Cover

Von Tomaten und Äpfeln...

 

 

Vor nunmehr mittlerweile beinahe schon fünfzig Jahren besuchte ich damals mitten im Herbst die schöne Altstadt von Prag und nachdem ich dort das "Goldene Gässchen", die Prager Burg und viele andere Sehenswürdigkeiten, wie die steinerne Karlsbrücke über die Moldau mit ihren vielseitig begabten Zeichenkünstlern und Musikern ausgiebig bewundert hatte, landete ich zu meiner eigenen Überraschung auf der Prager Kleinseite auf dem dortigen Obst-und Gemüsemarkt. Obwohl ich doch eher auf den Spuren von Kafka und dem weltberühmten Schwarzen Theater, sowie jener historischen Laterna Magica wandeln wollte, von Jaroslav Hašeks braven Soldaten Schwejk, der hier in Prag im Restaurant U Kalicha immer sein wohlschmeckendes böhmisches Bier getrunken haben soll, mal ganz abgesehen.

Der Herbst hatte zu dieser Zeit die Blätter der Bäume bereits schon kräftig umgefärbt, während vereinzelte, in der Ferne wabernde Nebelschwaden die Moldau gelegentlich etwas dunstig erscheinen ließen. Die Sonne versteckte sich hinter einem graublauen, wolkenverhangenen Himmel und auch der Wind unternahm  keinerlei Anstalten die Wolken etwas weiter fortzuschieben. In der Luft lag kaum spürbar, ein schwacher Holzfeuergeruch, denn die nun schon deutlich frischer gewordenen Nachttemperaturen veranlassten die Leute auf der Kleinseite in ihren Häusern beizeiten die Öfen und in der Küche ihre Kochmaschinen anzuheizen, um es sich daheim letztlich auch ein wenig gemütlicher zu machen. 

Auf diesem Gemüsemarkt fand ich an vielen bunten Ständen sorgfältig gepackt und recht attraktiv dargeboten das herrlichste heimische Obst und Gemüse, was man sich überhaupt nur denken konnte. Es wäre müßig, sie alle aufzählen zu wollen, denn diese taufrisch geernteten Früchte und alle jene feinsortierten bunten Gemüse und Kräuter verströmten einen unglaublichen, ja geradezu betörenden Duft, den ich in dieser Vielfalt nur von meiner Kindheit aus dem Garten meiner auf dem Lande lebenden Tante her kannte. Und genau eben dieser faszinierende Wohlgeruch schien nun wieder mit all seinen vielfältigen Düften und in gar köstlichen Nuancen über dem gesamten Marktplatz zu schweben.

Die Tomaten hatten eine mattglänzende, feste rote Schale und sie sahen aus, wie von Künstlerhand gemalt. Sie duftenden bereits hervorragend wenn man nur daran vorbeiging. Die ältere Gemüsehändlerin, eine freundliche, etwas pummelige Frau, mit einem dicken blauen Schal um den Hals bemerkte, wie ich vor ihren Tomatenauslagen stehen blieb und deren Duft genoss. Sie lächelte und sagte dann etwas auf Tschechisch zu mir, was ich natürlich nicht verstand. Ich hob die Hände zum Zeichen, dass ich leider nichts verstehen würde und wollte gerade weitergehen, als sie dann plötzlich auf Deutsch zu mir sagte,

»Bitte probieren.« Sie reichte mir mit einem Lächeln auf ihrem runzligen Gesicht eine Tomate und nickte mir dabei freundlich zu. Natürlich wollte ich eigentlich gar keine Tomaten kaufen, aber sie hielt mir das Gemüse so hin, sodass ich gar nicht anders konnte, als einfach nur zuzugreifen. »Schmeckt gut.«, sagte sie und nickte dabei sehr überzeugend. Dann wandte sie sich auch gleich wieder ihren nächsten Kunden zu, die ihr das ansprechende, stark duftende Gemüse auch gleich in größeren Portionen abkauften. Nur selten sah ich, dass dabei gelegentlich ein größerer Geldschein seinen Besitzer wechselte. Zumeist waren es jedoch nur Kronen-Münzen, Kleingeld eben, mit dem man halt auf dem Markt bezahlte.

Während ich das Markttreiben beobachtete, biss ich in die von der Gemüsehändlerin so hoch angepriesene Tomate und war von deren vollmundigen und würzigen Geschmack sogleich total begeistert. Denn ein solch wohlschmeckendes Gemüse hatte ich ehrlich gesagt, ganz gewiss nicht mitten in einer Stadt, wie Prag erwartet. Die erfahrene Gemüsehändlerin bemerkte natürlich sofort, mit welchem Genuss ich ihre Tomate verzehrt hatte und ein zufriedenes Lächeln glitt über ihr Gesicht,

»Tomaten kaufen?«, fragte sie und als ich nickte, fragte sie, »Wie viel… ein Kilo?«

Ich schüttelte den Kopf, ich konnte doch alleine kein Kilogramm Tomaten verputzen. Dann zeigte ich ihr die fünf ausgestreckten Finger meiner linken Hand,

»Fünf Stück bitte, das ist nur für mich.«

Sie nickte verstehend und riss sogleich einen dünnen Bogen graugrünes Packpapier sauber in der Mitte auseinander. Im Nu hatte sie aus der einen Hälfte des geteilten Bogens eine stabile Tüte gedreht, das spitze Ende unten eingeschlagen und mir fünf prächtige Tomaten aus ihrem Angebot herausgesucht. Danach legte sie die immer noch offene Tüte mit den frischen Tomaten auf eine uralte, rotlackierte Tafelwaage und stellte auf die Gegenseite ein kleines poliertes Messinggewicht. Dann fügte sie noch ein weiteres hinzu und als ihre Waage danach im richtigen Lot stand, nannte sie mir einen sehr günstigen Preis für ihr Gemüse. Während ich noch in meinem ledernen Portemonnaie nach ein paar Kronen kramte, hatte sie unterdessen geschickt den überstehenden Rand jener spitzen Tüte schon nach innen gekrempelt und reichte mir das so hervorragend stabilisierte Papier-Konstrukt mit dem wohlschmeckenden Gemüse gleich über den Stand hinweg. »Mächten noch süße Äpfel, mein Lieber?« Ich schüttelte wieder den Kopf, hatte ich doch eigentlich schon gar keine Tomaten kaufen wollen und jetzt auch noch Äpfel? Ich lehnte dankend ab.

Aber da drehte sie sich schon herum und rief einem hinter ihr stehenden Janek auf Tschechisch etwas zu. Der grinste jedoch nur und reichte ihr einen herrlichen, rotbäckigen Apfel aus seinen Auslagen hinüber. Dieses überaus prächtige Exemplar hätte es durchaus mit dem verlockenden Apfel von Schneewittchens böser Stiefmutter aufnehmen können, welcher jener armen Königstochter beinahe noch zum Verhängnis geworden wäre. Aber dann vernahm ich von der freundlichen Gemüsehändlerin erneut den schon bekannten Satz,

»Bitte probieren, schmeckt gut…« Und wieder hielt sie mir die Frucht so hin, sodass ich auch diesmal nicht Nein sagen konnte. Natürlich nicht, trotz des Märchens in meinem Hinterkopf. Also ließ ich mich widerstandslos breitschlagen und biss auch in diesen köstlich duftenden Probier-Apfel. Der war tatsächlich so süß und saftig, dass ich mich wirklich ernstlich mit dem Gedanken trug, auch noch eine zusätzliche Tüte von diesen Äpfeln zu kaufen. Aber schließlich konnte ich am Ende den Verlockungen trotzdem widerstehen und bedankte mich noch einmal sehr herzlich bei diesen beiden freundlichen Gemüsehändlern auf dem Prager Gemüsemarkt...

 

So nahm ich aus meinem Pragbesuch von damals die Erkenntnis mit nachhause, dort mit Sicherheit die wohl schmackhaftesten Tomaten in meinem ganzen Leben gegessen zu haben, während ich sogar Selbiges noch dazu von diesem köstlichsten aller Äpfel behaupten konnte...

 

*

 

                                  

Nun begab es sich dieser Tage, dass meine Frau zufällig eine ehemalige Arbeitskollegin wiedertraf, die sie seit Jahren schon nicht mehr gesehen hatte. Sie vereinbarten beide, dass meine Frau sie auf einen Kaffee in ihrem Garten in einer nahegelegenen Laubenkolonie besuchen kommen sollte. Als dann meine Frau von diesem Besuch heimkehrte, brachte sie ein paar Tomaten und auch ein paar Äpfel aus dem Schrebergarten jener Arbeitskollegin mit und mir fiel spontan dazu diese uralte Geschichte aus dem Herbst in Prag wieder ein, die ich damals auf diesem Gemüsemarkt erlebt hatte. Natürlich hatte ich ihr sogleich brühwarm diese illustre Geschichte erzählt und meine Frau reichte mir grinsend eine Tomate und meinte,

»Koste erst mal, bevor du weiter erzählst.«

Ich dachte, was kann das schon großartig anderes sein, Tomate ist Tomate, ließ mich aber dann doch dazu überreden und  verspeiste kurzerhand die mir dargebotene rote Frucht. Himmel, da war er wieder, dieser unglaublich fabelhafte Geschmack einer frischen, selbstgeernteten Tomate und mit dem Apfel aus ihrem Kleingarten erging es mir dann ganz ähnlich…

Altermirano, dachte ich in diesem Augenblick völlig entgeistert. Was zum Teufel haben wir denn da nur all die Jahre für teures Geld in den Berliner Supermärkten eingekauft?...

 

 

 

***

 

 

                                 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Cover: selfARTwork

Text: Bleistift

© by Louis 2019/9   last Update: 2021/11

  

Impressum

Texte: © by Louis 2019/9 last Update: 2021/11
Cover: selfARTwork
Tag der Veröffentlichung: 22.11.2021

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /