Cover

Die Hoffnung stirbt zuletzt – Am Anfang stirbt der Glaube



Samuel und Lilith liegen eng umschlungen in ihrem Bett. Noch vor kurzem stand das Schicksal des Himmels in ihren Händen, doch davon wissen die beiden nichts mehr, ihre Erinnerungen wurden gelöscht. Eine wundervolle, einfühlsame, erotisierende Nacht liegt hinter ihnen. Die weissen Kerzen spenden ein wenig Licht in ihr spärlich eingerichtetes Wohnsilo ausserhalb der Stadt. Das einzige elektronische Gerät in dem Raum ist ein alter Fernseher, der flackernde Bilder einer Reportage sendet, doch Samuel und Lilith hören nicht wirklich zu. Zu sehr geniessen sie ihre Liebe.

„In den frühen Morgenstunden sind heute wieder mehrere Säuglinge leblos in ihren Wiegen aufgefunden worden.“, spricht die Stimme des Reporters aus dem Kasten. „Damit steigt die Zahl der rätselhaften Todesfälle innerhalb dieser Woche auf 78 an. Die Ereignisse lösten landesweit eine Welle der Anteilnahme und zugleich Verunsicherung aus. Nach Aussagen von Ärzten hat es eine Ballung des „plötzlichen Kindstodes“ in derartigem Ausmass in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben.“
Der Reporter geht zu einer Mutter hin, die ihr Kind verloren hatte. „Es war in der Nacht so still gewesen.“, schluchzt sie. „Und dann lag sie einfach da, die Augen offen, mit diesem schrecklichen Lächeln auf den… es… es… es war so grauenhaft.“

Da der Ton des Fernsehers sehr leise gestellt war, haben weder Samuel noch Lilith Notiz von dieser Tragödie genommen.
„Ich liebe dich.“, flüstert er.
„Für immer?“
„Für immer.“
„Psssst, sag das nicht.“, ermahnt sie ihn.“
„Warum nicht?“ Stutzig setzt er sich auf. Auch sie richtet sich hoch.
„Weil du es nicht weißt.“, sagt sie.
„Doch, Gott hat es mir verraten.“ Sie lächelt. Sanft streicht er über ihre glatten, blonden Haare und küsst sie. Plötzlich schreckt Lilith auf. Draussen, vor ihrem Wohnsilo, fallen Schüsse.
„Was war das?“, fragt sie ängstlich. Samuel packt sie bei der Hand.
„Zieh dich an, wir müssen weg von hier.“, sagt er hastig. So schnell es geht ziehen sie sich ihre zerrissenen Kleider an.
„Wer sind die?“, fragt Lilith. „Was wollen die?“
Noch bevor Samuel eine Antwort geben kann wird die Türe gewaltsam eingetreten. Ein Offizier der Märtyrer – Brigade stürmt herein und zielt mit seinem Gewehr auf die beiden. „Nehmen Sie die Hände über den Kopf und stellen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand.“, befiehlt er den beiden. Er hat gefunden, wonach die Truppe gesucht hat.

Narrenspiel – Das letzte Tor zum Leben



Doch Samuel und Lilith können aus dem Wohnsilo fliehen und rennen so schnell sie können Richtung Stadt. Ohne es zu wissen, befinden sie sich inmitten der Folgen der letzten Nacht. Schon nach kurzer Zeit konnten sie einen grossen Abstand zu ihren Verfolgern gewinnen. Doch da gabelt sich ihr Fluchtweg und bevor sie es realisieren konnten, dass jeder einen anderen Weg wählt, war es bereits zu spät um umzukehren. So ist nun jeder auf sich selbst gestellt. Samuel rennt weiter die regennassen Gassen entlang. Ohne Ziel, ohne Plan, ohne Ahnung warum sie flüchten. Da taucht plötzlich Maximilian, ein gefallener Engel und gleichzeitig der Anführer der Märtyrer – Brigade über ihm auf.
„Samuel, wir sind weder dir noch hinter dem bleichen Mädchen her.“, spricht der Engel zu ihm. „Wir wollen nur das ungeborene Kind, erzeugt aus Feuer und dem Wind.“
„Warum ich? Weil ich der bin, der ich bin?“, fragt Samuel.
„Nein, du spielst keine grosse Rolle. Sie wurde auserwählt, weil sie anmutig, schön und aus tiefstem Herzen rein ist. So klar wie ein Stern. Doch ihr wandelt fern des Lichts, am Ende bleibt euch nichts.“ Mit diesen Worten verschwindet Maximilian wieder.
Samuel versteht nicht den Sinn seiner Worte. Lilith wurde letzte Nacht also von ihm schwanger. Und nun sind die Mächte des Bösen hinter dem Kind her. Doch warum ausgerechnet ihr Kind?
Völlig in Gedanken irrt er weiter durch die Stadt, bis plötzlich aus einem Schaufenster eine weibliche Stimme erklingt: „Hey du da, hey. Bleib stehen.“
Er schaut in das Schaufenster hinein, das alte, gebrauchte Fernseher ausgestellt hat. Zuerst dachte er, seine Sinne täuschen ihn, denn er hatte das Gefühl, dass die Stimme nach ihm gerufen hatte. Doch es war tatsächlich so. Samuel sieht in einem der Fernseher eine Fee, die zu ihm spricht.
„Ich kenne den Weg zurück zu ihr.“, spricht diese Fee.
„Lebst du in einer Spiegelwelt?“, fragt Samuel verwundert. Doch die Fee gibt ihm darauf keine Antwort.
„Sie sind dir bereits wieder dicht auf den Fersen.“, redet sie weiter. „Ich verrate dir, wie du wieder zu ihr gelangen kannst. Lege dazu deine beiden Hände an das Schaufenster.“
Samuel weiss nicht so recht, was er davon halten soll. Aber da er nicht weiss, wo Lilith nun steckt, sieht er keine andere Wahl, und so legt er seine Hände an die Scheibe. Als ob die Fee aus dem Fernseher treten würde, nähert sie sich mit dem Kopf von der anderen Seite des Glases und flüstert: „Siehst du eine Pfütze, springst du besser hinein. Denn diese Pfütze kann das letzte Tor zum Leben sein!“ Wie von einem elektrischen Schlag getroffen wird Samuel unsanft zurückgeworfen und die Fee ist nicht mehr auf dem Bildschirm zu sehen.
„Welche Pfütze hat sie gemeint?“, fragt er sich selbst. „Durch den Regen sind hier Dutzende.“ Doch Samuel findet schnell seine Antwort. Unweit von ihm ist eine Wasserlache, die jedoch nicht sein Spiegelbild reflektiert, sondern nur eine gähnende, schwarze Leere beinhaltet. Er fühlt sich wie ein Narr, der seinen Sinn und Verstand verloren hat. Samuel schliesst seine Augen und springt hinein. Seine Reise beginnt…


Ein Fötus wie du – Komm auf mein Begräbnis, Baby



Samuel wirbelt durch diesen bunt leuchtenden Tunnel wie auf einer wilden Achterbahn. Durch diese Hin und Her wird im ganz schwindlig. Es kommt ihn so vor, als wäre er, wie Alice im Wunderland, auf dem Weg in eine andere Welt. Diese Abermilliarden, pulsierenden Farben, diese atemberaubende Geschwindigkeit, all das vernebeln seine Sinne. Seine Gedanken spielen verrückt. Durch seinen Kopf schiessen so viele sinnige und unsinnige Fragen: Warum ist jede Gäre immer eines Andern Frau?
Warum wandert man für einen Mord so lange in den Bau?
Warum sind die Tage öde und die Nächte viel zu kurz?
Warum kommt der Aufprall immer 17 Stunden vor dem Absturz?
Lebte der Marquis Philosophie im Boudoir?
Warum darf man immer nur die Arschlochkarte ziehen?
Mit wie vielen Frauen betrug Sarte die Beauvoir?
Ist was in der Offenbahrung steht erlogen oder wahr?
Mochte Lewis Carrol Kinder oder war er pädophil?
Wann finde ich den Groschen, der vor zwei Jahrzehnten fiel?
Hatte Baader einen Vollbart?
Leckte seine Gudrun Mösen?
Wuchsen in Baudelaires Garten wirklich die Blumen des Bösen?

All das, und noch tausend weitere Fragen durchfluten sein Gehirn, während er seinem Aufschlag, vielleicht sogar seinem Begräbnis, entgegenfliegt.


Über der Erde – Dies ist Feigheit



Während Samuel durch diesen seltsamen Tunnel der Märtyrer-Brigade entkommen konnte, wird Lilith von ihrem himmlischen Schutzengel Aleksandar heimgesucht.
„Wer bist du?“, fragt Lilith erschrocken.
„Hab keine Angst.“, antwortet der Engel mit sanfter Stimme. „Ich bin der, der dir das Wissen nahm, wer du bist. Doch nun ist es an der Zeit, dir es zu zeigen.“ Er berührt mit einem Finger ihre Stirn. Blitzartig durchströmen tausende Bilder durch ihren Kopf.
Lilith, einst die Frau Gottes, schwanger von dem Schöpfer der Welt, verbannt in dem sterblichen Körper der erstgeschaffenen Frau auf Erden. Sie erinnert sich wieder an alles. Gott hatte sie aus dem Himmel verbannt, weil sie ihn einst mit dem Erzengel Luzifer betrog. Aus Rache verbannte er seinen treuesten Gehilfen in die Abgründe der Hölle, und die Seele Liliths in diese menschliche Hülle. Ausgestattet mit einem irdischen Leben, das nie stattgefunden hat, einem Mann die Gedanken manipuliert, um ihn als ihr Geliebter hinzustellen.
Und doch war Gott auf ihre Hilfe angewiesen, denn nur eine Göttin konnte Gabriel und Luzifer davon abhalten, seinen Thron zu stürzen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich jemals daran erinnern würde. Doch dank Aleksandars Hilfe konnte sie es nun.
Bevor Lilith jedoch alles begreift, nimmt der Engel ihre Hand und fliegt mir ihr über das Land.
„Schau, dieses Reich soll wieder den Engeln gehören. Dein Kind aus deinem Leib und dein Wort aus deinem Mund, werden einen neuen Garten Eden zaubern. Dein Sohn wird den Schöpfer als Herrscher dieses Reiches ablösen und uns Engeln eine neue Zukunft auf Erden sichern.“, spricht Aleksandar zu ihr und währenddessen verändert sich die trostlose Landschaft in ein atemberaubendes, grünes Paradies. „Ich bin dir erschienen, um den Pfad für dich zu zweigen. Ich zeige dir die Wahrheit, deine Wahrheit. Und nun sehe, was passiert, wenn du dich gegen deine Natur entscheidest.“ Da durchflutet ein riesiges Flammenmeer das Paradies. Weder Pflanzen noch Lebewesen werden von dem Höllenfeuer verschont. Der Garten Eden, das Grauen auf Erden.
Aber Lilith verzieht keine einzige Miene. Obwohl sie weiss, was mit ihr geschehen war, wirft sie diese Gedanken fort und klammert sich an ihre menschlichen Erinnerungen.
„Nein, lass mich gehen. Ich verleugne meine Herkunft. Ich entsage meiner Gabe. Lass mich aus diesem schicksalsträchtigen Albtraum in mir fallen.“
„Dein letztes Wort?“, hakt er nach.
„Mein letztes Wort?“, bestätigt sie.
„Wie du willst.“ Und so lässt er sie über der nun wieder trostlosen Landschaft fallen.


In der Kirche des Todestrips – Die Horrorhochzeit



Von Aleksandar fallen gelassen, stürzt Lilith in die reissenden Fluten eines Flusses. Mit all ihren Kräften versucht sie, an das rettende Ufer zu schwimmen. Immer wieder wird sie von den tosenden Wellen unter Wasser gezogen, doch schlussendlich kann sie sich, völlig geschwächt, an das Ufer zerren. Erschöpft liegt sie da und schläft ein. So merkt sie nicht, wie sich ihr langsam eine dunkle Gestalt nähert. Balthasar, ein eitler, selbstgefälliger, vom Wahnsinn zerfressener Junggeselle, der ständig auf der Suche nach Liebe ist, hat ihren Todeskampf mitverfolgt und mustert sie nun von oben bis unten.
„Perfekt.“, denkt er sich. Er nimmt ihren geschwächten Körper, wirft ihn über seine Schulter und trägt sie in sein Heim, die Kanalisation. Da er seit Ewigkeiten auf eine so hübsche Frau wie Lilith gewartet hat, erbaute er sich in seinem Reich eine eigene Kapelle, in die er nun hereinmarschiert. Am Ende des dreckigen Flures hat er einen grossen Tisch erbaut. Auf diesem liegt bereits ein zerrissenes Brautkleid, das er nun Lilith anzieht. Anschliessend fesselt er sie auf einen Beichtstuhl am einen Ende des Tisches.
„Los, meine Diener.“, befiehlt er seinen Untertanen. „Bringt mir und meiner Braut das Festessen, singt die feierlichen Lieder, tanzt den Hochzeitstanz.“ Seine Untergebenen, tote, ermordete Kinder, bringen die „Festlichkeiten“: Eingekochte Wanzen, Teigtaschen aus Rattenhirnen, Tiefseeungeheuertentakeln, goldbraun gebratene Schweineköpfe, mit Honig überzogene Schafsaugen, flambierter Ziegenbock.

Langsam wacht Lilith auf. Schockiert sieht sie sich in der Kirche des Todestrips um. Ungeachtet davon tanzt das Skelett-Ballett zu den singenden Klängen der untoten Schwestern des Bösen. Lilith will nur weg von hier, weg von dieser Horrorhochzeit, bei der sie die Braut sein soll. Sie zerrt an ihrer Fessel, die sich langsam beginnt zu lösen. Da dreht sich Balthasar nach ihr um.
„Sieh, meine Liebste. Dies alles ist nur für dich.“, schwärmt er. „Geniesse das Mahl, geniesse die Zeremonie. Heute Nacht wirst du mit mir vor dem Traualtar stehen.“ Er setzt sich an das andere Ende des Tisches, nimmt sich eine der Teigtaschen, die mit einer grossen Kakerlake garniert ist, und lässt sie sich genüsslich schmecken. Das Glas erhebend, welches gefüllt mit Schweineblut und Kuhurin, prostet er seiner Braut entgegen. Lilith bemüht sich, diesen ekelerregenden Anblick zu vermeiden. Sie hofft, dass Balthasar nicht bemerkt hat, dass sie sich ihrer Fessel entledigen konnte. Doch dieser ist immer noch mit seinen Köstlichkeiten beschäftigt. Als er sich satt gegessen hatte, steht er auf und bewundert die Tänze seiner Ballettgruppe. Das ist die günstige Gelegenheit für Lilith, das kleine Messerchen zu stibitzen, welches in dem flambierten Ziegenbock steckt. Da ihr Entführer ihr den Rücken zudreht, nutzt sie die Gunst der Stunde und steckt ihm das Messer in den Nacken. Voller Schmerzen sackt Balthasar zusammen. Nun ist Lilith völlig ausser sich. Voller Hass schneidet sie ihm durch das Fleisch, durch die Venen, durch die Kehle, durch das Rückrat, bis der Kopf und der Körper getrennt sind.
Mit einem höllischen Grinsen hält sie seinen Kopf hoch. „Du magst vielleicht viel über Menschen wissen, doch du weisst nichts über mich.“
„Über dich wusste ich alles, doch ich wollte es nicht glauben.“, sagt Balthasar mit seinem letzten Atemzug. Verächtlich wirft Lilith den Kopf gegen eine dekorative Sanduhr, welche mit den Milchzähnen der ermordeten Kinder gefüllt ist. Sie rennt aus der Kirche hinaus, raus aus dieser Horrorhochzeit. Vor dem Eingang wird sie von einem schwachen Licht geblendet, welches das Mondlicht durch einen Abwasserdeckel durchdringen lässt.


Café Koma – Das Diskoinferno



Durch den Abwasserdeckel kommt Lilith auf die Strasse einer ihr fremden Stadt. Die Strassen wirken verlassen, die Häuser leer. Und doch beschleicht sie das Gefühl, nicht alleine zu sein. Langsamen Schrittes schreitet sie die Strasse entlang. Da fällt ihr auf, dass sie immer noch dieses blutverschmierte Brautkleid trägt. Mit einem heftigen Ruck reisst sie ein Stück davon ab, so dass sie nun mehr wie ein einteiliges Kleid aussieht. Nun fällt auch das Laufen leichter. Da vernimmt sie in der Nähe Musik. Sie folgt diesen wundervollen Melodien, immer noch mit einem unbehaglichen Gefühl im Rücken. Der Diskotempel „Café Koma“ türmt sich langsam vor ihr auf. Sie drängelt sich vorbei an den wartenden Leuten vor der Türe und mischt sich unter die tanzenden Gäste.

„Haben wir dich endlich gefunden, du verdammte Schlampe.“, flüstert Eva zu ihren beiden Begleitern, als sie Lilith aus dem Abwasserdeckel kommen sieht. Eva, Gregorius und Alistair verfolgen Lilith schon lange, da Eva noch eine Rechnung mit ihr offen hat.

Nachdem Lilith von Gott in den irdischen Körper verbannt wurde, hatte Gott eine neue Frau erschaffen, die ihren Platz einnehmen sollte: Eva. Sie war zwar Adams rechtmässige erste Frau, doch Lilith war vor ihr da als seine Geliebte. Alistair und Gregorius hatten sich schon vorher gegen Lilith verschworen, und als sie auf die Erde kam, weihten die beiden Eva in das Geheimnis ein. Eifersüchtig auf Lilith, die schöner, schlanker und sexuell aktiver war, schwor sie Rache. Nun, nach jahrelanger Suche, hat sie ihr Ziel so kurz vor Augen.

Die drei folgen Lilith in den Diskotempel. In der spärlichen Beleuchtung des Klubs ist es ihnen jedoch nicht möglich, die hingabevoll tanzende Lilith auszumachen. Sie verschanzen sich auf der Damentoilette.
„Ich will sie tot sehen. Diese Schlampe soll bluten.“, sagt Eva zu ihren beiden Untertanen.
„Was hast du vor? Willst du den ganzen Klub ummähen?“, fragt Gregorius.
Auch Alistair ist gegen diesen Vorschlag. „Das soll doch ein schlechter Witz sein?“, entgegnet er. Doch Eva lässt sich von den beiden nicht von ihrem Plan abbringen.
„Hört zu. Entweder ihr macht da mit, oder ihr verschwindet. Ich kann das auch alleine durchziehen. Diese Schlampe hat ihren verfickten Körper an den Leib meines Mannes gerieben. Und auch ihr wollt Rache an der Hure verüben, schliesslich hat sie euren Gott verraten. Also, ich frage euch nochmals: Seit ihr dabei?“
Alistair und Gregorius sehen sich an. Nach kurzem zögern willigen sie ein, den ganzen Diskotempel in ein Massengrab zu verwandeln.
„Also, aufgepasst. Gregorius, du übernimmst den Pulk auf den Emporen. Alistair übernimmt die Tanzfläche und ich knall all die Pärchen ab, die sich in der Lounge die Zungen verheddern. Auf mein Zeichen. Achtung, fertig, LOS!“
Die drei stürmen mit ihren gezogenen Waffen aus der Toilette und beginnen unverzüglich zu feuern. Kugel um Kugel treffen sie ungezielt ihre Opfer. Schreie. Panik. Blut. Tod. Doch die drei fahren mit ihrem Amoklauf unverzüglich weiter. Ein Opfer um das andere fällt auf den blutüberlaufenen Boden. In ihrer Raserei bemerken sie jedoch nicht, dass sich Lilith in diesem Chaos heimlich einen Weg durch den Notausgang nach Draussen bahnen konnte.


Die Zärtlichkeit der Verdammten – Willkommen bei den Peingebrecks



Währenddessen wird Samuel aus dem Tunnel ausgespuckt. Ächzend richtet er sich auf und streckt sich. Sämtliche Knochen tun ihm weh. Er sieht sich um. Nach einem kurzen Augenblick weiss er genau, wo er sich befindet. Es ist das Anwesen seines guten Freundes Bartholomäus Skarabäus Peingebreck. Bartholomäus ist ein verrückter Wissenschaftler, dessen liebstes Hobby es ist, Katzen aufzuschlitzen und sie draussen an den Bäumen festzunageln und ausbluten zu lassen. Er lebt in einer monumentalen Villa mit einem Kuppeldach aus Glas, durch welches er in der Nach Mythengestalten an den Himmel projiziert. Peingebreck lebt mit seiner verstorbenen Frau in diesem Gebäude. Nachdem sie gestorben war, mumifizierte er ihre Leiche und setzte sie in einen Rollstuhl. In seinen einsamen Momenten führt er Selbstgespräche und leiht seiner Frau seine Stimme. Samuel konsultiert Bartholomäus in sämtlichen Lebenslagen, so auch jetzt. Unterwegs zu der Villa sammelt er noch ein paar junge Kätzchen, um diese ihm als Gastgeschenk zu überreichen. Er klopft an die Tür.
„Wer ist da?“, kommt es aus dem Inneren.
„Ich bin’s, Samuel.“ Die Türe wird geöffnet.
„Samuel, mein alter Freund.“ Bartholomäus ist sichtlich erfreut, ihn zu sehen. „Lange nichts mehr von dir gehört.“
„Das ist wahr, tut mir leid. Es war viel los. Hier, ich habe dir etwas mitgebracht.“ Samuel überreicht ihm die jungen Kätzchen. Bartholomäus sieht ihn an.
„Ich weiss schon, was das zu bedeuten hat. Du brauchst meine Hilfe. Nun denn, komm rein.“, sagt er seufzend und nimmt die Kätzchen an sich. Samuel tritt ein. Bartholomäus geht zur Küche, wirft die noch lebenden Tiere einen Käfig und geht dann zur Stube, wo Samuel bereits auf dem Sofa neben der Mumie Platz genommen hat. Bartholomäus setzt sich gegenüber hin.
„Nun, was ist passiert. Wie kann ich diesmal behilflich sein?“, fragt er.
„Ich weiss selbst noch nicht mal genau, was hier passiert ist. Von einem Engel habe ich erfahren, dass meine Geliebte Lilith ein Kind erwartet. Allem Anschein nach muss es ein besonderes Kind sein, denn wir werden von dem Himmel, der Hölle und von der Märtyrer Brigade gejagt. Als ob wir Maria und Joseph des 21. Jahrhunderts wären. Warum können die uns nicht in Ruhe und unser Leben leben lassen?“
„Samuel.“, spricht Bartholomäus in ruhigem Ton. „Ich schätze, du weiss nicht, was in den letzten Tagen mir dir und Lilith los war.“ Samuel horcht auf. „Wahrscheinlich hat Gott selbst dafür gesorgt, dass du dich nicht daran erinnern kannst, aber Lilith war an einer Krankheit gestorben.“
„Was erzählst du denn?“ Samuel springt auf und läuft in der Stube herum. „Das ist doch absoluter Blödsinn den du da erzählst.“
„Setz dich, bitte.“ Bartholomäus spricht immer noch im gleichen ruhigen Ton. Samuel setzt sich wieder. „Ich habe dich noch niemals belogen, so glaube mir auch jetzt. Lilith ist keine normale Frau. Wie gesagt, vor wenigen Tagen war sie gestorben, doch konnte sie nicht in den Himmel aufsteigen, da Gabriel einen Aufstand gegen Gott führte. In seinem letzten Atemzug konnte dir der Erzengel Michael die Worte mitteilen, mit denen man Gabriel Einhalt gebieten kann. Du hast deine Seele dem Teufel verkauft, damit dieser gegen Gabriel in den Krieg ziehen kann. Lilith war schlussendlich diejenige, die den Krieg mithilfe dieser Worte beenden konnte. Aus Dankbarkeit hatte Gott euch beide wieder auf die Erde geschickt und euer Gedächtnis dabei gelöscht. Er bedachte wohl nicht, dass andere diese Geschichte nie vergessen würden.“
„Aber wie sollte denn Lilith die Macht dazu haben, einen Erzengel und Satan aufhalten zu können?“, fragt Samuel.
„Ich habe dir ja schon gesagt, Lilith ist keine gewöhnliche Frau.“, fährt Bartholomäus fort. „Früher war sie mal eine Göttin, die Frau Gottes.“
Samuel macht grosse Augen. Er will nicht glauben, was sein Freund da erzählt. Bartholomäus bemerkt seinen Blick.
„Du kannst mir vertrauen, es ist alles wahr, was ich dir erzähle. Nun denn, Lilith war ihrem Mann nicht treu, sie betrog ihn mit Luzifer. Dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war, wusste sie jedoch nicht. Gott kam aber hinter die Affäre der beiden und verbannte Luzifer in die Unterwelt. Lilith bestrafte er härter, er machte sie sterblich und wurde die erste Frau Adams. Doch sie wollte sich nicht von ihm unterwerfen lassen und so ging sie hinfort, bis sie auf dich traf. Die göttliche Schwangerschaft war bis dahin unterbrochen worden, doch du hast sie wieder reaktiviert. Deshalb wollen nun beide Mächte, ob Himmel oder Hölle, dieses Kind als Gottes Nachfolger haben, da dieser rechtmässigen Anspruch besitzt.“
„Aber… Aber… Irgendetwas muss ich doch tun können?“
„Nein Samuel, tut mir leid. Aber gegen diese Mächte kommt man nicht an, selbst ich nicht.“, sagt Bartholomäus.
„Aber…“
„Ich sagte NEIN.“ Bartholomäus’ Tonfall wird schärfer und lauter. „Ich kann nicht und ich WILL dir nicht helfen. Und jetzt RAUS.“ Er zeigt mit dem Finger zur Türe hin. Samuel versteht diese Geste sofort. Wenn Bartholomäus einmal wütend ist, dann ist es besser, man verschwindet. Vielleicht hätte dieses Wissen seiner Frau auch geholfen.


Der Fährmann – Nur ein einziger Gefallen noch



„Wenn nicht mal Bartholomäus mir helfen kann, wer denn dann?“, fragt sich Samuel. Ziellos irrt er umher. „Nun, wenn das Schicksal meiner Geliebten so bestimmt ist, dann will ich ihr nicht mehr im Wege stehen. Ich muss fort, fort von ihr, fort von hier, fort von dieser Welt.“ Von seiner Todessehnsucht getrieben kennt er nur noch eine Person, der ihm seinen Wunsch erfüllen kann: Der Fährmann. Sein Boot liegt unten am Fluss. Samuel beschleunigt seinen Schritt. Je schneller er von hier wegkommt, desto besser für ihn. Er ahnt nicht, dass seine Lilith erst vor kurzem in diesen Fluss vom Engel Aleksandar gefallen lassen wurde.

„Fährmann!“, ruft Samuel schon von weitem, als er das Boot erblicken konnte. Nun rennt er auf diese bärige Gestalt zu. „Fährmann, ich brauche deine Hilfe.“ Der Fährmann blickt diese Gestalt mit seinen düsteren Augen an, die immer näher zu ihm kommt.
„Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“, sagt Samuel keuchend, als er bei ihm ankommt. „ Bringe mich an den Ort, der am weitesten von ihr entfernt liegt. Bitte, schaffe mich und meine Liebe fort von hier.“
„Gut, steig ein.“, brummt der Fährmann. Samuel steigt in das Boot. Der Fährmann löst das Seil vom Baum, welches das Boot am Ufer festhielt. Gemeinsam rudern sie den Fluss entlang, der immer in dichteren Nebel versinkt.
„Sag Samuel, wovon rennst du fort?“, fragt der Fährmann mit seiner tiefen Stimme. „Deine Last kann dir niemand abnehmen und Flucht entbindet dich auch nicht vor deiner Aufgabe.“
„Welche Aufgabe kann ich denn schon haben?“, fragt Samuel. „Ich bin nur ein einfacher Mann. Ein Mann ohne jegliche Begabungen. Welche Absichten also würde mein Schöpfer für mich hegen?“ Der Fährmann hört auf zu rudern, steckt sich eine alte Tabakpfeife in den Mund und zündet sie an. Während er vor sich hinpafft, erklärt er Samuel seinen Weg.
„Hör mir zu. Wenn Gott nicht an dich glauben würde, dann hätte er dir dies nicht auferlegt. Du musst Lilith auf die richtige Seite ziehen, denn sie ist der Dunkelheit verfallen. Wenn du sie nicht vom Licht überzeugen kannst, dann sind wir alle verdammt. Der Engel Aleksandar scheiterte mit seiner Mission. Nun liegt die Zukunft der Menschheit allein in deinen Händen.“
Samuel ist geschockt. Nie hätte er erwartet, dass ihn eine solch grosse Aufgabe erwarten würde.
„Nie dachte ich daran, dass dies mein Schicksal sein würde. Sag Fährmann, kennst du den Weg zurück zu ihr?“ Der Fährmann nickt. „Führt er mich in das Leben oder fliesst er in den Tod?“
„Diese Frage liegt ausserhalb meiner Kenntnisse.“, sagt der Fährmann.
„Wie auch immer, ich will lieber aufrecht sterben denn als Untoter, als leerer Name durch unzählige Strassen vor mir auf der Flucht zu rennen. Fährmann, bring mich zu meiner Geliebten zurück.“
„Wir sind bereits da.“ Mit diesen Worten schlägt das kleine Boot am Ufer an. „Hinter den Bäumen steht das Embryovernichtungslager. Dort wird das Schicksal über die Menschheit entschieden werden.“


Das Embryovernichtungslager – Letztlich bleibt uns nur die Hölle



Lilith hatte sich auf der Flucht vor Eva, Gregorius und Alistair in dieser Fabrik versteckt. Es ist ein riesiges, lautes, heruntergekommenes Lager. Von der Decke hängen tote Babys an Ketten herab. Die Fenster sind verstaubt, so dass kaum Licht in diese schmutzige Atmosphäre durchdringen kann.
„Lilith, bist du hier?“, ruft Samuel, nachdem er durch das grosse, schwere Tor der Fabrik hineingekommen war.
„Samuel, bist du das?“, fragt Lilith vorsichtig, ohne ihr Versteck preiszugeben.
„Ja, ich bin es. Wo bist du?“
Hinter einer verrosteten Maschine am anderen Ende des Lagers kommt Lilith zum Vorschein. Samuel erkennt seine Geliebte und rennt querfeldein durch die Halle, über zersplitterte Glasbehälter, abgefallenen Maschinenteile und kaputten Fliessbändern. Voller Freude umarmt er seine Seelenverwandte.
„Ich kann’s kaum glauben, dass wir uns ausgerechnet hier erneut begegnen.“, sagt Lilith.
„Ist dies das Ende? Das Ende meines Albtraums?“, fragt Samuel. Sie löst sich aus der innigen Umarmung und sieht ihn an.
„Samuel, du weisst, dass ich ein besonderes Kind in mir trage…“ Doch weiter kann sie nicht sprechen, denn das Haupttor wird erneut geöffnet. Schnell verstecken sich die beiden hinter der Maschine und warten gespannt, wer nun eintreten mag. Gut und Böse, beide Seiten erscheinen in der verlassenen Halle: Der gefallene Engel Maximilian, der Engel Aleksandar und Eva, gefolgt von ihren beiden Untertanen. Auch wenn die beiden Engel unterschiedliche Absichten hegen, wollen sie doch das gleiche Ziel: Das Kind. Eva hingegen ist das Kind egal, sie will lediglich den Tod Liliths. Sie strömen aus um das Mädchen zu suchen. Samuel und Lilith kauern sich in ihrer Falle zusammen. Vorbai an all den Truggestalten, entlang kupferbrauner, alter Wände, gräbt sich ein Nachtfalter seine Flugbahn hin. Sein Ziel ist ein kleiner Spalt aus der Türe, aus der gleissendes Licht entringt. Samuel und Lilith beobachten dieses Schauspiel des Falters und schleichen sich ebenfalls zu dieser Türe hin. Unbemerkt von ihren Verfolgern können sie in den Nebenraum verschwinden. Vor ihnen streckt sich, wie ein Turm, einen riesigen Sprengkörper auf: Die Traumtötungsmaschinerie.
„Sie sind uns bereits dicht auf den Fersen.“, sagt Lilith. „Ich kann schon ihre Stimmen hören.“
„Uns bleibt nichts anderes übrig als auf die Bombe zu erklimmen. Das scheint jetzt der letzte Weg von uns beiden zu sein.“ Gemeinsam klettern sie bis auf die Spitze, vorbei neben den unzählig umherschwirrenden Motten. Oben angelangt offenbart Lilith Samuel ihr wahres Gesicht.
„Du weisst viel über Menschen, doch weisst du nichts über mich.“, spricht sie. „Die Folgen sind mir jetzt egal. Ich habe meine Fäden des Schicksals abgeschnitten und meine Entscheidung getroffen. Manche Dinge kann man eben selbst nicht mit Liebe erkämpfen. Folge nicht des Herzens Lauf. Und wenn du mich wirklich liebst, dann lässt du mich gehen.“
Samuel hat verstanden, wofür sich Lilith entschieden hat.
„Ist dies das Ende des Alptraums, der mein Leben ist? Ich traf dich zweimal im Leben, doch am Ende bleibt uns nichts. Meine Hoffnung stirbt zuletzt, vor ihr verendet meine Zukunft. Mein Herz ist ein schwarzer Klumpen geworden, meine Seele ist wund. So bitte ich dich, dass du den Alptraum in mir ein für alle Male stillst. Zerstöre mich und die Träume der Menschheit. Zerstöre meine und die Zukunft aller.“
„Wie du willst!“, sagt Lilith kalt und gibt Samuel den tödlichen Stoss nach unten…


Ende


Impressum

Texte: Text: Samsas Traum und Sascha Alexander
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /