Sommer Mitte der 70er Jahre, eine Gemeinde in Schleswig-Holstein, schön gelegen an einem großen See und etwa 20 km von der Küste der Ostsee entfernt. Dübbel ist genauso wie es sich Urlauber wünschen: Ländlich mit einem Flair von Kurort, viel Grün, einem großem See und vor allem sehr ruhig. Bis, ja bis eines Tages ein VW-Bus mit seltsamen Vögeln auftauchte, die die Bewohner in Aufregung versetzte, zumindest etwas...
Sonntag. Im Gasthof „Zum blauen Horst“ traf sich wie jeden Sonntag Vormittag die Stammtischrunde zum Frühschoppen, um ein wenig über Neuigkeiten zu snacken. Bier und Korn sind dabei Standard, ebenso Schwarzbrote mit Schmalz und Rollmops.
Die Runde war fast vollzählig, außerdem saßen noch zwei Urlauber aus Berlin mit im Garten. Horst, der Wirt war eigentlich keine Plaudertasche, aber diesmal hatte er doch eine Nachricht: „Für heute hat sich gleich eine halbe Fußballmannschaft angemeldet, die für eine Woche hier Urlaub machen wollen.“ „Na, denn klingelt wohl die Kasse“, erwiderte Wilhelm, der der zweitgrößte Bauer im Ort ist. „Na soviel Geld scheinen die auch nicht zu haben, die wohnen nur in zwei Stuben.“ Minutenlanges Schweigen. „Und woher kommen die?“, fragte Holger schließlich. Als Polizist war das ziemlich wichtig für ihn. „Soviel ich weiß, aus Hessen.“ „Mhm“, überlegte Schmied Malte laut und streute sich etwas Salz auf sein Schmalzbrot, „kenne keinen.“ Alle überlegten. „Doch, ich kannte mal einen. Den habe ich aber nie so richtig verstanden. Kam, glaub ich, aus Frankfurt“, fiel Jochen plötzlich ein und kippte seinen Korn runter, „War ein lustiger Kerl, aber was nutzte das...“
In dem Moment hörte man Motorenlärm, und schon hielt ein Kleinbus am Parkplatz. Alle glotzten neugierig hin. Ein junger Mann stieg aus und ging direkt auf Horst zu. „Sie sind bestimmt Herr Hansen? Ich bin Eddi Schneider und hatte reserviert.“ Horst nickte: „Jau, sie können gleich rein gehen, meine Frau weist ihnen die Zimmer zu.“ „Danke“, bekam er zur Antwort und Schneider winkte zum Bus. Sofort stiegen fünf Leute aus, die eigentlich wie Rocker einer Band aussahen. Zwei davon waren Mädels, die auch Studentinnen sein konnten. Alle verschwanden mit samt Gepäck im Haus.
„Habt ihr gesehen“, so Malte, „Der erste Typ trägt ne Krawatte. Der sieht nach Chef aus. Und jeder hat auch eine Aktentasche dabei.“ Holger nickte: “Stimmt. Urlaub machen die wohl nicht.“ Man sah ihm an, dass er grübelte. Kurz entschlossen schrieb er sich das Autokennzeichen auf und blickte über seine Brille: „Muss ja alles seine Ordnung haben.“
Einer der Berliner mischte sich ein: „Na Leute, so wie das aussieht, ist das wahrscheinlich ne Drückerkolonne.“ Alle blickten den braungebrannten Dicken erstaunt an. „Und was drücken die?“, fragte Wilhelm neugierig zurück. „Die drücken euch was auf, sind sicher hier, um euch Zeitschriften-Abonnements unterzujubeln.“ Schweigen... „Davon habe ich schon gehört“, fuhr dann Holger fort und machte einen auf amtlich, „Die haben so ihre Methoden, die nicht immer legal sind. Verboten ist das aber nicht.“ Alle dachten nach.
„Was für Methoden?“, fragte Knut schließlich, einziger Fischer im Ort, und zog an seiner Pfeife. „Na ja, die erzählen dir zum Beispiel traurige Geschichten, um bei dir Mitleid zu erregen, und dann fragen sie dich, ob du ihnen helfen kannst, indem du ihnen ein Abo abnimmst.“
Nach einer Weile träumte Malte: „Also ich höre gern traurige Geschichten...“, und stierte auf sein leeres Kornglas. „Du Dösbaddel, die wollen nur dein Geld, kapierst du das nicht?“, Holger wurde richtig laut und sah alle über seine Brille an, „Wir müssen unsere Leute warnen!“ Dieser Einfall war genial. „Jau, ich fahre gleich mal bei Karin vorbei und werde es ihr verklickern. Als Bäckerin kennt sie ja alle im Ort“, so Wilhelm. „Und ich erzähl das gleich Frauke“, erwiderte Knut. Seine Frau besitzt das größte Lebensmittelgeschäft, Treffpunkt für alle Quasselstrippen von Dübbel. Die Ideen fanden alle gut, und daraufhin goss Horst noch eine Runde Klaren ein. Auch für die Berliner. Man war sich einig, na ja, eigentlich wie immer...
Am anderen Tag beobachteten Horst und seine Frau Ilse ihre neuen Gäste durch das Küchenfenster. Sie versammelten sich am Parkplatz und Schneider gab wohl irgendwelche Instruktionen, dann lief der ganze Haufen auseinander. Dieses Ritual verfolgten sie jeden Morgen. Und nachmittags traf man sich dann wieder, um mit herunter hängenden Kinnladen Bericht zu erstatten.
Frieda Claasen, Witwe. Die betagte Frau schälte gerade ihre zwei Kartoffeln und streute etwas Salz in das Kochwasser für ihr Mittagessen, als sie einen jungen Mann sah, der vor dem Gartentor stand. Neugierig tippelte sie an den Zaun und fragte: „Ah, sie sind wohl der Herr vom Friedhof?“ Verdutzt kam die Gegenfrage: „Äh, vom Friedhof? Wieso?“ „Na, wegen meiner Grabstelle, sie wollten doch mit mir darüber sprechen.“ „Nein Frau... Claasen“, er schielte dabei auf das Klingelschild, „Ich bin hier, um sie zu fragen, ob sie ein Herz für arme Studenten haben. Ich studiere, und um mir eine Kleinigkeit dazu zu verdienen, wollte ich sie fragen, ob sie nicht Interesse an einer interessanten Zeitschrift haben. Die Witwe schaute ihn an. „Na gut, was soll sie denn kosten? Und was ist das für eine?“
Siegesgewiss erwiderte er: „Oh, die können sie sich aussuchen. Ich habe viele im Angebot.“ Frau Claasen nahm ihre Geldbörse aus der Schürze und sagte: „Dann nehme ich mal eine „Bunte“, die hatte ich schon mal.“ Der Mann stand einen Moment sprachlos da. „Nein“, sagte er, „Ich habe keine dabei. Aber sie können eine bestellen. Dazu brauche ich nur ihre Unterschrift, und sie erhalten die Zeitschrift pünktlich mit der Post.“ Etwas enttäuscht sagte sie: „Ach nee, junger Mann, wegen einer Zeitschrift ist mir das zu umständlich, dann hole ich sie mir lieber bei der Frauke.“ Sie drehte sich um, ließ den irritierten Mann einfach stehen und ging ins Haus.
Fischer-Familie Knut Paulsen. Knut stand gerade am Räucherofen, aus dem es köstlich roch, als plötzlich ein Typ neben ihm stand und ihn etwas lallend ansprach: „Hi, riecht aber gut.“ Der Fischer hatte ihn sofort erkannt und antwortete: „Riechen tut ein oller Hering, das hier duftet. Wie wäre es mit einem geräucherten Aal?“ Der Kerl griente mit verkifftem Gesicht. „Ach, sehe schon, Dir ist nicht nach Essen, bist etwas von der Rolle“, bemerkte der Fischer, „was willst du denn?“ „ Na ja, weißt du, ich bin gerade unterwegs, um für ein Kinderheim Gutes zu tun.“ Er griente weiter. „Und wie machst du das?“ „Ich bitte die Menschen, mir eine günstige Zeitschrift abzukaufen, ein Teil davon geht an arme Kinder.“ „Ah so“, lächelte Knut, „Sozusagen eine Mutter Theresa in Männerjeans.“ Dabei lief er langsam zum Bootssteg, wobei der schmale Kerl hinterher lief. „Ja, sozusagen“, lallte er. „Und was kostet mich der Spaß?“, fragte Paulsen. „Kommt darauf an, was du dir auswählst.“ In dem Moment bückte sich der stämmige Fischer, um einen Bootshaken aufzuheben, das klapprige Männchen verlor den Halt und fiel samt seiner Tasche rückwärts ins Schilf. „Mann, Du ersäufst mir noch!“, rief Knut und zog ihn an Land. Etwas verdattert dankte der und verließ pudelnass und erfolglos das Grundstück.
Hans Benecke, Rentner. Der alte Mann holte gerade seine Sense zum Schärfen aus dem Schuppen, als ein zappliger Mann ihn am Zaun ansprach. „Guten Tag, sind sie Herr Benecke?“ „Ja und wer sind sie?“ Freundlich kam die Antwort: „Ich bin vom Bulda-Verlag und möchte ihnen mitteilen, dass sie gewonnen haben.“ Erfreut humpelte der Rentner an den Zaun. „Ach was, ich habe gewonnen?“ „Ein Jahresabonnement einer Zeitschrift, die sie sich sogar aussuchen können.“
Beneckes Augen leuchteten. „Das ist doch mal eine schöne Nachricht, dann nehme ich den „Landser“, da sind immer spannende Geschichten drin. Hab ja selbst im Krieg ein Bein verloren.“ Sein Gegenüber bedauernd: „Oh, das ist aber tragisch. In Stalingrad?“ „Nee“, kam die Antwort, „ich wollte als Flakhelfer ein Ferkel klauen, dabei wurde ich erwischt, und als ich über den Zaun abhauen wollte, ritzte ich mir an einem rostigen Nagel das Bein auf. Es kam zur Blutvergiftung und das Bein musste amputiert werden.“ Der junge Mann sah ihn etwas seltsam an. „Äh, das tut mir leid. Groschenromane haben wir leider nicht, dafür aber viel interessante Zeitschriften.“ Er wollte gerade seinen Angebotskatalog aufschlagen, als Benecke enttäuscht sagte: „Ach schade, wäre so schön gewesen, mal was umsonst. Dann eben nicht.“ Hob die Hand zum Gruß und hinkte mit seiner Sense hinters Haus.
Familie Wilhelm Petersen, Großbauern. Frau Dirksen las in der Tageszeitung und wunderte sich über die dummen Artikel. Typisch Sommerloch, dachte sie. Als sie kurz aus dem Fenster blickte, sah sie, wie eine junge Frau auf den Hof kam und sich etwas ratlos umschaute. Sie öffnete das Fenster und fragte: „Suchen sie jemanden?“ Die Frau ging hastig, aber unsicher auf sie zu. „Ich bin auf der Suche nach Menschen, die ein Herz für Tiere haben.“ „Tiere haben wir genug“, bekam sie zur Antwort. „Ja, das glaub ich, es geht aber um Hilfsbedürftige, die im Heim sind“ ,erwiderte das Modepüppchen, „Ich möchte ihnen helfen und suche Gleichgesinnte.“ „Das ist lobenswert. Und was kann ich da tun?“ „Ach, das ist ganz einfach. Man bestellt eine Zeitschrift, die einem gefällt, und ein Teil des Erlöses geht an ein Tierheim.“ Frau Petersen überlegte kurz. „Wissen sie, um so was kümmert sich mein Mann. Gehen sie doch einfach über die Wiese, dort finden sie ihn.“ Sie zeigte auf einige entfernt stehende Kühe. Die junge Frau nickte und befolgte den Rat.
An der Wiese angekommen, sah sie auch schon den Bauern am Wassertrog. Vorsichtig stieg sie durch den Drahtzaum und lief auf ihn zu, als sie plötzlich auf dem noch feuchten Gras ausrutschte und prompt in einen dicken Kuhfladen fiel. Angewidert und fassungslos erhob sie sich langsam, riss Grasbüschel aus dem Boden, um den Dreck vom Kleid zu wischen. Inzwischen stand der Bauer neben ihr und hörte: „Mann, so ein Mist, ich seh echt Scheiße aus!“ Sie fluchte vor sich hin. Wilhelm konnte es sich nicht verkneifen, zu antworten: „Ja stimmt. Und außerdem haben sie sich noch ziemlich schmutzig gemacht.“ Somit war Schluss mit Lustig...
Frieda Folthusen, pensionierte Lehrerin. Die drahtige Frau goss gerade ihre Blumen, als sie einen schlacksigen Kerl sah, der neugierig auf ihr Namensschild schaute. Dann klingelte er. Sie öffnete die Tür: „Ja, sie wünschen?" „Hallo Frau Folthusen, ich studiere Germanistik und möchte sie fragen, ob sie mich etwas unterstützen können. Meine Eltern sind arm, und ich muss mir etwas Geld verdienen, damit ich weiter auf die Uni gehen kann.“ Die Studienrätin hoch erfreut: „Oh, wie der arme Friedrich Schiller, der musste allerdings zum Militär gehen, um studieren zu können.“ Der Mann erfreut: „Den Schiller kenne ich leider persönlich nicht, habe aber auch einen Kumpel, der deshalb zum Bund gegangen ist.“ Dies war wohl die falsche Antwort. „So so, also Germanistik!“, folgerte die Frau und knallte ihm die Tür vor der Nase zu.
Familie Holger Lieson, Polizei. Anne Lieson stand am Herd und schaute auf die Uhr. Ach Gott, schon fast zwölf Uhr, dachte sie, bald kommt Holger und das Gulasch braucht noch eine Weile. Ihre Gedanken wurden durch die schrille Haustürklingel unterbrochen. Als sie öffnet, sieht sie Schneider, den Kolonnenführer. „Guten Tag Frau Lieson. Ich möchte ihnen heute ein einmaliges Angebot machen, dass sie sicher nicht ausschlagen werden.“ „Was für ein Angebot“, erwiderte sie, „Staubsauger habe ich schon...“ „Nein, nein, ich bin doch keiner dieser aufdringlichen Vertreter. Es geht mehr um Freizeitspaß.“ Er kramte in seiner Aktentasche. „Freizeitspaß hört sich interessant an.“, sagte sie.
Mister Krawatte zeigte ihr ein buntes Blatt mit vielen Titelbildern: „Wir haben eine breite Palette von Zeitschriften, und sie bekommen eine zum Vorzugspreis. Vielleicht ein Koch-Journal? Na, ist das ein Angebot?“ Frau Lieson starrte auf die kleinen Bildchen: „Na ja, Kochen ist zwar keine Freizeit, aber warum nicht. Die „Gourmet“ vielleicht.“ Hastig kramte der Mann ein Formular hervor. "Na klar, sie brauchen hier nur unterschreiben, und sie bekommen sie pünktlich ins Haus.“ Die Frau lächelte: „Gut, mache ich, aber erst einmal zeigen sie mir ihren Ausweis und die Reisegewerbekarte. Muss ja alles seine Ordnung haben.“ Seine Kinnlade fiel herunter. „Warum denn das? Sie brauchen nur unterschreiben, einfacher geht’s nicht!“ Frau Lieson wurde amtlich: „Glaub ich ihnen, aber wenn sie hier unerlaubt Geschäfte machen, ist das strafbar. Ein Ordnungsgeld wäre die Folge, für mich als Polizistin ein Kinderspiel.“ Sprachlos und sichtlich zornig steckte der Mann mit hochrotem Gesicht sein Zeug in die Tasche. Schließlich antwortete er: „Na, wenn sie nicht wollen!“ Dann war genauso schnell weg wie er gekommen war.
Danach verließ die ganze Truppe ziemlich plötzlich den Ort. Man sah es ihnen an, dass es nicht so gelaufen war wie geplant. Horst hörte noch die letzten Worte vom Boss: „Diese blöden verdammten Bauern, einfach nur plemplem! Bloß raus aus dem Kaff!“ Dann tuckerte der VW-Bus in Richtung Kiel davon.
Alle im Ort hatten sichtlich gute Laune, denn keiner hatte bei den Typen ein Abonnement unterschrieben. Erst am folgenden Sonntag beim Stammtisch erfuhren alle, dass Malte so plemplem war. Er hatte eine Motorsport-Zeitschrift abonniert, weil er das Fotomodell so schön fand, welches halb bekleidet auf einem Motorrad saß. Und dabei besitzt er nicht einmal einen Führerschein...
Jörg Wernicke, Berlin 2013
Texte: Jörg Wernicke
Bildmaterialien: Jörg Wernicke, Impression Waldsieversdorf
Tag der Veröffentlichung: 19.08.2013
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