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Spur der Freundschaft

Die Karawane war schon viele Tage und Nächte unterwegs. Müde schleppten sich die Tiere durch die Gluthölle des Tages. Unbarmherzig brannte die Sonne.
All die kleinen huschenden und raschelnden Schatten der Nacht hatten sich tief in ihre Höhlen verkrochen um die Hitze zu verschlafen.
Einsam zog ein Vogel am Himmel seine Kreise.
In der Ferne, in flirrender, spiegelnder Unendlichkeit, ein grünes Band.


Die stolzen Reiter, schon lange gingen sie zu Fuß um ihre Tiere zu schonen, blickten erwartungsvoll in jene Richtung.
Noch eine Nacht, vielleicht ein Tag und endlich wäre die Oase erreicht.


Gegen Abend machte die Karawane im Schutze einer schroffen Felswand Rast. In der Nacht würden sie die Kühle nutzen um weiter zu ziehen. Doch erst brauchten Mensch und Tier eine Rast.
Bald prasselte ein Feuer und der Karawanenjunge kochte Tee. Er war zum ersten Mal mit auf der Reise. Sein Vater hatte ihn mitgeschickt damit er das Leben und die Menschen kennen lernen sollte. Der Karawanenführer war sein Onkel. Er führte ein strenges, aber gerechtes Regiment. Seiner Erfahrung war es zu danken, dass auf den letzten Reisen kein Mensch zu Schaden kam und kein Tier verloren ging.
Karim war stolz auf seinen Onkel.


Bald würden sie am Ziel der Reise sein, Datteln und Hirse gegen Salz eintauschen und dies dann auf dem Heimweg in den Oasen und auf den Märkten der Städte verkaufen. Die Heimreise würde viel länger dauern und den Jungen an Orte führen die er aus den alten Erzählungen kannte. Aufmerksam hatte er den Händlern zugehört, wenn sie am Feuer ihre Geschichten erzählten. Und nun war er selber dabei.
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In der fernen Oase lag ein Junge unter freiem Himmel, den Kopf auf den Bauch seines Hundes gelegt und schaute in die Sterne.


Gestern war die Salzkarawane eingetroffen, bald würde die Karawane mit den Datteln erwartet. In der Oase würde wieder ein buntes Treiben herrschen. Geschichten erzählt, Neuigkeiten getauscht und gehandelt werden. Said liebte diese Treffen der Karawanen, er war stolz in dieser Oase zu leben und so viele Geschichten zu hören.
Später, wenn er ein Mann geworden wäre, wollte er mit den Karawanen in die ferne ziehen, wie sein Großvater der ein berühmter Geschichtenerzähler war.
Wenn die Karawanen sich in der Oase niederließen und abends die Feuer brannten, erzählte der alte Jussuf Geschichten, bis tief in die Nacht. Said kannte sie alle und dennoch hörte er seinem Großvater immer wieder begeistert zu. Seine Geschichten erweckten die Wüste zum Leben und ließen Träume und Sehnsüchte weit über den Horizont fliegen.
Doch an diesem Abend hatte der alte Jussuf eine ungewöhnliche Geschichte erzählt, eine die Said nicht kannte und die sein herz seltsam berührte. Eine Geschichte die erst noch geschehen würde. Dabei hatte der Alte Said so merkwürdig angesehen, als sollte ihm diese Geschichte geschehen.
Alle hatten geklatscht als der Alte fertig erzählt hatte. Tee und Geschenke erhielt er von den Händlern. Die Geschichte war wunderbar, das wusste Said noch, aber er konnte sich an die Handlung nicht mehr erinnern. Das verwirrte ihn so sehr, dass er nun an seinen Hund gelehnt in den Nachthimmel starrte.
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Als noch tief in der Nacht die Hitze angenehmeren Temperaturen wich, ließ der Karawanenführer die Tiere wieder beladen. Man wollte die Kühle nutzen um schneller vorwärts zu kommen. Wie immer war dies eine gute Entscheidung und so konnten die müden Reisenden am nächsten Abend in der Ferne schon die Spitzen der Palmen erkennen. Noch eine Nacht in der Wüste, am nächsten Tag würden sie sich endlich ausruhen können.
In jener Nacht hatte Karim einen seltsamen Traum. Er hörte jemanden erzählen, eine Geschichte von Freundschaft und Vertrauen. Er öffnete seine Augen, aber da war niemand der zu ihm sprach. Nur das Schnauben der Tiere und das Schnarchen der Männer und über ihm der samtschwarze Nachthimmel. Er betrachtete die Sterne und begann langsam in einen Traum zu gleiten.
Im Morgengrauen weckte ihn ein Tritt in den Rücken. „He, Faulpelz, koch uns Tee“. Es war sein Onkel, der ihn so unsanft weckte, doch auf seinem Gesicht spielte ein leises Lächeln. Der Onkel war auch froh, dass das erste Ziel der Reise bald erreicht würde.


Gegen Mittag, als die Sonne die Erde zu verbrennen drohte, waren sie am Ziel. Die Kamele rochen das Wasser und beschleunigten ihre Schritte.
Hilfsbereite Hände streckten sich nach den Lasten und tränkten die Tiere. Hände wurden geschüttelt, sich umarmt und gelacht. Die Händler kannten sich und freuten sich auf gute Geschäfte.
Bald waren die Tiere versorgt und bei der ersten Tasse Tee breitete sich ein gemütliches, aber erwartungsvolles Schweigen aus.


Karim suchte Blickkontakt zu seinem Onkel, er wollte die Erlaubnis sich umsehen zu dürfen. Es wurde ihm gewährt.
Langsam schlenderte er durch die Gassen der Oasenstadt. Sie war viel größer als er gedacht hatte, was gab es da alles zu sehen und zu riechen. Er tastete nach seinen Münzen, es war nicht viel aber für eine Kleinigkeit, vielleicht eine Frucht, würde es reichen.
Aber noch nicht jetzt, er wollte sich erst mal gründlich umsehen.
Viele Kinder liefen in den Gassen herum, frei und fröhlich lachend.
Aus einem Hof in der Nähe der Moschee hörte er vielstimmige Koranrezitationen. Das erinnerte ihn an zu Hause, an das stundenlange Stillsitzen unter der Aufsicht des alten Abu Hafis. Schnell ging er weiter.
Bald kam er an die Palmengärten und die grün schimmernden Oasenseen. Ob man da wohl baden konnte.
Als hinter ihm ein Lachen erklang merkte er, dass er nicht alleine war und außerdem laut überlegt hatte.
Neben ihm stand ein Junge, ungefähr in seinem Alter. „Komm, gehen wir schwimmen!“
Bald plantschten die Beiden vergnügt im Wasser. Nach einer Weile setzten sie sich in die Sonne und schauten einander genauer an.
„Du bist mit der Dattelkarawane gekommen, ich habe dich vorhin bei den Tieren gesehen.“
„Gehörst du zu der Salzkarawane?“
„Nein, ich wohne hier, ich bin Said.“
„Mein Vater nennt mich Karim, mein Onkel allerdings nur Junge oder manchmal auch Faulpelz, wenn ich den Tee nicht schnell genug koche.“
Said lachte laut, vor allem über Karims Gesicht, als er das sagte.
Saids Hund kam angetrottet und zu dritt verbummelten sie den Tag.
Am Abend setzten sie sich zu den Händlern ans Feuer um den Geschichten zu lauschen.

Spät in der Nacht, als alle Neuigkeiten ausgetauscht waren, begann der alte Jussuf seine Geschichten zu erzählen. Jemand schlug die Trommel dazu. Die Grenzen zwischen Raum und Zeit begannen zu verschwimmen.


Said und Karim saßen nebeneinander. Sie spürten dass die erzählte Geschichte etwas mit ihnen zu tun hatte.
Der Klang der Trommel, das Prasseln des Feuers und die Stimme des Geschichtenerzählers lullten die Beiden in einen behaglichen Schlaf. Gemeinsam träumten sie eine ferne Zeit, weite Reisen und neue Geschichten.

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Am nächsten Morgen rief der alte Jussuf seinen Enkel. „Bring deinen neuen Freund mit.“
Said und Karim setzten sich im Hof des Alten auf den Boden.
Er schaute die Beiden lange an, dann legte er jedem ein Lederband mit einem seltsam geformten Anhänger in die Hand.
„Sie gehören zusammen, so wie ihr beide. Das Schicksal hat euch zu Bundesfreunden bestimmt.“

Was der Alte noch alles sagte, hörten die Jungs nicht mehr so genau. Sie betrachteten ihre Schmuckstücke und stellten fest, dass es zwei Teile eines Ganzen waren. Jeder legte sich sein Band um den Hals. Dann bedankten sie sich bei dem Alten und trabten davon.

Als die Karawane wieder weiter zog, begleitete Said seinen neuen Freund auf dem Weg in die weite Welt. Er begann Geschichten zu sammeln wie sein Großvater und in den Oasen von seinen Reisen zu erzählen. Mit Karim verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Jedes Jahr trafen sie sich an dem Tag an dem sie ihre Freundschaftsbänder erhalten hatten.

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Die Zeiten vergingen, Karawanen zogen von Oase zu Oase. In den Städten begannen die Menschen andere Dinge zu tun.
Aber die Bänder überdauerten die Zeiten und blieben ein Zeichen für Freundschaft und Vertrauen.

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Tag der Veröffentlichung: 26.09.2011

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