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Das Horror-Hotel in der Karibik

 

 Noch mal Urlaub in der Karibik zu machen, erschien mir irgendwann im Verlaufe dieses viel zu kurz gekommenen Sommers, ein durchaus erstrebenswertes Ziel. Nicht so eine wahnsinnig große Hotelburg, sondern eher ein kleines überschaubares Areal, welches von den Leuten auch gut angenommen wurde. Das sollte es möglichst sein. Wenn es denn auch nur halbwegs meinen Intentionen entgegenkam, wollte ich mich damit schon zufrieden geben. Schnell war auch im Internet ein entsprechend passendes Hotel gefunden.

Das "Resort de ensueño" in Mexiko schien mir ein solches zu sein und es versprach zudem auf einem verführerischen Werbeposter mit einer attraktiven Mexikanerin ein unvergessliches Erlebnis der besonderen Art. Außerdem geizte man zumindest laut den geposteten Urlauberfotos auch nicht mit karibischem Flair und exotischem Ambiente.

Also genau wonach ich suchte, glaubte ich also in diesem so löblich angepriesenen Hotel gefunden zu haben.

Kurz entschlossen buchte ich dieses nach außen hin recht hübsch gestaltete Traum-Hotel und begab mich somit ohne es zu ahnen, in ein unglaubliches Abenteuer, welches ich wohl für den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen würde.

Alles begann schon bei der Ankunft, als uns ein Zimmer im Haus Nº.13 in Aussicht gestellt wurde. Sogar die Zimmernummer lautete dreizehn... Eigentlich war ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gerade sonderlich abergläubisch, aber angesichts der über uns hereinbrechenden, an Dramatik kaum zu überbietenden Ereignisse, nun doch etwas vorsichtiger geworden mit meiner eher unbedarften Meinung. 

Keine Ahnung, warum wir uns auf so ein aberwitziges Unterfangen eingelassen haben, denn eigentlich logieren wir sonst nie im untersten Geschoß und selbst das Haus Nº.13 verfügte sogar noch über zwei weitere, darüberliegende Stockwerke. Aber im Augenblick stand jedoch nur dieses eine Zimmer zur Verfügung und ich könnte ja am nächsten Morgen gern noch einmal an der Rezeption vorbeischauen und wenn ich mit diesem Zimmer nicht zufrieden wäre, wollte man mir dann auch gerne weiter behilflich sein. Übermüdet und vom langen Flug gestresst, entschieden wir uns also kurzerhand für das Zimmer mit der Nummer dreizehn und gedachten uns vorerst auch nur für diese eine Nacht dort einzurichten.

 Der Hotelboy lud grinsend unsere Koffer auf einen gummibereiften zweirädrigen Karren und schon ging es los, immer zügig weiter in Richtung Strand. Da wir erst ziemlich spät am Abend hier angekommen waren hatten wir nur die Möglichkeit die verschiedenen Gebäude im Schummerlicht der dämmrigen Beleuchtung einiger weniger Laternen zu betrachten. Auf jedem der Balkone hing überall ein bizarr grinsender steinerner Halbmond, hinter dem sich ein schwächlich glimmelndes, gelbliches Lichtlein verbarg, welches uns den Weg weisen sollte. Seltsam zutrauliche Wildtiere, die auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit unseren einheimischen Kaninchen aufwiesen, ohne jedoch wirklich welche zu sein, saßen überall, auch auf den Gehwegen der Anlage und ließen sich bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Fressen, von den in der Dunkelheit vorbeigehenden Fußgängern nicht im mindesten stören. Später sollten wir erfahren, dass diese niedlichen, scheinbar harmlosen braunen Geschöpfe, Agutis hießen und uns zutiefst in Angst und Schrecken versetzen konnten.

Der Hotelboy schob uns mit einem »Buenos Noches, Senior« auf den Lippen und ein paar Pesos Trinkgeld in der Hand, in das Zimmer mit jener unheilschwangeren Ziffernfolge im Erdgeschoß und zog mit einem breit grinsenden Gesicht hinter uns die Tür ins Schloss.

Todmüde wankten wir ins Bett und fielen buchstäblich erst mal in einen langen, tiefen Schlaf.

 

Wir entschieden uns der Einfachheit halber zunächst in diesem Zimmer zu bleiben, denn schon am darauffolgenden Morgen schien die wärmespendende Sonne der herbstlichen Karibik auf uns herab und versprach uns einen wunderschönen, sonnigwarmen Tag am Strand. Alles schien in einen fabelhaften Zustand zu sein und niemand ahnte, dass sich sehr bald schon Dinge ereignen würden, an deren Glaubwürdigkeit selbst ich zweifeln würde, hätte ich sie nicht genauso erlebt.

Schon in Verlaufe des Tages begannen sich die Wolken am Himmel über dem Süden von Mexiko zu verdichten und bereits am frühen Nachmittag begann es heftig zu regnen. Der Himmel verfinsterte sich dermaßen, dass es draußen so schwarz wie die Nacht wurde. Der Regen nahm an Intensität ständig weiter zu und wurde immer schlimmer, je später es wurde. In der Nacht donnerten dann schon wahre Sturzbäche vom Himmel, als wollten sie das gesamte Festland von Mexiko fluten und es im Chaos eines neuen Jahrtausend-Hochwassers untergehen lassen. Mir schien es, als drohe uns eine neue Sintflut. Man konnte in der Tat nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen, so stockdunkel war es da draußen. Hin und wieder warfen wir ein paar besorgte Blicke aus dem Fenster der großen Glastür zu unserer angrenzenden Terrasse. Aber außer einem wahnsinnig lauten Rauschen des Wassers, hörte man absolut nichts und man sah natürlich auch nichts. Es schien, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet und es grenzte fast schon an ein Wunder, dass bei diesen Wassermassen die Stromversorgung  des Hotel noch nicht zusammengebrochen war. So hatten wir wenigstens noch Licht und der Lichtkegel leuchtete ein wenig die Terrasse aus, so dass man bei eingeschalteten Zimmerlicht lediglich einen halben Schritt weit, in die Dunkelheit sehen konnte. Darüber hinaus verschluckte der Regen komplett jegliches Licht und um uns herum versank alles in einer unendlichen Finsternis, während das ständig bedrohlicher klingende Wasserrauschen lediglich nur ein irrwitziger Vorbote auf den Horror war, der uns noch ereilen sollte.

Kurz vor Mitternacht konnten wir dann erahnen, dass das Gelände diese Unmengen an Wasser nicht mehr würde aufnehmen können und richtig, denn kurz darauf überfluteten die ersten Wassermassen bereits unsere Terrasse. Wir schlossen die große Glastür nach draußen ab und hofften inständig, dass das Wasser nicht weiter steigen würde. Schließlich war ja auch das Meer nicht weit entfernt und das Wasser würde bestimmt zum Meer hin rasch abfließen. Fehlanzeige.

Es stieg immer weiter an und bereits eine knappe halbe Stunde später, rauschten die Fluten dann schon kniehoch über unsere Terrasse hinweg. Erste einzelne kleine Rinnsale drückten bereits von unten durch die Gummidichtung der Glastür hindurch und hinterließen mehrere riesige Pfützen auf dem Fußboden in unserem Zimmer. Selbst im Bad schwappte  das Wasser mittlerweile schon aus der WC-Schüssel und die Badewanne begann sich aus dem Abfluss heraus, mit schmutzig trübem Abwasser zu füllen. Überall gluckste und gurgelte es und es stieg immer höher. Sicherheitshalber verriegelte ich jetzt auch noch die Badtür, aber ob es etwas nützen würde, wagte ich zu bezweifeln. Derweil drückte das Wasser immer heftiger gegen die nun fest verriegelte gläserne Terrassentür und stieg dabei rasch höher. Bereits dreißig Minuten später hatte das Wasser auf der Terrasse, einen Pegelstand von gut einen guten Meter erreicht und stieg aber immer noch unaufhaltsam weiter. Im Zimmer selbst gurgelte es bereits durch alle undichten Stellen an den Türen und ich hatte das Gefühl, auf der Titanic zu logieren und tief unten im Bauch dieses sinkenden Schiffes eingeschlossen und gefangen zu sein. Unterdessen stieg  das Wasser da draußen immer weiter an und hatte gegen Mitternacht die Zimmerhöhe erreicht, als plötzlich nun doch noch der Strom ausfiel und von jetzt ab noch das laute, unablässige Rauschen des Wassers zu vernehmen war. Mit dem einzigen funktionierenden Licht, meiner eigenen Taschenlampe, leuchtete ich das Fenster an und mit Entsetzen mussten wir feststellen, dass die Fluten alles, was nicht niet-und nagelfest war, mit sich rissen und es rasend schnell in Richtung Meer fortspülten.

Im Schein meiner lichtstarken LED-Taschenlampe trieben unter Wasser Möbel aus der Hotellobby sowie diverse hölzerne Tische und Sessel aus Korbgeflecht an unserem Haus vorbei. Plötzlich entdeckten wir einen toten Mann in einem hellen Anzug, den die Wassermassen mit sich gerissen hatten. Diesen Mann hatte ich natürlich sofort wiedererkannt, denn es war jener Hotelboy, der uns zu unserem Zimmer begleitet hatte. Ein riesiger Fisch mit silberfarbigen Schuppen und scharfen Zähnen folgte ihn mit aufgerissenem Maul und ich konnte gerade noch sehen, wie das Biest die Leiche des jungen Mannes am Bein packte und es im nächsten Augenblick mit einem gewaltigen Zuschnappen abbiss. Ich schloss die Augen und schon im nächsten Moment waren der nun einbeinige tote Hotelboy und der gefräßige Raubfisch verschwunden. Während die flutenden Wassermassen lautstark Richtung Meer donnerten, mussten wir das Schlimmste für die Stabilität des Fensters und der gläsernen Terrassentür befürchten.

So verging allmählich die Nacht und vor totaler Übermüdung und Erschöpfung waren wir in den feuchtklammen Betten erneut in einen tiefen, totenähnlichen Schlaf gefallen. Am nächsten Morgen war das Wasser zu unserem Erstaunen bereits wieder vollständig abgelaufen und sogar die Sonne schien wieder. Wir rieben uns die Augen und schauten aus dem Fenster, wo jedoch nichts mehr von dieser nächtlichen Flutkatastrophe zu sehen war. Alles schien wieder aufgeräumt und an seinem Platz. Vorsichtig öffneten wir die Terrassentür und sahen, dass nur noch die Fliesen auf dem Fußboden klatschnass waren. Allerdings triefte draußen alles vor Nässe, als wäre in der vergangenen Nacht lediglich ein überaus kräftiger Regenguss über das gesamte Areal des Hotels niedergegangen. Wir wollten uns am besten auch an nichts erinnern und buchten die nächtlichen Wasserfluten einfach nur als einen bösen Traum ab, noch zumal der Kofferträger gerade an unserem Fenster vorbeilief, als wäre er niemals gestern Nacht ertrunken und mausetot hier vorbeigetrieben. Denn merkwürdigerweise schien nun auch sein Bein wieder völlig intakt zu sein, da er gerade zwei große Koffer von abreisenden Gästen transportierte. Als er an unserer, vor Nässe noch immer triefenden Terrasse vorbeikam, grüßte er uns überaus freundlich. Völlig entgeistert nickten wir zurück.

Ein Albtraum, es konnte sich doch nur um einen fürchterlichen Albtraum gehandelt haben... Vergiss es, dachte ich und verspürte plötzlich einen wahnsinnigen Hunger. Ich musste dringend was essen und so begaben wir uns in den Essensaal, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf das friedliche blaue Meer hatte. Das Essen verlief problemlos und wir dachten bald nicht mehr über die vergangene Nacht nach, es erschien uns mit einem Mal alles nur noch surreal und unwirklich. Wir sprachen nun auch nicht mehr darüber, verdrängten das Geschehen und hüllten uns über das Erlebte in Schweigen...

 

So vergingen einige wärmere Sonnentage am Strand und schon bald glaubten wir jenes merkwürdige Erlebnis vergessen zu haben.  Als wir aber dann ein paar Tage später abends von der Bar etwas angeheitert in unser Haus zurückkamen und in unser Zimmer wollten, wurden wir jedoch eines Besseren belehrt.

 Das freundliche Zimmermädchen hatte gerade die letzten Handgriffe in unserem Zimmer erledigt und ich gab ihr ein paar Dollar Trinkgeld. Sie bedankte sich lächelnd und kümmerte sich um einen kleinen Berg benutzter Handtücher, die sie gerade im Haus ausgetauscht hatte. Da fiel mir ein, dass wir morgen etwas später zum Frühstück gehen wollten und ich ihr ja deshalb gleich noch Bescheid sagen könnte. Sie stand immer noch im Treppenhaus und hantierte mit ihren Wäschestücken. Ich öffnete die Zimmertür nur einen Spalt weit und sprach sie daraufhin kurz an. Doch sie erwiderte einfach,

»Si, Señor...«, und drehte sich blitzschnell zu mir herum. Mit Entsetzen sah ich, dass ihre Augen zu zwei brennenden Feuerbällen geworden waren. Als sie ihren lächelnden Mund öffnete, schlug mir daraus plötzlich eine gewaltige Stichflamme entgegen. Instinktiv duckte ich mich und warf geistesgegenwärtig die Tür rasch wieder zu. Krachend schlug die Flamme gegen die hölzerne Zimmertür und brannte von außen den braunen Lack bis auf das blanke Holz herunter. Mit angehaltenem Atem lehnte ich hinter der Tür und hörte noch eine ganze Weile, das allmählich immer leiser werdende Gelächter unseres sonst so netten Zimmermädchens. Doch dann kehrte wieder eine unheimliche Ruhe im Treppenhaus ein.

Unterdessen drangen leichte Rauchwolken unter der Tür hindurch ins Zimmer ein und  verbreiteten sogleich in unserem Apartment einen widerlichen Brandgeruch. Das Holz der Zimmertür wurde mit einem Male richtig warm und ich vermochte nun auch die Türklinke von innen nicht mehr mit bloßen Händen anzufassen. Ich getraute mich auch nicht so richtig, diese verdammte Tür zu öffnen um auf dem Flur nachzusehen. Ich bin ja schließlich auch kein Salamander, der über einen feuerfesten Anzug verfügt und mit Bomben ein Feuer löschen kann. Durch den Türspion konnte man lediglich einen total verrauchten Flur erkennen. Von dem feuerspuckenden Zimmermädchen zum Glück keine Spur mehr. Ich ergriff flugs ein nasses Badehandtuch, um mir an dem heißen, metallenen Schloss nicht auch noch die Finger zu verbrennen und verriegelte rasch die Tür. Dann ich stellte zur Sicherheit sogar noch einen angekippten Stuhl unter die Türklinke.

Himmel, was war das für ein Haus, was für ein Hotel und wieso bloß sind wir ausgerechnet hier gelandet? Leider konnte mir niemand eine Antwort darauf geben. Wir saßen so noch die halbe Nacht wach und harrten aufgewühlt der Dinge, die da eventuell noch kommen sollten. Aber in dieser Nacht geschah nichts weiter und so schliefen wieder wir wieder einmal völlig übermüdet ein...

 

Am nächsten Tag rumorte und polterte es laut auf dem Flur und als ich vorsichtig die Tür öffnete, war ein Hotelhandwerker gerade dabei, unsere von außen abgefackelte Zimmertür neu zu streichen, natürlich wieder mit dieser fürchterlich stinkenden, braunen Lackfarbe...

Ich wollte ihn gerade erklären, wie sich die Sache mit der Tür zugetragen hatte, aber er winkte schon ab und sagte mit einem verständnisvollen Lächeln,

»No Problemo Señor, das kann schon male passieren. Machen Sie keine Sorgen, eine wenig von die braune Farbe hiere und alles iste vergessen, in de zehne Minute, alles ist wieder okay.«

Dabei grinste er und rührte bereits mit dem Pinsel in seinem Farbtopf herum und begann danach zügig die Tür von außen anzustreichen. Ab diesem Moment sprach er kein einziges weiteres Wort mehr mit mir. Obwohl mir nicht sonderlich wohl dabei war, lächelte ich ebenfalls und machte halt nur gute Miene, zum bösen Spiel.

Das Zimmermädchen kam übrigens auch nicht mehr wieder und eine andere, ziemlich stumme und auch etwas unleidliche Kollegin reinigte von nun an unser Zimmer und übernahm auch für die gesamte restliche Zeit diesen Job. Wir haben unsere junge Pyromanin auch später danach, niemals wieder gesehen...

Ein weiteres übles Erlebnis hatten wir, als wir eines abends auf der Terrasse saßen und eine Flasche von süffigen, mexikanischen Wein tranken. Plötzlich sprang aus dem dichten Gebüsch ein Agutis heraus und kullerte eine heruntergefallene Kokosnuss vor sich her. Sofort begann es im Zwielicht vom Schatten eines Gebüsches, an seiner Nuss herumzunagen. Deutlich war das Raspeln seiner kräftigen Schneidezähne zu hören, wie es das harte Kokosfleisch beknabberte. Dabei waren diese hasenähnlichen Wildtiere ziemlich zutraulich geworden und hatten scheinbar jeglichen Fluchtreflex vor dem Menschen verloren. Na gut, es tat ihnen ja auch niemand etwas, zumindest nicht in dieser Hotelanlage. Natürliche Feinde hatten sie hier mit Sicherheit wohl auch nicht zu befürchten.

Meine Frau holte einen schnell ihren Fotoapparat und visierte das Tier an, welches sich beim Fressen von nichts und niemanden stören ließ. Es hob sogar seinen Kopf und blickte beinahe schon freundlich in die Kamera, ganz so, als wollte es extra für diese eine Fotografie posieren. Der Blitz flammte auf und das Agutis knabberte danach ganz gemütlich weiter an seiner Kokosnuss herum. Es ließ sich seine Mahlzeit offensichtlich richtig schmecken. Kurz darauf schaute sich meine Frau das Foto noch einmal in aller Ruhe an. Plötzlich schrie sie laut auf und die Kamera fiel ihr aus der Hand. Wenn sie nicht zuvor ihre Hand durch die Befestigungsschlaufe geschoben hätte, läge der Apparat wahrscheinlich zerschellt am Boden. Sie sank auf ihrem Stuhl zusammen und bekam beinahe einen Weinkrampf. Ich versuchte sie zu beruhigen und nahm ihr die Kamera aus der Hand. Dann suchte ich die letzte Aufnahme heraus und betrachtete das Bild. Ein kalter Schauer eisigen Entsetzens lief mir über den Rücken, denn das woran das Agutis wirklich knabberte, das war überhaupt keine Kokosnuss... Auf dem gestochen scharfen digitalen Foto war im Licht des grellen Blitzes ganz deutlich der Kopf eines Mannes zu sehen, von dem das Agutis fraß...

 »Um Gottes Willen«, rief ich erschrocken aus, »das Gesicht kenne ich doch, das ist doch der Cefkoch vom Strand-Restaurant...«

Nun gut, das Essen ließ vielleicht etwas zu wünschen übrig, denn es hätte durchaus etwas schmackhafter und abwechslungsreicher sein können, aber deshalb bringt man doch nicht gleich den Koch um. Ich holte rasch meine Taschenlampe und richtete das grelle Licht meiner siebzehn superhellen LED’s auf das  Agutis. Dann versuchte ich es mit lautem Rufen und mit kräftigem Händeklatschen zu verscheuchten. Es blickte kurz mümmelnd voll in das grelle Licht der Lampe und sprang dann anschließend mit einem weiten Satz ins nächste Gebüsch, worin es dann auch verschwand und nicht mehr auftauchte. Mit der Spitze meines Regenschirms drehte ich den Kopf herum und erstarrte noch einmal zur Salzsäule. Der vermeindliche Kopf des Kochs, entpuppte sich im grellweißen Licht der Taschenlampe, nun als halbaufgefressene Kokosnuss. Ich wollte mir das letzte Bild auf der Kamera noch einmal genauer anschauen. Aber es gab kein solches Foto mit dem Kopf unseres Koches auf der Speicherkarte dieser Kamera. Nur ein einziges Foto von einem harmlosen Agutis, wie es da so vor unserer Terrasse gesessen war und tatsächlich an einer Kokosnuss nagte. Das vorletzte Bild auf der Karte, stammte vom Nachmittag am Strand. Es war ein Foto von einem kleinen Katamaran-Segelboot mit bunten Segeln, welches von den Männern des Bootsverleihs auf den Strand gezogen wurde. Hätte ich aber dieses entsetzliche Foto nicht selbst mit meinen eigenen Augen gesehen, so hätte ich es einfach nicht für möglich gehalten. Es war zugleich so real, aber auch wieder unwirklich genug, dass ich bald schon bald nicht mehr wusste, was ich glauben sollte und was nicht. Den Beweis dafür, den blieb ich mir selbst allerdings schuldig. 

Mir wurde mit einem Male richtig kotzübel und der Appetit war mir für diesen Abend erneut gründlich verdorben. Wir beschlossen, diesmal nicht zum Abendessen zu gehen und ich besorgte uns schnell noch eine Flasche Tequila und eine Literflasche Coca Cola. Damit konnte man wenigstens versuchen, all die irrwitzigen Trugbilder hinunterzuspülen und sie, wenn möglich, auch rasch zu vergessen.

Der nächste Tag brachte allerdings eine weitere böse Überraschung und ließ mir abermals das Blut in den Adern gefrieren. Als die Mittagszeit heranrückte, suchten wir das im Strandnähe gelegene Speiserestaurant auf. Während wir uns an einen der freien Tische setzten, wurden wir Augenzeuge einer ziemlich unschönen Auseinandersetzung. Ein einzelner Gast in einem weißen Anzug, rief nach der Bedienung. Die Kellnerin, zweifellos die hübscheste junge Frau des gesamten Bedienpersonals in dem Speiserestaurant, kam an seinen Tisch und er sprach leise mit ihr. Daraufhin schüttelte sie lächelnd den Kopf und wandte sich zum Gehen. Da packte dieser ungehobelte Gast sie plötzlich ziemlich derb am Handgelenk und zog die junge Frau gewaltsam zu sich hinunter. Aufgeregt schrie sie ihn mit funkelnden Augen laut und deutlich ins Gesicht,

»No Señor...«, und wollte sich von ihm losreißen. Aber der Kerl hielt sie weiter fest und versuchte sie an sich zu pressen. In unmittelbarer Nähe sprangen sogar die ersten Gäste auf, um der Frau zur Hilfe zu kommen. Inzwischen hatte die sich aber sich von dem widerwärtigen Typen losreißen können und ihm urplötzlich sogar eine schallende Ohrfeige verpasst. Daraufhin ließ er von ihr ab und ein anderer Kellner übernahm sofort die weitere Bedienung dieses rüden Gastes, während die attraktive Kellnerin mit einem hochroten Gesicht, hinter einer Pendeltür mit der Aufschrift, 'ONLY STAFF', verschwand. Die aufgebrachten Gäste setzten sich erst wieder auf ihre Plätze, nachdem sie vom übrigen Personal mit Mühe wieder beruhigt werden konnten. Für mich blieb aber absolut unklar, warum man diesen elendigen Flegel nicht einfach hinausgeworfen hatte und ihn stattdessen weiterhin äußerst zuvorkommend bediente. Manche Dinge muss man allerdings auch nicht verstehen... 

 

Unterdessen wurde es am Firmament immer dunkler, denn pechschwarze Gewitterwolken zogen von Osten her herauf. Es wurde so dunkel, dass man zur Mittagszeit das Licht einschalten musste um überhaupt etwas zu sehen. Zum Glück saßen wir schon im Restaurant auf unseren Plätzen, als es draußen fast so stockefinster wurde, dass man wieder einmal die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Ich hatte mir Spaghetti mit Tomatensoße bringen lassen und wollte gerade zu essen anfangen, als ich mit wachsendem Entsetzen bemerkte, wie sich eine sehr dünne, rot-weiß gezeichnete Schlange mit einer feuerrot gespaltenen, züngelnden Zunge von links über den Tisch an meinem Teller heranschob. Ihre agile Zungenspitze hatte im nächsten Augenblick meinen Tellerrand erreicht und als sie ihn gar berührte, begannen sich sogleich alle Nudeln zu bewegen, als wären sie plötzlich zum Leben erwacht. Was sie tatsächlich auch wurden, denn alle meine Spaghetti bekamen umgehend kleine Schlangenköpfe, die nun ihrerseits mit ihren winzigen Zungen zu züngeln begannen. Ich begann zu würgen. Was in aller Welt hatte dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, eklige Schlangenfraß auf meinem Teller zu suchen?

Alle inzwischen umgehend quicklebendig gewordenen Spaghettischlangen bewegten sich nun rasch aus dem Knäul der Mitte zum Rand meines Tellers hin und versuchten eiligst diesen zu verlassen. In einem plötzlichen Anfall von unbändigem Zorn und rasender Wut riss ich meine Gabel aus Edelstahl mit der Faust hoch und nagelte etliche dieser Spaghettischlangen mit einem gewaltigen Gabelstich auf dem Holztisch neben meinem Teller fest. Genau in diesem Augenblick schlug offensichtlich ein Blitz in die Elektroanlage ein, worauf die gesamte Beleuchtung schlagartig ausfiel und totale Finsternis erneut alles beherrschte.

Leute schrien in der Dunkelheit auf, Stühle und sogar Tische wurden umgeworfen. Geschirr ging zu Bruch und Bestecke fielen klirrend auf den Fußboden, während draußen unaufhörlich gleißende Blitze krachten. Männer fluchten lauthals, Kinder begannen zu weinen und mehrere Frauen kreischten auf, als plötzlich laut donnernd wahre Sturzbäche von nahezu sintflutartigen Regengüssen über das Strandareal herniedergingen. Leider war das Dach des Speiserestaurants diesem ungeheurem Ansturm der Naturgewalten nicht gewachsen. An vielen Verbundstellen drückten die Wassermassen das Regenwasser einfach durch das undichte Restaurantdach hindurch. Es plätscherte so gewaltig von oben, als hätte man innerhalb von wenigen Minuten einfach dutzende von randvoll gefüllten Wassereimer auf einen Quadratmeter alter, löchriger Zeltplane ausgegossen.

Nach mehreren Minuten der Panik, hatten die Kellner erste Wachslichter angezündet und begannen die flackernden Kerzen auf die wenigen noch trocken gebliebenen Tische zu verteilen. Meine Gabel stak unterdessen immer noch im Holze des Tisches fest. Nur jene roten züngelnden Schlangen und meine unbekannte, eigentlich supernette Tischnachbarin in dem rot-weißen Kleid blieb verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Mit einer letzten gewaltigen Kraftanstrengung zog ich nun die Gabel wieder aus dem Holz, dieser nun leider auch ziemlich deutlich ramponierten Tischplatte.

Die Hälfte meiner Nudeln, die inzwischen alle wieder kopflos waren, hatte sich rund um den Teller verteilt und die rote Tomatensoße kleckerte in Riesenflatschen über die weiße Tischdecke. Der Kellner kam und stellte ein blakendes Wachslicht auf unseren Tisch. Er entschuldigte sich höflich und eloquent für die entstandene Situation. Danach räumte er meinen Teller mit den verstreuten Nudeln, samt Besteck kommentarlos ab und überzog den Tisch anschließend mit einer sauberen Tischdecke.

»Señor, wüschen Sie neue Spaghetti?« Ich schaute ihn nur angewidert an und schüttelte den Kopf. Mir war wieder einmal der Appetit vergangen.

»Nein, bitte bringen Sie mir lieber einen Tequila, das wird hoffentlich meine Laune wieder etwas aufbessern.«

Der Kellner nickte trotzdem sehr freundlich und schlug das weiße Serviertuch dienstbeflissen über den Arm.

»Einen Tequila, der Herr, kommte sofort, natürlich...« Während er an den Tresen eilte, um den Kaktusschnaps zu holen, ließ dieser Sturzregen urplötzlich nach und es wurde draußen wieder etwas heller. Allmählich verzogen sich die dunklen Wolken und verschwanden genau so schnell, wie sie gekommen waren. Die Sonne brach sich durch die Wolken Bahn und tauchte das Hotel, den Strand und die Poolanlage wieder in hübsche, leuchtend bunte Farben.

Die Urlauber kamen aus ihren Zimmern und begannen nach und nach wieder die Poolbar und Sonnenliegen zu belagern. Als sich plötzlich am unteren Pool ein lautes Geschrei erhob und einige Mitarbeiter des Hotels aufgeregt hin und herliefen. Einer von ihnen, hielt einen Bootshaken in der Hand und stieß ihn am Poolrand immer wieder in das Wasser. Dann setzte er einen Fuß auf diese seltsam hell anmutende Wasseroberfläche und konnte plötzlich auf dem Wasser stehen. Ich traute erneut meinen eigen Augen nicht, denn der Mann stand tatsächlich auf dem Wasser und ging nicht unter, währenddessen er langsam immer weiter auf die Mitte des Pools zuging und dabei ständig wie wild mit diesem Bootshaken herumfuchtelte. Er rief seinen Kollegen, die aufgeregt am Rand des Pools stehengeblieben waren, immer wieder etwas auf Spanisch zu, was ich anfangs jeoch nicht verstand. Auch schien es unter seinen Schuhen zudem ziemlich glatt zu sein, denn er rutschte mehrmals gefährlich aus. In der Mitte des Pools konnte er sich allerdings nicht mehr halten, glitt aus und saß plötzlich auf seinem Hosenboden. Mit seinem eisernen Bootshaken pickerte er auf dem Wasser, als befände sich unter ihm eine unsichtbare Eisfläche.

»Hielo, hielo...«, hörte ich ihn nun immer deutlicher rufen, während er mit dem Bootshaken eifrig weiterpickerte. Also doch Eis darunter, aber wo kam denn hier in einem Warmwasserpool eine Eisfläche her? Dann schrie er plötzlich laut auf und zeigte aufgeregt auf den Boden des Pools. »Dos muertos!«, rief er in die Menge, die sich am Rand des Pools versammelt hatte. Ich konnte ihm nicht ganz folgen, aber wenn ich sein Geschrei richtig übersetzt hatte, rief er etwas von zwei Toten, die er da unten unter der Eisdecke gesehen haben wollte. Mich packte schon wieder das kalte Grauen. Das war ja nicht mehr auszuhalten. Als aber dann noch mehrere Angestellte, die Rutschpartie über das Eis machten, stand es wohl fest, es musste da im Pool einen schrecklichen Unfall oder so etwas ähnliches gegeben haben. Dann beratschlagten die Männer was zu tun sein und nach kurzer Zeit hatten sie sich entschieden. Ein paar Minuten später kamen ein paar Handwerker und begannen die Poolwand unterhalb des Wasserspiegels mit einem Boschhammer aufzustemmen. Es war, als würden sie den Hoover-Staudamm an seinem Fuß anstemmen, um einfach ein Loch in die Staumauer zu hämmern und die angestauten Fluten in den Colorado River abzuleiten. In diesem Fall jedoch, lief das gesamte Poolwasser in den Garten der Hotelanlage. Als das Loch groß genug war, rutschten auch die beiden Ertrunkenen mit durch das aufgestemmte Loch und wurden vom fließenden Wasser noch ein paar Meter weiter getragen. Ich erkannte die beiden auch sofort wieder, es war zum einen die bildhübsche Kellnerin und der andere war der Typ im weißen Anzug, mit dem sie sich kurz zuvor noch in den Haaren hatte. Beide hielten sich eng umschlungen und waren, während sie sich wild küssten, scheinbar zu Eis erstarrt. Ebenso unerklärlich, wie dieser unglaubliche Vorfall je passieren konnte, so unglaublich war auch die Tatsache, dass die junge Frau nun gänzlich nackt war. Und wie zum Teufel ist sie in den Pool gekommen und dann auch noch unter das Eis geraten? Fragen, über Fragen und niemals auch nur eine Antwort, immer nur weitere ungeklärte Sachverhalte und noch mehr schreckliche Bilder.

Es schüttelte mich und ich konnte mein inneres Entsetzen über die Ereignisse des heutigen Tages kaum noch verbergen. Ich schickte mich gerade an, dieses vermaledeite Speiserestaurant zu verlassen, als es aus dem Pool heraus, mächtig gewaltig laut krachte. Die Sonne hatte inzwischen die etwa einen dreiviertel Meter starke Eisdecke an den Rändern auftauen lassen und nun war diese Eismasse schließlich unter ihrem eigenen riesigen Gewicht zusammengebrochen. Jetzt lagen Tausende von Eisklumpen im Pool und schmolzen langsam zu Wasser dahin. Eigentlich wollte ich jetzt nur noch weg, weg von diesem offensichtlich verwunschenem Hotel, weg von diesem grauenhaft schrecklichen Ort, womöglich einfach nur noch nachhause. Denn das hier, das hielt auf die Dauer kein Mensch aus. Ich schleppte mich, am Ende meiner nervlichen Belastbarkeit angekommen, auf unser Zimmer und warf mich ins Bett. Ich schlief totmüde sofort ein und wachte erst spät in der Nacht wieder auf.

Im Haus Nº.13 rumorte es kurz vor Mitternacht laut und polterte so heftig, sodass ich davon sogar richtig hellwach wurde. Langsam kam ich in Fahrt und merkte schon, wie sich in mir wieder eine kalte Wut aufbaute und ein unbändiger Zorn mich übermannte. Hat man denn nirgends Ruhe vor dem Krach, den immer nur andere verbreiten? Das gab es doch einfach nicht, der Lärm wurde immer unerträglicher und das Gepolter nahm kein Ende. Türen knallten, Möbel wurden verrückt, eine Frau lief direkt im Zimmer über uns, mit ihren Absatzschuhen ständig auf dem gefliesten Fußboden hin und her, ein Kind weinte und eine andere Frau kreischte mehrmals laut auf. Ein Kerl brüllte auf Russisch seine Natascha an, dass sie doch endlich die verdammte Tür öffnen sollte, wozu aber Natascha offensichtlich keine Lust hatte und sich tot stellte, jedenfalls ließ sie ihn nicht hinein, was wiederum zur Folge hatte, dass dieser betrunkene Vollpfosten, immer heftiger mit dem Fuß gegen die Tür seines Hotelzimmers trat. Irgendwo zerschellte im Dunkeln eine geleerte Glasflasche an einer Betonwand und die Scherben fielen splitternd auf den Fußboden. Verdammte Kiste, dachte ich, was ist bloß in diesem verhexten Haus los, sind denn hier alle schon wahnsinnig geworden? Wütend über das unzumutbare Verhalten einiger Gäste, öffnete ich die Zimmertür und brüllte in den Flur so laut ich konnte,

»Ruhe, verdammt noch mal...« Schlagartig trat sofort Ruhe ein. Man hätte quasi eine Stecknadel zu Boden fallen hören können, so still wurde es mit einem Schlag. Ich konnte es selbst kaum fassen. War es das jetzt oder kam da noch was? Doch dann hörte ich es...

Es kam von oben, ganz langsam die Treppe herabgerollt. Bei jedem Aufprall auf die steinernen Stufen, klang es dumpf und rollte immer weiter nach unten, auf mich zukommend. Dazwischen immer wieder ein kicherndes Kinderlachen. Ich lauschte in den Flur hinein. Was zum Teufel kam denn jetzt da von dort oben, nach hier unten gerollt? Immer eine Stufe nach der anderen nehmend. Bump, bump.. bump…

Ich erstarrte entsetzt und schaute auf die nach oben führende Treppe. Vor mir kullerte der Kopf eines kleinen farbigen Mädchens, die Treppe hinab. Es war genau der Kopf des kleinen Mädchens, welches ich am Vormittag noch gesehen hatte, wie sein Vater mit ihm am Strand gespielt hatte. Es hatte sogar noch die rote Hibiskusblüte im krausen Haar, die ihr ihre Mutter dort eingebunden hatte. Ich brachte kein Wort heraus und war unfähig, mich zu bewegen. Ich starrte auf den rollenden Kopf und konnte es nicht fassen. Dann hörte ich, wie jemand langsam die Treppe heruntergehopst kam, ebenfalls Stufe um Stufe. Es war das kleine Mädchen, nur ohne seinen Kopf. Als es unten angekommen war, bückte es sich, ergriff seinen Kopf und kichernd... setzte sie ihn sich wieder auf. Verkehrt herum. Dann drehte sie sich erschreckt zu mir herum und sofort befand sich auch ihr Kopf wieder in der richtigen Position. In diesem Moment schauten wir uns beide überrascht an und schrien total erschrocken auf.

Ich war entsetzt über den soeben erlebten Vorgang, den zu glauben mein Hirn sich eigentlich weigerte. Sie, als sie mich gesehen hatte war wohl ebenfalls entsetzt, weil sie bestimmt glaubte, um Mitternacht in diesem Treppenhaus ganz allein zu sein. Schreiend stürzte sie zur Tür hinaus in die windige Finsternis und verschwand laut kreischend in der nächtlichen Dunkelheit. Im schaukelnden Licht einer einsamen Laterne am Weg, konnte ich sie noch davonlaufen sehen, dann brach ich vor meiner eigenen Zimmertür bewußtlos zusammen. Ich weiß nicht, was das kleine Mädchen gesehen hatte, aber ich weiß, was ich gesehen hatte und das hat mir völlig gereicht...

Der nächste Tag, es war der letzte im Oktober, und wir reisten endlich ab. Der Hotelboy brachte unsere Koffer in die Lobby und bedankte sich für das ordentliche Trinkgeld. Ich wollte an der Lobbybar noch einen Tequila trinken und bestellte ihn bei der Barfrau.

»Uno Tequila, si Señor...«, meinte sie leichthin und drehte sich zu mir herum. Ich erschrak erneut bis ins Mark, denn vor mir stand die ertrunkene Kellnerin, die ich gestern erst, nackt und tot in den erstarrten Armen jenes Typen im dem weißen Anzug und im Pool zu Eis gefroren, gesehen hatte...

Ich winkte entsetzt ab,

»No, no, Senorita, Gracias, bitte … keinen einzigen Tequila mehr...« Sie schaute mich geradezu verständnislos an, als sei ich in der Tat ein unberechenbarer Irrer.

Bleich und erschöpft ließ ich mich zitternd in den Korbsessel fallen und wartete nur noch auf den Minibus, der uns zum Flughafen bringen sollte. Mir war auf einmal so heiß, dass ich beinahe schon glaubte, ersticken zu müssen.

Zum Glück mussten wir nicht allzu lange auf den Bully zum Flughafen nach Cancun warten. Als der Bus dann endlich kam, stiegen wir ein und kehrten diesem verwunschenen Gespensterhotel, so schnell es ging, den Rücken. Um keinen Preis der Welt, wollte ich auch nur eine Sekunde länger in diesem Hotel verweilen, als es unbedingt nötig war. Der Check in am Flughafen verlief reibungslos und so saßen wir bereits drei Stunden später im Flieger nach Zürich, erschöpft, aber glücklich. Glücklich, diesem Horror-Hotel mit heiler Haut entkommen zu sein. Mich würden jedenfalls im Leben keine zehn Pferde mehr in dieses Hotel zurückbringen, das hatte ich mir geschworen. Unser Flieger startete zwar mit einer viertel Stunde Verspätung in den mexikanischen Himmel, aber der Pilot erklärte uns im freundlichen Schwyzerdütsch ziemlich zuversichtlich, dass man die verlorenen fünfzehn Minuten, über dem Atlantik wohl locker würde wieder aufholen können. Um eine pünktliche Ankunft in Zürich bräuchten wir uns also definitiv keine Sorgen zu machen. Erschöpft schlief ich auf meinem Sitz ein und überließ mich dem Geschick der Piloten und der Zuverlässigkeit der Technik von Airbus. Gegen Mitternacht wachte ich wieder auf. Meine Frau saß neben mir und schlief tief und fest. Rings um mich herum, war alles dunkel und nur die Triebwerke der Turbinen summten ihr gewohntes Lied. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Die phosphoreszierenden Zeiger verrieten mir, dass es kurz vor Mitternacht war. Also waren wir seit etwa sechs Stunden in der Luft und demzufolge mitten über dem Atlantik, also hoch über dem Mittelatlantischen Rücken, dem unterseeischen Meeresgebirge, welches Europa von Amerika trennt. Wir hatten eben gerade erst gut die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt und ich wollte mich wieder beruhigt zurücklehnen, als mich mein nun wachgerütteltes Erinnerungsvermögen zurück in die Realität holte. Wie lange waren wir jetzt schon unterwegs? Sechs Stunden? Das konnte nicht sein. Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen.

Verschlafen schaltete ich die individuelle Sitzplatzbeleuchtung ein und schaute erneut auf meine Armbanduhr. Eine Minute vor Mitternacht. Also doch, aber was war mit dem Datum? Ich starrte auf die Datumsanzeige meiner Uhr. Die zeigte mir deutlich eine Vier im runden Kreis. Die Uhr musste also garantiert falsch gehen. Unmöglich. Abgeflogen waren wir in Mexiko am letzten Tag im Oktober, also am 31. gegen 17.45 Uhr. Jetzt war es gleich 0.00 Uhr, aber das Datum zeigte bereits den vierten an. Wie lange flogen wir denn schon? Und wohin?

Im Schummerlicht beugte sich die hinter mir stehende Flugbegleiterin zu mir herunter und fragte mich leise aber sehr freundlich in ihrem liebenswürdigen schweizerischen Dialekt mit einem leicht französisch klingenden Einschlag,

»Wünschen Sie etwas zu trinken, mein Herr, ich meine, wenn Sie schon nicht schlafen können? Einen heißen Kaffee vielleicht oder auch einenTequila?«

»Nein danke, auf gar keinen Fall einen Tequila«, lehnte ich vehement ab, »merci, sehr freundlich von Ihnen, Mademoiselle.«

Ich schüttelte den Kopf und schaute ihr nun lächelnd ins Gesicht... dachte ich.

Aber stattdessen blickte ich nun erneut zu Tode erschrocken in das skelettierte Antlitz eines menschlichen Totenschädels...

 

 

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Text: Bleistift

© by Louis 2013/5      last Update: 2021/8

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Texte: © by Louis 2013/5 last Update: 2021/8
Bildmaterialien: selfARTwork
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Tag der Veröffentlichung: 27.08.2021

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