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Die Oboistin

 

Drei Tage noch bis zur Premiere des Jahres.

Der Dirigent hasste das Orchester und das Orchester mochte den Dirigenten wegen seines kompromisslosen Perfektionismus überhaupt nicht gut leiden können. Völlig unerwartet fiel dann zu allem Überfluss kurz vor der Generalprobe auch noch die Oboe wegen einer akuten Blinddarmentzündung aus. Nun war guter Rat teuer. Schnell musste ein mindestens gleichwertiger Ersatz für die erkrankte Oboe her, denn unter Umständen standen wochenlange Proben und jede Menge Geld auf dem Spiel. Waren doch die Konzerte auf Wochen bereits im Voraus ausverkauft. Gefunden wurde schließlich eine dünne, spillrige Mittfünfzigerin, die den schwierigen Part der Solo-Oboistin nach mannigfaltigen Überredungskünsten des Intendanten zu übernehmen bereit war.

Dennoch, die Generalprobe verlief einfach nur grauenhaft. Die Oboe konnte zum einen die Tempi nicht halten und verpasste andererseits andauernd ihren Einsatz. Der Dirigent schnauzte die extrem verunsicherte Dame daraufhin an, sie wäre mit Abstand die mieseste Oboistin aller Zeiten, die ihm jemals während seiner gesamten Musikerkarriere untergekommen sei. Dabei drosch er regelrecht wütend geworden, so heftig auf das Notenpult ein, dass sein hölzerner Taktstock aus stabilem Buchenholz deswegen sogar zerbrach ...

Die sich anbahnende Katastrophe schien nun unaufhaltsam ihren Lauf zu nehmen, da bereits schon am nächsten Tag die festliche Premiere stattfinden sollte. Zudem hatte der Bürgermeister großzügig seinen derzeitigen Amtskollegen, den Oberbürgermeister von Kobe, der japanischen Partnerstadt, anlässlich der Wiedereröffnung des komplett restaurierten Opernhauses zu diesem feierlichen Konzert eingeladen.

Die langfristig anberaumte Premiere drohte nun vollends in einem fatalen Desaster zu enden, denn völlig aufgelöst packte die Oboe nach dieser total misslungenen Generalprobe auf der Stelle ihr Instrument ein und wollte, Rotz und Wasser heulend, umgehend den Saal verlassen.

Doch da brüllte ihr der Dirigent jedoch wutentbrannt hinterher,

»Und Sie, Sie bleiben gefälligst noch hier, denn mit Ihnen, meine Gnädigste, mit Ihnen bin ich nämlich noch lange nicht fertig! ...«

 

*

 

 Bereits kurz nach den ersten Auftaktklängen zur Ouvertüre während der Premiere konnte man im dem total ausverkauften Konzertsaal eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Eine unglaubliche Welle euphorischer Sympathie brandete urplötzlich zwischen dem Publikum und dem Orchester hin und her. Nichts war mehr zu spüren von einer gegenseitigen Antipathie zwischen den Musikern und ihrem Dirigenten. Wiederholt musste das Konzert sogar mehrmals unterbrochen werden, weil das faszinierte Publikum die traumhaft gespielten Soloparts der Oboe erneut immer wieder noch einmal von vorn hören wollte.

Zwischen den Sätzen raste das Publikum vor Begeisterung und spendete den Musikern frenetisch Standing Ovations, insbesondere aber dieser hinreißend bezaubernden Oboe, einen geradezu tosenden Applaus. Die an diesem Abend freigesetzten Emotionen schienen nach dem Schlussakkord den Konzertsaal in einer noch nie dagewesener Weise förmlich zu überfluten... So ging denn schließlich auch das Konzert des Jahres zwar mit einer knapp dreißigminütigen Verspätung, allerdings auch mit einem gigantischen Erfolg zu Ende.

Schon am nächsten Morgen titelte die führende Regionalzeitung, "Das Tageblatt" in extrem fetten Lettern:

 

...OBOE ROCKTE DEN KONZERTSAAL...

 

 Der Intendant des Opernhauses nahm tags darauf seinen Dirigenten beiseite und gratulierte ihm überschwänglich zu dessen außergewöhnlichen Erfolg. Auf die naive Frage, wie er es denn rein praktisch gesehen geschafft habe, die ansonsten eher recht spröde und wohl auch etwas schrullige Oboistin in so kurzer Zeit doch noch zu einer solch unglaublich phantastischen Leistung zu befähigen, antwortete sein Dirigent grienend,

»Sie werden es nicht für möglich halten, Herr Intendant, aber zuerst habe ich sie wie ein Löwe angebrüllt und sie mir daran anschließend aber richtiggehend zur Brust genommen, denn ich habe die halbe Nacht vor der Premiere mit dieser zickigen Oboe unentwegt geprobt. Die andere Hälfte hingegen, bis zum Morgengrauen auf Teufel komm raus mit ihr gepoppt, wenn Sie verstehen, was ich meine ...«

 Die Augen des Intendanten verdichteten sich inzwischen zu schmalen Sehschlitzen. Aber da fuhr der Dirigent auch schon fort.

»Und ob Sie es nun glauben, oder auch nicht Chef, mein Entschluss steht inzwischen felsenfest. Ich werde diese außergewöhnlich heiße und bei Gott, musikalisch geradezu begnadete Oboe zu meinem mir angetrauten Eheweib machen. Das entsprechende Aufgebot dazu wurde von mir heute bereits bestellt …«

Mit einer tiefen Unmutsfalte auf der Stirn erwiderte der Intendant in einem gefährlich leisen Unterton,

 »Das allerdings will ich auch stark gehofft haben, verehrter Maestro, dass Sie sie nach einem solch ungeheuerlichen Statement tatsächlich auch ehelichen werden. Schließlich hat es mich bei allem Wohlwollen für Ihre musikalischen Leistungen deutlich mehr, als nur eine Menge an überzeugender Überredungskunst gekostet, dass meine kleine Schwester überhaupt unter Ihrer Leitung gespielt hat, Sie elender Stiesel ...«

 

 

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Impressum

Cover: selfARTwork

Text: Bleistift

© by Louis 2015/7   last Update: 2022/4

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Texte: © by Louis 2015/7 last Update: 2022/4
Bildmaterialien: selfARTwork
Cover: selfARTwork
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2020

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