Cover

Blutverschmiert


Es ist zu kalt, sagt Lea. Natürlich. Sie muss sich immer beschweren. Im Winter ist es zu kalt. Im Sommer zu warm. Ich antworte ihr nicht, ich habe nicht den Mut, etwas zu sagen, was ihr nicht gefallen könnte. Ich würde ihr aber gerne sagen, dass mich die Kälte nicht stört. Denn sie dringt in meine Knochen, mein Herz. Die Kälte zeigt mir, dass ich lebe. Wir halten beim Kiosk, kaufen Kaffee. Zu viel Milch, zu viel Zucker. Ich trinke meinen Kaffee schwarz. Die Kälte des Winters und der heiße Kaffee treffen aufeinander.
Eine prickelnde Mischung. Am Ende der Straße treffen wir Kathi. Wie jeden Morgen. Sie erzählt von Mark, ihrem Neuen. Ich setze ein Lächeln auf, aber es ist nicht echt. Auch mein interessierter Blick. Ich höre nicht zu. Was interessiert mich das Ganze? Sie hat jeden Tag einen Neuen von dem sie erzählt und die Geschichte dazu ist immer die gleiche.
Am Schultor steht Nick. Seine schwarzen Haare sind künstlich verwuschelt, seine braunen Augen mustern mich von oben bis unten.
Er zieht ein letztes Mal an der Zigarette, schmeißt sie auf den Boden und kommt auf mich zu. Als er mich küssen will, weiche aus und drücke ihm wortlos ein Pfefferminzkaugummi in die Hand.
Er verdreht genervt die Augen. Mir ist das egal. Ich kann lächeln, wenn mir eigentlich nicht danach ist. Aber meinen Freund küssen, der nach Aschenbecher schmecken würde? Nein!
Er ist sauer. Ich merke so was. Er redet auf dem Weg zum Klassenraum nicht mit mir und fragt nicht, wie mein Wochenende war. Sagt nicht, wie süß meine Locken aussehen, die ich extra wegen ihm in meine Haare gezaubert habe. Ein schlechtes Gewissen bekomme ich trotzdem nicht.

Ich habe keine Lust, ihn zum Reden zu bewegen. Aber ich muss. Die Leute würden reden. Ich nehme seine Hand und halte sie fest. Wir sehen uns, sagt er und geht. Ich betrete den Klassenraum. Setze mich wortlos an meinen Platz. Ein Paar Leute kommen zu mir. Wir tauschen belanglose Floskeln über das Wochenende aus. Die Nummer mit dem Kaugummi eben war echt unnötig. Lea sagt das. Natürlich! Als ob ich nicht wüsste, das sie hinter Nick her war. Meine Sache, sage ich. Sie zuckt beleidigt mit den Schultern. Ich will Kathi fragen, was sie von der Sache mit dem Kaugummi hält. Sie knutscht mit Cedric rum und ich störe sie nicht.

Die Stunde ist lang und ich kann mich nicht konzentrieren. Ich starre aus dem Fenster, denke an nichts. Die Worte in meinem Buch ergeben keinen Sinn. Als es zur Pause klingelt, gehe ich nach draußen und stoße mit Nick zusammen. Um nicht zu streiten, küsse ich ihn. Er drückt mich gegen die Wand, seine Hände wandern über meinen Körper. Ich merke wie erregt er ist. Sein Atem wird schneller, seine Küsse feuchter. Ich denke an meine neuen Schuhe. Hinterher betrachtet er mich grinsend. Deine Locken sahen heute Morgen schon gut aus aber jetzt, sieht es echt sexy aus, sagt er. Ich wollte gar nicht wissen, wie durcheinander meine Haare waren. Ich lächle künstlich, doch es fällt ihm nicht auf. Ich komm heute Abend zu dir, sagt er. Ich nicke und er verschwindet zwischen den Schülern. Ich öffne die Klassentür. Kathi macht mit Mark rum, sie sitzt breitbeinig auf seinem Schoß. Ich wundere mich nicht. So ist Kathi nun mal. Sie macht mit jedem rum.
Ich setze mich neben Lea. Sie betrachtet mich abschätzig. Ich zücke meinen Taschenspiegel, richte meine Haare. Die Schulklingel klingelt. Kathi und Mark lösen sich langsam voneinander. Ich zupfe ihr T-Shirt und ihre Haare zurecht. Was war das heute Morgen mit Cedric?, frage ich. Sie sieht mich verschwörerisch an. Ich will es gar nicht wissen!

Die nächste Stunde passe ich auf. Ich verstehe was Frau Lange über Variablen erzählt. Und auch die Worte auf meinen Arbeitsblättern ergeben Sinn. Als es klingelt, hängt Kathi schon wieder an Cedrics Lippen und Lea ist aus der Tür gestürmt. Ich stehe auf, packe meine Sachen. Max kommt zu mir, er ist das komplette Gegenteil von Nick. Er hat blonde Haare und blaue Augen. Eigentlich kann ich ihn nicht leiden. Er ist einer dieser Reichen, die in den riesigen Häusern auf der anderen Seite der Elbe wohnen. Hast du Mathe verstanden?, fragt er. Ich nicke. Wir gehen zusammen aus dem Klassenraum. Vielleicht können wir uns ja morgen treffen, sage ich. Ein Kurzschluss in meinem Gehirn? Vielleicht. Er sieht mich verdutzt an und sagt ja. Ich weiß, dass es Nick ärgern wird, soll es auch. Es soll wissen, dass es auch andere gibt, die sich für mich interessieren. Auf dem Flur steht Nick. Er zieht mich an sich, drückt seine Lippen hart auf meine. Halte dich von diesem Jungen fern, Theresa, sagt er. Ich sehe ihn irritiert an. Warum, will ich wissen. Er zieht mich mit sich. Ich finde das schon süß. Eifersucht, urteile ich. Die restlichen zwei Stunden vergehen ereignislos.
Nick fährt mich nach Hause. Obwohl er erst heute Abend kommen wollte, bleibt er schon. Meine Mutter ist nicht da. Ich dachte nicht länger darüber nach. Sie war nie da.
Nick und ich liegen im Bett, küssen uns leidenschaftlich. Er fährt unter mein T-Shirt, umfasst meine Brust. Ich setze mich auf seinen Schoß, wie in der Schule Kathi bei Mark. Mein Atem geht schneller. Ich ziehe ihm das T-Shirt über den Kopf, streiche über seine muskulöse Brust.

Als ich die Augen öffne ist es noch dunkel. Nick liegt neben mir. Er ist verschwitzt, unsere Körper kleben aneinander. Ich will aufstehen, er wacht auf. Sorry, flüstre ich. Er zieht mich zu sich, küsst mich auf die Stirn. Ich kuschle mich an ihn, genieße seine Wärme. Ich liebe dich, sagen wir gleichzeitig. Ich lächle. Unsere Lippen verschmelzen miteinander.
Als ich das nächste Mal aufwache ist Nick nicht mehr da. Er musste zum Fußball-Training. Die Sonne scheint. Ich nehme mein Handy. Halb Zehn. Viel zu früh zum Aufstehen. Ich drehe mich wieder um. Mein Handy klingelt. Nick, denke ich. Schnell drehe ich mich wieder um, gehe an mein Handy. Es ist Max. Ich bereue, dass ich ihn gefragt habe, ob wir uns heute treffen. Wir verabreden, dass er zu mir kommt. Meine Mum ist wieder nicht da. Wahrscheinlich ist sie mal wieder bei einem neuen Freund geblieben, nach der Arbeit im Klub. Ich ziehe mich an. Gehe in die Küche, stelle auf den Tisch ein paar Kekse. Mein Zimmer will ich nicht aufräumen, ich liebe es wenn noch ein paar von Nicks Sachen rum liegen. Dann sieht es endlich mal so aus, als würde hier noch jemand leben außer mir. Ich mache das Radio an, summe bei meinen Lieblingssongs mit. Ich lege ein paar Sachen zum Kochen raus. Meine Mum würde spät kommen. Ich könnte für Nick und mich kochen. Es klingelt. Ich setze ein Lächeln auf, öffne die Tür. Du siehst wunderhübsch aus, sagt Max. Ich lächle wiedermal künstlich. Wir setzen uns in die Küche, reden über dies und das. Ich schneide schon mal ein bisschen Gemüse. Rede mit Max. Mit den Gedanken bin ich bei Nick. Seine Hände auf meinem Körper. Sein Lächeln, seine verwuschelten Haare.
Plötzlich liegen Hände auf meiner Taille. Blitzschnell drehe ich mich um. Max sieht mich an, streichelt über meinen Busen. Lass das, sage ich. Er schüttelt ernst den Kopf. Seine Hand fährt unter mein kurzes Kleid. Ich versuche ihn wegzustoßen. Wieder und wieder. Ich will schreien. Max erstickt meine Schreie mit widerlichen Küssen. Tränen laufen über mein Gesicht. Nick, denke ich, wo bist du? Max schubst mich gegen den Esstisch, öffnet seine Hose. Ich stürze mich auf ihn.

Er stößt mich gegen die Arbeitsfläche. Ich schließe für ein paar Sekunden die Augen.

Als er sich mir wieder nähert, geht der Schlüssel im Schloss. Max hält inne. Du hast gesagt wir sind allein, sagt Max. Ich schluchze. Ich höre wie Nick seine Schuhe auszieht. Hey Süße. Ich hatte Sehnsucht nach dir, sagt er. Er kommt in die Küche, sieht mich entsetzt an. Ich muss fürchterlich aussehen. Leben kommt in meinen Held. Er kommt zu mir, zieht mich hinter seinen Rücken. Dann schlägt er Max mitten ins Gesicht. Der rennt aus der Wohnung, ohne etwas zu sagen. Ich sinke in Nicks Arme, weine.
Das dritte Mal an diesem Tag wache ich auf. Ich sehe in Nicks nachtblaue Augen. Du solltest dich doch von ihm fernhalten, sagt er. Aber kein Vorwurf ist in seiner Stimme. Ich atme zitternd ein. Hunger, fragt er. Ich nicke nur. Er geht in die Küche, kommt mit einem Marmeladenbrötchen wieder. Ich sehe ihn entsetzt an. Du isst das, sagt er. Er drückt mir das Brötchen in die Hand, setzt sich neben mich aufs Bett. Ich versuche nicht an die tausend Kalorien zu denken, die ich da essen soll, doch es sind so viele. Iss, sagt Nick. Ich beiße ab, es schmeckt. Ich lehne mich an Nick, das Klopfen seines Herzens an meinem Ohr. Es beruhigt mich. Ich lege das Brötchen beiseite. Du sollst das…, ich unterbreche seinen Protest mit einem Kuss. Ich wandere mit meinen Küssen über seinen Hals, finde wieder seine Lippen. Ich lege mich auf mein Bett, ziehe ihn über mich. Resa, der Typ wollte dich…, ich lege ihm einen Finger auf die Lippen. Ich weiß, sage ich, aber ich liebe dich trotzdem.

Ich öffne die Augen, ich halte das Messer vom Gemüseschneiden in der Hand. Max starrt mich entsetzt an. Das Messer fällt zu Boden, ich sehe auf meine blutverschmierten Hände. Sie zittern.

Impressum

Bildmaterialien: http://weheartit.com/entry/5692043/via/frozengirl
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /