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Kompletter Text!!


Beginn, Mittwoch, 6.10.2010 (keine original Namen!)
Die Nacht ist so kalt, so dunkel, so grau. Und ich bin trotzdem da. Weil ich will, auch wenn ich damit mein Leben aufs Spiel setze. Es muss einfach sein.
So, jetzt noch drei Flugblätter. Dann kann ich nach Hause, dann bin ich in Sicherheit. Meinen Vater und mein Bruder, war ja logisch, sie sind Freiwillige, haben sich freiwillig gemeldet, Soldaten zu werden. Wie kann man nur auf dieses Arschloch hören. Und wir beide? Ja, meine Mutter, was sein muss, muss sein. Aber ich möchte nicht für dieses Schwein arbeiten.
Endlich, ich hab sie los. Jetzt treff ich mich noch an der Kreuzung mit den anderen beiden, die heute mit mir am Austragen sind. Wir verstehen wenigstens, dass es gestört ist für diesen Idioten zu arbeiten!
„Alles erledigt“, sagt Matze, „wir auch.“, erwidern Andrea und ich.
Ein Auto kommt näher. Matze drückt uns in einen Hauseingang, dass wir nicht mehr sofort zu sehen waren. Die Tür ging auf als die Scheinwerfer schon fast bei uns waren. Ich dachte, wir wären im Hauseingang eines Nazis, wollte schreien, doch es war nur Annika, Matzes Schwester. Sie zog uns hinein und schob uns in die dunkle Wohnung. Wir versteckten uns unter dem Wohnzimmertisch, gerade noch rechtzeitig. Kaum eine Sekunde später klingelte es. Annika ließ sich etwas Zeit und ging dann um die Tür zu öffnen.
„Sind hier gerade drei Leute hereingekommen?“ frägte ein Nazi. „Nein!“ „Sind sie sich sicher? Wir haben gerade noch welche gesehen, die in dieses Haus sind und die Vermieter sind nicht da, das wissen wir!“ meinte er. „Nein!“ Etwas krachte, der Schirmständer? „Lüg uns nicht an, ich weiß, dass du hier gern mal Sozis einlädst!“ zischte eine neue, ältere Stimme. „Nein, es sind ja nicht alles so wie Ihr Nazis, dass sie mitten in der Nacht andere Leute belästigen!“ Jemand spuckte aus, „Verlassen Sie sich darauf, es wird noch einmal wer kommen!“ Die Tür schlug zu.
Annika lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und atmete erst mal tief ein und aus. Unsere Herzen klopften so laut, dass man es hören musste.
Matze kam als erstes unter dem Tisch hervor und nahm seine Schwester in den Arm. Wir kamen auch hervor. „Gerade noch mal Glück gehabt, eine Sekunde später und sie hätten Euch erwischt!“ sagte Annika. Mein Blick fiel auf den Schirmständer, der umgekippt auf dem Boden lag. Ich schaute zu Annika. „Keine Sorge, er hat ihn nur umgestoßen, ich bin heil. Aber bleibt jetzt in der Nacht noch hier!“ Wir nickten. Annika ging gleich zu Bett, doch Matze, Andrea und ich saßen noch eine Weile zusammen.
Fortsetzung Oktober 2010
Am Morgen bevor ich in die Schule ging, hielt mich meine Mutter zurück. „Schau Dir das an!“ Sie hielt mir eine Zeitung unters Ge¬sicht. `Terroristen fast geschnappt – Knapp entwischt´ Mir stockte der Atem, wie hatten sie es mitbekommen. Wenn die Nazis jemanden verpasst hatten, verheimlichten sie es doch immer. Ich las den Arti¬kel, wir waren anscheinend nicht erkannt worden. „Und?“ „Ver¬dammt noch mal, verstehst du nicht? Ihr wäret fast erwischt wor-den!“ meinte sie. „Und? Wir sind nicht erwischt worden. Verpetz uns doch, dann hast du eben deine Tochter verstoßen!“ Mit diesen Worten verließ ich die Wohnung.
Als ich im 1. Stock ankam, hätte ich fast zu weinen begonnen. Die Yilmazs waren verschleppt worden. Die Frau, weil sie sich mit einem türkischen Mann liiert hatte, ihre Tochter, weil sie türkisches Blut hatte und der Mann, weil er Türke war. Wir konnten nichts für sie tun. Wir hatten die Nazis unterschätzt, nicht beachtet, dass die Gesta¬po versuchen würde, herauszufinden, was wir vorhatten. Zu spät. Kein einziges Mal hatte mir Isik zurückgeschrieben. Wahrscheinlich hatten sie ihnen die Handys abgenommen. Was war das für eine be¬schissene Welt?
Geschichte. Fr. Meier durfte uns nicht mehr unterrichten, weil sie im¬mer wieder über die Dummheit der `Deutschen´ gesprochen hatte. Jetzt übernahm dies ein Nazi. Ich hasste ihn, seit er das erste Mal unser Klassenzimmer betreten hatte und Schwester Dorothea wollte nichts gegen ihn unternehmen. Heute, Blutslehre. Ganz sicher wer-den wieder seine wunderbaren obszönen Ausdrücke platz in der Stunde finden. Und wieder mal empfingen wir erst seinen Lieblings-gruß: „Heil Hitler“, ausgenommen von den anderen der weißen Kaninchen, die bei uns in der Klasse waren, antworteten alle mit demselben Gruß, bloß wir nicht. Wir blieben bei unserem „Guten Morgen, Nazi“ Knappe Anweisungen folgten: „Alle Setzen, außer Mia, Sina und, ja, Monika. Bewegt euch gleich mal nach vorne!“
Niemand von den anderen würdigte uns eines Blickes, wenn, dann kicherte nur jemand. Tja, sollen sie doch. Nur weil sie Angst haben. Ist ja nicht so, als ob wir keine hätten, aber wir setzen uns eben zu Wehr!
Natürlich glotzte er uns erst einmal auf den Arsch, das musste sein. An meinem interessiert er sich nicht so sehr, wie an den anderen, ich hab eben mal keinen Knackarsch! „Ihr glaubt also immer noch, dass ihr mich verarschen könnt? Los, Vortreten und dann auf eure Plätze zurück!“ Eine nach der anderen trat vor und bekam einen Schlag auf den Hintern. Doch bevor er mich schlagen konnte lief ich einen Schritt zurück an die Tafel und zischte: „Verpiss dich von mir, nur weil ihr hässliche Nazis seid, heißt das nicht, dass ihr mit uns tun und lassen könnt was ihr wollt. Wenn du mir was tust, schlag ich zurück und das wirst du nie wieder vergessen!“ Ich machte mich auf den Weg zurück an meinem Platz, doch kurz bevor er ihn erreichte, zog er noch einmal mit seinem Gürtel über meinen Hintern. Langsam drehte ich mich um. „Du hast es nicht anders gewollt!“ Und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, dass ihm Blut aus der Nase lief. „Be¬weg deinen fetten Arsch zurück auf deinen Platz, wir unterhalten uns später noch einmal!“ Das war mein Sieg!
Schwester Dorothea hatte meine Mutter angerufen. War ja klar. Toll, mein 2. Verweis. Warum versteht niemand, dass ich mich nur wehren möchte. Ich hasse sie, ich hasse sie alle! Als wir Zuhause waren ver-zog ich mich in mein Zimmer und sendete allen Kaninchen eine Mail, was passiert war. Als meine Mutter aus dem Haus ging und ich alleine war, packte ich meine Sachen und fuhr zu Annika. Dort woll-ten wir uns alle treffen. Es war finster. Nichts zu sehen. Ich ach-tete darauf, dass nicht wieder ein Auto in der Nähe war. Nichts. Dann gab ich unser typisches Klopfsignal. 2 – 3 – 2. Sofort kam Annika an die Türe und ließ mich hinein. Auch Niklas war hier, für ihn schwärmte ich schon lange. Aber er will genauso wenig etwas von mir, wie jeder andere Junge auch, dass wusste ich.
„Dein Handy?“ fragte Wilhelm, der unsere Gruppe anführte. „Da-heim“ er nickte. So konnte mich niemand erreichen. Ich setzte mich auf den einzigen Platz neben Niklas. Meinen Blick auf den Boden ge-richtet. „Wie manche von euch sicher schon erfahren haben, haben wir heute mehrere Dinge zu besprechen.“ Ich fuhr zusammen, war ich doch nicht die einzige, die Scheiße gebaut hatte? Heimlich sah ich in die Runde, damit war ich nicht die einzige. Niklas legte eine seiner Hände auf die meine, als er meine Reaktion sah. Wilhelm sah mich an. Sein Blick war traurig, nein, mitleidig. „Das mit Deinem Verweis wäre schon geklärt. Du kannst bei Niklas und Jeanette blei-ben. Und das nächste, hat mit uns eigentlich relativ wenig zu tun. A-ber mit dir umso mehr!“
Langsam hob ich meine Kopf, dass das vorher so schnell geklärt wer-den würde, war mir schon klar, aber was noch? In meinem Gehirn ratterte es. Niklas drückte meine Hand. Tröstlich. Konnte mir aber trotzdem nichts vorstellen. „Du bist hast in Dollnstein Verwandte?“ Ich nickte, mir lief es kalt zum Rücken hinunter. „Familie Böll?“ Wieder nickte ich. Musste schlucken. „Deine Cousine hatte doch Tri-somie, nicht?“ Noch mal nickte ich. „Was ist passiert?“ fragte ich lei-se und voller Angst. Meine Hände begannen zu zittern. Niklas hielt sie fest, beide. „Die Gestapo hat sie verhaftet, deine Tante, deinen Onkel und deinen Opa auch mit. Sonst niemanden.“ Er sprach leiser als zuvor. Ich wusste nicht, was ich sagen wollte. War in der Versu-chung, aufzustehen und fortzulaufen, und gleichzeitig auch sitzen zu bleiben und hören was das letzte thema war. Matthias, der auch ne-ben mir saß, bemerkte mein Gefühlschaos. Legte mir seine Hand auf den Arm.
Das dritte, was zu besprechen war, war, dass Brigitte an einem Herz-infarkt gestorben war und am Mittwoch die Beerdigung war. Sie mochte ich auch. Aber wenigstens war sie eines „natürlichen“ Todes gestorben. Ich bekam das alles nicht wirklich mit. Auch nicht, als alle außer Wilhelm und seine Frau, Matthias, Andrea, Niklas, Jeanette und mir gegangen waren. Wilhelm kam und ging vor mir. „Es ist schwer, ich weiß, aber du musst da jetzt durch. Wir halten alle zu dir!“ Ich wollte ihn nicht ansehen. Deshalb stand ich einfach auf und ging in den Flur um meine Jacke zu holen. Gerade öffnete ich die Haustüre, da kamen mir Niklas und Matthias nach. Sie hielten mich an den Oberarmen fest und drückten mich mit dem Rücken gegen die Türe. „Nein, lasst mich los!“ rief ich und Tränen rannen mir aus den Augen. Versuchte mich zu wehren, doch die Beiden waren zu stark. Letztendlich ließ ich mich einfach an der Türe hinuntergleiten und verbarg meinen Kopf in meinen Armen.
„Ihr versteht mich einfach nicht, oder?“ schluchzte ich. „Doch!“ sagte Niklas leise. Er legte seinen Arm um mich und half mir hoch. „Lass uns gehen.“ Mir war egal, was ich machen sollte oder nicht, ich wollte bloß meine Verwandschaft zurück!
Obwohl ich mich immer noch wehrte schafften sie es, mich ins Auto zu bringen. Dort gab ich dann auf. Ohne ein Wort zu sagen, fuhr ich mit zu Niklas nach Hause. Er bedachte mich immer wieder mit längeren Blicken, sagte aber kein Wort. Vielleicht wusste er nicht was, oder er war nicht sicher, ob es das Richtige war. Auf jeden Fall gab er mir, als wir ankamen, ein Zeichen, dass ich warten sollte. Ohne vorher auszusteigen öffnete er mit der Fernbedienung das Garagentor und fuhr hinein. „Uns soll ja niemand von den Nazis sehen.“ sagte er, als er ausgestiegen war. Noch bevor ich mich abgeschnallt hatte war er auf meiner Seite und öffnete die Beifahrertür. Ich wollte aussteigen und ihn dabei so wenig, wie es in dieser engen Garage möglich war, berühren, doch er war schneller und zog mich an sich. „Hey Kleine, das wird wieder, vielleicht ist ja in ein paar Jahren alles vorbei!“ Bei allen anderen störte es mich, wenn jemand 'Kleine' zu mir sagte, doch bei ihm löste es nur heftiges Kribbeln in meinem Bauch aus…
Fortsetzung Februar 2011
Ich bin in Roth im Gerätehaus. Die letzten Wochen musste ich zu meinem Vater, um 'deutsches Benehmen' zu lernen. Es war die Hölle, mehr kann ich nicht dazu sagen. Und meine Mutter wurde mit nach Dachau ins KZ genommen, jetzt weiß ich wenigstens, wo meine Verwandten sind, ich habe zwar keine Ahnung wie es ihnen geht, und kann sie nicht treffen, aber ich weiß, wo ich nach ihnen fragen könnte. Es war der erste Tag nach 2 Wochen, die ich bei Niklas verbracht habe, nicht, dass es nicht schön gewesen wäre, aber ewig dieses Kribbeln im Bauch, auch wenn er nicht da war, war schrecklich. Gerade las ich einen Brief, an mich adressiert, dass ich zu meinem Vater sollte, da klingelte es auch schon und er kam, mich abzuholen. Die ersten Tage musste ich mir ewig sein Gelaber über 'Hitler ist das Beste was uns passieren konnte' und 'Die demokratischen sind der größte Dreck' über mich ergehen lassen. Aber das waren ja nur die ersten Tage. Verdammt, es ist so beschissen. Nicht, dass es nur dieses Seelenleid wäre, aber nein, auch andere könnten mich hassen deswegen und meine Narben und Wunden an den Armen. Es geht nicht. Wir wollen in unserer Übung von der Jugendfeuerwehr in die Atemschutzstrecke. Ich freute mich darauf, das machte immer besonders Spaß, aber die Jugendwarte wollten eine gewichtliche Begrenzung. Meine Freude verflog gleich wieder. Und warum war Matthias dabei? Er ist doch gar nicht in der Rother Feuerwehr. Hatten sie gemerkt, was ich abgenommen hab? Ich hab doch extra 4 Pullis und Hosen an, so pass ich ja sogar noch in meinen Schutzanzug, sodass er nur leicht rutscht.
„Also“ begann Rudi „Alle die mehr als 40 Kg wiegen zu Tor 4 und alle die weniger wiegen zu Tor 1!“ Blut schoss mir in die Wangen, ich wusste nicht ob von Ärger oder Scham. Hätten sie nicht 38 Kg machen können? Dann wäre ich nicht allein gewesen. Das war mit Absicht. Aber was bitte kann denn ich dafür, dass ich nichts zu essen bekommen habe, nur eineinhalb liter Wasser für den ganzen Tag! Fast hätte ich zu heulen begonnen, doch ich hielt meine Tränen zurück und blickte niemanden an. Doch, Matthias wusste es, und er hatte mich die letzten Wochen gesehen, gesehen, wie ich immer zurückhaltender wurde, dünner wurde, verschlossener wurde. Er hatte meine blauen Flecken gesehen, die Blutergüsse, die im Wasserwachttraining nicht von meinem Badeanzug verdeckt waren. Er hat mich verraten!
Während die anderen sich auf den Weg zur Atemschutzstrecke machten musste ich mit Matthias und Manu hoch ins Jugendwartbüro. Rudi und ein anderer aus der aktiven Feuerwehr gingen mit den anderen mit. Mal wieder sprach ich mit niemandem ein Wort. Es ging einfach nicht. Sonst hätte ich geheult. Manu gab mir und Matthias ein Zeichen, wir sollten uns aufs Sofa setzen. Er zog sich einen Drehstuhl her und setzte sich mir gegenüber. Nachdem wir uns fast eine Minute lang angeschwiegen hatten fragte Matthias: „Was ist los bei deinem Vater?“ Ich zuckte die Schultern. Nächste Frage, diesmal Manu: „Warum hast du so viel abgenommen?“ Ich zuckte wieder mit den Schultern. „Dir ist klar, das wir extra das Gewicht genommen haben, oder?“ Ich wusste, dass es Matthias war. Jetzt kam auch noch Leon, mein Nachbar mit dazu, klar, jetzt hatten sie alle beisammen, mit denen ich hätte reden können. Mattias wiederholte die Frage, noch immer mit ruhiger Stimme, wenn auch schon zusammen gebissenen Zähnen. Ich zuckte wieder mit den Schultern. Manu: „Aber dein Vater schlägt dich, oder?“ Ich zuckte mit den Schultern, sackte allerdings ein wenig zusammen. Leon: „Nur er oder auch dein Bruder?“ Er wusste es insgeheim genau, sonst hätte er nicht gefragt. Natürlich wussten es die anderen auch. Aber ich zeigte keine Reaktion. Matthias: „Verdammt noch mal, verstehst du es nicht? Wir wollen dir nur helfen!“ Seine Stimme wurde schon lauter. Doch auf Manus Blick verstummte er. Ich war froh darum. Auch wenn er ein guter Trainer war, in diesem Moment begann ich Matthias zu hassen! „Fässt er dich auch an?“ fragte Manu mit sanfter Stimme. Wieder zuckte ich mit den Schultern, blickte aber nicht mehr auf die untersten Schubladen am Schrank mir gegenüber, sondern auf meine Stiefel. Die Männer blickten sich an, kurz darauf gingen Matthias und Manu raus, also durfte jetzt wohl Leon alleine weiterfragen. „Wo fässt er dich an?“ Schulterzucken. „Nur an den Armen? Oder auch an den Beinen?“ Beim ersten schüttelte ich den Kopf nickte dafür beim zweiten. Meine Augen schwammen in Tränen. „Überall!“ krächzte ich. Da fing ich an zu weinen. Leon hielt eine Hand an meinem Handgelenk. Ich wusste von den EH-Kursen, dass dies den Anschein erregen sollte, er würde mir den Puls messen, doch in Wahrheit sollte es Vertrauen darstellen. Nach etwa 5 Minuten ging er aus dem Raum, ließ allerdings die Tür offen. Wahrscheinlich erzählte er gerade außen, was los war.
Dann kamen wieder alle drei herein und nahmen ihre Plätze wieder ein. Matthias hatte sich scheinbar wie¬der beruhigt und Manu war nichts anzusehen. „Du weißt, dass ich die Wunden an deinen Armen schon gesehen hab?“ fragte Matthias. Ich nickte. Ich wusste, dass er sie sehen wollte, er hatte auch sicher den Unterschied zwischen denen am rechten und linken Arm bemerkt. Doch ich gönnte ihm es nicht, meinen Arm frei zu machen. „Dürfen wir die Arme mal sehen?“ fragte dieses Mal Manu. Ich zog die Ärmel, so gut es mit 4 Pullis ging nach oben. „Du könntest auch einfach 3 Pullis ausziehen, aber dir ist kalt, oder?“ kam es von Matthias. Ja, die Stimme war sanft, aber trotzdem kochte erneut Wut in mir hoch. Doch sogleich sprang Manu wieder ein: „Zieh doch bitte einfach alles außer einer Hose und einem Pulli aus. Wir können auch rausgehn..“ Ich nickte, während ich mich umzog holte Manu noch eine elektrische Waage unter dem Schreibtisch hervor, dann ging auch er heraus. Als ich fertig war, musste ich zuerst auf die Waage. Wir waren alle 4 geschockt. Das konnte doch nicht sein, ich hatte an diesem einen Tag schon wieder fast 2 Kg abgenommen! Mir wurde schwarz vor Augen, als ich die 37,01 Kg las. Leon führte mich sofort zum Sofa und wickelte mich in eine Decke. Auch wenn seine Stimme sanft war. Ich konnte es einfach nicht ertragen wenn er etwas fragte oder feststellte, aber als Matthias dann seine mögliche Erklärung sagte, dass am linken Arm die Schnitte für jedes Mal verprügeln waren und am rechten, die Schnitte für das andere, kamen mir die Tränen und ich sagte, auf meinen rechten Arm zeigend: „Ein Schnitt auf 2 mal..“ Leise, aber doch so, dass ich es hören konnte, wiederholte Leon immer wieder die Zahl 17, er musste die Schnitte gezählt haben. Ich selbst wusste, dass es die an meinem rechten Arm waren, weil der linke 51 hatte. In diesem Moment klopfte es an die Türe. Rudi steckte sein Kopf herein und sagte: „Monika wird abgeholt.“ Manu nickte. Er bedeutete mir, die 3 Jeans und Pullis wieder anzuziehen und danach mit rauszukommen. „Ich will nicht“ flüsterte ich. Leon legte einen Arm um mich und drückte mich sanft. Doch ich musste trotzdem. Musste, nicht durfte. Wir wussten alle dass mein Vater draußen wartete, doch dass er schon meinen Bruder auf dem Gewissen hatte, wussten wir nicht.
Er sagte kein Wort, blickte mich nur kalt an und brachte mich zum Auto. Kurz vor der Ausfahrt Röt¬tenbach Nord, hatte ich gerade die Hoffnung, er wür¬de nicht unterwegs anhalten und mir wehtun, bog er ab auf einen Feldweg. Er drückte mir einen vollen Benzinkanister in die Hand und zerrte mich mit sich in den Wald hinein. Ich zog meine Rasierklingen, die dünne für Schläge und die dicke heraus, behielt sie aber in meiner hand. Zwei Steine lagen vor uns auf dem dunklen Boden, er ging noch einmal kurz zu¬rück, warf mein Handy in einen kleinen Teich, war dann aber schneller als ich erwartet habe, wieder bei mir. Ich bemerkte ihn erst, als er mir einen Ast über den Kopf zog. Kein Wort ließ ich von mir hören. Keinen Laut. Meine Augen waren geschlossen, doch obwohl ich mich schon nicht mehr rührte und von einer wohligen Dunkelheit umgeben war, ließ er nicht von mir ab, sondern schoss noch in meine Arme und meine Knie. Diese mal wimmerte ich leise. „Na, tut das weh? Tut das mehr weh, als die ewige Ritzerei? Davon bekommst du gern mehr, wenn du weiter so petzen willst!! Ach ja, Moritz ist tot, den siehst du nie, nie wieder!“ Seine Stimme war rauh, natürlich, ich konnte auch die Beule in seinem Schritt sehen. Mit einem Messer riss er mir meine Pullis auf und schnitt mir dabei in den Bauch. Sofort spürte ich die warme, rote Flüssigkeit, doch ich spürte keinen Schmerz mehr, aber ihn machte das geil. Das selbe machte er mit meinen Hosen, allerdings nur bis über meinen Slip, den rest ließ er mir. Ich wollte nach Hilfe rufen, als ein Auto aus Richtung Wald kam, doch er hielt mir den Mund zu, das Auto kehrte wieder um. Tränen flossen mir aus dem Gesicht, als er mit seinem Penis in meine Scheide fuhr, es tat weh, und meine Augen brannten. Mit jedem Stoß stach er mir in einen Oberschenkel. Stillschweigend, das Gesicht schmerzverzerrt, wartete ich darauf, dass er fertig war. Natürlich musste Niklas mich dafür hassen, ich wehrte mich ja nicht einmal! Als er endlich von mir abließ holte er den Ben¬zinkanister und verteilte den Inhalt um mich herum, über mich und in Richtung Wald. Ich bekam noch Angst, ich machte mir in die Hosen, was hatte er vor? Wollte er mich anzünden?
Mein Vater holte eine Fackel, zündete sie an und warf sie in den Wald. Er gab mir einen letzten Tritt an den Kopf und ging. Langsam aber sicher sank ich in einen Dämmerschlaf, ich bekam mit, wie mir erst arschkalt war und dann wärmer wurde. Ich hörte Si¬renen, die in meine Richtung fuhren, hörte, wie Atemschutzleute den Wald nach Tieren und Men¬schen durchkämmten. Ich hörte, wie jemand nach Verstärkung rief, weil er ein 'Mädchen, ca. 35 Kg, ca. 1,55 m groß' gefunden hatte. Dann bekam ich über¬haupt nichts mehr mit, nicht einmal, dass mir die Haut am Bauch abbrannte.
Das nächste was ich sah, war eine weiße Decke und drei verschwommene Männer mit dunklen Haaren an meiner Seite. „Wo bin ich?“ krächzte ich. Einer der drei setzte mir die Brille auf. Ich erkannte Leon, die anderen beiden waren Manu und, oh mein Gott, bitte nicht, es war Niklas. Jetzt wusste er die Wahrheit! „Im Krankenhaus und dein Vater im Gefängnis.“ sag¬te Leon. „Von ihm waren frische Fingerabdrücke an deinem Rücken, mit denen hat ihn die Polizei über¬führt!“ ergänzte Manu. Ich nickte und fiel langsam zu¬rück in meinen Dämmerschlaf, als ich von einem Piepsen hochgerissen wurde. Leon und Manu hatten einen Einsatz, sie entschuldigten sich und verspra¬chen einen weiteren Besuch, dann gingen sie.
„Wasser. Bitte!“ krächzte ich. Niklas half mir, mich aufzusetzen und hielt mir ein Glas an den Mund. Nach ein paar Schlücken fühlte sich mein Hals schon gar nicht mehr so rau an. „Du weißt es.“ flüsterte ich, während mir schon wieder Tränen die Augen füllten. Er vergrub seinen Mund in meinen Haaren und be¬jahte leise. „Wie kannst du mich so nur mögen? So ekelhaft ist das!“ „Na und? Hauptsache Du bist du und niemand anderes! Ich liebe dich so wie du bist!“ erwiderte er. Ich konnte nicht glauben, was er gesagt hatte. Konnte es tatsächlich wahr sein? Ich blickte ihn an, mein tränennasser Blick voller Liebe, Zunei¬gung, Trauer und Vertrauen. „Hey, Kleine, schau mich nicht so an, sonst muss ich auch heuln!“ Eine Träne rann ihm über die Wange und er wollte sie wegwischen. Ich lächelte trotz meiner Tränen, hielt seine Hand fest und wischte mit der anderen sanft die Träne weg.
Er sagte kein Wort, blickte mich nur kalt an und brachte mich zum Auto. Kurz vor der Ausfahrt Röt¬tenbach Nord, hatte ich gerade die Hoffnung, er wür¬de nicht unterwegs anhalten und mir wehtun, bog er ab auf einen Feldweg. Er drückte mir einen vollen Benzinkanister in die Hand und zerrte mich mit sich in den Wald hinein. Ich zog meine Rasierklingen, die dünne für Schläge und die dicke heraus, behielt sie aber in meiner hand. Zwei Steine lagen vor uns auf dem dunklen Boden, er ging noch einmal kurz zu¬rück, warf mein Handy in einen kleinen Teich, war dann aber schneller als ich erwartet habe, wieder bei mir. Ich bemerkte ihn erst, als er mir einen Ast über den Kopf zog. Kein Wort ließ ich von mir hören. Keinen Laut. Meine Augen waren geschlossen, doch obwohl ich mich schon nicht mehr rührte und von einer wohligen Dunkelheit umgeben war, ließ er nicht von mir ab, sondern schoss noch in meine Arme und meine Knie. Diese mal wimmerte ich leise. „Na, tut das weh? Tut das mehr weh, als die ewige Ritzerei? Davon bekommst du gern mehr, wenn du weiter so petzen willst!! Ach ja, Moritz ist tot, den siehst du nie, nie wieder!“ Seine Stimme war rauh, natürlich, ich konnte auch die Beule in seinem Schritt sehen. Mit einem Messer riss er mir meine Pullis auf und schnitt mir dabei in den Bauch. Sofort spürte ich die warme, rote Flüssigkeit, doch ich spürte keinen Schmerz mehr, aber ihn machte das geil. Das selbe machte er mit meinen Hosen, allerdings nur bis über meinen Slip, den rest ließ er mir. Ich wollte nach Hilfe rufen, als ein Auto aus Richtung Wald kam, doch er hielt mir den Mund zu, das Auto kehrte wieder um. Tränen flossen mir aus dem Gesicht, als er mit seinem Penis in meine Scheide fuhr, es tat weh, und meine Augen brannten. Mit jedem Stoß stach er mir in einen Oberschenkel. Stillschweigend, das Gesicht schmerzverzerrt, wartete ich darauf, dass er fertig war. Natürlich musste Niklas mich dafür hassen, ich wehrte mich ja nicht einmal! Als er endlich von mir abließ holte er den Ben¬zinkanister und verteilte den Inhalt um mich herum, über mich und in Richtung Wald. Ich bekam noch Angst, ich machte mir in die Hosen, was hatte er vor? Wollte er mich anzünden?
Mein Vater holte eine Fackel, zündete sie an und warf sie in den Wald. Er gab mir einen letzten Tritt an den Kopf und ging. Langsam aber sicher sank ich in einen Dämmerschlaf, ich bekam mit, wie mir erst arschkalt war und dann wärmer wurde. Ich hörte Si¬renen, die in meine Richtung fuhren, hörte, wie Atemschutzleute den Wald nach Tieren und Men¬schen durchkämmten. Ich hörte, wie jemand nach Verstärkung rief, weil er ein 'Mädchen, ca. 35 Kg, ca. 1,55 m groß' gefunden hatte. Dann bekam ich über¬haupt nichts mehr mit, nicht einmal, dass mir die Haut am Bauch abbrannte.
Das nächste was ich sah, war eine weiße Decke und drei verschwommene Männer mit dunklen Haaren an meiner Seite. „Wo bin ich?“ krächzte ich. Einer der drei setzte mir die Brille auf. Ich erkannte Leon, die anderen beiden waren Manu und, oh mein Gott, bitte nicht, es war Niklas. Jetzt wusste er die Wahrheit! „Im Krankenhaus und dein Vater im Gefängnis.“ sag¬te Leon. „Von ihm waren frische Fingerabdrücke an deinem Rücken, mit denen hat ihn die Polizei über¬führt!“ ergänzte Manu. Ich nickte und fiel langsam zu¬rück in meinen Dämmerschlaf, als ich von einem Piepsen hochgerissen wurde. Leon und Manu hatten einen Einsatz, sie entschuldigten sich und verspra¬chen einen weiteren Besuch, dann gingen sie.
„Wasser. Bitte!“ krächzte ich. Niklas half mir, mich aufzusetzen und hielt mir ein Glas an den Mund. Nach ein paar Schlücken fühlte sich mein Hals schon gar nicht mehr so rau an. „Du weißt es.“ flüsterte ich, während mir schon wieder Tränen die Augen füllten. Er vergrub seinen Mund in meinen Haaren und be¬jahte leise. „Wie kannst du mich so nur mögen? So ekelhaft ist das!“ „Na und? Hauptsache Du bist du und niemand anderes! Ich liebe dich so wie du bist!“ erwiderte er. Ich konnte nicht glauben, was er gesagt hatte. Konnte es tatsächlich wahr sein? Ich blickte ihn an, mein tränennasser Blick voller Liebe, Zunei¬gung, Trauer und Vertrauen. „Hey, Kleine, schau mich nicht so an, sonst muss ich auch heuln!“ Eine Träne rann ihm über die Wange und er wollte sie wegwischen. Ich lächelte trotz meiner Tränen, hielt seine Hand fest und wischte mit der anderen sanft die Träne weg.
Fortsetzung April/Mai 2011
Es war kurz nach meinem 17. Geburtstag. Spiele¬nacht in Georgensgmünd im BRK-Haus. Jeanette, ihr Bruder Marco, Thorsten und natürlich Matthias waren auch dabei, auch Sandra, Andrea und Annika. Ich versuchte Matthias die ganze Zeit über zu igno¬rieren, bis Marco fragte, was denn die ganze Zeit los sei. Während Matthias noch von dem Abend im Ge¬rätehaus erzählte ging ich zielstrebig aus dem Raum heraus. Sandra kam hinterher. Wir beide gin¬gen raus zur Bank am Brunnen. Ich zitterte immer noch vor Wut. Wir sagten beide kein Wort. Aber das half mir, ich kam wieder runter. Scheiße aber auch, das letzte mal hatte er gefehlt und Thorsten nicht bescheidgeg¬eben, warum, ausgerechnet diesmal kam er.
Nach einiger Zeit gingen wir wieder hinein. Matthias unterhielt sich gerade mit jemandem aus der Bereit¬schaft. Ich ging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, an ihm vorbei. Wie erwartet entschuldigte er sich und kam mir hinter her in den kleinen Saal, schloss die Tür. „Schau mich mal bitte an!“ Ich drehte mich zu ihm, blickte erst auf den Boden und dann ihm in den Augen. Verzweiflung stand darin. Er bat Sandra hin¬auszugehen, was sie nach einem kurzen Blick auf mich auch tat. Als sich die Tür schloss fragte er mit zitternder Stimme: „Warum hasst du mich so? Was hab ich dir getan?“ „Mich verpetzt“ sagte ich. Er blickte auf den Boden und schüttelte den Kopf: „Ich hab mit Manu zusammen meinen Truppmann ge¬macht und kenne ihn daher, er wusste, dass wir bei¬de in der Wasserwacht sind, deswegen hat er mich gefragt, was los ist. Ich wollts anfangs nicht erzählen, aber dann hat er gefragt, ob ich vielleicht mal vorbei kommen könnte, wenn ihr Übung habt. Ich habs ihm halt dann gesagt, weil er und die anderen sich eben auch sorgen machen, Leon, weil er dich lang nicht mehr gesehen hat, außer wenn du auf facebook on warst und da wusste er nicht, ob er dich anschreiben soll!“ Die ganzen Infos sprudelten nur so aus ihm heraus. Jetzt konnte ich ihn verstehen. „Sorry“ sagte ich. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich anders verhalten.“ Ich blickte auf den Boden. „Ich hätts dir ja auch einfach sagen können!“ meinte er. Er nahm mich in die Arme und so standen wir dann erst mal eine Zeit lang da. Wir weinten beide. Weil wir so enttäuscht von uns waren, weil wir beide froh waren, dass alles vorbei war. Wie auch immer. Jetzt wusste ich, dass auch er für mich da ist, wenn ich Probleme habe.
Fortsetzung Juli 2011
„Nein!“ Ich sank an der Wand hinunter, „Nein! Tut mir das nicht an!“ Doch es war wirklich so. Die Polizei hatte angerufen, mein Vater war aus dem Gefängnis ausgebrochen. Ein Bomber hatte den Eingangsbe¬reich zerschlagen und die Wachen umgebracht, alle Gefangenen frei. Unglaublich. Ich allein. Niklas kommt erst in zwei Stunden von der Arbeit und ich muss warten. Abschlussprüfungen habe ich bestan¬den, trotz Geschichte. Mein Freiwilliges Soziales Jahr beim BRK, dann nächstes Jahr Ausbildungsbe¬ginn und jetzt das!
Jemand kommt die Treppe herauf! Oh mein Gott! Bit¬te mach, dass das nicht er ist! Hilfe! Ich wimmere. Was soll ich tun, wenn er dass wirklich ist? „Monika?“ Es ist Leons Stimme. „Bist du da?“ „Ja!“ antworte ich leise. „Machst du mir auf? Ich bin alleine!“ Ich ver¬traue ihm. Mache die Tür auf. Sehe, er ist wirklich al¬leine und lasse ihn in die Wohnung. Er hatte ja nicht weit, das ist das gute, wenn man jemanden hatte, di¬rekt 2 Stockwerke unter einem. Ich falle ihm in die Arme und weine. „Ich habs grad gelesen, es tut mir so leid!“ Er wartet kurz. „Soll ich bei dir bleiben, bis Niklas da ist?“ Ich nicke unter Tränen. Er bringt mich ins Wohnzimmer und gibt mir die Decke, die auf dem Sofa liegt. Ich setze mich mit angezogenen Beinen und er geht vor mir in die Hocke. „Kann ich irgend¬was für dich tun?“ fragt er leise. Ich schüttle den Kopf, ziehe aber seine Hand zu mir. Er umschließt damit meine Finger. Lange bleiben wir so, irgend¬wann dreht sich ein Schlüssel im Schloss. Er hat es auch gelesen, in der 'Deutschen Zeitung'. Die Schlagzeile? 'Deutsche befreien ihre Deutschen Ka¬meraden – 20 Gefängnisinsassen frei' „Danke“ sagt er leise zu Leon. Dieser schüttelt nur den Kopf, drückt meine Hand noch einmal kurz und geht dann.
„Ich wollt dir eigentlich ne Überraschung machen, aber irgendwie macht das so jetzt überhaupt keinen Spaß.“ schluchzte ich. „Zeig sie mir doch trotzdem.“ meint er, „Hast du bestanden?“ Ich nicke und führe ihn in die Küche. Er bleibt stehen und lächelt. Sieht mich an und küsst mich, auf den Mund. Die Schmet¬terlinge in meinem Bauch werden zu Düsenfliegern. „Die Überraschung ist gelungen!“ Wir setzen uns und essen Schweinemedaillons, die zwar nicht aus kom¬plett frischem Fleisch, aber eingefrorenem Fleisch von vor längerer Zeit waren.
„War das die einzige Überraschung oder kommt noch eine?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Dann machen wir uns jetzt einfach nen schönen Abend, OK?“ Ich nicke. Er küsst mich auf die Stirn.
Fortsetzung August 2011
„Nein! Lass mich in Ruhe!“ Meine Stimme ist schwach, aber ich kann immer noch schreien. Meinem Vater war das aber egal. „Halt deine Fresse, du verdammtes Miststück!“ Er schlug mir ins Gesicht. Ob er es in meiner Nase knacken gehört hatte oder nicht, ihm war es egal, aber ich hatte sowohl das Knacken, als auch den stechenden Schmerz gespürt, der in der Mitte von meiner Nase war und auch das Blut, das mir warm an der Wange herunter floss. Sie wollten mich weg sperren, in ein 'Berichtigungslager', das, was früher mal die Klapse war, in Ansbach, allerdings nur so weit, dass sie uns später noch in den Krieg schicken konnten. Ja, es ging nicht mehr anders, Hitler hatte die Macht über Deutschland, er hatte es geschafft. Und heute wollte er einen Fackelzug mit seinen Nazis machen, und was war der Hauptinhalt? Alle, die sich gegen ihn stellten gleich in diese Lager schicken. Und eigentlich waren diese Lager doch schon ähnlich den KZs, aber wir mussten keine Schwerstarbeit leisten, sondern nur Qualen ertragen, so ähnlich wie die Scheiße von meinem Vater. Ich will nicht!!
Schon war es auch 20 Uhr, wir mussten los, alle zukunftigen Gefangenen warteten am Sparkassen Parkplatz, die anderen in der Sparkasse und im Rathaus. Es war nicht besonders voll. Ich war so gut wie die einzige, einsam, verängstigt, allein. Außer mir, die letzte türkische Familie. Ich kannte sie noch nicht. Sie mich? Weiß nicht. Sie blickten mich verängstigt an, wahrscheinlich weil ich eine Deutsche war. Aber sie mussten sich doch denken können, dass ich keine Nazi war. Sonst wäre ich ja nicht hier. Auch von den anderen erkannte ich kaum wen. So viele Leute waren scheinbar schon geflohen, was war mit den Müllers? Wo war unser Bürgermeister? Und wo der Kaplan Martin und alle anderen von dem Ministranten. Etwas traf mich an der Schulter, ich blickte mich um. Ein Zettel lag auf dem Boden: Schau dich nicht um, wir holen dich da raus!! Und sag das auch den Öztürks!! Es war schwer, sich daran zu halten. Öztürks? Das war wahrscheinlich diese türkische Familie. Ich blickte in Richtung der Nazis die uns bewachten, doch sie sahen gerade weg. So schnell meine Kräfte es noch zuließen huschte ich hinüber und gab ihnen bescheid. Kaum, dass ich wieder an meinem Platz war, drehte sich einer der SS-Leute um, er bedachte mich mit einem finsteren Blick.
Es wurde immer dunkler, und auch immer kälter. Wie kalt konnte es eigentlich noch werden? Mir war doch eh immer kalt! Eine Träne stahl sich auf meine Wange, ich wischte sie weg. Auf einmal erklang der Ausruf: „Kompanie antreten!“ Die SS-Männer und Nazi-Anhänger richteten sich gerade auf und kamen auf die beiden zu. Einer nach dem anderen marschierte an uns vorbei, entzündete seine Fackel und machte sich auf den Weg. Noch bevor wir reagieren konnten, bekamen die Öztürks und ich einen Stoß in die Rippen und landeten auf dem Boden. Die Augen wurden uns verbunden. Ich weinte, und sie schlugen mich dafür, ich schrie auf, und sie traten mich dafür, aber trotzdem wehrte ich mich weiter! Selbst als meine Nase erneut blutete hörte ich nicht auf! Sie packten uns an den Jackenkrägen und zerrten uns hoch, nur um uns dann fortzuschleifen. Ich wusste nicht, wohin sie uns brachten, bloß, dass es ein sehr langer, steiniger und verwurzelter Weg war, der ständig bergauf ging. Konnte nach Niedermauk sein. Ich war mir aber nicht sicher. Immer wieder hielten sie uns die Fackeln ans Gesicht, bis sie uns fast verbrannten, doch dann, wenn der Schmerz gerade so groß war, dass sie uns mit dem Feuer hätten treffen können, zogen sie sie wieder weg. Nach ca einer dreiviertel Stunde waren wir endlich da, wo wir hinsollten. Aber wir sahen ja nicht, dass die anderen stehen blieben und rannten deswegen in sie hinein.
„Fass mich nicht an du Schlampe!“ schrie der, der direkt vor mir war und schlug mir fest in die Magengrube. Sie schubsten uns eine Treppe hinunter und dann einen Berg wieder hinauf. Zwei Hände fassten mir an den Hinterkopf, aber nur, bis sie das Tuch weghatten und mich in einen Zugwaggon geschubst hatten. Noch bevor ich mich umsehen konnte, wo genau ich war. Als die Türen sich geschlossen hatten, sah ich vor mir und in dem Abteil, in dem ich war, ca. 200 Leute, alle direkt aneinander gereiht, saßen zu dritt auf den Bänken. Niemand konnte sich bewegen, alle waren so dicht beieinander. Auch ich hatte kaum noch 2 cm vor und hinter mir. Immer wieder schrien andere vor Angst. Mein Mund war trocken. Ich hatte durst. Es war, obwohl es Nacht war so warm, dass sogar mir wieder warm wurde. Aber gleichzeitig kalt. Wir fuhren lange Zeit, ich wurde müde. Mir kam es so vor als würden wir stundenlang fahren, aber es war nur eine halbe stunde.
Der Zug fuhr in auf ein anderes Gleis, Türen wurden geöffnet und geschlossen, Wagen zusammengehängt, all das konnte ich hören. Doch ich wusste immer noch nicht, wo wir waren, wohin wir fuhren. Ich fragte eine ältere untersetzte Frau, die mich schon länger beobachtete, ob sie etwas wüsste, doch sie schüttelte nur den Kopf. „Kindchen, was hat man dir angetan? So dünn!“ Sie nahm meinen Arm in ihre Hände. Ein Kreischen ertönte. „Die erste hats wohl getroffen, sie war zu lange hier im Abteil. Naja, ein Bisschen mehr Platz.“ Ich verstand nicht, was die Frau meinte. Aber jemand stieß mit den Armen in unsere Richtung. Erst als eine Frauenleiche in Richtung Tür getragen wurde, verstand ich. Ich konnte mich nicht mehr länger halten. Es machte mir nichts aus, Blut zu sehen, doch eine Leiche war zu viel, mir wurde schlecht, doch übergeben konnte ich mich nicht, ich hatte schließlich seit Tagen nichts mehr zu Essen zu bekommen. Aber als ich ins Gesicht der jungen Frau blickte, erkannte ich Frau Öztürk. Sie war tot, und ihre Tochter? Mir wurde schwarz vor Augen.
Fortsetzung August 2011, 2 Stunden später
„Mädchen, Mädchen, wach auf!!“ Ich hörte eine Stimme, wusste jedoch nicht wo ich war. „Nein“ murmelte ich leise, „Ich will weiterschlafen.“ Ich war müde, doch die Schläge auf meiner Wange brachten mich dazu, meine Augen zu öffnen, erst jetzt merkte ich, dass wir noch immer in diesem Zug waren. Die Frau, die mich gerufen hatte, war die alte Frau. Besorgt blickte sie mir ins Gesicht. „Wir sind da!“ sagte sie, „In Ansbach!“ Jetzt erinnerte ich mich auch wieder, das hatte mein Vater ja erzählt, dass ich nach Ansbach in ein 'Berichtigungslager' musste. Dahin hatten sie uns also gebracht. Die Frau half mir auf, und als die Türen geöffnet wurden, aus dem Zug.
Menschenmassen waren vor mir, als wir ausstiegen. Und alle wurden an Seilen nacheinander festgebunden und aus dem Bahnhofsgelände herausgeführt. Etliche Kilometerweit. Meine Beine taten eh schon weh, aber diese Laufstrecke machte es noch schlimmer. Schubsen, drängeln, zurückgerissen werden, wieder weiter laufen, kriechen, hinterhergezogen werden.. Ich wollte nicht wissen, wo ich überall blutete! Auch wegen der Schläge. Aber wir waren da. Endlich da. Nicht mehr laufen, sondern zu 30 Personen auf 20 quadratmeter. Schlafen. Ausruhen.....
26. September 2011: Zeitungsartikel in der Deutschen Zeitung: „Erste Therapiegruppe im Berichtigungslager hat Therapie erfolgreich verlassen“ 27. September 2011: Zeitungsartikel in der Deutschen Zeitung: „1. Therapiegruppe auf Heimweg – Alle in gutem Zustand“
...Ich wünschte ich dürfte, aber nein, es geht nicht! Tatsächlich es hat was gebracht, diese Lager hat was gebracht, es hat tatsächlich was gebracht: Ich schweige!
Bin jetzt den ersten Tag wieder in Roth, zu Hause, Niklas ist da, Manu und Leon auch. Matthias. Sandra. Glauben sie´s? Nein. Wollen´s nicht glauben. Nein, ich hab nicht mehr abgenommen. Kann nicht mehr laufen. Kraftlos. Schwach. Matt. Keine Regel mehr. In den letzten Wochen, die ich in Ansbach war noch mal 9 Kg abgenommen. Jetzt auf 27 Kg, warum lebe ich noch? Müsste ich nicht schon längst tot sein? Liegt das daran, dass ich einen Überlebenswillen besitze? Was ist das? Überlebenswillen.. Gut? Schlecht? Mir egal. Morgen Sitzstreik. Zug von Hitler. Siegesmarsch, durch Nürnberg. Hingehen? Ja. Bejubeln? Nein. Mit Alkohol volllaufen lassen bis zur Trunkenheit? Komasaufen? Vielleicht, wenn mcih die anderen nicht davon abhalten.
Am 29. September in Nürnberg: Wir sitzen da und warten auf den 'Führer' ja, den führer, nein, nicht hitler, ja, Wilhelm. Er kommt. Gerade eben. Wir, alle auf unseren Plätzen. Ich: nicht die einzige die nicht mehr kann, lehne an Niklas. Auch Manu und Leon sind bereits mit dabei. Wie kann cih überhaupt dabei sein? Ich muss nicht arbeiten.. Darf nicht. Ich bin keine Nazi! Aber, cih bin wirklich nicht mehr die einzige, die nicht mehr kann. Auch Andrea. „Willst du?“ Frägt sie leise und steckt mir zwei Klopfer entgegen. Die sollten mich eigentlich schon umhaun. Bei dem Gewicht. Die anderen schauen weg. Würden herschauen, wenn wir besoffen wären. Noch ohne einen Schluck zu trinken, stehe ich auf. Schwanke. Falle. Falle nicht. Manu steht da. Niklas, steht mit seiner Schwester bei seiner EX, hofft, dass cih nicht in seine Richtung schau, küsst sie. Nehme den ersten Schluck, wohl prickelnd in meinem Hals. Angenehm. Mir wird warm. Ich höre Stimmen. Durch Megafone. Nazi-hymnen. Nichts für uns. Nur für Nazis. Wen interessieren die noch. Mache den ersten Klopfer leer. Manu hält mich davon ab zu Niklas zu gehen. Dieser sieht kurz in meine Richtung. Zuckt mit den Schultern und geht mit seiner EX in Richtung des Lärms der Nazis. Seine Schester nicht. Mia bleibt da. Kommt zu mir. „Vergiss den Typen!“ sagt sie. Hab ich schon längst getan. Ein Arsch, nicht beachtenswert. Zum Glück hab ich durch ihn meine Jungfräulichkeit nicht verloren. Wäre mein Vater nicht gewesen, hätte ich sie noch. Egal. Total Egal. Scheiß Egal. Klopfer Nummer 2 öffnen. Bitterer Geschmack, in einem Zug leer. Andrea schon leicht angesäuselt. Ich? Nüchtern. Manu kanns nicht glauben. Leon auch nicht. Matthias und Wilhelm erst recht nicht. Wollens nicht glauben. Habens mir nie geglaubt, dass ich, wenn ich etwas im Magenhabe, wie heute ein Stück Brot, nicht so schnell besoffen werde. Andrea hört auf. Ich auch. Habe ja nichts mehr. Egal. Wen interessierts? Niemanden. Können die Ersten Brownies sehn. Ja, braun. Schrecklich, würde niemand außer Hitler mögen. Braun. Würgereiz. Kommen direkt auf uns zu. Die Gewehre im Anschlag. Reihe 1 hebt das Plakat: WER, Reihe 2 hebt das Plakat: WILL, Reihe 3 hebt das Plakat: EUCH, Reihe 4 hebt das Plakat: HIER. Wir rufen: „Ihr seid Deutsch? Euer Führer nicht! Deutsche schließt er aus. Österreichisch Deutsche nimmt er mit!“ Angst. Kalt, wie Wasser, das zum Rücken hinab läuft. Trotzdem Regungslosigkeit. „Haltet eure Mäuler!“ schreit ein Nazi. Möchte losstürmen, doch wird festgehalten. „Lasst sie, wo sie sind. Sind nichts wert. Keine Deutschen. Kein KZ, weil sie gute Deutsche sein könnten. Nehmt sie mit!“ Doch bevor Hitler in unsere Richtung schaun kann, sind wir weg. Auch bevor die Nazis zu uns hinsahen. Wir wusste nicht, was sie noch riefen. Es war uns egal, wir waren weg, rechtzeitig weg. Nicht verhaftet!
Manu nimmt mich in den Arm. Tränen der Erleichterung. Manu wischt sie weg. Alle Tränen. Mia sagt: „Er ist der Richtige für dich!“, als er gerade nicht dabei war. Ich zeigte ein zögerliches lächeln. Der richtige? Wer kann das schon sein? Aber die Umarmungen fühlen sich anders an. Plötzlcih jemand hinter mir: „Na, haste dir aber schnell wen andern gesucht!“ Matthias und Leon vor mir, Manu hinter mir. Niklas geht. Besoffen. Wir nicht. Wir sind nüchtern. Auch Andrea wieder. Freude. Feierstimmung. Sie konnten nichts gegen uns unternehmen! Haben nichts gegen uns unternommen!
Fortsetzung Oktober 2011
Darf weiterhin nicht arbeiten, dürfen wir alle nicht, sind ja keine dreckigen Nazis.. Manu ist Schluss, ist auch wieder mit seiner Ex zusammen, aber ich habe Schluss gemacht, hatte keine Gefühle mehr für ihn. Er auch nicht für mich. Juni war Moon¬light Sports Night, Fest für Nicht-Nazis, wer war da? Nazis. Trotzdem kein Problem für uns gewesen, konnten uns nichts anhaben, Feuerwehr war schließlich für die Be¬leuchtung zuständig gewesen, Wasserwacht war gar nicht da. Musste mich vor allem mit Manu, Luke, Alex, Leon, Rudi und alle anderen aus der Jugend. Danach blieben wir am Feuerwehrhaus übernacht. Alle, sogar Leon, sein Bruder und ich. Obwohl wir eigentlich nicht wollten. Mein Vater wusste nicht, dass ich hier war, Leon, Manu und Rudi wussten es. Dass er es nicht weiß. Riefen ihn an. Er hat gesagt, ist OK, aber er holt mich in der Früh ab. Ca um 9 Uhr. Dann kann ich wenigstens noch pünktlich ins Wasserwachttraining. Sie haben aber zu mir gesagt, wenn er besoffen ist, werden sie mich so weit beschützen, dass ich nicht mit muss. Rudi's Freundin hat Schluss ge¬macht. Er ist mittlerweile auch bei uns dabei. Haben uns umgenannt, nicht mehr wei¬ße Kaninchen sondern jetzt Schwarze Schafe. Auch nicht schlecht.
Wir hätten gedacht, er kommt wenigstens wirklich in der Früh, aber jetzt ist es 01.00 Uhr, vielleicht ein paar Minuten früher oder später. Auch ein paar aus der Wasser¬wacht, die bei einem Einsatz dabei waren, sind nun da. Dabei Matthias und Marco, sonst weiß ich nicht, nicht genau geschaut. Ein Auto fährt in Schlangenlinien in den Hof, ich erkenne es. Mein Vater. Schaue zu Manu, der schaut weiter zu Rudi, und weiter die Runde. Ich soll mit nach unten kommen. Marco, Matthias, Leon kommen mit. „Wo is meine Tochter?“ lallt er. Ich trete einen Schritt vor. „Komm mit!“ befiehlt er und will mich mit ziehen, doch ich trete zurück. Er flucht und stößt Manu und Marco, die sich ihm in den Weg stellen zur Seite, packt meinen Arm und schlägt darauf. Wir hören es knacken, Blut spritzt. Mir egal, ich spüre nichts, keine Schmerzen, nur Hass! Er stößt mich gegen den Türrahmen hinter mich, auch ein Loch im Kopf lässt mich kalt. Leon hat die Polizei gerufen. Kommen gerade hoch, während Manu und Rudi ihn von hinten festhalten, stößt mich noch einmal, falle zur Treppe hinunter, nur die erste und bleibe regungslos liegen.
Dann eben heute aus dem künstlichen Koma aufgewacht, in das sie mich gelegt ha¬ben, weil ich schwere Kopfverletzungen hatte. Mal wieder weiter abgenommen. Na und? Ist doch egal. Morgen ist Tag der Deutschen Einheit. Nein, nicht ist. Wäre. Hitler hat ihn abgeschafft. Etwas neues gemacht. Tag der Verehrung des Deutsch-Deut¬schen Reiches. Genauso verrückt wie alles andere auch. War beim Aufwachen nicht alleine, Rudi war da. Sonst habe ich auch immer Stimmen gehört. Weiß aber nicht von wem. Manu? Leon? Beide? Rudi hat gesagt sie alle waren da. Haben aufge¬passt auf mich. Werden auch weiterhin bei mir bleiben. Hat angeboten, dass ich zu ihm ziehen darf. Meine Mutter ist im KZ Dachau gestorben. Wurde erschossen.
Ich weiß nicht, ob ich das Angebot annehmen soll. Ich soll nichts dafür zahlen. Ich will ja nichts von ihm. Glaube ich. Sinke zurück in meinen Dämmerschlaf. Als ich das nächste mal aufwache sitzt Marco neben mir. „Na?“ Bei seinem Anblick beginne ich zu weinen. Er war so oft für mich da, und was habe ich für ihn getan? Nichts. Überhaupt nichts. Er hält meine Hand. Bis ich wieder aufhöre. Ohne ein Wort zu sagen. „Hast du mit Rudi schon mehr besprochen? Hat er dir schon den Grund gesagt, warum du zu ihm sollst?“ frägt er. Ich zucke mit den Schultern. „Er hat gesagt, weil ich nicht so viel Geld habe und er hat erzählt, dass meine Mutter tot ist.“ Er nickt „Dann wird er dir heute Abend, wenn er kommt noch mehr erzählen.“ und zwinkert. Wir reden noch ein Bisschen über belangloses Zeug. Ein vergessenes Thema wird erwähnt. Als ich Ende Januar und Ende April von Zuhause weggelaufen bin. Doch allzu viel sagen wir nicht dazu. Gegen Mittag, als ich gerade wieder mehr müde wurde und schon fast eingeschlafen wäre, kam Leon. Bekam die Anweisung, mich wachzuhalten. Er würde mir helfen. Muss mich wieder an den normalen Schlaf-Wach-Rythmus gewöhnen. Hab es dann auch geschafft. Abends gegen 18.00 Uhr kam Rudi dann wieder. Manu würde erst morgen kommen. Matthias auch. Ich weiß nicht, wie er es aushielt. Die anderen beiden, je nachdem, wie sie arbeiten mussten und er trotz Arbeit, jede Nacht hier.
„Warum soll ich eigentlich zu Dir ziehen? Ich glaub nicht, dass es nur deswegen ist, dass ich kein Geld habe.“ Frage ich ihn gleich am Anfang. Er wendet den Blick leicht ab. Ist mir schon öfter aufgefallen. Wie hatte ein Motivations-Coach, den wir vor einigen Jahren in der Schule zu besuch hatten gesagt, ein Zeichen für schwaches Selbstbewusstsein. „Haben dir die anderen was gesagt?“ frägt er deswegen zurück, ich schüttele den Kopf „Marco hat nur gesagt, dass du es mir jetzt schon noch sagen würdest.“ Er lächelte, da flog die Tür auf und mein Vater stürmte herein. Von einer plötzlichen Kraft gepackt, setzte ich mich auf und rutschte in Rudis Richtung vom Bett herab. Er stellte mich hinter sich. Doch mein Vater und ein anderer Nazi, den ich nicht kannte, schoben ihn zur Seite und packten mich an den Oberarmen. „Du kommst jetzt mit!“ zischte der andere, doch Rudi, der Stationsarzt und ein Krankenpfleger, die hinzugekommen waren zogen ihn weg von mir. Mit einem letzten Tritt schaffte er es jedoch mich auf den Tisch zu schubsen, der wiederum meinen gerade so verheilten Arm erneut brach. Mit meiner letzten Kraft, die ich noch hatte, hielt ich mich an Rudi fest. Er zog mich an sich hoch und hielt mich im Arm, während ein Chirurg meinen Arm erneut mit eingipste. Als der Arzt längst gegangen war, hielt mich Rudi immer noch. Ich konnte, wollte mich nicht bewegen. Weinte, leise vor mich hin. Kein Schluchzen. Nur Tränen. Irgendwann hob er meinen Kopf, ich sah ihn an. Sah Mitgefühl, Trauer, gleichzeitig Hass gegen meinen Vater, und dann wieder Liebe. Zu wem? Ich wusste es nicht. Doch ich konnte meinen Blick nicht mehr von seinen Augen lösen. Nicht diese intensive Frage war Schuld daran. Es waren all diese Ausdrücke. Und dann kam sein Gesicht näher. Meine Knie zitterten. Noch näher. Ich musste mich an ihm festhalten. Dann berührte er erst mit seinen Händen mein Gesicht, küsste mich leicht auf den Mund. Umschlang mich und hielt mich wieder fest. Ich hatte meine Arme um seine Schultern gelegt. Da küsste er mich noch einmal. Um mich herum drehte sich alles, meine Gedanken überschlugen sich, so viele Gefühle auf einmal. Jetzt, JETZT wusste ich, warum ich zu ihm ziehen sollte. Und als ob er meine Gedanken gehört hätte, hörte er auf mich zu Küssen, sondern blickte auf mich hinunter. „Und?“ fragte er, „ziehst du jetzt mit zu mir?“ Ich nickte, während mir wieder Tränen aus den Augen liefen. Er lächelte leicht, küsste mich auf die Stirn und umarmte mich wieder schweigend. Hatte er nicht einmal zu Luke gesagt, er hasse es, Frauen weinen zu sehen? Vielleicht trifft das ja nur dann zu, wenn er mit ihnen schluss machte.
Silvester 2011/2012
An Weihnachten waren wir Bei Rudi's Schwester Marion, ich hatte für beide nichts gekauft, denn wir wollten uns gegenseitig nichts schenken. So war es dann auch. Mein Arm war zwar nicht mehr eingegipst, aber Marion und ich haben uns trozdem von Rudi bekochen lassen. Und heute ist es genau andersherum. Heute sitzen Rudi und ich neben unserem kleinen künstlichen Weihnachtsbaum, Marion wärmt das bestellte Essen auf. Die beiden haben es geschafft, dass ich in den letzten Wochen, seit ich eben nicht mehr im Krankenhau bin, 5 Kg zugenommen habe.
Wir wussten alle, dass heute am Marktplatz eine Feier der Nazis ist. Auch, dass sie kommen könnten. Doch uns ist das egal. Wir werden kein Feuerwerk verschießen und falls heute Nacht ein Einsatz sein sollte, bleibt entweder Marion bei mir, oder, je nachdem, wie groß es ist, fahre ich mit zum Feuerwehrhaus und bleibe dann bei denen, die im Haus bleiben und nicht mit ausrücken.
Es war glücklicherweise kein Einsatz. Ca. um 09.00 Uhr in der Früh fuhr Marion heim. Als Rudi die Tür hinter ihr geschlossen hatte, drehte er sich um und stützte sich mit den Armen hinter mir an der Wand ab, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte. „Müde?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Und natürlich auch kein bisschen angetrunken gewesen, letzte Nacht, nicht?“ fragte er darauf hin und grinste. Dann zwickte er mich in die Nase und nahm wieder seine Haltung von vorhin ein. „Wie wär's, wenn wir heute einfach mal nichts machen, sondern einfach nur im Bett rumgammeln? Versuchen, nicht einzuschlafen?“ Ich nickte. „Ich liebe Dich!“ sagte ich ernst. So war es auch gemeint. Er lächelte, kam ganz dicht an mich heran. Küsste mich erst auf den Mund, und knabberte dann an sanft an meinem Ohrläppchen. „Ich dich auch!“ flüsterte er und rief in mir ein warmes Gefühl hervor. Dann schob er mich vor sich her ins Schlafzimmer. Bis dahin hatten wir die Matratzen getrennt benutzt, doch dieses Mal, war das erste mal, dass ich auch auf seiner Seite im Bett lag.
Wir mussten schon stundenlang so daliegen, zumindest kam es mir so vor. Er nur in Boxershorts, halb unter der Decke und ich nur noch in Jeans und Unterwäsche halb auf ihm, als es plötzlich klingelte. „Ach nö!!“ sagte er, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und bedeutete mir, mich ebenfalls anzuziehen, während er sich schnell ein T-Shirt und eine Jogging-Hose überzog. Ich hörte ihn an der Tür mit jemandem, dessen Stimme ich kannte, mir aber nicht sicher war, wer es war, reden. Doch! Eine davon war Marion. Ich ging aus dem Schlafzimmer und lief langsam zur Wohnungstüre.
„Moni.“ sagte Werner, als er mich sah. Ich konnte an seinem Blick erkennen, dass etwas geschehen sein musste. Er und Rudi gingen gleichdarauf ins Wohnzimmer, während Marion zu mir kam. Sie drückte mich und sagte dann: „Leon wurde verhaftet. Die andern haben sie umgebracht! Alle!“ Ich blickte sie erschrocken an. Anscheinend wollte mein Blick ihr nicht glauben, doch sie sah mich nur fest an. Es musste war sein. Wir kamen zu Werner und Rudi ins Wohnzimmer. Ich setzte mich Rudi gegenüber an den Esstisch, während Marion neben Rudi gegenüber von Werner saß. Ich sagte nichts. Gar nichts, genauso wie ich es in Ansbach lernen sollte. Rudi nahm meine Hände, die auf dem Tisch lagen und zog sie zu sich. Ich hielt meinen Blick weiterhin auf die Tischplatte gesenkt. Werner räusperte sich und berichtete, dass Manu und Markus, der 1. Kommandant, momentan auf der Polizeiwache saßen und versuchten, einen bestimmten bezahlbaren Betrag auszuhandeln, gegen den Leon wieder frei kommen würden, als es schon wieder klingelte. Ich schreckte auf und wollte schon aufstehen, doch Werner war bereits unterwegs. Kurz darauf kam er auch schon wieder, in Begleitung von Leon und Markus. Ich stand auf, als Rudi und Marion längst bei den zwei Neuankömmlingen standen. Markus drückte meine Hand und dann stand ich vor Leon. Wir blickten uns gegenseitig in die Augen, dann nahm er mich fest in die Arme, und ich konnte wieder den typischen Leon-Geruch riechen, Kaffee mit einer Mischung aus Duschgel und ihm selber, die ich schon riechen konnte, wenn ich früher nur neben ihm im Bus gesessen bin. Nach längerer Zeit ließen wir uns wieder los. Marion, der genauso wie mir noch immer die Müdigkeit der letzten Nacht ins Gesicht geschrieben war, verabschiedete sich bald wieder von uns und auch Werner und Markus, der Leon mit zu sich nahm. Erschöpft von diesem Nachmittag ließ ich mich mit Rudi auf die Couch fallen und sank dann an seiner Brust in einen tiefen Schlaf, aus dem ich nicht einmal aufwachte, als er mich ins Schlafzimmer trug und sich an meine Seite legte, um auch zu schlafen.
2. Januar 2012 und Fortsetzung Januar 2012
Ich hatte durchgeschlafen, doch als ich aufwacht, merkte ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Es war kalt. Die Decke war da, aber Rudi nicht. Ich öffnete die Augen, da sah ich ihn am Fenster stehen. „Komm!“ sagte er. Ich stand auf, merkte dass mir zu kalt war, wickelte mich in die Decke und lief auf ihn zu. Er zeigte nach außen. Erst dachte ich, er wollte mir zeigen, dass es geschneit hatte, doch dann merkte ich, dass vor dem Haus Nazis standen, nicht nur ein paar sondern sehr viele. Sie blickten auf die Haustüre, warteten darauf, dass sich die Tür öffnete. Waffen in den Händen. Mir wurde schwarz vor Augen.
„Hey“ sagte Rudi leise, als ich meine Augen öffnete, „auch wenn da bescheuerte Na¬zis stehen, du darfst nicht aufhören zu atmen!“ Ich lächelte und stand mit seiner Hilfe wieder auf. Wir gingen ins Wohnzimmer, als das Telefon klingelte. „Bei Trietz“ meldete ich mich. Werner sagte: „Moni, geht NICHT aus dem Haus, die Nazis haben Haftbefehl bekommen. Sie können euch....“ Ein Schlag ertönte und der Hörer wurde wieder auf die Gabel gelegt.
„Moni, Moni“ rief Rudi leise, „Was ist passiert?“ Ich senkte den Blick, sah in die Fer¬ne, drehte meinen Kopf weg. Rudi schüttelte mich leicht. „Was ist passiert?!“ Ich ließ mich auf die Couch fallen und begann zu erzählen. Es war wenig, aber es war alles, was ich wusste. Er wurde wütend, stand auf und lief zur Tür, ich hinterher und hielt ihn fest. „Nein! Die nehmen dich fest!“ Ich weinte und hielt ihn fest, versuchte ihn zu¬rück ins Wohnzimmer zu ziehen, doch er war zu stark. Er machte die Tür einen Spalt auf, doch ich zog sie wieder zu. Er schob mich vor sich her ins Schlafzimmer und drückte mich gegen die Wand. „Wer hat angerufen?!“ „Werner, aber du darfst nicht raus, die haben Haftbefehl und wenn du dich wehrst erschießen sie dich!“ Er küsste mich fest auf den Mund, holte sich seine Kleidung und zog sich an, ich tat es ihm nach, doch als er wieder an der Wohnungstüre war, hielt er mich auf. „Bleib da! Es reicht, wenn sie mich haben!“ Doch ich schüttelte den Kopf. „Nein! Entweder ich geh mit oder wir bleiben beide da!“ Er seufzte und zog mich an sich. Vergrub seinen Kopf in meinen Haaren. Weinte. „OK, bleiben wir da. Werner hat es gesagt, also tun wir was er sagt.“ Ich nickte. Hob meinen Kopf und küsste ihn. Lange. Dann umarmten wir uns wieder. Mein Handy, welches ich neu hatte, klingelte. Ich ging ran. „Moni? Habt ihr einen Hintereingang?“ „Wer ist da?“ piepste meine Stimme. „Sorry, hab ich vergessen, Matthias; und Marco ist auch bei mir.“ „Warum?“ „Wir können euch raus helfen, ohne dass die Nazis euch sehen, und Handys hören sie noch nicht ab!“ Ich blickte zu Rudi, der seinen Kopf nahe genug hatte um mitzuhören. „Keller“ sagte er. „Sieht man euch, wenn ihr da runtergeht, also von der Haustür aus?“ Rudi schüttelte den Kopf und räusperte sich, dann verneinte er. „OK, dann geht da runter, liegt bei euch im Briefkasten ein Haustürschlüssel?“ „Ja“ sagte Rudi. Nun meldete sich Mar¬co: „Wir werden uns als Strommesser ausgeben und sagen, dass ein Schlüssel im Briefkasten liegt. Dann kommen wir zu euch runter und gehen mit euch durch einen Lichtschacht zum Kanal, wir müssen uns beeilen, wenn wir innerhalb von einer halb¬en Stunde nicht wieder da sind gibt’s Probleme.“ „Dann gehen wir jetzt runter“, ant¬wortete ich.
Genauso taten wir. Nach fünf Minuten, die wir unten waren, kamen Marco und Matt¬hias. Wir begrüßten uns nur kurz und begaben uns in den Lichtschacht. So eng er auch war, wir alle kamen durch. Nach weniger als einer Viertelstunde befanden wir uns im Kanal und rannten zu einem anderen Gang. Dieser führte in eine alte Lager¬halle, die bereits seit Jahren leer stand. Zwischendurch dachte ich, ich würde Schritte hören, doch dem war nicht so. Wir kletterten eine Leiter nach oben und befanden uns mit einigen Mitgliedern der Feuerwehr und der Wasserwacht in der Halle, die sich im Keller befand. Erst hier nahmen mich Matthias und Marco etwas länger in die Arme. Ich schaltete mein Handy aus und ging zu Jeanette, ihrer Schwester Meike, Annika, Sandra und Andrea. Ließ mich bei ihnen nieder und ließ mir erzählen, dass Werner niedergeschlagen und verhaftet wurde. Er kam ins KZ Dachau, wobei er kurz nach seiner Ankunft aufgrund seiner schweren Kopfverletzung erschossen wurde. Darauf¬hin wurden alle von uns angerufen und hierher gebracht.
Fortsetzung April 2012
Jetzt waren wir schon dreieinhalb Monate hier unten, noch niemand hat uns erwischt, doch auch die Nahrung vom Schwarzmarkt wird immer weniger, Lebensmittelmarken haben wir keine, wir könnten ja sowieso nicht raus. Alles wird so teuer. Eine Büro hat sich im vorderen Teil des Fabrikhauses eingerichtet. Jetzt müssen wir vormittags immer ganz leise sein. Nachmittags auch, Abends und Nachts sind die Leute nicht da. Sie kennen uns und wissen auch, dass wir hier sind. Durch sie bekommen wir wieder Lebensmittel. Alle paar Tage kommen Bomber vorbei. Wir haben ein Radio, Computer können wir nicht verwenden. Aber so haben wir erfahren, dass mittlerweile auch die neutralen europäischen Länder im Krieg eingegriffen haben, nicht mehr wie zu Anfang nur Österreich, Polen, Tschechien, Frankreich, England, Weißrussland, Italien und alle anderen, sondern auch die Schweiz, der Balkan, die Beneluxstaaten. Russland und die USA waren ja als Großmächte sowieso von Anfang an dabei. Japan versucht sein Reich in Richtung Vietnam und Vietcong zu Vergrößern, China hat einige Atombomben, Pakistan, Israel, Iran und Irak bekriegen sich nicht nur noch gegenseitig sondern beginnen auch gegen die anderen Nah Östlichen Länder. Türkei kämpft speziell gegen Zypern und Georgien.
Nur noch schlechte Nachrichten. Hitler hat veranlasst, dass Atombomben hergestellt und eingekauft werden. Jetzt hat Deutschland bereits 3 Atombomben. Niemand weiß woher das Geld kommt. Aber wahrscheinlich von allen Juden und Nazi-Feinden, von allen Sinti und Roma und von allen, die nichts mit Hitler zu tun haben wollen, die ausgeraubt wurden, die anderen, die bleiben dürfen aber dafür ausgebeutet werden. Die Bomben werden garantiert von aller dieser Geld bezahlt. Und die Leute im KZ verhungern, sterben. Mein Opa und meine Cousine sind auch tot, wurden erschossen, weil sie behindert war und er krank war. Mein Onkel ist auch tot, an Unterzuckerung gestorben. Nur noch meine Tante und mein Cousin übrig. Dafür von der Seite von meinem Vater, niemand sagt etwas gegen Hitler, alle dürfen arbeiten, wohnen, leben, haben Nahrung, sind alle noch am Leben, auch mein Opa. Hab allerdings trotzdem keinen Kontakt zu Ihnen weil wir hier sind.
Annika geht es schlecht. Sie hat Lungenentzündung. Ist bereits sehr schwach, wir wissen nicht, was wir tun sollten, falls sie nicht überlebt. Leon, Markus und Rudi sind außen, dort, wo die Nazis sind. Sie sollen nach Lebensmitteln betteln, suchen, einfach welche besorgen, und Medizin für Annika. Ich versuche nicht daran zu denken. Rudi, mein Rudi, da draußen, in Gefahr, und Leon und Markus. Was soll ich tun, wenn sie umgebracht werden? Oder alleine nur, wenn sie verhaftet werden?
Ich sitze mit Andrea, Meike und Jeanette in unserem Zimmer. Die Stille war unerträglich und irgendetwas fehlte. Fehlte, hier in diesem Raum, im ganzen Haus war mir das schon aufgefallen. „Wo ist eigentlich Sandra?“ fragte ich. Die anderen blickten sich an. Wir sprangen auf und liefen zu Wilhelm. Der unterhielt sich gerade mit Marco und sie erschraken beide, als wir die Tür zum Büro aufschlugen. Wilhelm sprang auf und kam um den Tisch herumgelaufen, auch Marco sprang auf. „Was ist passiert?“ fragte Wilhelm. „Wo ist Sandra?“ fragte ich mit schriller Stimme zurück. Marco und Wilhelm blickten sich an. „Vorhin wollte sie duschen.“ sagte Marco. Dann rannten wir auch schon los. Die Badezimmertüre war nicht abgeschlossen, aber wir hörten auch nichts. Wilhelm wies uns an einen Schritt zurück zu gehen und öffnete die Türe. „Marco, hol Matthias; und ihr drei geht zurück in eure Zimmer. Wartet dort, wir kommen hinterher.“
Zehn Minuten vergingen.
Zwanzig Minuten vergingen.
Dreißig Minuten vergingen.
Vierzig Minuten vergingen.
Gerade waren 53 Minuten vergangen, da klopfte es zaghaft an der Türe. Rudi streckte den Kopf herein. Seine Miene war steinern. „Ihr könnt mit in den Aufenthaltsraum kommen.“ sagte er nur. Sonst nichts. Nichts zu Sandra, nichts, ob der Aufenthalt im Freien etwas gebracht hat oder nicht. Er wartete bis wir alle außen waren und schloss hinter mir die Türe, dann zog er mich an sich, gab mir einen Kuss auf den Kopf und ließ seinen Arm an meiner Hüfte, als wir zusammen zum Aufenthaltsraum liefen. Fast alle waren schon dort, aber direkt nach uns kamen auch Marco, Matthias und Wilhelm. Auch aus ihrer Miene konnte man nichts herauslesen. Jetzt fehlten nur noch Markus und Leon.
„Ihr habt wahrscheinlich alle davon mitbekommen“ begann Wilhelm „dass vor ungefähr einer Stunde Sandra gesucht wurde.“ Manche nickten, manche blieben komplett regungslos. „Sie ist tot. Sie hat sich das Leben genommen! Wahrscheinlich wurde ihr das alles hier zu viel.“ Ich blickte zu Andrea, Jeanette und Meike. In ihren Augen widerspiegelte sich mein eigener ungläubige und gleichzeitig traurige Blick. Wilhelm wies mit seiner Hand auf Rudi. Dieser nahm seinen Arm von meinen Schultern. Er legte sie in seinem Schoß zusammen. „Wir haben Nazis getroffen. Sie haben da draußen überall Fallen aufgestellt. Markus hat eine übersehen. Die Dinger sind mittlerweile so modern, dass sie Alarmanlagen haben. Wir haben versucht ihn herauszuholen, da sind sie gekommen. Sie haben auf Leon geschossen, ich konnte gerade noch rechtzeitig weglaufen. Ich hab nur noch gesehn, wie sie Markus und Leon umgebracht haben!“ Seine Stimme zitterte. Meine Hände zitterten. Er hat überlebt. Aber Leon und Markus waren tot. Vor meinen Augen wurde es weiß, dann bekam ich nichts mehr mit.
Fortsetzung Oktober 2012
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass Markus und Leon tot sind. Mittlerweile be¬kommen wir wieder Essen von den Leuten der Firma. Ich selbst habe nachdem ich zusammengebrochen war bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen. Sandra kann ich verstehen. Ich weiß nicht wie sie es geschafft hat, sich umzubringen, aber ich bin mir sicher, wenn ich die Chance hätte, würde ich es auch tun. Ich weiß bloß nicht wie, außerdem haben sie sowieso ein besonderes Auge auf mich. Aber sie wissen nicht, dass ich wieder begonnen habe mich zur ritzen. Wissen nichts, von der Glasscherbe, die in meinem Bettüberzug liegt. Ich greife danach. Taste mich hin. Spüre das kalte Glas nicht. Taste weiter, drehe mich um. Sie ist nicht mehr da. Habe ich sie irgendwo verloren? Ich muss auf Toilette, aber mein Nachthemd ist nicht lang genug, um die Narben an meinem Schienbein zu verdecken. Ich wickele eine Wolldecke um mich. Sie ist lang und sie ist warm. Öffne die Türe und mache mich auf dem Weg zur Toilet¬te. Vielleicht finde ich dort auch die Scherbe. Eine Türe neben mir geht auf und Marco erscheint. „Suchst du die hier?“ Er hält eine Glasscherbe hoch und es ist nicht irgend¬eine, sondern es ist MEINE Glasscherbe. Ich runzele kurz die Stirn und schüttele den Kopf. „Ich muss auf Klo.“ sage ich. „Und warum hast du dann die Decke um dich gewi¬ckelt? Ist dir wirklich so kalt?“ Fragt er zurück. Ich nicke. Gehe weiter auf Toilette, höre keine Schritte näherkommen, aber auch keine Tür zu gehen. Als ich wieder heraus¬komme, steht er immer noch da. „Komm mal mit.“ befahl er. Ich zucke mit die Schulter und folge ihm. Er hält die Türe zu Wilhelms Büro auf. Rudi, Matthias und er sitzen dar¬in. Marco lässt mich voraus gehen. „Denkst du wir sind sauer auf dich?“ Fragt er. Ich zucke mit den Schultern. Matthias beugt sich vor. „Was meinst du, warum wir nicht ge¬sagt haben, wie Sandra sich umgebracht hat?“ Ich zucke wiederum mit den Schultern. Wilhelm erklärt, dass ich eine Glasscherbe im Bad vergessen hätte. Sandra habe sie gesehen und sich damit das Leben genommen. Also hatte ich sie doch vergessen und niemand hatte sie im Überzug gefunden. Aber ich hatte ja das Glück und noch eine, aber warum habe ich die nur wieder vergessen? Jetzt habe ich gar keine mehr. „Du bist die einzige, bei der wir immer den Verdacht haben, dass sie sich ritzt.“ erläutert er weiterhin. „Wo?“ fragt Rudi nur. Ich ziehe die Wolldecke über meine Unterschenkel, friere und lasse sie wieder hinunterfallen. Doch sie wollen noch einmal sehen. Wohl was nicht in Ordnung? Ich weiß es nicht. Ich möchte nur zurück in mein Bett. Mir ist schwindlig und mein Kopf schmerzt. Sie lassen mich nicht gehen. Marco führt mich an eine Trage, die unter den Fenstern mit den heruntergelassenen Rollos steht. „Hast du sie mit Wasser ausgewaschen?“ Fragt Wilhelm. Ich richte mei¬nen Blick Richtung Bo¬den und nicke. Riskiere einen Blick. Alles Gelb. Aha, deswegen tun meine Beine auch so weh.. und kippe um.
Als ich wieder aufwache ist eine weiße Salbe an meinen Beinen und ich habe eine Infusion am Arm. „Ich würde es einfach eine Entzündung nennen.“ Sagt Matthias. Schaut mich an. Aufmerksam. Ich schaue weg. „Ist dir klar, dass du vielleicht auch eine Blutvergiftung bekommen hättest?“ Ich antworte nicht. Blicke ihn weiterhin nicht an. „Ist dir also egal? Ist das der Grund? Möchtest du dich umbringen, aber auf eine schmerzhaftere Methode, als dir gleich die Pulsadern durchzuschneiden? Oder traust du dich einfach nicht, dich direkt umzubringen?!“ Ich sage noch immer nichts. „Ver¬dammt, schau mich an!“ In seinen Augen waren Tränen, oder widerspiegeln sie nur meine eigenen? Ich weiß es nicht, aber irgendwie war alles, was er gesagt hatte rich¬tig. Nur richtig. Alles. Er war aufgestanden, lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Blickt mich nur verzweifelt an. Genauso, wie ich ihn auch anblicke. „Ich wette, am Ende wirst du eine von denen sein, die am längsten durchhalten.“ Sagt er, streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Lässt seine Hand eine Weile da liegen, nimmt sie wieder weg. Tränen strömen aus meinen Augen. Aus seinen auch. „Wir sind schon so weit. Wir haben schon zwei Jahre hinter uns. Der erste Weltkrieg hat auch nur vier Jahre gedauert.“ Sagt er, doch ich erwidere: „Und wenn der hier länger dauert? Deutschland hat schon zig Atombomben und die anderen Länder garantiert auch. Russland, die USA, ich wette auch Frankreich und England haben welche. Die Araber. Entweder sterben viele oder alle. Niemand weiß über die Auswirkung Bescheid. Alle sagen nur die Waffe, die alles ausrotten wird, die uns zum Sieg führen wird, aber Hitler braucht erst mal einen Grund sie abzuwerfen, und dann wird sie uns alle treffen.. Was ist, wenn sie in unserer Nähe abgeworfen wird?“ Er schlägt die Augen zu, meine Stimme war leise, doch sie hat alles gesagt, was er selbst nur denkt. Ich werde müde. Schlie¬ße wieder die Augen. Als die Türe aufgeht nimmt Matthias meine Hand, drückt sie fest und geht dann. Ich weiß nicht, wer jetzt kommt, bin mir aber sicher, dass sie wie da¬mals, bevor ich aus dem Koma aufgewacht bin, die ganze Zeit jemanden bei mir wa¬chen lassen.
Und mein Verdacht, bestätigte sich, als ich aufwachte schien mir die Sonne ins Ge¬sicht und Marco saß neben mir. Wenngleich er gegen die Wand gelehnt saß und ein Buch las. Ich zeigte keine Reaktion und tat weiterhin so, als würde ich schlafen. Er wusste aber dass ich wach war. Atmete ich schneller als sonst oder warum? Ich weiß es nicht. Doch als er sagte: „Komm, mach die Augen auf, ich weiß, dass du wach bist!“, machte ich meine Augen auf. Ich blickte nicht zu ihm, sondern nur gerade aus und starrte die Decke an, an der ein Marienkäfer entlang krabbelte. dachte ich, doch ich erinnerte mich daran, dass kurz nach unserem Einzug in Roth auch immer wieder Marienkäfer in meinem Zimmer waren. „Deine Bei¬ne heilen.“ Ich reagierte nicht, zuckte nicht einmal mit den Schultern. Er seufzte. „Du hast schon mit Matthias geredet?“ Ich rühre mich weiterhin nicht. Er legte sein Buch weg, drehte sich zu mir und nahm meine Hand. Sah die Tränen in meinen Augen. Ich versuchte sie weg zu blinzeln, doch es funktionierte nicht. Ich begann zu schluchzen und drehte meinen Kopf weg. Blickte auf die heruntergelassenen Rollos. Marco strich immer wieder sanft über meine Hand. „Klar ist es schwer für dich, aber wie Matthias schon gesagt hat, am Ende wirst du eine von denen sein, die am längsten durchhal¬ten!“ Sagte er und legte die andere Hand auf meinen Hinterkopf. Ich weinte weiterhin. Konnte nicht anders. „Leon ist tot, Markus und Werner auch, Annika ist krank, warum hab ich nicht einfach das gleiche wie Sandra gemacht? Dann hätte ich die ganze Scheiße los!“ schluchzte ich. Er nahm die Hand, die mittlerweile auf meiner Hand lag weg und platzierte sie auf meiner Schulter. Er drehte mich so, dass ich ihn ansah half mir auf und nahm mich in die Arme. Ich weiß nicht, wie lange wir so da saßen, doch ich wurde immer müder und schluchzte nur noch ab und zu. Irgendwann fiel ich in einen Halbschlaf. Erst als es an der Tür klopfte und Matthias hereinkam wurde ich etwas wacher. „Schläft sie?“ fragte er, „Ich glaub schon.“ erwiderte Marco. Er legte mich wieder sanft zurück auf die Liege stand auf und sah, dass meine Augenlider flatterten. Matthias der es auch bemerkt hatte nahm meine Hand und sagte mir, dass ich weiterschlafen sollte. Dies musste er mir nicht zweimal sagen, denn kurz darauf war ich schon wieder eingeschlafen.
Beim nächsten Mal war Rudi da. „Willst du wieder in ein normales Bett?“ fragte er, als er sah, dass ich die Augen öffnete. Mir schossen Tränen in die Augen. Ich wusste nicht, sollte ich? Oder lieber doch nicht? Dann würde ich bestimmt sehr bald wieder hier liegen. Er beugte sich zu mir hinab und küsste meine Tränen weg. „Ich komm gleich wieder, ich hol bloß Wilhelm.“ sagte er und stand auf. Er musste nur zur Tür hinaussehen, denn Wilhelm lief gerade vorbei. Die beiden kommen zusammen zurück zur liege, wobei Rudi diesmal Wilhelm den Stuhl überließ. „Deine Beine sehen ja ziemlich gut aus und du dürftest auch eigentlich wieder zurück in dein Zimmer, aber wir haben die Zimmer jetzt anders eingeteilt. Wenn du willst, darfst du zu Rudi.“ sagt er. Dieser nahm meine Hand in die Seine und hielt sie warm. „Dir ist aber klar, dass ich es gleich mitbekommen werde, wenn du dich wieder ritzt..?“ fragte er. Ich senkte meinen Blick und nickte. Sie beschlossen meine Bettwäsche umzuräumen, sodass ich gleich die kommende Nacht bei ihm verbringen konnte.
Sie hatten schon gegessen. Ich wollte nichts. Mir war schlecht. Rudi war gerade mit Matthias und Marco bei Wilhelm. Ich wusste nicht, über was sie reden mussten. Es war mir auch egal, wahrscheinlich ging es sowieso nur darum, wie sie auf mich auf¬passen konnten, wenn ich jetzt bei Rudi schlafen würde. Und jetzt saß ich hier mit Manu, der mich weiterhin zum Essen überreden wollte. „Wenn du nichts isst, kannst du dir sicher sein, dass du eine Magensonde bekommst.. Das ist dir schon klar, oder?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Weißt du, für mich ist die ganze Scheiße auch schwer, ich hab meine Freundin und gleichzeitig mein Kind verloren!“ „Ist ja nicht des¬wegen..“ sagte ich leise. „Warum dann?“ Doch ich zuckte nur mit den Schultern. Sie sollten es nicht wissen. Sollten nicht wissen, dass ich mich auch vor allem deswegen geritzt hatte, da der neue Freund meiner Mutter auch hier war und es sich immer wie¬der in Sandra´s Bett gemütlich gemacht hatte, während ich schlafen wollte. Immer wieder grapschte er, wollte mich nicht in Ruhe lassen. Aber das konnte ich doch nie¬mandem erzählen! „Woran denkst du?“ fragte Manu. Ich blickte ihn völlig verwirrt an, als hätte ich gar nicht gemerkt, dass ich nicht bei der Sache war und zuckte mit den Schultern.
Fortsetzung Januar 2013
Ich hatte noch immer die Sonde, und ich nahm noch immer wieder weiter ab. Ich woll¬te Markus zurück, Werner, Leon und seine Familie, Annika, die ihre Lungenentzün¬dung nicht überlebt hat. Immer wieder begann ich einfach so zu weinen. Immer wieder begann ich, mit Rudi zu streiten. Meistens ging es darum, dass ich endlich zunehmen musste, dass ich immer, wenn es um Klaus ging, abweisend wurde. Er wusste ja nicht, was Klaus mir jedes Mal antat, wenn ich mit ihm alleine war.
Ich stehe vorm Spiegel. Rudi schläft. Sollte ich es ihm doch sagen? Ich weiß es nicht. Es war dunkel, aber das helle Vollmondlicht warf genug Licht auf mein Gesicht, dass ich die Sonde sehen konnte. Jedes Mal, nachdem sie mir die Sonden-Nahrung einge¬flößt hatten, wartete ich erst kurz und sperrte mich im Klo ein um alles wieder auszu¬kotzen. Ich wollte nicht zunehmen. Ich wollte so viel abnehmen, dass ich dünn genug bin, um ihm nicht mehr zu gefallen. Auf einmal stand jemand hinter mir, ich zuckte so heftig zusammen, das ich mir meinen Ellenbogen an der Wand anstieß. „Hey, ganz ruhig!“ sagte Rudi und fragte dann, warum ich nicht mehr im Bett sei. „Ich konnte nicht schlafen.“ Antwortete ich. „Woran hast du gedacht? Du hast ja nicht mal im Spiegel gesehen, wie ich aufgestanden und hinter dich getreten bin. Du hast mich erst nach mindestens fünf Minuten bemerkt!“ erzählte er, während er mich in den Arm nahm und sich mit mir auf Bett setzte. „Erzähl!“ forderte er mich auf. Ich wollte es, plötzlich wollte ich, dass er es erfuhr. Doch es ging nicht. Ich konnte nicht. Ich begann zu weinen, stand auf und ließ mich in anderen Ecke im Zimmer nieder. Rudi folgte mir, langsam, damit ich nicht erschrak. Ging vor mir in die Hocke, gut einen Meter entfernt. Er fragte, ob es wegen Klaus wäre, weil ich ihm gegenüber immer so abweisend war. Ich verdeckte mein Gesicht mit meinen Händen. Jetzt kam er näher und nahm meine Hände in die seinen. Machte das Licht an, sah meine, mit Blutergüssen bedeckten, Arme. Er half mir auf brachte mich zur Tür. „Weißt du, ich hab schon öfter bemerkt, dass du in der Nacht länger vorm Spiegel stehst. Ich hab Wilhelm davon erzählt, und auch von meinem Plan, dich heute Nacht mal darauf anzusprechen. Und er hat mir auch etwas erzählt.“ erzählte er, bevor er die Tür öffnete. Ich nickte und er brachte mich in Wilhelms Büro. Diesmal waren nur Wilhelm, Rudi und ich darin. Ich konnte hören, dass der PC ausnahmsweise eingeschaltet war. Wusste nicht, was ich davon halten sollte. Wilhelm kam hinter dem Schreibtisch vor und brachte uns zu einer kleinen Sitzgruppe hinter dem Schreibtisch. „Hast du wirklich gemeint, dass wir nie was machen würden, nachdem du immer so abweisend gegenüber Klaus warst?“ Ich senkte meinen Blick. Meine Augen wurden feucht. „Ich habe in deinem alten Zimmer und im Aufenthaltsraum Kameras angebracht.“ informierte er mich. Ich blickte ihn erschrocken an, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Tränen rannen mir über die Wange, auch seine Augen blickten traurig und es sah so aus, als würden sich auch bei ihm schon Tränen sammeln, doch vielleicht war es auch nur die Müdigkeit, die sich in seinen Augen widerspiegelte. Er drehte den Monitor zu uns und ließ eine Szene laufen, kurz nach dem sich Sandra umgebracht hatte. Als Klaus mich auf dem Band schlug packte Rudi meine Hände, er wollte nicht glauben, wie sehr der andere sich an mir vergangen hatte. In diesem Moment konnte Wilhelm meine Arme sehen und schaltete das Band ab. „Wir werden deine Arme behandeln.“ Ich nickte. Von einer plötzlichen Erschöpfung gepackt, fragte ich, wer sonst noch Bescheid wüsste und erfuhr, dass Manu, Matthias und Marco schon öfter nach mir gefragt hatten. Dann erlaubte er uns zu gehen, doch kurz bevor wir an der Tür waren, fragte er noch, ob ich deswegen weiter abgenommen hatte, ich nickte nur.
Im Bett redeten wir kein Wort mehr, Rudi hauchte mir nur einen Kuss auf die Stirn und zog mich eng an sich, dann schliefen wir beide sofort ein. Am nächsten Morgen, als wir zusammen in den Aufenthaltsraum kamen, konnte ich nur schwer den Drang un¬terdrücken, nach der Kamera zu suchen, dafür versuchte ich aus den Mienen der an¬deren etwas herauszulesen, aber es schien, als hätte Wilhelm sonst mit niemandem geredet. Ich vertraute ihm, er wusste dass es für mich hart war. Andrea, die schon fer¬tig war, ging mit mir in ein Nebenzimmer um die Sondierung durchzuführen. Wie jedes Mal sagte ich kein Wort. Ich wehrte mich nicht. Doch als ich dieses Mal nach der Vier¬telstunde, die ich mich immer hinlegen sollte, aufgestanden war und gerade zur Toilet¬te gehen wollte, hielt mich Matthias auf und nahm mich mit zurück in den Aufenthalts¬raum, wo ich noch zusätzlich eine Tasse mit Tee bekam. Er führte mich zu einem lee¬ren Platz zwischen Rudi und Manu und gegenüber von Wilhelm. Nun musste ich vor aller Augen die Tasse Tee trinken, obwohl mir sowieso schon schlecht war und ich am liebsten nur zur Toilette gehen würde um alles auszuspeien. Doch auch danach zur Tagesplanung musste ich da bleiben. Wir mussten alle Räume komplett säubern. Jetzt erkannte ich den Plan. Sie wollten herausfinden, ob Klaus jedes Mal, wenn er mit mir allein war, auf mich losgehen würde.
Nach der Planung machte ich mich auf den Weg zur Toilette, ich lauschte, ob niemand in der Nähe war und steckte mir einen Finger in den Hals. Ich betrachtete die Sonde in meinem Gesicht. Die mein Gesicht noch blasser machte, als es sowieso schon war. War hatte bereits alle Pflaster, die sie hielten gelöst und wollte sie herausreißen, ob es schmerzen sollte oder nicht, als es klopfte und Marco´s Stimme fragte, ob frei wä¬re.Ich fand meine Stimme nicht wieder, als er schon die Türe öffnete und auf mich stieß. Mit einem Ruck zog ich die Sonde heraus, bekam Nasenbluten und spuckte Blut. Keine zehn Sekunden später lag ich schon auf dem Boden und Marco hatte schon Hilfe geholt.
Ich war wach, doch zu müde, um eine halbe Stunde später bereits wieder mein Ge¬sicht abtasten zu können um zu erkennen, ob bereits eine neue Sonde eingeführt wurde. „Wusste sie, dass sie sich verletzten würde, wenn sie die Sonde herausreißt?“ fragte Matthias, Rudi entgegnete: „Vielleicht, aber möglicherweise hatte sie auch nur die Schnauze voll von dem Teil, kann ich eigentlich verstehen..“ Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, strich mir die Haare aus dem Gesicht und nahm umfasste meine Hand. „Könnt ihr trotzdem eine neue hinein machen?“ Fragte er. Ich hörte Schritte. Matthias schien zu Rudi gegangen zu sein, aber ein paar Zentimeter neben dessen Hände wurde die Matratze etwas heruntergezogen. Durch die Decke hindurch konnte ich Matthias Ellenbogen spüren. „Wir wissen es momentan nicht. Falls damit die Wunden aufgekratzt werden, würde sie verbluten, spätestens dann, wenn sie sich die Sonde nochmal herausreißen sollte.“ Rudi seufzte. Ich spürte die Blicke der beiden auf mei¬nem Gesicht. hätte ich am liebsten gerufen. Jetzt wusste ich ja, wie ich mich ganz einfach umbringen könnte. Doch in dem Moment sagte Rudi noch, dass sie ja auch versuchen könnten, mich wieder auf normales Essen umzustel¬len. Als sie gerade beide Rudi das Zimmer verlassen wollte rief Matthias ihm noch hin¬terher, dass Klaus wahrscheinlich auch noch hereinschauen wollte und jetzt auch hier innen eine Kamera ist, die er ihm auch noch zeigte..
Kurz nachdem er das Zimmer verlassen hatte bewegte ich langsam meinen Kopf und versuchte die Augen zu öffnen, was mir erst nach mehreren Versuchen gelang. Ich blickte direkt in Matthias traurige Augen. „Wie viel hast du mitbekommen?“ fragte er. Ich runzelte kurz die Stirn und sagte dann: „Seit du gefragt hast, ob ich wusste, dass ich mich verletzten würde.. Meine Antwort ist nein, ich hatte die Schnauze voll davon.“ Ich wartete einen Moment dann ergänzte ich: „Ich wollte nicht einfach so lauschen, ich hab da meine Augen noch nicht auf bekommen. Es tut mir leid.“ Wieder hatte ich Trä¬nen in den Augen, doch er meinte nur, das wäre nicht so schlimm, sagte aber, dass ich keine weitere Sonde mehr bekommen würde. Ich schluckte, spürte einen leichten Schmerz und drehte meinen Kopf weg, damit er meine Tränen nicht sehen konnte.
Matthias musste gehen, Klaus kam. Ich wurde blass. Ich konnte noch nicht einmal ein Wort sagen, da schlug er mir ins Gesicht. Schlug und Schlug, bis ich in meinem Mund Blut schmecken konnte und auch meine Nase wieder blutete. Dann kamen Matthias, Marco, Manu, Rudi und Wilhelm und zogen ihn zusammen weg. Rudi und Matthias blieben bei mir, während die anderen drei Klaus aus dem Haus beförderten und aus¬schlossen. „Wird er uns verraten?“ fragte ich leise, doch Matthias schüttelte den Kopf. „Er war ein Spitzel und hätten wir nicht alle unsere Handys abgegeben, dann hätte er uns verraten.“ Er wartete einen Moment, dann sagte er noch: „Es ist zwar hart, aber sie werden mit ihm das gleiche machen, wie die Nazis mit Leon und Markus gemacht haben.“ Rudi und Matthias senkten den Kopf, doch ich meinte nur: „Er hat es wenigstens verdient, die anderen zwei nicht!“ „Du bist der Hammer!“ entgegnete Rudi verblüfft und küsste mich auf die Stirn.
Fortsetzung April 2013
Sie haben es geschafft. Ich hab es geschafft. Ich habe tatsächlich in den letzten vier Monaten zehn Kilogramm zugenommen. Klaus ist nicht mehr und ich muss ihn nie wieder ertragen!
Aber wenn es noch mehr gute Nachrichten geben würde, wäre es besser. Wir bekom¬men zwar noch immer Lebensmittel, doch die Firma musste schließen. Es fliegen im¬mer mehr Bomber durch die Gegend. Hitler hat nun schon viele andere Länder erobert. Immer wieder stehen mehrere Leute um unser Gebäude herum und beobachten es. Aber woher sollten sie wissen, dass wir hier innen sind. Ich hatte Geburtstag, wollte aber nicht feiern. Das hatte ich auch mehrmals angedeutet. Was die anderen taten wusste ich nicht, doch ich saß auf der Treppe zum Dachboden und las zum x-ten Mal den letzten Harry Potter Band, als die Tür zum Treppenhaus aufging und Rudi herauskam. „Na?“ sagte er, setzte sich zu mir auf die Treppe und küsste mich. „Was machen die anderen?“ fragte ich. Er nahm mich in den Arm und flüsterte in meine Haare: „Wenn du es wissen willst, musst du nur mitkommen..“ Ich stöhnte „Sie haben also doch was vorbereitet, hab ich recht?“ „100 Punkte!“ flüsterte er und kitzelte mit seinem Atem mein Ohr. „Ich hab ein Geschenk für dich und ich bin mir sicher, dass du es annehmen wirst.“ Ich blickte ihn gereizt an. „Mensch Liebling, tu nicht so, als würdest du nicht, seit wir hier sind und du nicht mit Andrea außen warst, unter Zigarettenentzug stehen!“ Er grinste. „Idiot“ sagte ich nur und schmiegte mich an ihn. „Und was willst du Marco und Wilhelm sagen, wenn die beiden herausfinden, dass ich sie von dir hab?“ Er lachte kurz und leise, zog mich auf seinen Schoß und meinte nur: „Du wirst schon sehen, aber du musst mitkommen!“ Und knabberte an meinem Ohrläppchen. Ich zwickte ihn in den Bauch und entgegnete: „Wenn du so weiter machst muss ich aber den restlichen Tag hier mit dir verbringen, auch wenn ich dich ganz dolle lieb, die anderen werden uns garantiert vermissen..“ Ich stand auf, zog ihn mit mir mit und küsste ihn. Meine Arme umschlangen seine Schultern und seine meine Hüften. Er zog mich ganz nah an sich heran. „Ich lieb dich auch!“ sagte er und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren, während meines an seinem Schlüsselbein verweilte. Dann schob ich ihn von mir weg, öffnete die Türe und zog ihn mit mir mit.
„Wow, er hat es geschafft!“ rief Manu, als wir hereinkamen. Die anderen lachten. Ich verzog das Gesicht, musste aber dennoch grinsen. Wilhelm stand auf, führte uns beide zu den letzten freien Stühlen im Aufenthaltsraum und sagte: „Also, du hast dir gewünscht, nicht zu feiern, deswegen singen wir auch nicht. Aber ein Geschenk bekommst du trotzdem: Wir wissen ja, dass du seit einigen Jahren rauchst, es einigen von uns aber ziemlich gut verheimlicht hast, wie ich schon selber merken konnte..“ Er machte eine kurze Pause, in der manch andere leise lachten „.. und deshalb, ja, was du vom Rudi bekommst, weißt du garantiert schon, und von uns gibt’s zusätzlich noch Aschenbecher und Feuerzeug. Ist zwar nicht so viel wert, wie das, was wir alle immer bekommen haben und eigentlich total unvorbildlich, weil rauchen immerhin schlecht für die Gesundheit ist, aber da du jetzt 18 bist und wir doch schon länger wissen, dass du rauchst und du deinen 18. eigentlich überhaupt nicht mal feiern wolltest, halte ich das nur für gerechtfertigt!“ Ich wurde rot und musste immer mehr grinsen, dann sagte ich doch noch „Idioten!“ Die anderen klatschten und lachten. Wenigstens einen entspannten Abend hatten wir noch, doch das es nicht mehr allzu viele von diesen geben würde, das wussten wir noch nicht.
Fortsetzung Mai 2013
Ich wachte auf, als die anderen noch schliefen. Wuss¬te erst nicht, was mich geweckt hatte, doch dann er¬kannte bemerkte ich einen strengen Geruch, ich blickte aus dem Fenster und sah Rauch. Dunkelgrau¬en Rauch, wie wenn ein Haus brannte. „Rudi!“ rief ich erschrocken, „Wach auf!“ Ich lief zum Bett und rüttelte. „Hey Süße, was ist los?“ murmelte er noch im Halbschlaf, doch dann bemerkte auch er den Ge¬ruch. Er sprang aus dem Bett und zog mich mit sich mit zu Wilhelms Zimmer, klopfte laut an und rief dann durch die Türe, was passiert war. Auch andere hatten es gehört, es dauerte nur wenige Minuten bis alle aus ihren Zimmern in den Flur gestürmt waren. Ich zeigte in die Richtung, auf der unser Zimmer war und Wilhelm sah den Rauch durch das Fens¬ter. „Ich glaube wir müssen in den Keller!“ sagte er mit fester Stimme, doch auch ihm konnte man die Unruhe anse¬hen.
Wir alle, die wir noch waren, rannten so schnell wie möglich die Treppe hinunter. Den Radio nahmen wir mit, auch wenn wir uns sicher waren, dass der Emp¬fang dort unten nicht so gut sein würde. Auf den letz¬ten Stufen, ich war die vorletzte, begann auf ein¬mal das Gebäude zu rütteln. Ich erschrak und hielt mich an Marco, der vor mir war, fest. Ich hörte Andrea laut Kreischen, auch un¬ten konnte man es spüren, kurz darauf ein lauter Knall und wir schoben uns gegen¬seitig weiter in den Keller hinein. Endlich waren wir in dem großen Bunker und in Sicherheit. Ich machte mich ganz klein und setzte mich zwischen Rudi und Manu, meinen Kopf auf Rudi´s Schultern schloss ich die Augen. Ich wollte niemanden mehr sehen, wollte die Tränen, die aus meinen Au¬gen strömten ignorie¬ren.
Manu drückte meine Hand, jetzt hörte ich auch die Sire¬nen heulen, die den Fliegeralarm bekannt gaben, aber der Brand davor konnte nicht von Fliegern aus¬gelöst worden sein, denn dann wären wir ja davon wachgewor¬den. Jemand fragte etwas und Manu ant¬wortete. Er stand auf und ging auf die andere Seite. Jetzt waren nur noch Rudi, Marco, Matthias, Meike und ich auf dieser Seite. Alle kau¬erten auf dem Bo¬den und warteten darauf, dass alles vorbei war. Auf einmal hörte ich Hubschrauber und Leute auf dem Boden, die Wände waren doch so dick, dass man nichts hören sollte, da erblickte ich einen großen Riss in einer Wand. Alle Gesichter, in die ich sah waren bleich. Da hörten wir eine Stimme von außen: „Der Pilot hat gerade durchgegeben, dass da unten vielleicht noch überlebende sind!“ Andere Stimmen waren zu hören, als mehrere Leute auf den Trümmern herumliefen stürzte die Decke ein. Stürzte auf Wilhelm, Thorsten, Manu, Jeanette, Andrea und viele andere.
Ich hörte Schreie, doch als ich nach ihnen rief bekam ich keine Antwort mehr. Warum war Manu wegge¬rückt, warum saßen die anderen auf der gegenüberlie¬genden Seite des Bunkers? Jetzt gab es von uns nur noch Mar¬co, Matthias, Rudi, Meike und mich. Fünf. Wa¬ren wir nicht anfangs über dreißig und waren nicht im Laufe der Zeit auch welche dazu¬gekommen? Was pas¬siert jetzt? Die Leute da oben wissen, wenn sie uns se¬hen doch gleich, dass wir un¬tergetaucht sind. Immer mehr Steinbrocken wurden über uns wegge¬schoben. Ir¬gendwann sahen wir dann ein Gesicht. Ich kannte es nicht, aber es kannte uns. „Leon!“ rief ich als eine Lampe seine Züge erkennen ließ, Tränen ran¬nen aus meinen Augen. Er bedeutete uns ruhig zu sein und rief zu den ande¬ren, die mit ihm hier waren, dass wir alle tot seien. Er rief uns noch zu, dass er, wenn es dunkel war wieder kommen würde und ging dann mit den anderen fort.
In der Nacht kam er dann wieder. Er hatte auch den 2. Kommandanten dabei, und die Frau aus dem Zug. Ni¬klas´ Ex war dabei und auch seine Schwester. Sie hal¬fen uns hinaus. Setzten uns in einen Bus, es war dunkel und ich konnte nicht erkennen, von welchem Busunter¬nehmen. Doch Innen erkannte ich dann bei¬de Chefs des Busunternehmens, das früher alle aus Georgensgmünd und Umgebung in die Schule gefah¬ren hat. Sie halfen uns hinein. Fuhren uns durch die Nacht. Im Bus waren noch ein paar andere. Mein Herz hüpfte, sie waren hier, meine Cousine, meine Tante, mein Onkel, auch die drei Cousins, ohne Freundin. Waren sie etwa mittlerweile doch geflohen. Maria kam zu mir vor und brachte mich nach hinten. Meine Tante nahm mich in den Arm. Dann begrüßte ich die anderen der Reihe nach und erfuhr, dass mein Opa mit seiner Freundin geflohen war, sie aber auf einer kleinen Südseeinsel wohlauf waren.
Rudi kam zu mir und auch Leon kam hinter, als der Bus angefahren war. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihm wenden. In meinem Gehirn ratterte es. Er grinste und erzählte: „Rudi kam nicht mehr nah genug an mich heran, um sicherzugehen, dass ich tot bin, deshalb stell¬te ich mich dann tot, als Nazis ka¬men. Sie ließen mich einfach liegen. Ich hab dann von einem verletzten Sol¬daten eine Tasche gefunden, in der Verbandsmaterial war und konnte mich selber verarzten. Ich war dann in Werners Wohnung. Sie wurde nicht mehr beobachtet, deshalb konnte ich mich dann um Jasmin, weißt schon, seine Tochter kümmern. Und nein, du musst nicht fra¬gen, Jasmin lebt, sie schläft ganz hinten.“ Ich sah ihn kritisch an. „Und da lachst du noch drüber? Du hättest sterben können. Wir haben alle gedacht, du wärst tot!“ Rudi gab allen anderen ein Zeichen, dass sie uns alleine lassen sollten und Leon ging mit mir in den VIP-Be¬reich des Doppeldeckerbusses, in dem ich nur ein einziges Mal mitgefahren war, als unser Bus kaputt war.
Sie hatten den Bereich extra für Gespräche eingerich¬tet. Leon nahm gegenüber von mir Platz und sah mir in die Augen. „Hör mal, für mich war das alles auch nicht gera¬de leicht! Und für Jasmin auch nicht. Jas¬min hat mich des Öfteren mal aufgehalten, als ich raus gehen wollte um euch zu suchen. Sie hat mir ge¬holfen, dass ich jetzt wieder laufen konnte. Aber ich hatte ständig Angst, ge¬nauso wie ihr auch. Ich wusste nicht, ob ihr noch da wart, ich konnte nicht raus, weil sie mich garantiert ge¬funden hätten. Mir tut es auch für DICH Leid, dass San¬dra tot ist. Meinst du ich hab keinen Schmerz verspürt, als mir klar wurde, dass du und alle anderen denkt, dass ich tot bin. Und jetzt sind auch noch Manu und Luke und die anderen tot.“ Ich sagte nichts, ich sah ihm nur weiter in die Augen, doch als ich den Schmerz erkennen konn¬te senkte ich den Blick und nahm seine Hand.
„Ich ging weiter zu den Feuerwehreinsätzen, denn dann war es ihnen egal, ob wir für oder gegen die Na¬zis wa¬ren. Ich schaute regelmäßig an unserer Woh¬nung vor¬bei. Sie haben jetzt, wo niemand mehr darin wohnt, das Haus niedergebrannt. Als wir dann erfuh¬ren, dass die Fabrik eingestürzt war, von Bom¬ben ge¬troffen wurde, versuchten, die, die keine Nazis wa¬ren, genauso wie ich, sobald wie möglich zur Stel¬le zu sein. In der Zeit wurde der Bus fertig gemacht. Und dann konnten wir in der Nacht zu euch, euch herausholen und jetzt mit euch fliehen.“ Ich schämte mich, dass ich mich ihm gegen¬über so dumm benom¬men hatte. In seinen Augen glänz¬ten Tränen. Ich setz¬te mich neben ihn und legte meinen Arm um sei¬nen Rücken, auch ich konnte meine Tränen mittler¬weile nur noch schwer zurück halten. Ich schluchzte: „Ich hätte gedacht, Markus und du, ihr wärt beide tot, aber er ist wirklich tot, oder?“ Leon nickte. „Markus schon, ich nicht, dafür hatte ich ständig Angst, dass von euch irgendwer schon tot wäre, früher gestor¬ben, nicht erst heute.“ Er vergrub seinen Kopf in meinen Haaren und weinte. Auch ich weinte. Es ging nicht an¬ders. Aber wenigstens hatten wir so wieder alles geklärt.
Fortsetzung Januar 2014
Überall lag Schnee. Wir waren in einer verlassenen Ge¬gend. Weihnachten hatten wir nicht gefeiert. Sil¬vester war bei uns auch nichts los. Zu essen gab es wenig, nur ein paar Pilze, gejagte Tiere, und die rest¬lichen Konserven. Niemals waren irgendwelche Bomber über uns hinweggeflogen, niemals irgend¬welche Truppen vorbeigekommen. Alles war ru¬hig.Ich sitze mit Rudi, Leon und Marco hinten im un¬teren Bereich des Busses, besser gesagt, ich lag auf zwei Sitzen, meinen Kopf auf Rudi´s Schoß und schlief, während die anderen sich unterhielten. Ich schlief viel, aber ich nahm auch immer wieder mehr und mehr ab. Die anderen auch, doch ich nahm am meisten ab. Sie versuchten mir das meiste Essen zu geben, doch ich wollte es nicht, die anderen brauch¬ten auch etwas zu essen.
Irgendwann, Ende Januar entschieden wir uns, wie¬der weiter zu fahren, ins Ausland vielleicht. Irgend¬wohin, wo uns niemand kennt. Die Hoffnung, einen weiteren Ort zu finden, an dem der Krieg noch keine Schäden hinterlas¬sen hat, war gering. So kamen wir in die Niederlande. Es war ein kleines Dorf in der Nähe ei¬nes Konzentrati¬onslagers. Hier wagte sich niemand hin und die einzigen die hier noch lebten waren zwei deutsche Soldaten, die verletzt waren. Wir fanden Uniformen von toten Solda¬ten und zogen sie an, allen wurden die Haare abge¬schnitten, so dass wir, so dünn wir alle wa¬ren, alle wie Männer aussa¬hen. Sie leiteten uns weiter zur nächsten Stadt, sie wollten keinen Krieg mehr. Sie hatten tausen¬de Men¬schen sterben gesehen. Wir fragten sie, ob sie sich dessen wirklich sicher seien, sie bejahten. Wir erklär¬ten ihnen, dass wir keine Soldaten seien, nur Flücht¬linge.
Sie kamen mit uns. In unserem neuen Bus. Ein Mili¬tär-Bus mit unserem ausgetauscht. Ohne Ziel unter¬wegs. Tagelang unterwegs. Kein Bett. Wir schliefen auf den Sitzen im Bus. Mal wieder, allerdings diesmal nur ein einfach Bus. Keiner, der weiche Sitze hatte, doch wir kamen voran. Unentdeckt.
Fortsetzung Mai 2014
Welches Datum haben wir? Bin ich wirklich schon 19? Wir haben wirklich erst vier Jahre Krieg? Mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Immer nur Krieg, Blut, Tot, ver¬wundete Menschen, Leiden, Not, Hunger, zerstörte Ge¬bäude. Und wozu? Nur weil Hit¬ler die Welt beherrschen möchte? Dafür ist er doch sowieso zu schwach... Was sollte jemand wie Hitler schon ausrichten können, ohne einen Krieg zu begin¬nen?
Von denen, die wir anfangs waren, als wir uns mit dem neuen Bus auf den gemacht hatten waren nur noch 16 übrig. Die Frau vom Zug, in deren Armen ich zusammengebrochen war war tot. Einfach tot. Lag eines Morgens auf ihrem Sitz ohne zu atmen, ohne Puls, kalt. Der Jüngere der beiden Soldaten, die mit uns geflüchtet waren wurde krank. Bekam eine schwere Lungenentzündung an der niemand sich an¬gesteckt hatte, aber nur er starb. Als einziger. Genau¬so wie bei Annika. Ich will zu Sandra, möchte wieder mit ihr zusammen etwas unternehmen. Mit ihr La¬chen, mit ihr singen... Die Anderen überreden mich ständig mal zu singen, weil es mir helfen könnte, aber ich will nicht. Nicht vor all den anderen.
Alles viel zu kaputt. Ich schlafe den halben Tag, schlafe die ganze Nacht. Bin immer wie benebelt. Rudi sagt im¬mer ich sähe aus, wie ein Häufchen Elend, doch ihm ging es auch nicht besser. Er war fast so dünn wie ich. Oftmals liegen wir uns nur ge¬genseitig in den Armen und warteten darauf, was der Tag so bringen würde. Alle wa¬ren erschöpft. Alle ver¬suchten es zu verheimlichen. Wir sind in Amster¬dam angekommen. Doch auch dort war alles kaputt. Sind weitergefahren, nachdem wir uns auf dem Schwarz¬markt teure Lebensmittel und Zigaretten be¬sorgt hat¬ten. In Breda angekommen. Nicht so viel zerstört. Konnten auf einem Bauernhof für eine Nacht Unter¬schlupf und warmes Wasser bekommen. Nach dem Frühstück entschlossen sich die Besitzer mit uns mit¬zukommen.
Wir machten uns auf in Richtung Dänemark, denn wir wollten nicht zu nahe an die deutsche und franzö¬sische Grenze heran. So fuhren wir mehrere Tage durch, bis wir in Dänemarks Hauptstadt waren. Wir wunderten uns, wie konnte hier alles noch so sauber sein, überhaupt keine beschädigten Häuser, doch es war alles men¬schenleer. Waren sie in ihren Häusern oder wurde schon alles ausgeraubt?
Wir wollten uns umsehen, parkten auf einem Park¬platz etwas außerhalb von Kopenhagen und beschlos¬sen, dass wir uns erst einmal ausruhen wollten. Wir konnten den Schlaf alle brauchen, ich schlief kom¬plette einein¬halb Tage durch, und wir gingen erst los, als alle wieder wach waren. Es war die zweite Nacht nach dem Morgen an dem wir angekommen waren. Wollten uns nach drei Stunden am Parkplatz treffen. So ging ich mit Rudi und dem Soldaten los. Wir machten uns auf dem Weg zu den Häusern, ganz am Rand von Kopenhagen. Slums. Alles heruntergekom¬men. Klopften an Türen, hatten kei¬ne Klingel. Sie waren nicht verschlossen. Wir gingen hinein. Es war alles leer. Kein Mensch, kein Tier, keine Vorräte, kei¬ne Möbel. Wie ausgestorben, bei den nächs¬ten Häu¬sern ging es uns genauso. Wir liefen fast einein¬halb Stunden entlang bis wir ein Scharren hörten. Wir sa¬hen eine alte Frau die vor sich hin murmelte. Sie blickte uns nicht an, wir konnten sie nicht verste¬hen. Wir wussten nicht welche Sprache sie sprach. Rudi machte Anstalten, seinen Arm um meine Schul¬tern zu legen doch ich schüttelte sie ab und wisperte: „Nein, sonst denkt sie, wir sind schwul! Und das geht nicht bei Hitler!“ Er nickte und strich mir nur über den Rücken.
„Verzieht euch, eure Kameraden haben schon alles ge¬klaut, hier gibt’s nichts mehr! Geht zu den Rei¬chen, die haben vielleicht was, sind alle mit euch Na¬zischweinen mitgekommen, haben die großen Häuser genommen und die anderen hinausgeworfen.“ Sie kniete auf dem Boden und weinte, Schritt für Schritt bewegte ich mich in ihre Richtung und sank neben ihr auf den Boden. Ich nahm meine Mütze ab und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Du bist gar kein Mädchen“ murmelte sie ganz erstaunt. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, wir sind aus Deutschland geflohen, wir haben Flugblätter gegen Hitler verteilt und mussten uns verstecken... Wollen Sie mit uns mitkommen?“ fragte ich. Sie überlegte und war sich nicht sicher. Auf einmal schrie sie wieder los: „Mag¬dalena, ich hatte doch gesagt, du sollst innen bleiben!“ Ein kleines Mädchen lief in unsere Rich¬tung. „Da ist ein Mann“ schluchzte sie. Ich blickte zu Rudi und Jan. Die beiden nickten sich zu und rannten in die Richtung, aus der Magdalena gekommen war. Sie waren noch nicht einmal an der Straßenecke, da kam ein Mann auf sie zu und wollte sie mit einem Messer angreifen, doch als er erkannte, dass sie eine Nazi-Uniform trugen schreckte er zurück und lief davon.
„Hat er dich verletzt?“ fragte ich, die Kleine blickte mich erst mit großen Augen an, dann hielt sie mir ihre Hand hin. Sie war komplett voll Blut. Ich musste schlucken. Blickte die Frau an. Sie nickte mir zu. Rudi hob das Mädchen hoch und zu fünft gingen wir zurück zum Park¬platz. Leon, der gemerkt hatte, dass etwas nicht in Ord¬nung war, kam uns entgegen. Er hatte einen Verbands¬kasten mit dabei. Bevor sie noch mehr Blut verlieren konnte, verband er Magdalena das Handgelenk. „Die Pulsadern müssen aber von selbst wieder zuwachsen..“ sagte er leise zu mir. Ich nickte, hob die fünf-jährige hoch und ging mit der Frau zu einem Sitzplatz vorne im Bus. „Sie sind nicht verwandt...“ stellte ich fest, als ich die Gesich¬ter ver¬glich. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Magda¬lenas El¬tern wurden getötet, Mittelschicht. Ich habe sie zu mir genommen. Sie war schon verletzt, ihr Bein war gebrochen und ich hatte eine eigene Arzt¬praxis, die haben mir die Nazis zerstört. Das müssen sie sich mal vorstellen. Mit 62 Jahren eine eigene Arztpra¬xis, nach fünf Jahren von den Nazis zerstört und das Ab¬itur auch erst mit 45 begonnen...“ Sie lachte bitter. Ich nickte ihr noch zu und ging hinaus zu Rudi.
Er zog mich an sich heran und umarmte mich. Ich ver¬barg mein Gesicht an seiner Brust. Doch nach ei¬ner Weile drehte ich mich um, nahm einen Zug von Rudi´s Zigarette und blickte ihn und Leon ehrlich an: „Ich kann nicht mehr. Ich will den bescheuerten Krieg nicht mehr länger mitmachen. Ihr könnt mich hindern wenn ihr wollt, mir ist es egal, es ist einfach zu viel kaputt!“ Ich drehte mich weg. Wusste, dass sie nicht schnell genug loslau¬fen würden. Ich habe Vorsprung. Genug um die 30 Me¬ter zu den Bahnglei¬sen in kürzester Zeit zurückzulegen. Lief los, verwen¬dete meine letzte Kraft. Doch sie hatten noch mehr Kraft als ich. Mehr Überlebenswillen. Holten mich ein. Einen halben Meter vorm Gleis. Hielten mich fest, zogen mich zurück. „Woher wusstest du, dass der Zug gerade jetzt vorbeikommen würde?“ fragte Rudi mich, als der Güterzgug vorbei war. Ich zuckte mit den Schultern. Weinte. Warum schaffte ich es nie, allem ein Ende zu bereiten? Einmal hupt der Lokfüh¬rer, ein ande¬res Mal nahm zu wenig Tabletten, ein weiteres Mal brin¬ge ich das Messer nicht tief genug in meine Haut und weiter und weiter. Was ist mit mir los? Ich sank zu Bo¬den, wollte nicht weggehen. Woll¬te nicht zurück in den Bus. Wollte hier bleiben, wo ich womöglich an der Kälte sterben würde. Wusste dass Marco sauer auf mich wäre. Mir egal. Wusste auch dass alle anderen genauso verzweifelt sind wie ich. Ist mir auch egal. Will nur noch alles los haben. Rudi hebt mich hoch und trägt mich zu¬rück zum Bus. Ich wollte mich wehren, doch mir fehlte die Kraft. Mittlerweile kamen auch die anderen wieder zurück. Wollte sie nicht sehen.
Sollte mich hinlegen, allerdings kam, als ich wieder wach war Marco zu mir, wollte mit mir reden, doch ich wollte ihm nichts erzählen. War doch klar, was mit mir los ist. Die anderen lassen mich in Ruhe. An¬dreas, der auch ein Busfahrer ist und mich schon von früher kannte wurde aufgelesen. Erzählte Marco dass er schon einmal mitbekommen hatte, wie ich mich mit einer Freundin über Selbstmord und Ritzen unter¬halten hatte. Er meinte es nur gut. Er wollte damals nichts sagen. Hatte nur bemerkt, dass es uns beiden nicht gut ging. Dass wir schon damals verzweifelt waren. Ein paar Monate später war sie tot. Sie hatte es geschafft. Doch mir war mittlerweile alles egal. Wollte mit niemanden mehr etwas zu tun haben. Wir fuhren weiter.
Sind als blinde Passagiere an ein Schiff. Konnten et¬was essen. Konnten zunehmen. Niemand hat be¬merkt, dass die Nahrungsmittel fehlten. Niemand hat bemerkt, dass sich 21 Personen auf dem Schiff ver¬steckten. Wir wuss¬ten nicht wohin uns der Kreuzer bringen würde, doch ir¬gendwann kamen wir in Irland an, doch als wir erfuhren, dass es noch weiter gehen würde, blieben wir und fuh¬ren noch einige Monate mit.
Irgendwann gelangen wir nach Australien, was weit¬gehend vom Krieg verschont war. Wir mischten uns unter das Gedränge, das entstand, als die eigentlichen Passa¬giere aussteigen wollten und wurden nicht erwi¬scht. Wir schafften es mit öffentlichen Bussen, die extra für Flüchtlinge waren, in ein Lager etwas außer¬halb von Sydney zu kommen. Es gab nur wenige, wir hatten einen Pavillon für uns zusammen. Ich schöpfte Hoff¬nung. Würden wir diesen Krieg etwa doch überleben? Nach wenigen Monaten ging es uns wieder gut. Wir hatten Lebensmittel, hatten Kleidung, hatten alles was wir brauchten. Wir konnten zwar anfangs nicht arbeiten, aber im März waren endlich unsere Papiere fertig. Ich nahm einen Job als Bedienung in einem Pub an, bekam reichlich Trinkgeld, wurde aber sowieso gut bezahlt. Auch alle anderen hatten keine Probleme. Jasmin und Magdalena kamen in der Schule gut mit den anderen klar und hatten bald viele Freunde. Bloß leider konnten wir nirgends Radio hören. Internet-Cafés waren zu teuer und im Lager gab es auch kein öffentliches Internet. So verpassten wir das wichtigste. Hatten wir wirklich gemeint, Hitler würde es nie schaffen, an einen anderen Kontinent als Europa und Asien zu kommen? In der Online-Zeitung, die Rudi schon lange auf seinem iPhone hatte, stand das Hiroshima und Nagasaki von Atombomben getroffen wurden. Beide von Amerika. Deutschland hatte auch eine Abgeworfen. Eine? Nein! Zwei! Frankreich und England. Er hätte gedacht, die Länder wären ausgeschaltet gewesen, doch er hatte nicht geahnt, dass aus dem getroffenen Bereich in beiden Ländern schon alle geflohen waren. Auf den kompletten verstrahlten Bereichen wohnte keine Menschenseele mehr. Er hatte Geld für nichts ausgegeben. Nun war er mit Schiffen unterwegs. Hatte sie in Albanien zu Wasser gelassen. Kriegsschiffe. Auf dem Weg zu allen Ländern die er noch nicht hatte. Alle Nazis, außer denen, die in den Konzentrationslagern stationiert waren, wurden in die Welt geschickt. Insgesamt war er mit 50 Flugzeugen und 75 Schiffen unterwegs. Er hatte weiter Atombomben gekauft. Hatte auf 5 Flugzeugen welche dabei. Konnte jetzt tatsächlich die Weltherrschaft bekommen. Doch zuvor musste er die Welt zerstören. Er selbst war mit einem Schiff nach Australien unterwegs. In unsere Richtung. Sydney. Flüchtlingshafen. Viel zu viele Menschen waren schon im Krieg gefallen, ohne auch nur Soldaten sein zu müssen. Von diesen muss man gar nicht reden. Woher bekam er alle? Wollten sich die jungen deutschen Männer etwa alle freiwillig opfern?
Ich nicht. Viel zu lange waren wir nicht auf die Idee gekommen, die App zu nutzen. und jetzt war er hier. Doch er bekam noch kei¬nen Einlass in den Hafen, weil alles voll besetzt war. Hat gedroht, auf die ande¬ren Schiffe zu schie¬ßen, doch hat es bis jetzt noch nicht getan. Ich saß mit Marco, Matthi¬as, Andreas und den beiden Chefs vom Unternehmen vor dem Zelt. Noch niemand konnte sich eine eigene Woh¬nung leisten. Meike wurde allerdings in eine andere Familie mit aufge¬nommen, Marco durfte sie natürlich so oft er wollte besuchen, und sie ihn genauso. Die Frau, deren Namen wir nie herausgefunden hatten, wurde in ein betreutes Wohnen aufgenommen. Mag¬dalena war bei ihr und bei Jan wurde Krebs festge¬stellt. Leberkrebs. Mit 31 Jahren. So waren wir mal wieder weniger. 17 an der Zahl. Doch jetzt mussten wir uns auf den großen Kampf vorbereiten. Auch an¬dere Schiffe waren angekommen. Von Russland, von England, von Frankreich, von den USA, einfach von allen Alliier¬ten. Die australische Regierung wollte sie noch im¬mer noch nicht in den Hafen einlassen. So bekämpf¬ten sie sich und einige Schiffe versanken vor den Küsten Australiens. Doch noch immer waren es ins¬gesamt 220 Schiffe. Die Flugzeuge hatte Hitler zu¬rück nach Deutschland geschickt. Mussten postieren. Die Alliierten drangen nach Deutschland ein, es wa¬ren nur noch Schiffe auf der Welt unterwegs. Alle anderen hatten Deutschland besetzt.
Fortsetzung März 2016
Ja, sie konnten die Schiffe lange festhalten, doch es wurden keine mehr verschwendet. Doch die 220 die es gab wurden mit 44 deutschen und jeweils 44 von den anderen aufgeteilt. Alle waren mit 23 Soldaten besetzt. Hitler hatte ein eigenes Schiff. U-Boot. Nie¬mand konnte ihn bis jetzt auffinden. Fast ein Jahr hielten sie auf offe¬ner See durch, bekamen zwar Nah¬rungsmittel von Aus¬tralien doch kein Einfuhr¬recht.
Fortsetzung April 2016
Aber nach fast einem Jahr ging es nicht mehr. Von den 20 Mio. die im Flücht¬lingslager waren konnten 15 Mio. auf andere Schiffe ver¬teilt werden, die bald wieder in See stachen und den Teil in die Heimatlän¬der brachten. Bis die Alliierten und die deutschen Schiffe genug Platz hatten und an Land gin¬gen war es April. Ende April. Am 27. April kamen sie bis zu uns. Es waren noch keine Russen und keine Deutschen mit dabei. Sie brauchten bis zum 28. April. Sie nahmen viele mit. Mich nicht. Alle außer Marco, Matthias, Andreas, Mir und Sabine, einer weiteren aus Röttenbach, die mit ihrer Familie hier war, konnten auf die Schiffe flie¬hen.
Ich schrie. Ich weinte. Ich wollte mit Rudi mit. Er versuchte mich mit sich zuziehen. Ich flehte das Per¬sonal an, doch es ging nicht. Er versuchte mich an ei¬ner anderen Stelle über die Reling mit sich mitzuzie¬hen, doch es ging nicht. Auch nicht, als die anderen halfen. Ich musste hier bleiben. Er durfte mich nur noch drücken. Durfte mich noch ein letztes Mal küs¬sen. „Du überlebst das!“ sagte er. Verzwei¬felt. Glaub¬te es selbst nicht. War ja dabei, als ich mich umbrin¬gen wollte. Ich wollte ihn nicht loslas¬sen. Wollte ihn nicht verlassen. Wusste ich würde sterben. Wie auch nicht. Kriegsgefangenschaft. Was war wohl schlim¬mer, KZ oder Kriegsgefangenschaft, kam garantiert auf das gleiche heraus. Ich wollte ihn nicht loslassen, als Marco und Matthias versuchten mich wegzuzie¬hen. Wollte ihn nicht verlieren. Wollte bei ihm blei¬ben. Ihn berühren. Durfte nicht. Konnte ihn nur ein letztes Mal umarmen, als das Schiff los¬fuhr.
Am 28. April als England, Amerika und Frankreich versucht hatte so viele Flücht¬linge wie möglich rette¬ten, wurde ver¬kündet das Hitler geheiratet hatte. In seinem U-Boot vor der australischen Küste. Am Tag darauf, dem 29.April 2016 erklärt Hitler, dass er ka¬pitulieren würde und er schoss erst seine Frau, dann sich selbst.
Kurz darauf, als die Schiffe mit den 15 Mio. Flücht¬lingen weg waren, fielen Deutschland und Russland in Sydney ein und kämpften sich bis zum Flücht¬lingslager Richtung Westen. Alle von uns, die nicht schon tot waren, aber woanders untergekommen wa¬ren, bekamen nichts mit. Sie waren in Kellern in Si¬cherheit. Als Marco, Matthias, Andreas und ich ver¬schleppt wurden, rissen sie uns erst auseinander. Ich hatte keine Ahnung wo die anderen waren. Aber der Albtraum den ich mit meinem Vater erleben musste ging wieder los.
Ich versuchte mich zu wehren, doch sie schlugen mir ins Gesicht. Vergewaltigten. Ließen nicht von mir ab. Taten mir weh. Ließen auch nicht von mir ab, als ich regungslos am Boden lag und mich nicht mehr rüh¬ren konnte.
Als die Soldaten mich endlich in Ruhe ließen war mein Gesicht überströmt mit Blut. Sie waren radikal. Dann, bewusstlos, schleppten sie mich auf ein Schiff. Ich wusste nicht welches es war. Wusste nicht, ob ich die anderen jemals wieder sehen würde, doch im De¬zember 2016 kamen wir in Russland an. Ich wusste nicht wie dasGefangenenlager hieß, aber ich war nicht alleine.
Wir waren wieder zusammengedrängt. Fast so schlimm wie auf dem Weg nach Ansbach. Doch ich traf wieder auf Marco, Matthias, Andreas, Sybille, Hermann und Sabine. Wir waren im selben Lager. Wir saßen beisammen und bekamen selten etwas zu essen, nur des Öfteren etwas zu trinken und warteten. Warteten, darauf, dass die Zeit verging, darauf, dass sie Mitleid mit uns haben könnten, dass wir nach Hause durften. Jahre vergingen. Mit jedem Jahr wur¬de es schlimmer. Ich schlief nur noch zusammen mit Marco, Matthias und den anderen in einer Ecke.
2017
2018
2019
2020
Marco, Hermann und Sybille wurden heim geschickt. Zusammen mit einem Viertel der anderen. Wurden krank. Man konnte hier auch nur krank werden. Es stank nach Urin, nach Schweiß. Nach Fäulnis. Nach Krankheiten. Keine frische Luft, nur dann, wenn sie uns holten um zu sehen, wie es uns ging. Wie stark wir noch waren. Nur arbeiten. In Bergwerken. Oder einfach sitzen und warten.
2021
2022
2023
2024
2025
2026
Auch Matthias und Andreas durften gehen. Die Hälf¬te der anderen, mit denen ich hier war, war schon weg. Ein weiteres Viertel konnte fliehen. Einige star¬ben. Sybille und ich mussten bleiben. Ich konnte nicht mehr laufen. Konnte nur noch daliegen und warten. Außer Sybille kannte ich niemanden mehr. Fast alle waren Weg.
2027
2028
2029
2030
2031
Es wurde ausgewählt, wer noch die Kraft hat zu blei¬ben und wer nicht. Ich war nicht die einzige, der es schlecht ging. Doch Sybille hatte eine Lungenentzün¬dung. Sie durfte nach Hause. Ich nicht. Und au¬ßer mir blieben noch andere. Ich war die einzige aus Deutschland. War mir aber sicher, dass die anderen zurückgeschickt werden würden. Ich nicht mehr. Da¬vor würden sie hier alles schließen und mich einfach liegen lassen. Ich wusste nicht warum. Würde ich den Anschein erregen, tot zu sein? Ich würde es sehen. Doch auch sie wurden im Dezember 2031 noch nach Hause geschickt. „Ich war zu schwach für die Reise mit dem Zug“ hieß es in den Zeitungsartikeln, hieß es von den Soldaten, die die Gefangen beaufsichtigt hatten. Einer von ihnen war immer gekommen, und hatte mir heimlich etwas zu essen gebracht. War wieder etwas zu Kräften gekommen. Er war verheiratet, doch seine Frau mochte mich. Sie hatte mich oft getroffen. Ihre Kinder hatten mit mir gespielt. Der Regierung war es mittlerweile egal, was wir trieben. Aber wenn ich heim wollte, dann sollte ich selbst abgeholt werden. Ich bekam Besuch. Der Papst höchst persönlich. Wusste nicht, was ich davon halten sollte. Die Letzte Beichte vor dem Tod? Gleichzeitig noch die Kran¬kensalbung? Nein. Er wollte mit mir Reden. Mir Mut machen. Es war jemand auf dem Weg zu Mir, doch sie brauchten noch Zeit, mussten mit den Autos nach Novokuzneck fahren. Hatte den Namen erfahren. Sein Flugzeug war zu klein. Er konnte mich nicht mitnehmen. Doch er schenkte mir etwas. Ein Metallkreuz. Es sollte meine Hände wärmen, wenn es länger in ihnen lag, sollte mir Kraft geben. Und eine Tafelschokolade, nur eine kleine. Doch ich sollte sie essen, so lange er noch bei mir war. Er segnete mich. Und ging. Musste gehen. In den Vatikan. Der Neujahrssegen am Petersdom wartete.
1. Januar 2032
„Ein Erdbeben erschütterte die verlassene Gegend um Novokuzneck. Die Lagerhalle in der die letzte Gefangene festgehalten wurde ist zusammengebro¬chen. Es ist unklar ob sie überlebt hat oder nicht.
Es vergingen Monate
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
Immer wieder hörte ich Menschen, die sich etwas zu riefen, doch niemand fand mich. Ich hatte Luft. War ein Stück neben der Lagerhalle gekniet. Wurde von kleineren Steinbrocken erwischt. Doch ich konnte sie mit meinem Ellenbogen abhalten, mir die letzte Luft zu nehmen. Doch auch die Luft, die ich hier unter den Steinen hatten wird knapp. Vladimir, der Soldat, und seine Frau waren weggezogen, sie konnten nicht mehr nach mir suchen. Hatte ein einziges Mal mein Handy an. Mein Samsung Galaxy S hatte nicht ein¬mal mehr einen Strich Akku, aber es hatte gereicht, um die SMS zu lesen.
August
September
Oktober
Ich hörte Stimmen. „Moni!“ Frauenstimmen, Män¬nerstimmen. Ich versuchte mich zu bewegen. Hatte Stimmen nah bei mir gehört, doch es funktionierte nicht. Nahm all meine Kraft zusammen. Wieder nichts, doch der letzte Stoß gelang mir. Ich schaffte es meinen linken Arm frei zu bekommen. Konnte in den letzten Monaten Stück für Stück eine Zweite Ta¬fel Schokolade essen. Sie lag neben der Lagerhalle. Es war die gleiche Sorte, die der Papst dabei hatte, nur in groß.
Schöpfte weiter Kraft. Hörte Meike´s Stimme nur ein paar Meter von mir entfernt. Bewegte einen weiteren großen Stein, der auf meinem Bein lag. Sie sah die Bewegung. „Sie ist hier!“ rief sie und weinte. Ich weinte auch. Ich war gerettet. Konnte endlich nach Hause. Sie sprach zu mir, doch ich war zu müde, zu erleichtert, ich konnte nicht mehr zuhören. Ja, ich hatte es geschafft, ich habe all diese Monate über er¬tragen. Ich habe überlebt. Genauso wie Marco und Matthias es vorhergesagt hatten. Ich lebte! Genau, wie Rudi es gesagt hatte, als wir am Schiff getrennt wurden. Und Meike war zurück aus Australien, zu¬mindest war sie hier. Nach kurzer Zeit kamen Män¬ner und nahmen die Steine, die noch auf und neben mir lagen weg. Ich erkannte sie nicht sofort. Hatte keine Kontaktlinsen. Sie legten mich auf eine Trage, doch als ich Rudi erblickte, wollte ich nicht getragen werden. Wollte selber auf ihn zulaufen. Wollte sagen, hier, ich lebe noch, ich atme, ich gehe, ich habe es geschafft. Sie ließen mich nicht alleine laufen. Sie trugen mich halb, doch ich durfte zu ihm. Er schloss mich in die Arme. Wie lange hatte ich darauf gewartet? Ich lebte. Ich weinte. Er weinte mit mir. Maria und die ganze andere Verwandtschaft lebte auch noch. Sogar Opa und seine Freundin, obwohl sie schon alt waren. Hatte sich vorgenommen, sie wollten mich noch einmal sehen, bevor sie starben.
Ich war wieder bei Rudi, Marco und Matthias waren hier. Andreas war hier. Leon war hier. Jasmin war mit Werner´s Ex hier. Die Sanitäter wollten mich in einen Hubschrauber bringen, mit dem ich zurückfliegen sollte. Doch ich wollte Rudi nicht loslassen. Ich konnte nicht sprechen. Hörte nur Stimmen. Durchein¬ander. Matthias und Marco umarmten mich. Alle, die hier waren, umarmten mich. Ich hatte überlebt. Doch dann ließen sie mich los. Ich hatte einen Hustenan¬fall, ich kniete auf dem Boden. Lag auf dem Boden. Spuckte Blut. Lungenentzündung. Unterer¬nährt. Aber ich lebte. Sie sagten, dass meine Beine gebrochen waren, doch jetzt wieder falsch zusammengewach¬sen. Würden sie aber reparieren können. Musste nur die OP überleben. Die Lungenentzün¬dung. Wusste, sie würden mich wieder ins Koma le¬gen, doch jetzt wollte ich nur noch schlafen. Als ich mich beruhigt hatte weinte ich nur noch leise und nahm Rudi´s Hand. Er sollte mit fliegen. Ich wollte nicht alleine. Er durfte. Wir flogen zu Viert.
Schlief ein. Mir wurde kalt. Ich merkte erst jetzt, dass um mich herum Schnee lag. Sie versuchten mich auf¬zuwecken. Ich verstand nicht warum, ver¬suchte mich aber wachzuhalten. Hatte trotzdem mei¬nen Kopf auf Rudi´s Schoß. Er hat mich kein einzi¬ges Mal betro¬gen, sagte Marco mir als er gerade mit mir allein war. Sie schoben mich in den Hubschrau¬ber. Gaben mir aufgewärmte Decken, dann flogen wir zurück. Nach Hause. Nach Nürnberg. Nein, so¬gar nach Roth.
März 2033
Ich bin wieder wach. Ließen mich seit ein paar Tagen trainieren. Sollte wieder laufen können. Wollte es auch. Es ging voran. Wollten mich in ein paar Tagen entlassen. Rudi will mich heiraten. Sobald wie mög¬lich. Will mir aber nicht verraten an welchem Tag. Doch er hatte schon ein Kleid. Sie haben mich auf ein Gewicht von 45 Kilogramm. Jetzt musste ich es nur noch halten. Nein, eigentlich zunehmen, doch am wichtigsten war es jetzt, dass ich nicht mehr abneh¬men würde. Opa und seine Freundin sind tot. Waren an dem Tag zu Besuch, als ich aufgewacht bin. Sind dann friedlich zusammen in ihren Betten eingeschla¬fen.
Am 30. März wurde ich entlassen. Rudi hat gesagt, er hat eine Überraschung für mich. Verband mir die Au¬gen, als wir ins Auto stiegen. Saßen beide hinten. Matthias fuhr uns, weil Rudi immer mit dem Bus ge¬kommen war. Als wir anhielten halfen mir die Beiden heraus und eine kleine Treppe hinunter. Rudi öffnete eine Türe und dann noch eine. „Ich lass euch jetzt in Ruhe!“ sagte Matthias mit einer zufriedenen Stimme. Ich wusste, dass er sein Lachen unter¬drücken wollte. Wusste, was Rudi plante. Ich verzog mein Gesicht als er noch die Augenbinde entfernte. Ich erkannte zuerst nur ein fremdes Haus, dann bemerkte ich das Marco und alle die in Australien dabei waren im Wohnzim¬mer standen. Nicht nur sie, nein, auch alle, die sich nicht erwischen ließen. Alle die so taten, als hätten sie nichts gegen Hitler und dadurch überlebten. Sie alle waren hier, alle die es noch gab. Und ich! Ich verstand nicht wieso, doch ich war mir sicher, dass Rudi mir alles erklären würde.
Bekam vor Staunen meinen Mund nicht mehr zu. Merkte erst, dass er die ganze Zeit offen stand, als Rudi vor mich trat um mich zu Küssen. Als er Matt¬hias vorbei ließ. Dann gingen auch wir hinein.
„Rudi, sag es ihr doch endlich!“ rief Jasmin. Er grins¬te und wandte sich mir zu. „Wir werden morgen hei¬raten!“ Ähm, bitte was war das? Er wollte es mir doch rechtzeitig sagen. „Morgen?“ piepste ich, er nickte. Die anderen lachten.
Sie hatten es geschafft, mich zurück zu holen. Sie ha¬ben mich am Leben gehalten. Sie haben es geschafft, mich ins Leben einzubinden. Sie hatten es geschafft, mir nach vielen Jahren des Leidens meinen Überle¬benswillen zurück zu gewinnen. Sie haben mir beige¬standen, als ich meine Familie verloren hatte. Sie wurden mir zu einer neuen Familie!
Ich danke allen, die für mich Probe gelesen haben, und hoffe, dass diese Geschichte gefallen finden wird. Ich kann nicht sagen, wie ich auf die Idee ge¬kommen bin, aber ich glaube es hat sich gelohnt!

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Tag der Veröffentlichung: 08.05.2012

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