„Sind sie Inspector Eden?“, fragte der rothaarige Billy, ließ die abgenutzten Plastikborsten seines Besens über den Boden scharren und fegte Zigarettenstummel, und kleine, leere Schnapsflaschen, die von einer exzessiven Partynacht zeugten, zu einem Haufen zusammen.
„Nein Sir, der Inspector ist leider unpässlich. Constable White. Ich übernehme vorerst.“
Billy musterte den jungen, knapp hundertachtzig Zentimeter hochgewachsenen Constable, der nach seiner Einschätzung höchstens zwei oder drei Jahre im Dienste der Polizei von Willsborow stehen konnte, von oben herab, und kaute dabei behäbig auf einem alten Wrigley Dental White herum. Für seine urinfarbenen Zähne kam diese Maßnahme sichtbar zu spät, und jedes Mal, wenn sich beim Sprechen sein unterer Kiefer von dem Oberen entfernte, gaben die gelben Stummel maßlosen Tabakkonsum und mangelndes Hygieneverhalten preis.
„Sir, wo liegt denn der Finger?“, fragte der junge Constable, griff in die Innentasche seines Mantels und holte einen kleinen Notizblock hervor, an dem ein silberner Kugelschreiber klemmte. Billy schob seine rechte Augenbraue Richtung Haaransatz, die sich optisch kaum von seiner rötlich-weiß, Pigment gefleckten Hautfarbe absetzen konnte.
„Verzeihen Sie, Constable, aber haben Sie bei der Polizei keine Tablets?“, frotzelte der Ire mit dem entsprechenden Unterton.
„Doch Sir, aber es geht häufig schneller das in alter Manier zu bewerkstelligen. Mit Zettel und Stift.“ Der Constable bog gewaltsam seine Mundwinkel nach oben und fuhr unausgesetzt fort.
„Wo befindet sich der Finger? Sir, Sie sagten doch, es wäre ein Finger, korrekt?“
Billy spuckte das ledrig gemahlene Wrigley auf den zusammengekehrten Haufen. Ein Schuss Speichel schoss hinterher und spannte einen zähen Faden von Lippe zu Kinn, den er sich in den Ärmel seines karierten Holzfällerhemds schmierte.
„Kommen Sie, ich zeig es Ihnen. Wissen Sie, Constable, mich stört so ein Anblick nicht. Ich bin nicht so ein Weichei.“
„Gut zu wissen, Sir.“, antwortete der Constable geschäftsmäßig.
„Sind Sie eigentlich neu hier in Willsborow. Oder kommen Sie aus Lanfield? Da kommen die meisten Bobbies her, richtig?“
„Nein Sir, ich bin für ein Jahr hier in Willsborow. Danach gehe ich wieder nach London zurück.“
„Ahhhh.“, gab Billy von sich und nickte. „London, interessant“
Schwarz-graue Wolken schoben sich vor anthrazitfarbene Himmelsgesellen und raubten dem trüben Tag noch mehr Licht als zuvor. Zunehmender Wind trieb Regen zu Boden und ließ die langen Fäden auf das Wellblechdach der Werkstatthalle prasseln.
„Kommen Sie, Constable. Bevor Sie ganz nass werden.“
Billy der Ire und Police Constable Matthew White betraten die Werkshalle und klopften sich den britischen Regen vom Stoff. Meterlange Leuchtstoffröhren tunkten die Maschinen-reiche Werkstatt in ein monotones, kaltes Weiß und gaben Hebebühnen, Werkzeugregale, Autoreifen und Ersatzteile zu erkennen.
„Folgen Sie mir Constable. Da drüben liegt das Ding.“
Die Halle reflektierte die Akustik ihrer Schritte. Ihrer Worte.
„Sie hatten gestern bestimmt einen guten Klang, Sir.“
Billy drosselte die Schrittgeschwindigkeit, blieb stehen und wandte sich zu Constable White. Seine rechte Augenbraue hob sich erneut.
„Gut? Das war der Hammer, Constable. Hat einen glatt weggefegt.“
Billy beendete den Satz grunzend.
„So, angekommen, Constable. Da liegt das Ding.“
Der Werkstattbesitzer wies mit seinem knochigen Zeigefinger auf eine Stelle, neben einer Werkbank am Hallenboden, wo sich ein ebenbürtiges Exemplar zwischen Motoröl-Schlieren und Blutspritzern befand. Constable White schonte seine junge Knochen nicht und ging in die Hocke, um das akrale Fundstück zu begutachten. Er zückte eine Pinzette und einen durchsichtigen Druckverschlussbeutel aus seiner äußeren Manteltasche und ließ den Finger zielsicher in der Kunststofftüte verschwinden. Der Himmel von Willsborow erbrach sich verkrampft über der 3000 Seelen Gemeinde und machte die Werkstatt von Billy Macduff, an diesem trostlosen Sonntag, zu einem verhältnismäßig angenehmen Ort.
„Der Rest ist für die Spurensicherung.“
Der Constable richtete sich auf und beäugte argwöhnisch die Umgebung
„Wie lange ging der Spaß, Sir? Und wann haben Sie den Finger gefunden?“, fragte er.
„Die haben bis kurz nach Mitternacht gefeiert und sind dann zu Harley´s Pub rüber.“, gab Billy zu Protokoll und grunzte.
„Die haben ordentlich getankt. Und da waren einige hübsche Früchtchen bei.“
Der Ire rümpfte seine schmale, spitze Nase.
„Sie wissen ja was ich meine, Constable.“
Über dem Wellblechdach musste ein Inferno ausgebrochen sein. Das anfänglich energische Prassen des Regens, war zu einem ohrenbetäubenden Trommeln tobender Hagelattacken herangewachsen und brachte den Constable zu der Überlegung, die Gesellschaft von Billy länger als geplant in Anspruch zu nehmen. Pest oder Cholera – das Leben bot nicht immer nur gute Alternativen. Manchmal waren beide schlecht und man musste sich entscheiden, welche schlechter war.
„Ja ich weiß, Sir.“, antwortete der Constable mit vorgegaukelter Gewissheit über dessen Absicht, während er kurzweilig überlegte, ob in dem Satz des Iren scherzhafte Zweideutigkeit oder ernste pädophile Absichten steckten. Die Feiernden waren aus der Elften der Willsborow Comprehensive – vielleicht sechzehn Jahre, maximal siebzehn. Macduff, der schlaksige Ire, hatte nach Whites Einschätzung seine besten Jahre hinter sich und würde irgendwann als totes Stück Fleisch mit dem Besen in der rechten Hand und einer Pulle Scotch in der Linken unter der mittleren Hebebühne liegen, und zeitgleich am Himmelstor lallend eine Packung Burton, die Lungenkiller, einfordern.
„Eyyyy. Du. Komm mal her.“, bölkte Billy zu der Person rüber, die teilnahmslos im geöffneten Tor der Werkshalle stand und das Vorgehen seit einem unbekannten Zeitpunkt beobachtete.
Der Constable setzte zielstrebig nach: „Madame, bitte. Bitte komme sie einmal zu uns rüber.“, ließ aber eine selbstbewusste Konsequenz in der Artikulation vermissen. Was den jungen Matthew im Privatleben hemmte, bereitete ihm auch im beruflichen Umfeld Probleme. Der Umgang mit Frauen.
„Ich kann aber nichts dazu sagen!“, rief die junge Dame in die Halle herein.
„Ich bin mir sicher, Sie können uns helfen, Madame.“, erwiderte der Constable vorsichtig optimistisch, und zu seiner Überraschung wohl so charmant, dass die Fremde die Halle betrat und sich auf die Beiden zubewegte.
„Ich wollte nur meine Jacke holen.“, sagte sie bei schnellem Schritt.
Ihre Erscheinung gewann, mit schwindender Distanz zu Billy und dem Constable, an Attraktivität.
„Ich muss sie gestern hier vergessen haben.“
Billy stütze seinen flachen Hintern an der Werkbank ab, krümmte den Oberkörper nach vorn, kreuzte die Arme, und fokussierte ungeniert die Spitztitten der minderjährigen Brünetten. In dem nassen, weißen Shirt, spannten ihre unterkühlten Nippel und Höfe zwei kleine Zelte mit dunklem Dach, und waren damit zweifelsfrei ein Blickfang. Selbst für den Constable, für den die Kategorie >unter zwanzig< ein klares, moralisches Tabu darstellte. Ihre großen Augen malten Fragezeichen in die Luft und blickten die Herren abwechselnd und erwartungsvoll an. Billy pulte sich ein Wrigley aus der Jeanstasche, die trotz seiner knochigen Konstitution, erstaunlich eng an Hüfte, Hintern und Oberschenkel anschmiegte. Er drückte sich die aromatisierte, süße Masse in seine faulige Mundhöhle und konstatierte schmatzend: „Bist ne süße Maus. Solltest auf deine Sachen besser aufpassen, sonst kommt ..“
Der Constable gestikulierte in die Luft, um die Ausführung des irischen Proleten zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Ich denke, die wird sich schon anfinden, Madame.“, schenkte er dem hübschen Mädchen Hoffnung und drehte sich zu dem Schlaksigen.
„Mr. Macduff, haben Sie die Jacke der jungen Frau vielleicht gesehen.“
Billy Macduff zeigte auf ein spärlich bestücktes Regal neben der Tür, die zu den Büroräumen der Werkstatt führte.
„Liegt da. Ist bestimmt deine. Riecht zumindest nach sechzehnjähriger Brünette.“
Er grunzte widerlich.
„Wie heißen Sie, Miss?“, fragte der Constable, während er zum Regal ging, sich ihre schwarze Jacke mit Kunstpelz an der Kapuze weg griff und dem Mädchen brachte.
„Abbey. Abbey Trum. Danke Sir.“
Sie inspizierte ihr Kleidungsstück. Suchte scheinbar nach auffälligen Flecken oder Flüssigkeiten, die der Rothaarige dort hinterlassen haben könnte.
Texte: Tobias Biskup
Bildmaterialien: Tobias Biskup
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2015
Alle Rechte vorbehalten