Sterbende Liebe – Der Niedergang
Die todkranke Lilith liegt in ihrem Bett. Sie kann kaum atmen, ihr Gesicht ist leichenblass. Ihr Freund Samuel ist bei ihr. Sie sind mehr als nur ein Paar, sie sind Seelenverwandte. Er hält mit einer Hand die Ihre, mit der anderen streicht er über ihr bleiches, stumpfes Haar.
„Ich fühle mich so leer. Dunkelheit herrscht in mir.“, sagt Lilith mit letzter Kraft.
„Liebste Lilith.“, entgegnet Samuel mit leiser, weinender Stimme. „Es schmerzt in mir, dich so zu sehen. Ich habe Angst um dich.“
Lilith fängt an zu Husten. Sie ringt nach Luft.
„Ich werde dich nie verlassen. Ich brauche dich. Ich liebe dich.“ Ihre Stimme wird immer schwächer. „Bitte, halte mich fest.“
„Bleib bei mir, verlasse mich nicht. Ein Leben ohne dich, wie soll es sein?“, fragt Samuel.
„Die Sonne in meinem Herzen wird immer scheinen. Ihr Licht wird meine Liebe zu dir tragen.“, sagt Lilith und streicht mit ihrer knochigen Hand über sein Gesicht. Samuel schliesst die Augen.
„Ich kann mich noch gut an unsere erste Begegnung erinnern.“, flüstert Lilith. „Wir waren jung, leidenschaftlich, verliebt. Du hast mich über den Himmel gehoben, weiter als die Sterne reichen.“
„Lass uns nochmals die Träume leben. Das muss doch nicht der Vergangenheit angehören.“, sagt er. Er kann seine Tränen kaum noch unterdrücken. „Wir stehen doch erst in der Blütezeit des Lebens. Dies kann noch nicht das Ende sein. Muss denn Leben immer Leiden sein? Ich kann diese Qualen nicht verstehen.“
Lilith starrt zur Decke. Wie im Fiebertraum spricht sie weiter: „Oh Gott, vergib mir meine Liebe, doch ich will noch nicht gehen.“
„Ich werde mit dir sterben, denn ohne dich will ich nicht mehr weiterleben.“ Samuel drückt ihre Hand.
„Bitte, tu es nicht.“, entgegnet ihm Lilith. Ihr Verstand ist wieder etwas klarer geworden. „Du würdest nicht an meiner Seite sein, sondern weit weg von mir im Höllenfeuer. Dort ist kein Platz für die Liebe. Du wirst weiterleben, auch ohne mich.“
„Ich werde auch nach dem Tode nicht ruhen können, bis ich dich gefunden habe. Du hast mich gerufen, und hier bin ich.“
„Du wirst mich nach deinem Leben wieder finden.“, sagt Lilith. Das sind ihre letzten Worte. Ihr Blick wird immer leerer. Er fühlt, wie ihre Hand immer lockerer wird. Sie atmet nicht mehr. Liliths Leiden ist vorbei, sie ist tot. Samuel bricht über ihrem toten Körper weinend zusammen.
„NEEEEEEIIIIIIN!“, schreit er aus Leibeskräften gegen die Zimmerdecke. „Wenn dies das Leben ist, dann will ich nicht mehr sein.“ Er ringt nach Worten. Nach einigen Minuten hat er sich wieder gefasst und spricht zu Gott: „Niemals mehr wird der Morgentaukristall mein Herz beglücken! Oder Wasser aus dem Lebensquell meinen trocknen Mund erquicken! Selbst das Himmelbett aus Sternen, jetzt in der Tiefe versunken. Geschwärzt sind meine Tage und mein Denken ist Gestank!“
Da spricht Gott zu Samuel: „Wer ist's, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand? Gürte Deine Lenden wie ein Mann! Ich will Dich fragen, Lehre mich! Wo warst Du, als ich die Welt gründete? Sag's mir! Weisst Du, wer ihr das Mass gesetzt hat, oder wer
über sie die Richtschnur gezogen hat? Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt, als mich die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Gottessöhne? Wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es heraus brach wie aus dem Mutterschoss, als ich es mit Wolken kleidete, als ich ihm seine Grenzen bestimmte mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tore und sprach: "Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen Deine stolzen Wellen!"? Hast Du zu Deiner Zeit dem Morgen geboten und der Morgenröte ihren Ort gezeigt, damit sie die Ecken der Erde fasste und die Gottlosen herausgeschüttelt würden? Haben sich Dir des Todes Tore aufgetan, oder hast Du gesehen die Tore der Finsternis? Welches ist der Weg dahin, wo das Licht wohnt, und welches ist die Stätte der Finsternis? Kannst Du die Bande des Siebengestirns zusammen binden oder den Gürtel des Orion auflösen? Wer gibt die Weisheit in das Verborgene? Wer gibt verständige Gedanken? Wer ist so weise, dass er die Wolken zählen könnte? Wer mit dem Allmächtigen rechtet, kann der ihm etwas vorschreiben? Wer Gott zurechtweist, der antworte! Willst Du mein Urteil zunichte machen und mich schuldig sprechen, dass Du Recht behältst? Antworte, Samuel!“
Tragische Trauertränen – Der Kampf der Himmelswesen
Samuel kann Gott keine Antwort geben. Stumm steht er da. Er muss weg, raus aus diesem Haus, kann nicht mehr bei seiner toten Geliebten sein. Zu sehr schmerzt ihn dieser Anblick. Ohne etwas mitzunehmen verlässt er das Haus. Ein Ziel hat er keins, er will nur weg. So weit weg wie möglich. Tagelang irrt er durch die Einöde.
Ein kalter Morgennebel weckt Samuel aus seinem unruhigen Schlaf. Er öffnet seine Augen. Die Sonne kann den dichten Nebel kaum durchdringen, und doch blenden ihre Strahlen. Nach einigen Minuten hat sich Samuel an das grelle Licht gewöhnt und kann wieder klar sehen. Er versucht aufzustehen, doch seine Beine drohen zu versagen. Nur mit grosser Mühe kann er sich aufrichten. Samuel sieht sich um. Er ist in einem Wald. Doch wie kam er hierher? Er weiss es nicht. Als wären seine Gedanken ausgelöscht worden.
Wie eisige Stiche in sein Herz kommen die Erinnerungen an den qualvollen Tod seiner Geliebten Lilith wieder. Tränen der Trauer rinnen über seine vor Kälte Rot gewordenen Wangen.
„Ach Lilith, könntest du doch nur bei mir sein.“, spricht er leise zu sich selbst. „Mein Tod soll nur dir gewidmet sein.“ Durch ein lautes scheppern wird er aus seinen Gedanken gerissen. Ganz in der Nähe wird gekämpft. Samuel dreht sich um und folgt den Geräuschen von klirrendem Metall. Der Wald lichtet sich. Als er aus den Schatten der Bäume tritt, sieht er, wie auf dem nahe gelegenen Hügel zwei Gestalten mit Schwertern kämpfen. Er glaubt zu Träumen, doch es sind wahrhaftig zwei Engel die sich einen gnadenlosen Kampf liefern.
„Elender Verräter!“, schreit der Erzengel Gabriel.
„Ich werde die Menschen erneut warnen.“, entgegnet ihm der Engelsfürst Michael.
„Versagen werdet Ihr!“, schreit Gabriel voller Zorn und greift Michael mit seinem Schwert an. Dieser kann den Angriff erfolgreich abwehren und bringt ein wenig Abstand zu seinem Gegner.
„Sie werden Euer feiges Werk verhindern. Ich werde derjenige sein, der Eure Absicht ehrenhaft enttarnen wird.“, sagt Michael mit ruhigen Worten.
„Verdammter Judas!“ Gabriels Wut ist unermesslich.
„Und sterben werde ich mit einem Lachen.“ Michaels Worte sind Gift in Gabriels Ohren.
„Gemeinsam, Kraft und Feuer mit uns, so kämpften wir wie Brüder!“, spricht Gabriel mit etwas ruhigerer Stimme. „Seite an Seite, mit einem Herzen, schlugen wir Satans Armee nieder! Doch nun habt ihr mir den Rücken zugekehrt. So nehme ich mir das, was ich Euch einst gab.“ Mit diesen Worten greift er erneut an und sticht zu. Michael reagiert zu spät und so durchbohrt Gabriels Schwert sein Herz.
„Vor mir werdet Ihr sterben und Euer Blut wird vom Himmel regnen. Lebt wohl.“ Gabriel ist vom Anblick des sterbenden Engelsfürsten entzückt. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht steigt er dem Himmel empor und lässt seinen einstigen Freund auf der Erde zurück.
Samuel kann es kaum glauben. Es war kein Schelmenstreich seiner Augen, die ihn diese Bilder eingeimpft hatten, sondern der Schein der Wahrheit selbst, der dieses Ereignis zeichnete. Er sah tatsächlich einen Kampf zweier Himmelswesen. Und während der Sieger, befriedigt von seinem Blutdurst, sich in den Himmel erhebt, liegt der Andere zerschunden am Boden im Sterben.
Samuel rennt hin zu Michael und schreit zu ihm: „Warte, mein Freund. Lass mich dir helfen.“
Er nähert sich dem sterbenden Engel. Samuel hört, wie Michael leise vor sich hinflüstert: „Ich schreie so laut, dass die Erde bebt, und meine Stimme sich vor Gott erhebt.“
„Warum?“, fragt Samuel.
„Im Himmel tobt die Schlacht, damit Gabriel letztendlich auf dem Thron lacht.“, antwortet ihm Michael.
„Ich habe euren Kampf gesehen…“, sagt Samuel.
Michael unterbricht ihn: „Doch du verstehst ihn nicht. So lasst mich hier sterben. Siehst du es denn nicht? Er hat mich geschlagen, er hat mich besiegt.“
„Du hast gesagt, im Himmel herrscht Krieg?“, fragt Samuel.
„Gabriel ist auf einem eifersüchtigen Zerstörungstrip. Er tötet, da Gott euch Menschen die Seele geschenkt hat.“, antwortet ihm der sterbende Engel.
„Aber was können wir denn dafür?“
„Das spielt keine Rolle. Sie wollen euch dafür bestrafen, euch versklaven. Eure Seelen sind geschändet.“, flüstert Michael. Seine Stimme ist kaum noch hörbar.
„Aber Gott waltet doch mit Macht. Und was geschieht dann mit Lilith?“, will Samuel wissen.
„Gott ist mit den Engeln einerlei. Lilith wird für immer auf dieser Erde umherirren. Den Seelen bleibt nichts anderes übrig, als im kalten Moos ein Grab auf Erden zu küssen.“, entgegnet ihm Michael.
„Ist das wahr?“ Samuel möchte die gerade gehörten Worte am liebsten wieder vergessen.
„Ja.“, antwortet der Engelsfürst.
„Aber, was kann ich denn nun tun?“
Michael holt mit seiner letzten Kraft eine Schriftrolle aus seiner Uniform, die bereits voll von seinem Blut getränkt ist.
„Nimm diese Rolle an dich. Der Spruch muss ein Böserer als Gabriel verkünden. Nun begib dich auf die Suche, mehr kann ich dir nicht mehr geben.“
Samuel nimmt die Schriftrolle aus Michaels Hand. Er erkennt, dass Michaels Augen sich nicht mehr bewegen, sein Atem nicht mehr vorhanden ist, seine Brust stillsteht.
„Ich hoffe, ich bin genug.“, sagt Samuel leise zum toten Engel. Er steht auf und sieht ein letztes Mal auf den leblosen Körper. Dann dreht er sich um und rennt der Sonne entgegen.
Der Krieg im Himmel – Die Diktatoren der Revolution
Samuel trägt eine schwere Bürde mit sich. Seit Tagen ist er nun auf der Suche nach diesem Wesen, welches böser ist als Gabriel. Es kommt ihm vor wie in der Hölle. Tag für Tag wünscht er sich den Tod, so dass er von dem Leiden erlöst werden könnte.
Währenddessen führt Gabriel seine Armee von Engeln zum Krieg an. Sie singen ein Lied, welches ihnen den Hass gegenüber den Menschen deutlich erörtert.
„Als das Universum brannte und der Mensch dem Dreck entstammte.
Und die Langeweile drohte, so dass Gott zu Adam sprach:
„Hier ist Euer Hauch, doch verrate es meinen Engeln nicht. Sie werden dich in Stücke reissen. Sag es auch deinem Weib, doch sie soll leise sein und nicht patzen. Dann habt ihr aus
dem Hauch den grössten Nutzen.“
Da fand die Geduld ihr Ende!
Unser Hass zerschnitt die Hände,
die uns einst mit Liebe speisten
und jetzt unsere Würde kalt zerreissen.“
Gabriel schreit in die Menge hinein: „TOD DEM VATER UND DEM SOHNE. TOD AUCH MARIA, MÖGE SIE IHREN SINN VERLIEREN. HEUCHELNDE HERRLICHKEIT, HIMMLICHE HEITERKEIT LÄSST UNS ERBLINDEN.“
Die Armee führt ihr Lied fort: „Jagt sie alle fort, sie sollen verschwinden!
So machen wir uns auf um unserem Herrn alsbald die Kehle durchzuschneiden.
Am tiefsten Spross der Leiter, da wollen wir nicht bleiben.
Wer sind wir, dass wir zum Wohle der Sterbenden handeln?“
„Keine Sorge, meine Brüder und Schwestern.“, ruft Gabriel. „Der Zustand wird sich wandeln. Bekennet euch mit mir.“
Satanshimmel voller Geigen – Die Erscheinung des Luzifers
Samuel setzt seine Irrfahrt fort. Ursprünglich wollte er sich das Leben nehmen, um so bei seiner toten Geliebten Lilith zu sein. Doch nun trägt er eine schwere Last mit sich. In seiner Hand hält er eine Schriftrolle, die ein Zauberwort beinhaltet, die den Krieg im Himmel beenden wird. Aber nur einer der böser ist als Gabriel darf diesen Spruch aufsagen, damit alles endet. Schlimmstes mit Schlimmeren bezähmen. Samuel weiss nicht, wer dieser jemand sein sollte. Erschöpft macht er auf einem Berg Rast.
Er will seine Augen schliessen, um ein wenig zu Ruhen, doch da wird Samuel durch ein Feuer geblendet. Vor ihm entfaltet sich der leibhaftige Teufel Luzifer.
„Hier bin ich.“, sagt er mit seiner tiefen Stimme zu dem Menschen. „Wer mich sucht, der wird mich finden.“
Aber Samuel wendet seinen Blick von Satan ab.
„Hast du denn nichts begriffen?“, fragt Luzifer. „Ich bin die Lösung für dein Problem.“
„Erst muss sich mein Misstrauen dir unterliegen.“, entgegnet ihm Samuel.
„Wie lange warte ich schon auf diesen Tag, dass ich den Himmel pflügen kann. Oder wollt ihr dem Erzengel die Rache schenken? Denk doch an deine Lilith.“
Samuel zögert. Die Versuchung ist stark, will er doch seiner Geliebten das Paradies schenken.
„Nenne mir den Preis.“, sagt er schliesslich.
„Übergib mir deine Seele.“, fordert Luzifer, innerlich schon triumphierend.
Wieder zögert Samuel. Kann er dieses Opfer wirklich bringen? Wie sicher kann er sein, dass Satan die Wahrheit spricht, oder lediglich Teufelsworte aus dieser Kehle dringen. Wer gibt ihm die Gewissheit?
Luzifer bemerkt Samuels Unsicherheit. „Ich kann dich auch jetzt gleich wieder verlassen.“, meint er ruhig.
„Nein.“, wirft Samuel ein. „Ich würde mich auf Lebzeit unendlich hassen, wenn du tatsächlich die Wahrheit sprichst. Was sind die Bedingungen?“
Satan erklärt: „Dieser Pakt erfüllt sich darin, dass ich fortan mit dir kämpfen werde. Alle Wesen aus der Hölle werden unerschrocken uns beiseite stehen und das Aufbegehren im Himmel bis zur Totenstille dämpfen. Dieser Aufstand wird schnell zerschlagen, und Pein und Demut werden vergehen, so dass Lilith friedlich schlummern kann in den Wolken des Paradieses. Deine Bedenkzeit ist verronnen. Entscheide dich für mich! Wenn du mir jetzt deine Hand gibst, dann kann die Himmelsfahrt beginnen.“
Samuel ist innerlich zerrissen. Einerseits kommt bei ihm Hoffnungsschimmer auf, andererseits wird ihm dieser Pakt das Höllenfeuer bringen. Plötzlich spürt er ein kribbeln auf seinem schwachem Körper.
„Lilith?“, fragt er erstaunt. Der Geist seiner Geliebten erscheint vor ihm.
„Oh Samuel, mein Samuel.“, sagt sie mit klarer Stimme. So klar, wie er sie seit langem nicht mehr gehört hat. „Lasse dich nicht fallen. Vergiss nicht meine Worte, sie dürfen nicht verhallen. Kein Opfer musst du bringen. Ich weiss, dass aus der Kehle dort Verführungslügen dringen.“
„Oh Lilith, wie sehr ich dich liebe.“, sagt Samuel. Freudentränen kullern über seine Wangen. „Ich möchte für dich sterben.“
„Niemals! Das Feuer brennt deine Tränen tot. In der Liebe ist kein Platz für das Verderben.“
„Ich will dir doch den Frieden geben, dich in den Himmel heben.“
„Dann lebe! Lebe für mich.“, sagt Lilith energisch. „Ach hätte ich doch mehr Macht als durch den Tot nun mir zugeteilt ist. Aus Fleisch und Blut wären meine Arme, an meiner Brust würde dein Kopf verweilen. Mein Herzschlag und ihr Halt, sie hielten dich zurück und noch viel mehr.“
„Ach wärst du doch noch bei mir, so könnte ich dich noch spüren.“ Er fährt mit seiner rechten Hand an den Wangen des Geistes entlang. „Darum verzeihe mir bitte.“
„Vertraue auf meine Liebe.“ Lilith weiss, was Samuel vorhat und will ihn weiterhin davon abhalten. „Wenn du diesen Weg wählst, verbleibt uns nur noch Einsamkeit ohne Wiederkehr.“
Doch Samuel hat sich entschieden. „Ich gebe auf und lasse mich fallen. Ich falle, weil ich aus Liebe für dich fallen muss.“ Er wendet sich Luzifer zu: „Überfalle meine Seele, ich verkaufe sie dir. Entreisse mir die Rolle, den Spruch, den du jetzt brauchst. Mein Name ist mit Blut auf dem Pergament unterzeichnet. Ich hoffe, dass ab heute die Menschheit mir gedenkt.“
Luzifer ist hocherfreut. Liliths auftauchen hat Samuels Begierde nach dem Tod nur noch verstärkt. „Ich liebe dich.“, sagt er zu Samuel. „Dein Blut, ich will es sehen. Dein Blut, ich will es lecken. Deine Seele will ich schmecken. So entflamme dich für mich.“
Flügel aus Wachs – Das Wesen des Erzengels
Währenddessen führt Gabriel seine Armee weiter in Richtung der Himmelspforte. Er sagt kein Wort mehr, während die Krieger ihr Lied weiter singen. ‚Die ledernen Schwingen haben wir zum Kampf erhoben.’, denkt sich Gabriel. ‚Unser Blut ist schwarz, unser Atem ist voller Hass. Nach tausenden von Jahren ist der Frieden nun vorbei. Niemand mehr soll diesem Tyrannen mehr dienen. Ich werde Gott töten. Ich werde seinen Thron verbrennen. Wir werden nun den Himmel regieren. Blutig, grausam, grotesk.’ Bei diesen Gedanken huscht ein Lächeln über seine Lippen.
‚Ihre weissen Gewänder werden wir verzieren. In ihr Fleisch unsere Krallen graben. Ihre blond gelockten Harre vergrauen im Tod. Aus den Wolken soll das Engelsblut fliessen, denn ich bin die Apokalypse. Ich bin das Armageddon. Hört zu, ihr Menschen. Ihr habt nicht die Kraft zum kämpfen. Ihr seid zu feige zum Töten. Ihr seid zu schlecht für die Welt. Ihr seid zu sterblich für die Seelen, die Gott einzig euch gab. Ihr sollt als Sklaven dienen. Ihr seid nur der Dreck an meinen Stiefeln. Ich werde euch zertreten, zermalmen, der Ozean wird euer Grab.’
Aus seinen Gedanken gerissen ruft er zu seinen Gefolgsleuten: „Wir sind das Schwert. Wir sind das Feuer. Dem Himmel den Krieg erklärt. Wir sind die Gerechten. Mein ist die Rache, uns gehört der Sieg. Wir stürzen Gott. Wir rotten die Menschheit aus. Wir sind wieder die Herrscher des Himmels und der Erde!“
Der Einfall in den Himmel – Geisterstunde in Eden
Derweil sind auch die Anhänger Satans auf dem Weg zur Himmelstüre. Auch er führt seine Truppen mit einer Kampfansage an: „Wir sind es, die herrschen. Wir machen den Tag zur Nacht, Mit dem Willen aus der Tiefe, mit der Kraft unseres Verstandes. Nur wir, die unsterblich Schönen werden sie ungesehen zerstören.“
Die höllischen Heerscharen singen im Chor mit: „Geisterstunde herrscht im Garten Eden. Mit der Hölle im Gepäck und dem Säbel im Gewand ziehen wir dem Himmel entgegen. Allein durch Sinneslust und Habgier kniet die Welt in unserer Hand.“
Luzifer: „Und so erblühen wir in Jugend und ersticken Sie im Keim. Ganz egal was Ihr Traum war, er wird nun endlich unser sein. Kniet nun nieder und betet uns an. Wir schneiden Euch aus unseren Herzen. Mit dem Vorhang fällt die Szene. Schickt Gott Eure Liebesbriefe. LASST DEN HIMMEL HÖLLE SEIN.“
Kurze Zeit später stehen sie vor der Himmelspforte. Eine Hüterin stellt sich ihnen in den Weg.
„Stopp. Ich gebiete Euch Einhalt.“, schreit sie. Luzifer und seine Armee halten an.
„Hinfort, du Weib des Wolkentors.“, entgegnet Satan.
„Nicht den geringsten Spalt werde ich euch freimachen.“, sagt sie hartnäckig. „Seit Anbeginn an, langweilt mich das Warten vor der Himmelstüre. Es hat schnell herausgestellt, dass hier kein Sünder vorbei kommen wird.“
Satan lacht. „Und grad weil wir die ersten sind, so lasse Gnade walten.“, spottet er.
„Wenn Ihr wollt, dass ich hier aufgebe, das erste und einzige Mal, dann geht und holt Gott persönlich her. Auf dass er’s mir befehle.“
„Wie kommt es, dass man im Himmel weitaus frecher ist als unten?“
„Doch wenn Gott nicht kommen will, der mich hier einst hingestellt hat, dann gehabt Euch wohl und rafft mich schnell dahin.“
Das lässt sich Luzifer natürlich nicht zweimal sagen. Mit einem Stoss tötet er die Hüterin der Pforte. „Gleich wird jeder Engel bluten. LASST DEN HIMMEL HÖLLE SEIN!“ Er wirft den toten Engel beiseite und öffnet das Tor. Dahinter wartet bereits die Armee Gabriels…
Die Vernichtung des Gabriel – Triumph des Bösen?
Zwei Truppen, zwei Führer, zwei Motive, ein Ziel. Die Vernichtung Gottes. Dennoch verbünden sich die Truppen Gabriels nicht mit denen des Satans, da beide den Gottesthron in Anspruch nehmen wollen. Schweigend stehen sie sich gegenüber und blicken in die Augen des Gegners. Eine Totenstille herrscht im Himmel. Auf einmal wird die Stille gebrochen und die beiden Armeen stürmen an ihren Anführern vorbei und liefern sich eine ungeheuerliche Schlacht. Gabriel und Luzifer stehen immer noch wie angewurzelt stehen und lassen sich nicht aus den Augen. Um sie herum tobt ein wildes Gemetzel. Höllendiener sterben, Engel werden getötet, bis auf einmal das Klirren der Schwerter verstummt und wieder Ruhe einkehrt. Nur noch die beiden letzten Überlebenden der Schlacht stehen da: Der Erzengel und der Höllenfürst. Die beiden letzten Überlebenden? Falsch, Samuel hat die ganze Schlacht aus einer sicheren Entfernung mitverfolgt.
„Gelobt sei deine Engelsgeduld, Gabriel.“, spricht Luzifer. „Mir im Zentrum all des Chaos, des Himmels, der in Trümmern liegt, noch entgegenzutreten. Hörst du die Stille? Endlich habe ich ein Schlupfloch gefunden, dir zu begegnen. So blicke deiner Vernichtung ins Auge.“
„Es ist mir eine Ehre, alter Haudegen.“, entgegnet Gabriel. „Lass dich ansehen. Mir scheint, du hast noch immer nicht dazugelernt, dass es Dinge gibt, die man nicht ändern kann. So zum Beispiel deine Unterlegenheit, deine erbärmliche Erscheinung. Und deine verkrüppelten Flügel.“
„Fliehe, fliege, ich nenne dir den Grund. Meine Flügel sind gestutzt, so kann ich dir nicht folgen. Wenn du jetzt noch auf der Stelle weilst und mir die Zähne zeigst, wirst…“
Gabriel unterbricht ihn: „Wird ich was? Noch mehr Floskeln hören? Satan, hat den Mund. Zwar habe ich die Schlacht verloren, doch was hat das zu heissen?“
„Auf diese Einsicht kann ich dich verweisen.“, antwortet der Höllenfürst. „Man sieht, du hast dein Volk verloren. Wer soll dir jetzt noch helfen? Ich gebe dir einen Rat.“
„Deinen Ratschlag lehne ich ab. Was bringt das Wort? Es zählt nur die Tat.“, sagt der Erzengel.
„Eins, zwei drei. Wie gewonnen so zerronnen. Um dich zu töten bin ich hergekommen.“
Gabriel kontert: „Sechs, sechs, sieben, wo ist die letzte sechs geblieben? Du bist doch nur ein elender Bauklötzchensoldat.“
„Du Katze, die ihrem Schwanz nachjagt.“, schreit Satan wütend.
Samuel beobachtet die kindischen Reime der beiden. Auf einmal spürt er einen zarten Hauch über seiner Haut. „Lilith?“, fragt er ins Leere.
„Du weisst, ich lasse dich nicht allein. Dein Glaube sollte stärker sein.“
Unterdessen hat Luzifer die Schriftrolle hervor genommen, die er von Samuel bekommen hatte. Mit einer siegessicheren Stimme fängt er an zu lesen, da er glaubt, so Gabriel vernichten zu können. Gleichzeitig fängt auch Lilith an, den Text zu sprechen.
Ich nehme deinen Boden, der nur aus Hass besteht.
Ein zärtliches Wort ausgesät.
Das auf der Zunge mir vergeht.
Dies ist kein fauler Zauber, kein Hokus – Pokus – Elfenohr
Luzifers Stimme wird dabei immer mehr von der Stimme Liliths übertönt.
Hier steht geschrieben, simpler, schlimmer:
„Gott liebt dich noch immer.“
Angesichts dieser endlosen Güte Gottes bricht Gabriel zusammen. Auf einmal scheint ihm sein ganzer Rachefeldzug lächerlich. „Mein Gott, verlasse mich. So lasse mich doch allein. Soll meine Schmach noch schlimmer sein?“
Da taucht Gott selbst auf. „Gabriel, du verwunderst mich. Erstaunt es dich, dass meine Güte nie erlischt?“
Doch Gabriel kann sich selbst nicht verzeihen. „Auf Knien flehe ich dich an, verzeihe mir nicht mein Terror.“
„Das Gute, das sich in mir spiegelt ist zwecklos zu bekämpfen.“, spricht Gott mit sanfter Stimme zu dem weinenden Gabriel. „Denn etwas hast du nie verstanden: Die Liebe Gottes ist die Liebe des Menschen.“
Das wiederum will der Engel nicht glauben. „Nein, das hat dir der Teufel gesagt.“
Luzifer ist erfreut über die Demut und Verzweiflung von Gabriel. „Diese Taktik hätte ich selbst nicht dem alten Herrn zugetraut.“, spricht er freudig. „Vor ungewollter Demut schwillt deine Engelszunge an. Wie ein getroffener Spatz verliert der Führer seine Federn.“
Doch Lilith dämpft seine Schadenfreude. „Luzifer, bist du es nicht, der Gabriels Torheit voran geht? Vergeht bei dieser Weltenregel nicht auch dein freudig Zetern? Erkenne deinen Platz in der Geschichte. Denn mit deinem Übel ziehst du die Liebe magisch an.“ Sie wendet sich zu ihrem Geliebten zu. „Samuel, mein Samuel. Siehst du, dass unser Stern ewig leuchten wird? Auch Luzifer braucht die Menschen, auch wenn er nur ein kleiner Teil des Ganzen Herzens erfassen kann. Nun heisst es Abschied nehmen. Ich bitte dich, lebe aufrichtig. Ich bitte dich, liebe aufrichtig. Und ich bitte dich, sterbe aufrichtig.“
„Ich liebe dich bis zum Mond und zurück und noch viel weiter. Verbannt seien die Gedanken daran, dass du mich je verlassen würdest.“, sagt Samuel zu ihr.“
Geplättet von Liliths Worten, die er als wahr erkennen muss, schreit Satan hinaus: „Ich verdamme meine Dämlichkeit. Ich verdamme meine Einfältigkeit. Ich verdamme mich selbst.“ Mit diesen Worten kehrt er zurück in die Hölle hinunter.
Aber die Liebe hört niemals auf – Der purpurnen Leidenschaft Spiel
Samuel hat sein Ziel erreicht. Seine Lilith kann nun im Himmel ihren letzten Frieden finden. Doch er kann nicht bei ihr bleiben, da er Selbstmord begangen hatte, damit Luzifer die Armee Gabriels vernichten konnte. Ein letzter Kuss von seiner Geliebten, dann verabschiedet er sich von ihr.
Da schreitet Gott ein. „Obwohl es tausende von Engeln das Leben kostete, so war es letztendlich euer beiden Verdienst, dass weder Gabriel noch Luzifer meinen Thron erobern konnten. So will ich euch das Leben erneut schenken.“ Mit diesen Worten schickt er Samuel und Lilith wieder zurück auf die Erde, in ihre alte Hütte.
Seite an Seite schlafen Samuel und Lilith in ihrem Bett. Eine gesunde Frau, von ihrem Mann von hinten umarmt. Die Erinnerungen an das vorhin geschehene Ereignis wurden gelöscht, auch Liliths Krankheit wurden ihrem Gedächtnis entnommen. Der alte Fernseher läuft. Es wird gerade ein Bericht über verhäufte Fälle von plötzlichem Kindstot gesendet…
Fortsetzung folgt…
Texte: Text: Samsas Traum und Sascha Alexander
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2009
Alle Rechte vorbehalten