Unmengen von Sonnenstrahlen kringelten sich im Wasserglas und gleich dutzendweise stiegen die Kohlensäureperlen an die prickelnde Wasseroberfläche. Die junge Frau trank das Glas Sodawasser in einem Zug aus und ließ sich dann erschöpft auf den Küchenstuhl in ihrer New Yorker Wohnung fallen.
Sie hatte das Gefühl, als hätte man ihr soeben mit einer weit ausgeholten Baseballkeule einen wahnsinnigen Tiefschlag in die Magengegend verpasst, bei dem einem mehr als nur die Luft wegblieb.
Diese angstmachende Nachricht, die sie soeben per SMS erreicht hatte, ließ sie zittern und an die möglichen Folgen, oder Konsequenzen mochte sie erst gar nicht denken wollen. Sie war doch erst Fünfunddreißig… und das, das durfte doch einfach nicht sein.
… es gibt einige unklare Anzeichen von Markern, die mich dringend zu einer Wiederholung ihres Testes anraten lassen. Bitte melden Sie sich umgehend bei mir, Mrs.MacKent. Mit freundlichen Grüßen M.D. James Defoe
… las sie wieder und wieder den Text einer SMS ihres Arztes.
Letzte Woche hatte sie um eine zeitnahe Untersuchung durch ihren behandelnden Arzt gebeten, weil sie sich in jüngster Vergangenheit häufig unwohl fühlte und zwei ungewöhnliche Schwächeanfälle sie hellhörig werden ließen. Doktor Defoe hatte daraufhin eine umfängliche Blutuntersuchung machen lassen und ihr nun diese unheilschwangere Kurzmitteilung geschickt.
*
»Ich würde mir zunächst erst einmal keine allzu großen Sorgen machen, Doktor MacKent«, meinte der Arzt, als er Khandi MacKent ein zweites Mal Blut abnahm. »Die Werte können beispielsweise verfälscht worden sein. Durch Verunreinigungen, oder Verwechselungen entstehen manchmal unangenehme Fehlentscheidungen. Die Gründe dafür könnten unter Umständen von sehr vielschichtiger Natur sein. Ein erneuter Test wird uns jedoch in Kürze Gewissheit und damit auch stabilere Erkenntnisse bringen. Auf jeden Fall schicke ich Ihre neue Probe sicherheitshalber nun auch noch an ein anderes Labor und gegebenenfalls werden wir bereits in der nächsten Woche ein gesichertes Ergebnis vorliegen haben«, beruhigte er die junge Frau.
Er tat dies einerseits, um selber sicher zu gehen und wusste zugleich aber auch, dass wenn es hochkam, unter tausenden Tests vielleicht einer dabei war, auf den diese Zweifel in berechtigter Weise zutrafen. Nachdem er die Hautpartie zuvor mit medizinischem Alkohol desinfiziert hatte, stach er ihr die Kanüle mit der dicken Nadel in ihre Armvene. Nun zog er gleich mehrere Kubikzentimeter des Blutes seiner Patientin mittels leichten Unterdruck in den leeren Spritzenkörper.
»So, das war‘s schon«, meinte Dr. Defoe lächelnd und fasste sie freundlich bei der Schulter. »Sie waren sehr tapfer«, munterte er seine blasse Patientin auf. Dann füllte er das entnommene Blut aus der Spritze in ein schlankes, steril gehaltenes Plastikröhrchen, verschloss die Öffnung und versiegelte anschließend die Kappe. Danach pappte der Arzt einen weißen Miniaturaufkleber mit ihrer Patientennummer auf das Röhrchen und stellte es in ein winziges Plastikregel, auf dem ihr Name vermerkt war. Kurz darauf entfernte er das Besteck-Set von seiner Patientin und klebte ihr ein herzförmiges Pflaster mit einem lustigen Aufdruck in Form einer graphisch überdimensionalen schwarz-gelb gestreiften Biene auf die kaum sichtbare Einstichstelle in ihrer Armbeuge. »Ist eigentlich mehr für Kinder gedacht«, meinte er schmunzelnd. »Funktioniert aber ab und an auch bei einigen Erwachsenen«, griente Dr. Defoe.
Khandi MacKent lächelte müde, denn ihr war einfach nicht nach Aufmunterung. Zu ernst war für sie dieses Thema. Es könnte möglicherweise Leukämie sein, ein schlimmer Blutkrebs. In ihrer eigenen Verwandtschaft gab es zwar keine ihr bekannten Fälle von Leukämie, aber was will das heutzutage alles schon besagen. Hatte sie sich womöglich mit einem radioaktiven Material kontaminiert? Schließlich war sie Nuklearphysikerin und als solche, kam sie beinahe tagtäglich mit radioaktiven Stoffen in Kontakt. Unsinn schalt sie sich, die Mengen dieser radioaktiven Strahlungsdosen waren so gering und die Anzeigeinstrumente, ebenso die vorgeschriebenen Sicherheitschecks galten als zuverlässig und sicher. Sie hätten garantiert sofort Alarm geschlagen, auch wenn sie nur mit der Winzigkeit eines Hauches von Radioaktivität kontaminiert worden wäre.
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Eine Woche später saß Khandi erneut bei ihrem behandelnden Arzt in der Praxis.
Doktor Defoe hatte sie vorsichtig an beiden Handgelenken gehalten und sagte mit leiser Stimme,
»Was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, ist sehr ernst, aber wir können auch nicht die Augen davor verschließen und so tun, als gäbe es dieses Problem nicht.«
Er machte eine bedeutsame Pause und fuhr dann mit schmerzerfüllter Stimme fort. »Miss MacKent, Sie sind unheilbar an Leukämie erkrankt und Sie befinden sich mit der Krankheit bereits im Endstadium. Selbst eine ausgewogene Chemotherapie oder ein herbeigezauberter Stammzellenspender könnte Ihnen nicht mehr helfen. Wenn Sie großes Glück haben, werden Sie vielleicht noch sechs Monate leben können. Aber vermutlich wird es nach dem jetzigem Erkenntnisstand nicht einmal mehr so lang dauern.«
Die junge Frau zuckte erschrocken zusammen und wollte ihre Hände frei machen, die ihr der Arzt in diesem Moment festhielt. Sich zugleich losreißen von dieser unvermeidlichen Wahrheit. Dann zog er sie an sich und umarmte sie. Ein Schluchzen schüttelte ihren schmalen Körper und sie stammelte,
»Warum gerade ich, wieso denn ich? Ich hab doch alles getan, um gesund zu leben, habe Sport getrieben… alles umsonst. Leukämie… im Endstadium... Und es gibt gar keine Chance mehr für mich?« Tränen flossen über das Gesicht der hübschen jungen Frau. Der Arzt schüttelte traurig und stumm den Kopf,
»Es tut mir so unendlich leid und ich weiß nicht, was ich... Es gibt einfach nichts, was wir für Sie tun könnten, denn hier liegen für uns Mediziner die Grenzen des Machbaren. Ich verspreche Ihnen aber, dass Sie keine Schmerzen haben werden, wenn es soweit ist. Wenigstens das können wir Ihnen zum Glück garantieren. Ich weiß anderseits aber auch, dass es für Sie jetzt überhaupt kein Trost ist, aber es ist dennoch das Einzigste…«
Khandi MacKent setzte sich langsam aufrecht in den Ledersessel und suchte unter Schluchzen in ihre Handtasche nach einem Taschentuch. Doktor Defoe reichte ihr ein sauberes Papiertaschentuch, welches sie dankbar von ihm entgegen nahm. Der Mediziner ließ ihr ein paar Minuten Zeit, um den Schock der Erkenntnis etwas sacken zu lassen, dann sagte er mit stockender Stimme,
»Es gibt da etwas, … etwas, was Sie vielleicht wissen sollten...« Khandi sah ihn mit verschwommenen Augen an. »Ich kann und darf Ihnen aber keinerlei Hoffnung machen, es ist nur… ein vager… ein Strohhalm unter Umständen, mehr nicht, wenn überhaupt. Ich weiß in Deutschland einen ehrgeizigen und sehr talentierten Wissenschaftler, der an einem renommierten Institut in Berlin arbeitet. Ich kenne ihn vom Studium an der Yale University, wo wir beide gemeinsam ein paar Semester zusammen studiert hatten. Heimlich nannten wir ihn den Mephisto, weil es nichts gab, was er nicht erreichen konnte. Es war beinahe schon in gewisser Weise dämonisch. Zufällig weiß ich aber, dass er an der Lösung eines Problems arbeitet, was sehr entfernt etwas mit Ihrer Sache zu tun hat. Möglicherweise könnte er aber damit auch unheilbar Erkrankte retten und wie ich kürzlich hörte, sucht er immer noch nach einem passenden Probanden. Natürlich weiß ich selbstverständlich nichts Genaueres. Ich weiß nur eines, wenn es überhaupt jemanden auf dieser Welt gibt, der vielleicht noch etwas für Sie tun kann, dann er. Er heißt übrigens Anselm Steiner und stoßen Sie sich nicht daran, dass er kein Mediziner ist, er ist Diplomingenieur für Kreativtechnologie am gleichnamigen Institut in Berlin. Ich gebe Ihnen nur für alle Fälle mal seine Telefonnummer. Rufen Sie ihn an, sagen Sie ihm, dass Sie diese Nummer von mir bekommen haben. Ich bin sicher, er wird Ihnen sehr aufmerksam zuhören und Ihnen gewiss auch etwas zu sagen haben.«
Doktor Defoe reichte ihr einen handgeschriebenen Zettel über den Tisch. Khandi schaute mit Tränen in den Augen den Arzt an, dann wieder auf den Zettel, wo tatsächlich nur ein Name und eine Telefonnummer vermerkt waren.
»Sollte er jedoch keine Möglichkeiten sehen, melden Sie sich wieder bei mir. Wir planen dann gemeinsam, wie es am besten mit Ihnen weitergeht, Miss MacKent, einverstanden?«
Sie nickte stumm, steckte den Zettel ein und verließ ohne ein weiteres Wort zu verlieren die Praxis. James Defoe hatte plötzlich einige Skrupel, ob seiner Entscheidung, ihr Steiners Berliner Telefonnummer zu geben, auch die Richtige gewesen war. Da hätte ich ihr doch auch gleich die Telefonnummer der Hölle geben können, schalt er sich kopfschüttelnd. Doch nun war es bereits zu spät...
*
Am Abend des zweiten Tages rief sie die Nummer an.
Solange lag der Zettel offen auf ihrem Küchentisch und immer wenn sie dort vorbei kam starrte sie auf das Papier. Mittlerweile kannte sie die Ziffernfolge bereits auswendig. Nach einiger Zeit des Wartens meldete sich eine verschlafen klingende, männliche Stimme,
»Steiner…«
Khandi atmete unwillkürlich etwas schneller.
»Hello, Mister Steiner, ich rufe Sie aus New York an, mein Name ist Dr. Khandi MacKent, ich bin Nuklearphysikerin. Ihre private Telefonnummer habe ich von Dr. Defoe. Er meinte, Sie würden mir vielleicht helfen können, ich habe Leukämie im Endstadium und mir bleiben bestenfalls noch sechs Monate, vielleicht sogar weniger…«
Längeres Schweigen am anderen Ende der Leitung. Aber dann klang die Stimme am Telefon auf einmal hellwach.
»Hello, Miss MacKent. Anselm Steiner aus Berlin am Apparat. Sie müssen schon entschuldigen, wir haben es hier zwei Uhr in der Früh, aber jetzt stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Zwei kleine Fragen hab ich an Sie, bevor wir weiterreden. Wie alt sind Sie? Und können Sie noch verreisen?«
Khandi war überrascht, denn mit einer solchen Reaktion hätte sie nicht gerechnet. Wieder erstarkte in ihr das Gefühl der Hoffnung und so sprudelte es schnell aus ihr hervor,
„Also ich bin Fünfunddreißig und ja, ich kann verreisen. Ich fühle mich manchmal nur etwas ziemlich unwohl, Mister Steiner, aber daran soll es gewiss nicht scheitern.«
Die Stimme am Telefon erwiderte besorgt,
»Leukämie im Endstadium… das wird nicht so bleiben, Miss MacKent, allein bei dem Unwohlsein, meine ich. Das wird natürlich schnell schlimmer. Am Telefon ist es immer schlecht, darüber zu reden. Ich schlage Ihnen daher vor, sofort zu mir ins Institut nach Berlin zu kommen, dort könnte ich Sie dann ausführlich über alles Weitere informieren. Nur so viel vorab, ich kann Sie definitiv nicht heilen, Miss MacKent, ich bin kein Zauberer. Wenn die erstellte medizinische Diagnose allerdings wirklich zutreffend sein sollte und daran zweifle ich eigentlich keine Sekunde, dann gibt es für Sie leider keine Hoffnung auf eine Heilung, nirgendwo auf der Welt. Aber ich kann etwas anderes… Ich kann Ihnen Ihr Leben retten. Auch wenn das jetzt paradox klingen mag, aber ich verspreche niemals etwas, was ich nicht auch halten kann, Miss MacKent. Ich könnte Ihr Leben retten, wenn Sie nur wollten. Mehr kann ich Ihnen allerdings im Moment am Telefon dazu leider nicht sagen. Kommen Sie zu mir nach Berlin und dann sehen wir weiter. Sie müssen sich auch noch nicht jetzt und sofort entscheiden. Nur Sie sollten es aber auch nicht auf die lange Bank schieben, denn Ihnen läuft rasend schnell die Zeit davon. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Also rufen Sie mich wieder an, wenn Sie sich entschieden haben, zu mir zu kommen, Miss MacKent. Ich wünsche Ihnen…«
»Mister Steiner«, unterbrach Khandi den Ingenieur abrupt. »Sie brauchen mich nicht zu agitieren, ich habe mich bereits entschieden und ich komme zu Ihnen, wann ist es Ihnen recht?«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung atmete hörbar auf,
»Okay, kommen Sie mit der Ihnen nächst möglichen Maschine nach Berlin, geben Sie mir Bescheid, welchen Flug Sie nehmen werden und ich hole Sie dann persönlich am Flughafen in Berlin-Tegel ab, einverstanden, Miss MacKent? Ach und benötigen Sie ein First Class Ticket? Ich würde Ihnen ansonsten gern eines in New York hinterlegen.«
Hoffnungsvoll lächelte Khandi in sich hinein und brachte aber nur ein schlichtes,
»Vielen Dank, Mister Steiner, das ist sehr freundlich von Ihnen, aber das wird nicht nötig sein«, über die Lippen.
»Keine Ursache, Miss MacKent, bitte grüßen Sie den alten Knaben, James Defoe, herzlich von mir. Wir sehen uns dann in Berlin und bitte glauben Sie mir, alles ist möglich...«
*
Der Frühling hatte in diesem Jahr länger gebraucht, um sich gegen die letzten aufbäumenden Reste des sibirischen Winters durchzusetzen, der Mitteleuropa in den letzten vier Monaten ungewöhnlich fest im Griff hatte. Nun aber schien endlich wieder die Sonne bedeutend intensiver und die Lufttemperaturen kletterten für Mensch und Tier schon viel früher in annehmbare Bereiche.
Ein schlanker Enddreißiger hatte gerade eben seinen schwarzen Mercedes auf einen freien Parkplatz abgestellt und betrat die obere Rotunde des Terminals vom Berliner Flughafen „Otto Lilienthal“ in Tegel. Die elektronische Anzeigetafel des Ankunft-Terminals signalisierte bereits heftig blinkend, die Landung der aus New York erwarteten Maschine. Der Mann hatte seine braunlederne Umhängetasche geöffnet und entnahm ihr ein Tablet. Er schaltete das Gerät ein und große rote Laufbuchstaben zogen von links nach rechts über den Monitor und ergaben zusammenhängend den Satz:
...Welcome, Mrs. MacKent...
Khandi musste unwillkürlich lächeln, als sie ihren Namen auf dem Display las und schritt auf den großgewachsenen, sympathisch wirkenden Mann zu.
»Mister Steiner?«
Der Mann lächelte und gab ihr die Hand,
»Ganz recht, Dr. Khandi MacKent?«
Die hübsche schlanke Frau lächelte und neigte leicht ihren Kopf.
»Anselm Steiner, wir hatten kürzlich miteinander telefoniert.« Dann packte er sein Tablet wieder ein. »Wie geht es Ihnen, Miss MacKent, hatten Sie einen guten Flug? Ach warten Sie, bitte geben Sie mir Ihren Koffer, ich hab nämlich den Wagen gleich hier oben parken können.«
Sie gab ihm den Griff ihres Trolleys in die Hand,
»Danke, Mister Steiner, es geht mir soweit leidlich gut und den langen Trans-Atlantik-Flug scheine ich jedenfalls auch so halbwegs überstanden zu haben.«
Steiner nickte erfreut,
»Das ist gut, denn so können wir uns unvoreingenommen begegnen. Wenn Sie gestatten, fahren wir zunächst gleich ins Institut und dann bringen wir Sie erst einmal im unserem komfortablen Gästetrakt unter. Die Zimmer dort sind zwar keine Luxussuiten, aber es sind auch keine Krankenzimmer. Es gibt übrigens ein hübsches kleines Restaurant, eine Bar, ein Internetcafé, auch eine kleine auserlesene Bibliothek und darüber hinaus noch so einiges Interessantes. Sie müssen also auf nichts verzichten, was Sie vielleicht gewohnt sind, selbst auf ein kleines Schwimmbad oder sogar auf eine Sauna nicht. Wenn Sie etwas Spezielles zu essen wünschen, lassen Sie es der Restaurantküche wissen. Man wird es Ihnen umgehend zubereiten«, lächelte Steiner und hatte ihr während Unterhaltung zuvorkommend die Beifahrertür des Mercedes geöffnet.
Nachdem Khandi in der dunklen Karosse des Automobils Platz genommen hatte, verstaute Steiner ihr Gepäck im Kofferraum. Er nahm auf dem Fahrersitz Platz und ließ den Motor der schweren Limousine an.
»Sie leben ja nach dieser Beschreibung bereits schon im Paradies, Mister Steiner«, lächelte sie und fragte sich insgeheim, ob Steiner denn schon verheiratet wäre. Steiner wiegte indes schmunzelnd den Kopf,
»Nicht ganz, ein kleinwenig muss ich auch schon noch dafür arbeiten. Und wo wir schon einmal dabei sind, selbst Eva empfindet meinen Job familienmäßig gesehen, als für zu stressig und hält sich wohl auch gerade deshalb noch von mir fern. Aber ich bin mir sicher, dass es Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthaltes bei uns gewiss gefallen wird. Wir legen nämlich großen Wert darauf, dass sich unsere Institutsgäste bei uns immer sehr wohlfühlen«, sagte er und gab zügig Gas.
Später im Institut, nachdem Steiner der jungen Frau noch ihr Apartment gezeigt hatte, kam er zur Sache,
»Was Sie bislang hier gesehen haben, ist nur der offizielle Teil, die Labore und Versuchseinrichtungen befinden sich im Haupthaus. Einige davon werden Sie vielleicht morgen kennenlernen. Dort werden wir in den nächsten Tagen sicherheitshalber auch noch mal eine große Blutanalyse vornehmen lassen und einen Tomographen-Check. Ich zweifle zwar nicht an den medizinischen Untersuchungsergebnissen aus den Staaten, aber so haben wir wenigstens alle Werte in einer Hand und könnten eine Modifikation ganz zielgerichtet vornehmen. Sie haben doch gewiss nichts dagegen, Miss MacKent? Wie wär‘s mit einer ganz privaten und absolut zwanglosen Unterhaltung? Sie haben doch bestimmt noch ein paar grundsätzliche Fragen, die Ihnen förmlich unter den Nägeln brennen, so etwas spüre ich doch sofort. Außerdem sind Sie mit Sicherheit bestimmt selber viel zu sehr Wissenschaftlerin, als dass Sie mir diese Fragen nicht stellen wollten.«
Khandi nickte mit einem hoffnungsvollen Blick.
»Dann gehen wir jetzt am besten in mein Büro und reden erst einmal über unsere alternativen Möglichkeiten. Wie gesagt, Sie müssen sich zu absolut nichts verpflichten und können zu jedem Zeitpunkt alles abbrechen, bevor Sie sich nicht endgültig entschieden haben. Wir werden Sie zu nichts bewegen oder gar drängen, was Sie nicht auch selber wollten, dies nur vorweg, Miss MacKent. Wir geben Ihnen nur Alternativen vor und wir werden Ihnen dazu auch jeden notwendigen Schritt einzeln erklären. Sie haben aber auch anderseits jederzeit die Möglichkeit, ohne eine einzige Erklärung abgeben zu müssen, zu allem Nein zu sagen. Dann reisen Sie einfach wieder nachhause und vergessen alles, was Sie hier erfahren haben. Sind Sie mit dieser Verfahrensweise einverstanden, Miss MacKent?«
»Das bin ich, Mister Steiner, und Sie haben recht, es interessiert mich im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich brennend, um was es eigentlich geht. Ich bete nur inständig dafür, dass es irgendeine Möglichkeit der Hilfe für mich gibt und dass dies auch kein Geschäft ist, wo ich unter Umständen Angst haben muss, die Vertragsparameter nicht erfüllen zu können, Mister Steiner.«
Steiner schüttelte den Kopf,
»Keineswegs, Miss MacKent, das kann ich Ihnen versichern. Diese Operation, wie übrigens Ihr ganzer Aufenthalt hier, wird Sie nicht einen einzigen Cent kosten und es hängen auch definitiv keinerlei Bedingungen oder Forderungen daran. Auch dann nicht, wenn Sie am Ende unserer Unterhaltung sagen sollten, dass Sie trotzdem von einer praktikablen Lösung Abstand nehmen wollten.«
Währenddessen waren sie im Büro von Anselm Steiner angekommen und der Ingenieur bat Khandi in das wohnlich eingerichtete Nebenzimmer, welches mit einem dickflauschigen Teppich, gediegenen Ledersesseln und einer anheimelnden Ledercouch ausgestattet war. Steiner schaltete den Kamin ein und die anspringende Flamme verbreitete sogleich eine behagliche Wärme.
»Bitte nehmen Sie doch Platz, wo immer Sie wollen und machen Sie es sich so bequem wie möglich. Dies hier ist mein Refugium, in das ich mich immer zurückziehe, wenn ich eine große Entscheidung treffen muss oder mich entspannen möchte. Also entspannen Sie sich ebenso und genießen Sie einfach die Atmosphäre. Möchten Sie etwas zu trinken? Ein Wasser, einen Single Malt-Scotch oder Bourbon vielleicht? Sie brauchen es nur zu sagen.«
»Ein Sodawasser bitte, mit ein wenig Eis, wenn Sie gestatten«, meinte Khandi und war doch etwas verwundert darüber, dass sie in ihrer gesundheitlich prekären Situation, eine solche harte Getränkepalette überhaupt angeboten bekam.
Als hätte Steiner ihre Gedanken erraten fuhr er fort,
»Sicher wird es Sie überrascht haben, dass wir Ihnen Alkohol kredenzen würden. Aber in unserem Falle spielt das absolut keine Rolle, denn alles Überflüssige wird ohnehin entfernt und was fehlt, wird ergänzt. Was defekt ist, wird repariert oder ausgetauscht. Womit wir jetzt schon mitten beim Thema wären«, sagte er und entnahm der Hausbar ein paar Eiswürfel. Dann schenkte er Khandi aus einer grün-gläsernen Mineralwasserflasche das wohltemperierte, prickelnde Nass in ein funkelndes Kristallglas. »Allerdings bevorzuge ich für diesen gesundheitlich relevanten Regenerationsprozess viel lieber die Terminologie, 'Optimierung'.«
Khandi nickte und griff dankbar nach dem Glas, während Steiner für sich inzwischen einen edlen schottischen Single Malt Whisky in einen kleinen Kristallbecher eingegossen hatte und ihn der jungen Frau zu einem Toast entgegenhielt, »Auf Ihre Zukunft, Miss MacKent«, sagte er und trank einen Schluck aus dem Glas.
Khandi hatte durstig das ganze Glas geleert und Steiner schenkte ihr nach. »Sie müssen sich das Prinzip etwa so vorstellen«, fuhr er fort. »Ein gigantischer Supercomputer analysiert, ausgehend von Ihrem bestehenden DNA-Muster, in extrem kurzer Zeit jede einzelne Ihrer Körperzellen, optimiert sie und versiegelt sie anschließend. Überflüssige Zellen werden entfernt und fehlende ergänzt. Nichtreparable Zellen werden ebenfalls entfernt und durch neu regenerierte ersetzt. Im einem unmittelbar darauffolgenden nächsten Arbeitsschritt, wird jede einzelne der so optimierten und versiegelten Zelle gepanzert und ...« Steiner hielt mit seinen Erklärungen plötzlich inne, denn Khandi starrte mit großen Augen auf die sich langsam öffnende Zimmertür, die nur leicht angelehnt war. Überrascht drehte Steiner sich herum. Eine Katze mit blauem Fell schob auf Samtpfoten lautlos zwischen Tür und Rahmen ihren Kopf hindurch und starrte nun ebenfalls mit großen Augen auf die fremde, im Sessel sitzende Frau. Steiner lachte, »Sie mögen Katzen?«, fragte er lächelnd und schnippte mit den Fingern, um das Tier anzulocken.
»Und wie, Mister Steiner. Ich bin geradezu vernarrt in sie. In New York habe ich selbst eine Katze, aber die ist im Moment bei einer freundlichen Kollegin in Pflege, jedenfalls solange ich fort bin.«
Steiner nickte verstehend,
»Darf ich vorstellen, das ist Mr.Pinkus, ein junger British-Kurzhaar-Kater«, sagte er und lockte das Tier zu sich heran. Inzwischen war der Kater quer durch das Zimmer gelaufen und strich nun mauzend um die Beine von Steiner herum. Steiner klopfte mit der Hand ein paar Mal auf seinen Oberschenkel und mit einem eleganten Satz sprang der Kater auf seinen Schoß. Dann packte der Ingenieur den Kater im Genick, hob ihn dicht zu sich an sein Gesicht heran und schaute ihm tief in seine orangefarbenen Augen. Sekundenlang schauten sie sich Mensch und Tier gegenseitig in die Augen und es schien, als verstünden sie sich ganz ohne Worte.
»Ist der aber schön«, entfuhr es Khandi ungewollt, als sie den Kater in den Armen des Mannes sah. »Er hat so ein schönes blaues Fell«, sagte sie und beugte etwas sich vor, um ihn noch besser betrachten zu können. In diesem Moment drehte der Kater seinen Kopf zu der fremden Frau und schaute sie mit seinen riesigen orangefarbenen Augen direkt an. Khandi war sofort hellauf begeistert, »Und diese Augen erst...«
»Wollen Sie ihn mal nehmen?«, fragte Steiner die verzückte Frau.
»Aber gerne doch«, sagte sie und ließ sich den Kater auf den Arm geben. Der Kater drückte schnurrend sein Gesicht gegen ihre Wangen. Die junge Frau streichelte liebevoll das stolze Tier und drückte es an sich.
»Mr.Pinkus mag Sie«, konstatierte Steiner zufrieden, als er sah, wie zärtlich Khandi mit dem Tier umging. »Das ist bei Mr.Pinkus allerdings eher ungewöhnlich, denn normalerweise hält er erst einmal Distanz und wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Aber bei Ihnen scheint er sich auf Anhieb richtig wohlzufühlen. Ein gutes Zeichen, würde ich meinen«, lächelte er, während Khandi in sich versunken, sanft mit dem Kater kuschelte.
Steiner machte wieder ein ernstes Gesicht. Nach einer Weile sagte er leise, »Eigentlich müsste Mr.Pinkus schon seit über einem Jahr längst tot sein.« Es folgte eine lange Pause, ehe er nach einem auffordernden Nicken der jungen Frau weitererzählte. »Er hatte einen äußerst bösartigen Lebertumor und in seinem Körper und überall waren schon Metastasen verbreitet. Mr.Pinkus hatte keine Chance und wäre wohl sehr bald gestorben, wenn ich ihn nicht optimiert hätte.« Khandi blickte überrascht auf und schaute dann erstaunt auf den Kater.
»Wie, Sie wollen mir damit sagen, Sie hätten ihn wieder gesund gemacht?«, frohlockte sie. Steiner wiegte bedächtig mit dem Kopf,
»Sagen wir besser, ich habe seinen Tod in eine unbekannte, weit entfernte Zukunft verschoben. So könnte man es vielleicht besser formulieren, denn er verfügt jetzt im wahrsten Sinne des Wortes über eine extrem eiserne Gesundheit, die ihm genau genommen und von dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausgehend, eigentlich niemand mehr nehmen kann…«
»Was meinen Sie damit, seinen Tod in eine ferne Zukunft verschoben zu haben, Mister Steiner?«, fragte Khandi interessiert.
»Ich wollte damit nur sagen, dass ich seinen Tod wohl nicht mehr miterleben werde und wer weiß, vielleicht ist er jetzt durch unsere Optimierung sogar unsterblich geworden. Aber das wissen wir nicht. Nicht genau, jedenfalls«, korrigierte sich Steiner schnell.
»Soll das etwa heißen, Sie haben es fertiggebracht, ein lebendiges Wesen unsterblich zu machen?«, fragte sie nun völlig überrascht.
Steiner stellte sein leeres Glas hart auf den Tisch.
»Ich fürchte, es scheint beinahe so zu sein, denn als wir seine kranken Tumorzellen mittels meines neuesten Programms entfernen wollten gab es vom Computer nur eine Antwort, entweder alle Zellen zu checken, optimieren und panzern oder keine. Wir haben uns daraufhin für 'alle' entschieden und nun ist Mr.Pinkus wieder höchst lebendig und sehr wahrscheinlich auch durch diesen außerordentlichen und umfassenden Optimierungsprozess scheinbar unzerstörbar geworden, wenn man das einmal so nennen dürfte. Allerdings altert er nun auch nicht mehr, er braucht nichts mehr zu fressen, auch kein Wasser zum Trinken und auch keine Luft zum Atmen. Er hat keinerlei Ausscheidungen mehr und seine innere Körperkerntemperatur ist dauerhaft konstant und nicht mehr veränderbar, egal was wir mit ihm anstellen. Selbst wenn wir es wollten, wir könnten ihn jetzt in diesem Zustand nicht einmal mehr töten. Jedenfalls gibt es nichts, was ihn auf diesem Planeten gefährden könnte. Druck, Vakuum, Hitze, Kälte, Schallkanonen, selbst der leistungsstärkste Laserbrenner der Welt konnte ihn nichts anhaben. Nicht einmal das extrem grelle und direkte Licht der Sonne konnte ihn blenden, wir haben das in der Sternwarte getestet. Das ganze Programm. Absolut nichts. Mit einer derartigen Resistenz haben wir allerdings auch nicht gerechnet. Wir haben ihn mit einer der weltweit leistungsstärksten Gamma-Strahlen-Kanone beschossen und ihn auf Radioaktivität hin getestet und untersucht. Aber selbst die härtesten Gammastrahlen konnten ihm nichts anhaben. Sie haben seinen Körper nicht einmal durchdringen können. Als hätte er die Strahlung adsorbiert. Ich bitte Sie, was um alles in der Welt gibt es denn Härteres als Gamma-Strahlung? Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären. Nach einer mehrfachen Dekontaminierung um unseretwillen, nicht um seinetwegen, war er wieder völlig intakt. Wir hatten ihn bereits in einem Flusssäurebad und auch in hochkonzentrierter Salpetersäure gebadet, welche ja bekanntlich fast alles auflöst. Es hat ihm partout nichts ausgemacht. Selbst an der Oberfläche seines Auges verbrennt ein Hochleistungs-Diamantbohrer, zugleich wurde die nachfolgende superfeste Hartmetalllegierung aus Titan an der Oberfläche seiner Augenlinse regelrecht geshreddert. Sie könnten ihm nicht einmal ein einzelnes Haar abschneiden, oder es ihm ausreißen. Mr.Pinkus ist und bleibt gepanzert und nichts was wir tun, kann ihn je verletzen oder gar töten. Man kann ihm auch keine Schmerzen zufügen, denn er hat alle Tests ohne Murren über sich ergehen lassen. Das Einzige wäre, man würde ihn einmauern oder ihn in einen Stahlblock eingießen. Dann wäre man ihn los, also zumindest solange, bis sich das ihn umgebende Gefängnis wieder öffnen würde oder nach Ewigkeiten von selbst wieder zerfällt. Das könnte unter Umständen zwar etwas dauern, aber es könnte Mr.Pinkus auch definitiv nicht schaden. Etwas hat er allerdings aus seinem früheren Leben mit hinübergenommen, er legt sich wie üblich zum Schlafen hin, wir vermuten eine Art Regeneration seines Gehirns. Es gibt auch nichts, was ihn wachhalten könnte. Wenn er müde ist, schläft er einfach ein, egal wo er gerade ist, oder womit er sich beschäftigt«, erklärte Steiner und goss sich nun ebenfalls ein Glas Mineralwasser ein.
Er hatte sich inzwischen durstig geredet und trank es nun auch in einem Zug aus. Mit angehaltenem Atem hatte Khandi den Erklärungen des Ingenieurs gelauscht und eine einzige Frage brannte ihr auf der Seele. Etwas zögerlich richtete sie dann doch die Frage an den Mann, der nun etwas nachdenklich an dem Tisch saß.
»Ist das etwa auch das mir zugedachte Schicksal, Mister Steiner, nach dieser… Optimierung ebenfalls unsterblich zu sein?«, fragte sie mit wachsendem Entsetzen. Steiner nahm seine Hände vor das Gesicht und wischte sich müde über die Augen.
»Davon gehe ich aus, Miss MacKent, der Computer kann keine Teiloptimierung vornehmen, alles oder nichts. Ich fürchte, Sie müssen sich zwischen diesen beiden Alternativen entscheiden. Entweder ewiges Leben mit allen Konsequenzen oder alsbaldiger Tod, ebenfalls mit allen Konsequenzen, wenn Sie so wollen. Nur weiß ich jetzt wirklich nicht, was ich Ihnen empfehlen sollte. Was denken Sie?«
Khandi blickte den Mann mit großen Augen an und vergaß sogar den Kater auf ihrem Schoß zu streicheln. Sobald der aber merkte, dass er nicht mehr gekost wurde, reckte er sich hoch, machte einem ziemlich langen Hals und rieb mauzend sein Gesicht wieder an Khandis Wange. Während Khandi unablässig den Ingenieur anstarrte, griff sie mit der Hand instinktiv in das blaue Fell des Katers und begann ihn erneut zu streicheln. Nach einer Weile sagte sie tonlos,
»Kann ich mir das alles noch einmal überlegen, Mister Steiner? Ich fürchte, ich kann das hier so adhoc nicht entscheiden.«
Steiner protestierte energisch,
»Das sollen Sie um Himmels Willen doch auch gar nicht. Morgen machen wir erst einmal den großen Bluttest. Danach erfolgt dann eine absolut notwendige Untersuchung im unserem allerneuesten Computer-Tomographen. Später, wenn alle diese Auswertungen positiv verlaufen sind, sollten Sie in aller Ruhe beginnen, über eine mögliche Entscheidungsfindung nachzudenken, Miss MacKent. Heute ist Montag, ich denke, wir werden sicher noch bis Mittwoch mit der Analyse und Auswertung ihrer Daten zu tun haben. Vor Ende der Woche werden wir diesbezüglich also auch noch nichts Konkretes unternehmen können. Vielleicht sollten wir es für heute genug sein lassen und Sie schlafen erst einmal eine Nacht darüber«, beruhigte Steiner die junge Frau.
Khandi nickte,
»Sie haben recht, es ist auch schon spät geworden und ich bin jetzt wirklich geschafft von der Reise. Darf ich Mr.Pinkus mit zu mir auf mein Zimmer nehmen, Mister Steiner?« Steiner lächelte,
»Klar, gar keine Frage, denn dieser Schwerenöter auf vier Pfoten hat Sie doch ohnehin schon längst in sein Herz geschlossen und ich denke, dass er ab jetzt nicht mehr freiwillig von Ihrer Seite weichen wird. Also nehmen Sie ihn ruhig mit, Miss MacKent, denn gegen Liebe auf den ersten Blick, bin selbst ich machtlos.«
Khandi erhob sich, verabschiedete sich von Steiner und verließ mit dem Kater auf dem Arm das Büro des Ingenieurs, während der ihr gedankenverloren nachschaute.
*
Der nächste Morgen brach mit hellem Sonnenschein an, als Khandi endlich erwachte. Zwei riesige orangefarbene Katzenaugen starrten sie unentwegt an. Mr.Pinkus hatte seine Vorderpfoten sanft auf ihr Kopfkissen gestellt und die schlafende Frau solange scheinbar suggestiv beobachtet, bis sie davon wach wurde.
»Guten Morgen, Mr.Pinkus.«, sagte sie lächelnd und strich dem Kater über den Kopf. Der mauzte kurz auf, reckte sich und streckte seine Pfoten lang aus, wobei er auch seine kräftigen Krallen ausfuhr und Khandi zugleich sein prächtiges Gebiss präsentierte. Steiner hatte wahrlich recht, seit gestern Abend wich ihr der Kater nicht mehr von der Seite und auch die Nacht über hatte er zusammengerollt auf dem weichen Kopfkissen neben ihr im Bett verbracht. Selbst als sie ins Bad ging und die Tür vor ihm schloss, blieb der Kater wartend davor sitzen.
Nach dem Frühstück ging sie zu Steiner ins Büro. Einen festen Zeitpunkt hatten sie nicht ausgemacht, so begegnete sie dem Ingenieur, wie er an seinem Schreibtisch saß und auf seinem Laptop irgendwelche Daten auswertete. Kaum hatte sie nach dem Anklopfen die Tür zu Steiners Büro geöffnet, huschte Mr.Pinkus durch ihre Beine hindurch und flitzte auf Steiner zu. Mit einem gewaltigen Satz sprang er ihm auf den Schoß. Steiner streichelte lächelnd seinen Kater, der sich diese Liebkosung nur allzu gerne gefallen ließ.
»Guten Morgen, Miss MacKent, haben Sie gut geschlafen?«, fragte er die junge Frau, die nun an seinen Schreibtisch herangetreten war. Khandi lächelte,
»Ja, danke, alles war bestens, um es nicht perfekt zu nennen.«
»Das freut mich und natürlich auch die Tatsache, dass Sie nicht schon Ihren Koffer gepackt haben, um uns bereits wieder zu verlassen«, meinte Steiner, als er die gutgelaunte Frau betrachtete.
»Zuerst will ich doch sehen, was genau Sie mit mir vorhaben, einen möglichen Rückzug hab ich immer noch im Gepäck, Mister Steiner.«
Steiner nickte ernsthaft,
»Natürlich, das steht Ihnen in der Tat selbstverständlich jederzeit frei, Miss MacKent, und ich weiß natürlich auch die Tatsache zu würdigen, dass Sie sich sozusagen wieder in die Höhle des Löwen zurückgewagt haben«, lachte er und reichte ihr die Hand zu einem festen Händedruck. Dann ließ er Mr.Pinkus von seinem Schoß springen. »Wie wär‘s, Miss MacKent, wenn wir den medizinischen Basis-Check sofort machen lassen würden, dann haben wir das schon mal hinter uns und können uns danach ganz auf das Wesentliche konzentrieren«, wandte er sich an die junge Frau.
Khandi nickte,
»Es scheint ja ohnehin unumgänglich zu sein, dann machen wir es besser gleich und sind dann auf der sicheren Seite«, sagte sie aber die Fröhlichkeit verschwand sogleich aus ihren Augen. Steiner bemerkte natürlich sofort ihren Gefühlsumschwung,
»Machen Sie sich keine Sorgen, Miss MacKent, das ist doch nur eine reine Routineuntersuchung. Sie und ich, wir beide wissen doch ohnehin welches Ergebnis uns erwarten wird. Es kann uns also definitiv nichts Unerwartetes treffen.«
Er legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter und gemeinsam begaben sie sich in den medizinischen Trakt des Institutes, um dort die notwendigen Tests vornehmen zu lassen.
In dem modern eingerichteten Labor begrüßte sie freundlich eine junge, sympathische Ärztin mit strohblondem Haar und hochgebundenem Pferdeschwanz. Sie nahm Khandi fachmännisch eine Blutprobe ab. Dabei plauderte sie wie nebenbei gemütlich mit ihr, als säßen die beiden, ganz wie zwei enge Freundinnen nach einem zünftigen Einkaufsbummel in einem Straßencafé, das urbane Ambiente genießend, in der Fifth Avenue in New York. Nach zehn Minuten war das Prozedere bereits erledigt und während Steiner im Vorraum wartete, führte die Ärztin die Computertomographie durch, bei welcher der Körper der mädchenhaften Frau mehrfach mit verschiedenen Programmen komplett gescannt wurde. Nach einer weiteren halben Stunde war auch diese Untersuchung erfolgreich beendet und nun würde ein speziell ausgewähltes Ärzteteam diese Untersuchungsergebnisse auswerten und die relevanten Daten in einen neuen Superrechner einspeisen.
Als Khandi den Untersuchungsraum vom CT verließ, unternahm Steiner mit ihr noch einen kurzen Abstecher in eines der vielen Hi-Tech-Labore des Instituts.
Vor der Sicherheitstür des Laserlabors blieb er nachdenklich stehen,
»Ich möchte Ihnen an Hand eines einfachen Experiments, die definitive Unverwundbarkeit unseres Probanden demonstrieren, wenn Sie gestatten. Auch damit Sie sich persönlich von der Realität überzeugen können, denn allein immer nur darüber zu berichten, klingt auf die Dauer womöglich wenig glaubhaft.«
Er telefonierte kurz. »Man wird Mr.Pinkus gleich ins Labor bringen«, sagte Steiner und öffnete die Tür mittels eines Zahlencodes und dem Scan seiner Iris. Eine gigantische Laserkanone füllte den gesamten Raum aus. Steiner spannte in einer ungewöhnlich stark sicherheitsumglasten Vorrichtung einen etwa fünfzehn Zentimeter starken Edelstahlblock ein und richtete den einstellbaren Fokus des Nivelliergerätes exakt auf diesen massiven Metallblock aus.
»Wir schneiden jetzt mittels dieses riesigen Hochleistungslasers einfach ein Stück Edelstahl von diesem massiven Metallstrang hier ab. Ganz so, als würde ein glühendes Messer durch ein Stück weiche Butter hindurchgleiten.«
Er reichte Khandi eine Schutzbrille und setzte sich selbst eine auf. Dann schaltete er den Laser ein und betätigte eine Taste. Auf dem Monitor leuchtete eine Warnung auf:
…ACHTUNG, SIE ARBEITEN JETZT MIT 15% DER VOLLLAST...
Ein tiefes Brummen versetzte die Luft im Labor in Schwingung. Ein rosafarbenes Licht leuchtete auf und als sich der gleißende Lichtstrahl auf das Metall senkte, trennte er im Bruchteil einer Sekunde den glänzenden Edelstahlblock in zwei gleichgroße Teile. Die beiden Schnittflächen sahen aus, wie auf Hochglanz poliert und glühten dabei nicht einmal.
»Das Material hatte keine Zeit sich zu erhitzen und wurde im MikroMillimeterbereich regelrecht aus dem atomaren Strukturverbund des Metalls punktgenau herausgedampft«, erklärte er fachkundig.
Khandi nickte,
»Sehr beindruckend, Mister Steiner, aber warum zeigen Sie mir das hier alles?« Steiner nickte.
»Sie werden es gleich verstehen«, sagte er, nachdem er alle Parameter am Computer wieder auf null gesetzt hatte. In diesem Augenblick öffnete sich die Labortür und eine rothaarige Assistentin in einem weißen Arbeitskittel betrat mit Mr.Pinkus auf dem Arm, den Raum. Sie übergab Steiner lächelnd den Kater und er nickte ihr dankend zu. Kommentarlos verließ sie daraufhin wieder das Labor.
Khandi fasste den Ingenieur am Arm,
»Mister Steiner, Sie wollen doch nicht etwa das Tier…«
»Keine Sorge, Miss MacKent, dem Kater passiert nichts, es geht nur um eine eindeutige Demonstration, wir haben das schon einige dutzende Male gemacht«, sagte er und setzte den Kater in die Vorrichtung, allerdings ohne ihn anzubinden. Mr.Pinkus verzog keine Miene, offensichtlich war er mit dem Ablauf des Versuchs bereits bestens vertraut. Steiner richtete das Nivelliergerät auf den Hals des Tieres aus und betätigte die Tastatur das Bedienteils. Auf dem Monitor glomm nun der Warnhinweis:
…ACHTUNG, SIE ARBEITEN JETZT MIT 100% DER VOLLLAST...
auf. Steiner schaltete die Anlage ein und bedeutete Khandi die Schutzbrille aufzusetzen. Ein noch lauteres Brummen tönte dumpf durch das Labor und extrem grell flammte das rosafarbene Laserlicht auf. Die Luft roch stark nach Ozon und als der gebündelte Energiestrahl den Hals des Katers traf, hatte man den Eindruck, dass das blaue Fell des Tieres das Licht problemlos absorbierte, während der Kater gelassen in die Runde blickte. Steiner bewegte den Laser noch mehrmals über den Körper des Tieres, ohne das Mr.Pinkus überhaupt reagierte. Danach schaltete er die Anlage ab und winkte dem Kater. Mr.Pinkus sprang Steiner mit einem Satz auf den Arm. Der streichelt über den Kopf des Tieres und zeigte Khandi die Stelle am Hals wo der mächtige Energiestrahl über das Tier hinweggeglitten war.
»Sehen Sie, nichts, überhaupt nichts. Der Laser hat trotz des deutlich über sechsfach verstärkten Energieeinsatzes nicht einmal die Auftreffstelle erwärmen können. Wir Deutschen benutzen in unserem umgänglichen Sprachgebrauch dafür eine witzige Wortkombination, Mr.Pinkus ist nach seiner Optimierung einfach 'unkaputtbar' geworden, Miss MacKent«, sagte Steiner grinsend und gab das Tier in die Arme der Amerikanerin.
Khandi hatte gleich beim ersten Mal, als das Laserlicht aufflammte, ihre Augen geschlossen gehalten, weil sie diesen Vorgang nicht mit anschauen konnte. Sie berührte nun sanft den Hals des Katers, der sich daraufhin sofort zu ihr hinaufreckte und mit seinem Gesicht wieder über ihre Wange strich.
Steiner grinste erheitert,
»Wollen Sie, dass wir ihn noch einem Säuretest unterziehen?«
Khandi wehrte mit verzogenem Gesicht ab,
»Das reicht, ich glaube Ihnen auch so, dass er ihn sicher bestehen wird, Mister Steiner, nein das ist definitiv nicht nötig.«
»Wie Sie wollen, Sie können sich ja später die Testergebnisse und das Videomaterial dazu anschauen. Es ist alles akribisch dokumentiert und exakt aufgezeichnet worden«, meinte Steiner und schaltete die gesamte Laseranlage aus. Khandi nickte,
»Ja, vielleicht später«, sagte sie und meinte aber, auf gar keinen Fall...
*
Am nächsten Morgen schon lag bereits das vorläufige Testergebnis vor und Steiner, der Khandi MacKent noch vor dem Frühstück in ihrem Apartment wegen der guten Nachricht aufsuchte, wandte sich freundlich an die Patientin,
»Guten Morgen, wie haben Sie geschlafen, Miss MacKent?« Dann schaute er in ihr Gesicht und erkannte, dass es ihr nicht besonders gut ging. Sie war blass, sah müde und abgekämpft aus. Die anfängliche Euphorie in ihren Augen von gestern, schien verflogen. Die Krankheit meldete sich zu Wort und ließ es an dramatischer Deutlichkeit nicht missen. Die Laborergebnisse hatten es zudem klar ausgewiesen, es war tatsächlich Leukämie im Endstadium. »Das tut mir aufrichtig leid«, sagte Steiner bedrückt. »Dabei bin ich nur schnell vorbeigekommen, um Ihnen zur Abwechslung auch mal eine frohe Kunde zu bringen, denn der Rechner hat Sie nach der vorläufigen Analyse trotz alledem mit 99,4% als sicher zu optimieren eingestuft. Ich denke, dass sich das Ergebnis sogar noch etwas verbessern könnte, denn einige der weniger komplizierten Parameter der Analyse stehen noch aus. Wir haben nämlich zuerst mit den wichtigsten Daten begonnen, ohne die sonst gar nichts geht. Ein sehr passables Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Mr.Pinkus lediglich mit 90,1% Sicherheit optimiert werden konnte.«
Khandi lächelte matt,
»Wenn Sie es sagen, Mister Steiner…«
»Ich sehe, dass unsere Chancen auf einen umfassenden Erfolg immer besser werden, denn alles über 99% macht eine menschliche Optimierung möglich und zugleich steigt damit die Aussicht, Ihr Leben auch dauerhaft zu retten, Khandi… Ich denke, schon morgen werden uns alle exakten Daten zur Verfügung stehen und Sie können beginnen, sich Gedanken zu Ihrer Perspektive zu machen, denn ohne das technische GO vom Rechner und den ihm zur Seite stehende Medizinmännern geht natürlich gar nichts. Wir könnten Sie inzwischen in Pro und Contra beratend psychologisch unterstützen, wenn Sie das wünschen würden. Aber am Ende müssen Sie sich immer selbst entscheiden, das kann Ihnen leider niemand abnehmen. Für den technischen Erfolg können wir bei 99,4% schon sicher garantieren, aber wie gesagt, ich denke das GO-Verhältnis wird sich sicherlich noch weiter deutlich verbessern«, meinte Steiner eine Spur optimistischer.
Etwas müde hingegen fragte Khandi,
»Wie muss ich mir denn diesen technischen Ablauf überhaupt vorstellen Was passiert da mit mir?«
Steiner stutzte, überlegte kurz und nickte dann.
»Sie haben völlig recht, Khandi, der technische Ablauf… Sie entschuldigen mich einen Moment?«
Er griff zu seinem Mobiltelefon und ging ein paar Schritte den Flur entlang, während Khandi sich auf die Couch legte und sich mit einer dicken Wolldecke warm zudeckte. Mr.Pinkus hatte das Verhalten von Khandi mit seinen großen orangefarbenen Augen ununterbrochen verfolgt und als sie lächelnd auf den freien Platz neben sich klopfte, sprang der blaue Kater zu ihr auf die Couch. Er legte sich so geschickt neben sie, dass er von ihrer Hand bequem gestreichelt werden konnte.
Nach ein paar Minuten kam Steiner wieder in ihr Apartment zurück,
»Nun ist definitiv alles geregelt. Ja, der Ablauf sieht also folgendermaßen aus. Wenn Sie, die Ärzte und der Computer diesem gigantischen Optimierungsprozess zugestimmt haben und von allen ein eindeutiges GO vorliegt, dann werden wir Sie noch kurz vor dem Prozedere einem Haar, und Nagelspezialisten vorstellen. Danach ist nämlich definitiv keine Änderung mehr möglich. Selbst ihre Frisur wird dann für immer in dieser Form bleiben. Da Sie auch später kein einziges Haar mehr verlieren können und Ihnen aber auch kein neues mehr wachsen wird, muss ihre komplette Körperbehaarung so gestylt werden, wie es Ihnen persönlich dauerhaft am besten gefällt. Einiges wird bestimmt geschnitten, frisiert und gegebenenfalls entfernt werden, wo und wie immer Sie es wünschen. Wir werden nichts dem Zufall überlassen, was Ihre mögliche Zukunft betrifft. Das brauchten wir damals bei Mr.Pinkus allerdings nicht zu berücksichtigen, denn schon als ein normaler Kater besaß er ja bereits sein natürlich optimiertes Katzenfell. Wir hatten ihn vorher lediglich seine Krallen auf ein normales Mittelmaß getrimmt. Bei Ihnen gilt es natürlich noch einiges mehr zu beachten. So haben wir eine Art Alkoven mit einem durchsichtigen Acryl-Glasdeckel speziell für Sie, nach Ihren Maßen angefertigt. Optisch erinnert es vielleicht ein wenig an den Glassarg von Schneewittchen. Verzeihen Sie, wenn ich diese Formulierung gebrauche, aber Sie müssen selbstverständlich während der gesamten Prozedur von der Außenwelt hermetisch und steril abgeschirmt bleiben. Bei Mr.Pinkus hat der Prozess der Optimierung drei Tage gedauert. Ich denke, bei Ihnen wird es bestimmt eine ganze Woche dauern, bis dieser Prozess beendet sein wird. Danach werden Sie komplett independently leben können. Das heißt, ihr Körper wird ab diesem Zeitpunkt vollständig optimiert sein. Sie werden dann kein einziges Milligramm zu viel oder zu wenig Fett in Ihrem Körper haben. Ihre Körperkerntemperatur wird sich konstant auf 37°Celsius einpegeln und auch in der Zukunft keinerlei Veränderung unterworfen werden können. Dabei spielt es auch gar keine Rolle wo, oder in welchem Medium Sie sich gerade aufhalten. Sie könnten sich quasi auch unbekleidet durch die eisige Kälte des freien Weltraums bewegen, ohne auch nur den geringsten Kälteschaden zu nehmen. Da Sie ab diesem Zeitpunkt von außen auch keinerlei Energie mehr benötigen, die Sie in Form von Wärme, Wasser, Luft und diversen Nahrungsmitteln aufnehmen müssten, können Sie also auch nicht mehr altern. Sie werden von da ab immer im besten Alter von 35 Jahren bleiben. Selbst die Zeit, die sonst immer alles bestimmt und verändert, selbst die wird Ihnen nichts mehr anhaben können. Alles andere, was die Funktionalität Ihrer Organe angeht, wird auf ein Optimum vom Computer eingestellt werden und ist anschließend irreversibel veränderbar, soweit wir es jedenfalls bis zum heutigen Tag wissen.«
Mit einem Blick auf die Frau stellte Steiner fest, dass sie bereits eingeschlafen war und im Schlafe lächelte. Ob sie diesen wichtigen Ausführungen noch bis zum Schluss seiner Erklärung gefolgt war, konnte er nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ihre schmalgliedrige Hand lag auf Mr.Pinkus Rücken, während sie ruhig und gleichmäßig atmend eingeschlafen war. Der Ingenieur zog ihr die Decke noch etwas höher über die Schulter und verließ leisen Schrittes wieder ihr Apartment.
Im Flur verständigte er telefonisch den diensthabenden Arzt, ihn den ganzen Tag lang regelmäßig über den aktuellen Gesundheitszustand der Patientin auf dem Laufenden zu halten.
*
Khandi hatte den Tag und die ganze darauffolgende Nacht auf der Couch liegend verbracht. Ein Anfall von Müdigkeit hatte sie regelrecht niedergestreckt und fast 24 Stunden hintereinander schlafen lassen. Sehr wahrscheinlich machten sich auch noch die Auswirkungen dieser anstrengenden Reise über den Atlantik bemerkbar und belasteten den ohnehin schon geschwächten Organismus von Khandi MacKent zusätzlich. In dieser Erholungsphase war Mr.Pinkus keinen einzigen Deut von ihrer Seite gewichen, als müsse er sie permanent beschützen. Auch die regelmäßigen Kontrollbesuche der Ärzte beobachtete der blaue Kater argwöhnisch mit seinen weit geöffneten Augen. Mr.Pinkus hatte Khandi MacKent längst als seine neue Bezugsperson akzeptiert und vielleicht sehr bald schon würde sich Steiner an seine eigenen Worte von der … "Liebe auf den ersten Blick"… erinnern müssen.
Als Khandi erwachte, saß Steiner auf einem Stuhl an ihrer Seite und hielt ihr beruhigend die Hand.
»Sorry, ich muss wohl eingeschlafen sein, Mister Steiner, es tut mir sehr leid«, sagte sie entschuldigend und richtete sich auf. Steiner rieb sich die übermüdeten Augen,
»Ich bitte Sie, das macht doch nichts, aber ich denke, wenn man so müde nach einer solchen Reise ist, dann hilft dagegen eben nur ein angenehmer und gesunder Schlaf. Und während Sie den Schlaf des Gerechten schliefen, war unser Wissenschafts-Team sehr fleißig und hat inzwischen sehr intensiv an ihrer endgültig abschließenden Analyse gearbeitet«, frohlockte Steiner.
»Wenn ich Ihren Gesichtsausdruck richtig interpretiere, dann haben Sie bestimmt nur gute Nachrichten im Gepäck«, wagte Khandi mit einem dünnen Lächeln in ihrem Gesicht zu behaupten.
Steiner hingegen grinste breit über das ganze Gesicht,
»So ist es, meine Gnädigste. Der Computer hat Sie inzwischen mit 99,8% als sicher zu optimieren eingestuft. Das ist der höchste jemals gemessene Wert für einen Menschen, selbst mein eigener Testwert lag noch um zwei Zehntel darunter. Besser könnten die Ausgangsparameter für eine erfolgreiche Optimierung gar nicht sein. Von allen Seiten ein ganz großes GO. Nun hängt einzig und allein alles von Ihrer Entscheidung ab. So wie Sie sich entscheiden werden, so wird definitiv verfahren, ohne Wenn und Aber«, antwortete Steiner bestimmt. »Eines sollten Sie aber vorher wissen, wenn dieser komplexe Optimierungsprozess einmal angelaufen ist, können wir ihn nicht mehr stoppen, es wäre nämlich definitiv Ihr sicherer Tod. Darum gibt es auch drei voneinander unabhängige Stromversorgungen für den Alkoven und ebenfalls mehrere separate Zusatz-Einrichtungen für den Supercomputer. Nach menschlichem Ermessen können also nicht alle Systeme gleichzeitig ausfallen. Sie können demzufolge vom Prinzip der Raumfahrt ausgehen, wo ebenfalls alle wichtigen Lebens-Erhaltungs-Systeme gleich mehrfach vorhanden sind. Und wenn Sie mich fragen, morgen wäre in der Tat ein guter Tag, … um mit der Optimierung zu beginnen. Denn niemand weiß, wie lange sich der hohe Level von 99,8% halten wird, denn Ihre jetzige Überlebenschance wurde im Zuge der Krankheitsanalyse noch einmal auf drei Monate… herabgesetzt«, sagte Steiner mit leiser werdender Stimme, als er in das betretene Gesicht von Khandi blickte. Tränen rannen aus ihren Augen und Steiner nahm sie in den Arm.
»Wir kriegen das hin, ich verspreche es«, sagte er fast flüsternd und presste die schmale Frau fest an sich. Dann reichte er ihr ein sauberes Papiertaschentuch, mit dem sie ihre Tränen trocknete. Als sie aufatmete, erhob sie sich und sagte mit fester Stimme,
»Dann lass uns damit beginnen, Mister Steiner, ich will jetzt einfach noch nicht sterben, dazu fühle ich mich noch zu jung. Was jetzt kommt, ist wenigstens Leben und das kann dauern, aber der Tod währet ewig, das ist sicher.«
Steiner nickte verständig und drückte ihr fest die Hand,
»Mein Wort darauf, wir kriegen das hin«, versicherte er ihr…
*
Bereits am Abend waren alle notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen worden und zusätzliche Hilfskräfte wurden für den nächsten Tag mobilisiert. Man munkelte im Institut hinter vorgehaltener Hand über ein bevorstehendes sensationelles Experiment, aber kaum jemand wusste etwas Genaueres. Auch waren die unmittelbar betroffenen Mitarbeiter noch einmal zur unbedingten Verschwiegenheit vergattert worden, um einen unnötigen Wirbel zu vermeiden und damit womöglich das Ergebnis zu gefährden.
Khandi MacKent wurde am nächsten Morgen behandelt, wie eine Astronautin, die zu einem mehrwöchigen Flug ins All vorbereitet wurde. Ständig wurden nun ihre Lebensfunktionen überwacht und sie konnte keinen einzigen Schritt mehr unbeobachtet tun. Immer waren Leute um sie herum, die sie unentwegt kontrollierten. Einzig Mr.Pinkus, dessen Fell man in einem aufwendigen Prozedere desinfiziert hatte, durfte ständig bei ihr sein. Eine erfüllbare Forderung fand Steiner und hatte diesem Ansinnen von Khandi ohne zu zögern zugestimmt. Er selbst durfte sich Khandi ab jetzt auch nur noch in einem weißen Schutzanzug mit dicht geschlossenem Helmvisier nähern. Ebenso, wie alle anderen Mitarbeiter, die unmittelbar an dieser Optimierung mitwirkten.
Gegen zehn Uhr erschienen die Haar, und Nagelspezialisten im Labor und begannen mit ihrem umfangreichen Verschönerungswerk an dem Körper der jungen Frau. Khandi entschied sich für eine mittellange Schüttelfrisur, die pflegeleicht und ohne großartigen Aufwand zu richten war. Im Intimbereich bevorzugte sie einen schmalen Delta-Schnitt von mittlerer Länge und bestand im Übrigen darauf, dass man alle andere Körperbehaarung akribisch entfernen solle. Finger, und Fußnägel wurden auf eine kurze Form gebracht und optisch den natürlichen Rundungen ihrer Finger und Zehen angepasst. Nach knapp neunzig Minuten war das Ergebnis dann perfekt. Sie schlüpfte schnell in einen bereitliegenden dünnen weißen Papieranzug und verbrachte die letzte halbe Stunde vor dem Countdown mit Steiner, der aus Sicherheitsgründen immer noch seinen leichten Raumanzug trug.
»Sind Sie bis jetzt zufrieden mit allen, Miss MacKent?«
Khandi nickte,
»Vielen Dank für alles, was Sie für mich getan haben, Mister Steiner. Das hier ist weit mehr, als ich mir nach dieser schlimmen Diagnose überhaupt erhoffen durfte und ich bin nun auch mental bereit, diesen anderen Weg zu gehen«, sagte sie aufgeregt. Steiner nickte,
»Einen Weg, den vor Ihnen noch niemals jemand beschritten hat und von dem keiner weiß was Ihnen alles auf diesem Weg begegnen wird. Aber ich bin überzeugt, Sie werden ihn erfolgreich beschreiten, denn Ihnen steht nun nichts weniger, als das ganze Universum offen, wer konnte das schon je von sich behaupten? Kann ich darüber hinaus sonst noch irgendetwas für Sie tun, Khandi?«
Sie schüttelte den Kopf,
»Aufgeregt bin ich und ich habe Angst, sogar große Angst vor dem, was mich erwartet.«
»Das verstehe ich, mir ergeht es ebenso und ich bin froh und glücklich, wenn alles überstanden ist, glauben Sie mir. Aber ich versichere Ihnen, Sie werden in keiner einzigen Phase dieser Optimierung allein sein. Immer wird jemand bei Ihnen sein, der den Prozess lückenlos überwacht. Und ich bin die meiste Zeit sowieso bei Ihnen, während sich Mr.Pinkus garantiert keinen Schritt aus diesem Labor entfernen wird, so lange Sie fort sind, Khandi«, lächelte Steiner und drückte die Frau noch einmal fest an sich. Eine sanfte Frauenstimme aus dem Computer verkündete über den Lautsprecher den Beginn des Countdowns in fünf Minuten.
»Ich begleite Sie zum Alkoven. Dort wird Ihnen unsere sympathische Ärztin einen ZVK anlegen und letzte zweckdienliche Vorbereitungen treffen«, sagte Steiner und fasste Khandi bei der Hand. Sie nickte und Steiner öffnete mit einem Zahlen-Code die kreisrunde Tür der Schleuse zum Optimierungslabor. Zischend entwich die Luft aus dem leichten Überdruckraum. Mr.Pinkus schlüpfte zwischen ihren Beinen hindurch in die Druckschleuse. Nachdem der Überdruck wieder hergestellt war, konnte man das eigentliche Labor betreten. Dort wartete schon die freundliche Ärztin mit dem blonden Pferdeschwanz auf sie. Auch die Ärztin trug einen ähnlichen Schutzanzug wie Steiner. Sie begrüßte Khandi wie eine liebe Freundin und gab ihr sogar durch das klare Acryl ihres Helms ein Bussi auf die Wange, während sie Steiner zunickte.
Als Khandi ihren weißen Papieranzug abstreifte, bereitete die Ärztin den Zugang vor. Dann ging alles sehr schnell, routiniert legte sie bei ihrer Patientin den ZVK an und befestigte an ihrem Körper etwa ein gutes Dutzend mehrfarbige Klebeelektroden. Dann führte sie Khandi zu der Mitte des Raumes, wo Steiner schon die durchsichtige Acryltür des im Boden eingelassenen Alkovens für sie geöffnet hatte.
»Wenn der Deckel des Alkovens schließt, bitte einfach normal weiteratmen, denn das Gasgemisch wird etwas anders konfiguriert sein, als die normale Luft. Zu Anfang könnte es ein bisschen holprig werden mit der Atmung, aber nach drei, vier Atemzügen ist die Anpassung vorbei. Haben Sie mich verstanden, Khandi? Einfach normal weiteratmen…«
Khandi nickte, dennoch ihr war die ganze Aufregung mehr als deutlich anzusehen. Ihr Blick suchte den blauen Kater, der genau zu wissen schien, was sie erwartete, denn er starrte sie unentwegt mit seinen großen orangefarbenen Augen an. Steiner hielt ihr die Hand, als sie vorsichtig in den Alkoven einstieg. Die Ärztin führte einen Wust von Kabelverbindungen an die farbig markierten Klebeelektroden heran und verband die Kontakte miteinander. Als letztes schloss sie den ZVK an einem Flexschlauch aus dem Alkoven an, überprüfte noch einmal akribisch jede einzelne elektrische Verbindungsstelle. Zum Abschied gab sie Khandi wieder ein Bussi. Lächelnd und mit einem letzten Winken verabschiedete sie sich von ihrer Patientin bevor sie selbst den Raum verließ.
Steiner kniete neben ihr nieder, umarmte sie und gab ihr zum Abschied seinerseits ebenfalls durch das glasklare Acryl seines Helmes hindurch einen Kuss auf den Mund. Er tat so, als bemerkte er die Tränen in ihren Augen nicht und lächelte sie Mut machend an.
»Ich warte auf dich Khandi MacKent…«, sagte er leise und drückte für sie die Daumen in seinen Handschuhen. Khandi legte sich in die bequem ausgestattete Passform und hörte wie der Countdown begann, während sich langsam automatisch die durchsichtige Acryltür zum Alkoven schloss. Bei null rastete der elektrische Sicherheitsverschluss der Tür ein und Khandi spürte, wie mit einem deutlichen Zischen ein kühleres Gasgemisch in den Alkoven eingeleitet wurde. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ersticken zu müssen, denn sie bekam keine Luft mehr. Panik erfasste sie. Doch dann erinnerte sie sich an Steiners Stimme, … einfach ruhig weiteratmen… Einen Moment später sah sie ihn durch das Glas, wie er sich über sie beugte und mit den Händen das Auf und Ab der Atmung an seinem Brustkorb simulierte. Ich muss trotzdem weiteratmen, dachte sie. Nach einem weiteren schmerzlichen tiefen Atemzug, der ihr wie ein glühendes Messer in die Brust fuhr, ging plötzlich ihr Atem wieder ganz leicht. Steiner lächelte sie durch das Acryl hindurch an und hob den Daumen. Es hatte also funktioniert, dachte sie beglückt und lächelte zurück. Als Steiner etwas zurücktrat und sein Helm abnahm, drängte sich Mr.Pinkus zwischen den Beinen des Mannes hindurch und legte sich direkt vor ihrem Gesicht auf das Acryl. Mit seinen großen Augen starrte er sie an, bis es dunkel um sie herum wurde. Ihr letzter Gedanke galt den unglaublich leuchtenden, orangefarbenen Augen dieses blauen Katers…
*
Sie fühlte sich schlecht. Ein grausames Feuer wütete in ihren Eingeweiden, das Herz krampfte, ihr Magen drehte sich herum und es schien, als rebellierten ihre sämtlichen inneren Organe gegen… das Anderssein.
Sie stieß den leicht geöffneten Deckel des Alkovens ganz auf und wollte sich erheben. Es gelang ihr nicht. Da griffen vier helfende Hände vorsichtig nach ihr und begannen sie sachte ans Tageslicht zu heben. Die Sonne blendete sie und sie fühlte sich hundeelend. Als sich ihre Augen halbwegs an die Helligkeit gewöhnt hatten, erblickten sie ein lächelndes Männergesicht, welches ihr seltsam bekannt vorkam. Das markante Gesicht sagte etwas zu ihr, aber sie konnte auch die gesprochenen Worte, die sie mehr blubbernd erreichten nicht verstehen, alles ging unter in einem ungeordneten Strudel aus Schmerz und Unverständlichkeit. Rasende Kopfschmerzen von gigantischen Ausmaßen verhinderten zudem, dass sie sich auf ihr Erinnerungsvermögen konzentrieren konnte. Sie konnte diesem Männergesicht immer noch keinen bestimmten Namen zuordnen. Jetzt schaute sie an sich herunter und erkannte, dass sie völlig nackt war. Wieso habe ich nichts an und was zum Teufel mache ich hier in diesem Sarg unter dem Fußboden, dachte sie entsetzt. Ein irrsinniges Chaos der unglaublichsten Gefühle brach schlagartig über sie herein und plötzlich übermannte sie eine nie gekannte Müdigkeit, ließ sie unvermittelt in einen tiefen komaartigen Schlaf sinken. Sie bemerkte nicht einmal mehr, wie sie vorsichtig auf eine Trage gehoben und mit einem weißen Laken zugedeckt wurde.
*
Zwei riesige orangefarbene Augen starrten sie erneut an, als sie erwachte.
»Mr.Pinkus…«, brachte sie gerade noch so heraus. Da mauzte der Kater auf und rieb sein Gesicht an ihrer Wange. Sie spürte sein weiches Fell an ihrem Gesicht und etliche verschüttete Erinnerungen an angenehmere Stunden kehrten im Zeitlupentempo zurück. Noch immer hatte sie innerlich heftige Schmerzen und sie fühlte sich schlecht. Man hatte sie in ein Zimmer gebracht, sie in ein Bett gelegt und ihr ein weites Nachthemd angezogen. Das Zimmer kam ihr irgendwie seltsam vertraut vor, wie auch die ganze Situation.
Die Tür zum Apartment öffnete sich und der Mann mit dem lachenden Gesicht, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte, stand neben ihrem Bett. In der Hand hielt er einen hübschen Strauß frischer Frühlingsblumen.
»Ich freue mich, Sie wohlauf zu sehen, Khandi…«, blubberte seine sonore Stimme.
»Wie geht es Ihnen, Miss MacKent?«
MacKent, Khandi MacKent? Das war doch ihr Name. Das bin ich doch selbst, dachte sie und wie nebenbei sagte sie,
»Mir geht es schlecht, Mister… ich werde wohl sterben…«
Der Mann lachte blubbernd,
»Mit dem Sterben werden Sie es nicht so eilig haben, Miss MacKent. Auch Mr.Pinkus fühlte sich die ersten Tage nach der Optimierung sehr schlecht, bis sich sein Organismus umgestellt und der neuen Situation angepasst hatte. Ich sage Ihnen, dass Sie alles gut überstanden haben und sich alle Ihre Empfindungen noch auf ein vernünftiges Maß einpegeln werden. Geben Sie Ihrem neuen Körper einfach eine Chance, denn er ist gerade heute erst geboren worden und dazu gratuliere ich Ihnen von ganzem Herzen, das haben Sie großartig gemacht«, drangen seine blubbernden Worte an ihr Ohr. Steiner, dachte sie, dieser Mann heißt Anselm Steiner. Richtig, die Krankheit, Leukämie, die Optimierung…
»Was ist mit meiner Krankheit, Mister Steiner?« Wieder lachte Steiner ein blubberndes Lachen,
»Was für eine Krankheit? Sie sind kerngesund und das Wort Krankheit können Sie von nun an für sich selbst aus Ihrem Sprachschatz streichen. Sie können niemals wieder krank werden in Ihrem Leben, Khandi.«
»Warum kann ich Sie nur so schlecht verstehen, Mister Steiner? Wenn Sie mit mir reden, klingt das für mich, als würden wir uns unter Wasser miteinander unterhalten« Steiner nickte ernsthaft,
»Das wird noch ein paar Tage dauern, bis sich Ihr Hör, und Sprachzentrum den neuen Bedingungen angepasst haben wird. Auch Sie klingen für mich ebenso, wässrig? Aber das wussten wir bereits vorher, denn die Töne die Mr.Pinkus ganz zu Anfang von sich gegeben hatte, die klangen ebenso grauenhaft. Haben Sie etwas Geduld, Sie liegen dennoch absolut goldrichtig. Wir haben versucht, Sie zu Röntgen und Sie auch durch den Tomographen geschickt… Ihr Innerstes wird für uns ab jetzt ein ewiges Geheimnis bleiben. Die Strahlen der Geräte können Sie nicht mehr durchdringen, Sie haben es geschafft, Khandi.«
Khandi lächelte und vergrub ihr Gesicht in den Strauß Blumen, aber zu ihrer Überraschung roch sie überhaupt nichts. Das Fragezeichen in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. Steiner schüttelte den Kopf,
»Sie müssen erst neu riechen lernen, Ihre Riechzellen sind zwar immer noch vorhanden, da Sie aber die Duftmoleküle nicht mehr mit dem Luftstrom Ihres Einatmens ansaugen können, müssen Sie sie anders an sich heran lassen. Vielleicht versuchen Sie es mal mit Wedeln?«, deutete Steiner an. Prompt versuchte sie es auch und ein schwaches Lächeln erhellte sogleich ihr schönes ebenmäßiges Gesicht. Für einen Bruchteil eines Momentes hatte sie tatsächlich etwas von dem zarten Duft dieser Frühlingsblumen wahrgenommen...
*
Eine Woche später hatte sich ihr Organismus der veränderten Situation weitestgehend angepasst und Khandi fühlte zum Glück nun auch keine Schmerzen mehr. Ihr allgemeines Wohlbefinden verbesserte sich deutlich von Tag zu Tag. Auch das blubbernde Geräusch in den Ohren hatte sich gegeben und sie konnte nun wieder Töne und gesprochene Worte in gewohnter Weise vernehmen. Sie unternahm sogar schon selbständige Spaziergänge im Garten des Institutes und wurde dabei immer von Mr.Pinkus begleitet. Nie entfernte er sich außer Sichtweite und folgte Khandi auf Schritt und Tritt. Sie genoss nun den in voller Blüte stehenden Frühling, der für sie wie ein Symbol des Aufbruchs in ein neues Leben war, ein Aufbruch in eine ferne neue Zukunft.
Gestern war der alles entscheidende Tag der Abschlussuntersuchung gewesen und die Mediziner hatten nichts Ungewöhnliches an ihrem Körper feststellen können. Alle ihre Sinne schienen sich progressiv entwickelt zu haben und hatten sich rasch den extrem veränderten Bedingungen bestens angepasst. Den ganzen Tag lang hatte sie umfangreiche Tests über sich ergehen lassen müssen und ausnahmslos alle mit Bravour bestanden.
Khandi hatte sich zudem auch erstaunlich schnell daran gewöhnt, dass sie nun nicht mehr zu atmen brauchte, keinen Durst oder Hunger mehr fühlte. Die weiteren Prognosen waren durchweg optimistisch, sodass sich die Institutsleitung dazu entschlossen hatte mit einer Pressemitteilung und einem einmaligen wissenschaftlichen Statement vor die Öffentlichkeit zu treten.
Gemeinsam hatte man sich auf bestimmte Modalitäten geeinigt und sich darüber abgestimmt, um der jungen Frau einen gigantischen Medienrummel zu ersparen. Dennoch war die Reaktion der Weltöffentlichkeit überwältigend und zudem mehr als nur sensationell.
Khandi hatte damals schon in Fachkreisen mit ihrer Doktorarbeit für einiges Aufsehen gesorgt, aber das war nur ein Klacks gegen die Reaktion, die heute auf sie einstürmte. Alle wichtigen Fernsehstationen der Welt wollten plötzlich ein Interview mit der einzigen "Unsterblichen" dieser Erde machen, was sie aber vehement ablehnte und alle Medien spontan auf einen späteren Zeitpunkt vertröstete.
Heute wollte sie nur noch einmal mit Steiner zusammentreffen. So klopfte sie am Abend zu später Stunde an die Tür zum Büro des Ingenieurs. Sie wusste, dass er meist bis spät in die Nacht hinein noch arbeitete und so verwunderte es auch nicht weiter, als er hinter seinem Schreibtisch saß und an seinem Laptop letzte noch eingegangene Daten auswertete. Selbstverständlich ihre Daten.
Während Khandi die Tür zu seinem Büro einen Spalt weit geöffnet hatte, huschte Mr.Pinkus bereits hindurch und sprang diesmal ohne Aufforderung mit einem Satz auf den Schoß von Steiner. Der lachte überrascht auf und streichelte seinen Kater, welcher die vermissten Streicheleinheiten von seiner Hand genießerisch schnurrend über sich ergehen ließ.
»Na, alter Schwerenöter, hast du etwa wieder heim gefunden?«
»Ich glaube, er war nie wirklich weg von dir, Anselm Steiner«, sagte Khandi. »Bestenfalls hat er sich nur ein bisschen in mich... verguckt«, lächelte sie. Steiner grinste.
»Da geht es ihm wohl nicht nur alleine so. Irgendwie haben wir uns nämlich alle hier ein bisschen in dich verguckt, Khandi.«
»Und wäre das denn so schlimm… Mister Steiner?«, flirtete sie den Ingenieur an. Steiner schüttelte lächelnd den Kopf und ließ Mr.Pinkus von seinem Schoß springen. Dann reichte er ihr einige Bögen bedrucktes Papier über den Tisch.
»Natürlich nicht. Übrigens hab ich für dich jede Menge neuer Jobangebote bekommen. Du wirst staunen, von woher die alle stammen. Darunter ein hochkarätiges Angebot von der NASA. Sie planen eine neues Mondfahrtprogramm aufzulegen und wollen dich zur Astronautin ausbilden, oder auch das hier, ein Fax von einem japanischen Energiekonzern, sie bräuchten dringend deine Hilfe, gute Bezahlung in Aussicht gestellt und so weiter… Dabei hast du noch nicht einmal mein persönliches Angebot gehört. Bleib bei uns, Khandi. Gemeinsam könnten wir Dinge tun, von denen wir jetzt noch nicht einmal zu träumen wagen.«
»Wie soll ich das jetzt verstehen, Anselm Steiner? Meinst du, bleib bei uns am Institut? Oder meinst du, bleib bei mir?« Steiner lächelte etwas verlegen,
»Es ist wahr, ich habe dich inzwischen sehr liebgewonnen, Khandi MacKent aber ich wage es natürlich nicht, dir das so deutlich zu sagen, obwohl dies zugegebener Maßen ein überaus reizender Gedanke wäre.«
Khandi trat an Steiners Schreibtisch heran und schob dessen Laptop ein Stück weit beiseite. Mit einer eleganten Bewegung setzte sie sich nun einfach vor ihm auf den Schreibtisch und schaute ihn offen an.
»Was genau verbietet es dir mir zu sagen, was du für mich empfindest? Ist es die Angst vor dem Unbekannten, oder weil ich keine Kinder mehr bekommen kann? Oder spielen da geflissentlich auch noch andere Gründe eine Rolle?«, fragte sie ihn direkt und unverblümt. Steiner schluckte,
»Das ist es nicht, es ist eher so, wenn wir zusammen wären, würde ich permanent altern und du nicht. Irgendwann wäre ich bestimmt mal ein alter Sack für dich und womöglich dann auch nicht mehr attraktiv genug, während du immer noch jung und strahlend schön bist.« Khandi lachte,
»Das ist es also, was dir Angst macht. Die Angst vor dem Altern?«, fragte sie ungläubig. »Okay, dann sag ich dir jetzt was, Anselm Steiner. Also wenn du eines Tages dann tatsächlich ein 'alter Sack' geworden sein wirst, wie du dich auszudrücken pflegst, dann werde ich dich eben fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und such‘ mir einen jüngeren Lover«, meinte sie mit gespieltem Ernst. »Aber jetzt ist es so, dass ich dich tatsächlich aufrichtig begehre, Anselm Steiner. Und ich will nun wissen, ob das mit meiner Lust zu Lieben, auch mit einem Tausendsassa wie dich, in Übereinklang zu bringen ist. Denn das hatten mir deine honorigen Medizinmänner nämlich nicht verraten, ob man meine emotionale Seite je würde wieder zum Schwingen bringen können. Auch wie ich physisch darauf reagieren würde, wenn ich eines Tages wieder einen Mann sexuell begehren und lieben könnte. Ich glaube, jetzt ist der beste Zeitpunkt dafür, es sicher herauszufinden, denkst du nicht auch, Anselm Steiner?«, sagte sie entschlossen. Und lächelnd knöpfte sich Khandi langsam die drei obersten Knöpfe ihre Bluse auf. Steiner schluckte abermals, so selbstsicher hatte er die junge Frau vorher noch nie erlebt. Bis vor kurzem war sie eher noch die hilflose, totsterbenskranke Patientin, die nach dem letzten Strohhalm griff, um ihr eigenes Leben nicht zu verlieren. Jetzt zeigte sie sich von einer anderen, wiedererstarkten selbstbewussten Seite und wurde wieder zu der Charakterfrau, die sie eigentlich immer schon war. Charismatisch, liebevoll zärtlich und voller lebenslustigem Humor.
»Ich finde diese Idee einfach wundervoll. Wenn ich es mir richtig überlege, glaube ich jetzt, dass ich mich an so ein verdammt bezauberndes Weib wie dich, Khandi MacKent, tatsächlich gewöhnen könnte«, gestand er ihr mit einem smarten Lächeln ein. Dann erhob er sich und gab ihr einen langen Kuss, während sie ihre Arme um seinen Hals legte und diesen Kuss voller sinnlicher Leidenschaft erwiderte. Lächelnd trug Steiner die junge Frau auf seinen Armen mit nonchalanter Leichtigkeit zu der breiten, anheimelnden Ledercouch ins Nebenzimmer…
Der einzige anwesende Zeuge ihrer rauschenden Liebesnacht, der die beiden Liebenden während der ganzen Zeit keine einzige Sekunde lang aus seinen riesigen orangefarbenen Augen verlor, würde dennoch zu alldem hier Gesehenen ganz sicher Stillschweigen. Sehr wahrscheinlich sogar bis in alle Ewigkeit...
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Impressum
Cover: selfARTwork
Text: Bleistift
© by Louis 2013/3 last Update: 2022/12
Texte: © by Louis 2013/3 last Update: 2022/12
Cover: selfARTwork ©by Louis 2020/11
Tag der Veröffentlichung: 11.11.2020
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