Das Feuer prasselte leise vor sich hin, als Skyla ihre Großmutter besuchte. Das Mädchen liebte es, Geschichten von früher zu hören und würde am liebsten jeden Tag bei der alten Frau verbringen. „Hallo mein Schatz“, begrüßte sie sie. Für eine fast 80-Jährige sah die Frau noch recht jung aus. „Hi Omi. Ich hab dir ein Stück Torte mitgebracht. Ich hoffe es schmeckt dir“, wurde sie von der kleinen begrüßt. „Ganz bestimmt“, erwiderte diese. „Kannst du mir etwas erzählen?“, fragte das Mädchen, genauso wie die Großmutter es erwartet hatte. Was sie erzählen würde, wusste die Alte schon. Denn heute Morgen hatte es angefangen zu ungewöhnlich stark zu schneien und dazu kannte sie eine schöne Geschichte. Sobald die Großmutter in ihren Schaukelstuhl gesunken war und die Augen geschlossen hatte, begann sie zu reden:
„Ich muss etwas älter gewesen sein als du heute bist. Wie du sicher weißt habe ich oben in den Bergen gelebt. Es ist Anfang Dezember gewesen und den Tag zuvor hatte es begonnen zu schneien. Damals waren die Winter noch kälter als heute und selbst wenn es noch nicht lange schneite, war die Welt schnell komplett mit Eis und Schnee bedeckt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich zwar Ferien, doch ich wollte runter in das Tal. Du musst wissen, damals herrschte Krieg und mich interessierte, was es Neues gab. So wagte ich trotz den Warnungen meines Großvaters den Abstieg. Er war mühsamer als sonst, denn der Schnee war höher als ich erwartet hatte. Doch irgendwann gelang es mir schließlich und ich kam rasch in Richtung Dorfmitte. Inzwischen hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Ich kann weder heute, noch konnte ich damals sagen wie viele Stunden ich unterwegs gewesen war. Im Ort traf ich einige meiner Freundinnen. Sie wollten wissen, warum ich den langen Weg gewagt hatte, denn scheinbar sollte es noch stärker schneien. Einige der älteren Frauen waren auf mich aufmerksam geworden. Man beschimpfte meinen Großvater als Verantwortungslos. Die alten Dorfweiber tratschten über die Unfähigkeit der Männer in Bezug auf Kindererziehung. Ich versuchte sie zu beruhigen; erklärte, dass er mich nicht hatte gehen lassen wollen, doch das war ein weiterer Grund für sie über ihn her zu ziehen. Sie Beschimpften ihn als Unfähig und sagten, ich gehöre verprügelt. Glücklicherweise hatte der Inhaber des kleinen Pub am Eck Mitleid mit mir und brachte die Frauen zum Schweigen. Er bot mir an, mich am Abend zurück zur Berghütte zu bringen. Jedoch kam in diesem Moment der Großvater meiner ältesten Freundin um die Ecke. Der Mann wurde zwar von allen geschätzt, er war jedoch nicht sonderlich freundlich. „Daraus wird nichts“, blaffte er, „Seht euch den Himmel an. Es schneit immer stärker und es wird nicht aufhören. In wenigen Stunden wird es einen gewaltigen Schneesturm geben. Bleib hier im Dorf, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Damit war die Sache für ihn erledigt, er drehte sich um und ging zurück zu seinem Haus. Nun blickte auch ich nach oben und sah, dass er recht gehabt hat. Ohne dass ich es bemerkt hatte sind aus den feinen Schneeflocken, dicke und große Schneeflocken geworden. Die Frauen des Dorfes begannen wieder zu tratschen, als sei nie etwas geschehen. Niemand beachtete mich nur noch eine Sekunde länger. Zwar was das kein Problem für mich, denn ich war es gewohnt nicht viel Aufmerksamkeit zu bekommen, doch ich machte mir Sorgen wo ich bleiben solle. Bereits wenige Minuten später fiel der Schnee so stark und dicht, dass sich alle zurück in ihre Häuser verzogen. Diejenigen meiner Freundinnen, die noch nicht im Warmen waren wurden spätestens jetzt von ihren Müttern mitgezogen. Doch da hörte ich eine Stimme hinter mir fragen: „Willst du nicht reinkommen? Hier draußen holst du dir noch den Tod.“ Es war der Wirt. Seinen Namen weiß ich heute nicht mehr, doch ich kann mich noch daran erinnern, dass er immer gut zu mir und meinem Großvater gewesen ist. Wenn ich mich recht entsinne, hatte er ein rundes Gesicht und ihm fehlten einige Zähne. Außerdem war er ein schmächtiger, großer Mann. Mit sanfter Gewalt hat er mich in seine Wirtsstube gezogen. Hier war es wunderbar warm, sodass ich meine Jacke und meine Schuhe bald schon ablegen konnte. Mittlerweile war das Wirtshaus nicht mehr sonderlich voll. In einer Ecke konnte ich den alten Fritz sehen, welcher sich mit der Wirtin unterhielt. In einer anderen saßen zwei ältere Männer und haben Karten gespielt. „Wahrscheinlich wirst du erst morgen wieder zu der Berghütte deines Großvaters kommen. Ich befürchte, dass es die ganze Nacht durch schneien wird. Kommt dein Großvater zurecht?“, fragte der Wirt. „Ja, ich denke schon. Wie soll ich morgen wieder hinauf kommen, wenn es die ganze Nacht schneit?“, wollte ich wissen. „Du kannst meine Schneeschuhe ausleihen. Aber sei jetzt still. Ich mache dir einen Tee“, erwiderte dieser. So setzte ich mich an den Kamin. Es war einer von der Sorte, wo noch eine Sitzbank davor war. Kurze Zeit später kam der Wirt mit einer Tasse dampfenden Tees zurück. „Wenn du ausgetrunken hast, kannst du in die Küche gehen und dem Koch sagen er solle dir etwas zu Essen machen. Ich wurde in gut versorgt und bemerkte plötzlich, wie müde ich inzwischen geworden war. So fragte ich wo ich schlafen solle und die Wirtsfrau brachte mich in ein Schlafzimmer in der eigenen Wohnung.
Am nächsten Morgen wachte ich bereits früh auf und stellte fest, dass der Schnee zwar höher war, aber dass es aufgehört hatte weiter zu schneien. Schnell stand ich auf, ging in das Pub und stellte fest, dass dort mein Großvater stand. Völlig besorgt um seine Enkelin. Als er mich sah, lief er erst mal auf mich zu und verpasste mir eine saftige Ohrfeige, um mich kurz darauf fest in seine Arme zu schließen, denn er hatte sich fürchterliche Sorgen und Vorwürfe gemacht.“
Mit diesen Worten beendete die Großmutter ihre Erzählung. Skyla sah sie mit großen, runden Augen an. „Warum hast du deinen Großvater nicht einfach angerufen?“, wollte das Mädchen wissen. „Damals gab es noch keine Handys und auch kein Mobilfunknetz. Für alle anderen Mittel war es einfach zu stürmisch. Wir hatten auch keine Fernseher.“
„War das nicht sehr langweilig?“
„Oh nein. Langweilig wurde es nie. Es war immer etwas los. Zum Teil sogar mehr als Heutzutage.“
„Erzählst du mir noch eine Geschichte?“
„Vielleicht später, mein Schatz“
Tag der Veröffentlichung: 17.11.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die immer an mich glauben.