dem der Wimpel auf der Fensterbank stand, war einladend geöffnet. „Das ist doch viel zu leicht“ dachte Ryan. „Da ist jetzt bestimmt das Gespenst drin“. Eine Gänsehaut überlief ihn. „Ich bin doch verrückt“, schalt er sich. „Ich sollte schnell zurück in mein warmes, sicheres Bett.“ Aber dann dachte er an seine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Nein, für einen Rückzug war es zu spät. Würde er das tun, dann wäre sein Schicksal bei Kyle und Logan besiegelt.

Fest umklammerte seine Faust den Stein. Das leise Summen war wieder da. „Tu es, tu es.“
Ryan schlich auf die Tür zu, leuchtete in den Raum, spähte umher. Nichts war zu sehen. Er ging zögernd weiter. Da! Im Schein der Lampe leuchteten zwei Augen. Bernsteinfarben, sie fixierten ihn. Ryan erstarrte. Er hatte es doch gewusst. Hier war das Gespenst.
Plötzlich wandten die Augen sich ab, ein Rauschen erscholl und eine Eule flog majestätisch aus dem Fenster. Vor Erleichterung musste Ryan laut lachen. Kein Gespenst, nur eine Eule!
Nun wieder voller Mut ging er zum Fenster und holte den Wimpel. Das Summen in seinem Kopf schien sich in Jubel zu steigern.

Am nächsten Morgen packte Ryan den Wimpel in seine Schultasche und radelte wohlgemut los. Er freute sich auf die dummen Gesichter von Kyle und Logan. Als er in der Schule ankam, waren die beiden noch nicht da. Schnell setzte er sich in seine Bank. Und dann kamen sie auch schon. „Ryan, Kleiner“, sagte Kyle mit einem bösen Grinsen. „Du hast die Ruhe unseres Telefons gestört in der Nacht. Das muss Folgen haben.“ Die beiden bauten sich vor seiner Bank auf. Wortlos öffnete Ryan seine Schultasche. Er pflanzte den Wimpel auf den Tisch. Kyle stierte mit offenem Mund darauf. Logan ging zwei Schritte zurück. „Du,Du,Du hast ,Du hast es gemacht?“ stotterte er.
„Ja“, antwortet Ryan lässig“. Und es war wirklich nichts Besonderes dabei. Ich musste nur mit einer Gespensterratte kämpfen und eine Eule groß wie ein Adler vertreiben.“

Ryan spürte, wie alle Blicke der anderen Kinder auf ihn gerichtet waren. Aber nicht voller Häme, wie sonst, sondern voller Bewunderung. Er grinste. Nun würde er Ruhe haben.

Niemand sah das blaue Leuchten in seiner Anoraktasche. Niemand sah, wie ein blauer Stein davon rollte. Hinaus auf den Schulhof und weiter in die Wiese, die neben der Schule lag.

Und weit, weit weg von der Erde tanzten Lichtwesen um eine blaue Kugel. Sie glühte vor Energie und die Tänzer tranken diese Energie wie Verdurstende Wasser.




Kapitel 2
Violett
Wien, Markgrafschaft Österreich, 13. Jahrhundert.



Richard erwachte mit klopfenden Kopfschmerzen. Ihm war kalt, seine Kleidung fühlte sich feucht an. Vorsichtig versuchte er, sich aufzusetzen. Stechende Schmerzen fuhren durch seine linke Schulter. Noch orientierungslos sah er sich um. Es war Nacht, nicht weit entfernt konnte er im Mondlicht die Türme des Stephansdoms erkennen.
Langsam dämmerte ihm seine Lage. Er war auf einem Wiesenstück in der Nähe der Stadtmauer aufgewacht. Und er war betrunken. Sehr betrunken.
Seine Erinnerung kam zurück. Mit Kumpeln hatte er in der Taverne gesessen. Sie feierten die Beförderung seines besten Freundes. Die Stimmung war gut.
Bis dieser Fremde kam. Niemand kannte ihn. Seine Kleidung war seltsam. Sie wirkte nicht echt, obwohl sie der Mode entsprach. Der Fremde hatte sich zunächst allein an einen Tisch gesetzt. Er bestellte Wein. Und fixierte dabei immer wieder die feiernde Gesellschaft. Allen wurde etwas unwohl dabei, aber niemand sprach den Fremden an. Schließlich beschloss man, aufzubrechen. Die Stimmung war weg.
Als Richard am Tisch des Fremden vorbei zur Tür wollte, wurde er festgehalten. Die Hand des Anderen umschloss seinen Arm. „Krieger, komm her. Setze Dich zu mir.“ es klang wie ein Befehl. Richard konnte sich nicht widersetzen. Er nahm dem Mann gegenüber Platz.
Der bestellte einen neuen Krug Wein und forderte Richard zum Mittrinken auf.
Richard lehnte ab. „Was wollt Ihr von mir?“ fragte er unwirsch. „Wer seid Ihr?“

Wer ich bin, das spielt keine Rolle“, antwortete der Fremde. „Aber ich weiß etwas, das Dich interessiert.“ Er machte eine Pause und schaute Richard aus stechenden Augen an.
„Dann sag es schnell, dann kann ich hier verschwinden“, erwiderte Richard scharf.
„Ach, junger Freund, warum diese Eile? Willst Du nach Hause, zu Deiner kleinen Frau?“ Die Augen des Fremden glitzerten amüsiert. „Glaub mir, das täte ich an Deiner Stelle nicht. Denn da wartet eine böse Überraschung auf Dich. Deine Frau ist weg. Sie hat eine Liebschaft, mit Deinem besten Freund. Bei Dir will sie nicht mehr sein.“

In der Taverne schien die Zeit still zu stehen. Richard erfasste den Sinn der Worte zunächst nicht. Dann traf ihn das Gesagte mit voller Wucht. Und er erkannte Zusammenhänge, die er bisher nicht hatte sehen wollen. Die Zurückhaltung seiner Frau, ihre Schweigsamkeit. Ja, es umgab sie ein Geheimnis. Jetzt sah er es. Und begriff.

Als er aus seinen Gedanken erwachte, war der Fremde weg. Nur ein violetter Stein lag auf dem blank gescheuerten Tisch. Richard nahm ihn. Und dann bestellte er Wein, immer mehr Wein.

Irgendwann musste er die Taverne verlassen haben. Und dann war er gestürzt....

Ächzend, sich an der Stadtmauer abstützend, kam Richard wieder auf die Beine. Er schwankte leicht. Aus den Gassen Wiens hörte er den Nachtwächter rufen. Mitternacht. Richard versuchte, seine Gedanken klar werden zu lassen. Wieso hatte er dem Fremden eigentlich sofort geglaubt? Was war da in der Taverne mit ihm geschehen? Richard schüttelte den Kopf. „Nach Hause“, dachte er. „Dort wird meine Frau sein. Was sollen diese lächerlichen Hirngespinste, die der Mann mir in den Kopf setzte“.

Während er nachdachte, war seine Hand um den violetten Stein geschlossen. Der Stein begann zu glühen, Richard merkte nichts davon. Sah auch nicht die tanzenden Lichter, die Tentakel. Sie berührten seine Haut, sandten Energiestöße an seine Nerven. Dann verschwanden sie wieder.

Plötzlich fühlte Richard sich wieder nüchtern. Nur ein leises Summen im Kopf war geblieben von seiner Trunkenheit. Leise Stimmen konnte er aus diesem Summen heraushören: „Sie ist weg“, „Rache“, „Hass“. Die zögernden Gedanken waren verschwunden. „Nein“, dachte Richard, „es hat keinen Sinn, nach Hause zu gehen. Sie ist weg. Ich hasse sie. Und ich hasse diesen Bastard, der sich mein Freund nannte.“

Entschlossen marschierte er los. In Richtung der Wohnung seines Freundes. Sicher war sie jetzt dort, die Schlampe. Und die beiden amüsierten sich über ihn, den gutgläubigen Schwachkopf. „Ja“, summte es in seinem Kopf. „Ja, hasse, hasse“. Richard steigerte sich in seine Wut, seinen Hass hinein. Er sah Bilder vor seinen Augen, wie die beiden sich umarmten, sich liebevoll ansahen. Tränen traten in seine Augen. Blind stolperte er weiter. Schließlich erreichte er das Haus seines Freundes. Dort war es dunkel. „Sind sie also schon zu Bett gegangen“ knurrte Richard. „Das feine Paar“.Mit aller Macht trat er gegen die Eingangstür. Das alte Holz gab sofort nach. Mit gezücktem Schwert stürmte er zum Schlafgemach des Freundes. Er kannte sich gut aus. Viele schöne Stunden hatte er mit seinem Freund hier verbracht. Dann sah er die Öllampe. Sie war fast herunter gedreht,
brannte noch schwach. Richard riss sie von der Wand, drehte die Flamme höher und steckte den Teppich in Brand, der im Flur lag. Das Feuer entwickelte sich schnell. Fauchend griff es nach dem Holz der Wände. Verwandelte die schweren Vorhänge am Flurfenster in ein Flammenmeer. Richard hörte einen Schrei. Sein Freund war erwacht. Er versuchte, aus dem Schlafgemach zu entkommen, aber es war zu spät. Die Flammen erfaßten ihn.
„Ich hasse Dich“ brüllte Richard. „Ich hasse Dich! Stirb, Bastard!“ Und in seinem Kopf schwoll das Summen an. Zu einem Begeisterungssturm.
Dann hörte er ein Krachen. Ein Dachbalken löste sich. Richard wollte ausweichen, aber hinter ihm brannte bereits die Treppe. Auch für ihn war es zu spät.
Nur ein violetter Stein blieb von dem Inferno verschont. Bald würde ein Fremder kommen und ihn mitnehmen.

In Richards Haus wartete seine Frau. Heute würde sie es ihm sagen. Das Geheimnis mit ihm teilen.
Würde er sich über ihre Schwangerschaft freuen?

Und weit, weit weg von der Erde tanzten Lichtwesen um eine violette Kugel. Sie glühte vor Energie und die Tänzer tranken diese Energie wie Verdurstende Wasser.




Kapitel 3
Rot
Duisburg, Deutschland, 21. Jahrhundert




Blütenblätter fielen auf den Tisch. „Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich, sie liebt mich nicht“.

Martin hielt inne. Schaute auf die zerpflückte Rose. „Mensch, jetzt spinne ich schon“ grinste er.
Er hob den Blick und sah auf den Monitor seines PCs. Wie oft hatte er die Mail jetzt schon gelesen?

„Danke für den schönen Tag! Fands echt toll, dass wir uns real getroffen haben. Können wir gerne wiederholen. ;-) LG Lisa“

Ja, es war ein schöner Tag gewesen. Und Martin hatte sich verliebt. Oh Mann, Schmetterlinge im Bauch!
Kennen gelernt hatte er Lisa online. Sie spielten World of Warcraft. Er war ein Paladin, sie ein Schurke. Beide auf Level 80. Neben dem Spiel waren sie ins Gespräch gekommen. „Team-Speak sei Dank“, dachte Martin. Gemeinsame Hobbys hatten sie entdeckt, neben dem Spielen. Auch Lisa interessierte sich für Biologie, trieb Sport und hörte „In Extremo“ und „Schandmaul“.
Was lag da näher, als sich dann auch wirklich einmal zu treffen.

Martin war ganz locker nach Düsseldorf gefahren. Er hatte schon öfter online-Kumpel besucht, nette Bekanntschaften geschlossen. So stellte er sich das diesmal auch vor.
Aber dann erwischte es ihn. Er sah Lisa und war Feuer und Flamme. Sie blieb distanziert, aber schaute sie ihn nicht immer wieder verstohlen an? War das Streifen ihrer Hände wirklich nur Zufall, als sie nebeneinander gingen?
Und jetzt diese Mail. Sie wollte ihn wiedersehen. Das konnte doch nur heißen, sie hatte es auch erwischt, oder?

Martin klickte auf „Antworten“ und schrieb: „Ja, gute Idee. Vielleicht kommst Du diesmal nach Duisburg? Machen wir ne romantische Hafenrundfahrt. ^^ LG Martin.“

Ungeduldig wartete er auf Antwort. Der Server von WOW war down, deswegen konnte er sie da nicht kontakten.
Das Warten wurde belohnt. Aber was musste er lesen?
„Sorry, Duisburg klappt nicht in der nächsten Zeit. Muss mich um Paule kümmern. LG“
„Paule?“ Martin war verwirrt. „Wer zum Donner ist Paule?“. Er wollte die Frage schon tippen, überlegte es sich aber dann anders. Ging ihn ja eigentlich nichts an. Sie hatten sich ja erst einmal gesehen.

Ungeduldig wartete Martin auf den Abend. Hoffentlich funktionierte WOW dann wieder. Und hoffentlich war auch Lisa da. Dann konnte er vielleicht so ganz nebenbei Infos über Paule bekommen.
Aber als er sich endlich in seinem Account einloggen konnte, sah er, dass sie nicht online war. Bis Mitternacht zockte er, sehr unkonzentriert. Seine Gedanken waren bei ihr. Und Paule.
Lisa loggte sich nicht ein. Er schrieb ihr eine Mail: „Habe Dich im Spiel vermisst. Alles ok bei Dir?“

Martin schaltete den PC aus und ging in die Küche. Eine Frustpizza wäre jetzt gut. Aber dann fiel ihm ein, dass er vor lauter Warten auf Lisa das Einkaufen vergessen hatte. Mist. Martin trat gegen den Kühlschrank. Etwas fiel auf den Boden. Oh je, hatte er was kaputt gemacht? Martin suchte den Boden ab. Da lag ein runder roter Stein. „Hübsch“, dachte er. „Rot wie die Liebe“. Er hob ihn auf und nahm ihn mit in sein Schlafzimmer.

Obwohl er hungrig war, schlief er schnell ein. Und so sah er nicht, wie der Stein plötzlich über ihm schwebte, erfüllt mit tanzenden Lichtern. Tentakel streckten sich hervor, strichen Martin über den Oberkörper. Er seufzte im Schlaf. Dann war der Lichtzauber wieder vorbei. Der Stein lag ruhig und unscheinbar auf dem Tisch.

Am nächsten Morgen startete Martin sofort den PC. Antwort von Lisa? Ja, da war eine Mail. „Du, es tut mir echt leid, aber Paule braucht mich jetzt dringend. Das verstehst Du hoffentlich. Er ist mir im Moment wichtiger als alles andere. LG Lisa“

Martin saß da wie vom Blitz getroffen. Paule war also Lisas Freund. Konnte ja gar nicht anders sein. „Okay“, dachte Martin sauer. „Hab ich Idiot mir falsche Hoffnungen gemacht. „ Er wollte schon eine nichts sagende Antwort schreiben, als ein Summen im Kopf ihn irritierte. „Hab ichs in der letzten Zeit mit dem PC-Spielen übertrieben?" fragte er sich. Vielleicht sollte ich mal an die frische Luft gehen.“ Er wusste ja, dass er es in den Semesterferien immer etwas übertrieb mit WOW. Hatte ja auch einen hohen Suchtfaktor.

Also schlüpfte er in seine Jacke und verließ die Wohnung. Draußen war es angenehm. Nicht zu warm, Sonnenschein. Martin holte tief Luft. Aber das seltsame Summen in seinem Kopf verschwand nicht. Im Gegenteil, inzwischen glaubte er Stimmen zu hören. „Sie wartet, sie wartet.“
„Oh Mann“, dachte Martin, „mich hats echt erwischt. Und das bei einer Frau, die vergeben ist. Ich muss sie vergessen, schnell!“
Martin bummelte ziellos umher. Ziellos? Eigentlich kam es ihm vor, als würde das Summen seine Schritte lenken. Er fühlte sich wie eine Marionette. „Strange“, dachte er. „Langsam mach ich mir Sorgen um mich.“
Sein Blick fiel auf einen Hauseingang. Er studierte das Schild an der Wand. „Kleintierpraxis“ stand da. Und darunter: „Spezialisiert auf Katzen.“

Das Summen in seinem Kopf wurde stärker. Martin runzelte die Stirn. „Katzen?“, überlegte er „da war was mit einer Katze. In Düsseldorf“.
Und dann fiel es ihm wieder ein. Was war er vernagelt gewesen. Paule war Lisas Kater! Sie hatte nebenbei von ihm erzählt. Dass sie ihn kastrieren lassen würde. Aber Martin hatte in seiner Verliebtheit gar nicht richtig zugehört, nur auf Lisas Gesicht geachtet.
Das Summen in seinem Kopf ließ nach. Martin lenkte seinen Schritt nach Hause. Er mußte Lisa eine Mail scheiben. Zuhause setzte er sich sofort an seinen PC. „Klar versteh ich Dich“, schrieb er. „Wie gehts Paule denn? Hat er die OP gut überstanden? Soll ich nach Düsseldorf kommen, Dir beim Pflegen helfen? ;-)“

Fast sofort kam die Antwort. Hatte Lisa am PC gewartet, ob er schrieb? „Na endlich“, las Martin. „Ich dachte schon, Du erkundigst Dich gar nicht nach Paule. Ich würd mich freuen, wenn Du kommen könntest. Ich mach uns dann ne Pizza und wir trösten Paule gemeinsam. :-)“

Martin starrte mit etwas dümmlichem Grinsen auf den Monitor. Das hätte er ja fast versemmelt. Aber jetzt hatte er seine Chance. Also, auf nach Düsseldorf!
Das Summen in seinem Kopf wurde noch einmal ganz laut. Dann erstarb es.

Und weit, weit weg von der Erde tanzten Lichtwesen um eine rote Kugel. Sie glühte vor Energie und die Tänzer tranken diese Energie wie Verdurstende Wasser.




Kapitel 4
Orange
Paris, Frankreich, 18. Jahrhundert



Michelle stolperte. Fast wäre ihr der Korb aus der Hand gefallen. Panisch umklammerte sie seinen Henkel. Das kostbare Gut darin musste heil bleiben. Eier , 3 Stück. Und ein Laib Brot. Sie hatte die Nahrungsmittel teuer eingetauscht. Gegen die Brosche, das letzte Erinnerungsstück an ihre Mutter. Aber das Opfer musste sein. Drei kleine Kinder warteten in dem baufälligen Haus in der Vorstadt auf sie. Sie hatten Hunger und jetzt war Arlette, die Jüngste, auch noch krank. 14 Monate war sie erst alt.

Michelle rümpfte die Nase. Es stank erbärmlich. In diesem Teil von Paris schüttete man die Fäkalien einfach auf das Pflaster der Gassen. Zusammen mit dem Regen, der schon seit 2 Tagen fiel, bildete sich eine glitschige, übel riechende Masse. Schmutz und Armut waren hier zu Hause. Aber es lag etwas in der Luft. Das Volk murrte. Ganz Paris war von Unruhe erfasst. Zu viele lebten in erbärmlichem Elend. Nur wenige, die Adligen, in verschwenderischem Prunk.

Sie dachte an ihren Mann. Vor einem Jahr hatte sie ihn begraben. Erst war es nur ein hartnäckiger Husten, dann spuckte er Blut. Sein Körper wurde immer weniger, Michelle kam es im Rückblick so vor, als wäre Louis nicht gestorben, sondern nach und nach einfach verschwunden.
Das Jahr war hart gewesen. Michelle hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihren Körper zu verkaufen. Sie schämte sich, aber ihre Kinder mussten essen. Und vielleicht, vielleicht würde einer der vielen Männer sich ja in sie verlieben und aus diesem Elend herausholen.

Endlich erreichte sie ihr Zuhause. Drinnen weinte ein Kind. Arlette. Besorgt ging Michelle als erstes zu ihr. Die Stirn des Kindes war heiß, quälender Husten schüttelte den kleinen Körper. Vorsichtig nahm Michelle die Kleine auf. Summte ihr eine leise Melodie ins Ohr. Das Weinen hörte auf. Behutsam bettete die Mutter das Kind wieder auf das Bündel Stroh, das als Lager diente. Ihre beiden anderen Kinder, 2 Buben, spielten in der Ecke des Raumes. Sie fochten mit imaginären Degen und Michelle betrachtete sie voller Stolz. Sie waren gute Kinder. Für sie lohnte sich jedes Opfer.

Dann deckte sie den Tisch für das bescheidene Abendbrot. Heute Abend würde sie sich nicht in den Gassen herumdrücken, wartend auf Freier. Heute wollte sie hier bleiben, bei ihrer kleinen Familie.
Während sie das Essen auftrug, bemerkte sie am Boden des Korbes einen orangen Stein. Er gefiel ihr. Die Farbe leuchtete. Sie steckte ihn in die Tasche ihres Kleides.

Nach dem Essen schickte sie ihre protestierenden Jungen schlafen. Sie mussten sich eines der drei Strohbündel, die auf dem Boden lagen, teilen. Liebevoll deckte sie die beiden mit einer zerschlissenen Decke zu. Dann begab auch sie sich zur Ruhe. Sie war müde, so müde. Und fiel sofort in einen traumlosen Schlaf.

Während draußen das Mondlicht von dunklen Wolken verschluckt wurde, erhellte ein oranger Schein das Zimmer. Der Stein war zum Leben erwacht,tanzende Lichter in seinem Inneren ließen Tentakel wachsen, sie tasteten nach Michelle, strichen über ihre geschlossenen Augenlider. Zwei Tränen liefen über die Wangen. Das Leuchten erlosch.

Husten erfüllte den Raum. Arlette wälzte sich unruhig hin und her. Die Geräusche weckten Michelle, aber sie war nicht in der Lage, die Augen zu öffnen. In ihrem Kopf summte es. *Schlaf, schlaf“ und „So müde“ ,raunten Stimmen. Michelle versuchte dagegen anzukämpfen, aber es hatte keinen Zweck. „Ja, schlafen, nur schlafen“ murmelte sie und drehte sich auf ihrem Lager um.

Am Morgen wurde sie von Sonnenstrahlen geweckt. „Endlich ist der Regen vorbei“, dachte sie. Leise, um die Kinder nicht zu wecken, erhob sie sich von ihrem Lager. Sie beugte sich über Arlette.
Das Kind lag leblos da. In seinem Erbrochenen. Es war erstickt.
Michelle schrie. Verzweifelt schüttelte sie den kleinen Körper. Das Summen in ihrem Kopf brauste auf. Als Michelle weinend zusammenbrach, verstummte es.

Und weit, weit weg von der Erde tanzten Lichtwesen um eine orange Kugel. Sie glühte vor Energie und die Tänzer tranken diese Energie wie Verdurstende Wasser.




Kapitel 5
Grün
Madrid, Spanien, 19. Jahrhundert


Maria haderte mit ihrem Schicksal. Immer wieder schaute sie auf das Ölgemälde, das zu ihrer Hochzeit hergestellt wurde. Es zeigte sie und Jose, strahlend, verliebt. Maria kam ins Träumen. Es war so ein wundervoller Tag gewesen. Sie hatte unbedingt im April heiraten wollen. Alle Versuche, es ihr auszureden und doch lieber einen Sommermonat zu wählen, waren gescheitert. Es musste der Monat sein, in dem sie Jose kennen gelernt hatte. Beim Tanzen war es passiert. Sie hatte kichernd mit ihren Freundinnen am Rand der Tanzfläche gestanden, als dieser gut aussehende junge Mann auf ihre Gruppe zu kam. Und er hatte Maria aufgefordert. Sie konnte ihr Glück damals nicht fassen. Es hatte gehalten, das Glück. Liebe entflammte zwischen den beiden.

Die Hochzeit war ein Traum. Alle Verwandten und Freunde kamen. Es wurde getanzt, gelacht, Maria hatte an dem Tag fest daran geglaubt, dass sie einfach ein Glückskind war.

Aber das Glück hielt doch nicht lange. Es rumorte gegen die französischen Besatzer Spaniens. Dann kam der 2. Mai. Madrid erhob sich. Ein Volksaufstand, der sich zu einem Unabhängigkeitskrieg ausweitete. Natürlich wollte auch Jose für sein Land kämpfen. Tränenreich war der Abschied gewesen, bevor er in den Untergrund ging. Nur 2 Wochen hatte sie die Ehe genießen können. Jetzt war sie allein. Und keine Nachricht von Jose.

Tränen stiegen ihr in die Augen. Aber dann schüttelte sie trotzig ihren Kopf. „Ich bin stolz auf Dich, Jose!“ flüsterte sie dem Bild zu. „Und ich werde nicht weinen, denn Du sollst auch stolz auf mich sein.“ Dann ging sie in den Garten. Sie liebte Blumen und den Duft der Kräuter. „Ich könnte einen Strauß vor das Bild stellen“, dachte sie. Sie bückte sich, um einige der Blumen zu pflücken. Da sah sie etwas grün funkeln. Ein Stein, rund und glatt. Entzückt hob sie ihn auf. „Eine kleine Freude“, dachte sie. „Freude in meinem Leben kann ich gut gebrauchen.“ Sie brachte den Stein in ihr Schlafzimmer. „Hier sollst Du mich bewachen, wenn ich schlafe“, sagte sie leise.

Plötzlich ertönte unter ihrem Fenster Lärm. Einige der alten Männer, die nicht mehr kämpfen konnten, pochten gegen die Tür. Schnell öffnete sie. „Signora“, stammelte einer der Männer. „Wir haben schlechte Neuigkeiten. Das Lager von Jose und den anderen wurde angegriffen. Es sieht übel aus. Überlebende scheint es nicht zu geben. Es tut uns leid, Signora. Jose war ein guter Mann! Wir müssen jetzt weiter, all den anderen Bescheid sagen.“

Maria rutschte wie betäubt an der Wand hinunter und setzte sich. „Nein!“ schrie sie, „nein, das darf nicht sein! Jose ist mein Leben. Wenn er nicht mehr ist, dann will ich nicht weiterleben.“ Mit zitternden Beinen stand sie auf und wankte ins Haus, in ihr Schlafzimmer. Sie weinte und schluchzte bis zur Erschöpfung. Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Es wurde dunkel, aber das Zimmer von Maria wurde plötzlich von einem grünen Licht erfüllt. Im Stein erwachte tanzendes Leuchten. Tentakel wuchsen aus der Oberfläche und berührten sanft Marias Stirn. Streichelten sie. Dann zogen sie sich zurück. Und die Dunkelheit umhüllte Maria. Ihre Atemzüge wurden ruhiger, tiefer.

Als draußen ein Hahn krähte, schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Erst war sie orientierungslos, dann fiel ihr das Geschehen vom Vortag wieder ein. „Mein Jose“, flüsterte sie erstickt. „Mein Geliebter.“ Sie stand langsam auf. Das Summen in ihrem Kopf nahm sie zunächst nicht wahr. Zu sehr war sie gefangen in ihrer Trauer. Sie ging in die Küche. Ganz in Gedanken zog sie die Lade des Küchenschranks auf und holte ein Fleischmesser hervor. Kühl und scharf lockte seine Klinge. „Ja, das wäre das Beste“, dachte sie.“Mitten in mein Herz, das schon von Schmerz zerschnitten ist“ Das Summen steigerte sich. Maria glaubte Stimmen zu hören. „Warte“, „Hoffe“. Irritiert sah sie sich um. Ihr Blick fiel auf das Küchenfenster. Da steckte etwas an der gespaltenen Stelle des Rahmens. Sie öffnete das Fenster und sah einen Zettel. Schnell holte sie ihn herein und las . „Liebste, ich muss weg aus Madrid. Aber ohne Abschiedsgruß konnte ich nicht gehen. Das Massaker in unserem Lager habe ich überlebt. Ich werde meine Freunde rächen. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist. Die Franzosen werden bluten. Und Du, meine Blume, gib nie die Hoffnung auf. Wir werden siegen und ich werde zu Dir zurückkehren. In Liebe, Jose.“

Maria konnte es nicht fassen. Jose lebte. Und während das Summen in ihrem Kopf stärker wurde, rief sie: „Jose, verlass Dich auf mich. Ich gebe die Hoffnung nicht auf!“ Das Summen erstarb. Maria legte das Messer zurück in die Lade.

Und weit, weit weg von der Erde tanzten Lichtwesen um eine grüne Kugel. Sie glühte vor Energie und die Tänzer tranken diese Energie wie Verdurstende Wasser.





Kapitel 6
Gelb
Irgendwann, in irgendeinem Garten



„Platsch“, Schnee rutschte vom Dach. Und traf genau den schwarzen Kater, der sich neben der Wassertonne putzte.
Fauchend sprang er auf, schüttelte sich. Dieser Winter war grausam zu ihm. Er kam nicht mehr ins Haus. Seine Leute waren weg. Niemand, der lockend in der Tür stand: „Komm, Timon. Fressen wartet“.
Timon verstand die Welt nicht mehr. Die Frau, der Mann, der kleine Junge, wo waren sie hin? Vor einer Woche war ein großes Auto gekommen, alle Möbel verschwanden darin. Und dann auch seine Menschen. Der kleine Junge hatte geweint. Das Auto fuhr ab, Timon blieb im Garten zurück.

Zunächst hatte er geduldig auf den Treppenstufen gewartet. Er hatte sich geputzt, geschlafen, sich gestreckt, gegähnt. Was Kater eben so machen, wenn ihnen langweilig ist. Aber niemand kam zurück zum Haus.
Als sein Magen bedrohlich knurrte, ging er auf die Jagd. Naja, er wollte, aber er erinnerte sich nicht mehr, wie das ging. Jagen hatte er doch nicht nötig gehabt. Das war was für die räudigen Katzen, die manchmal vorbeistreunten. Die lebten draußen. Aber er hatte doch ein Haus und Diener!

Zum Glück gabs ja die gelben Säcke. Sie lagerten in der Garage, die war offen. Seine Leute hatten sie nicht mitgenommen. Wenn man sie zerriss, dann kullerte der Inhalt heraus und manchmal waren noch Essensreste in den Dosen und Packungen. Gestern hatte er ein kleines Stück Pizza gefunden, es mit Heißhunger verschlungen.
Aber langsam wurde die Lage brenzlig. Richtiges Essen musste her.

Missmutig stapfte Timon durch den Schnee. Brrrr, war das kalt. Und nass. So ein Leben hatte er nun wirklich nicht verdient.

Plötzlich hörte er ein Geräusch. Ein Auto näherte sich. Es hielt vor dem Haus. Waren das seine Diener? Kamen sie zurück? Vorsichtig spähte er durch die Hecke. Nur keine Freude zeigen! Das war unter der Würde eines Katers. Mit Verachtung würde er sie strafen! Timon wetzte die Krallen. Sie würden um ihn werben müssen. Die nichtsnutzigen Menschen!.

Zwei Menschen näherten sich. Aber die kannte er nicht. Er duckte sich unter die Büsche. Dass er dabei mit einer Pfote einen gelben Stein berührte, bemerkte er nicht. Auch nicht die kleinen Tentakel, die seine Fußballen berührten.
Eine junge Frau und ein Mann gingen auf das Haus zu. Der Mann trug einen Aktenkoffer und sah mächtig wichtig aus. Hätte Timon grinsen können, er hätte es jetzt getan. „Ein aufgeblasener Gockel“, dachte er. „Der braucht einen Kater, der ihn erzieht.“

Der Mann holte einen Schlüssel aus der Hosentasche. Und er schloss das Haus auf! „So, Frau Burger, hier ist Ihr neues Heim. Ich hoffe, Sie leben sich schnell ein. Der Möbelwagen müsste auch bald da sein. Ich lasse Sie jetzt allein. Habe noch eine Menge Termine mit anderen Klienten“. Noch während er sprach, wandte der Mann sich ab und wollte die Stufen hinabsteigen. Doch er rutschte aus und landete auf seinem Hosenboden im Schnee. Die junge Frau kicherte hinter vorgehaltener Hand. Oh, was war sie Timon sympathisch!
Leise schimpfend rappelte der Mann sich auf und und eilte zu seinem Auto. "Kein würdevoller Abgang", dachte Timon.

Dann schaute er wieder zur Tür. In seinem Kopf war ein seltsames Gefühl. Da sprachen Stimmen. „Jetzt“, „Glück“ flüsterten sie. Das war Timon mehr als unheimlich. Er sprang auf und raste wie ein geölter Blitz auf die geöffnete Tür zu, in der noch immer die junge Frau stand. Nur hinein ins Haus, weg von den Stimmen!
„Nanu“, die Frau schaute ihm verdutzt nach. „Was war denn das?“. Sie folgte ihm. Timon war in die Küche gelaufen, spähte nach seiner Futterschüssel. Die stand auch noch da, aber sie war leer. Timon war sauer und vergaß für einen Moment die Stimmen.
Die Frau beugte sich zu ihm herab. „Mhm, das hat mir keiner gesagt, dass ich hier einen Mitbewohner habe.“
„Mitbewohner ist gut“, dachte Timon. „Eigentlich bin ich der Besitzer.“
Dann fühlte er, wie die junge Frau ihn kraulte. Das tat gut. Er schnurrte so laut, dass er nicht hörte, wie die Stimmen in seinem Kopf jubilierten.
„Also“, sinnierte die Frau, „ich bin Angela. Magst Du bei mir einziehen?“
Timon konnte sein Glück nicht fassen. So eine nette Dosenöffnerin. Jetzt fehlte nur noch der Kühlschrank.

Und weit, weit weg von der Erde tanzten Lichtwesen um eine gelbe Kugel. Sie glühte vor Energie und die Tänzer tranken diese Energie wie Verdurstende Wasser.


Impressum

Texte: Cover, Papier und Texte: Regina Krause
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Alex, der meine Phantasie liebt. Für meine Kinder, die meine Phantasie beflügeln. Für alle, die gerne träumen. Und im Kopf das Unvorstellbare wirklich werden lassen. Mein Dank gilt Eva aus Wien, die mit Engelsgeduld nach Tippfehlern fahndete.

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