[2523.30] – 10 – Inquisitor-Captain Eredor
Das Eintreffen des Inquisitors wurde mit tierisch viel Tamtam eingeläutet.
Das Schiff des Inquisitors war einige Stunden zuvor angedockt. Zeit genug um die halbe Station in Gala-Uniform in Reihe und Glied im größten Raum der Station antreten zu lassen. Es war das Center-Plaza, welches man für dieses Ereignis vorbereitet hatte. Ich war zum ersten Mal hier.
Riesige Säulen stützten eine Kuppeldecke. Man hatte die Kuppel auf Lichtdurchlässig gestellt und man konnte durch das Glas die Sterne sehen. Mannsdicke Streben hielten das Glas in Position. In regelmäßigen Abständen hingen Leuchtkörper von der Decke. Zwischen den Leuchtkörpern schossen kleine Kameraroboter hindurch und filmten die Szene. Die schwarze Galauniform der Erde unterschied sich nicht wesentlich von der des Mars. Sie wirkte teilweise etwas kantiger, da die Nähte blau waren. Die Anwesenden trugen zudem einen Mischmasch aus alten und neuen Rangabzeichen. Auf manchen Namensschildern war das Rangkürzel mit schwarzen Stiften überschrieben worden, andere hatten bereits neue erhalten. Mir fiel auf, dass keine Paradewaffen getragen wurden. Eigentlich war ich mit meinen Leuten der Einzige, der offen eine Waffe trug.
Das Eintreffen des Inquisitors wurde von fünfzig aufgerüsteten Soldaten eingeläutet. Alle hatten irgendwelche offen sichtbaren kybernetischen Implantate, manche Sichtverstärker, manche hatten künstliche Arme oder Beine. Alle hatten sie kahl geschorene Köpfe und waren mindestens zwei Meter groß. Die Ehrengarde des Inquisitors bildete ein Spalier und der Inquisitor ging mit langen Schritten auf das Podium an der Stirnwand des Saals zu.
Wie Racheengel schoben sich die beiden anderen Raumschiffe des Inquisitors vor das Kuppeldach. Sie zeigten mit dem Bug auf die Mitte des Platzes. Ein Rednerpult samt Bühne war auf der, dem Weltall zugewandten Seite des Platzes drapiert worden. Mir fiel das Fehlen von Zierrat auf, welchen ich normalerweise erwartet hätte. Nur blankes Metall war zu sehen. Eine Handvoll Soldaten war als Ehrenwache auf der Bühne platziert worden. Eingerahmt wurde das Ganze von einem riesigen Vorhang, auf dem das Wappen der Erdregierung zu sehen war. Vier einfache Klappstühle standen auf der Bühne. Vor jedem Stuhl stand ein hochrangiger Offizier der Station.
An den Rändern und auf den Tribünen saßen Zivilisten und Militärangehörige außer Dienst. Ich platzierte mich in der Nähe des Podiums. Offiziell war ich als Botschafter des Mars deklariert und hatte McGrown, Gina sowie Varl an meiner Seite.
Im direkten Gefolge des Inquisitors hielt mein Bruder Schritt. Er hatte sich stark verändert. Die Hälfte seines Schädels wurde von einem künstlichen Implantat dominiert und eines seiner Augen war wahrscheinlich von einer Linsenkonstruktion ersetzt worden.
Anstelle seines kurzen braunen Haares, das er noch vor wenigen Jahren zu tragen pflegte, hatte er eine vernarbte Glatze. Der linke Arm sowie die Beine schienen künstlich zu sein. Wahrscheinlich hatte er auch einen Teil seines restlichen Körpers überarbeiten lassen. Neben den ganzen Riesen im Gefolge Eredors war er doch eher schmächtig. Eredor schien genau so groß zu sein, wie mein Bruder.
Ich wusste, dass Johan nie einen Kampfeinsatz hatte oder Unfälle oder Ähnliches. Er hat sich seine Implantate selbst ausgewählt und einsetzen lassen.
„Inquisitor-Captain Eredor. Willkommen an Bord!“ begrüßte ihn Admiral Frankfurt.
„Vielen Dank für diesen bescheidenen Empfang an Bord.“ antwortete der Inquisitor.
Der Admiral hatte irgendwo ein Mikrofon untergebracht und die Stimme kam aus versteckten Lautsprechern. Die Stimme des Inquisitors dröhnte so über den Platz. Wahrscheinlich Stimmverstärker vermutete ich.
Der Inquisitor brachte sich in der Mitte des Podiums in Position. Mein Bruder riss die Sprechkanzel mit einer Armbewegung ab und brachte sich danach auf dem Boden neben dem Inquisitor in Position. Die Trümmer des Sprechpults verteilten sich unterhalb des Podiums. Keiner machte Anstalten die Bruchstücke aufzuheben oder gar einzuschreiten. Eredor erhielt von Johan ein Datentablett.
„Besatzung des Victoria Außenpostens!“ Er las die ersten Zeilen auf dem Lesegerät. „Hiermit verkünde ich die Anweisungen der Order 2523:2346 unterzeichnet vom Generalstab der vereinigten Streitkräfte!“
Eredor legte ein böses Grinsen auf, als er die erste Zeile verlas: „Mit sofortiger Wirkung werden alle auf der Victoria ansässigen zivilen Einrichtungen geschlossen.“
Sämtliches Tuscheln im Raum war verstummt. Mir krampfte sich etwas in der Magengegend zusammen. „Alle Zivilisten haben die Station innerhalb der nächsten drei Tage zu verlassen oder dem Militär beizutreten.“
Man sah im Publikum die Verunsicherung. Es waren Frauen, Kinder sowie auch ältere Männer dabei, die alle etwas ungläubig den Inquisitor ansahen. „Angehörige des kämpfenden Personals erhalten ein Bleiberecht für ein Jahr, danach müssen sie die Station verlassen.“
Allgemein herrsche Unglauben, was die Anweisungen des Inquisitors anging. Die Frage war, ob nicht bald jemand durchdrehte. „Alle Gastschiffe haben die Station innerhalb der nächsten 24 Stunden zu verlassen.“
Damit dürfte jedes Gespräch mit Eredor ziemlich egal sein. Ob ich noch mal mit meinem Bruder sprechen konnte? Die Frage war an der Stelle wohl sehr berechtigt. Auf alle Fälle wollte ich dafür sorgen, so schnell wie möglich von der Station weg zu kommen.
„Die Verwaltung und internen Angelegenheiten werden ab sofort ausschließlich von Captain Marcus McLayred geführt.“ Nun, das überraschte keinen, er hatte das Kommando über den Stützpunkt ja bereits geerbt. Irgendwie machte mich die Wortwahl stutzig, was der Inquisitor auch gleich bestätigte.
„Der Raumhafen sowie alle stationierten militärischen Schiffe stehen ab sofort unter meinem Kommando.“ Eigentlich der Job eines Admirals oder Generals (wenn man den Mars in Betracht zog).
„Die bisherigen zivilen Einrichtungen werden von meinem Stab übernommen und in ein militärisches Ausbildungslager umgewandelt. Dies schließt alle zivilen Einrichtungen ein.“
Der Vorhang hinter der Ehrenwache auf der Bühne bewegte sich kurz. Am Rand der Konstruktion schlich eine Gestalt herum. Schlichte Kleidung, es blitzte silbern. McGrown flüsterte: „Sasmak!“
„Jeder Konsum von Alkohol, Drogen oder erotischen Medien ist untersagt.“
Spätestens jetzt hätte meine Mannschaft gemeutert. Einer der Stationssicherheitskräfte auf der Bühne sackte zusammen. Ich gab mittels Handzeichen kurz Anweisungen. McGrown und die anderen sollten sich raus halten. Keiner reagierte, sie hatten mein Signal verstanden.
„Zivilisten, die den Militärdienst verweigern, werden zur Arbeit in der Station herangezogen.“ Der Inquisitor machte eine Pause, in der Menge herrschte sichtlich Nervosität. Ein anderer Sicherheitsmann sackte zusammen und blieb auf dem Podium liegen. Sein Nachbar blickte auf die Leiche. Die Hand zuckte in Richtung einer nicht vorhandenen Feuerwaffe am Gürtel. Er wirkte sehr nervös. Einer der Soldaten Eredors schaltete einen Ziellaser ein und richtete die Waffe auf den Soldaten, der daraufhin krampfhaft versuchte, wieder exakte Haltung einzuhalten. Der Laser verschwand sofort.
Ohne sich umzudrehen, dröhnte der Inquisitor: „McLayred: Ihre erste Aufgabe wird sein, Ihren Leuten etwas Standvermögen einzutrichtern!“
Er fuhr fort: „Admiral Frankfurt! Sie werden sofort an Bord der Heiliges Licht gehen und Admiral Alexander Bergenhoff unter Arrest stellen. Sie übernehmen das Kommando über die zweite Flotte.“ Jetzt ging noch ein Raunen durch die Menge. Bergenhoff war ein beliebter Kommandant bei den Erdstreitkräften.
„Captain Marcus McLayred!“
Der angesprochene Stand auf und salutierte. „Ihr Täuschungsmanöver ist aufgeflogen. Wir haben den Container mit den Überlebenskapseln geortet.“
„Container mit Überl...“ begann der Captain. „Genau der. Tun Sie nicht so, als wenn Sie davon nichts wüssten. Wir haben die Masse überprüft und für einen Container voller Leichen ist dieser viel zu schwer.“
„Er ist auf dem Weg Richtung Sonne und ...“ wieder schnitt ihm Eredor das Wort ab. „Wenn ich Sie nicht endgültig entheben soll, müssen Sie jetzt eine Entscheidung treffen.“
Marcus wurde kalkweiß. „Schießen Sie ihn ab.“ sagte er dann resignierend.
„Genau das wollte ich hören!“ sagte der Inquisitor.
Kurz darauf schossen beide Kreuzer vor dem Panoramafenster auf einen Punkt außerhalb des Sichtbereichs. Johan meldete: „Ziel zerstört, Inquisitor!“
„Captain, ich kann Loyalität zu Angehörigen der eigenen Armee verstehen. Versagen und absichtliche Täuschungen dürfen nicht geschützt oder verbreitet werden. Betrachten Sie das als Tadel und sorgen Sie dafür, dass ich Ihren Job nicht auch noch übernehmen muss.“
„Jawohl Herr Inquisitor!“ meldete Marcus und sackte mit einem Messer im Rücken zusammen. Zwei Offiziere auf dem Stuhl sprangen sofort auf und kamen ihm zur Hilfe. Benjamin Frankfurt sprang von der Bühne und machte ein Handzeichen: „Ruhig verhalten und raushalten.“ Er hatte sich bewusst in unsere Richtung gewendet. Ich sah kurz eine Pistole in seiner Hand.
„Was bitte geht ...“ der Inquisitor drehte sich um.
Sasmak sprang über meinen zusammengebrochenen Freund und die Helfer hinweg und hatte zwei weitere Messer in den Händen. Ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren, schlug er mit der linken Hand zu. Den ersten Schlag fing der Inquisitor mit seinem linken Unterarm ab. Die Klinge durchschnitt glatt die Panzerarmschienen, die Haut, das Fleisch und die Knochen des Inquisitors. Ungläubig starrten alle auf den abgetrennten Stumpf. Mehr Zeit brauchte der Angreifer nicht. Sesak holte aus und schnitt mit beiden Messern in einer scherenartigen Bewegung dem Inquisitor den Kopf ab. Johan hatte bereits eine Waffe gehoben und ich hörte das geräuschvolle Anlaufen einer Autokanone. Die Kanone fing an, Kugeln auszuspucken und zerfetzte gleich zwei Soldaten auf der Bühne. Sofort breitete sich Panik aus. Der Pirat sprintete derweil über die Bühne in Richtung der fliehenden Menge. Zivilisten begannen, von den Tribühnen in Richtung Ausgang zu rennen. Die Mondsoldaten drehten sich um und richteten ihre Waffen auf sie, hielten inne und wendeten sich dann wie ein Mann um. Johan hatte wohl das Kommando.
Mein Bruder löste den Finger vom Abzug, kurz danach griff er sich schmerzerfüllt an die Schläfe. Er schien sich wieder zu fangen und lies die Kanone erneut anlaufen. Sasmak witterte seine Chance und sprang an ihm vorbei und war direkt in der Menge der Soldaten verschwunden, die versuchte, sich halbwegs geordnet aufzulösen. Ungeachtet der vielen Soldaten, die dort standen, fing Johan an zu feuern. Unterschiedslos wurden die Soldaten des Mondes und des Erdmilitärs in Stücke gerissen, während die Kanone dem Weg Sasmaks folgte. Aus meiner Position heraus sah ich, wie Männer in der Mitte gespalten wurden. Verletzte Soldaten wurden von ihren Kameraden aus der Schussbahn geholt und sie versuchten, der fliehenden Menge zu folgen. Eine Gruppe von Soldaten kam zu Fall. Sofort war die Menschenmenge über ihnen. Sie hatten keine Chance. Irgendjemand, ich konnte nicht erkennen wer, gab einen gezielten Schuss ab und die Autokanone verstummte funken sprühend. Der Unbekannte hatte die Autokanone zerstört. Die verbliebenen Soldaten des Mondes fingen sofort an, die Türen zu sichern.
Admiral Frankfurt stand plötzlich neben mir und flüsterte nur: „Verschwindet, das hier wird jetzt richtig Ärger geben!“ und dann war er auch schon wieder verschwunden.
Wir starrten immer noch entsetzt auf die angerichteten Schäden. Mein Bruder hatte eine Schneise in die Reihen der Männer und Frauen geschossen. Überall lagen Körperteile und Fleischklumpen herum. Man hörte einige noch stöhnen aber es traute sich keiner, den Sterbenden zur Hilfe zu kommen.
„Ab sofort stelle ich die Station unter Kriegsrecht! Alle Soldaten sofort auf ihre Posten und unter Bewaffnung. Captain McLayred?“ Ich hörte jemanden brüllen: „Bewusstlos und verletzt!“
„Gut, dann eben jemand anders: Sorgen Sie dafür, dass kein Schiff starten kann! Ich ordne eine Untersuchung aller Schiffe an!“
Wir waren fast an einer der Türen, als ich noch einen Blick zurück warf, McGrown zerrte bereits an meiner Jacke. Einige Leute wollten den Sterbenden zur Hilfe kommen und wurden von Eredors Ehrengarde mit erhobenen Waffen begrüßt. „Liegenlassen, wir haben Wichtigeres zu tun!“ ordnete Johan mit seiner donnernden Stimme an. Ich hätte kotzen können. McGrown zupfte mich am Ärmel und ich folgte ihm. Die anderen waren schon verschwunden. Unterwegs sah ich noch jemanden in ziviler Kleidung. Die Frau sah auf dem ersten Blick aus wie Jennifer, war dann aber auch schon verschwunden. Ich war mir absolut sicher, dass sie es gewesen war. Im Laufschritt begaben wir uns zurück zur Gefräßiger Wolf.
Zurück an Bord ließ ich die beiden Tach-Com Würfel in unsere Anlage integrieren. Wie versprochen würde ich sie nicht benutzen, aber ein direkter Kanal in mein Büro dürfte sich durchaus als vorteilhaft erweisen. Jetzt musste ich allerdings handeln. Mein Schiff durfte auf keinen Fall durchsucht werden. Warum mussten ausgerechnet jetzt so viele Ungereimtheiten auftreten? Das falsche Dock, die beiden XF-2522 im Hangar und die verdammte Besatzung der CV223 in ihren Stasis-Kapseln. Nichts davon durfte bekannt werden.
„Warum hat eigentlich keiner reagiert, als die beiden Wächter tot umgekippt sind?“ fragte Varl. Wir trafen uns in meinem Büro.
„Angst. Das Mond-Militär ist eine reine menschenverachtende Knochenmühle. Entweder man wird Teil von ihr oder man wird von ihr zermahlen.“
Varl war nicht überzeugt: „So einfach?“
„Nicht ganz. Vieles hat mit der Ideologie zu tun. Alle möchten irgendwann als heilige Krieger verehrt werden. Deswegen wird ihnen eingetrichtert, dass alles Fleischliche schwach ist. Nur, wer sich in einen Cyborg verwandelt, hat das Recht in die Riegen der heiligen Krieger aufzusteigen.“
„Ich habe eigentlich gedacht, das Mond-Militär wäre ähnlich dem Erd-Militär?“
„Nein. Das Mond-Militär ist eine von fanatisch-religiösen Typen geführte Terrororganisation, die den Heiligen Krieg und das Ausmerzen alles Unreinen zum Ziel hat. Irgendwie haben es sehr geschickte Männer geschafft, dass einige Fanatiker aus unterschiedlichen Weltreligionen sich auf dem Mond ansiedelten. Darunter sogar Teile der ehemaligen katholischen Kirche.“
Die Gründung gehörte zum Grundschulwissen auf dem Mond. „Im Prinzip wurde ein Mischmasch geschaffen, der aus großen Weltreligionen bestand. Die erste Stadt auf dem Mond heißt immer noch Neu-Jerusalem.“
Varl war immer noch verständnislos und wirkte verwirrt. „Die haben eine neue Kirche und einen neuen Glauben daran geschaffen?“
„So in etwa. Das musst du dir so vorstellen, dass jede beteiligte Religion auf alles Eigene verzichten musste. Nur noch die Gemeinsamkeiten wurden in der ursprünglichen Fassung verwendet. Dazu kamen dann noch Hardliner und ein gemeinsames Ziel und zack hatten wir die Mondkirche.“
„Das lernt man dort in der Schule?“
„Genau.“
„Und nun?“
„Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass wir durchsucht werden.“
„Im Zweifelsfall auf die brutale Art?“
„Genau.“
Varl nickte grimmig. Nach dem Gemetzel hatte er auch keine Probleme damit.
„Ok, und warum hat keiner geholfen oder reagiert, als das da passierte?“
„Weil sie nicht durften bzw. nur auf Befehl etwas unternehmen durften. Und da der Befehl meines Bruders liegen lassen war, haben sie das auch getan.“
„Argh.“
„Ganz genau. Ich werde mal sehen, ob ich mit meinem Bruder reden kann.“
„Du klingst nicht überzeugt.“
War ich auch nicht.
„Ich kontaktiere gleich mal den General und frage ihn, was wir am Besten machen. Du kontaktierst bitte die Abflugkontrolle und erbittest sofortige Starterlaubnis und mach Druck.“
„Was soll das bringen?“
„Mit etwas Glück schieben sie uns auf der Liste der zu prüfenden Schiffe ganz nach hinten. Deswegen sei unbedingt penetrant und lass dich einmal pro Stunde abwimmeln.“
Benedict sah verzweifelt aus. „Warum ich?“
„Ganz einfach: Du hast ein Händchen dafür. Andere Leute könnten eventuell Erfolg haben mit dem Vorverlegen des Abflugs.“
Nachdem Varl verschwunden ist, kontaktierte ich die Flotte. Die Antwort war relativ einfach: Das Schiff durfte auf keinen Fall durchsucht werden, wenn nötig, mussten wir mit Gewalt vorgehen. Allerdings sollten wir unter allen Umständen versuchen, ein Wiederaufleben der Konflikte zu verhindern.
Das Letzte, was wir gebrauchen konnten, war ein offener Krieg zwischen Mond und Mars.
Während Varl die Abflugkontrolle nervte, versuchte ich herauszufinden, wie es um Marcus stand. Da auf offizielle Anfragen von meinem Schiff nicht reagiert wurde, ging ich persönlich mit Gina zusammen zum Stationshospital. Die Notaufnahme war immer noch ein Schlachtfeld. Man hatte wohl noch nicht die Zeit gefunden, das Blut überall zu entfernen.
Eine Schwester, wohl eine der wenigen, die im Moment nicht mit dem Zusammenflicken von Leuten beschäftigt war, schleppte gerade einen randvollen Putzeimer in die Aufnahme.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Es war sonst keiner in der Aufnahme.
„Ich bin Colonel Marc Havoc, ich würde gerne etwas über den Verbleib von Captain McLayred erfahren. Er ist ein alter Freund von mir. Ich habe gesehen, wie er mit einem Messer im Rücken zu Boden ging.“
„Da haben Sie Glück. McLayred ist einer der wenigen, die wir überhaupt aus dem Raum bergen durften. Die meisten unserer Leute mussten wir sterbend zurücklassen.“ sie fluchte.
„Die Schweinehunde vom Mond haben gesagt, keiner fasst die Blutschneise an, er hielt uns eine Kanone vor das Gesicht und sagte gar nichts mehr.“
„Und das viele Blut?“
„Einige Leute wurden von ihren Kameraden hier hergebracht. Einige konnten wir retten. Dieser Typ, der das Kommando hatte, verbietet aber, dass wir Stasis-Kapseln erhalten um die Schwerstverletzten für einen Transport zur Erde fertigzumachen.“
Über so viel Menschenverachtung konnte ich eigentlich nur den Kopf schütteln.
„Wie schlimm ist es?“
Sie war den Tränen nah. „Dreißig Verletzte sind hier angekommen. Zehn von ihnen werden sterben. Nach den ersten Zählungen, was den Dienstantritt angeht, müssen fast hundert unserer Leute gestorben sein durch diesen Bastard.“
Ich hatte zwar das Massaker gesehen aber ich hatte nicht mit so vielen Opfern gerechnet.
„Das sind viele.“
„Ja, Leute, die nicht rechtzeitig von ihren Kameraden gerettet wurden und sich nicht aus eigener Kraft bewegen konnten, wurden einfach liegen gelassen. Zehn dieser Bastarde sorgen dafür, dass keiner an die Sterbenden herankommt.“
„Wie geht es nun Marcus?“ Das war das, was mich eigentlich interessierte.
„Das Messer ist von der Wirbelsäule abgeprallt. Nur ein wenig anderer Winkel und es hätte ihm von hinten das Herz durchstoßen.“
Ich wäre beruhigt gewesen, wenn nicht der besorgte Blick gewesen wäre.
„Aber?“
„Es hat einen Lungenflügel zerfetzt. Er ist stabil, aber wir können ihn nicht richtig behandeln. Eigentlich müsste er auch zur Erde.“
„Brauchen Sie irgendetwas?“
„Haben Sie eine Klon-Station auf Ihrem Schiff.“
Natürlich hatten wir eine. Die Schwester drehte sich um und verschwand in einem Raum.
Kurze Zeit später kam sie mit einem Reagenzglas in der Hand zurück. „Besorgen Sie unseren Ärzten Lungengewebe. Vielleicht auch eine ganze Lunge, aus der wir die Teile herausschneiden können, die wir brauchen, um Mr. McLeyrd zusammenzuflicken. Unsere Klon-Geräte wurden von den Mondbastarden zerstört.“
„Ich denk er muss zur Erde?“
„Ja, dort gibt es noch Kliniken damit.“
„Wann ist das passiert?“
„Der Befehl kam, als die Wichser hier das Kommando übernommen hatten. Das Erste, was einer der Typen gemacht hatte, war die Maschine zu zerstören.“
Sie drückte mir eine kleine Phiole in die Hand, die ich schnell in der Uniform verschwinden ließ.
„Was haben Sie hier zu suchen!“ dröhnte eine Stimme hinter mir. Hinter mir stand ein Riese. Zwei Meter hoch, stämmig und mit einem ziemlich großen Gewehr in der Hand.
„Ich habe mich nach dem Befinden eines alten Freundes ...“
„Marsmännchen haben keine Freunde in der vereinten Flotte! Verschwinden Sie sofort!“
Das war einschüchternd. Um nicht irgendwelche Probleme zu verursachen, verschwand ich wie geheißen.
Wieder auf dem Schiff beschwerte ich mich lautstark bei der provisorischen Stationsverwaltung über die Behandlung. Man versprach mir, nicht sonderlich glaubhaft, sich darum zu kümmern. Da war nie etwas passiert, aber die offizielle Beschwerde war notwendig für die Deckung.
Die Gewebeprobe ließ ich in die Krankenstation bringen. Es würde zwar ein paar Tage dauern, bis man aus dem Klumpen Gewebe einen Lungenflügel gezüchtet hatte, aber das war wenigstens etwas, was schnell ging.
Einen anderen Teilerfolg konnte Varl vermelden. Wir mussten jetzt 14 Tage warten, bis wir überhaupt an der Reihe waren, durchsucht zu werden. Die Reihenfolge war soeben veröffentlicht worden und man hatte uns hinter sämtliche stationseigenen Schiffe gesetzt. Mit etwas Glück dauerte es sogar noch ein paar Tage länger. General Chekov grölte regelrecht, als er davon erfuhr.
Am dritten Tag nach dem Anschlag fingen wir eine Nachricht der Erde auf:
An alle vereinigten Streitkräfte:
Order 2523:2346 wird mit sofortiger Wirkung widerrufen!
Stellen Sie sicher, dass der Zustand Ihrer Streitkräfte dem Standard von 2520:9002 entspricht!
Alles ausführende Personal wird hiermit zurück zu ihren Stützpunkten beordert.
Individuelle Befehle werden per Tach-Com übermittelt!
Generalstab der vereinigten Streitkräfte.
Den Abschluss bildete ein ID-Code, der die Echtheit der Nachricht bestätigte.
„Was halten Sie davon, Sergeant?“ fragte ich.
Betrya antwortete mir: „Als ich das gelesen hatte, habe ich geglaubt, dass das wohl das Ende der Zustände hier sein müsste.“
„Sehe ich ähnlich. Warten wir bis morgen ab, was passiert, die Order dürfte auch meinen Herrn Bruder erreicht haben.“
McGrown hatte sich die Nachricht ebenfalls durchgelesen.
„Warum eine Textnachricht? Sollte das nicht eher etwas Aufwendigeres sein? Eine Ansprache mit Entschuldigung vielleicht?“ Er wirkte etwas verwirrt.
„Nein," sagte ich, „Hier hat jemand gemerkt, dass da was ganz gewaltig daneben ging, und versucht schnellstmöglich und unmissverständlich das Ganze zu korrigieren.“
„Also eher alles schnell unter den Teppich kehren?“
„Genau.“
„Ihr seid komisch.“
„Wir?“
„Oder sagen wir besser die Erdlinge!“
„Sag ich mal nichts zu.“
Und die Uhr tickte.
Die fertig geklonte Lunge ließ ich per Kurier in das Stationshospital liefern. Über verschlungene Kanäle wurden wir über den Zustand meines Freundes auf dem Laufenden gehalten. Bis jetzt sah alles sehr gut aus. Admiral Frankfurt kontaktierte mich kurze Zeit später. Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, so bald von ihm zu hören.
„Ich bin jetzt an Bord des Schiffes, Colonel. Sind Sie da?“
„Ja bin ich.“ ich schreckte von meiner täglichen Arbeit auf und war sofort hellwach.
„Gut.“
„Was kann ich für dich tun?“
„Ich glaube, da läuft gerade etwas sehr verkehrt.“
Was Benni da sagte, war korrekt.
„Das sehe ich auch so. Ich wünschte nur, ich könnte hier ohne Weiteres verschwinden.“
„Lass es besser. Die Schiffe vom Mond sind deutlich stärker als man meint.“
Das wusste ich bereits.
„Eine Idee wie wir hier raus kommen?“
„Spreng einfach die nicht existierende Werftanlage.“
„Bitte was?“
„Spreng die Werftanlage!“
„Das wird aber auch die Station in Mitleidenschaft ziehen.“
„Wird es.“
„Wir haben die Rückruf-Nachricht für die Order 2523:2346 erhalten ...“
„Wir auch. Leider betrifft das nicht meinen Auftrag.“
„Deinen Auftrag?“
„Das Kommando über die 2. Flotte übernehmen.“
„Was wird aus Bergenhoff?“
„Keine Ahnung, in meinen Befehlen stand nur, dass ich das Kommando übernehmen muss und Bergenhoff seines verliert. Da steht allerdings nicht, warum oder wie das Ganze laufen soll.“
„Keine Ideen in der Richtung?“
„Ich habe hier noch Befehle liegen, Bergenhoff betreffend, aber die kann ich nicht ausführen, weil sie nicht ordnungsgemäß signiert wurden.“
„Die da wären?“
„Ihn hinrichten.“
Eine lange Pause machte sich breit.
„Marcus ist über den Berg.“ sagte ich dann.
„Echt?“
„Ja, wir haben ihm einen neuen Lungenflügel besorgt.“
Ein erleichtertes Schnauben lief über die Verbindung.
„Gut, dann jag die Werft nicht in die Luft.“
Was zur Hölle sollte das? Da ging was vor.
„Sie zu, dass er, so schnell wie möglich die Nachricht erhält. Damit sollte er etwas anfangen können, wenn er wieder halbwegs sitzen kann.“
„Gute Idee.“
„Wie ist die Moral?“
„Auf meinem Schiff? Angespannt aber gut.“
„Ich meinte eigentlich auf der Victoria.“
„Sie sind kurz vor dem Meutern. Allerdings gibt es keinen Anführer, der das organisiert. Ungehorsamkeit bei den Zivilisten und bei der Besatzung wird jeden Tag schlimmer ...“
„Was ist?“
„Mir ist grad eine Idee gekommen, wie ich die Jungs in den Stasis-Kapseln von der Station bekomme, ohne eine Schießerei anzufachen.“
„Gut, dann hast Du eine Sorge weniger.“
„Und einen Haufen weiterer die ich noch loswerden will.“
„Warum?“
„Mein Bruder, das Verhalten ist völlig untypisch für ihn. Ich habe eigentlich bis zu meiner endgültigen Ausweisung 2515 noch engeren Kontakt mit ihm gehabt. Er hatte mir zuletzt von einer neuen Aufgabe berichtet. Kurz danach war ...“
Der Inquisitor hatte garantiert die Finger bei meiner finalen Ausweisung im Spiel.
„Was war da?“
„Kurz danach wurde mir sogar das Recht auf Kontakt mit meiner Familie weggenommen und mir wurde endgültig die Staatsbürgerschaft auf dem Mond aberkannt.“
„Scheiß Mondbastarde.“
Ich fand das Gespräch sehr sinnlos. Es war an der Zeit für Fakten.
„Was hast Du für mich?“
„Wenn möglich, versuch 2524.3 am Sargnadel zu sein.“
„Sonst noch was?“
Die Stille antwortete mir. Irgendwie hatte ich mir mehr Gesprächsstoff gewünscht.
Am selben Tag erhielt ich eine Audienz bei meinem Bruder. Eigentlich hatte ich kein Interesse mehr, mit ihm in Kontakt zu treten, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte ohne Durchsuchung und im Guten von der Station verschwinden und vielleicht konnten die Familienbande ein wenig helfen. Oder sie machten alles noch schlimmer. Keine Ahnung, aber ein Versuch war es auf jeden Fall wert.
Klinge Johan Havoc hatte das Büro des Administrators in Beschlag genommen und mich dorthin zitiert. Unter anderen Umständen hätte man das sogar fast als Einladung bezeichnet. McGrown, Varl, Gina sowie Schrank würden mich begleiten. Schrank war unübersehbar und überwachte die Route, die ich nehmen sollte. Die anderen Drei bewegten sich unabhängig von mir und würden mich ebenfalls beobachten. Ich begab mich, den Bereich von Dock 12 passierend, in Richtung meiner Verabredung. Unterwegs kam ich an den anderen Docks vorbei. Hier tummelten sich Hunderte von Menschen, die an Bord der noch angedockten zivilen Schiffe gehen wollten. Einige Freihändler versteigerten bereits Mitfluggelegenheiten zu unglaublichen Fantasiepreisen.
So wie es aussah, würden sehr viele Zivilisten in das Korsett des Mond-Militärs gepresst werden. Es waren mindestens zehn Mal mehr Menschen, die weg wollten, als Platz auf den Schiffen war. Irgendwo aus den Augenwinkeln sah ich eine vertraute Gestalt, die sich unter die Wartenden mischte. Mein Instinkt verriet mir, dass es Sasmak war. Mein Weg führte mich über den Plaza. Dort lagen immer noch die Toten, bewacht von den Soldaten des Mondes. Es gab keine Sterbenden mehr. Der Platz war mit einem dünnen, mittlerweile getrockneten, Blutfilm überzogen. Blut und Stiefelabdrücke. Die Leichen fingen an, bestialisch zu stinken. Ich beeilte mich, hier so schnell wie möglich durchzukommen.
Der Verwaltungsbereich der Station war in einem bemitleidenswerten Zustand. Überall lag Müll herum. Irgendwelche Scherzbolde hatten Graffiti an eine Wand geschmiert und waren dabei erwischt worden. Die Leichen hatte man mit schweren Bolzen an die Wand genagelt. Bereits nach der einen Woche Kriegsrecht befand sich die gesamte Station in einem sehr bemitleidenswerten Zustand. Ein Teil der Beleuchtung war ausgefallen. Ich wurde unterwegs zwei Mal kontrolliert, wobei es sich hier um Soldaten der Erde handelte, die nur einmal kurz meine Papiere und die Einladung prüften. Pünktlich zum genannten Termin betrat ich das Büro des Administrators. Mein Bruder wurde nicht, wie ich ursprünglich erwartet hatte, von mehreren Leibwächtern begleitet.
Zwei große Kisten standen herum. Jemand hatte lieblos angefangen, Bücher, persönliche Gegenstände und diversen Kleinkram in die Kisten zu stopfen. In einer Ecke hinter dem Schreibtisch standen weitere Boxen. Ich vermutete, mein Bruder passte gerade das Büro seinen Wünschen an. Er war aber mal anders gewesen.
„Mann siehst du Scheiße aus, Bruder.“
Mein Bruder drehte sich zu mir um. Er sah aus der Nähe noch schlimmer aus, als ich gedacht hatte.
„Sie sind der Captain des Mars-Schiffes?“ fragte er mich. Die Stimme klang sehr mechanisch.
„Ich bin Colonel Marc Havoc, Kommandant der Gefräßiger Wolf. Und ja, es ist ein Schiff vom Mars.“
Den Colonel betonte ich extrem scharf.
„Ach, die Marsianer haben ja noch die alten Luftwaffenränge. Muss noch geändert werden.“
„Alles klar mit dir?“
„Werden Sie nicht ...“ er hielt inne.
Mein Bruder brauchte einige Zeit, bevor er wieder etwas sagte.
„Was zur Hölle machst du hier?“ fragte er mich, so als hätte er noch gar nicht richtig bemerkt, dass ich anwesend war.
„Ich habe hier einen Gefangenen abgeliefert und sollte mich mit ein paar von euren nicht mehr erwünschten Piloten treffen.“
„Die Unreinen, die ausgesondert werden.“
„Wenn du es so ausdrücken willst.“
„Du bist auch so einer.“ Das stimmte, in seinen Augen natürlich.
„Leider konnte ich keine Vereinbarungen treffen bevor das hier," ich zeigte mit meinem Finger einmal um mich rum, „eskalierte.“
„Ein toter Inquisitor erfordert besondere Maßnahmen.“ sagte er lakonisch.
„Johan, warum?“
„Was?“ Er wirkte irritiert.
„Das da!“ Ich deutete auf seine ganzen Implantate.
„Vater hat es so gewollt. Er hat gesagt, so würde ich zum Ziel kommen.“
Unser Vater. Er war, nachdem man meinen genetischen Stamm identifizierte, extrem fanatisch geworden.
„Warum hast du es mit dir machen lassen? Als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, warst du noch voll überzeugt, dass kleine, geschickte Eingriffe besser wären, als sich in einen Roboter zu verwandeln.“
„Ich wollte es so. Und der Inquisitor hatte es zur Bedingung gemacht, wenn ich in seine Dienste treten wollte.“
„Was sollte eigentlich die Begrüßung vorhin?“
„Automatisches Protokoll.“
„Dasselbe Protokoll, was dazu geführt hat, dass da unten über hundert Leichen verwesen?“
„Nein ... oder?“ er überlegte lange, ich vermute er ging die Aufzeichnungen durch.
„Könnte sein, dass ich etwas unvorsichtig war, aber es ist ja ohnehin nur Fleisch.“
„Alles klar mit dir?“
Er wollte etwas sagen, hielt sich allerdings dann wieder im Zaum.
„Diese Redewendung solltest du nicht noch mal sagen, sonst übernimmt etwas meine Handlungen, um mich vor Insubordination zu schützen.“
„Bitte was?“
„Diese Frage ob mit mir alles klar wäre ist ein Schlüssel, der die Protokolle deaktiviert. Du hast es doch nur einmal gesagt, oder?“
„Zweimal.“
„Verdammt. Sieh zu, dass du wegkommst. Ich spüre, dass die Programme gestartet werden, die meine Linientreue sicherstellen. Sprich morgen noch mal mit mir.“
Noch bevor ich aus dem Büro verschwunden war, war die Übernahme abgeschlossen.
„Warum wagen Sie es, bewaffnet in mein Büro zu kommen!“ donnerte hinter mir wieder der mechanische Turnus meines Bruders.
„Dienstvorschrift für Mars-Offiziere in Krisensituationen.“ sagte ich genauso mechanisch.
„Betreten Sie mein Büro niemals wieder mit einer Waffe oder ich werde Sie hinrichten!“
Jetzt drehte ich mich um und sah dem Wesen, das eigentlich mein Bruder hätte sein sollen in die Augen.
„Provozieren Sie keinen Krieg mit dem Mars!“ sagte ich scharf.
„Was wollten Sie eigentlich von mir?“
„Hat sich erledigt.“ antwortete ich, während ich den Raum verließ.
Mein Bruder war da in etwas hinein geraten, was er nicht mehr kontrollieren konnte, soviel war sicher. Er war immer ein Muster-Soldat gewesen, aber er hatte auch einige natürliche Grenzen gehabt. Davon war hier nichts mehr zu sehen. Allein an seiner Reaktion konnte ich erkennen, dass er selbst nicht wirklich wusste, was mit ihm passierte.
Das sinnlose Töten von Menschen war eine dieser Grenzen. Jetzt war er ganz anders, so als wenn ihn das alles nichts anging. Ich grübelte und lenkte meine Schritte zurück zu meinem Schiff.
Plötzlich wurde ich zur Seite gerissen und an die Wand gepresst. Sesak Sasmak presste mir ein Messer an die Kehle und ich konnte in seine dunklen, hasserfüllten Augen sehen.
„Sie werden mein Taxi hier raus sein!“ Sagte er fast höflich, während er die Klinge immer näher an meinen Hals führte.
Ein Schuss peitschte durch den Bereich. Im selben Moment wurde Sasmak zur Seite geschleudert. Blut lief meinen Hals herunter. Keine zwei Sekunden später war McGrown neben mir und hob mein Kinn an. „Nur ein Kratzer würde ich sagen. Verschwinden wir.“
Es blutete nur schwach, er hatte recht, das Messer hatte nur ein wenig in die Haut geschnitten. Es tat trotzdem weh. Wir rannten durch einen Korridor, wobei Korridor der falsche Ausdruck war. Der Bereich war überkuppelt und man hatte innerhalb der Kuppel Gebäude errichtet, die sehr eng beieinanderstanden. Keine Menschenseele war zu sehen. Es kümmerte anscheinend auch keinen, dass gerade erst geschossen worden war.
Auf dem Plaza war keiner mehr. Nicht mal Wachen. McGrown versuchte, nicht auf irgendwelche Überreste zu treten. Das Blut war schon lange getrocknet, trotzdem fühlte sich jeder Schritt falsch an. Ein paar Hundemarken knirschten, als McGrown drauf trat. Er nahm den Fuß von den Metallplättchen und wollte sich gerade danach bücken.
„Lass es besser!“ Ich hörte Ginas Stimme, sah sie aber im ersten Moment nicht.
„Guter Schuss im Übrigen, McGrown.“ Ich wollte nur nicht schweigend hier durch. Irgendwie wollte ich es einfach nicht hören, wenn ich wieder auf menschliche Überreste trat. Ich versuchte mir vorzustellen, es wäre nur belangloser Müll. Aber es wollte mir einfach nicht gelingen.
„Das war ich.“ sagte Gina neben mir.
Sie zeigte langsam Angewohnheiten, die ich bis jetzt nur bei McGrown bemerkt hatte.
„Trotzdem guter Schuss. Wo ist er hin?“
„Direkt verschwunden.“
Wir beeilten uns, so schnell zurückzukommen, wie wir konnten.
Auf dem Plaza waren Aufräumarbeiten im Gange. Einige Zivilisten mussten die Leichenteile und Leichen in einen Frachtcontainer laden. An anderer Stelle waren bereits Leute mit der Reinigung beschäftigt. Unterwegs lasen wir Varl und Schrank auf und begaben uns zurück zum Schiff.
Auf der Krankenstation ließ ich den Schnitt behandeln, erst da fiel mir auf, dass ich völlig durchgeschwitzt war und zitterte.
Es dauerte zwei Tage, bis ich das nächste Gespräch mit meinem Bruder führte.
„Alles klar mit dir?“ So begann ich unser Gespräch, noch bevor er einen Laut hervor bringen konnte..
Auf dem Bildschirm sah ich, wie es in ihm ratterte.
„Ah, du bist es.“
„Kann man etwas gegen diese Indoktrination unternehmen?“
„Mich töten, wahrscheinlich.“ antwortete er.
Ich schluckte.
„Euer Attentäter ist ein Pirat namens Sesak Sasmak.“
Johan brauchte eine Sekunde.
„Wer hat dieses Monster hier hergebracht?“
„Ich hatte den Auftrag ihn den örtlichen Behörden zu übergeben. Wer ist das eigentlich? Wir haben, außer ein paar Haftbefehlen wegen Piraterie, nichts von ihm.“
„Eredor jagte ihn zweimal quer durch das Sonnensystem. Er hatte auf einer unserer Basen eine Serie sehr brutaler Morde begangen.“
„Scheint einen Hang zur Brutalität zu haben.“
„Das hat er. Er hat wahllos Männer und Frauen getötet. Wenn er die Zeit hatte, hat er noch wesentlich schlimmere Dinge mit ihnen angestellt.“
Das war mir definitiv neu. Wir hätten ihn in die Luftschleuse stellen sollen.
„Warum gab es nichts Offizielles darüber?“
„Würdest du es offiziell machen, wenn eine Kampfmaschine, die angeblich der ganze Stolz des Mondes ist, austickt?“
„Ich kann es wenigstens etwas nach verfolgen.“
„Was machen Sie auf meinem Kanal?“ fragte mich mein Bruder plötzlich.
„Sie wollten mir gerade erklären, warum Sie lieber politische Streitigkeiten riskieren und uns an Bord der Station festhalten.“
„Wir suchen den Attentäter auf Inquisitor Eredor.“ er hielt inne. „Sesak Sasmak.“ sagte er dann.
Er ließ sich einige Zeit. Wahrscheinlich ging er über irgendeinen implantierten Computer einige Daten durch.
„Wenn wir wissen, wer dieses Monster hier hergebracht hat, wird dieser jemand zur Verantwortung gezogen!“
In solchen Momenten war es wohl besser, die Klappe zu halten.
„Können wir vielleicht helfen?“
„Wir werden das ohne Marsmännchen schaffen.“
Damit war die Verbindung getrennt.
Immer nur ein paar Minuten freie Entscheidungen treffen, das war nicht wirklich prickelnd. Ich hatte das Gefühl, das es nicht nur irgendwelche Schutzprotokolle waren, die in den Implantaten verankert waren. Sein Verhalten wurde anders kontrolliert. Da stimmte etwas einfach nicht.
Es hatte eine Ewigkeit gedauert, aber unser Kurierschiff erhielt eine Startfreigabe. Wir beantragten dann sogleich die Überführung einiger Stasis-Kapseln mit Schwerverletzten auf das Schiff. Interessanterweise erhielten wir von meinem Bruder problemlos die Freigabe. Die Kapseln mussten allerdings einzeln von der Stationssicherheit durchsucht und gescannt werden.
August Hornfeld hatte die Kapseln etwas präpariert, sodass sie zwar einen Scan zulassen würden, allerdings würden Tiefenscans der Insassen keine verwertbaren Ergebnisse liefern. Die undankbare Aufgabe, die Kapseln zu scannen, wurde sehr wahrscheinlich von irgendwelchen Handlangern, sprich der Stationsbesatzung, durchgeführt. Die Mondleute würden nicht alle 150 Kapseln persönlich kontrollieren.
Dann berichteten mir noch meine Leute, dass auf der Station gearbeitet wurde, um diverse Verwahrlosungszustände zu beheben. Irgendwie hatte es mein Bruder geschafft, ein paar Befehle zu geben, um Aufräumarbeiten anzuordnen und die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Die zivile Bevölkerung der Victoria musste übergangsweise in Kasernen einziehen. Außerdem musste sie jetzt für Nahrung und die Versorgung arbeiten. Die Arbeiten waren ausnahmslos Aufräumarbeiten.
Aus dem Getuschel der Leute erfuhren wir, dass es wohl einige weitere Morde gegeben hatte. Außerdem waren Personen verschwunden. Dies wurde zum größten Teil dem unbekannten Angreifer oder den Mondleuten in die Schuhe geschoben.
Ich brachte Captain Breedneck persönlich zur Corvette und überwachte die gesamte Scanprozedur. Zwei Offiziere der Stationssicherheit nahmen die Kapseln in Empfang. Sie schoben diese einmal durch einen Bereichsscanner und auf der anderen Seite wurden sie an das Kurierschiff weiter gereicht. Beide Männer waren unrasiert, ungekämmt und sahen aus, als hätten sie die letzten Tage nicht geschlafen. Da ging mir auf, dass ich wohl auch nicht viel besser aussah als die beiden. Mein erster Offizier war allerdings jetzt an Bord und damit war mir ein Stein vom Herzen gefallen.
Da uns kein Personal zur Verfügung gestellt wurde, mussten meine Leute pendeln. Immer 10 Kapseln auf Gravitationstabletts wurden übergeben und dann wurde bereits die nächste Runde heran gekarrt. Trotzdem würde die ganze Verladeaktion einige Stunden dauern. Schrank würde die ganze Operation beobachten.
Auf dem Weg zur wissenschaftlichen Station traf ich mich mit Miriam Chekov. Sie wirkte in ihrem schlichten, schwarzen Overall schon fast wie ein Besatzungsmitglied. Sie war nur einen kleinen Tick zu gut angezogen dafür.
Sie war mal wieder sehr direkt. „Na, du? Du siehst aus als hätte dich ein Ochse getreten. Wie lang hast du nicht geschlafen?“
„Keine Ahnung. Es dürfte aber schon ein wenig länger her sein.“
Sie wirkte entsetzt. „Dann solltest du das mal nachholen, du nutzt niemanden etwas, wenn du vor Erschöpfung zusammenklappst!"
„Da hast du wahrscheinlich recht. Können wir auf der wissenschaftlichen Station weiter machen?“ fragte ich sie.
„Nein! Du kommst jetzt erstmal mit.“
An ihrem Tonfall konnte ich schon erkennen, dass ich keine Wahl hatte, ohne Ärger zu riskieren. Sie führte mich durch den Korridor und zerrte mich förmlich in ihr Quartier. Die großen geräumigen Gästequartiere waren in drei Bereiche unterteilt. Ein großer Wohnbereich mit Schreibtisch und einer Sitzecke sowie Multimedia-Station und einer kleinen Einbauküche mit der Möglichkeit, aus dem Automaten Essen zu ziehen. Dazu noch ein abgetrennter Schlafbereich und die Nasszelle mit Toilette und Dusche. Ich wollte mir einen Klappstuhl aus dem Schrank holen, als sie mich zurückpfiff und mit einem Schubs auf die Sitzecke beförderte.
„Setzen, Colonel, und dann entspannen Sie sich etwas. Möchtest du etwas zu trinken haben?“
„Kaffee?“
Sie gab mir einen milden, aromatischen Tee stattdessen.
„Kein Kaffee?“
„Nein.“
„Darf ich dann wenigstens erzählen, warum ich mit dir sprechen wollte?“
„Klar.“ sie holte vom Schreibtisch ein mobiles Terminal und setzte sich neben mich. Das Tablett drückte sie mir in die Hand.
Irgendwie glitt mir das Tablett aus den Fingern.
„So müde, dass du nicht mal mehr weist, was du wolltest?“
Mir gelang es, das Tablett unbeschädigt auf dem Tisch zu platzieren.
„Es geht um meinen Bruder.“
„Na erzähl die ganze Geschichte.“
Das dauerte eine Weile und ich merkte, dass mir langsam die Augen zu fielen.
„Ich würde mir das mit deinem Bruder gerne persönlich ansehen ...“
„An den kommst du als Frau nicht heran.“
„Dachte ich mir schon fast. Gibt es Aufzeichnungen?“
Über das Bord-Netzwerk konnte ich die Aufzeichnung vom Gespräch mit meinem Bruder abrufen.
„Ihr seht euch nicht wirklich ähnlich ...“
„Das kommt von den Narben und Implantaten vermute ich.“ ich gähnte. Mit dem Tee stimmte etwas nicht.
„Ich muss eben etwas recherchieren. Schlaf erstmal.“
Mit diesen Worten begann sie, mir die Uniform zu öffnen. Beim Hemd ließ ich sie noch gewähren. Als sie zwischen meinen Beinen hockte und mir die Schuhe öffnete, wollte ich anfangen zu protestieren. Sie erhob sich vorne übergebeugt und gewährte mir einen ziemlich tiefen Einblick unter ihre Kleidung.
„Schlafen Sie Colonel, Sie haben es bitter nötig!“
Das war das Letzte, was ich sah und hörte. Sie musste mich danach noch aus meiner Kleidung geholt und in eine richtig kuschelige Wolldecke gewickelt haben.
Das Erste, was ich bemerkte, als ich wieder zu mir kam, war, dass ich keinerlei Kleidung mehr trug.
„Sägewerk ist nichts dagegen.“
Ich rappelte mich hoch und wickelte mich weiter in die Decke ein.
„Schlafmittel?“ fragte ich.
„Nein, der Tee hat eine sehr entspannende Wirkung auf den Kreislauf. Zumindest wenn man müde ist.“
Ich bewegte die Schultern und rollte mit dem Kopf. Ich fühlte mich sogar ein wenig ausgeruht. Miriam drückte mir eine Tasse heißen Kaffee in die Hand. „Der ist besser zum wach werden.“ Er war heiß und trinkbar, dementsprechend nahm ich einen vorsichtigen Schluck. Es war richtiger Bohnenkaffee.
„Und was ist, wenn man munter ist?“ fragte ich dann.
„Wenn man munter ist, macht das Zeug g ...“ den Rest schluckte sie herunter und suchte sichtlich nach anderen Worten. „Er kann auch sehr anregend wirken.“ sagte sie dann diplomatisch mit einem frechen Grinsen. Ich beließ es dabei.
Nach dem Kaffee war erst einmal eine heiße Dusche fällig. Miriam stand, als ich aus der Kabine schlüpfte, mit einer frischen Uniform und einem Handtuch in der Hand in der Tür.
„Ich glaub das brauchst du noch.“ sagte sie verschmitzt, während sie mich von unten nach oben musterte. Irgendwie kam ich mir vor wie ein Reh auf der Schlachtbank. Sie gab mir das Handtuch und legte die Uniform über das Waschbecken und ließ mich alleine.
Ein paar Minuten später war ich dann wieder im Wohnbereich.
„Du siehst auf jeden Fall besser aus als gestern Abend.“
„Danke.“ Die Erinnerung an den letzten Abend machte mich fertig. Die Frau würde noch für einigen Aufruhr sorgen, soviel war mir klar.
„Hast du was herausgefunden?“
„Hab fast die ganze Nacht gebraucht, aber es könnte sein, dass dein Bruder eine Art von Besessenheit erleidet.“
„Besessenheit?!?“ ich war erstaunt.
„Ja. Es gibt eine Reihe von Implantaten, Speichersystemen und anderen intelligenten Chips, die man dazu verwenden könnte, ein zweites Bewusstsein in den Schädel deines Bruders zu bekommen.“
„Du glaubst also, jemand hätte meinem Bruder ein zweites Bewusstsein verpasst?“
„Mehr noch, aber dazu später. Ich müsste eigentlich die Implantate deines Bruders genauer unter die Lupe nehmen. Wenn sein Gehirn ähnlich verdrahtet ist wie die ganzen Implantate, die seinen Körper bedecken, dann ist es zumindest möglich.“
„Und wie sollen wir das herausfinden?“
„Ich würde sagen, wir versuchen heraus zu finden, wessen Persönlichkeit bei ihm gespeichert ist.“
„Mein Bruder ist die rechte Hand des Inquisitors gewesen.“
„Das könnte ein Ansatzpunkt sein. Die Inquisitoren, bei uns würde man eher Ermittler oder Kommissare zu ihnen sagen, sind immer extrem fanatisch und vielleicht hat er Vorbereitungen getroffen um sein persönliches Ableben hinauszuzögern.“
Da hatte ich den zündenden Einfall.
„Ich könnt dich knutschen!“ rief ich begeistert und war durch die Tür. Ich glaub, wäre ich einen Tick langsamer gewesen wäre mir irgendwas hinterher geflogen.
„Ausgeschlafen Colonel?“ fragte mich Gina, in die ich fast hineingerannt wäre. Neben ihr stand Caren Krieger mit verschränkten Armen.
„Spaß gehabt?“
„Geschlafen.“
Gina bemerkte dazu: „Das sieht man. Sie waren neun Stunden nicht erreichbar.“
„Autsch, ich glaub da war ich etwas sehr fertig.“
„Es ist allerdings auch nichts passiert. Du siehst nicht mehr aus wie ein Zombie.“ bemerkte Gina.
Caren räusperte sich: „Colonel? Ich könnte die beiden FX so verstecken, dass sie bei einer Durchsuchung nicht mal mit Tiefenscannern geortet werden könnten. Ich brauche nur die Freigabe, einen Frachtraum umzufunktionieren, der an das obere Deck angrenzt.“
„Ist da nicht viel zu wenig Platz, in den Frachträumen?“
„Nicht wenn man die Maschinen gut stapelt. Ich hatte eigentlich vor die Maschinen, sauber zerlegt, dort hineinzupacken. Das sollte ich mit meinem Team in drei Tagen hin bekommen.“
„Wie lange dauert es, bis die Maschinen danach wieder einsatzbereit gemacht werden können?“
„Auch drei bis vier Tage. Gleichzeitig können wir auch gleich exakte Pläne der Maschinen anfertigen.“
„Können wir das nicht auch mit den Sensoren?“
„Das schon, aber zerlegen macht mehr Spaß.“
Warum war eigentlich die ganze weibliche Besatzung nur daran interessiert, mir das Leben zur Hölle zu machen?
„Gut. Machen Sie's so.“
In meinem Bereitschaftsraum (ich sag auch öfter mal Büro dazu) versuchte ich sofort eine Verbindung zu meinem Bruder zu bekommen.
Interessanterweise gelang das auch.
„Was wollen Sie?“
„Ich hätte gerne Informationen über den verstorbenen Inquisitor-Captain Eredor.“
„Warum?“
„Lassen Sie persönliche Neugier gelten?“
„Eredor war ein großartiger Mann. Alle seine Aufträge und Aufgaben hat er mit Bravur und größtem Geschick gelöst.“
„Alle Aufgaben?“
„Nun, ich gebe zubei der Verhaftung von Sesak Sasmak gab es Komplikationen. Die verantwortlichen Wachen wurden aber, für ihr Versagen, ordnungsgemäß hingerichtet. Zumindest die, die es überlebt haben.“
„Wollen Sie noch mehr meiner Zeit verplempern oder war es das?“
Es war Zeit, wieder die Trumpfkarte auszuspielen. Ich hoffte, sie würde sich nicht all zu sehr abnutzen.
„Alles klar mit dir?“
Man sah mittlerweile, wie es bei Johan ratterte.
„Marc? Du solltest mich besser nicht so oft kontaktieren.“
„Ich würde gerne von dir hören, was Inquisitor Eredor so für ein Mensch war.“
„Er war kein Mensch, sondern ein Monster. Er hat fast mehr Leute bei der Jagd auf Sasmak getötet als Sasmak und das ist fast eine Kunst.“
„Eine makellose Aufklärungsstatistik ...“
„Vergiss die Aufklärungsstatistik. Nachdem ich den Job bei ihm antrat, wollte ich eigentlich wieder aussteigen, aber ich konnte nicht. Dafür war der Job zu gut bezahlt und Vater bedrängte mich, alle nötigen Operationen durchzuführen, die der Inquisitor haben wollte.“
„Das Ergebnis kann ich sehen.“
„Etwas stimmt nicht.“
„Ich weiß.“
„Warum kontaktierst du mich alle ...“
„Johan?“
„Wir haben vor drei Tagen miteinander gesprochen, aber ich kann mich nicht daran erinnern.“
Ich biss mir auf die Zunge, um nicht irgendwas auszuplappern.
„Was ist los mit dir, Bruder?“
„Ich hab keine Ahnung. Bis zum Tod des Inquisitors war alles in Ordnung. Seit dem ist meine Erinnerung bruchstückhaft.“
„Du weißt nicht, dass du ein Massaker unter der Stationsbesatzung angerichtet hast?“
„Doch. Ich habe mit der Autokanone voll in die Reihen der Soldaten gehalten in die Sesak gesprungen ist. Ich wollte aufhören, aber ich konnte nicht.“
„Und dann?“
„Gab es einen Tumult, und danach ... da fehlt was.“
„Kann es sein, dass es mit deinen Implantaten zu tun hat?“
„Ich werde das checken lass ...“
Er machte eine Pause.
„Sie verschwenden meine Zeit!“
Damit war die Verbindung getrennt.
Ich rief McGrown, Gina, Miriam und Varl in mein Büro. Außerdem wurde Schrank mit einbezogen, er war per Komm-Verbindung dabei.
Nach der Begrüßungsrunde spielte ich das Gespräch mit meinem Bruder in voller Länge ab. Außerdem erzählte ich ihnen das, was Miriam erzählt hatte sowie alles andere, was mir aufgefallen war.
„Eure Meinung?“ fragte ich in die Runde.
Es herrschte betretene Stille.
„Es ist der Inquisitor.“
Die Feststellung kam blechern von Schrank.
„Was macht Sie so sicher?“
„Die ganze Art.“
„Kannten Sie den Inquisitor?“
„Ich habe einen Teil meiner Systeme auf dem Mond aufwerten lassen. Dort bin ich ihm begegnet. Damals hatte ich allerdings ein etwas schlichteres Äußeres.“
„Was hatten Sie für einen Eindruck?“
„Er war mir viel zu neugierig wegen der Neuralimplantate. Er hatte mir mehrfach gesagt, wie sehr er meinesgleichen bewundere und dass er noch jemanden suche, der sich so aufrüsten lassen würde.“
Alle lauschten gespannt.
„Ich habe ihm gesagt, dass jeder, der auf seinen biologischen Körper verzichtete ein Idiot sei. Ein Blechvieh zu sein war damals schon nicht das angenehmste.“
„Wann war das?“ fragte Miriam.
„Vor zehn Jahren oder so.“
„Wie lange ist Ihr Bruder eigentlich beim Inquisitor gewesen?“
„Nicht mehr als zehn Jahre und mindestens fünf.“
„Die Implantate, die er so offen zur Schau stellt, sind alle gut sechs bis sieben Jahre alt.“
Das konnte hinhauen.
„Gut, was können wir tun?“
Alle sahen mich an.
Miriam brach dann das schweigen: „Nichts.“
„Diese Art von Übernahme war zu meiner Zeit verboten. Selbst ein Inquisitor durfte das nicht.“
„Das könnte sich geändert haben.“
Das war zwar möglich, aber extrem unwahrscheinlich. Zumindest dürfte das hier nicht zu groß an irgendwelche Glocken gehängt werden.
„Ich könnte ihn konfrontieren, am besten Auge in Auge.“
„Gefährlich“ meinte Schrank dazu.
„Ich brauche dann ein Team da draußen, was mich schützt und im Zweifelsfall raus holt, sollte er durchdrehen.“
„Ich werde meine Leute raus bringen.“ sagte Schrank.
Gina und McGrown hoben die Hand. „Wir werden Sie wieder im Auge behalten.“
„Hat irgendjemand vielleicht eine bessere Idee?“
Miriam hob die Hand: „Finden Sie Sasmak!“
Das passte nicht zusammen.
„Und dann?“
„Sorgen Sie dafür, dass Sasmak erfährt, dass der Inquisitor nicht tot ist. Danach warten Sie ab, was passiert.“
Mir krampfte sich etwas in der Magengegend zusammen.
„Und mein Bruder?“
„Er wird entweder sterben oder irgendwann wird die Zugangsmöglichkeit gesperrt. Auf jeden Fall wird er wohl nie wieder der Alte werden.“
Da hatte sie wohl recht.
Bevor wir unseren Plan umsetzen konnten, wollte ich noch einmal versuchen, Marcus aufzusuchen.
Diesmal ging ich auf Nummer sicher. Ich marschierte mit einem Datentablett direkt zum Stationshospital. Die Rücknahme der Befehle und alle Indizien, die wir für die Übernahme meines Bruders durch Eredor hatten, waren mit von der Partie.
„Ihresgleichen hat hier keinen Zutritt!“
Begrüßte mich ein schwach aufgerüsteter Soldat vom Mond.
„Ich will sofort Captain McLayred sprechen.“
„Nicht bevor seine Genesung geklärt ist.“
„Bitte was?“
„Sein zerfetzter Lungenflügel scheint ersetzt worden zu sein, und ohne dass wir das untersucht haben, wird er niemanden sehen.“
„Wieso das jetzt?“
„Wir vermuten das Einbringen illegaler genetischer Materialien und werden dies untersuchen und bestrafen.“
„Ihr habt nen Schuss.“
Mein Gegenüber verzog keine Miene.
„Wann soll die Untersuchung abgeschlossen sein?“
„Sie wird abgeschlossen, sobald Havoc die Untersuchung überwachen kann.“
In dem Moment ging das Licht aus. Ich zog einfach meine Pistole und schoss. Irgendwas viel auf den Boden. Das Licht ging kurz danach wieder an.
Hinter mir hörte ich jemanden sagen: „Ich hab kurz den Strom unterbrochen. Guter Schuss, Colonel.“
Eine Frau im Arztkittel kam aus einem Nebengang.
„Die Sensoren?“
„Waren auch aus, als ich den Strom unterbrach.“
Sie hob ein kleines Sprechgerät an den Mund und befahl, dass man die Leiche des toten Mondsoldaten schnell verschwinden lassen sollte.
„Was haben Sie vor?“ fragte ich dann.
„Ich werde behaupten, er wurde tot hier aufgefunden.“
„Keine Überwachung?“ fragte ich dann.
„Nein, die Überwachungsgeräte hätten vor einer Woche gewartet werden müssen. Leider sind sie ausgefallen.“
„Wie das?“
„Jemand hat einen Stuhl in die Konsole gerammt und das ganze System lahmgelegt. Ihr Bruder scheint es ja nicht nötig zu haben sich, um so etwas zu kümmern. Folgen Sie mir.“
Zwei Minuten später war ich in Marcus' Zimmer.
„Wie geht es dir alter Sack?“ fragte ich dann.
„Beschissen. Die Wunden heilen zwar sehr schnell aber irgendjemand hat vor kurzem Schmerzmittel und ein paar andere Medikamente gestohlen, die ich eigentlich noch brauche.“
„Sollte nicht genug von allem da sein?“
„Nicht nach dem Massaker und ohne dass wir Nachschub von einem der vorbei fliegenden Schiffe kaufen können.“
Die gute Nachricht konnte nicht mehr länger warten.
„Eredors Befehle wurden widerrufen.“
„Bitte was?“
„Ein paar Tage nach dem Anschlag traf eine Nachricht ein, lies es einfach selbst.“
Der Datenblock enthielt alle Informationen zusammen mit den Echtheitszertifikaten. Marcus nahm ihn dankend an.
„Das ist schon mal gut. Jetzt muss ich nur noch irgendwas haben, um den Spinner auf dem Kommandoposten in Misskredit zu bringen.“
„Was hältst du davon?“ fragte ich, während ich von hinten auf das Datentablett tippte und den Bericht öffnete, der die Geschichte mit meinem Bruder beinhaltete.
Marcus las sehr lange den Bericht, dabei war er nicht so lang.
„Das ist gut, jetzt müssten wir das nur noch beweisen.“
„Könnte ich in die Wege leiten.“
„Dann mach das, pass nur auf dich auf.“
„Wie? Keine Einwände?“
„Nein, ich war eh gerade dabei eine Meuterei zu organisieren, aber das hier ist besser.“
Das offene Geständnis zeigte, dass Marcus einiges an Vertrauen zu mir hatte.
„Marc?“
„Ja?“
„Das wird sehr gefährlich werden. Wenn Eredor wirklich noch lebt, dann wird er wahrscheinlich bei der Aktion deinen Bruder endgültig übernehmen und ihm jeglichen Zugriff sperren.“
Das war mir schon klar gewesen, aber besser das als dieses Hickhack.
„Dein Bruder hätte auch gar nicht das Kriegsrecht verhängen dürfen, dazu hätte er einen weiteren kommandierenden Offizier hinzuziehen müssen.“
„Der wärst du gewesen?“
„Nein, eher einer meiner Männer, ich weiß leider nicht, wie viele überhaupt davon noch leben, also aus dem Kommandostab.“
„Wie meinen?“
„Die Autokanone hat genau in die Reihen meines Kommandostabs gefeuert.“
Da glaubte ich allerdings ernsthaft, dass das ein Zufall war.
„Das war allerdings ein Zufall, hoffe ich.“
„Hast du Zweifel?“
„In diesem Fall?“ Er hustete. „Nein.“
Wir berieten noch über die Vorgehensweise und einige Details. Das Ziel stand fest: Mein Bruder, oder besser Eredor, durfte nicht weiter seinen eigenen Plänen nachgehen und die Station weiter gefährden.
Zwei Tage später ging es los.
Um halbwegs eine Chance zu haben, auch einen bewaffneten Konflikt mit ihm zu überleben, ließ ich einige unsere Marines ausschleusen. Alle hatten sich als Zivilisten verkleidet und trugen unter ihrer Kleidung kleine handliche Waffen. Nur Schrank ging unbekümmert einfach eine Runde durch die Station, was er fast jeden Tag getan hatte, seitdem der Anschlag auf den Inquisitor stattfand. Mein Ziel war die Verwaltung, die ich auf direktem Weg ansteuerte. Als wir den zentralen Plaza überquerten, sah ich, wie man das ganze Atrium in eine große Kirche verwandelte. An Aushängen las ich „Trauerfeier für die Angehörigen des Anschlags zum Synchronisationssignal 2523.32 – Alle Bewohner der Victoria sind eingeladen!“ Den Rest sparte ich mir. Das Synchronisationssignal für 2523.32 musste eigentlich bald eintreffen. War nur gut, dass endlich jemand mit Verstand Aufräumarbeiten befohlen hatte. Vor sich hin verrottende Leichen waren, auch im 26. Jahrhundert, ein Seuchenherd.
Ich erreichte recht zügig die Zentrale der Administration. Hier saß mein Bruder am Schreibtisch und las irgendwelche Berichte. Die meisten Stationsbediensteten warfen mir, wenn überhaupt, neugierige Blicke zu. Am Verhalten der Leute konnte ich erkennen, dass hier einige instruiert waren.
„Was kann ich für Sie tun, Mr. Havoc?“
„So begrüßt man nicht seinen Bruder.“ merkte ich an. Mein Tonfall war sehr ernst und ich hoffte meine Körpersprache zeigte, dass ich nicht gewillt war, jetzt nachzugeben.
Ich stand in der Mitte des Raumes. Die gesamte Raumdekoration war entfernt worden. Nur zwei schlichte Klappstühle vor dem Schreibtisch und ein Regal mit gebundenen Büchern waren im Raum verblieben. Der Schreibtisch, vormals üppig und mit Tausenden Kleinteilen bedeckt, ist einem schlichten Computerpodest gewichen. Die Kabel lagen offen im Raum und führten zu einer Dose in der Wand.
„Das sah hier mal hübscher aus.“ bemerkte ich noch.
„Wer sagt eigentlich, dass ich Ihr Bruder bin?“
„Der Name vielleicht?“
„Havocs gibt es viele.“ das stimmte zwar nicht, aber egal.
„Die Abstammung?“
„Ich kann mich nicht daran erinnern Sie bei irgendeiner Familienfeier gesehen zu haben.“
„Kunststück, ich durfte ja nicht mehr auf dem Mond einreisen. Ich habe mich aber trotzdem gemeldet.“
„So?“
„Sicher.“
„Nun, Ihrer Akte zur Folge sind Sie desertiert und zum Mars übergelaufen.“
„Ich wurde gefeuert und habe mich anwerben lassen, nachdem ich keine andere Wahl mehr hatte.“
Der Mann hinter dem Schreibtisch lehnte sich zurück.
„Was wollen Sie wirklich.“ sagte er dann.
„Sie sind tatsächlich nicht mein Bruder. Ich glaube zwar, dass er noch irgendwo in diesem verdammten Schädel steckt, aber Sie haben ihn übernommen, nicht wahr, Inquisitor Eredor?“
Die Tischplatte kam mir schneller entgegen, als ich geglaubt hatte. Nur meine überlegenen Instinkte und Fertigkeiten retteten mich davor, von ihr zerquetscht zu werden. Sie zertrümmerte die Eingangstür. Kurz danach waren viele neugierige Blicke (und wohl auch Ohren) auf die Türe gerichtet aber keiner traute sich, einzugreifen.
„Was maßen Sie sich an?“
„Ich verlange den Respekt, den ein älteres Familienmitglied, ein erst geborener Sohn der Familie, zu bekommen hat.“
„Sie sind kein Mitglied meiner Familie!“
„Möchtest Du eine DNA-Analyse?“ Diese Worte hörte garantiert jeder.
Der Cyborg zwang mich rückwärts durch die Verwaltung. Ich rechnete schon damit, dass er ohne weitere Umschweife auf mich losgehen würde.
„Sie sind unrein, kein Bestandteil der Mondgesellschaft, Sie haben kein Recht so etwas zu verlangen!“
Scharf zischte ich ihn an: „Doch das habe ich.“
Wir standen mitten im Besprechungsraum der Administration. Um uns herum viele neugierige Blicke, auch einige Soldaten vom Mond standen unschlüssig mit der Waffe im Anschlag vor den Türen.
„Ansonsten geht’s dir gut?“
Damit hatte ich alles auf eine Karte gesetzt. Ich hörte mein Herz aufgeregt schlagen. Die Zeit dehnte sich ins Unerträgliche, ohne dass sich etwas änderte. Die Körperhaltung meines Bruders wechselte vom überheblich und arrogant zu eingeschüchtert, fast jugendlich. „Marc? Was geht hier vor? Was ist das für eine Unordnung?“
Die Situation verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Jeder Anwesende bekam alles mit und das Raunen der Mitarbeiter hier zeigte sowohl Entsetzen als auch Neugier.
„Ich stelle gerade fest, dass du von Inquisitor Eredor besessen bist.“ sagte ich ruhig und laut.
Nur die Anwesenden Wächter von Eredor zeigten keine Regung. Sie tasteten allerdings bereits nach ihren Waffen, genauso wie die Leute von Marcus.
„Ich bin ...“ hielt mitten im Satz inne.
Dann brüllte er vor Schmerzen auf und fiel auf die Knie, mit beiden Händen hielt er sich den Kopf fest. Er zog etwas aus der Vorrichtung an seinem Kopf. Der Gegenstand viel klirrend auf die Fliesen.
Alle Anwesenden hielten den Atem an. Mein Bruder, beziehungsweise das Wesen, dass mal mein Bruder gewesen war, fing schallend an zu lachen. Man sah das Grauen der Stationsbediensteten. Die Begleiter Eredors blickten ihn mit Ehrfurcht und Verzückung an. Er legte ein dünnes, fast süffisantes Lächeln an den Tag, als wer wieder sprach.
„Mr. Havoc. Sie haben mir genug Schaden angerichtet. Verlassen Sie diese Station sofort!“
Ich wollte etwas entgegnen. Eredor knickte den Kopf nach links und rechts, ließ die Schultern kreisen und wollte etwas sagen. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf den Bereich hinter Eredor. Jemand stand in voller Uniform vor der zerstörten Bürotür und stützte sich auf eine Krücke.
„Mr. Eredor, Sie werden die Station verlassen, nicht die Gefräßiger Wolf.“
„Ich bin ...“ der Angesprochene verstummte und erhob sich. Marcus stand vor der zerschmetterten Tür seines ehemaligen Büros.
„Die Show hier ist nicht unbemerkt geblieben. Sie haben Ihre Kompetenzen bei weitem übertreten und jetzt verlassen Sie die Station.“
„Sie haben kein Recht ...“
„Doch das habe ich.“
„Aber ...“
Marcus wurde energischer. „Sie können jetzt gehen, oder ich schicke Sie in Einzelteilen zurück zum Mond. Das hier war eine verdammt gute Raumstation und das, was Sie zurückgelassen haben, sind Trümmer.“
Eredor erhob sich im Körper meines Bruders.
„Ich verlange, den Verbleib von Sesak Sasmak aufzuklären. Erst dann werde ich die Station verlassen. Dies ist mein Recht als Ermittler und Inquisitor ersten Ranges!“
Marcus knurrte hinter ihm. „Sie sind von jetzt an ein Zivilist an Bord. Sie können Ihre eigenen Leute einsetzen, wie sie wollen, aber nicht mehr meine. Und sollte einer von Ihren Leuten auch nur einen einzigen Bewohner der Station auch nur verletzen, stehen Sie vor einem Militärgericht.“
„Was wollen Sie mir denn anlasten?“
„Den Mord an Johan Havoc.“
„Oh, der ist hier.“ sagte Eredor leichthin. Er hob den Gegenstand auf, den er aus dem Kopf gezogen hatte, und warf ihn Marcus zu.
Mit energischen Schritten marschierte Eredor durch das Eingangsportal. Er schmiss die Tür hinter sich zu, die einer seiner Leute gerade noch mit dem Arm abfangen konnte. Sie zerschellte an dem gerüsteten Mann. Glassplitter verteilten sich im Eingangsbereich. Die restlichen Männer Eredors folgten ihm im Laufschritt. Niemand machte Anstalten, den Trupp aufzuhalten.
„Ich beantrage hiermit offiziell die Unterstützung durch die Gefräßiger Wolf bei der Suche nach Sesak Sasmak. Wir müssen die Station wieder in einen brauchbaren Zustand zurückversetzen und wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können. Meines Wissens haben Sie einen schlagkräftigen Trupp Marines in Ihren Reihen?“
„Jawohl, Colonel, eh, Captain.“
„Wir werden Sie angemessen für Ihren Aufwand entschädigen.“
Er räusperte sich.
„Ich setze hiermit die Weisungen von Inquisitor Eredor außer Kraft, da bereits 2523.30 kurz nach Eintreffen des Inquisitors die Rücknahme der Anordnungen erfolgte. Alle Zivilisten können ab sofort wieder in ihre Quartiere und ihre Geschäfte öffnen. Die Erdregierung vertreten durch diese Station kommt für die entstandenen Schäden an der Einrichtung und den Waren auf.“
Er sah mich mitleidig an.
„Trotzdem bleibt der Raumhafen geschlossen, bis alle Schiffe untersucht wurden.“
[2523.32] – 11 – Sesak Sasmak
Ich musste zwei Dinge tun, die ich bis aufs Blut hasste.
Das eine war die große Trauerfeier, die man anberaumt hatte, um der Opfer von Eredors Verhaltensweise zu gedenken. Auf dem Plan stand eine große Kundgebung und dann wurde den Toten je nach Verfügung entweder eine Heimfahrt oder ein Weltraumbegräbnis beschert. Das bedeutete, dass ich auf der Veranstaltung herumlaufen musste, und zwar in feiner Ausgehuniform zusammen mit einer kleinen Ehrengarde und ein paar Vertretern. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, wen ich damit bestrafen sollte. Laut Protokoll musste ich ein paar höhere Offiziere bei mir haben. Das war noch nicht das Schlimmste.
Während ich so tun musste, als vergnüge ich mich auf den Veranstaltungen, würden ein paar Trupps meiner Leute in voller Bewaffnung die Station umgraben. Nicht den offiziellen Teil, der gut mit Sensoren überwacht war, es waren die Katakomben und stillgelegten Bereiche, die untersucht werden mussten. Irgendwo dort musste Sesak Sasmak sein, soviel war uns allen klar. Und es war allen klar, dass er nicht einfach kampflos aufgeben würde.
„J+B?“
Die beiden angesprochenen beendeten ihre Tätigkeit und salutierten.
„Sir, was können wir für Sie tun?“
„Ich brauche ein wenig Verkabelung. Während Sie mit den Marines durch die Gänge schleichen, würde ich gerne darüber informiert werden, was da unten abgeht.“
Bastian fragte: „Kleiner Knopf im Ohr reicht?“
Jakob legte mir gleich das Gerät an.
„Eigentlich wollte ich noch duschen.“
„In kompletter Ausgehuniform?“
„Ich kann es ja mal behaupten.“
Bastian war um eine Ecke verschwunden.
„Test, eins, zwei, drei ...“ dröhnte es mir in ein Ohr, ich zuckte krampfhaft zusammen.
„Sorry Boss, der war was laut. Hier ist die Kontrolle.“
Jakob drückte mir ein kleines Kontrollgerät in die Hand.
„Der große Knopf aktiviert das Mikrofon in dem Gerät. Die beiden Knöpfe daneben sind zur Lautstärkeregelung und mit dem 4. Knopf kann man durch die Truppenfrequenzen schalten. „Wir haben schon alles vorbereitet.“
„Gut gemacht. Muss ich sonst noch etwas wissen?“
„Wir haben bereits alles soweit eingeteilt. Fünfzig unserer Soldaten werden mit uns da unten unterwegs sein. Wir werden Bereich für Bereich durchgehen und dort kleine Überwachungsgeräte positionieren, die uns mitteilen, wenn jemand oder etwas durch die Gänge schleicht. Die Trupps werden in Gruppen zu zehnt unterwegs sein.“
Abermals nickte ich nur.
Bastian kam wieder um die Ecke und beide sahen mich erwartungsvoll an.
„Das ist alles?“
Jakob und Bastian salutierten. „Alles ist einsatzbereit, Colonel. Wir starten parallel mit Ihnen.
„Ich brauche noch zwei davon.“ ich hob das Gerät hoch.
„Wird gemacht. Für wen?“
„Gina und McGrown.“
„Was willst du mit denen?“
„Sie dürfen sich mit mir langweilen. Außerdem könnte ein solcher Anlass durchaus die dunklen Gestalten hervor locken, die ihr eigentlich in den dunklen Ecken suchen sollt.“
Ich bedankte mich noch und war dann auch schon unterwegs. Die Fleischer-Brüder hatten die Situation im Griff und würden das Kind schon schaukeln, hoffte ich.
Wie erwartet waren McGrown und Gina nicht im Geringsten begeistert davon, mich auf die Veranstaltung begleiten zu dürfen, aber ich hatte keine Gnade. Außerdem sahen beide in Gala-Uniform wirklich gut aus. Ich verkabelte beide und wir nahmen für uns einen eigenen Kommunikationskanal. Wir rückten gemeinsam mit den Fleischer-Brüdern aus.
Wir erreichten pünktlich den offiziellen Empfang auf dem zentralen Plaza, der speziell für dieses Ereignis hergerichtet war. Energiebarrieren trennten einen großen Bereich auf dem Platz und vor den Panoramafenstern ab. Es war ein blickdichtes Feld, das wie ein schwarzer Vorhang wirkte. Überall standen Zivilisten sowie Militärpersonal in Ausgehuniform in kleinen Gruppen herum. Hin und wieder wurde gelacht, geschimpft und es flossen Tränen.
„Trupp A hier, betreten jetzt G-Werft 1!“ meldete sich eine Stimme in meinem Knopfloch.
„Trupp C hier, Betreten jetzt G-Werft 3, hatten leichte Probleme mit den Öffnungsmechanismen. Sind jetzt in der G-Werft.“
„Trupp A: Bestätigt, Trupp C: Bestätigt. Melden Sie alle ungewöhnlichen Vorkommnisse!“
Wir begaben uns zu Marcus und seinem Führungstrupp.
„Ah, Marc, schön das ihr gekommen seid.“
Ich grüßte ihn zurück und stelle Gina und McGrown vor.
„Es geht gleich los. Ich bin dann mal zum Podium unterwegs, am Besten ihr stellt euch schon mal in der Nähe des Aussichtsfensters auf, dort dürftet ihr einen guten Blick haben. Wir haben hier diesmal auf formale Plätze verzichtet.“
„Auf formale Plätze verzichtet?“ fragte ich nach.
„Ja, wir wollten, dass die Soldaten und ihre Familienangehörigen diesmal zusammen bleiben sollten. Bis auf die Ehrengarde gibt es dementsprechend erst einmal keine festgelegten Plätze.“
„Klingt vernünftig.“
„Es ist notwendig. Eredor hat knapp vierhundert Leben auf dem Gewissen. Davon zweihundertsiebzig Soldaten und der Rest waren Zivilisten, die seine Leute aus irgendwelchen Gründen getötet haben. Unter anderem gab es viele Hinrichtungen aufgrund Befehlsverweigerung oder Nachlässigkeiten. Das hat dann innerhalb von zwei Tagen dafür gesorgt, dass sich keiner mehr um etwas kümmerte. Stattdessen wurde nur noch streng nach Vorschrift exakt das getan, was er oder sie zu tun hatte und alles andere war egal.“
„Klingt unangenehm.“
„Du hast gesehen, wie die Station drei Tage nach dem Attentat aussah?“
„Ja habe ich.“
„Ich hab's Gott sei Dank nicht mit ansehen müssen.“
„Reden wir nachher weiter? Ich muss los.“
„Stimmt, bis später.“
Fasziniert beobachtete ich, wie sich ein glühendes Muster um Marcus gezaubert wurde, als er den Vorhang berührte. Er schritt durch eine Wand aus nichts und war verschwunden. Ein kleines Nachglühen verriet noch kurze Zeit, dass er gerade dort gewesen war.
„Trupp A hier. Hier ist nichts außer Zentimeter hohem Staub und Dreck. Hier war außer uns seit Jahren keiner mehr. Wir haben Sensoren eingerichtet und sind jetzt unterwegs in Richtung Versorgungssystem Sektion C.“
„Bestätigt Trupp A.“
Der Energievorhang fiel. In der Mitte des Plazas standen 200 Särge säuberlich aufgereiht. Alle waren mit der Flagge der Erdregierung bedeckt. Achthundert Soldaten standen in zwei Reihen Spalier und umschlossen die Särge. Jeder Sarg bestand aus einem silbernen, trapezförmigen Korpus, auf dem ein leicht abgerundeter Deckel lag. Tragegriffe waren an den Ecken der Särge angebracht. An jedem der Griffe stand ein Soldat in voller Galauniform. Das Bild wirkte, alle waren sofort verstummt. Irgendwo kreischte jemand. Leise hörte ich, wie sich jemand lautstark übergeben musste.
Marcus begann seine Trauerrede.
„Trupp B hier, haben Abschnitt A des Versorgungssystems erreicht.“
„Bestätigt B.“
„Trupp D hier, betreten Versorgung B.“
„Bestätigt D.“
„Guten Tag, werte Trauernde!“ begann Marcus.
„Wir haben uns heute hier versammelt um Abschied zu nehmen von viel zu vielen treuen und vertrauten Kameraden.“
Irgendwo begann jemand laut zu schluchzen.
„Der Schock sitzt immer noch tief und in vielen von uns schlummert tief die Frage: warum?“
Marc machte eine Kunstpause.
„Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht beantworten. Ich kann Ihnen allerdings versichern, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um die Ereignisse und Vorkommnisse in dieser dunklen Zeit aufzudecken. Die Schuldigen werden zur Rechenschaft gezogen.“
Ein Räuspern ging durch das Publikum.
„Wir haben durch die Ereignisse von 2523.30 viele Freunde, Familienmitglieder und Verwandte verloren.“
„Trupp C hier, wir haben ein Skelett gefunden. Scheint von einer Art Tier zu sein. Wir schicken die Sensordaten zum Wolf.“
„Bestätigt C, sein Sie vorsichtig, es könnten Ratten irgendwo sein.“
„Bestätigt Wolf.“
„Trupp E hier, Betreten jetzt Wartungsbereich A, man ist das ein Chaos hier.“
„Trupp E: Bitte beschreiben Sie, was Sie sehen.“
„Irgendjemand hat hier Müll eingelagert. Jede Menge Plastiktüten, Konserven und Ähnliches. Einige der Tüten wurden zerrissen und der Inhalt liegt hier quer durch die Korridore verteilt.“
„Bestätigt, sein Sie vorsichtig.“
„Trupp C noch mal.“
„Ja?“
„G-Werft 3 vollständig durchsucht, wir begeben uns zum Durchgang zum Unterdeck.“
„Bestätigt C.“
Marcus beendete derweil seine Trauerrede, von der ich nicht mehr viel mitbekommen hatte, weil ich durch die Meldungen der Trupps abgelenkt war.
„Ich möchte nun zum Ende kommen und verlese die Namen derjenigen, die mit dem nächsten Transportschiff die Rückkehr zur Erde antreten werden.“
„Trupp C hier, sind im Unterdeck angekommen“
„Wie sieht's aus?“
„Hier müssen einige Leute durchgekommen sein. Hier liegen einige weggeworfene Gegenstände im Korridor.“
„Machen Sie weiter wie geplant.“
„Zu Befehl!“
Die verlesene Liste an Gefallenen ignorierte ich einfach. Die Gespräche über Komm waren wesentlich interessanter. Ein Blick auf McGrown und Gina reichte mir, um zu sehen, dass die beiden ebenfalls dem Ganzen nicht folgten, sondern auf die Gespräche im Komm achteten.
„E hier, hier quiekt irgendwas.“
„Seien Sie unbedingt vorsichtig, E!“
„Sind wir ...“
In dem Moment hörte man über Komm Schüsse und wüste Schreie.
„Scheiße sind das viele!“
Noch mehr Schüsse.
„Granate!“
Schüsse und die Explosion einer kleinen Granate.
„Meldung E? Was geht bei euch vor?“
„Ratten!“
Weitere Schüsse knallten. McGrown sah mich fragend und besorgt an.
Ich flüsterte: „Es gibt zwei Sorten von Ratten. Die, die auf den Planeten leben, sind relativ kleine Nagetiere. Vierbeinig, Fell, kahler Schwanz, Allesfresser. Sie sind da nicht aggressiv, sondern eher ängstlich.“
„Und auf Raumstationen?“
„Da gibt es keine klassischen Ratten, sondern eine Abart, die sich aus genetisch mutierten Ratten entwickelte. Perfekt an die Schwerelosigkeit und an hohe Strahlung angepasst, sechs Beine, kein Fell und überaus aggressiv. Außerdem so hoch.“
Ich deutete auf die Mitte meines Oberschenkels. McGrown schluckte sichtlich. Vor meinem inneren Auge sah ich eines der Biester. Das einzige, das ich je in meinem Leben aus der Nähe gesehen hatte. Eine lederartige, feste Haut bedeckte den ganzen Körper. An den Gelenken sprossen Knochendornen hervor. Der Schädel war der einer Ratte. Der Schwanz auch. Die beiden hinteren Beinpaare waren muskulös und hatten mehrere Gelenke. Das vordere Beinpaar war verkümmert und hatte Greifklauen entwickelt. Alle Beine endeten in rasiermesserscharfen Klauen, die einen Menschen im Nu filetieren konnten. Das Biest war mir auf einem Wartungsgang durch die Geifernde Furie begegnet. Sie hatten sich in einer Biokuppel eingenistet. Gestriggt hatte damals den Bereich einfach abdichten lassen, in der Hoffnung, die Biester würden dort alles kahl fressen und dann eingehen. Die Biokuppeln waren bis zuletzt noch aktiv und produzierten Sauerstoff.
„Ok, sie sind weg ... oder tot.“
„Verletzte?“
„Negativ, wir sind alle wohlauf. Ein Gewehr wurde von einer Ratte durchgebissen an so ...“
Stille.
„Ach du scheiße, hier liegt jemand!“
„Bitte wiederholen!“
„Hier liegt jemand!“
„Können Sie genauer werden?“
„Männlich, er wurde von den Ratten angefressen. Ich tippe auf einen der Begleiter des Inquisitors.“
„Scannen Sie ihn bitte.“
„Schon erledigt.“
„Der Computer sagt, dass er noch nicht lange dort sein kann.“
„Hätte ich Ihnen auch sagen können.“
„Sonst noch etwas?“
„Die Spuren führen zu einem Durchgang zum Unterdeck.“
„Stellen Sie Sensoren auf und folgen Sie den Spuren.“
„Brand meinte gerade, der Mondmensch wurde wohl umgebracht.“
„Wie meinen?“
„Brand hier. Dem Soldaten steckt ein Messer im Genick.“
„Warum sagen Sie das nicht gleich?“
„Hab ich auch gerade erst gesehen. Die Leiche ist übel zugerichtet worden. Ich stelle eine Markierung auf.“
„Bestätigt. Machen Sie weiter.“
„Trupp C hier, wir haben gerade Eredor mit drei Begleitern getroffen. Wir wurden aufgefordert, ihn zu begleiten.“
„Gehen Sie mit, C, aber ...“
„Wir sind vorsichtig, keine Sorge.“
Die Namensliste erreichte ihr Ende. McLayred nahm einen großen Schluck aus einem bereitgestellten Wasserglas. Die versammelten Menschen fingen an, sich nervös anzusehen und zu tuscheln. Alles verstummte, als er weitersprach. „Ehrenbezeugung!“
Die Soldaten im Spalier nahmen Haltung an.
„Bringen Sie sie heim!“
An jeden Sarg postierten sich vier Soldaten und trugen diese in stiller Prozession aus dem Raum. Einer nach dem Anderen wurde herausgetragen, immer abwechseln die Linke und die rechte Seite.
„Trupp A hier. Erreichen gerade das Unterdeck, bis jetzt nichts Neues.“
„Trupp D: Sind auch im Unterdeck, nichts Ungewöhnliches gefunden.“
„Trupp E hier: Wir sind gerade auf so etwas wie ein Flüchtlingslager gestoßen. Hier sitzen einige Familien mit Kindern herum.“
„Sagen Sie ihnen, dass sie zurück in ihre Wohnungen kommen. Finden Sie bitte auch heraus, warum sie dort unten sind.“
„Kamazin hier, einer der Flüchtlinge sagte, dass die meisten vom gajanischen Stamm abstammen und Angst vor dem Inquisitor hätten. Sie beklagen Leute, die hier unten verschwunden sind.“
„Sind sie bewaffnet?“
„Ein paar haben Dienstwaffen, die meisten sind aber, wie gesagt, Zivilisten.“
„Bringen Sie die Leute zum nächsten Aufgang. Wir verständigen die Stationssicherheit, die die Leute empfangen und sicher nach Hause bringen sollen.“
„Bestätigt.“
„AAARGH, Bleiben Sie Weg von mir Sie Mon...“ der Schrei wurde abrupt beendet.
„Wer war das?“ Der Mann, der an der Funkkontrolle saß wirkte sehr nervös. Nach kurzem Durchrufen stand fest, dass ein Soldat aus Trupp C fehlte.
„C Hier. Haben gerade einen großen Raum betreten, der offenbar für irgendwelche Veranstaltungen benutzt wurde. Hier stehen mehrere Tische aufrecht herum, an die Tische sind mehrere Personen regelrecht genagelt worden, oh mein Gott, sehen Sie das?“
„C, wir können hier gar nichts sehen, beschreiben Sie es.“
„Die Personen wurden regelrecht abgeschlachtet. Körperteile ausgerissen, Kleidung zerfetzt, ich kann kaum erkennen, wer männlich oder weiblich war.“
„Kommen Sie kurz her ich hab hier was!“ hörte ich Eredor rufen.
„Jakobsen hier. Übermittle die ... Hey, lassen Sie das!“
„Sie tun hier gar nichts!“
Die Frequenz war schlagartig tot. Keiner aus Trupp C reagierte auf Anfragen. Ich befürchtete, wie sich später herausstellte zurecht, dass gerade ein Trupp meiner Marines in Sekundenschnelle abgeschlachtet worden . Sasmak konnte man das nicht in die Schuhe schieben. Dafür ging das zu schnell. Die Stille im Saal sorgte dafür, dass ich nicht eingreifen oder überhaupt eine Warnung aussprechen konnte. Gina war schlagartig aschfahl geworden. McGrown reichte ihr ein Glas Wasser.
„Zentrale hier. Erreicht irgendjemand Trupp C?“
Die Sargprozession erreichte den Ausgang. Wenige Minuten Später standen die Soldaten wieder in der großen Halle. Die Trauernden versammelten sich jetzt auf der freien Fläche und sahen alle erwartungsvoll zum Podium. Dort wurde jetzt das große Panoramafenster auf durchsichtig geschaltet. In weiter Entfernung sah man die Sonne als hellsten Himmelskörper. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass gerade sehr viele Positionierungsantriebe liefen, die die Rotationsgeschwindigkeit soweit abdrosselten, dass man diesen Anblick noch eine ganze Weile genießen konnte.
„Lasst uns gemeinsam von unseren Freunden Abschied nehmen, die von hieraus ihre letzte Reise antreten.“
Marcus verlas langsam eine weitere Liste von Namen. Für jeden Namen wurde ein Objekt in den Weltraum geschossen. Für den maximalen Effekt war jeder Sarg in eine Art Energiefeld gehüllt worden, dass lange genug bestehen blieb, um eine lange sichtbare Kette zu bilden. An einer Perlenschnur aufgereiht bewegten sich die Kisten in Richtung Sonne. Mein Team hörte überhaupt nicht mehr weiter zu, wir lauschten den Vorgängen bei unseren Marines.
„A hier. Sind jetzt im Unterdeck. Keine besonderen Vorkommnisse.“
„B hier. Betreten gerade das Unterdeck. Wir haben hier einige Rattenkadaver gefunden. Sieht so aus, als hätte jemand den Viechern der Reihe nach das Genick gebrochen.“
„D hier, wir sind jetzt an der letzten bekannten Position von Trupp C! Wir könnten hier Unterstützung gebrauchen, bleiben in Position.“
„B an D, wir sind auf dem Weg!“
„D noch mal. Habe gerade den Kopf von Corporal Jakobsen gefunden. Er wurde wohl abgerissen!“
Mir krampfte sich etwas in der Magengegend zusammen.
„E hier, wir sind auch gleich da.“
„A hier, wir stoßen in Ihre Richtung vor!“
Nachdem der letzte Sarg auf Reisen ging, wurde noch ein offizielles Gebet gesprochen. Ich hörte noch immer nicht zu, sondern lauschte dem Funkverkehr. Wir befanden uns bereits seit drei Stunden auf dem Plaza . Während des Gebets tauchten auch schon einige Leute mit kleinen Wagen auf. Kellner verteilten Erfrischungen und kleine Häppchen.
Ich nahm ein Glas Wasser und etwas, das wie ein Wurstbrot aussah. Gina und McGrown standen mir gegenüber. McGrown wollte gerade nach der Waffe greifen, als jemand hinter mir stand und flüsterte: „Ich war's nicht!“
Das hätte mich jetzt fast umgehauen. Der Fremde war sofort wieder in der Menge untergetaucht.
„Sasmak?“ fragte ich.
Gina nickte.
„Was hat er gesagt?“
„Er war's nicht.“
„Hey ihr, ihr seht aus, als hättet ihr gerade einen Geist gesehen. Was ist los?“ Marcus versuchte, etwas lockerer zu klingen.
„Alles überstanden?“
„Ja, ich denke schon. Ich wünsche niemandem, so etwas machen zu müssen.“
Ich klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte: „Sasmak war hier. Und wir haben einen unserer Trupps verloren.“
„Autsch ...“
„Sasmak war hier und hat einen Eurer Trupps ausgelöscht? Wie hat der das hin bekommen?“
„Er war es wohl nicht.“
„Wer dann?“
„Ich habe eine Vermutung.“
„Ich brauche Beweise.“
„Suchen wir danach.“
„Wo?“
„Das Loch.“
„Gut, gebt mir ein paar Minuten, dann gehen wir.“
„Trupp A hier, Eredor wird gerade zur Krankenstation gebracht, wir sind ihm gerade begegnet. Die Aussage seiner Leute war, dass Sasmak angegriffen hätte und sie nur mit Mühe davon gekommen sind.“
„Trupp A hier Wolf: Wo sind sie?“
„Laut Karte genau gegenüber Trupp D, sind gleich an der Position.“
Zum ersten Mal mischte ich mich in den laufenden Gang ein. „Trupp A: Folgen Sie sofort dem Inquisitor und passen Sie auf! Ist ein Trupp in der Nähe?“
„Trupp E, wir erreichen gleich die Position von Trupp A.“
„Gehen Sie gemeinsam vor und verhaften Sie Eredor!“
„Wieso?“
„Angriff auf den C-Trupp. Sasmak stand gerade vor meiner Nase, als C ausgelöscht wurde!“
„Autsch, sind auf dem Weg.“
Als Marcus mit einem kleinen Trupp seiner Leute zu uns stieß, waren wir auch auf dem Weg.
„Trupp B: Sind an der letzten Position von Trupp C angekommen. Das müssen Sie sich ansehen, Colonel!
„Wir sind bereits auf dem Weg.“
„Trupp A hier, wir vereinen uns gerade mit Trupp D.“
„Gut, bis Sie sich Trennen melden Sie sich mit AD!“
„Bestätigt, Rufzeichen AD.“
Wir trabten geschlossen zum nächsten Abgang Richtung Unterdeck. Es war eine der offiziell-inoffiziellen Treppen, die man gebaut hatte, um den Bereich leichter zugänglich zu machen.
Marcus' Soldaten entfernten Versiegelungsplatten. Dahinter war wieder eine Menge Müll versteckt worden, der wohl von Ratten zerpflückt worden war.
Er aktivierte etwas an einer Wandkonsole und in den Gängen flackerten reihenweise Neonröhren auf, die ein schwaches, unnatürliches Licht verbreiteten.
Das hier waren die Gänge, die wir damals zu der Diskothek genommen hatten. Mit etwas Phantasie konnte man sich ausmalen, dass hinter den grob zusammen gezimmerten Platten Geschäfte und Bars lagen, die man offiziell nie auf der Station hatte.
Wir betraten das Loch durch den offiziellen Eingang. Er war mit erheblicher Krafteinwirkung aufgebrochen worden. An den Rändern des Durchgangs war getrocknetes Blut zu sehen. Die Treppe nach unten sah noch recht normal aus, auch wenn die offizielle, kahle Beleuchtung im krassen Gegensatz zu dem schummrig dunklen Treppen stand, die ich in Erinnerung hatte.
Auf der oberen Etage angekommen sah man zwar noch Reste von Bars und anderen Einrichtungen aber es war alles, was nicht niet- und nagelfest war, entfernt worden. Außerdem standen ein paar Tische herum. Die Theken waren noch an Ort und Stelle. Es sah alles so aus als wäre das hier vor langer Zeit mal ein Partyraum gewesen, aber es deutete nichts darauf hin, dass vor Kurzem noch Partys abgehalten worden waren. Wir beugten uns über die Brüstung, Marcus war irgendwo hinter einer der Theken verschwunden. Kurze Zeit später sprang die Hauptbeleuchtung an.
An den vier Hauptsäulen im Raum waren jeweils zwei Tische hochkant angelehnt. Auf jedem der Tische lag eine Person, die darauf festgezurrt war. Die Körper waren bestialisch zugerichtet.
„B hier, wir sind in einem Lager angekommen. Jemand hat hier die Kisten umgebaut und einen großen ...“
„B, bitte kommen!“
„Havoc? Hier liegen haufenweise brutal zugerichtete Leichen!“
Ich sah Marcus an, der gerade wieder zu mir aufgeschlossen hatte.
„Was für ein Monster!“
„Und wir haben noch keine Beweise gefunden.“
„E hier, wir haben Trupp C, zumindest einen Teil davon gefunden. Hier liegen auch ein paar Soldaten vom Mond herum.“
„E irgendwelche Anzeichen dafür, was passiert ist?“
„Sieht so aus, als seien sie aufeinander losgegangen.“
„Was soll das heißen, haben einfach fest gemacht?“ brüllte neben mir Marcus plötzlich. Er hatte eine eigene Komm-Einheit und wirkte entsetzt.
„Das Schiff sofort sichern!“ befahl er noch.
„Ich muss rauf, die Leute vom Inquisitor fangen gerade an, verrückt zu spielen, ich muss etwas dagegen unternehmen.“
„Mach das, ich denke wir kommen hier klar.“
„AD hier, keine Spur von Eredor! Wir sind im Raumhafen gelandet. Sollen wir weiter machen?“
„Negativ. Kommen Sie zurück, halten Sie aber die Augen offen!“
Gina schien das Ganze mit Fassung zu tragen. Leise gab ich ihr Anweisungen: „Geh sofort zum Schiff und lass es startklar machen. Volle Kampfbereitschaft! Ich habe ein ungutes Gefühl.“
„Wird erledigt.“
Im gleichen Moment war sie verschwunden. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Gestalt in einem der Toilettenräume verschwinden. McGrown war direkt an meiner Seite. Mit gezogener Waffe in der Hand betrat ich den Raum. Mein Begleiter wollte noch etwas sagen aber dann war ich plötzlich allein im Raum und hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Es war stockfinster.
„Ich könnte Sie jetzt töten.“ Die Stimme gehörte eindeutig Sasmak. Ich bekam eine tierische Gänsehaut. Irgendwo tropfte ein Wasserhahn. Etwas plätscherte in einer Toilette. Es roch nach Urin und Desinfektionsmittel.
„Der Raum hier hat nur den einen Ausgang.“ Ich versuchte, zuversichtlich zu klingen.
„Glauben Sie wirklich?“
Ich spürte ihn hinter mir.
„Was wollen Sie?“
„Ich will Eredors Kopf und meine Ruhe.“
„Sonst noch was?“
„Nein.“
„Wie haben Sie es so schnell hier heruntergeschafft?“
„Es gibt mehr Wege hier herunter, als Sie kennen.“
„Glaube ich sofort. Was ist hier geschehen?“
„Eredor hatte seinen Spaß, was sonst?“
„Hat er das schon einmal gemacht?“
„Ja, auf einem kleinen Außenposten. Damals war ich seine rechte Hand.“
„Sie waren seine rechte Hand?“ Ich glaubte ihm nicht.
„Ja, das war ich. Irgendwann stellte ich fest, dass meine Handlungen kontrolliert wurden. Dadurch schaffte ich es, ihn zu stören, so dass er seine Kontrolle über mich verlor.“
„Was ist geschehen?“
„Ich kam zu mir, als ich gerade mit meinem nagelneuen kybernetischen Arm eine Frau ausweidete.“
„So wie die armen Leute da unten?“
„Ja. Seine Masche hat sich nicht geändert. Er hält dies für eine gerechte Strafe. Jeder bekommt die Strafe, die er verdient. Die Frau, die Spaß an Sex hatte, der Mann, der gerne und zu viel aß. Soll ich weiter machen?“
Mir schossen die Bilder eine Etage tiefer durch den Kopf. Eine Frau, ausgeweidet. Der Mann mit dem Metallgestell im Mund. Ich konnte mir den Rest denken. Die Bilder würden mich noch sehr lange verfolgen.
„Sie waren sein Werkzeug und haben sich von ihm lösen können. Deswegen jagt er Sie?“
„Nicht ganz. Ich habe danach Leute bezahlt, die mir Nanosysteme besorgten, mit denen ich die Manipulationen Eredors loswerden konnte. Erst als diese aktiv waren und er keine Kontrolle mehr hatte, wurde ich gejagt. Er schob mir seine Verbrechen in die Schuhe.“
„Warum erzählen Sie mir das?“
„Ich war der Prototyp, Ihr Bruder war mein Nachfolger.“
„Und weiter?“
„Ich möchte sicherstellen, dass Sie mich nicht jagen werden.“
„Sie sind ein gesuchter Verbrecher.“
„Ja, bin ich. Ich will einfach nur meine Ruhe. Und ich werde alles dafür tun, sie zu bekommen.“
„Das habe ich befürchtet.“
„Nicht so wichtig. An Bord ist noch jemand, der für Von der Brüh arbeitet.“
„Wer ist es?“
„Es gibt nicht viele, die ich erkennen könnte. Achten Sie auf ...“ er hielt inne, „Ach vergessen Sie es. Wir sehen uns wieder.“
Er war weg. Ich hörte ihn nicht mehr und ich nahm auch nichts mehr von ihm wahr. Vorsichtig suchte ich die Tür und schob den Riegel beiseite. McGrown sprang mir regelrecht ins Gesicht.
„Alles klar, Colonel?“
„Sicher, ich hatte gerade eine interessante Unterhaltung.“
„Kann ich mir vorstellen. Wir haben Beweise, dass Eredor der Täter war.“
„Sehr gut. Leiten Sie das an Marcus weiter, die Stationssicherheit soll hier übernehmen. Bringen Sie unsere Toten auf Schiff.“
„Wird erledigt, aber was ist mit Sasmak?“
„Wir haben gerade andere Probleme.“
Das schien McGrown zwar nicht so zu behagen, aber ich hatte in dem Fall keine Wahl. Mein Gefühl sagte mir, dass wir Sesak Sasmak erstmal nicht wieder zu Gesicht bekommen würden. Vorbei war diese Geschichte allerdings noch nicht.
Die erste Überraschung erwartete uns am Durchgang zur G-Werft 2: Er war verschlossen. Über Funk erreichte ich niemanden.
Aufklärung kam dann in Form von Schrank um die Ecke: „Die haben das Dock abgeriegelt und das Schiff liegt startklar auf Warteposition. Befehl von Miss Wemayr.“
„Sie hat das Kommando übernommen?“
„Ja. Sie sagte ich solle es ihnen sagen.“
„Hat sie sonst noch etwas gesagt?“
„Nein.“
Während die Marines es sich einigermaßen gemütlich machten, ging ich, mit Schrank im Schlepptau, zum offiziellen Teil des Raumhafens. Das Geräusch von Schüssen war aus unserem Ziel zu hören. Mit gezogener Waffe betraten wir den Bereich und versuchten, uns einen Überblick zu verschaffen.
Zum ersten Mal wurde mir die Größe der Panoramafenster bewusst. Das Schiff vom Mond ragte wie eine metallische Wand dahinter auf. Insgesamt 20 Soldaten vom Mond hatten ein Dock besetzt und sich verschanzt. Eredor rannte, seine verbliebenen Leute im Schlepptau, auf die Gruppe zu. Ich sah mehrere Soldaten der Victoria am Boden liegen.
In dem Moment, als ich mit Schrank die große Halle betrat, richteten sich einige Waffen auf meinen Begleiter, der ebenfalls los lief und feuerte. Eredor bekam ich nicht aufs Korn. Meine Hände zitterten, ich konnte nichts dagegen machen, ich sah in dem Mann immer noch auch meinen Bruder.
Es waren sechs Schüsse, die ich abgeben konnte, bevor mich die Mondsoldaten in Deckung zwangen. Einer davon traf jemanden aus Eredors Gefolge, einer streifte Eredor an der Schulter und der Rest ging irgendwo in die gepanzerten Wände. Schrank mähte sechs Gegner nieder, bevor er auch nur einmal getroffen wurde. Sie zerschossen ihm zwei Waffenarme und brachten ihn mit einem Beinschuss zum Fall. Er hatte Eredor ebenfalls im Visier gehabt, aber auch ihm gelang kein Treffer. Die Soldaten der Victoria rückten durch unsere Ablenkung gedeckt vor und erledigten weitere Gardisten aus Eredors Gefolge. Die Verbliebenen fünf kämpften weiter, als Eredor die Schleuse betrat und verschloss. Alle fünf starben.
Das Schiff versuchte, zu starten. Man hörte ein kräftiges Knirschen als das Schiff versuchte, sich mit den Steuerdüsen loszureißen. Die gepanzerten Fenster ermöglichten es, das Schiff zu beobachten. In einer entfernten Ecke tauchte dann das zweite Schiff Eredors auf. Ohne viel Aufhebens zu machen, schoss es auf die Station. Der Nuklearwaffenalarm bellte los und ich sah zu, dass ich die Halle verlies. Schrank hatte sein Bein notdürftig zusammengeflickt und schloss zu mir auf. Mit gewohnt monotoner Stimme sagte er, als er mich erreichte: „Jetzt werden sie wirklich mal aggressiv.“
Schrank führte uns zu einer Position, von der aus wir die Szenerie im Raumhafen beobachten konnten. Einige Schiffe konnten aufgrund der Sicherheitssysteme starten, darunter war auch das von Eredor. Es kreuzte die Bahn mit seinem Begleitschiff und ich wettete, dass es bereits auf Tarnung war. Das Begleitschiff blieb in Position und der Schiffskiller näherte sich weiter dem Dock.
Mehrere XF-2522 schossen auf den Schiffskiller zu. Aus den Augenwinkeln sah ich dann einen viel größeren Schatten auftauchen. Mein Schiff flog dem Gegner ebenfalls entgegen. Die Nahbereichsverteidigung der Station und die meines Schiffes nahmen jetzt den Schiffskiller unter Feuer.
Von den beiden Mondschiffen starteten ebenfalls zwölf Kampfjäger. In dem Moment lösten sich auch die Wolfsklauen aus dem Schatten der Gefräßiger Wolf. Ich konnte erkennen, dass Gina wohl die Bewaffnung nur zur Hälfte verwendete. Sie ließ die Mannschaften mit den Langreichweitenkanonen feuern setzte aber keine Schiffskiller ein.
Die Wolfsklauen und die Stationsjäger deckten die Kampfjäger des Mondes mit Sperrfeuer ein. Jede Klaue hatte nur zwei Lafetten mit Raketen und jede davon war nur mit zwei Raketen bestückt. Die Raketen wurden dementsprechend auch recht sparsam eingesetzt.
„Da sehe ich die Teile dann doch mal im Einsatz!“ sagte Marcus neben mir.
„Solltest du nicht woanders sein?“
„Ich hab dich auf einer der Überwachungsstationen gesehen. Komm mit.“
Wir folgten Marcus in die Kommandozentrale.
„Bei der Größe deiner Jäger hätte ich gedacht, dass die noch Schiffskiller und mehr Raketen tragen würden.“
Eine Aufstellung der Bewaffnung und der Tragfähigkeiten hätte er anfordern können, die Daten waren zwar geheim, aber es gab bestimmt mehr Informationen dazu.
„Und schön wendig die Biester.“
Der Kommentar bezog sich auf eine Situation, die wir auf dem großen Wandmonitor sehen konnten. Eine der Klauen zuckte dort regelrecht zwischen den einzelnen Salven ihres Verfolgers hindurch. Plötzlich flog sie rückwärts und war hinter dem Kampfjäger vom Mond. Auf dem Bildschirm sah er aus wie ein fliegender Zylinder mit ziemlich vielen Waffen und einem überdimensionierten Antrieb. Die perfekte Form, um in einem hübschen Feuerball zu zerplatzen.
„Was geht denn da ab?“ rief einer der Offiziere im Raum. Er schaltete das Bild auf die Gefräßiger Wolf.
Der Antrieb war aus, die Geschütze wurden eingefahren und nach und nach ging die Beleuchtung aus. Es dauerte etwa drei oder vier Sekunden, danach lösten sich zwei Schüsse aus der Primärbewaffnung.
Das Mondschiff hatte das ursprüngliche Manöver wohl falsch interpretiert, es ist vorher auf Abfangkurs gegangen und lag direkt im Feuerbereich der Primärbewaffnung. Das Ergebnis war absolut spektakulär. Beide Impulse trafen das Schiff frontal und die auftreffende Energie zerriss das Schiff der Länge nach.
Ich sollte vielleicht erwähnen, dass es nur in etwa ein Viertel der Größe von meinem Schiff hatte. Die Explosion brachte zuerst die ganze Mannschaft hier zum Schweigen und anschließend zum Jubeln. Natürlich hatte die Zerstörung des Mutterschiffes die Jäger vom Mond nicht demoralisiert und sie waren gewiss nicht geneigt aufzugeben. Sie wollten jetzt wohl mein Schiff mit in den Tod nehmen.
Anscheinend hatten die Mond-Kampfjäger keine Schiffskiller an Bord. Dafür waren sie verdammt zäh. Zwei Wolfsklauen wurden beschädigt, drei XF-2522 Jäger wurden zerstört, aber alle Kampfjäger vom Mond wurden vernichtet. Keiner hatte versucht zu fliehen oder sich zu ergeben.
Eredors Schiff war verschwunden.
Drei Tage später ließ ich die verabredete Durchsuchung der Gefräßiger Wolf durchführen. Die gute Caren Krieger hatte dafür gesorgt, dass die Wolfsklauen alle aussahen, als könnten sie wirklich nicht mehr Bewaffnung tragen , als sie bei ihrem Kampfeinsatz gezeigt hatten.
Markus leistete mir während der Durchsuchung in meinem Büro Gesellschaft.
„Und? Wie hat dir die Demonstration gefallen?“ fragte ich ihn, nachdem wir die Formalitäten geklärt hatten.
„Eure Primärbewaffnung ist beeindruckend. Ist nur nicht so schön, dass sie das Schiff mehrere Sekunden ohne Energie dastehen lässt.“
Ich brauchte ihm ja nicht zu sagen, dass wir das auch ohne Energieausfall auf Dauerfeuer durchhalten konnten.
„Die Wolfsklauen finde ich ehrlich gesagt weniger prickelnd. Sehr schnell und wendig aber kaum mehr Kapazität als unsere Dagger.“
„Dagger? Ist das der offizielle Codename für die Dinger?“
„Nicht wirklich. Wer hatte eigentlich das Kommando bei euch?“
„Gina Wemayr, sie hat im Moment auch Dienst auf der Brücke.“
„Ah, die. Geiles Fahrgestell.“
„Würde ich nicht in ihrer Nähe sagen.“
„Wieso?“
„Sie wird dich im Zweifelsfall dafür töten.“
Allein der Blick, den Marcus mir daraufhin zuwarf, war einen Monatssold wert.
„Was passiert jetzt?“ fragte ich dann.
„Wir haben heute Befehle bekommen, dass wir die G-Werften sowie ein paar stillgelegte Bereiche wieder in Betrieb nehmen dürfen. Außerdem sollen wir die Verbindung zur Bergbau- und Raffinerieanlage wieder öffnen.“
„Bergbau und Raffinerieanlage? Da ist mir wohl was entgangen.“
„Wir hatten vor ein paar Jahren die Verbindungen stillgelegt und dort eine kleine Militäreinrichtung betrieben. Außerdem hat die Raffinerie eine eigene Verladestation für Traktormodule.“
„War wohl nicht viel los in den letzten Jahren, wie?“
„Sparmaßnahmen.“
„Und jetzt wird aufgerüstet?“
„So zwangsweise. Außerdem bekomme ich einen Haufen neuer Männer. Eventuell winkt nächstes Jahr der Admiral.“
„Na, das freut mich aber zu hören. Hast ja schon nen Schreibtischjob.“
„Es geht so. Man gewöhnt sich dran, wie?“
„Was ist mit Sasmak?“ fragte ich dann.
„Wir gehen davon aus, dass er endgültig untergetaucht ist.“
„Die Untersuchung?“
„Wird weitergeführt, aber ich habe jetzt auch wieder die Männer dafür.“
„Irgendwie sehr unbefriedigend, besonders weil ich ein paar gute Männer verloren habe.“
„Ich weiß. Die Ereignisse haben dafür gesorgt, dass die Befehle, keine Schiffe fremder Regierungen mehr andocken zu lassen, aufgehoben wurden, falls das ein Trost für dich ist. Außerdem werden die Liegekosten nicht berechnet.“
„Na großartig. Soll ich das den Familien berichten?“
„Dir wird schon was einfallen. Wo geht’s hin?“
„Weiß ich noch nicht. Wir könnten bis 2523.34 auf dem Mars sein. Bis 2524.01 dann Landurlaub und Wartungsarbeiten für das Schiff und dann geht es wieder auf Tour.“
„Ist das sicher?“
„Nein, ich wette, ich bekomme neue Befehle, sobald wir abgelegt haben.“
[2523.33] – 12 – Begegnung
„Die gesamte Aktion hat uns außer einem Haufen toter Marines nichts eingebracht. Doch, wir bekommen keine Rechnung für unseren Aufenthalt, aber das ist ehrlich gesagt nicht wirklich befriedigend. Das Sasmak entkommen ist, setzt der Geschichte noch die Krone auf.“
„Marc! Beruhige dich. Eredor hat sich selbst überführt und Sasmak wurde somit erstmal als kleines Licht definiert, das noch eine Rechnung mit dem Inquisitor zu begleichen hat. Das Schöne an der Geschichte ist, dass, dank deines Eingriffes, das Erd-Militär in unserer Schuld steht, da sie es nicht auf die Reihe bekommen haben, eine eigene Untersuchung durchzuführen. Und das vereinbarte Stillschweigen über die Aktion ist zwar erstmal nicht so schön, aber wir müssen uns nicht zwingend daran halten, es war eine persönliche Bitte deines Freundes.“
„Hornfeld hat die Reaktoren extra auf niedriger Stufe laufen lassen, angeblich mit Absicht. Krieger ließ kurz vor dem Start die Schiffskiller, Halterungen und Raketen entfernen, damit die Klauen nicht so stark bewaffnet in Erscheinung treten.“
„Ist doch sehr löblich. Warum sagst du angeblich hat Hornfeld absichtlich die Reaktoren heruntergefahren? Das verstehe ich nicht. Du magst den Mann nicht.“
„Er ist mir seit meinem Dienstantritt suspekt. Krieger hat die Reaktoren überprüft und hochgefahren, nachdem beim Abschuss der Primärbewaffnung überall das Licht ausging. Das war eine saugefährliche Scheißaktion.“
„Wenn du das so sagst, aber ich sehe keinen offiziellen Tadel.“
„Und keine Belobigung. Wir haben so zwar die Stärke unseres Schiffes verschleiern können, aber hätten wir das feindliche Schiff nicht getroffen, wäre es extrem gefährlich geworden.“
„Da hast du recht. Es ist aber alles noch gut gegangen.“
„Soweit so gut. Was sagst du zu meinem Antrag?“
„Du willst 30 Tage Landurlaub auf dem Mars für die Besatzung zum Jahreswechsel?“
„Genau der.“
„Ich setze meinen Generalsstempel drunter, damit geht das durch. Will Krieger in der Zeit wirklich das halbe Schiff zerlegen und umbauen?“
„Ja, will sie.“
„Das klingt irgendwie nett.“
„Wie meinst du das?“
„Ich hab mir den Antrag auch durchgelesen und werde ihn unterstützen. Ich denke er wird durchgehen.“
„Das beantwortet jetzt nicht meine Frage, Skiry.“
„Stimmt. Ich wollte damit sagen, dass diese Modifikationen das Schiff um einiges kampfstärker machen, als es eigentlich sein sollte. Mit zwei Kampfstaffeln an Bord hast du damit einen Träger mit überschwerer Bewaffnung unter deinem Kommando.“
„Klingt gut.“
„Gefällt einigen Leuten überhaupt nicht. Ein leichter Träger mit etwas stärkerer Bewaffnung wurde bislang noch akzeptiert, aber jetzt wird das Schiff langsam gefährlich.“
„Langsam gefährlich?“
„Ok, es war immer schon gefährlich, aber die meisten können mit Begriffen, wie Primärbewaffnung, nichts anfangen.“
„Da hast du allerdings recht.“
„Eine Idee, was ich anstellen soll, um meine Kollegen zu beruhigen?“
„Besorg mir eine Ladung anständiger Piloten und vielleicht einen ersten Offizier, der halbwegs akzeptiert wird.“
„Daraus wird leider nichts.“
„Warum?“
„Weil ich nirgends eine anständige Staffel her bekomme. Außerdem kann das mit dem ersten Offizier genauso schwer werden.“
„Es gibt keine?“
„Keine Freiwilligen.“
„Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“
„Du könntest mal versuchen, Miriam etwas aufzumuntern. Sie kann Weihnachten nicht zur Flotte und hat wohl gerade erfahren, dass ihr alter Lieblingsprofessor im Gremium für die Artefaktstation sitzt.“
„Und das heißt?“
„Sie wird es dir selbst sagen.“
Ich schloss die Augen und holte tief Luft.
„Ok, womit soll ich sie denn aufmuntern können?“
„Du musst auf 571RB einen Untersuchungsbesuch machen.“
„Der Name klingt nicht gut.“
„Ich weiß.“
„Was hältst Du von ...“
„Sag nicht Stirb!“
„Hä?“
„Na gut, erzähl.“
„Wolfsnest.“
„Wir hatten den Namen als Kandidaten für eine Flottenbasis gewählt.“
„Es ist eine Flottenbasis.“
„Eigentlich hast du recht. Sogar eine richtig Große.“
„Ganz genau. Was sollen wir da?“
„Auf der Station spukt es angeblich und laut Varial gibt es wohl Signale aus dem Inneren des Planetoiden.“
„Und?“
„Signale, die Miriam interessieren könnten.“
„Ich ahne Fürchterliches.“
„Nimm Miriam in deine Crew auf.“
„Was?“
„Tu es einfach.“
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
„Tu es einfach.“
„Ist das ein Befehl?“
„Ich kann es dir nicht befehlen. Tu es einfach.“
„Du wiederholst dich. Mehrfach.“
„Genau. Tu es einfach.“
Ein auf meinem Bildschirm blinktesSignal zeigte mir, dass mich die Brücke rief. Etwas Dringendes.
„Pass auf, ich muss mich um mein Schiff kümmern. Vielleicht fällt uns ja bis zum Mars noch was ein.“
„Alles klar. Pass auf meine Kleine auf, ja?“
„Wer passt auf mich auf?“
Wir beendeten gleichzeitig die Verbindung.
Ich holte tief Luft, trank noch einen Schluck Kaffee und ging zur Brücke.
„Colonel auf der Brücke!“ Die Meldungen der wachhabenden Crew waren mir ein Rätsel. Mal wurde ich offiziell angekündigt, mal komplett ignoriert.
Gina drehte sich im Kommandostuhl zu mir um und nickte grüßend.
„Gut, was haben wir?“
Ein Mann an der Navigationskonsole sagte, ohne sich zu mir umzudrehen etwas, das ich nicht verstand.
„Versuchen Sie es mal deutlich!“ Ginas Reaktion zeigte mir, dass sich vielleicht etwas zu scharf im Tonfall war. Der Mann an der Konsole drehte sich zu mir um, und wiederholte, diesmal laut und deutlich, seine Worte.
„Wir haben ein schwaches Notsignal aufgefangen. Etwas stört ziemlich stark die Frequenzen, es liegt allerdings in der Nähe von Hygiea, der Bereich dürfte mittlerweile auf der uns abgewandten Seite liegen.“
„Hygiea?“
„Wollen Sie Details?“
„Nein, was macht der hier?“
„Ich würde sagen er fliegt auf seiner Bahn seine Kreise ziehen.“
„Wenn ich die Daten richtig im Kopf habe, müsste der Stein weiter draußen im All sein.“
„Moment.“
Manuel Lange, der aktuelle Navigationsoffizier vom Dienst, tippte etwas auf der Konsole ein. Ein paar Diagramme blinkten auf, die ich nicht erkennen konnte. Lange runzelte die Stirn und gab noch etwas ein und die Diagramme blinkten erneut.
„Sie haben recht, das ist merkwürdig.“
„Wir haben doch bereits auf dem Weg zur Thetis Herrn Ratzinger identifiziert. Er war auch nicht in der Nähe von dem Ort, an dem er sein müsste.“
„Sie haben recht.“
„Gut, lassen wir das. Finden wir heraus, was da vor sich geht. Setzen Sie Kurs auf das Notsignal.“
„Wir orten ein weiteres Schiff, das sich in Richtung des Signals bewegt.“
„Gehen Sie auf Gefechtsbereitschaft.“
„Für einen Notruf?“
„Ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache. Kampfjäger sollen startbereit sein, sobald wir in den Bereich einschwenken. Wie lange noch bis zur Ankunft?“
„Etwa vier Stunden. Wir müssen stark abbremsen, aber das sollte kein Problem sein. Die Jäger werden startklar sein.“
„Gut. Ich bin in meinem Raum.“
Ich verfasste auf dem Flug zu Hygiea einige Beileidsbekundungen. Ein ätzender Job, den ich gerne vor mir her schob. Aber diesmal lenkte es mich ganz gut ab, so dass ich nicht pausenlos an unseren bevorstehenden Besuch auf 517RB denken musste. Ich hoffte nur, dass ich nicht in Kürze eine ganze Reihe weiterer Briefe versenden musste. Irgendwann öffnete sich die Korridortür und jemand kam mit dampfendem, echten Kaffee herein. Ohne von den Briefen aufzublicken, bedankte ich mich. Ich hatte fast vergessen, dass da noch jemand im Raum war, als ich aufblickte und Miriam im Schneidersitz, auch konzentriert mit einem Datentablett hantierend, auf der Couch sitzen sah.
Die Briefe lagen im Postausgang und sollten dann zugestellt werden, wenn wir den Mars erreichten. Kurz danach würde es noch eine feierliche Beisetzung und hübsche Abfindungen für die Familien geben, wenn es denn welche gab.
„Was kann ich für dich tun?“
„Ich habe gerade mit meinem Vater gesprochen.“
„Und?“
„Das Komitee will mich nicht auf der Artefaktstation haben.“ Ihr dunkler, trockener Tonfall passte überhaupt nicht zu ihr. Ich stand auf und setzte mich neben sie auf die Couch und legte den Arm um ihre Schulter.
„So schlimm?“
„Ich hatte mal Zoff mit einem Prof an der Universität. Der hat sich wohl jetzt ins Gremium eingeklinkt und meine Stelle kurzerhand ersatzlos gestrichen.“
Sie rückte zu mir auf und ließ sich in den Arm nehmen. Sie zitterte und schluchzte leise. „Es ist schlimm.“ stellte ich fest.
„Ich bin gerade arbeitslos geworden.“
„Autsch.“ Meine Finger glitten zärtlich über ihre Schulter. „Kann ich was für dich tun?“
„Ich hab keine Ahnung. Ich will das Rätsel mit diesen Aliens knacken.“
„Vielleicht bist du hier an der richtigen Adresse.“
„Wie meinst du das?“ Ihre linke Hand rutschte auf meinen Oberschenkel und machte Anstalten weiter zu wandern. Ich hielt sie sanft aber bestimmt mit meiner freien Hand davon ab.
„Wir sind auf dem Weg nach 571RB. Man hat dort etwas geortet, dass dich interessieren könnte.“
Sie streckte die Beine aus und schob mich ein paar Zentimeter auf dem glatten Leder zur Seite.
„Was soll mich denn interessieren?“
„Dein Vater war nicht sehr detailreich in seinen Äußerungen. Er sagte nur, es würde dich interessieren.“
„Ach Daddy. Ich freu mich auf Weihnachten.“
„Er sagte, dass er dich nicht sehen wird.“ Sie sackte noch mehr zusammen. Meine Finger wanderten langsam in ihren Nacken und fingen wie von selbst an, ihr selbigen zu massieren.
„Warum?“
„Das hat er nicht gesagt. Ich vermute mal, er wird in der Flotte bleiben.“
„Und ich bin nicht rechtzeitig zurück, um abgeholt zu werden.“
Miriam entspannte sich etwasund schien es mit Fassung zu tragen. Ich hatte eigentlich gehofft, die Entscheidung noch etwas hinauszögern zu können, aber irgendwie konnte ich nicht anders.
„Willst du nicht auf meinem Schiff anheuern?“
„Als was?“
„Wissenschaftlerin im militärischen Dienst?“
„Also den Vertrag erneuern, den ich hatte?“
„Hast du nicht ohnehin mit dem Alienzeugs herumhantiert?“
„Ja. Aber die Artefakt-Station ist rein zivil. Das Militär ist nur zum Schutz da.“
„Deswegen wolltest du den Vertrag auslaufen lassen?“
„Genau. Aber wenn du dich ein wenig um mich kümmerst und einen Job für mich hast, ist das wohl besser, als arbeitslos zu Mama zurückzukommen.“
„Was hat dir mein Vater angedroht, damit du mir das Angebot machst? Will er Lydia aufs Schiff versetzen lassen?“
„Nein.“
„Wie dann?“
„Er sagte: Tu es einfach.“
„Das war‘s?“
„Vier Mal.“
„Die Bitte des alten Mannes konntest du nicht abschlagen, wie?“
Ich wollte sie vorsichtig wegschieben, allerdings in dem Moment, wo ich ihre Hand losließ, wanderte diese auf die Innenseite meines Oberschenkels. Miriam streckte die Beine noch weiter aus und schob mich gegen die Armlehne des Sofas.
„Na, ich wollte eigentlich aufstehen. Die Arbeit wartet.“
„Schade. Du könntest mich ruhig noch ein wenig trösten und ablenken.“
„Bei offener Tür?“
„Wieso ist die eigentlich offen?“
„Wenn jemand mit mir reden will, soll er oder sie reinkommen. Nur wenn es wirklich wichtig ist, schließe ich ab.“
Unsere beiden Augen wanderten zur Anzeige neben der Tür, die in sanftem Grün leuchtete. Miriam raffte sich sofort auf und löste sich von mir.
„Das hättest du mal früher sagen sollen.“
„Jetzt weißt du es.“
„Da hast du mal Glück gehabt, kleiner Colonel. Mir entkommst du, im Gegensatz zu Lydia, nicht.“
„Lydia hing wie eine Klette an mir. Was sollte ich machen?“
„Ihr das sagen?“
„Ich habe es ihr gesagt.“
„Wahrscheinlich nicht unsanft genug.“
„Ich fand sie ganz nett, aber sie hat da ein wenig viel hineininterpretiert, während meiner Rehaphase.“
„Sowas dachte ich mir schon. Sei bitte ehrlich zu mir, ja?“
„Ich werde es versuchen.“
„Wäre es dir lieber, wenn ich verschwinde?“
„Weißt du wie es ist, wenn dir die Vernunft raten will, genau das Gegenteil von dem zu tun, was du selbst willst?“
„Das kenne ich.“
„Und?“
„Ich erschieße dann meistens die Vernunft.“
„Bei Lydia war es genau umgekehrt. Die Vernunft sagte mir, ich sollte bei ihr bleiben. Mein Gefühl sagte mir, sieh zu, dass du Land gewinnst.“
„Das klingt schon eher nach dir.“
„Wie meinst du das?“
„Du weißt, was ich meine.“
„Hast recht.“
Ich rappelte mich auch vom Sofa auf und setzte mich hinter den Schreibtisch.
„Ich wäre dir in einem Punkt sehr verbunden.“ Meine Eröffnung warf tiefe Furchen in Miriams Gesicht.
„Der da wäre?“
„Ich würde gerne unser Miteinander auf freundschaftlicher Basis führen, aber ich glaube, für mehr wird kein Raum sein. Nicht auf diesem Schiff.“
„Ist das dein letztes Wort?“ Sie klang sichtlich enttäuscht.
Ich ging ein wenig in mich. Eigentlich hatte ich durchaus Lust, sie vor den nächsten Traualtar zu schleifen. Als ich Miriam kennen lernte, hatte es bereits ein wenig zwischen uns gefunkt, aber wir waren beide auf unsere Aufgaben fixiert. Sie machte gerade ihre letzte Doktorarbeit und ich war damit beschäftigt, wieder gesund zu werden und mich auf ein Leben nach dem Militär vorzubereiten. Als ich den Mars damals verließ, hatte ich geglaubt, sie nie wieder zu sehen.
Der Gedanke an Ihre älteste Schwester ließ mich frösteln. Sie war fast zwanzig Jahre älter als ich, wusste ganz genau wassie wollte und verhielt sich auch dementsprechend. Mein Interesse bestand damals darin, nach den Verletzungen, die ich erlitten hatte möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen. Gut. Ich war Lydia dankbar, denn sie hatte definitiv sehr viel damit zu tun, dass ich überhaupt wieder laufen konnte, aber das, was sie daraus machte, war nicht das, was ich wollte.
„Es ist nicht mein letztes Wort. Ich würde es als kleines Agreement zwischen uns beiden bezeichnen. Einfach nur, damit ich halbwegs in der Lage bin, meinen Job zu machen.“
„Lenke ich dich so sehr ab?“
Mir schoss das Blut ins Gesicht.
„Ok, ich stelle keine dummen Fragen mehr.“
„Danke.“
„Ja?“
„Leistest du mir über Weihnachten Gesellschaft?“
„Darf ich diese Entscheidung auf später verschieben?“
„Fragen wir anders: Wenn dich deine Pflichten nicht fest hier anbinden, leistest du mir dann auf dem Mars Gesellschaft?“
„Nur mit Anstandswauwau.“
„Wie meinen?“
„Du hast mich verstanden.“
„Ich arrangiere etwas.“
„Na dann. Weißt du schon was?“
„Ich hab mehrere Sachen in Aussicht. Aber mich interessiert eher, was auf Stirb ist, wenn mein Vater das schon so explizit erwähnt.“
„Ich hab mich mit deinem Vater auf den Namen Wolfsnest geeinigt.“
„Wolfsnest?“
„Ja.“
„Klingt gut!“
„Freut mich zu hören. Es wird der neue Flottenstützpunkt für den Mars.“
„Der Erste, der nicht im Marsorbit steht.“
„Echt?“
„Sorry, Sicherheitsfreigabe.“
„Wieso ist deine eigentlich höher als meine?“
„Weil du vom Mond stammst und ich die Tochter eines Generals bin und dazu noch gebürtig vom Mars?“
„Klingt einleuchtend.“
„Meine ich auch. Ich erstelle dir eben einen Dienstausweis.“
„Muss ich auch ständig eine Waffe mit mir herumschleppen?“
„Du hasst die Dinger, wie?“
„Es geht, aber ich kann damit kaum etwas anfangen. Ich mache lieber Kampfsport.“
„Du müsstest dich mal mit Gina treffen. Sie ist meines Wissens nach in ein paar Kampfsportarten geschult und sie sucht noch jemanden fürs Training.“
„Mach ich, und danke.“
Ich erstellte ihr den Ausweis und überreichte ihr diesen.
„Wofür?“
„Dass du mich nicht von Bord jagst.“
„Hab ich eine Wahl, wenn ich nochmal lebend vom Schiff herunterkommen will?“
„Nicht wirklich.“
„Na dann. Die Arbeit wartet.“
Ein Prioritätssignal ertönte. Gina rief durch: „Tut mir leid, Sie stören zu müssen. Wir erreichen in einer halben Stunde die Hygiea.“
„Bestätigt. Irgendwelche Vorkommnisse?“
Miriam zog sich hinter mir ihre Kleidung zurecht und brachte ihre Frisur in Ordnung. „Schnell von der Truppe, Colonel?“
„Bitte was?“
„Nichts. Wir haben vor einer Stunde Emissionen von multiplen Nuklearexplosionen aufgefangen.“
„Warum haben Sie das nicht gemeldet?“
Sie schielte immer noch auf die Kamera hinter mir. „Ich wollte Sie nicht stören.“
„Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Sie stören? Die Tür war die ganze Zeit offen.“
„Wäre besser, wenn Sie auf die Brücke kommen.“
„Bin auf dem Weg.“
Ich wollte schon aufspringen und zur Brücke eilen, als Miriam mich aufhielt.
„Stopp! Haare kämmen!“
Nur Millimeter über dem Öffner stoppte meine Hand. Ich drehte mich um und machte kurz im Bad halt. Die Bürste hatten meine mittlerweile wieder etwas längeren Haare wieder nötig. Fast wäre dann wohl mein Ruf auf dem Schiff sehr schnell hinüber gewesen.
Das Bild, das sich hinter Hygiea bot, war grauenhaft. Überall schwirrten Trümmer herum. Teile von Schiffspanzerungen verteilten sich rund um ein riesiges Wrack und schossen wie Schrapnelle durchs All. Die Gefräßiger Wolf wurde mehrfach getroffen, erlitt allerdings keine Schäden. Die Trümmerstücke verfingen sich in der Panzerung. Wir schleusten Lichtdrohnen aus, die die gesamte Szenerie in kaltes, trübes Licht tauchten. Die Strahlungssensoren fingen hohe Werte auf, aber das sollte kein Problem darstellen.
„Was haben wir?“ Gina zuckte zusammen, als ich hinter ihr die Frage stellte.
„Nach welchem Schema werden hier eigentlich Offiziere angekündigt?“
„Keine Ahnung, aber das beantwortet nicht meine Frage.“
„Entschuldigung. Wir haben hier sehr hohe Streustrahlungswerte. Die Sensoren können aus der Entfernung noch nicht viel ausrichten. Mr. Lange?“
„Ehm ja. Was wir bis jetzt erkennen können ist, dass das Wrack aus zwei Schiffen besteht. Einmal ein alter VLC-Transporter und dann ein Schiff desselben Typs, das 2523.17 die Geifernde Furie angegriffen hat. Ich schalte das Bild mal auf den Holo-Tisch.“
Dort wurde auch gleich das Bild im Detail gezeigt. Es sah wirklich genau so aus wie das Piratenschiff, das sich nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf die Furie selbst zerstörte. „Kann mir mal jemand das Schiff von 2523.17 als Projektion über das Wrack legen?“
Paula Hartmann, ein Corporal von der technischen Abteilung übernahm die Aufgabe. Zuerst war das Schiff einfach mittig im Wrack positioniert.
„Bringen Sie das Schiff mal mit den Resten des anderen Piraten in Einklang.“
Das Schiff bewegte sich langsam an die Position des anderen Piraten. „Drehen Sie es mal um hundertachtzig Grad.“
Das Schiff lag danach absolut deckungsgleich auf dem anderen Piraten. Ich sah Paula an: „Haben Sie schon mal erlebt, dass zwei Piratenschiffe absolut identisch sind?“
„Nein. Aber das können wir auch hier nicht mit Gewissheit sagen. Wir wissen nicht, wie das Schiff im intakten Zustand aussieht. Die Waffenplattformen wurden von der Explosion völlig deformiert.“
„Das schon. Aber die Details. Das Heck des Piraten ist absolut identisch. Selbst die Waffen stimmen überein.“
„Sie haben recht. Aber das kann noch Zufall sein.“ Sie hatte recht, aber sie war genauso skeptisch aus wie ich.
„Colonel? Ein anderes Schiff taucht gerade hinter Hygiea auf.“
„Rufen Sie sie.“
„Sie rufen uns bereits.“
Ich stellte mich neben Gina. Auf dem Bildschirm erschien ein bleiches, vernarbtes Gesicht. Eine metallische Augenklappe war über dem linken Auge auf den Schädel genietet worden. Keine Haare im Gesicht, eine spitze hakenförmige Nase, die aussah als sei sie mehrfach gebrochen und nicht ordentlich zusammengesetzt worden. Ein stechender Blick war auf die Kamera gerichtet und das Grinsen zeigte eine durch Metallplättchen unterbrochene Zahnreihe.
„Was haben wir denn hier? Einen Marc Havoc. Irgendwie ist die Welt ja richtig klein. Soll ich dir dein neues Schiff auch wieder wegschießen?“
„Quinn Lam. Was haben Sie hier zu suchen?“
„Wir wollten einen Schmuggler treffen, der ein wenig sehr heiße Ware liefern sollte.“
„Die heiße Ware ist wohl nur noch radioaktiver Abfall.“
„Das sehe ich. Verschwinden Sie, das ist unsere Angelegenheit.“
„Nicht ganz. Das angreifende Schiff ist absolut identisch mit dem Schiff, dass wir 2523.17 aufbrachten. Leider hatte es dieser Von der Brüh eilig, die Selbstzerstörung zu aktivieren.“
„Von der Brüh?“
„So hieß der Kommandant.“
„Der wird noch eine Menge Ärger kriegen. Wie gesagt. Verschwinden Sie hier, das ist unsere Angelegenheit.“
„Wieso soll der Ärger kriegen?“
„Sein offener Steckbrief wurde von Koraght nicht gerade wohlwollend aufgenommen.“
„Sie erscheinen ein wenig zu untertreiben.“
„Gut, er wird ihn an den Eiern irgendwo aufhängen, bis sie abreißen, aber was wollen Sie von ihm?“
„Ich bin zufällig das Opfer seines Steckbriefs.“
„Armes Schwein. Sie haben hiermit trotzdem nichts zu tun.“
„Das Schiff hier ist besser erhalten, als das Wrack seines anderen Schiffes. Ich würde es gerne untersuchen.“
Quinn fing an, herzhaft zu lachen. „Hartnäckig wie bei eurem verdammten Angriff auf unseren Außenposten.“
„Wir haben gewonnen.“
„Das mag sein, aber Sie haben nicht gewonnen. Wir haben die Brüllsau in einen hübschen Klumpen Metallschrott verwandelt.“
„Das Schiff hieß Bresslau.“
„Behindern Sie unsere Bergung, ist Ihre Gefräßiger Wolf ein sehr toter Wolf. Ist das klar?“
„Ist es.“
Nach dem Gespräch brauchte ich zuerst einen Stuhl. Die Dreckssau hatte damals mit einem wahnsinnigen Angriff mein Schiff kampfunfähig gemacht. Danach fingen wir noch einige Treffer ein und mussten es evakuieren. Ich blieb zusammen mit wenigen Leuten zurück, um das Schiff vor der endgültigen Explosion zu bewahren. General Chekov hatte sich die Mühe gemacht, mich und die letzten Überlebenden auf dem Schiff zu bergen. Die Erinnerungen an Lam wurden wieder lebendig. Besonders an seinen Entertrupp.
„Wie hoch schätzen Sie unsere Chancen in einem offenen Kampf gegen den Piratenzerstörer ein?“
Betretenes Schweigen breitete sich auf der Brücke aus.
„Ich würde es lassen. Wir können das Schiff zwar knacken, aber nicht ohne schwere Verluste.“
„Die Piloten sollen sich mit Sensorpods und Kampfbewaffnung startklar machen. Sie sollen das Schiff gründlich untersuchen.“
„Beide Schiffe?“
„In erster Linie das Piratenschiff, das nach Von der Brühs Trupp aussieht.“
„Wird erledigt.“
„Sie sollen sich auf keinen Fall provozieren lassen. Wenn die Situation hier heiß wird, wird es sehr sehr blutig für alle Beteiligten.“
„Colonel?“
„Ja?“
„Das Piratenschiff hat Pulsargeschütze.“
„Na Klasse. War aber abzusehen, dass auch die Piraten die Teile irgendwann mal in die Finger bekommen.“
Unsere Kampfjäger starteten und flogen in Formation zum Wrack. Die kleineren Trümmer verloren sich langsam am Rand der Nahbereichserfassung. Die Piraten machten sich einen Spaß daraus, immer wieder unsere Aktivitäten zu stören. Die meisten unserer Piloten wichen einfach aus oder warteten ab, bis die jeweiligen Piraten die Lust verloren oder zurück gepfiffen wurden.
Plötzlich aktivierte einer unserer Jäger die Waffen. Schlagartig aktivierten die Piraten ebenfalls ihre Systeme und unsere Jäger zogen nach. Keiner wagte zu feuern.
„Gefräßiger Wolf an Staffel! Deaktivieren Sie sofort Ihre Waffen!“ Ginas stimme war hart, kalt und befehlsgewohnt.
„Dann hängen wir hier wie Zielscheiben herum! Es sind Piraten!“
„Schalten Sie die verdammten Waffen ab. Das ist ein Befehl!“
„Welpe 4, sofort die Waffen ausschalten, verdammt!“
Der angesprochene Kampfjäger hing hinter einem Piratenjäger, der Ausweichmanöver flog. Alle anderen Wolfsklauen, bis eben auf diese eine, hatten sich von dem Wrack gelöst und waren in der Nähe der Gefräßiger Wolf auf Position gegangen. Die Waffen waren, wie befohlen deaktiviert.
„Welpe 4. Begeben Sie sich sofort zur Staffel! Waffen deaktivieren!“
Die Klaue hatte drei Sekunden lang ein absolut perfektes Schussfeld. Sie drehte danach ab und deaktivierte die Waffen. „Welpe 4! Zurück zum Schiff. Alle anderen können die Untersuchung fortsetzen.“
Gina sprang wutentbrannt auf und verließ die Brücke.
„Mr. Lange, Sie haben die Brücke!“
Ich rannte Gina hinterher. Sie musste gerannt sein, jedenfalls war sie im Korridor nicht mehr zu sehen. Ich stürmte ebenfalls in Richtung Hangardeck hinterher. Vorbei an verdutzten Besatzungsmitgliedern, ein paar davon hätte ich beinahe umgerannt, versuchte ich, Gina einzuholen.
Sie war natürlich schneller als ichund hatte sich bereits den Piloten gekrallt.
„Zieh den verdammten Helm aus, wenn ich mit dir rede!“ hörte ich sie brüllen. Sie hatte den Piloten im Anzug an eine Wand gedrückt und hielt ihn dort fest.
„Den Helm aus, verdammt.“ Sie war ziemlich sauer. Der Pilot drückte auf eine Taste am Handgelenk und der Helm verschwand im Kragen. Zum Vorschein kam Jennifer Tear. Die durchgeschwitzten Haare klebten am Kopf und bildeten fast einen zweiten Helm. Ich stellte mich neben die beiden Frauen und wartete.
„So und jetzt erklärst du mir, was das gerade sollte!“
„Der Pirat hat mich geärgert.“
„Und? Du hattest verdammt noch mal Anweisung, dich nicht provozieren zu lassen!“ Allein schon an der Körperhaltung konnte ich erkennen, dass Gina ihr am liebsten den Kopf von den Schultern gerissen hätte.
„Ich hab ihn nur selbst ein wenig geärgert. Ich hätte ihn vier Mal abschießen können!“ Jennifer klang völlig unbekümmert. „Ich würde mich gerne duschen. Darf ich?“
„Für die Aktion kann ich dir nur ne Flugsperre reindrücken. Die Anweisung war absolut klar. Sei nur froh, wenn du nicht gleich noch ein paar Tage in die Brigg wanderst.“ Ginas Wut war immer noch da, das konnte ich eindeutig sehen.
„Das wird davon abhängen, was in dem Bericht steht, den ich in einer Stunde auf dem Schreibtisch habe.“ Mein trockener Satz ließ sowohl Gina als auch Jennifer zusammen zucken. „Wegtreten.“
Jennifer war auch gleich verschwunden, Gina schlug mit der Faust gegen die Wand. Etwas knackte unangenehm. „Oh, was für eine Schlampe! Was zur Hölle ist in sie gefahren?“
„Ganz ruhig.“
„Das ist nicht typisch für sie. Normalerweise ist sie eine der Letzten, die überhaupt die Waffen aktiviert.“
„Wie meinst du das?“
Gina rieb sich die Hand. „Na Klasse, ich glaub ich hab mir nen Finger gebrochen.“
„Das beantwortet nicht meine Frage.“
„Gehen wir kurz zur Krankenstation?“
„Sicher, wenn du mir dann die Frage beantwortest?“
Wir gingen relativ langsam weiter.
„Jenny ist normalerweise nicht so der Typ, der einfach die Waffen aktiviert. Man muss es ihr immer erstmal befehlen und selbst dann schaltet sie sie nur ein, wenn der Rest der Staffel mitmacht. Eigentlich ist sie viel zu zurückhaltend. Deswegen hab ich sie ja auch in die Maschine gesetzt. Weil sie so zurückhaltend ist. Und jetzt gefährdet sie nicht nur sich selbst, sondern alle an Bord der Gefräßiger Wolf. Da stimmt was nicht.“
Ich führte sie weiter bis zur Krankenstation und dachte über das nach, was sie gerade gesagt hatte. „Fliegen die Piraten Butterflys?“
„Nein, es ist ein neuer Typ, den die hier fliegen. Ein wenig vergleichbar mit den Jägern vom Mond, ich nehme mal an, eine Eigenentwicklung.“
„So langsam kommt es mir vor, als sei der Haufen von Koraght alles andere als piratenhaft organisiert.“
„Er will auch weg von seinem Piratendasein, hat er mal verlauten lassen.“
„Das war nach der Zerstörung seines Außenpostens.“
„Mir gefällt der Gedanke nicht. Die Freien Raumstationen wollen ihn vielleicht in ihren Reihen aufnehmen.“
„Damit wären sie sogar fast verbündet mit uns.“
„Aber nur fast.“
„Finden wir erstmal heraus, was mit Jennifer los ist.“
„Zuerst lässt du deine Hand zusammenflicken. Wir sehen uns auf der Brücke.“
Gina betrat die Krankenstation und ich sah zu, schnellstmöglich zurück zur Brücke zu kommen.
„Bericht?“ fragte ich bei meiner Rückkehr.
„Die Piraten halten sich jetzt bemerkenswert zurück. Anscheinend hat bei ihnen jemand einen Einlauf bekommen. Sie haben drei Jäger abgezogen.“
„Dann haben sie wohl auch gerade ein Problem mit der Disziplin, wie?“
„Deine Ahnung, Lam hat sich nicht gemeldet.“
„Verbinden Sie mich mal.“ sagte ich, als ich mich auf den Kommandostuhl setzte.
„Warum stören Sie mich?“
Quinn war anscheinend ebenfalls nicht gerade gut gelaunt.
„Wir sollten unsere Piloten etwas besser im Zaum halten, damit das hier nicht eskaliert.“
„Da haben Sie recht. Was war das eigentlich für einer?“
„Eine junge Pilotin, die wir aus den Fängen von Von der Brüh befreien konnten.“
„Das Mädel hätte beinahe ein wenig viel ausgelöst.“
„Ich weiß. Sie hat erstmal Flugsperre.“
„Es ist nicht zufällig Tona Jasmin Cimere?“
„Wer ist das?“
„Eine der Lieblinge von diesem Möchtegernpiraten.“
„Wie kommen Sie auf die?“
„Eigentlich müsste sie tot sein, aber man weiß ja nie. Meine Leute haben sie Anfang des Jahres abgeschossen, zusammen mit ihrem Schlachtschiff.“
„War es ein Schiff wie dieses dort?“
„Sie meinen das komische Ding, das im Bauch unseres Versorgungsschiffs steckt?“
„Genau das meine ich.“
„Es ist bemerkenswert ähnlich.“
„Bemerkenswert ähnlich oder identisch?“
„Wenn Sie mich das so fragen ...“ Lam schien einige Zeit zu überlegen.
„Sagen wir es war identisch.“
„Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Pirat drei identische Schiffe besitzt?“
„Er hat nicht nur drei davon. Ich kann aber mit der Konfiguration nichts anfangen. Vielleicht hat er ja einen Haufen Schiffe von den äußeren Welten gekapert.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Ich meine, ihre Schiffe sind ähnlich aufgebaut. Hab nur ein paar davon gesehen.“
„Sehen wir zu, dass wir hier raus kommen ohne einen Krieg auszulösen.“
„Das liegt nicht an mir.“
Quinn Lam beendete die Verbindung. Ich starrte eine Weile auf den Schirm mit den Wracks.
„Was ist das da?“ Mir fiel da etwas auf.
„Was?“
„Der Ring, der dem Piratenversorger am Nächsten ist.“
Das Bild wurde eingezoomt.
„Jetzt einen dieser vorstehenden Pylone.“
Das Bild wurde abermals herangezoomt. Es zeigte einen der Pylone, der allerdings von Trümmern zerschmettert worden war.
„Nehmen Sie einen anderen.“
Das Bild schwenkte um und man sah einen intakten Pylonen. Die Spitze war gleichmäßig auseinandergeklappt und eine dicke Trosse verband den Pylonen mit irgendwas.
„Schwenken Sie mal die Kamera entlang dieses Seils.“
Der Pylon war mit einer Art Harpune verbunden, die in einem noch halbwegs intakten Rumpfstück hing. Das Rumpfstück schwebte irgendwo im Raum.
„Enterharpunen?“
„Scheint so. Der Bug muss eine Sturmschleuse haben.“
„Wie geht’s der Hand?“
Gina grinste schief und hob die bandagierte Hand hoch. „Glatter Durchbruch, Ring und Mittelfinger. Sie sind wieder zusammengeschweißt worden, ich darf aber die nächsten beiden Wochen nicht fliegen.“
„Mein Beileid. Du solltest etwas verprügeln, was nicht ganz so hart ist.“
„Gut, ich nehme beim nächsten Mal dich.“
„Nimm Miriam, die braucht noch nen Trainingspartner.“
„Sie macht Kampfsport?“
„Sagt sie jedenfalls.“
„Ich rede mit ihr, sobald ich kann. Wird nur nichts, solange ich die Hand nicht richtig benutzen kann.“
Wir suchten zwanzig Stunden das Wrack nach Spuren und Hinweisen ab. Insgesamt hatten sich gut zwanzig Menschen in Überlebenskapseln retten können. Alle stammten ausnahmslos von dem Schmuggler. Lam hatte sofort alle Überlebenden auf sein Schiff kommen lassenund weigerte sich Erklärungen oder dergleichen abzugeben.
„Was soll das heißen? Sind einfach abgeflogen?“ Es war kaum jemand im Hauptkorridor unterwegs. Varl erstattete mir gerade Bericht.
„Wie ich schon sagte, Colonel, sie haben vor einer halben Stunde alle Kampfjäger eingesammelt und sind abgeflogen. Sie waren sofort auf Tarnung.“
„Und jetzt?“
„Sie sind der Kommandant.“
„Lassen Sie noch eine Schicht weiter suchen. Danach packen wir auch unsere Koffer und verschwinden.“
„Klingt nach einem Wort.“
Jennifer Tear stand plötzlich neben uns. Sie trug hohe, schwarze Stiefel, einen extrem kurzen Minirock ohne Strumpfhose und dazu noch ein kurzes Top. Alles war in Leder gehalten.
„Ah, Colonel, Sie wollte ich gerade aufsuchen.“
„Sicher, was wollen Sie?“
„Es geht um mein Flugverbot.“ Sie lächelte liebreizend dabei und machte ein unschuldiges Gesicht.“
„Nun, da müssen Sie sich an Miss Wemayr wenden.“
Sie machte zwei Schritte auf mich zu. Aus der Entfernung sah ich Gina und Jennifer den Korridor entlang schlendern. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. „Sie sind der Oberkommandierende, Sie können doch bestimmt etwas für mich tun?“
„Wir haben nicht umsonst eine Befehlskette.“ Ich stand plötzlich mit dem Rücken zur Wand, Jennifer kam noch einen Schritt näher und griff nach meiner Hand. „Ach bitte, tun Sie doch ein wenig was für mich, ich werde mich auch erkenntlich zeigen.“ Sie lächelte süffisantund schob mit diesen Worten meine Hand unter ihren Rock. Varl stand mit offenem Mund daneben. Gina und Miriam waren mittlerweile auf Hörweite herangekommen. Einige andere sahen uns ebenfalls erstaunt an. Sie trug keine Unterwäsche.
„Sie sollten sich etwas ...“ versuchte ich sie zurück zuweisen. Weiter kam ich nicht. In dem Moment drückte sie mir einen Kuss ins Gesicht und presste meine Hand noch mehr zwischen ihre Beine. Der Kuss fühlte sich an als würde man einen Metallpfahl, der einem gerade auf den Schädel gehauen wird, küssen. Sie fing an, sich an meiner Hand zu reiben, ohne sie dabei los zu lassen.
Beim Versuch sie abzuwehren, spürte ich die cybernetischen Implantate unter ihrer Haut. Ich konnte sie keinen Millimeter vom Fleck bewegen. Sie schob sie alle Versuche, mich von ihr zu lösen einfach beiseite,und griff mir ungeachtet meiner Gegenwehr zwischen die Beine. „Na los, Colonel, jetzt oder nie! Sie werden es bestimmt nicht bereuen!“
Ich wollte ihr gerade meinen Protest ins Ohr brüllen, als sie plötzlich wie von einer Urgewalt weggerissen wurde.
„Schätzchen, nicht mit dem Typen, ist das klar?“ Miriam war richtig sauer. Gina hielt Varl fest, der gerade versuchte, sich aus der Affäre zu stehlen. Jennifer lag mit gespreizten Beinen auf dem Rücken, Miriam stand genau zwischen mir und Jennifer. Sie kochte vor Wut. „Der gehört mir.“
Jennifer rappelte sich hoch und stürzte sich auf Miriam, die mit einem geschickten Judogriff den Schwung der Pilotin ausnutzte und sie abermals zu Boden gehen ließ. „Nicht so schnell. Du tust dir nur selbst weh.“
Der nächste Angriff kam mit mehr Bedacht. Miriam hatte offensichtlich keine Lust auf ein wildes Geraufe. Sie rammte ihrer Gegnerin mit Gewalt ihr Knie in den Unterleib und schlug anschließend zwei mal zu. Jennifer ging zu Boden. Blut verteilte sich um ihren Kopf. Sie blieb bewusstlos liegen.
Gina rief sofort die Krankenstation. Miriam kniete neben ihrer Gegnerin und untersuchte sie rasch. „Ne Platzwunde. Das dürfte nicht stören. Die Prellung im Unterleib wird sie noch schön lange davon abhalten Dinge zu tun, die sie nicht sollte.“
Zufrieden lächelnd stand sie auf. „Was für ein Mistvieh. Du solltest ein wenig trainieren.“
„Bitte was?“
„Du solltest ein wenig Trainieren. Mit der ganzen Cyberware hast du ohne entsprechende Implantate keine Chance. Aber mit dem richtigen Training kannst du auch gegen solche Leute ankommen.“ Jetzt wusste ich, was sie meinte. Sie hatte ihre These gerade erst selbst bewiesen.
„Was wollte sie eigentlich?“ Gina runzelte die Stirn und beobachtete, wie Sanitäter die sich windende Jennifer Tear einsammelten.
„Dass ich sie wieder in den Pilotensitz lasse.“
„Ach?“ Gina schüttelte den Kopf. „Ich hätte sie wieder raus gelassen, nachdem die Piraten weg sind.“
„Und jetzt?“
„Bleibt sie bis nach dem Mars am Boden. Vielleicht auch etwas länger.“ Sie sagte zu einem der Männer, die gerade die Schwebevorrichtung der Trage bedienten: „Der Arzt soll sie mal richtig überprüfen. Das Verhalten ist absolut untypisch für sie.“
„Wird erledigt. Die Platzwunde sieht schlimmer aus, als es ist, aber die Wunde am Unterleib ist übelst.“
Varl betrachtete nüchtern die verletzte Frau auf der Trage und schüttelte dann den Kopf. „Kleine, du hättest dir eine andere Stelle aussuchen sollen, um verrückt zu spielen.“ Er ließ die Männer passieren und sah mich direkt an. „Ich werde mich mal darum kümmern. Da stimmt was ganz gewaltig nicht.“
„Machen Sie das.“ verabschiedete ich ihn.
Gina und Miriam standen nebeneinander und blickten in meine Richtung. Ich gesellte mich zu den beiden. „Soll ich mal überprüfen, ob alles heil geblieben ist?“ Miriam grinste verschmitzt.
„Ich glaube, die Lust auf eine Überprüfung dieser Art ist mir gerade vergangen.“
„Ich bin auch ganz sanft, versprochen.“
„Reicht es, wenn ich nein sage?“
„Ist in Ordnung.“ Sie machte ein so enttäuschtes Gesicht, das es mir schon wieder leid tat, sie einfach so abblitzen zu lassen. Beinahe hätte ich etwas Dummes gesagt, aber sie musste wohl mein Gesicht gesehen haben und fing an zu lachen.
„Ach Marc, ist schon in Ordnung, ich kann dir nur empfehlen, mach Kampfsport. Deine Schonfrist läuft eh aus.“
Eigentlich hätte ich mit mehr gerechnet, aber sie klopfte mir noch aufmunternd auf die Schulter und war dann auch schon verschwunden.
„Mein Training steht.“ eröffnete Gina. Sie rieb sich nebenbei die Hand. „Jennifer verhält sich im Moment wie eine Piratenbraut. Eine Piratenbraut unter einer Männerriege, die spitz auf sie ist.“
„Wie meinst du das?“
„Wörtlich. Im Söldnergewerbe funktioniert das je nach Trupp auch.“
„Je nach Trupp?“
„Außer bei den Fleischern eigentlich bei allen. Jakob lässt alles stehen und liegen, wenn er irgendwas kaputtmachen kann oder wenn es ums Töten geht. Da kommt man mit Sex nicht weiter, auch wenn er permanent darüber redet.“
„Die Fleischer sind beide so.“
„Die machen wohl ihrem Namen alle Ehre.“
„Ja, absolut.“
„Ich vermisse irgendwie Anja.“
„Wir können auf dem Mars mal nachfragen, wie es ihr geht.“
„Nur nicht an Bord holen.“
„Warum nicht?“
„Weil die Frau die beiden wohl auseinander getrieben hat.“
„Es gibt ne Frau, auf die die beiden stehen?“
„Soll vorkommen.“
„Jetzt muss es nur zwei geben.“
Miriam mischte sich in unsere Unterhaltung ein: „Ich muss Euch zwei leider allein lassen. Lass ja die Finger von dem Kerl, Gina, sonst muss ich sie dir leider abreißen.“
„Keine Sorge, Schnecke, kein Interesse.“
„Selbst Schuld!“ Sie streckte Gina die Zunge heraus und war im nächsten Fahrstuhl verschwunden.
„Was war das jetzt?“
„Nicht wundern, wir haben nur festgestellt, dass wir auf einer Wellenlänge funken. Das ist alles.“
„Siehst du mal nach, was Varl so anstellt?“
„Ich helfe ihm dabei. Ich mag es nicht, wenn meine Piloten plötzlich ihre Persönlichkeit verändern. Irgendeinen Grund muss das ja haben.“
„Stimmt.“
Sie winkte mir noch zu und kurz danach stand ich alleine im Hauptkorridor.
Ich übernahm meine Dienstschicht und gab den Abflugbefehl. Wir fanden nichts mehr, was wir verwenden konnten. Das einzige Kuriosum bestand darin, dass wir nachweisen konnten, dass Von der Brühs Schiff eine stark methanhaltige Atmosphäre gehabt hatte.
Blistson fuhr die Antriebe der Gefräßiger Wolf bis auf Anschlag hoch, nachdem ich den Abflugbefehl gegeben hatte. Das ganze Schiff vibrierte während der Beschleunigungsphase. Ich hatte jetzt, wieder einmal nichts anderes zu tun als zu warten. Varl und Gina untersuchten den Fall mit Jennifer. Ich sagte niemandem, dass ich kurz davor gewesen war, meinen Widerstand gegen Jennifer aufzugeben. Aus irgendeinem Grund hatte ich ein schlechtes Gewissen Miriam gegenüber.
Ich wurde zur Krankenstation gerufen. Sebastian Carver, Varl und Gina sahen mich mit sorgenvoller Mine an, als ich Carvers Büro betrat. Auf einem Wandschirm war zu sehen, wie Jennifer auf einem Krankenbett saß. Es handelte sich um ein Einzelzimmer und über die Mikrofone konnten wir sie schluchzen hören. Ihre Haare waren zerzaust, sie hatte einen einfachen Patientenkittel angelegt undden aufreizenden Dress unordentlich in eine Ecke geworfen.
„Was ist los?“
„Es geht um Jennifer.“
„Was ist mit ihr?“
„Ich würde auf eine geistige Störung schließen.“ Carver versuchte, sich vorsichtig auszudrücken.
„Sprechen Sie deutlich mit mir.“ Alle Blicke waren sorgenvoll auf das Bild von Jennifer gerichtet.
„Sie war noch sehr benommen, als sie eingeliefert wurde. Wir haben ihre Wunden versorgt. Sie wird noch eine Woche hier bleiben müssen, bis wir sicher sind, dass wir die Brüche im Becken richtig versiegelt haben. Aber in zwei Wochen ist sie wieder körperlich diensttauglich.“
„Knochenbrüche im Becken?“
„Ihre kleine Freundin hat ihr mit dem Knie das Becken gebrochen. Dazu noch einige Riss- und Platzwunden im Unterleib. Nichts, was man als kritisch bezeichnen kann. Aber hätte sie nur ein wenig fester zugetreten, hätte sie ernsthafte Schäden angerichtet.“ Ich musste mich bei dem Gedanken daran schütteln.
„Miriam muss wirklich sauer gewesen sein.“
„Eher nicht. Aber das fällt unter die Schweigepflicht.“
Mir quollen gerade fast die Augen aus dem Schädel, zumindest fühlte es sich so an. „Ehm?“
„Wie gesagt, das fällt unter Schweigepflicht.“
Ich wollte noch etwas sagen, ließ es aber. Carver fuhr fort.
„Das Problem ist ihre Psyche. Schauen Sie sich das besser selber an.“ Mit diesen Worten schaltete der Doktor eine Aufzeichnung an.
Die Pfleger brachten Jennifer herein. Sie wimmerte vor Schmerzen. Doktor Carver verabreichte ihr ein Betäubungsmittel und untersuchte sie rasch. Dann wurde der Bildschirm schwarz.
„Ich überspringe eben die Operation. Sie war in der Zeit sowieso nicht bei Bewusstsein.“
Der Bildschirm wurde wieder hell. Jennifer lag in einem Bett und öffnete langsam die Augen. „Was ist passiert? Wo bin ich?“
Carver stand kurz danach neben ihr. Sie sind auf der Krankenstation. Sie haben sich wohl etwas daneben benommen.“
„Wie das? Ich war in meinem Quartier!“
„Nein? Sie haben sich mit Miss Chekov im Hauptkorridor geprügelt.“
„Daran kann ich mich nicht erinnern.“
„Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern?“
„Ich war in meinem Quartier, als die Durchsage kam, dass wir uns zu unseren Schiffen begeben sollten.“
„Ihr letzter Einsatz war vor zwei Tagen.“ Sebastian schaltete ein paar Geräte ein und Scannte seine Patientin. Er wirkte dabei besorgt.
„Wo ist Doktor Genem? Sie kenne ich nicht!“ Sie wollte sich erheben, Carver drückte sie mit der Hand auf die Liege zurück.
„Wir haben keinen Doktor Genem an Bord. Nie gehabt.“
„Aber...“
„Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“
„Ich dachte bis jetzt, das wäre die Dornenstern.“
„Die Dornenstern?“
„Ja.“
„Die Dornenstern wurde 2523.8 als verschollen gemeldet.“
„Ach nein. Da war ja was. Ich erinnere mich wieder.“
„Woran erinnern Sie sich?“
„Piraten. Sie nahen uns gefangen.“
„Erzählen Sie weiter.“ Sie ließ sich auf die Pritsche fallen und starrte ins Leere.
„Von der Brüh. Er hat mich so komisch angesehen. Dann das Labor.“
„Und dann?“
„Dann war da dieser Raum. Mit den anderen Frauen.“
„Noch etwas?“
„Tona Jasmin Cimere. Sie hat sich um uns gekümmert. Auf ihre Weise.“ Sie klang richtig verbittert.
„Sie war immer da. Und da ich die Letzte war, war ich ihr ausgeliefert. Ich weiß nicht, wie lange das so ging.“
„Und dann?“
„Kämpfe. Ich hatte gerade beschlossen aufzugeben. Dann waren da die Kämpfe.“
Sie drehte sich auf die Seite.
„Keine Tona. Havoc!“ Die Erwähnung meines Namens ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
„Er hat mich mit seinen Leuten rausgeholt. Ich habe nur seinen Namen behalten, aber da waren noch andere. Viele andere. Sie mussten weglaufen vor etwas. Ich wollte, glaube ich, noch nach Tona fragen. Sie sollte mitkommen.“
Sie saß kerzengerade da. „Ich wurde angeheuert auf der Gefräßiger Wolf.“
Sebastian lächelte sie an. „Sie erinnern sich also wieder.
„Ja. Ich bin eine Kampfpilotin hier.“
„Genau.“
„Sie haben auch Tona gerettet.“
„Bitte wen?“
„Tona Jasmin Cimere!“
„Ist mir nicht bekannt.“
„Sie war vor kurzem in meinem Quartier. Ich weiß es noch genau!“
Der Arzt sah seine Patientin jetzt eingehender an. Mit einer kleinen Lampe leuchtete er ihr in die Augen. Fühlte den Puls. „Sie schwitzen.“
„Ich erinnere mich, dass sie da war und endlich alles zu Ende bringen wollte.“
„So?“ Sebastians Tonfall war geschäftsmäßig.
„Wir liebten uns!“ Sie klang begeistert und verloren zugleich.
„Die Wunde sieht gut aus. Wollen Sie sehen?“
„Wurde der Einsatz abgeblasen? Aber ja, zeigen Sie.“
„Welcher Einsatz?“
„Der Aufklärungsflug.“
„Der hat bereits stattgefunden. Wir sind auf dem Weg zu Stirb. Ich wollte sagen wir sind unterwegs ins Wolfsnest.“
„Und der Einsatz?“ Carver zeigte ihr im selben Moment die Wunde. Sie riss ihm den Spiegel aus der Hand.
„Mein Gott! Das kann nicht sein!“ Sie wurde aschfahl. Ihre Lippen bebten. „Das kann nicht sein! Nein!“ Sie schrie die letzten Worte, warf voller Wut den Spiegel in den Raum und schmetterte ihn in einen Beistellwagen. Die schiere Wucht ließ den Wagen umkippen und das ganze medizinische Besteck verteilte sich auf dem Fußboden. Sie stieß Carver beiseite, der keuchend an einer Wand zusammen sackte. Zwei Pfleger fingen Jennifer ein und pumpten sie mit Sedativa voll. Sie schaffte es noch auf den Flur, bevor die Mittel wirkten. Das sahen wir natürlich nicht auf dem Monitor.
„Wir haben ihr eine Neuraldrossel verpasst, die die Implantate lahmlegte. Sie bekam ein Einzelzimmer. Als sie zu sich kam riss sie sich zuerst die Kleidung vom Körper, und verlangte anschließend nach Ersatz. Seitdem sitzt sie so da. Sie isst und trinkt, aber sie ist nicht wirklich ansprechbar.“
„Soll ich mit ihr reden?“
„Besser, wenn Miss Wemayr das übernimmt.“ Völlig automatisch kam von Gina ein „Gina, nicht Wemayr. Ich hasse meinen Familiennamen!“
„Wenn Gina das übernimmt.“
„Warum ist das noch nicht geschehen?“
„Sie sollten dabei sein.“
„Ich schau zu.“
Gina machte sich bereit. In der Tasche hatte sie einen Injektor mit Betäubungsmittel. Ihre Waffe übergab sie Benedict. Während sie sich fertigmachte, sprach ich noch mit Sebastian.
„Nun, nach unseren genetischen Untersuchungen ist sie Jennifer Tear. Ich glaube, etwas das in der letzten Zeit passiert ist, hat das hier ausgelöst. Leider bekommen wir erst auf dem Mars die Informationen zu dieser Tona Jasmin Cimere.“
„Die müsste doch in den Datenbanken zu finden sein?“
„Ist sie. Aber wir brauchen ein DNA-Profil, und dafür brauche ich direkten Zugriff auf die Flottendatenbank.“
„Sie ist also bekannt?“
„Ja. Eine Piratenbraut, die bis vor zwei Jahren einige Passagierschiffe angegriffen hat. Sie ist einmal verhaftet worden, allerdings haben ihre Verbündeten davon erfahren. Der Gefangenentransport kam nie an.“
„Sie ist da.“ Varls kühle Feststellung ließ uns unser Gespräch beenden.
„Hey Kleine, wie geht es dir?“
Jennifer erwachte aus ihrer lethargischen Haltung und sah Gina an. „Hallo Lieutenant! Schön, dass Sie mich besuchen.“
„Was ist passiert?“
„Ich hab mich wohl geprügelt.“
„Das meine ich nicht. Ich meine das hier.“ Während sie ruhig weitersprach, hob sie Jennifers Kleidung auf, die auf dem Boden verteilt herumlag. „Seit wann trägst Du so was?“ Jennifer betrachtete den Minirock eingehend.
„Ich weiß es nicht. Eigentlich besitze ich so etwas nicht. Der muss von Tona sein.“
„Es gibt keine Tona hier.“
„Doch. Es gibt sie.“
Gina schüttelte den Kopf. „Nein. Es gibt in der ganzen Mannschaft keine Tona.“
„Doch gibt es. Sie ist hier.“
„Wo?“
Die nächsten Worte schrie sie geradewegs heraus. „Ich bin Tona Jasmin Cimere!“ Sie viel halb aus dem Bett, konnte sich aber noch rechtzeitig mit den Füßen abfangen. „Ich bin Tona Jasmin Cimere!“ Sie wiederholte die Worte, dabei stütze sie sich gebückt mit einer Hand auf das Bett. Die Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie weinte.
„Nein. Du bist Jennifer Tear. Eine Pilotin in meiner Staffel.“
„Jennifer? Ich kann nicht Jennifer sein, auch wenn ich ihre Erinnerung habe! Ich muss Tona Jasmin Cimere sein.“
„Wie kommst du darauf?“
„Sie mich doch an!“ Gina sah ihr in das tränenverschmierte Gesicht. „Ich sehe immer noch dieselbe Pilotin, die seit einem halben Jahr unter meinem Kommando gute Arbeit leistet.“
„Dann siehst du Tona Jasmin Cimere!“
„Jennifer Tear. Wie zur Hölle kommst du darauf, jemand anders zu sein?“
„Mein verdammtes Gesicht!“
„Ein hübsches Gesicht.“
„Es ist das Gesicht von Tona Jasmin Cimere!“
„Du hast aber die ganze Zeit gesagt, Du bist Jennifer Tear. Die DNA-Analyse sagt auch, Du bist Jennifer Tear!“
„Dann schaut gefälligst richtig nach!“
„Das muss bis zum Mars warten.“
„Lass mich alleine! Bitte!“ Sie zog sich zurück auf das Bett und blieb mit angezogenen Beinen sitzen. Sie hatte die Arme um die Schienenbeine geschlungen und wippte langsam vor und zurück. Sie weinte weiter. Gina beschloss, ihrem Wunsch zu entsprechen und ging.
„Meinung?“ Mein Tonfall wahr kälter als ich beabsichtigt hatte.
„Wir müssen auf den Mars warten. Dort können wir alles untersuchen.“
„Ist sie nun Tona Jasmin Cimere oder Jennifer Tear?“
Gina betrat den Raum und sagte: „Es ist immer noch dieselbe Frau. Dieser Von der Brüh hat irgendwas mit ihr angestellt und sie begreift langsam, was es ist.“
„Das beantwortet nicht meine Frage.“
„Welche Frage?“
Ich grunzte: „Ist sie jetzt Tona oder Jennifer?“
„Sebastian?“ Gina klang hoffnungsvoll.
„Wir müssen mit der medizinischen Identifizierung bis zum Mars warten.“
Gina lies die Schultern hängen. „Ist doch egal. Als aufreizende Schnepfe hatte sie grad was, auch wenn sie sich gewaltig am Riemen reißen muss. Anders herum, die kühle besonnene Person hatte auch was. Sie ist einfach sie. Sie muss nur lernen, das zu akzeptieren.“
„Hä?“ Alle sahen sie verwundert an.
„Ich bin nicht gut in solchen Dingen. Jenny ist eine der wenigen Pilotinnen der Flotte und sie ist gut. Und da draußen hat sie auch fliegerische Glanzleistungen gezeigt. Besser als sie zuvor je war. Nur leider im falschen Moment.“
„Und weiter?“ ich wurde langsam ärgerlich.
„Meine Meinung: Egal, für wen sie sich hält oder glaubt zu sein, sie muss einfach wieder auf die Beine kommen. Alles andere ist doch scheißegal.“
„Ich habe da eine Vermutung.“
„Carver?“
„Nichts Bestimmtes. Ich werde noch recherchieren müssen. Wir werden schon herausfinden, was Von der Brüh mit ihr angestellt hat.“
Ich gab mich erstmal damit zufrieden.
„Schauen wir uns mal ihr Quartier an. Gina?“
„Muss das sein?“
„Ein paar persönliche Kleidungsstücke und Kleinteile, irgendwas was sie an die Normalität erinnert.“
Gina strahlte regelrecht. „Gute Idee!“ Sie schleifte mich sofort in Jennifers Quartier. Das Bild, das sich uns bot, war chaotisch. Kleidung lag überall verstreut herum. Auf einem Haufen lagen Jennifers bekannte Kleidungsstücke, so als sollten sie aussortiert werden. Dann lagen haufenweise neue Kleidungsstücke auf dem Bett. Teilweise noch eingeschweißt.
Essensreste stapelten sich auf dem Schreibtisch. Gina zerrte aus einem halboffenen Schrank eine Tasche hervor und begann, Unterwäsche und Sportkleidung hineinzustopfen. Ich sah mich im Zimmer genauer um. Einige halb abgebrannte Kerzen standen herum. Der Teppich hatte Bekanntschaft mit Rotwein geschlossen und würde wohl ausgetauscht werden müssen. Beim herumstöbern fand ich einen Dildo unter dem Tisch. Versuchsweise schaltete ich die Multimediaanlage ein.
Im ersten Moment passierte nichts. Ich wollte die Anlage ausschalten und drehte mich zu Gina um, die laut fluchte. Sesak Sasmak saß splitternackt posierend auf einem Sessel und hatte sein süffisantes Grinsen aufgesetzt. Ich ließ mich fallen und kam mit gezogener Pistole wieder hoch. „Keine Bewegung!“ brüllte ich ihn an. Er machte ungeniert und ungerührt weiter.
Gina kam mit gezogener Waffe aus dem Schlafzimmer geschossen und wurde kreidebleich. Wir sahen uns an. Beide mit gezogener Waffe in Richtung des Sessels blickend, während sich ein Sesak Sasmak im Sessel räkelte. Wir begriffen im selben Moment, was das war. Ein Hologramm.
„Eine Ahnung, was das soll?“ Gina steckte die Waffe weg. „Keine Ahnung. Anscheinend stand sie auf den Typen.“ Ich schüttelte den Kopf. Und schaltete das Hologramm aus.
„Warum ausgerechnet der?“
„Keine Ahnung.“
„Ich schau mal nach.“
Sie hantierte auf einem Datentablett herum. „Anscheinend hat sie das Hologramm mehrmals verwendet. Ist eine Aufzeichnung. Erste Benutzung kurz, nachdem wir die Victoria verließen.“
„Wir waren doch gerade erst da?“
„Stimmt. Das Hologramm wurde 2523.29 eingespielt.“
„Bevor der Inquisitor auf die Station kam.“
„Genau.“
„Wir hätten uns mehr um die Frau kümmern müssen.“
„Scheint so.“
„Das erklärt, warum sie seit der Victoria immer so ausgeglichen war.“ Gina wirkte nachdenklich.
„Ausgeglichen?“
„Ausgeruht und einfach konzentriert bei der Sache.“
Ich atmete tief durch. „Sie hatte was mit ihm?“
„Wahrscheinlich auf der Victoria und dann hat er ihr wohl das hier als Andenken mitgegeben.“ Sie tippte auf das Datentablett. „Eigentlich ein schicker Kerl. Den würde ich auch nicht unbedingt von der Bettkante schubsen.“
„Und was ist dann hier passiert, deiner Meinung nach?“ Ich konnte noch immer nur wenig mit dem, was ich hier sah, anfangen.
„Ich würde mal sagen, sie hat es sich gut gehen lassen. Und dabei ist sie wohl abgedriftet. Etwas Unterbewusstes ist herausgebrochen und hat sie übermannt.“
„So einfach?“
„Wahrscheinlich nicht. Aber ich glaube, der Auslöser war sie selbst.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Irgendwann musste es dazu kommen.“
Bevor wir das Quartier verließen, hielt ich Gina nochmal fest. „Fassen wir mal zusammen. Sie hat sich mit einem Bild von Sasmak vor Augen selbst befriedigt und dabei ist ihr eine Sicherung geplatzt, die besser intakt geblieben wäre?“
„Typisch Mann. Das Hologramm war wohl nur ein Andenken, ich glaube nicht, dass es was mit dem Zustand, in dem sie war, zu tun hatte.“
„Ich halte mich wohl besser da raus?“
„Definitiv.“
„Ok. Also streichen wir Sasmak aus der Ursachenliste.“
„Genau. Sie wird wahrscheinlich irgendwie etwas ausgelöst haben. Vielleicht war es einfach nur zu gut.“ Gina begutachtete nochmal das Wohnzimmer und schob mich durch die Tür. Sie hatte eine kleine Reisetasche in der Hand.
„Was immer du dir in deiner schmutzigen Fantasie ausmalst, vergiss es. Miriam reißt dir sonst den Kopf ab.“
Ich gab meinen Autorisierungscode ein und verschloss die Tür. „Was hat Miriam damit zu tun?“
„Nichts, aber mit irgendwas muss ich ja drohen.“
„Ah ja.“
„Jennifer hat das Ganze ausgelöst. Die Ursache wird aber irgendwo bei Von der Brüh liegen.“
„Ich glaube ich weiß, was du meinst. Wir werden uns in absehbarer Zeit wohl mal eingehender mit Von der Brüh befassen müssen.“
Ich ging davon aus, dass Von der Brüh mit seinen Experimenten bei Jennifer etwas in ihrem Unterbewusstsein verankert hatte, was durch das Ausleben ihrer Sexualität zum Tragen kam. Natürlich hätten wir noch die Überwachungsdaten hinzuziehen können, aber ich hatte für meinen Teil genug gesehen, um zu wissen, dass es Dinge gab, in die man sich besser nicht einmischte. Und in diesem Fall stellte ich die Privatsphäre von Jennifer Tear, oder auch Tona Jasmin Cimere, höher als die Aufklärung von dem, was hier passiert war. Wenn es sein musste, würde ich die Aufzeichnungen später noch überprüfen lassen, aber vielleicht konnte Jennifer bis dahin viel besser berichten, was mit ihr geschehen war.
Die Untersuchung dieses Falles musste noch warten, denn wir erreichten mit zwei Tagen Verspätung 571RB. Das Wolfsnest.
[2523.34] – 13 – Höhlenforschung
Die meisten meiner Besatzungsmitglieder freuten sich auf den Besuch auf der 571RB ungefähr so sehr wie auf einen Besuch auf dem Friedhof. Wer allerdings ein Kommando hatte und seine Kameraden schon oft beerdigen durfte, sah das Ganze dann doch etwas anders. Dieser verdammte Felsen hatte alles, was wir brauchten, um eine dauerhafte Flottenbasis einrichten zu können. Er war zudem verdammt groß und hatte Rohstoffe ohne Ende. Ein geeigneter Kandidat für das Wolfsnest. Ich hoffte, dass unser Besuch hier ausnahmsweise mal positive Überraschungen mit sich bringen würde. Die Besatzung erwartete etwas anderes.
Die erste Überraschung erwartete uns, als wir in Parkposition gingen. Ein Traktorschiff, eine 6-Tier-Variante, hing in Parkposition und wurde gerade entladen. Der Aufbau und die Konstellation der Frachtmodule lies mich zuerst auf die Furie tippen, aber die sollte ja laut General Chekov verschrottet werden. Ich saß auf dem Kommandoposten und beobachtete unseren Anflug.
„Colonel? Wir werden gerufen.“
„Geben Sie sie mir auf meinen Schirm.“
Ich drehte den Kommandosessel und betrachtete das Bild vor mir.
„Och nee, nicht Sie, verdammt!“ Knatterte es mir mit starkem spanischen Akzent entgegen.
„Ich dachte, die Furie wäre verschrottet worden?“
Chaila Ramirez wäre mir beinahe durch den Schirm ins Gesicht gesprungen, zumindest sah ihr Gesicht danach aus.
„Gestriggt hatte, verdammt noch mal, nichts Besseres zu tun, als mir das Schiff zu schenken und das verdammte Marsmilitär hat eine Überholung bezahlt. Reicht Ihnen das, verdammt noch mal?“
„Die Furie gehört jetzt Ihnen?“
„Ja, verdammt.“
„Sie sagen ziemlich oft das Wort verdammt, ist alles in Ordnung?“
„Verdammt!“
Es war erheiternd. Die gute Chaila Ramirez war von ihrem langweiligen Posten als erster Maat zum Kommandanten eines Schiffes aufgestiegen. Die Arbeit sollte sich eigentlich nicht wesentlich unterscheiden.
„Gestriggt hätte mich eigentlich auf sein neues Schiffchen holen sollen, aber der verdammte Dreckskerl hat es sich anders überlegt. Jetzt sitze ich hier mit der verdammten Mannschaft und er hat nicht einen von uns in sein neues Kommando geholt. Stattdessen muss ich mich jetzt mit der verdammten Schiffsführung herumschlagen, verdammt.“
„Klingt nach einem verdammt stressigen Job?“
„Kommandieren Sie mal ein Raumschiff, verdammt!“ sie fauchte regelrecht.
Im nächsten Moment wurde Chaila rot.
„Ach verdammt.“
„Ruhig bleiben ... Sind das nicht Uniformen vom Mars-Militär?“
Sie atmete tief durch.
„Ja sind es. Wir sind aktuell offiziell als Flottenversorger eingesetzt worden und das ist so ziemlich das Einzige, was wirklich verdammt angenehm ist im Moment, verdammt.“
„Würden Sie bitte aufhören, ständig zu fluchen?“
„Verdammt ich versuche es ja! Was können wir für Sie tun?“
„Sind Sie die Anflugkontrolle?“
„Nein.“
„Sie haben uns gerufen, deswegen frage ich.“
„Ich glaub ich hab vergessen, was ich wollte.“
Man sah, ihr regelrecht an, dass sie sich das “verdammt“ verkniff.
Derweil hatte sich Varl darum gekümmert, dass wir offiziell angekündigt wurden, wofür ich ihm sehr dankbar war. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, kontaktierte ich Brigitte Varial noch einmal persönlich.
„Einen schönen Nachmittag, Colonel Varial.“
„Ah, Colonel Havoc, Sie wurden uns schon vom General angekündigt.“
„Wie läuft es bei Ihnen?“
„Die Weißer Wolf wird Anfang kommenden Jahres fertig werden.“
„Das klingt schon mal gut.“
„Außerdem haben sich unsere Leute die Catamaran und die Rohbauschiffe mal aus der Nähe angesehen.“
„Und?“
„Die Catamaran dürften wir wieder instand setzen können, aber die Rohbauschiffe ...“
„Was ist damit?“
„Das müssen Sie sich besser selbst ansehen, erzählen bringt hier nichts.“
„Ich hatte ohnehin vor, vorbei zu kommen. Hatten Sie schon Gelegenheit, die Bergbau- und Raffinerieanlagen zu begutachten?“
„Leider noch nicht. Der General hat uns aber die Leute, die Sie befreit haben, hergeschickt.“
„Na, das dürfte Ihnen doch weiter helfen.“
„Wären sie nicht alle noch in Stasis.“
„Wo liegt das Problem?“
„Wir können im Moment nur fünf Leute auf einmal aus der Stasis holen und das alle paar Tage.“
„Sie könnten doch van Virits Schiff nutzen?“
„Haben wir. Unsere eigenen medizinischen Mittel sind etwas überstrapaziert.“
„Was genau meinen Sie?“
„Ein paar Leute haben durchgedreht, und wir vermissen mittlerweile zehn Techniker.“
„Das klingt nicht gut.“
„Wir hatten viele Neulinge hier, das wird das Problem gewesen sein.“
„Sie klingen jetzt nicht so überzeugt.“
„Ich werde denjenigen erschießen, der hieraus eine Geisterstation gemacht hat. Genauer, der das Gerücht darüber in Umlauf gebracht hat.“
„Ich halt fest.“
„So schlimm?“
„Nein, eigentlich nicht. Wir mussten nur überall Sicherheitssensoren und Sperrbänder einrichten, damit sich keiner in dieser verdammten Basis verläuft. Hier ist Platz für ein paar hunderttausend Menschen.“
„Die Station müsste an die zweihundert Jahre auf dem Buckel haben.“
„Sie ist teilweise 200 Jahre und älter.“
„Nicht viel älter, denke ich.“
„Kann ich Ihnen nicht sagen, aber wir finden hier ständig neue Gänge, Durchbrüche, aufgefüllte Durchgänge. Die ganze Basis ist ein riesiges Labyrinth.“
„Sie glauben, die Vermissten haben sich schlicht verlaufen?“
„Teile der Basis lassen keine Funkverbindung zu.“
„Ich weiß.“
„Jedenfalls ist das hier nichts für Leute mit schwachen Nerven.“
„Was macht eigentlich die Furie hier?“
„Rohstoffe und Material liefern, was sonst?“
„Keine Vorräte mehr in der Station?“
„Wir können kaum etwas verwerten.“
„Wieso das?“
„Das zeige ich Ihnen, wenn Sie hier sind.“
„Und dann sehen wir uns mal die Minen an.“
„Wenn das Material ähnlich beschaffen ist, verschwenden wir nur unsere Zeit.“
Ich stellte ein Team zusammen. Varl würde das Kommando über den Wolf übernehmen. Gina, McGrown und die Fleischer Brüder waren meine erste Wahl. Außerdem noch Miriam und Dr. Baratheros. Zusätzlich nahm ich noch ein paar Mitarbeiter aus der technischen Abteilung und zwei Sicherheitsleute mit. Den Shuttle flog ich selbst. Alle hatten vorschriftsmäßig militärische Raumanzüge angelegt.
Auf der gegenüberliegenden Seite, von der Schiffswerft aus gesehen, lag immer noch die ganze Anlage im Dunkeln. Es hatte sich noch niemand die Mühe gemacht, den Verladehafen zu reaktivieren. Er war groß genug um mehrere 10-Tier-Frachter parallel aufzunehmen. Allerdings war vor einiger Zeit ein Asteroid eingeschlagen, sodass wohl nur noch mit Glück eine der Anlagen aktiv war. Der Bereich um die Werftanlagen war hell erleuchtet. Antriebsflammen der Verladeshuttles, die das Material von der Furie holten sowie viele neu installierte Scheinwerfer beleuchteten den Krater. Man konnte aber immer noch nicht bis zum Grund sehen.
Ich konnte allerdings erkennen, dass sowohl bei der Schiffswerft als auch beim Verladehafen große Lastaufzüge installiert waren. Wir landeten in demselben Hangar, in dem wir die Station das erste Mal betreten hatten. Es gab noch eine Anlage näher an der Schiffswerft, aber die war noch nicht in Betrieb.
„Willkommen auf Stirb.“ begrüßte uns Colonel Varial persönlich.
„Wie wäre es mit: Willkommen im Wolfsnest?“
„Hm ...“
Hinter der Stirn von Brigitte Varial ratterte es.
„Klingt gut. Also: Willkommen im Wolfsnest!“
Die obligatorische Vorstellrunde hielt ich möglichst kurz.
„Was führt Sie zu uns?“
„Wir sollen mal nach dem Rechten sehen. Außerdem wurde uns berichtet, Sie hätten exotische Strahlung geortet.“
„Das trifft sich gut. Wir haben bereits ein Team zusammengestellt.“
„Und?“
„Sie sind vor ein paar Stunden gestartet.“
„Schon irgendwelche Rückmeldungen?“
„Bis jetzt nicht, aber sie sollten sich auch erst ...“ sie schien in die Ferne zu sehen und bemühte dabei wohl einen implantierten Computer. „... vor 'ner halben Stunde melden.“
McGrown wirkte sofort hellwach. Gina spielte nervös an ihrer Ausrüstung herum. Miriam legte den Kopf schief.
„Ich frag mal in der Zentrale nach.“
Colonel Varial wirkte jetzt sehr besorgt. „Wir folgen Ihnen.“ sagte ich nur, als sie auch schon losrannte.
Wir folgten ihr in die Zentrale. Es war eine große Lagerhalle, die mit Computerterminals, Holo-Tischen, Projektoren und Konferenztischen voll gestellt war. Kabel lagen lose auf dem Boden herum und bildeten ein wirres Muster aus Fallstricken.
Der Raum war bis auf ein paar Leute, die an den Terminals hingen, leer. Ein großes Display an der Stirnseite zeigte die Raumwerft in der die „Weißer Wolf“ lag. Ein junger Lieutenant mit kurz geschorenen blonden Haaren und fast zwei Meter Körpergröße kam angelaufen, als er den Colonel zu Gesicht bekam.
„Lieutenant Bell, berichten Sie!“
„Bitte?“
„Wie ist der Status des Erkundungstrupps?“
„Wir haben seitdem sie in den Schacht gestiegen sind nichts mehr gehört. Die Funkverbindung dürfte gestört sein.“
„Sie sind seit einer dreiviertel Stunde überfällig.“
„Ich weiß, aber wir können im Moment wenig dagegen machen.“
„Was soll das heißen?“
„Es gab wieder eine Schlägerei und leider sind dabei auch ein paar Knochen gebrochen worden. Nichts Ernstes, aber wir sind so langsam knapp an Personal.“
„Macht hier eigentlich jeder, was er will?“
„Dürfte ich einen Vorschlag machen?“ fragte ich.
„Colonel, ich kann Ihnen versichern, dass ich, sobald die Jungs versorgt wurden, so schnell wie möglich etwas in die Wege leiten werde.“
„Ist mir ziemlich egal, ich will sofort einen Trupp da unten haben!“
„Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte ...“ ich versuchte es erneut.
„Es sind verdammt noch mal zehn Mann da unten und ich will wissen, was mit ihnen ist!“
„Ich bin ja dabei!“
„Ah ja? Und was machen Sie dann noch hier?“
„Bin schon weg!“
Mit diesen Worten verließ Lieutenant Bell die Brücke. Ich fragte mich jedoch, was Bell gewollt hatte, als er auf uns zu gelaufen kam.
„Wollen Sie meinen Vorschlag nun hören oder nicht?“
„Später, wie Sie sehen, haben wir hier echt genug Probleme.“
Meine Begleiter sahen nicht gerade glücklich aus.
„Folgen Sie mir bitte, ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen!“
Colonel Varial führte uns in eine Werkstatt. Unterwegs passierten wir ein Atrium. Ich erkannte es nicht wieder. Der gesamte Bereich war frisch gestrichen worden. Statt des metallischen Graus, welches den Raum früher dominierte, war alles in hellen sandfarben gehalten. Neue Markierungen und Wegweiser ersetzten die alten Tafeln an den Wänden.
Die Gänge und Kammern in dem Bereich waren gereinigt und teilweise wieder von Personen in Beschlag genommen worden. Kleine Geschäfte wurden eröffnet, in denen man die einen oder anderen Waren kaufen konnte.
„Interessant, wie kommen die Kaufleute hier her?“
„Ein Teil davon ist von van Virits Leuten, ein paar andere kamen mit dem vorletzten Transportschiff an. Ich hoffe es werden nicht noch mehr.“
„Mir kommt da eine Idee ...“ sagte McGrown hinter mir.
„Die ist bestimmt gut. Passen Sie jetzt auf, wir fahren gleich mit einem Transportzug weiter. Wir haben hier das alte Netz wieder in Betrieb nehmen können.“
„Das klingt doch gut.“
„Die Fahrt wird abenteuerlich.“
Varial betätigte zwei Schalter und wir wurden in die Sitze des Fahrzeugs gepresst. Die ganze Kabine gab ein lautes Dröhnen von sich, während wir durch den Tunnel rasten. Hin und wieder bockte das Fahrzeug leicht und draußen stoben Funken an der Kabine vorbei. Nach wenigen Minuten waren wir da und beeilten uns, die Kabine zu verlassen.
„Wir hatten noch keine Zeit, die Korridore wieder komplett zu reinigen. Außerdem fehlt es im Fahrzeug an einem Schwerefeld. Man merkt nichts davon, weil es so schnell fährt, aber ehrlich gesagt, wäre etwas mehr Fahrkomfort doch wünschenswert.“
Die Erklärung von Varial stellte keinen zufrieden, eigentlich hätte das Teil vor der Inbetriebnahme noch mal überprüft und abgesichert werden müssen.
„Wo geht’s weiter?“ fragte McGrown.
„Hier entlang!“
Sie führte uns in den Werftbereich, genauer gesagt in eine große Werkstatt. Durch die Panoramafenster der Werkstatt konnte man die Arbeiten an der Weißer Wolf verfolgen. Auf der anderen Seite des Raumes führte sie uns dann in eine kleinere Werkstatt.
„So. Nehmen Sie mal den Hammer da.“
Ich griff mir einen schweren Vollstahl-Hammer. Varial legte eine Panzerplatte auf die Werkbank und spannte sie fest.
„Schlagen Sie zu!“
Ich stellte mich auf harten Widerstand und einen schmerzenden Unterarm ein und schlug zu. Statt, wie erwartet, etwas extrem Festes zu treffen, durchschlug ich mit dem Hammer die Panzerplatte und brach einen großen Keil hinein. Beinahe hätte ich noch mein Schienenbein getroffen.
„Was war das jetzt?“
„Das fragen wir uns auch. In der Catamaran wurden anständige Platten verbaut. Die hier stammt von den Rohbauten.“
Miriam kniete sich nieder und nahm ein paar Bruchstücke auf.
„Das Material ähnelt dem, welches wir auf dem Mars in den Höhlen fanden. Es wirkt auf den ersten Blick sehr metallisch und stabil, allerdings zerfällt es unter Belastung sehr schnell zu Staub.“
„Sie kennen das Zeug?“
„Ein wenig.“ Sie log, ohne rot zu werden. Varial konnte es aber nicht wissen.
Miriam löste die Platte aus der Verankerung und warf sie achtlos beiseite. Stattdessen nahm sie eine andere hervor und spannte diese ein. Danach setze sie die Platte unter Strom und drückte zum Schluss Varial einen großen, isolierten Hammer in die Hand.
„Jetzt sind Sie dran.“
Varial holte aus und schlug zu. Funken stoben beim Aufprall des Hammers auf die Platte. Dabei verlor sie den Griff und der Hammer flutschte quer durch den Raum in eine Lochwand, an der weiteres Werkzeug hing.
Der Colonel rieb sich den rechten Arm. „Was ist das für ein Höllenzeug?“
„Kein Höllenzeug. Ein extrem widerstandsfähiges Material, welches nur leider den Nachteil hat, dass es unter elektrischer Spannung stehen muss, um widerstandsfähig und flexibel zu sein.“
„Wer kommt bitte auf die Idee, daraus ein Raumschiff zu bauen?“
„Das wäre eigentlich keine schlechte Idee. Das Material als Panzerung kann bei Bedarf auch als Sollbruchstelle dienen. Im Prinzip ein nicht zu verachtender Hightech Stoff.“
„Ergibt das irgendeinen Sinn?“
„Eine ganze Menge sogar.“
„Die Nachbauten der Catamaran bestehen alle aus dem Material.“
„Insgesamt? Oder nur bestimmte Bauteile?“
„Insgesamt.“
„Ok, das ergibt dann keinen Sinn mehr. Auch wenn genug Energie und elektrische Leistung vorhanden sind, wenn der Strom für ein paar Stunden ausfällt, ist das Material brüchig wie nichts Gutes.“
„Ein paar Stunden?“
„Es dauert etwas, bis es wieder in seine brüchige Struktur zurückfindet.“
„Woher wissen Sie das?“
„Vom Mars, wir haben dort auch dieses Material gefunden.“
„Es gibt das Zeug in den Minen auf dem Mars?“
„Nein, da nicht, die Fundstätte ist woanders.“
„Sie wollen mir wohl nichts sagen, wie?“
„Ich darf Ihnen nichts sagen.“
„Sie sind Zivilistin und ...“
„... Die Tochter von General Chekov.“
„Oh, das wusste ich nicht.“
„Ich wäre auch froh, wenn das niemand an die hohe Glocke hängt. Letzten Endes unterliegt das alles der Alpha-Geheimstufe.“
Varial wechselte das Thema.
„Damit könnten wir aber dann doch sehen, ob wir was mit den Rohbauten anstellen können ...“
„Vergessen Sie es!“ sagten Gina und ich synchron.
„Wieso?“
„Weil mit dem Material keine Schiffe in der Größenordnung vernünftig gebaut werden konnten. Deswegen hat man das wohl auch aufgegeben.“
Colonel Varial nickte nur.
„Haben Sie sonst noch etwas für uns?“
Die Frage kam von McGrown.
„Im Moment nicht.“
„Kann ich dann endlich meinen Vorschlag unterbreiten?“
„Sicher.“
„Ich würde gern ein eigenes Team runter schicken.“
„Überlegen Sie es sich besser noch mal.“
„Ich habe es mir sehr genau überlegt.“
„Stören Sie unsere Leute nicht. Ansonsten können Sie machen, was Sie wollen.“
Das nannte ich mal ein Wort.
Die gute Brigitte Varial wirkte etwas sehr unter Stress. Ich nahm mir vor, mal mit Ihr darüber zu reden.
„McGrown?“
„Colonel?“
„Stellen Sie ein Team zusammen und lassen Sie sich das Material was Sie brauchen vom Schiff bringen.“
Er salutierte und war dann verschwunden.
„Was machen wir jetzt?“
„Wir sehen uns ein wenig hier um.“
McGrown stellte zwei Teams auf. Sein Trupp bestand aus ihm selbst, den Fleischer-Brüdern und Mahadi Mustafa. Ich sollte das zweite Team übernehmen mit Gina, Schrank, Miriam und vier weiterer Marines.
Ich hätte ihm eigentlich vorher sagen können, dass das für die Katz war. Diese Exkursion ging nach anderen Regeln vor sich.
Wir trafen uns etwa eine Schicht später am Abstiegspunkt. Wir hatten uns alle etwas ausgeruht und unser Zustand konnte fast mit topfit bezeichnet werden.
„Wie sollen wir da runter kommen?“ fragte Miriam, als sie zögernd in den tiefen Schacht blickte.
„Ich würde den Fahrstuhl rufen!“ sagte Gina und drückte neben dem Einstieg (wir befanden uns im Gang davor) auf eine alte, angelaufene Taste.
Es passierte, wie erwartet erstmal gar nichts. McGrown wollte schon in den Schacht steigen, als Schrank ihn zurückhielt.
„Hören Sie!“
Wir lauschten, aber außer den Geräuschen, die unser Trupp machte, hörte ich zunächst nichts. Wenige Sekunden später rumpelte etwas den Schacht hinauf. Es war ein Drahtkäfig, der sich zügig nach oben bewegte.
„Ich nehme ein Grav-Pack mit dafür.“ sagte Schrank neben mir und hantierte an seiner Ausrüstung herum.
Sein Körper machte einen Knick. Sein Torso war danach genau mittig über den Beinen positioniert. Die Beinhalterung hatte er quasi vor der Brust. Den Sensorkopf schob er passend dazu in die Mitte. Die Arme hielt er anschließend so, dass sie als Griffstangen genutzt werden konnten. Schrank sah jetzt wie ein kleiner Ausrüstungsroboter aus.
„So sollte es gehen.“
„Ehm?“
„Ich habe einen Gravitationsgenerator eingebaut, mit dem sollte es möglich sein, den Abstieg auch mit einem unsicheren Fahrstuhl zu überleben. Festhalten ist trotzdem eine gute Idee.“
„Stimmt auffallend.“
Alle hielten sich an Schranks Armen fest und gemeinsam betraten wir den Fahrstuhl. Gina betätigte eine Taste und es ging schnurstracks senkrecht in die Tiefe. Ich spürte im Magen, dass wir uns langsam dem Freien Fall annäherten. So abrupt, wie die Fahrt begann, begann auch das Bremsmanöver, aber Schranks Plan ging auf.
Wir kamen in den Minen an.
Es war trocken hier unten und, was für mich das größere Problem war, es war verdammt staubig.
Auf dem Boden konnten wir die Fußabdrücke des ersten Teams erkennen.
„Fleischer JB? Ihr kennt Euren Job. Schrank, Positionsmarker alle 20 Meter und immer in Sichtweite platzieren. Setz eine Führungsleine auf der anderen Seite ein.“
„Bestätigt, B ... eh, Colonel!“
Schrank sagte nichts sondern bereitete mit seinen Armen das Material vor.
„Warum der Aufwand?“ fragte Gina neben mir.
„Sicherheit geht hier vor. Ich hab keinen Bock, irgendwelche bösen Überraschungen zu erleben. Kann hier irgendjemand mal Licht machen?“
Bei den Worten rammte Schrank die ersten Positionsmarker in den Boden und es wurde schlagartig etwas heller.
Der Raum, in dem wir gelandet waren, war riesig. Durch das schwache Licht der Marker und unsere Lampen wurde nur ein kleiner Teil des Raumes erleuchtet. Ich schätzte den Raum auf gut 30 Meter Länge und 20 Meter Breite ein. Die Decke hing 6 Meter über unseren Köpfen.
Eine alte Bergbaumaschine, über und über eingestaubt, saß auf ihren Schienen. Der Bohrkopf sah aus, als habe er schon wesentlich bessere Tage erlebt.
Unsere Stiefel griffen mit ihren Magnetkernen zu. Ein Magnetgitter war in den Minen installiert worden, fast komplett bedeckt vom Staub.
Im Licht unserer Lampen konnte man Staub und Sand wie in Zeitlupe von der Decke rieseln sehen.
„Was machen wir?“
„Gucken wir mal, wo die Jungs lang sind?“
„Du bist der Boss.“
Aus dem Raum führten fünf Wege. Der Trupp, dem wir folgten, hatte natürlich den größten und geräumigsten Durchgang genommen. Die kleinen, frisch aussehenden Durchbrüche sahen wesentlich vielversprechender aus.
„Sollten wir uns nicht besser aufteilen?“ fragte McGrown hinter mir.
„Auf keinen Fall. Es wird zwar etwas mühsam, hier durchzukommen, aber wenn wir uns trennen, wird es für alle zu risikoreich.“
„Verstehe ich nicht.“
„Waren Sie schon mal in einem unterirdischen Komplex?“
„Nein, bis jetzt nicht.“
„Ich hab es auf die harte Tour gelernt, dass Sicherheit vorgeht.“ Er schien zwar nicht zufrieden zu sein, lies es aber dabei bewenden.
Der Weg, den wir nehmen wollten, war immer noch 20 Meter breit und führte in recht steilem Winkel nach unten. Auf halben Weg nach unten war ein Teil der Decke eingestürzt. Etwa die Hälfte der Breite war von einem dicken Klumpen Felsen versperrt worden. Schrank blieb am Anfang der Schräge stehen, während wir uns langsam vortasteten.
Wir hatten Sicherheitsseile angelegt, allerdings war das aufgrund der geringen Schwerkraft kein sonderlich sinnvolles Unterfangen. Schrank würde uns allerdings schnell und sicher zurück ziehen können, wenn etwas Unerwartetes passierte. Am Ende des Tunnels steckten wir auf den ersten Blick in einer Sackgasse. Zumindest dachte ich zuerst, es wäre eine Sackgasse, aber die Spuren führten zu einem mit einer blauen Legierung überzogenen Gitterrost. Wir konnten hier also in einen weiteren Korridor klettern. Schrank folgte uns, nachdem wir festgestellt hatten, dass der Bereich sicher war. Im Schein der Marker konnten wir erkennen, dass man hier vergeblich versucht hatte, weiter zu bohren. Schrank hangelte sich an dem Gitterrost nach oben und half uns anschließend, nachzukommen. Bei der geringen Schwerkraft hätten wir allerdings genauso gut springen können. Nach ein paar Hundert Metern teilte sich der Gang unvermittelt.
„Nach da unten brauchen wir nicht zu gehen.“ bemerkte Schrank.
„Wie meinen?“
„Die Gitter sind weg.“
Miriam kniete bereits an der Kante und hantierte dort mit einem Handscanner herum. „Ist abgerissen. Muss vor Kurzem passiert sein, der Staub ist weg.“
„Ich hoffe sie sind nicht auf die Idee gekommen, da runter zu marschieren.“
„Doch sind sie.“
„Wie kommst du darauf?“
„Sieh dich mal hier um.“
Wir mussten bereits sehr genau aufpassen, um unsere Spuren von denen der anderen Gruppe unterscheiden zu können.
„Sieht so aus, als seien sie hier gewesen, als das Gitter abgerutscht ist.“
„Oder sie waren der Auslöser.“
McGrown kniete sich ebenfalls an die Kante und wischte mit den Handschuhen über den Staub.
„Sie waren auf dem Gitter.
Ich nehme mal an, sie haben gemerkt, dass es abrutscht, sind dann zurück gelaufen und haben dabei den Prozess beschleunigt.“
„Haben sie es geschafft?“
„Zumindest einige.“
„Müssen wir jetzt auch da runter?“ fragte hinter uns Dr. Baratheros.
„Nein, wir nehmen den anderen Gang.“ entschied ich.
Der Gang machte nach einigen Metern eine neunzig-Grad-Biegung nach rechts oben. Es dauerte eine Weile, bis wir das Ende zu erreichten. Wir folgten immer noch den Spuren, und wenn ich die Fußabdrücke richtig interpretierte, mussten unsere Vorgänger Leute verloren haben.
„Das ist interessant. Es gibt keinerlei Grund, warum man hier nicht in großem Maße Bergbau betreibt. Ich habe hier jetzt tonnenweise Erze und Mineralien gesehen, deren Abbau sich einfach aus Prinzip schon lohnen würde.“ Baratheros wirkte hellauf begeistert. Er grinste in die Runde.
„So gut?“ Miriam versuchte gar nicht, ihr Desinteresse zu verstecken.
„Ja, absolut!“
„Klingt doch vielversprechend.“
„Miriam, das hier ist eine Goldgrube, auch wenn es kein Gold gibt. Ich würde hier sofort Aktien kaufen, wenn ein Unternehmen das hier abbauen will.“
„Warum tut es denn kein Unternehmen?“
„Woher soll ich das wissen? Ich bin Wissenschaftler, kein Wirtschaftsmensch.“
„Die sind hier wieder rechts gegangen.“
Ich stolperte fast über meine Füße, als Miriam das hinter mir sagte. Der Korridor hatte sich geweitet, aber ich hatte den Durchgang rechts übersehen.
„Drei Mal rechts abbiegen ...“ murmelte Jakob.
„Was sagt die Karte?“
Schrank rumpelte in den kleinen Raum hinein.
„Da lang geht es zurück in Richtung Fahrstuhl, wir sind aber ein gutes Stück höher.“
„Gehen wir weiter.“
„Ja, folgen wir ihnen.“
Wir folgten dem Trupp bis zu einer weiteren Gabelung und bogen ein weiteres Mal rechts ab.
„Das hier ist ein Labyrinth!“
„Ist es. Die Höhlen auf dem Mars sind aber auch nicht besser.“
„Stimmt Boss, die Höhlen auf dem Mars sind alle nicht so gut ausgebaut.“
Da hatte Bastian recht. Aus der Ferne konnte man wieder einen großen Raum erkennen, in dem die bereits bekannten Metallstrukturen zu erkennen waren. Alle stöhnten auf, als Schrank heftig am Sicherheitsseil zog, kurz, nachdem wir den Raum betreten hatten. Wir landeten allesamt auf dem Hintern. Verwundert sah ich mich um und auch die anderen wirkten verunsichert. Ich hatte meine Taschenlampe losgelassen und wir konnten beobachten, wie sie wie in Zeitlupe auf den Boden fiel.
Nur da war kein Boden, sondern ein Schacht. Durch die Lampe konnten wir, als wir vorsichtig über den Rand blickten, einige Meter in die Tiefe sehen. Am Boden des Schachts lag eine Gestalt, sie hatte Arme und Beine ausgestreckt. Splitter waren um die Leiche herum verteilt.
„Wir müssen da runter!“
„Nicht über den Weg hier.“
„Marc? Das ist einer unserer Leute, wir müssen da hin!“
„Ich weiß, aber nicht über diesen Weg. Siehst du die Kratzspuren?“
„Ja, und?“
„Das Material hier ist sehr brüchig.“
„Und weiter?“
„Möchtest du da runter klettern und nebenbei noch fangen mit den Wänden spielen?“
„Wie meinst du das?“
Ich leuchtete mit einer neuen Lampe den Körper an.
„Es war nicht der Fall, der ihn umgebracht hat, sondern die Steine, die hinterher kamen.“
Neben dem Körper lag ein dicker Geröllbrocken.
„Einhundert Kilo Stein bleiben einhundert Kilo Stein, und wenn man die abbekommt, hilft selbst ein moderner Raumanzug nicht.“
Gina schmollte und fügte sich.
„Colonel?“
„Jakob?“
„Da hinten kommen wir zum Fahrstuhl, glaube ich.“
„Sehen wir es uns an.“
„Wo sind eigentlich die anderen vom Trupp?“
„Sieht aus, als seien sie hier einfach runter gesprungen , als ihr Kamerad abgestürzt ist.“
„Könnte sein, hier sind auch keine Spuren mehr.“
„Wir gehen zurück und suchen einen anderen Weg, ich habe kein Interesse an halsbrecherischen Abenteuern.“
„Gut, der Bereich hier wäre auch erstmal kartiert.“
„Ist doch was.“
Wir trafen an unserem Ausgangspunkt ein. Der Fahrstuhl tauchte die Umgebung in helles Neonlicht.
„Dr. Baratheros?“
„Ja, Colonel?“
„Fahren Sie zusammen mit Gina wieder nach oben. Ich denke wir richten hier ein Basislager ein. Die Tunnel sind größer als geplant. Wir brauchen mehr Leute und mehr Ausrüstung.“
„Wird erledigt.“
„Der Rest bleibt zusammen, wir nehmen den Gang hier daneben.“ Ich markierte den Durchgang.
„Wenn ihr mit den Truppen hier seid, dann folgt uns vorsichtig.“
„Sind auf dem Weg, Colonel.“
„Bevor ich es vergesse: Taschenlampen erneuern!“
„Colonel?“
„Ja?“
„Es reicht.“
Der neue Gang war kreisrund und hatte einen Durchmesser von sechs Metern. Nach etwa hundert Metern machte er einen scharfen Linksknick und es ging weitere hundert Meter nach unten. Nach einer langen Geraden endete der Weg in einem großen Lager mit Kisten.
„Ich habe die Vermutung, dass hier kein Erz gefördert werden sollte.“ sagte Miriam, als sie auf die Kisten zuging.
Sie hatte von Schrank eine Brechstange geholt und ging damit auf eine der Kisten los. Bastian ging ihr sofort zur Hand, war allerdings zu langsam.
„Oh Scheiße!“
Bastian hatte einen Blick in die Kiste geworfen und wirkte sehr verstört. Miriam holte einen Gegenstand heraus und betrachtete ihn. Mir krampfte sich beim Anblick des Gegenstands der Magen zusammen. McGrown zeigte keine Regung.
„Ich würde gerne ein paar Ausrüstungsgegenstände von der Weißer Wolf holen .“ sagte er schlicht.
„Machen Sie das. Mit etwas Glück ist der Fahrstuhl noch nicht angekommen.“
Er winkte noch Mahadi Mustafa hinter sich her und war verschwunden.
Miriam öffnete noch ein paar weitere Kisten aber immer mit demselben Ergebnis.
„Alles ausgebrannt. Der ganze Schrott hier ist wertlos.“
„Wir haben auf dem Mars auch einige Artefakte gefunden, die genau so tot waren.“
„Die Trümmer davon habe ich gesehen, was habt ihr damit gemacht?“
„Feuergefechte mit den Einheiten deines Vaters.“
„Ich frag besser nicht nach Details.“
Wir ließen das Lager hinter uns und folgten dem Gang weiter nach unten.
Wir erreichten einen kleinen Raum mit einem Durchbruch in der Decke. Die Überlebenden des vermissten Suchtrupps mussten uns vorausgegangen sein. Der Weg führte ziemlich steil abwärts und endete unvermittelt an einer Druckschleuse. Nach den Spuren im Staub zu urteilen, war sie vor Kurzem erst benutzt worden. Mit etwas Glück würden wir hier noch ein paar Überlebende finden.
Ein Druck auf den Schalter genügte. Die Tür glitt auf. Ein Mann in der Uniform des Mars-Militärs fiel uns vor die Füße. Er war tot. Man musste kein Mediziner sein, um die Todesursache zu erkennen. Er hatte mehrere Schusswunden und war offensichtlich verblutet. Wir zogen unsere Waffen und betraten die Luftschleuse. Für Schrank war kein Platz mehr.
„Ich warte, bis die Schleuse frei ist.“ sagte er und platzierte nebenbei noch einmal ein Positionssignal.
Unsere vier Marines sollten vorausgehen. Miriam wurde von Gina und mir in die Mitte genommen. Mit den Waffen im Anschlag öffneten wir die Innenschleuse.
Es herrschte Totenstille in dem Raum dahinter. Wir machten schnell die Schleuse frei, damit Schrank nachkommen konnte. Mit etwas mehr Licht erkannte man eine riesige Halle in schummrigem Dämmerlicht.
„Funkpeilung abgerissen.“ meldete Schrank.
„Bitte?“
„Ich habe einen Marker vor der Schleuse postiert und ich empfange hier drinnen kein Positionssignal.“
„Das ist nicht gut.“
„Ich orte hier ein schwaches Störfeld, ich nehme mal an, es kommt von der Versiegelung.“
An der Decke hingen mehrere Leuchtkörper, die ein schwaches, orangefarbenes Licht abgaben.
In der Halle standen überall die bekannten Frachtboxen herum. Alle waren leer. Einige waren umgestürzt, andere hatten Einschusslöcher. Ich konnte nur vermuten, was hier passiert war, aber ein Blick in Richtung Schleuse verriet mir, dass unsere Leiche im Eingang wohl daran beteiligt gewesen war.
Der Staub war hier nicht mehr vorhanden.
Ein Griff in Richtung Wand verriet mir , obwohl ich Handschuhe trug, dass die Wand versiegelt war.
„Colonel?“
„Gina?“
„Ich habe hier eine weitere Leiche. Er wurde auch erschossen.“
Ich hatte nicht mal bemerkt, dass Gina bereits vorausgegangen war. Vier riesige Löcher, eingerahmt von metallgefassten Betonquadern dominierten den Raum. Über den Bohrlöchern hingen Kräne.
Wir gingen an den Rand einer der Gruben.
Weiter unten konnte ich Licht sehen. Es war genau dasselbe trübe Licht wie in der Halle hier. Trotzdem erkannte ich sofort, dass sich dort unten etwas befand, womit ich seit dem Mars nicht mehr in Berührung gekommen war.
Schrank prüfte mit einem Arm die Kette, die herunter hing. „Ok, aufsteigen bitte.“ er platzierte zwei Arme und zwei Beine so, dass sie genau richtig zum Festhalten positioniert waren.
„Die anderen hole ich gleich nach.“ sagte er, als er sich in Bewegung setzte.
Zwei Marines, Gina, Miriam und ich waren die ersten Passagiere. Eine Entscheidung, die ich bereute, als wir fast unten ankamen.
Schüsse peitschten über uns hinweg. Wir hatten zwar noch unsere Raumanzüge versiegelt, aber die Atmosphäre war dicht genug, um die Geräusche zu uns zu tragen. Schrank ließ uns einfach fallen und zog sich mit Gewalt die Kette herauf. Miriam zog mich und Gina in Deckung, die beiden Marines hoben ihre Waffen und zielten nach oben.
Ich stieß Miriam zur Seite und rollte mit gezogener Pistole um die Ecke, aber es war bereits zu spät. Die beiden Marines in meiner Begleitung wurden mit einem auf Dauerfeuer gestellten Karabiner regelrecht in Stücke geschossen.
Wie von selbst löste sich ein einzelner Schuss aus der Pistole, ich warf mich zurück in Deckung und die Schüsse verstummten zunächst. Aus dem Schacht über uns hörte man kurz darauf erneut Schüsse. Wie in Zeitlupe segelten Patronenhülsen herunter.
Die Kette in dem Schacht geriet wieder in Bewegung, nachdem Stille eingekehrt war. Schrank schwebte auf seiner Antigrav-Einheit zu uns zurück.
„Da lebte doch noch jemand. Ich hatte ihn erst gar nicht bemerkt.“
„Keiner hat das.“
„Eine Strahlenquelle muss meine Sensoren stören. Der da lebt wohl noch.“ Er zeigte auf etwas ein paar Meter weiter.
Wir wagten uns aus der Deckung und ich sah, dass ich den Schützen getroffen hatte. Ich konnte ein leises Wimmern hören.
„Wie heißen Sie?“
„Corporal Shawn Larsen, Mars Raumflotte.“
„Was ist hier passiert?“
„Hören Sie das nicht?“
„Was ist hier passiert?“ ich legte etwas mehr Nachdruck in die Stimme.
„Es spricht zu uns!“
„Corporal Larson! Was ist hier passiert?“ ich setzte den Verletzten noch etwas unter Druck. Die Wunde war nicht schlimm. Ein glatter Durchschuss in der Schulter. Es floss kaum Blut. Miriam und Gina hatten bereits Verbandszeug gezückt.
Sie hatten beide ihre Helme deaktiviert und die Handschuhe ausgezogen.
„Er hat recht. Hier ist ein Geräusch, das sich anhört, als würde jemand sprechen.“ sagte Gina. Sie bearbeitete die Uniform des Verletzten mit einem Messer, um die Wunde freizulegen.
Miriam legte einen Druckverband an. Ich deaktivierte ebenfalls meinen Helm und hörte es dann auch. Es war ein leises Flüstern in der Luft.
„Corporal Larson. Shawn, jetzt erzählen Sie mir doch, was passiert ist.“
„Wir betraten wie befohlen die Minen. Es war total still hier. Salvador führte unseren Trupp an und wir nahmen einfach den ersten Korridor links.“
Gina gab ihm etwas Wasser.
„Der endete in einer Sackgasse, aber es gab eine Leiter und eine Abzweigung, da gingen wir weiter. Kurz dahinter war eine Gabelung.
„Ich folgte Salvador in den linken Gang, und noch bevor wir überhaupt weiter gingen, rutschten unsere Leute auf der rechten Seite ab. Wir haben zwei Leute retten können, drei sind mit abgestürzt.“ er hustete und spuckte einen braunen Schleim aus.
„Wir kamen irgendwann in einen Raum, in dem ein Loch im Boden war. Zwei von uns sind abgestürzt. Einer von den beiden hatte einen Stein auf den Kopf bekommen. Ich hätte nie gedacht, dass bei der geringen Schwerkraft so ein Kiesel jemanden töten könnte.“
„Wir haben die Leiche gesehen.“
„Wir sprangen hinterher und mussten dann in einen weiteren Schacht springen.“
„Und dann kamen Sie hier her?“
„Ja.“
„Alle?“
„Nein, zwei von den Jungs wollten nicht noch weiter runter springen, sie meinten sie müssten in der Nähe des Eingangs sein. Sie gingen in einen Gang und wir hörten nichts mehr von ihnen.“
„Hatten Sie keine Funkverbindung?“
„Die ist hier unten sehr gestört.“
„Sie hätten Relais aufstellen sollen.“
„Salvador sagte es wäre unnötig hier und dann ließen wir es auch sein. Wir hatten nicht mal die Ausrüstung dafür dabei.“
„Klingt nicht sehr gut.“
„Machen Sie, dass es aufhört!“ brüllte Larson plötzlich aus vollem Hals.
Gina schlug ihn kurzerhand bewusstlos.
„Mal sehen, was das ist. Es ist gerade lauter geworden.“ murmelte Miriam.
Sie führte uns auf der Gerüstkonstruktion drei Ebenen nach unten.
Sehr zielsicher fanden wir dann ein großes Portal. Es war fast vier Meter hoch und ebenso breit. Das Portal war absolut identisch mit den Portalen auf der Mars-Installation. Es stand offen.
Gina zückte ihre Waffe, aber Miriam hielt sie zurück. Mitten im Raum stand aufrecht ein riesiges Wesen. Vier Arme, zwei Beine, ein erkennbarer Kopf. Die Kleidung sah aus wie aus Metallteilen und Leder zusammengesetzt. Der Kopf war kahl. Die Haut des Wesens schimmerte leicht rosa.
Wir griffen alle instinktiv nach unseren Waffen, aber durch Bildstörungen und Bildwechsel erkannten wir, dass es sich um ein Hologramm handelte. Es war wohl so etwas wie eine Aufzeichnung. Dieses Flüstern ging von ihm aus, zumindest klang es so.
Die Fleischer-Brüder sahen sich in dem Bereich um. Schrank kletterte zurück und wartete auf die hoffentlich bald eintreffende Verstärkung. Der Rest beobachtete das Hologramm.
Das Hologramm wechselte von der Gestalt immer wieder auf andere Ansichten. Mal ein Planet, mal ein fremd wirkendes Raumschiff und dann wieder etwas nicht Definierbares.
„So etwas haben wir auf dem Mars nicht gefunden ...“
„Ich weiß.“
„Siehst du die ganzen Fächer?“
Ich blickte mich um. Miriam hatte recht. Überall waren Fächer angebracht, in denen etwas lag. Miriam griff sich einen Gegenstand aus einem Fach und hielt es in der Hand.
„Das ist genau so tot wie die Teile im Lager oben.“
„Vielleicht sind die Teile gar nicht so tot, wie sie scheinen.“
Gina nahm Miriam das Artefakt aus der Hand und ging zu so etwas Ähnlichem wie einer Konsole. Sie zog einfach das Modul, welches in einer Vorrichtung lag, heraus und setzte das, was Miriam in der Hand hatte ein.
Das Hologramm änderte sich.
Es zeigte jetzt eine blühende Landschaft. Maschinen fuhren über Felder. Im Hintergrund sah man mehrere Pyramiden stehen.
„Ich glaube, wir haben hier ein Archiv gefunden.“
„Das glaube ich auch. Wenn McGrown mit den Geräten hier eintrifft, sollten wir weiter kommen.“
Miriam sah mich bei den Worten irritiert an.
„Er wollte eines der tragbaren linguistischen Systeme herschaffen, die sie auf der CV223 verwendeten.“
„Ah, das wusste ich nicht.“
„Bo ... eh, Colonel, bitte kommen Sie kurz mit!“
Jakob versuchte immer noch, das Ganze förmlich zu halten, aber es gelang ihm definitiv nicht. Miriam drückte auf eine Taste an der Konsole. „Ich schalte das wohl besser mal ab.“
Die Lichtkugeln sorgten für ein unangenehmes Dämmerlicht und wir schalteten die Taschenlampen wieder ein.
Auf dem Boden der Konstruktion war ein Basislager eingerichtet. Bastian stand in dem Lager vor einem alten, vergilbten Buch.
„Echtes Papier?“ fragte ich.
„Nicht ganz, es ist Permaplast, es sieht aber nach einiger Zeit aus wie altes Papier, der Alterungsvorgang dürfte aber abgeschlossen sein.“
Gina, Miriam und ich stellten uns vor dem Tisch, auf dem das Buch lag, und lasen den letzten Eintrag:
Forschungslogbuch Dr. Ag. Steinblut. 22. September 2476
Diese Schweine!
Erst schleifen sie einen auf diesen gottverlassenen Außenposten und zeigen einem den Fund des Jahrtausends und dann wird alles wieder abgeblasen.
Wir sind fast ein halbes Jahr hier gewesen und wir haben uns bereits einen ganzen Haufen der Artefakte aus dem Marianengraben zukommen lassen.
Ich glaube, wir hätten fast die Übersetzung geschafft, aber nein, Generalissimo Scienbaum musste ja die ganze Aktion wieder abblasen.
Probleme auf der Erde und ein sogenanntes Sicherheitsproblem waren daran schuld.
Ich habe mich mit meinem Team hier häuslich eingerichtet, ich denke ein paar Monate dürften wir es auch ohne Versorgung von außen schaffen.
Diese Forschung ist zu wichtig um ...
Der oder die Doktor Ag. Steinblut konnte ihren Eintrag nicht beenden. Das Blut auf den Seiten sagte eigentlich genug.
Miriam blätterte in dem Buch herum, während wir das Lager weiter untersuchten. In einem der Zelte lagen mehrere Leichen auf den Pritschen. Man konnte sehen, dass sie hier noch gepflegt worden waren, aber irgendwann mussten sie an den Wunden gestorben sein.
Dr. Steinblut lag ebenfalls auf einer der Pritschen.
In der Nähe des Lagers, direkt unter dem Artefakt fanden wir den Rest von Steinbluts Stab. Säuberlich aufgereiht und exekutiert.
Viel mehr gab es leider nicht zu entdecken.
McGrown, Dr. Baratheros sowie ein Trupp Marines aus Varials Stab trafen ein.
Wir befragten noch einmal Corporal Shawn Larson. Er war immer noch sehr zerrüttet, aber er wirkte wesentlich gefasster. Anscheinend waren er und seine Kameraden durchgedreht als sie hier alleine und nur mit geringen Vorräten fest saßen.
Zwei wurden getötet. Shawn hatte sich auf der unteren Ebene versteckt und auf der oberen Etage war der andere Überlebende des Trupps, der auf den Vorräten saß.
Das Übersetzungsgerät von McGrown lieferte auch erst einmal nichts Brauchbares, aber es analysierte die Sprache. Dr. Baratheros und Miriam stritten sich eine Weile darüber, wer hier bleiben musste. Letzten Endes fand sie heraus, dass Baratheros hierbleiben wollte und damit war für sie das Ganze erledigt.
„Ich möchte auf dem Mars ein wenig was nachforschen. Können Sie per Tachnet mir die Daten von hier liefern, sobald Sie eine brauchbare Übersetzungsmatrix haben?“
„Werde ich tun, Miss Chekov.“
„Sehr schön.“
„Nehmen Sie doch den Datenkristall mit, dort, ich glaube das dürften die Daten des Teams von hier sein.“
„Wollen Sie die nicht nutzen?
„Ach was, die Stümper haben ein halbes Jahr hier herumgefuhrwerkt, ohne zu wissen, was sie tun. Ich werde das auch ohne die Daten hin bekommen.“
„Wie sie meinen.“
Baratheros blieb beim Artefakt. Hier würde bald eine kleine Heerschar Wissenschaftler arbeiten. Ich kehrte mit meinem Team zur Basis zurück.
Es war der alte Fahrstuhl, der uns rumpelnd zurückbrachte. Er gab mir nach fast zwei Tagen in den Gängen dort unten wieder ein Gefühl von Sicherheit.
Wir betraten den Korridor und hinterließen eine tierische Sauerei auf dem Fußboden.
„Moment, hier stimmt was nicht!“
„Was ist?“
„McGrown? Sie waren doch auch hier und dürften so eine Sauerei hinterlassen haben wie wir.“
„Haben wir, aber ich dachte die automatische Reinigung dürfte das erledigt haben.“
„Automatische Reinigung?“
„Auf der Gefräßiger Wolf haben wir doch auch eine.“
„Stimmt.“
Wir waren ein paar Schritte marschiert, als wir ein Rumpeln hören. Alle zogen ihre Waffen und suchten irgendwo Deckung. Mustafa stand mitten im Korridor, unschlüssig, was er tun sollte.
„Verunreinigung entdeckt, beginne Beseitigungsverfahren!“ Dröhnte es aus einem alten Lautsprecher.
Ein Leuchten entlang der Kanten des Korridors signalisierte, hier kommt etwas. Es glühte gefährlich. In der Mitte des Rechtecks zeigte sich ein Sensorkopf einer alten Reinigungsanlage.
„Grobe Verunreinigung entdeckt. Bereite Beseitigung vor!“
Mit diesen Worten schaltete die Maschine einen Hochenergiestrahl ein, der Mahadi Mustafa sofort einäscherte.
Die Fleischer Brüder warteten nicht erst, bis sie entdeckt wurden. Sie rollten sich synchron in die Mitte des Korridors, brachten ihre Kombi-Karabiner in Stellung und feuerten. McGrown, Gina und ich fielen in das Feuer ein.
Ein weiterer Strahl fuhr durch die Mitte des Korridors, die Fleischer wichen behände aus und gaben der Maschine den Rest.
Als man die zerstörte Maschine untersuchte, fand man in ihrem Reststoffbehälter einige Hundemarken der hier verschwundenen Soldaten.
Varial würde zwar noch ein wenig nachforschen müssen, bis alle Fälle aufgeklärt waren, aber der Hinweis auf das alte Reinigungssystem half, einige Puzzleteile zu lösen.
Wir waren bereits auf dem Weg zum Mars, als wir erfuhren, dass man mit den Überlebenden der CV223 einen Vertrag geschlossen hatte. Er erlaubte ihnen, hier Bergbau und Handel zu betreiben. Als Gegenleistung mussten sie die Instandsetzung der Catamaran bezahlen und durchführen. Die Weißer Wolf wurde vorerst hier stationiert, bis eine reguläre Garnison eingerichtet werden konnte.
571RB erhielt den offiziellen Namen „Wolfsnest“.
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2010
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