Eine ungewohnte, seltsam tiefe Stille kam aus dem nahegelegenen Wald, über den sich schon in der Nacht eine dichte, eisigkalte Nebelwand gesenkt hatte. Den dadrunter liegenden Wald konnte man bestenfalls nur noch an den kaum sichtbaren Konturen seiner Baumkronen erahnen. Zwar war es noch nicht Winter, aber es war allerdings auch kein richtiger Herbst mehr.
Es war so ziemlich genau das, was zwischen diesen beiden Jahreszeiten lag. Dazu diese unwirkliche Stille im kalten Nebel. Es schien, als hielte die Natur für einen kurzen Moment in einer Form eisiger Starre inne.
Die Sonne war tief wolkenverhangen, kaum dass sie es überhaupt schaffte, das blasse Firmament auch nur ein wenig zu erhellen.
Erster Frost hatte das bereits gefallene Laub wie von Meisterhand mit spinnwebenzarten, hauchdünnen Eiskristallen überzogen. Die ehemals kräftigen Farben des Herbstes waren jetzt einem einheitlich verrottenden Braunton gewichen. Und nur gelegentlich schimmerte noch das eine oder andere bunte Blatt unter einem Haufen vermodernden Laubes hervor. Was der kräftige Herbstwind an Laub nicht wegzublasen vermochte, sammelte sich nun an den Hecken und Sträuchern des Gartens. Die Bäume reckten ihre bereits kahl geworden Äste in den grauen Himmel und lediglich ein einziges, letztes orangerotes Blatt hing einsam noch am Pfirsichbäumchen.
Gerade schrieb ich an meiner neuen Geschichte, einer Reise mit der Postkutsche aus dem winterlich verschneiten Berlin in das vom Feuer der Revolution noch immer brennende Paris von 1792. Da kam mir dieses neblig kalte Gefühl dieses zeitigen Vorwinters gerade recht und ließ meine frierenden Protagonisten in der rumpelnden Postkutsche noch ein wenig enger zusammenrücken.
Ich zündete mir einen Zigarillo an und während ich den würzigen Rauch des Tabaks genoss, schaute ich aus dem Fenster des Wintergartens auf die kalte weiße Nebelwand die dort wie ein weißes Gespenst völlig reglos in den Bäumen hing. Gerade so, als erwartete ich von dort irgendwelche kreativen Impulse, die meine sinnlich abenteuerliche Geschichte weiter vorantreiben würden.
Zum Glück hatte ich beizeiten alle Fenster des Wintergartens dicht gemacht und beide Türen fest verschlossen. Ich hatte mir gerade noch rechtzeitig eine gläserne Barriere gegen diese kalte Welt da draußen geschaffen und genoss nun von drinnen den Anblick jener nun ausgesperrten und abweisenden Nebelwand.
In der Nähe des alten Ledersofas raschelte es plötzlich in die Stille hinein...
Raschelte...?
Ich schaute mich um. Der Wind hatte doch tatsächlich einiges an trockenem Laub in den Wintergarten getragen, denn etliche dieser trockenen Blätter lagen in der Ecke auf einem kleinen Haufen. Als ich dann näher heranging, entdeckte ich einen kleinen Igel, der sich rasch im dichten Laub zu verstecken suchte. Wie ich langsam nach ihm griff und ihn vorsichtig hochheben wollte, hatte er sich jedoch vor meinen Augen blitzschnell zu einer kleinen stachligen Verteidigungskugel zusammengerollt.
»Na, mein Freund«, sprach ich ihn an und betrachtete seine aufgestellten spitzen Stacheln. »Da hast du dir aber wirklich einen hübschen Platz zum Überwintern ausgesucht. Und ein warmes Bett hast du dir also auch schon gebaut«, murmelte ich. »Hast du es denn da draußen nicht mehr geschafft?«
Nun allerdings war es längst zu spät, ihn nach draußen zu setzen. Sehr wahrscheinlich würde er bei diesen bereits schon frostigen Nachttemperaturen bald erfrieren. Behutsam setzte ich die Stachelkugel wieder in das trockne Laub und holte aus dem Keller eine alte, bereits entleerte Weinflaschenkiste, die lediglich mit einigen spärlichen dünnen Sperrholzstreifchen zusammengetackert worden war. Diese luftige hölzerne Kiste füllte ich zur Hälfte mit Blättern, die ich im Garten zusammengeharkt hatte und stellte sie in die Ecke des Wintergartens, gleich neben die verschlossene Glastür. Danach setzte ich die kleine Stachelkugel fürsorglich hinein und bedeckte den Igel mit den von ihm selbst bereits angesammelten losen Blättern bis hinauf an den Kistenrand. Zwei große Äpfel aus dem Regal tat ich noch in die Kiste mit hinein. Sie würden dem kleinen Kerl als Verpflegung ausreichen, den kommenden Winter in seiner neuen Behausung gut zu überstehen.
Eine ganze Weile danach geschah nichts und ich setzte mich wieder an den Tisch, um nach dieser kreativen Pause an meiner winterlichen Reisegeschichte ein wenig weiterzuschreiben. Ich zündete einen dicken Kerzenstumpen an, der den Wintergarten in ein anheimelndes Licht tauchte. Nach einer halben Stunde begann es in der hölzernen Kiste zu rumoren und zu rascheln. Doch mit dem zeitigen Dunkelwerden kehrte dann alsbald auch wieder Ruhe ein.
Der Igel hatte es sich offensichtlich richtig gemütlich gemacht und war dann wohl auch eingeschlafen, während ich gedanklich schon wieder auf meiner abenteuerlichen Reise mit einer Postkutsche nach Paris unterwegs war.
Drei bis vier Monate sagt man, könne sein Winterschlaf dauern. Also würde ich nur gelegentlich mal nach ihm schauen müssen, nach meinem neuen stachligen Untermieter, dem zu spät gekommenen kleinen Igel...
***
Impressum
Text: Bleistift
Cover: selfARTwork
Coverpicture: Angelika_Koch-Schmid_pixelio.de
Picture Insite: Rita Köhler_pixelio.de
© by Louis 2013/10 last Update: 2021/10
Texte: © by Louis 2013/10 last Update: 2021/10
Bildmaterialien: picture inside: Rita Köhler_pixelio.de
Cover: selfARTwork, cover picture by: Angelika_Koch-Schmid_pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 30.10.2021
Alle Rechte vorbehalten