Schmerzen
©2010 Frank Schneider
Man sollte meinen, sie kommen und sie gehen. Aber der Schmerz ist heimtückisch. Manchmal bleibt er auch. Und manchmal sogar länger. Länger als einem lieb ist. Als es einem lieb sein kann… Sofern man jemals davon sprechen könnte das einem Schmerz in dieser heimtückischsten aller Formen lieb sein kann.
Begonnen hat alles vor 3 Jahren. Moment, nein. Es sind inzwischen sogar 4 Jahre vergangen. Man sagt ja, die Vergangenheit wäre tot. So ganz stimmt das leider nicht. Nicht für jemanden der Schmerz empfindet. Kein Seelischer schmerz. Echter peinigender, brennender, körperlicher Schmerz. Er Durchbohrt, er Zerreißt. Er zerstört nicht nur den Körper oder entsteht aus der Zerstörung desselbigen. Nein dieser Schmerz frisst sich durch den Körper und danach ganz langsam durch die Seele. Nagt an allen Gefühlen und mit ihm kommt die Angst.
Zunächst ist es die Angst vor dem Ableben. Möge es noch nicht zu bald geschehen. Man möchte weiter leben und alles um einem herum teilt die eigenen Ängste. Die Menschen leben noch mit einem. Doch dann beginnt eine
Zeit, da scheint sich diese Welt zu spalten. Das Mitgefühl der Mitmenschen wächst gleichsam mit ihrer Angst das man sterben könnte, jedoch die eigene Angst wandelt sich… Langsam wird es deutlich und immer deutlicher. Bis man sich eingesteht das man keine Angst mehr vor dem Tod hat, sondern vor dem Leben.
Nein, das ist nicht ganz richtig. Es ist die Angst mit dem Schmerz und dessen Auswirkungen leben zu müssen. Wird es noch schlimmer? Wie lange muss man noch warten bis es endlich vorbei ist?
Die Ärzte erzählen einem immer wieder gern, das heut zu Tage niemand mehr mit Schmerzen leben müsse. Niemand müsse sich quälen und es ertragen. Aber die Wahrheit sieht wahrhaftig anders aus. So wahrhaftig und so tückisch, wie einem der Schmerz begegnet. Genau so ist der Glaube der Menschen, wenn es darum geht zu erklären, wo der Schmerz herkommt. Wie er sich anfühlt. Ja teilweise geht die ganze Beschreiberei sogar so weit, das man den Ärzten erklären soll, welche – oh heimtückische Krankheit – einen doch befallen hat.
Am Anfang war es ja noch harmlos. Dirk Kieler ging sogar noch 2 Jahre arbeiten. Im ersten Jahr in dem der Schmerz kam er sogar ganz ohne auch nur einen einzigen Tag „Krank“ zu machen, klar. Aber danach ging es Stück für Stück, immer schlechter. Er bekam Probleme mit der Atmung. Jeder Atemzug ein Brenntiegel in seiner Brust. Ein Krankenhausbesuch jagte den nächsten und die Ärzte fanden nichts. Immer wieder meinte dann mal wieder einer, das Ganze wäre Psychosomatisch oder er gar ein Hypochonder, was im Grunde genommen nichts anderes ist, nur das er persönlich letzteres mit Einbildung und somit nicht vorhanden assoziierte. Dumm nur, das für ihn, seine Schmerzen höchst Real und nicht minder lebenqualitätsseinschränkend sind. Wenn die Ärzte ihm dann sagen das ganze sei Psychosomatisch und man könnte ihm nicht helfen, wächst von Tag zu tag seine Wut auf diejenigen die ihm im Grunde helfen möchten und der Glaube an die moderne Medizin zerbricht in immer kleinere Bröckchen, bis das nichts mehr davon übrig scheint. Manchmal verliert er den Glauben an sich selbst. An seinen Verstand. Und die Ängste wachsen immer mehr.
Letztens beim Neurologen erklärte dieser ihm: „Herr Kieler. Irgendwo haben sie ein Psychologisches Problem und dieses verursacht diese Schmerzen.“
„Herr Doktor. Ich habe psychische Probleme wegen der Schmerzen aber ich hatte bevor die Schmerzen da waren keinerlei Probleme“
„Woher wissen sie das?“, wollte der Arzt wissen und Dirk merkte schon wohin dies führte. Wieder ein Weg ins Leere.
„Woher wissen Sie es?“, sagte Dirk ungeniert und sah dem Mann direkt in die Augen. „Ich meine, wenn dem so ist…“, er machte eine kleine Pause bevor er weiter sprach, „Warum sagen sie mir dann, sie mir dann, Sie können mir nicht helfen? Ich denke dies ist ein reeller Schmerz und keine Einbildung und jetzt handeln Sie so als wäre er nicht reell und doch Einbildung. Wissen sie wie stinksauer ich auf solche Widersprüche bin?“
„Ja. Aggressionen passen auch in dieses Krankheitsbild.“
„Klasse. Prima Antwort. Nur hilft sie nicht wirklich weiter. Aggression passt in viele Bilder. Können sie nicht nachvollziehen, das ich nach 4 Jahren Schmerz, ein wenig angepisst bin?“
Dirk spürte das er über zu kochen drohte.
„Herr Kieler. Das wird uns nicht weiterbringen wenn sie nun mit Kraftausdrücken um sich werfen.“
„Herr Doktor. Da haben Sie Recht. Ich bitte um Vergebung. Doch sehen Sie? Das passt genau ins Krankheitsbild. Einem Krankheitsbild, das auf der einen Seite keines ist, mit weil es Medizinisch nicht erklärbar ist und auf der anderen Seite medizinisch erklärt wird mit Begriffen wie somatomes oder somatoformes Syndrom oder Hypochondrie wobei letzteres als Wort für Einbildung verstanden wird und gleichzeitig wird dann wieder gesagt, - Nein Einbildung ist das nicht. Sie empfinden den Schmerz doch real. - Für mich, als Nichtmediziner steckt das Ganze voller Widersprüche. Besonders wenn man mir auf der Einen Seite war machen möchte dass es völlig normal sei und auf der anderen das es ein Psychologisches Krankheitsbild ist. Ich bin nur ehrlich mit ihnen. Ich sage ihnen das Sie recht haben und das es sich trotzdem widerspricht und gleichzeitig normal und krankhaft ist. Selbst meine oder Ihre Wut ist dem Standpunkt nach gesehen normal oder Irrational.“
Nach diesem geistigen Erguss starrte der Arzt, Dirk an. Er
konnte nichts erwidern. Sah ihn nur an und nickte dann.
„Ich verstehe sie gut. Aber ich bin auch ehrlich mit ihnen, wenn ich ihnen sage, das ich persönlich ich ihnen nicht helfen kann. – Aus diesem Grunde schicke ich sie zu Spezialisten…“
„…die mich immer und immer wieder mit den selben Untersuchungen belegen aber niemand hilft mir.“, unterbrach Dirk ihn. „Verstehen sie mich bitte nicht falsch. Ich gehe doch zum Arzt, damit mir geholfen wird. Und… und… das geschieht einfach nicht.“
„Erwarten sie jetzt von mir, das ich sie quasi Gesund zaubere?“
„Oh mein Gott. Nein. Das erwarte ich nicht. Wie könnte ich das, nach 4 Jahren in Schmerzen. Da glaube ich gar nicht dran. Ich weiß auch nicht, was ich jetzt noch erwarten kann. Wenn ich ihnen jetzt sage, dass ich, wenn wir jetzt das Gespräch beenden, wohl weiter mit dem Schmerzen leben muss, werden sie mir wieder sagen das es in unserer Zeit nicht nötig ist mit schmerzen zu Leben.“
„Das ist ja auch so.“
„Und warum lebe ich dann jetzt schon 4 Jahre damit?“
„Hören Sie, Herr Kieler. Mir gefällt es genau so wenig wie ihnen. Ich möchte ihnen gern helfen und sitze auf der anderen Seite des Tisches. Für mich ist es ebenso Quälend sie Leiden zu sehen. Aber wenn wir uns weiter auf diese Art der Unterhaltung einlassen, führt das doch zu nichts. Ihnen ist damit nicht geholfen und an der Situation ändert es nichts. Ich würde mich an Ihrer Stelle ebenso fühlen wie sie. Mein Vorschlag ist, das ich sie noch einmal zu einem Psychologen und wenn das alles nichts bringt überweise ich sie in die Uniklinik nach Essen.“
Resigniert nickte Dirk. Denn was sollte er schon tun. Er schlug diese Möglichkeit ja nicht aus, das er tatsächlich ein psychisches Problem hatte. Doch gleichzeitig beunruhigte ihn die Tatsache das es Ärzte gab, die sich dem auch nicht so sicher waren und es viel lieber an einen Bandscheibenvorfall oder einem Tumor innerhalb der Wirbelsäule festmachten. Jeder kochte sein eigenes Süppchen. Das er inzwischen stärkste Medikamente bekam und alle bereit waren eher die Dosis zu erhöhen als die Ursache seiner Schmerzen herauszubekommen, ob nun psychosomatischen oder organischen Ursprunges, das
schien nicht wirklich jemanden zu kümmern. Aber es schien auch nur so. Er glaubte schon, dass man bemüht war ihm zu helfen. Die Zeit war es, die ihn in dem Schmerz band.
Dirk Kieler dachte nach einem weiteren Jahr daran, die Sache selbst zu beenden. Doch er tat es nicht. Irgendwas hinderte ihn daran. Vielleicht das Wissen, sobald er dies tat, oder auch nur den Versuch unternehmen würde… nun, er stempelte sich quasi dann selbst als „geschädigt“ ab. Wie immer er dies auch selbst meinte.
Dirk lebte noch lange Jahre in seinen Qualen, bis er letztendlich seinem Leiden erlag. Aber er hatte auch noch glücklichere Jahre – immer wieder durchzogen von seinem „Alten Schmerz“, denn So Quälend wie der Schmerz auch war. Eines hat er nie getan.
Sein Leben aufgegeben. Eine alte Weisheit half ihm dabei. „Kannst du deinen Feind nicht besiegen, mach ihn zu deinem Verbündeten.“ (Tzuntzu – Die Kunst des Krieges)
Alles in Allem war es nur am Anfang des Schmerzes eine Tragödie. Letztendlich siegte aber die Liebe zum Leben und am Ende selbst die Liebe zum Schmerz, andernfalls hätte
Dirk Kieler nicht überlebt.
Da war er wieder. Der Widerspruch.
Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe Sie in Zukunft als treuen Leser wieder zu sehen.
Texte: (c)2010 Frank Schneider - Bilder o. Illustration: www.fotocommunity.de
Alle Rechte vorbehalten!
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für all diejenigen die nie aufgeben und gelernt haben trotzdem zu Leben