Letzten Freitag, kurz nach dem Dunkelwerden betrat ich die vor kurzem erst neu eröffnete Zootierhandlung in unserem Einkaufs-Center. Während hinter künstlich beleuchteten Aquarien und Terrarien die verschiedensten zum Verkauf angebotenen Zootiere ihr ungeliebtes Wartedasein fristeten, waren zu dieser Zeit nur wenige Kunden im Laden unterwegs. Es roch überall nach Tierfutter und einem undefinierten Reinigungsmittel, welches in der Tat Frische und Reinlichkeit zugleich symbolisieren sollte. Etliche Pumpen summten leise vor sich hin und beförderten ununterbrochen jede Menge Frischluft in die Aquarien, von wo aus sie dann in Form von leise blubbernden Luftbläschen wieder an die Wasseroberfläche stieg. In der Ecke hing ein Papageienkäfig an der Decke, in welchem ein grüner Kakadu auf einer hölzernen Stange saß und die Augen verdrehte. Als ich mich ihm langsam näherte, sträubte sich seine grüne Federhaube plötzlich auf und ich vernahm eine krächzende Stimme,
»Peterchen, …na komm, schenk‘ Küsschen«, während er dabei seine bunten Flügel spreizte und seinen Hakenschnabel durch die dünnen Gitterstäbe steckte. Ich grinste,
»Das könnte klappen, du kleiner süßer Kacker du. Trotzdem, so nötig hab‘ ich‘s noch nicht…«
Der Vogel aber lachte keckernd auf, als hätte er mich verstanden und plapperte wieder seinen Spruch, »… na komm, schenk‘ Küsschen« Zwischendurch pfiff er ab und zu mal und zeigte mir immer wieder seine prächtig aufgestellte Federhaube.
»Was kann ich für Sie tun?«, vernahm ich plötzlich hinter mir die freundliche Stimme einer Verkäuferin. »Suchen Sie nach etwas Bestimmten?« Ich nickte,
»Ich hätte gerne eine Maus«, sagte ich und drehte mich zu ihr herum. Eine junge Frau, um die Mitte Zwanzig, in einem blauen Nylonkittel, mit dem bunt gestickten Logo eines Papageien auf der Brust, blickte mich an. Sie trug eine randlose Brille mit runden Gläsern, durch die sie ihren fragenden Blick auf mich gerichtet hatte.
»An was dachten Sie da, an eine weiße Maus, oder eher an eine graue Feldmaus?«
»Eine Maus eben«, sagte ich und schaute mich nach den Käfigen um.
»Sie müssen doch wissen, was für eine Maus Sie haben wollen, es gibt etliche verschiedene davon, eine weiße Maus zum Beispiel…«
»Ich brauche einfach nur eine Maus, die Farbe spielt keine Rolle«, unterbrach ich sie in ihrer ansetzenden Erklärung. Scherzhafterweise fügte ich noch hinzu,
»…und bitte keine für einen Computer, und möglichst lebendig sollte sie auch noch sein.«
Die Verkäuferin nickte ernsthaft,
»Wenn Sie mir bitte folgen wollten, die Hamster und Mäuse haben wir im nächsten Gang.«
Da standen wir nun vor den Käfigen, in denen die verschiedensten Mäuse untergebracht worden waren.
Eine Infrarotlampe erwärmte den Platz, unter dem einige junge Mäuse in einer weichen Nestkuhle aus Holzspänen schliefen, andere wiederum versuchten sich an den Gitterdrähten aufzurichten, indem sie ihre dünnen roten Fingerchen durch das Gitternetz krallten.
Putzig anzuschauen waren sie eigentlich alle. Nur jetzt musste ich mich nun für eine von ihnen entscheiden.
»Was kosten die?», fragte ich die Verkäuferin und betrachte die possierlichen Tierchen interessiert.
»Die weißen, zwei fünfundzwanzig. Die grauen dagegen nur eins fünfzig. Wenn Sie zwei nehmen, beispielsweise ein Männchen und ein Weibchen, dann gibt es fünfundzwanzig Prozent Rabatt pro Tier«, pries sie geschäftstüchtig ihre kleinen Nager an.
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Eine reicht mir vollkommen. Ich glaub', nehm' eine graue, die tut es schließlich auch«, entschied ich mich.
Die Verkäuferin schaute mich nun einen Augenblick lang völlig entgeistert an,
»...wie, die tut es auch? Was wollen Sie denn mit dem Tier machen?«
»Nichts, ich will einfach nur eine Maus kaufen, oder haben Sie ein Problem damit?«, antwortete ich etwas genervt, weil ich das sich anbahnende Prozedere schon mal durch hatte.
»Für wen wollen Sie denn die Maus haben, wenn ich fragen darf?«, bohrte sie hartnäckig weiter.
»Sie dürfen, für Nella. Nella ist drei Jahre alt und sie mag Mäuse sehr«, antwortete ich wahrheitsgemäß und hatte mir inzwischen eine bestimmte Maus aus dem Käfig ausgeguckt. »Diese, die graue da…«, sagte ich und zeigte mit dem Finger auf eine der Mäuse, »…die dort in der Ecke sitzt, die nehm‘ ich.«
Die Verkäuferin zuckte mit den Schultern,
»Sie müssen es ja wissen, aber im Allgemeinen mögen Kinder mehr die weißen Mäuse«, sagte sie und öffnete den Deckel des Käfigs, um nach der Maus zu greifen.
»Nella ist kein Kind, Nella ist eine hübsche Siam-Katze und jedes Jahr zum Namenstag bekommt sie von mir eine lebendige Maus. Zum einen, um sie artgerecht zu ernähren und zum anderen, damit sie ihren Jagdtrieb nicht völlig vergisst. Sie mögen doch auch nicht jeden Tag Konserven aus der Dose essen, oder?«, befriedigte ich ihre Neugier.
Die Verkäuferin ließ prompt den Drahtdeckel wieder auf das Gitter zurückplumpsen.
»Wie, Sie wollen sie verfüttern?“, sagte sie mit einem bleich gewordenem Gesicht. Ich nickte,
»Was ist dabei, es ist doch nur zu natürlich, dass eine Katze auch Mäuse jagt. Da es bei uns in der Wohnung zum Glück keine Mäuse gibt, muss ich ihr eben ab und an mal eine aus einer Zoohandlung kaufen. Oder sehen Sie das anders?«
Die leichte Blässe auf dem Gesicht der Verkäuferin hatte inzwischen noch um eine weitere Nuance zugenommen,
»Das werde ich nicht tun, reden Sie besser mit dem Chef, Ihnen verkaufe ich jedenfalls keine Maus«, sagte sie entschlossen und warf mir einem eisigen Blick zu, als sei ich ein hundsgemeiner Mörder.
Schnellen Schrittes ging sie nach hinten, wo sie die Bürotür heftig hinter sich zuschlug. Ich runzelte die Stirn. Was war das denn jetzt, dachte ich und wollte gerade wieder gehen.
»…na komm, schenk‘ Küsschen«, plapperte hinter mir der Kakadu, pfiff drei Mal und lachte erneut mit krächzender Stimme.
»Jetzt nicht, du Kanallie, ich brauche eine Maus, keinen liebestollen Papagei«, sagte ich halb ärgerlich, halb belustigt. Wieder lachte der freche Vogel aus seinem Käfig heraus. Und ich hatte den Eindruck, er machte sich tatsächlich über mich lustig.
In diesem Moment kam ein kleiner, dünner Mann aus dem Büro und stellte sich mir als der Geschäftsführer der Zootierhandlung vor.
»Sie wollten eine Futter-Maus kaufen?«, fragte er mich unverwandt, worauf ich nickte,
»Ganz recht, nur Ihre reizende Kollegin wollte mir aber bis eben noch leider keine Maus verkaufen.«
»Sie müssen schon entschuldigen, aber im Moment, da ist sie etwas…«, dann brach er jedoch ab und druckste herum. »Sie ist in anderen Umständen, müssen Sie wissen und außerdem meine Verlobte und da will ich nicht einfach so…«
Ich hob wie zur Entschuldigung abwehrend meine Hände,
»Ich verstehe, alles klar, ist schon okay...«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
»So warten Sie doch…«, rief er mir hinterher. »…Vielleicht kann ich Ihnen ja doch noch helfen. Ich habe da noch eine, ...eine graue Maus. Eine etwas zerzauste freilich, aber keiner will sie mehr haben, wenn Sie die vielleicht…? Ich mach‘ Ihnen auch einen kulanten Preis«, schob er gleich hinterher.
»Und, kann die denn überhaupt noch rennen?«, fragte ich skeptisch geworden, denn eine lahmende, leicht erreichbare Beute würde Nellas Jagdinstinkte wohl eher nicht erwecken können.
»Aber ja doch, das ist überhaupt kein Problem. Ich denke, sie ist vielleicht nur etwas schwächlich im Moment und zur Zucht sicherlich auch nicht mehr so recht geeignet. Möglicherweise wird sie es allerdings auch nicht mehr allzu lange machen, aber sonst...« Er schürzte die Lippen und hob den Daumen.
»Na schön, dann lassen Sie mal sehen«, ließ ich mich von ihm überreden.
Die Gesichtszüge des Geschäftsführers hellten sich ein wenig auf, wohl auch in der Hoffnung, diese unverkäufliche Maus rasch loszuwerden und zum anderen, seiner Verlobten diesen eher unliebsamen Verkauf zu ersparen. Kurz darauf kam er mit einer kleinen weißen Pappschachtel zurück, in dessen Deckel mehrere kreisrunde Luftlöcher gestanzt
waren. Er hob den löchrigen Deckel an und ließ mich einen Blick hineinwerfen. Eine wahrlich zerzauste kleine graue Maus piepste ängstlich in der offenen Schachtel.
»Oh‘ Mann, die ist aber schon…«
Der Zootierhändler nickte bedauernd,
»Ich weiß, aber…« Doch dann besann er sich plötzlich. »Ach, wissen Sie was«, sagte er hastig, tat den Deckel wieder auf die Schachtel, rollerte einen dünnen gelben Gummiring über das Pappkästchen und hielt es mir hin. »Ich schenk‘ Sie Ihnen, denn verkaufen ich kann sie eh‘ nicht mehr, was soll‘s. Betrachten Sie die Maus also als ein Geschenk des Hauses.«
»Na, wenn das so ist«, sagte ich erfreut und nahm die Schachtel in Empfang. »Einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich ja nicht ins Maul. Ja, also vielen Dank dann auch.«
Der Händler nickte etwas betreten und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Haaase..., du hast doch dem Mann nicht etwa eine Maus verkauft, oder?«, drang die gebieterisch klingende Stimme seiner Verlobten aus dem Büro durch den Laden.
»Natürlich nicht, Mäuschen, wo werd‘ ich denn...«, rief er laut nach hinten zurück, während er mir mit der Hand eindeutige Zeichen gab, sein Geschäft möglichst rasch zu verlassen. Mit der kleinen Pappschachtel in der Hand verließ ich also zügig die Zootierhandlung und während der Kakadu mir mit einem knarzenden Lachen noch sein
»…na komm schenk‘ Küsschen«, hinterher krächzte, zog ich rasch die Türe ins Schloss. Weichei, dachte ich nur und meinte damit nicht den liebeskranken Vogel im Bauer. Zufrieden machte mich auf den Heimweg.
Zuhause angekommen, öffnete ich die Wohnungstür und urplötzlich stand Nella vor mir. Sie hob den Kopf und sah mich mit ihren riesigen Augen höchst erwartungsvoll an, die linke Pfote blieb wie erstarrt angehoben, während ihr Hals dabei immer länger wurde. Sie hatte die Beute längst gewittert und stellte nun ihre Vorderpfoten gegen mein Bein.
»Ja, ja, du hast es ja schon ganz richtig erkannt, meine Süße. Heute gibt es was ganz was Feines, aber holen musst du es dir natürlich schon selbst. Maus gratis, steht heute auf deinem Speiseplan«, erklärte ich ihr und natürlich hatte sie ganz genau verstanden, worum es ging. Als ich dann die Schachtel mit der Maus auf das Sideboard legte, blieb Nella davor sitzen und leckte sich nervös ihren Fang, wobei sie immer wieder schnelle, unsichere Blicke zu mir herüber warf.
Ganz bewusst hatte ich ihr heute Morgen zwar frisches Wasser, aber kein Futter hingestellt und so konnte ich sicher sein, dass sie den ganzen Tag lang über, sicher heftigen Knast geschoben hatte. Entsprechend aufgeregt saß sie vor dem Schrank im Flur und wedelte ungeduldig mit ihrem Schwanz.
Nachdem ich meinen Mantel auf den Bügel gehängt hatte, ergriff ich den Kellerschüssel und langte nach der Pappschachtel. Nella ließ mich von nun an nicht mehr aus den Augen und folgte mir ohne jegliche Aufforderung in den Keller, der trocken und warm war. Ich beugte mich hinunter und hob den Deckel von der Schachtel ab. Die Maus stank entsetzlich, wahrscheinlich von dem Adrenalinausstoß, denn sie hatte in diesem Augenblick ihre Todfeindin natürlich ebenfalls wahrgenommen. Nella tatschte mit ihrer Pfote schon nach der Schachtel, als ich sie plötzlich auf den Boden stellte und umkippte. Wie ein geölter Blitz schoss die Maus auf ihrer Flucht in eine dunkle Ecke des Kellers. Doch dabei hatte sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Nellas Jagdinstinkte waren besser, als ich dachte. Mit zwei wilden Sprüngen hatte sie die Maus eingeholt, sie mit ihrer Tatze erwischt und sie mit ausgefahrenen Krallen rasch zu Boden gedrückt. Nella ging mit ihrer Nase dicht bis an das Fell der noch zuckenden Maus, als wollte sie den Geruch ihrer Beute wie ein edles Parfum genießen. Die Maus indes hatte nicht die Spur einer Chance. Nella spielte zwar noch ein bisschen mit ihrer Beute, aber nach zwei Minuten war die Graue im Mäusehimmel angekommen. Nichts war mehr von ihr übriggeblieben, Nella hatte sie verspeist, mit Haut und Haaren…
Zufrieden folgte Nella mir wieder in die Wohnung, gerade so, als sei überhaupt nichts geschehen. Dabei lief sie mir andauernd zwischen den Beinen hin und her. An ihrem aufgestellten Schwanz konnte ich aber erkennen, wie zufrieden sie mit mir und ihrer spendierten Mahlzeit war.
Am nächsten Tag lag Nella auf dem Sofa und kuschelte sich bei mir so dicht an wie es nur ging und mit halboffenen Augen schnurrte sie mich unentwegt an, um sich ihre zustehenden Streicheleinheiten von mir abzuholen, was sie sonst so intensiv eher seltener tat.
Ganz deutlich konnte ich allerdings ihr laut vernehmliches Schnurren interpretieren…
…Du bist so toll, du bist für mich der Allergrößte, du mein ein und alles…
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Impressum
Cover: selfARTwork
Text: Bleistift
© by Louis 2014/11 Update: 2020/7
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2020
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