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21. August 2011



Obwohl der Sommer im vollen Gange war, kletterten die Temperaturen nicht höher als 22° Grad. Die Sonne schien und eine leichte kühle Brise wehte durch Alexanders Haare. Alleine stand er da, keine Menschenseele befand sich auf diesem Grundstück. Eine Träne kullerte seine Wangen herunter. Immer wieder gingen ihm die gleichen Gedanken durch den Kopf. Immer wieder fragte er sich, ob es anders hätte verlaufen können. Doch nun war es zu spät. Voller Trauer fiel er auf die Knie. Seine Tränen konnte er nicht mehr unterdrücken, sie strömten nur noch aus ihm heraus. Schluchzend blickte er über das Stück frisch umgehobene Erde, das mit verschiedenen Blumen verziert war. Dahinter befand sich ein Holzkreuz, auf dem der Name einer Person mit den beiden Zahlen „1985“ und „2011“. Alexander hatte diese Person gekannt. Noch vor acht Tagen hatten sie miteinander geredet, doch nun konnten sie nie mehr miteinander sprechen. Dabei würde Alexander gerne noch etwas sagen. Er legte eine rote Rose zu den anderen Blumen auf das Grab und flüsterte die Worte, die Michaels Leben vielleicht gerettet hätten, wenn er vor acht Tagen den Mut dazu gehabt hätte.

6. August 2011



Michael und Alexander sassen in der Berner Samurai Bar. Obwohl Samstagabend war, waren noch nicht viele Gäste da, aber es war auch erst kurz nach 22 Uhr.
„Ich habe heute rausgefunden, dass David mich betrügt.“, sagte Alexander plötzlich.
Michael war erstaunt. „Wie denn?“
„Nun, seit einigen Tagen war er sehr abweisend zu mir und wollte öfters als sonst alleine schlafen. Normalerweise vertraue ich ihm ja, aber dieses Verhalten hat mich doch stutzig gemacht. Also hab ich mal einfach seine SMS durchgelesen, als er kurz auf der Toilette war, und schon beim ersten Aufruf hab ich eine Nachricht gesehen, wie ‚wundervoll doch die letzte Nacht war’. Hab ihn daraufhin angesprochen und er hat alles zugegeben.“ Alex trank einen weiteren Schluck von seinem Bier. „Er hat alles zugegeben und beteuert, wie leid ihm dies täte und so. Aber ich hab ihn daraufhin grad rausgeschmissen, wollte ihn für heute nicht mehr sehen. Deshalb find ich es cool, dass du heute mit mir rausgekommen bist. Zuhause wäre mir nur die Decke auf den Kopf gefallen.“
„Kein Problem.“, sagte Michael. „Dafür sind doch Freunde da.“ Auch er trank von seinem Bier einen kräftigen Schluck.
„Nun, es ist mir ja eigentlich egal, dass er fremdgegangen ist, aber dass er es vor mir verheimlicht hat, das ist es, was mich an der ganzen Sache stört.“, erzählte Alex weiter. „Aber zwischen uns stimmt es schon seit einigen Wochen nicht mehr. Irgendwie haben wir uns im Laufe der Jahre einfach auseinander gelebt. Mir fehlt der gewisse Kick in der Beziehung.“
„Liebst du ihn noch?“, fragte Michael spontan heraus. Alexander zögerte.
„Ich weiss es nicht. Er ist mir schon sehr wichtig in meinem Leben. Ich meine, wir sind schliesslich seit 3 Jahren zusammen. Aber andererseits…“ Alex konnte sich sein Verhalten selbst nicht erklären, doch auf einmal küsste er seinen Kumpel wie aus dem Nichts heraus. Michael war sehr überrascht über diesen spontanen Kuss, doch liess er es geschehen.
„Tut mir leid, ich weiss auch nicht, was da in mich gefahren ist.“, entschuldigte sich Alex.
„Schon gut, ich habe mich ja nicht dagegen gewehrt.“, entgegnete Michael lachend.
„Es ist nur… Ich weiss auch nicht… Keine Ahnung, ich bin wohl schon zu besoffen um noch klar denken zu können.“ Alexander suchte die richtigen Worte, doch konnte er keine finden.
„Komm, wir gehen nach draussen eine rauchen.“, lenkte Michael ein. Alex war mit dieser Idee einverstanden. Beide leerten ihre Biergläser und gingen die Treppe hinunter.
„Das Beste wäre, wenn ihr beide mal ein klärendes Gespräch führen könnt, wie es mit euch beiden weiter gehen soll.“, sagte Michael, nachdem er sich einen Glimmstängel angezündet hatte.
„Ja, da hast du wohl recht. Aber andererseits war dies der Todesstoss für unsere Beziehung. Wie gesagt, es stimmt schon seit langer Zeit nicht mehr zwischen uns.“, sagte Alexander nachdenklich.
„Nun, das musst du wissen, ich kann nur meine Meinung dazu sagen.“
Da piepste Alexanders Handy. „Eine Nachricht von David. Er ist zu seinen Eltern gefahren und kommt erst am Mittwoch wieder zurück.“, sagte Alex.
„Da hast du nun ein paar Tagen Zeit um eure Beziehung zu überdenken und herauszufinden, was du wirklich willst. Wenn ich ehrlich sein soll, dann wäre es das Beste, wenn du diese Beziehung beenden würdest. Oder ihr gewinnt zumindest ein wenig Abstand zwischen euch.“, sagte Michael.
„Ja, vielleicht. Ich weiss es nicht, aber um ehrlich zu sein, möchte ich im Moment nicht mehr darüber nachdenken. Nehmen wir noch ein Bier?“
„Nur wenn du zahlst.“, lachte Michael.
Beide drückten ihre Zigarette im Aschenbecher neben der Türe aus und gingen wieder nach oben. Alexander stellte sich an die Bar um die beiden Biere zu bestellen. Da legte der DJ den Lady Gaga Song „Born this way“ auf.
„Tschuldige, aber zu diesem Song muss ich abtanzen.“, rief Michael Alex zu, während er schon auf dem Weg zu der Tanzfläche war. Da Alexander aus Prinzip nicht tanzte, da er sich zu untalentiert dafür hielt, wartete er ruhig auf die beiden Getränke. Michael hingegen legte sich ins Zeug. Er hielt sich zwar auch nicht für den besten Tänzer, doch war ihm auch egal, was die anderen von seinem Styl hielten.
Alexander wartete auf seinen Kumpel bei den Sofas, die hinter der rechten Ecke der Bar waren. Kaum war das Lied fertig, ging Michael wieder von der Tanzfläche. Die Musik traf selten seinen Geschmack, aber Lady Gaga war seine absolute Favoritin, weswegen er stets alles stehen und liegen liess, um zu ihren Songs abzutanzen.
„Danke.“, sagte er und nahm eines der Gläser und trank einen grossen Schluck des Gerstensaftes. Erst danach setzte er sich hin. Er war völlig verschwitzt und ausser Atem.
„Hör mal, noch mal wegen vorhin wegen des Kusses…“, fing Alex an, doch Michael unterbrach ihn.
„Vergiss es, mach dir dazu keine Gedanken. Passiert ist passiert, und offenbar stimmte es für beide. Also lassen wir es dabei, okay?“
„Okay.“, sagte Alexander, sichtlich unwohl dabei. Zu gerne wollte er noch etwas sagen, doch rang er mit sich selbst, ob es wohl richtig wäre, seinem Gegenüber dies mitzuteilen.
Um von der ganzen Situation abzulenken, redeten sie den Rest des Abends nur noch über belangloses Zeugs. Drei Biere später und unter deutlich höherem Alkoholgehalt im Blut, beschlossen sie, nach Hause zu gehen, jeder für sich. Vor dem Samurai verabschiedeten sie sich mit einem kurzen Schmatzer auf den Mund gefolgt von einer innigen Umarmung.
„Komm gut nach Hause.“, sagte Michael.
„Du auch.“, sagte Alexander und drückte ihm nochmals einen Kuss auf den Mund. Zu gerne würde er diesen Kuss noch weiter hinauszögern, doch merkte er, dass dies kein guter Zeitpunkt wäre, obwohl sie sich eine Stunde vorher noch genau auf diese Art geküsst hatten. Ihre Wege trennten sich. Alexander musste zur Tramhaltestelle laufen, Michael hatte nur einen kurzen Fussweg zu seiner Wohnung in der Innenstadt.

Keine fünf Minuten später, nachdem sich die Wege der Beiden getrennt hatten, piepste schon Michaels Handy. Es war eine Nachricht von Alexander.

(A) Es mag sein, dass ich das schreibe, weil ich unter Alkoholeinflus stehe, aber meine Gefühle zu dir haben sich verändert. Ich sehe dich nicht mehr nur als einen guten Freund…



Kaum hatte Michael die Nachricht zu Ende gelesen, kam postwendend eine zweite herein.

(A) Vergiss was ich vorhin geschrieben habe.



Alexander konnte selbst nicht glauben, was er da gerade abgeschickt hatte. ‚Was ist nur los mit mir?’, fragte er sich selbst. Obwohl der Inhalt der ersten Nachricht zutraf, wollte er dennoch nicht, dass Michael es auf diese Art erfuhr, also tippte er eine zweite Nachricht ein. Nach ein paar Minuten kam Antwort von Michael:

(M) Wir reden ein ander Mal darüber, okay?



Alex sendete ein „Okay“ zurück und beschloss, dass er am Besten sein Handy für heute Nacht abschalten sollte, sonst käme er noch auf die Idee, weiterhin seine wahren Gefühle, die er für seinen guten Freund empfand, zu schreiben.

9. August 2011

(A) Kann ich dich anrufen?
(M) Klar



Michaels Handy klingelte. Schon bei der Begrüssung merkte er, dass Alex sehr aufgebracht war.
„Wie du weisst, kam David heute zurück von seinen Eltern.“, fing Alex an.
„Ja.“, antwortete Michael knapp.
„Nun, wir haben also darüber diskutiert, was letzten Samstag vorgefallen war. Er war wie ausgewechselt. Er gab mir die Schuld an dem Ganzen. Es sei nur passiert, weil ich keinen neuen Pep in die Beziehung gebracht habe und er sich mit mir gelangweilt habe. Was bildet der sich eigentlich ein?“
„Ähm…“ Michael war sprachlos. Obwohl er David nicht kannte, erstaunte ihn seine Reaktion, da Alex in als eher der schüchterne der Beiden beschrieben hatte. „Und wie geht es jetzt weiter mit euch?“, fragte er.
„Ich hab gleich Schluss gemacht. Ich lass mich doch nicht verarschen.“, sagte Alex wütend.
„Klar, kann ich gut verstehen.“
„Sorry, wenn ich da ein bisschen laut werde, aber ich bin echt genervt. So kenne ich ihn gar nicht.“
„Schon gut.“, sagte Michael ruhig. „Dafür sind Freunde doch da.“
Eine Pause entstand.
„Danke dass du für mich da bist.“, sagte Alex. „Bist ein wahrer Freund.“
Michael lächelte. „Kein Problem.“
„Was hast du Samstag vor?“, fragte Alexander.
„Kann ich noch nicht sagen.“, antwortete Michael. „Vielleicht gehe ich zu einer Kollegin einen Film schauen, aber wir haben noch nichts definitives abgemacht. Ich werde mich noch melden.“
„In Ordnung. Ach, wegen letzten Samstag…“
Michael unterbrach ihn. „Ein ander Mal, okay? Du bist zu aufgebracht, um jetzt darüber nachzudenken. Ausserdem würde ich das gerne persönlich und nicht per Telefon mit dir besprechen.“
„Okay, ist wohl besser so.“
„Ja, definitiv.“, antwortete Michael.
„Dann vielleicht bis Samstag. Würde mich freuen.“
„Ich melde mich, würde mich aber auch freuen. Bis dann.“
„Bis dann.“

Michael legte zuerst auf. Einerseits hatte er die Trennung der Beiden kommen sehen, andererseits lag da etwas Unausgesprochenes zwischen ihm und Alexander.
‚Kann das sein?’, fragte er sich selbst. ‚Ist es wirklich möglich?’

12. August 2011

(M) Treffen wir uns morgen Abend?
(A) Okey, können wir. Wann und wo?
(M) Gegen 22 Uhr? Ich hole dich von der Tramhaltestelle ab.
(A) Alles klar.



‚Soll ich, soll ich nicht?’ Immer wieder ging dieser Gedanke durch Michaels Kopf. Zu gerne würde er Alexander mitteilen, dass er ebenfalls Gefühle für ihn empfand. Seit Alexander ihm seine Liebe gestanden hatte, ging ihm dies nicht mehr aus dem Kopf. Nun musste er feststellen, dass er sich ebenfall verliebt hatte. Er fasste allen Mut zusammen und fing an zu tippen.

(M) Ich weiss, ich sollte dies nicht per SMS mitteilen, aber meine Gefühle zu dir haben sich ebenfalls verändert.



Wie Michael erwartet hatte, kam nicht gleich eine Antwort zurück. Er liess sein Handy beim Computer zurück und ging auf den Balkon um eine Zigarette zu rauchen. Während er seine Sucht stillte, verfluchte er sich einerseits für das vorhin geschriebene, andererseits war er froh, dass Alexander nun über seine Gefühle bescheid wusste. Als er seine Zigarette fertig geraucht hatte, blickte er auf sein Handy. Alex hatte zurück geschrieben.

(A) Besprechen wir das morgen.



Das war alles. Mit einem etwas mulmigen Gefühl steckte Michael sein Handy in seine Hosentasche und machte sich bereit, um ins Bett zu gehen. Es würde wohl eine schlaflose Nacht geben.

Alexander wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Einerseits gestand gerade sein guter Freund, dass er ebenfalls Gefühle für ihn empfand, andererseits kam grad vor einer Minute eine andere SMS von David herein.

(D) Hey Alex. Es tut mir leid, ich war ein kompletter Idiot. Natürlich war es nicht deine Schuld, sondern ganz allein meine. Ich liebe dich immer noch und möchte dich nicht verlieren.



Alex war ganz hin und her gerissen. Er antwortete Michael mit einem kurzen ‚Besprechen wir das morgen.’, und widmete sich wieder der Nachricht von David. Obwohl er von ihm sehr verletzt wurde, kreisten seine Gedanken wie wild umher. Schlussendlich schrieb er ihm.

13. August 2011



Michael holte wie abgemacht Alexander bei der Tramhaltestelle unter dem Berner Baldachin ab. Etwas nervös rauchte er seine Zigarette. ‚Wie wird er wohl reagieren?’, schoss es ihm pausenlos durch den Kopf. Er und Alexander kennen sich seit Monaten, doch innert wenigen Tagen hatten sich seine Gefühle zu seinem guten Freund verändert.
Kaum hatte er seine Zigarette auf den Boden geschmissen, sah er auch schon, wie sich Alexander ihm näherte. Michael ging auf ihn zu. Innerlich bereitete er sich auf eine normale Begrüssung vor, was bei den beiden hiess, einen kurzen Kuss auf den Mund. Doch Alexander änderte dies diesmal und begrüsste Michael mit drei Küsschen auf die Wange. Stutzig über diese neue Begrüssungsart, fragte Michael: „Was ist los?“
Alexander zögerte, doch Michael liess nicht locker. Endlich rückte er mit der Sprache raus: „Es tut mir leid, aber ich kann nicht dieselben Gefühle erwidern.“
„Du lügst, und das weisst du auch.“, sagte Michael bestimmt.
„Ich bin seit heute wieder mit David zusammen. Ich hab ihm den Seitensprung verziehen und wir möchten es nochmals miteinander versuchen.“
Michael lachte. „Ach, auf einmal liebst du ihn wieder? Noch vor drei Tagen hast du ihn verflucht und ihm die Pest auf den Hals gewünscht. Und nun soll wieder heile Welt sein? Komm schon, Alex, hör auf dir selbst was vorzumachen. In Wirklichkeit hast du doch schon mit ihm abgeschlossen, nachdem du seinen Seitensprung herausgefunden hast.“
Obwohl Alexander wusste, dass Michael voll ins Schwarze getroffen hatte, konnte er ihm nicht recht geben. Zu gross war seine Angst, seine wahren Gefühle zuzugeben. Obwohl er wusste, dass Michael seine Gefühle erwidern würde, konnte er die gemeinsame Vergangenheit mit David nicht vergessen.
„Michael, ich habe dir nichts mehr zu sagen. Du hast meine Nachrichten falsch interpretiert. Ich mag dich zwar, aber ich liebe dich nicht.“
„Ist das dein letztes Wort?“, fragte Michael.
„Ja. Tut mir leid.“
„Dann mach’s gut.“ Michael drückte ihm einen Kuss auf dem Mund und flüsterte leise ‚Aber ich liebe dich.“ Dann drehte er sich um und liess Alex unter dem Baldachin stehen.
Alexander blickte ihm hinterher. Es zeriss ihm beinahe das Herz, denn er wusste, dass er eben einen guten Freund verloren hatte. Gekränkt wandte er dem gehenden Michael den Rücken zu. Er wollte schon zu der Tramhaltestelle laufen, da veranlassten ihn laut quietschende Autoreifen dazu, sich noch einmal umzudrehen.

Obwohl Michael in seinen Gedanken versunken war, wartete er vor dem Fussgängerstreifen, bis die Ampel das grüne Signal zur Überquerung aufleuchtete, doch rechnete er nicht damit, dass sich ein Autofahrer nicht an die vorgeschriebenen Verkehrsregeln halten könnte.

21. August 2011



Alexander kniete vor Michaels Grab. Tränen liefen über seine Wangen. Er legte eine rote Rose zu den anderen Blumen hin und flüsterte leise „Ich liebe dich auch.“

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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2011

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