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Coole Ostern!

Ich will ja nicht angeben, aber die erste Tour in diesem Jahr mit dem Kajak war wirklich ein cooles Erlebnis. Zugegeben, das Wetter war nicht gerade einladend, aber mein Kumpel Klaus und ich hatten schon schlimmeres erlebt, als diese kleine Fahrt, wobei die Betonung auf klein liegt.

Eine Woche vor Ostern rief er mich an und sprühte förmlich vor Begeisterung: „Hej, was machst Du über die Feiertage?“ „Eigentlich nichts“, sagte ich. „Ich hätte große Lust, am Sonntag anzupaddeln.“ Ich schaute aus dem Fenster und sah Schnee. Wieder so ein dämlicher Einfall von ihm, dachte ich. Er musste meine Gedanken gelesen haben. „Manno, es ist Frühling und außerdem sind wir im Club nicht alleine. Wir müssen ja nicht den halben Tag unterwegs sein! Und Du weißt ja, es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung.“ „Ja sicher, und am Montag kuriere ich dann meinen Schnupfen aus“, sagte ich. Kurze Pause. „Na, dann sehen wir uns um neun Uhr im Verein? Und sollte das Wetter wirklich schlechter werden, setzen wir uns einfach mit den Anderen gemütlich zusammen.“ Dem letzten Argument konnte ich allerdings nicht widerstehen, und damit war die Verabredung perfekt.

Samstag Abend hörte ich den Wetterbericht. Der Wetterfrosch verkündete mit heiserer Stimme Schnee für Berlin und Nachtfrost jenseits des Wohlgefühls. Eine Kanufahrt schließ ich deshalb gänzlich aus, so freute ich mich auf das Wiedersehen mit den Sportkameraden und auf einen netten Plausch.

Wahrhaftig fiel über Nacht Schnee, das Thermometer zeigte beim Frühstück sechs Grad minus. Na ja, war ja zu erwarten, dachte ich, packte meine Tasche ein und fuhr zum Verein. Die Sonne kam unerwartet hervor und ließ die Landschaft im Meister-Proper-Weiß erstrahlen. Die Eiszapfen an den Bäumen glänzten wie Diamanten, und es war eine Stille am Wasser als wäre es Heiligabend. Das heiterte auf und ich wurde immer vergnügter. Aber nur solange, bis ich aus dem Bootsschuppen ein paar bekannte Geräusche vernahm...

Tatsächlich, ich täuschte mich nicht: Klaus war wirklich dabei, sein Paddelboot herauszuholen! Als er mich sah, winkte er mir fröhlich zu. Sein Gesicht war schon rot vor Anstrengung und sein Atem hinterließ wahre Dampfwolken in der kalten Luft. Unser Vereinsvorsitzender sah wohl meine Kinnlade, die immer länger wurde, begrüßte mich mit Handschlag und fing an zu grinsen. Dann drehte er sich um und stapfte gemütlich durch den Schnee ins Vereinshaus. Klaus kam gleich auf den Punkt: „Hej Manne, ist das nicht ein Bombenwetter?“ Ja, dachte ich, das hat auch der Terrorist gesagt, bevor er sich in die Luft sprengte. Ich nickte müde.

Klaus und sein Elan. Wenn der eine Idee hat, dann will er sie schnell realisieren. Selbst für die dümmste Idee lässt sich der große, gutmütige Elektromeister schnell begeistern. Anders kenne ich ihn nicht. „Ich denke, wir nehmen nur meinen Kahn, dann haben wir weniger Arbeit“, und fuhr das lange Holzboot aus dem Schuppen. Ein schweres verklinkertes Boot aus den Jahren, als Großmutter noch Jungfrau gewesen sein musste. Na ja, vielleicht nicht ganz so alt. Ich half ihm schließlich beim Schieben, und am Steg ließen wir das schwere Ding ins Wasser.

Als er sein Zeug verstaut hatte, stand er stolz wie Oskar auf dem Steg und strahlte mich an. „Komm“, sagte er, „jetzt trinken wir noch einen heißen Tee, holen die Schwimmwesten und los geht’s.“ Das war wohl die beste Idee, die er heute hatte, dachte ich, und wir gingen ins Vereinshaus.

Dort begrüßte ich die ganze Truppe, die sich am Ostersonntag nur versammelt hatte, um in aller Ruhe einen Glühwein zu trinken und gemütlich miteinander zu quatschen. Doris, die gute Fee des Vereins brachte uns auch ziemlich schnell Tee. „Na“, sagte sie und klopfte mir auf die Schulter, „wo wollt ihr denn heute hin?“ Dabei sprach sie mit so einem ironischen Ton, als wären wir kleine eigensinnige Kinder, die dabei sind, eine Weltreise zu unternehmen. Das nahm Klaus zum Anlass, etwas lakonisch zu antworten: „Bis zur Mecklenburger Seenplatte vielleicht, mal sehen.“ „Dann nehmt euch aber noch eine Heizung mit“, lachte einer in den Raum, „es soll weiterhin Nachtfrost geben.“ Alle grinsten.

„Nee, länger als eine Stunde machen wir nicht“, sagte ich, „Ich will nicht als Schneemann mit einem Eiszapfen an der Nase zurück kommen.“ Klaus nickte, denn inzwischen hatte er auch bemerkt, dass die Sonne sich verdrückt hatte und ganz kleine Schneeflocken vom Himmel fielen. Alle schauten aus dem Fenster.

 Wir schnappten uns schließlich zwei Schwimmwesten und gingen zum Steg. So richtig freundlich sah das Wetter nicht mehr aus, und auch das Paddelboot machte sichtlich Schwierigkeiten. Irgendwo drang minimal Wasser hinein, aber statt das ganze Vorhaben sofort abzublasen, sagte Klaus mit der Selbstverständlichkeit eines Handwerkers: „Das haben wir gleich, ist wahrscheinlich die gleiche Stelle wie immer.“ Ich hatte das auch schon einmal erlebt, als wir im Sommer eine Tour machten. Mein Kumpel hat so seine kleinen Mittelchen. Die Zauberworte heißen unter anderem Zweikomponenten-Kleber, Glasfasermatte, Sandpapier und Sekundenkleber. Damit löst er fast alle Probleme, wenn es um die Dichtigkeit seines Kahns geht. Ich nickte.

Also raus mit dem Boot, es umgedreht und die verdächtige Stelle gesucht. Die fand sich schließlich. Klaus zeigte, was Routine bedeutet: Lack dort trocken gerieben, dann mit Schmirgelpapier angeraut, die zwei Komponenten zusammen gerührt, etwas Matte zurecht geschnitten, in den Kleister getaucht und auf die betreffende Stelle geklatscht. „Und jetzt der ultimative Trick des Tages“, betonte er, „Bei den Temperaturen würde die ganze Sache nicht aushärten!“ Er nahm die kleine Tube und tropfte den Sekundenkleber auf die Polyestermasse. „Klasse, was?“ Sein Daumen ging nach oben. Die Klebestelle war im Nu ausgehärtet. „Ja, stimmt“, sagte ich, „sieht zwar Kacke aus, aber wenn´s hält und auch dicht ist...“ Diese Bemerkung überhörte Klaus ohne jegliche Gesichtsentgleisung.

 Nun war wieder eine Stunde vergangen und der Kahn inzwischen in seinem nassen Element. Aber Klaus hatte die zweite geniale Idee des Tages: „Weißt Du, was ich habe? Knast! Wie wäre es mit einer heißen Bockwurst. Doris hat bestimmt schon welche im Topf.“ „Ja prima, bevor wir uns bis Brandenburg ins Zeug legen, könnte ich auch eine Stärkung gebrauchen.“ Also wieder ab ins Heim.

Von den verschmitzten Gesichtern der Kameraden ganz zu schweigen, war der Topf tatsächlich gefüllt und schon warm. „Um euch gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen“, rief Klaus in den Raum: „wir fahren mit Sicherheit heute noch ne Runde!“ Alle nickten zustimmend, aber ihre Augen verrieten irgendwie was anderes. Jeder von uns aß zwei heiße Würste und Brot, wir zahlten den üblichen Obolus in die Kasse, nahmen noch jeder einen Kurzen zur Verdauung, gaben allen eine Runde aus und verließen das Haus in Richtung Steg. Inzwischen war es 14 Uhr. Wie man sich doch verquatschen kann...

 Das Boot befand sich noch an gleicher Stelle, jedoch in Gesellschaft mit einem größeren Motorboot vom Typ WSP12. Die Wasserschutzpolizei hatte inzwischen dort angelegt, und beide Polizisten wollten gerade den Steg in Richtung Vereinshaus verlassen, um etwas zu essen. Einer davon war jedoch Ingo, Mitglied in unserem Kanu-Verein „Schnelle Welle e.V.“, was dazu führte, dass Klaus und ich wieder den gleichen Weg mit ihnen zurück gingen. Der Grund war sehr einfach: Ingo wollte sein Polyester-Kajak wegen Familienzuwachs verkaufen, welches das Objekt der Begierde von Klaus war. So waren auch wir wieder schnell im Warmen, und ich hatte absolut nichts dagegen.

 Natürlich kann man sich vorstellen, dass alle laut grölten, als wir zusammen eintraten. Die Polizisten verstanden nur Bahnhof... Bemerkungen wie „Ihr traut euch wohl nur mit Polizeischutz auf den Fluss“ oder „Für jede Stunde gibt´s ne Runde“ brachten eine heitere Stimmung in den Raum. Und aus der Musikanlage ertönte die Hymne des Vereins: „Er hat ein knallrotes Gummiboot.“

 Während sich Klaus mit den beiden Kommissaren bei Kaffee und Bockwurst in eine Ecke verkroch, um geschäftliche Verhandlungen einzuleiten, setzte ich mich zu den Anderen, um über die vergangenen Wochen zu plaudern. Klaro, dass keiner auf die Uhr schaute. Ich sowieso nicht.

Es muss so gegen 16 Uhr gewesen sein, als ich Klaus Stimme fröhlich sagen hörte: „Ingo, das ist doch ein Wort! Bei der nächsten Versammlung bringe ich die Kohle gleich mit.“ Dabei setzte er sein Sonntagslächeln auf, er strahlte aus allen Gesichtsfalten. Wenn er eine Glühlampe wäre, hätten wir in dem Moment wohl alle eine Sonnenbrille gebraucht. „Hej, ich geb eine Lage aus!“, rief er laut in Raum. Alle stürmten natürlich auf ihn zu, um ihm zum neuen Boot zu gratulieren. Einer fotografierte sogar, um diesen Moment für immer festzuhalten. „Na, endlich biste dein alten Seelenverkäufer los.“, hieß es. Dann stießen wir alle darauf an und verabschiedeten uns schließlich von den Polizisten, die ihren Dienst weiter versehen mussten. Sie waren auch schnell weg.

 Trotz seiner großen Freude, hatte Klaus wieder eine geniale Idee. „Manne, jetzt sollten wir eine allerletzte Runde mit meinem Boot machen, das nächste Mal hab ich ja das neue.“ „Okay“, sagte ich, „aber nur ein paar Paddelschläge.“ Ich wollte ihm die Freude schließlich nicht vermiesen. Als wir uns die Jacken anzogen, taten es alle anderen auch, und nun trampelte der ganzen Haufen zum Steg. Dieses Ritual wollte keiner verpassen. Doris schnappte sich noch eine Flasche Korn, ein Tablett mit Gläsern und trottete dann hinterher.

„Manno“, sagte Klaus zu mir: „das neue Kanu ist wirklich ein Schnäppchen. Ingo war froh, dass er so schnell einen Käufer gefunden hat!“ Ich klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. Als wir am Boot waren, war es offensichtlich, dass die Schnellreparatur nicht die Bohne geholfen hatte. Klaus zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Es war aber nur eine kleine Pfütze. Also stiegen wir ein und stießen uns mit den Paddeln vom Steg ab. Alle am Steg erhoben ihre Gläser und tranken auf die letzte Fahrt des alten Kahns. Eifrig klickte auch der Fotoapparat. Wir legten das Boot wegen den Erinnerungsfotos längsseits,  winkten der Gruppe zu und paddelten schließlich eine ausgiebige Runde von etwa 200 Metern, bis wir wieder kehrt machten. Es war auch der eisige Wind auf dem Wasser, der uns schnell wieder zur Heimfahrt bewog.

 Zurück gekommen, brachten wir den Oldtimer aus dem Wasser und in den Bootsschuppen. „Und was machst du mit mit dem Kahn?“, fragte ich Klaus. „Bekommt unsere Jugend zum Restaurieren und als Badeboot oder so...“ Damit war der Fall für ihn erledigt, und das einzige, was er noch tun wollte, war sein neues Boot zu besichtigen. Als wir davor standen, griente er wie ein Schmalzkanten und strich mit der Hand übers rote Deck. „Klasse, was! Wollen wir noch ne kleine Runde mit dem machen?“, fragte er. Ich hörte wohl nicht richtig und verdrehte die Augen. „Lass dir mal die Vorfreude“, lachte ich, „es wird ja sicher bald wärmer werden.“ Einen langen Moment sah er sich das rote Kanu noch bedächtig an und schloss den Schuppen dann ab.

 Als wir schließlich in den Clubraum kamen, war uns fast weihnachtlich zumute. Der Duft  von Glühwein lag in der Luft, wir setzten uns und nahmen ein paar Schluck dieses heißen Wundermittels. Das tat gut. Alle waren bester Laune und freuten sich über Klaus neue Anschaffung mit. Ostern kann so schön sein. Besonders dann, wenn man nebenbei wieder was für seine sportliche Linie getan hat! Und Klaus war überglücklich bei dem Gedanken, in der kommenden Saison mit seinem neuen Boot die Gewässer in und um Berlin unsicher zu machen.

Und wer denkt, diese Story ist erfunden, dem kann ich mein Pfadfinder-Ehrenwort geben: Es ist alles wahr! Okay, das mit Lied „Du hast ein knallrotes Gummiboot“ war dazu gedichtet...

 

Jörg Wernicke, Berlin 2013

Impressum

Texte: Jörg Wernicke
Bildmaterialien: Jörg Wernicke
Tag der Veröffentlichung: 05.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Natürlich allen Wassersportfreunden, die Freude an der Natur haben (außer zu Ostern 2013)

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