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1. Amoureuse

London, Anfang Mai 1974…

 

Völlig erledigt knipste John Birt das Licht in seinem Büro im Kent-House, dem Sitz von London Weekend Television, mit Blick über die Themse und London aus. Er war nicht einmal ganz dreißig Jahre alt und hatte bereits graue Haare. Ob das an der viel zu früh geschlossenen Ehe mit Jane lag… darüber wollte er lieber nicht nachdenken und schob es daher eher auf seine Erbanlagen.

Trotzdem grinste er etwas selbstverliebt und strich sich die grauen Fransen aus der Stirn. Ach, in diesen bunten Flower-Power-Zeiten musste man sich ja irgendwie der Mode und den Trends anpassen. Daher hatte er seine Haare etwas länger wachsen lassen und trug natürlich üppige Koteletten.

Nach Hause wollte er aber an diesem Abend nicht. Zwei kleine Kinder und eine Ehefrau, die ihn nur stets mit großen Augen anstarrte und ihm stumme oder auch lautstarke Vorwürfe - je nach Laune - machte, warum er sie aus einer vielversprechenden Karriere als Kunsthistorikerin in den Vereinigten Staaten herausgerissen und in ein Dasein als Hausmütterchen in einer spießbürgerlichen Vorstadt-Reihenhaussiedlung in Greater London genötigt hatte. Dabei war es damals doch auch ihre Entscheidung gewesen.

Nun ja… die Heirat hatte sich notgedrungen eher aus der Tatsache ergeben, dass Jane im Jahr 1966 mit Eliza schwanger gewesen war. Und mittlerweile, John wusste selbst nicht genau, wie das zustande gekommen war – also biologisch natürlich schon, nur aus der nicht sonderlich gut funktionierenden Ehe heraus eben nicht – hatte sich noch Jonathan dazugesellt.

Es war nicht so, dass er seine Kinder nicht liebte, aber er war kein Vorzeige-Vater. Keiner, der mit ihnen am Wochenende auf den Spielplatz ging, keiner, der ihnen abends etwas vorlas, keiner, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit seinen Sprösslingen beschäftigte. Er lebte für das Fernsehen, fast Tag und Nacht. Na gut, in manchen Nächten tat er auch andere Dinge. Und die Wochenenden waren immer besonders arbeitsintensiv.

Welchen groovy Club sollte er denn heute aufsuchen? London war noch immer sehr angesagt, auch wenn es nicht mehr ganz das Swinging London der Sixties war, so waren die Siebziger doch auch nicht zu verachten. Er grinste, man hatte wirklich die Wahl, ob man sich neben dem verrückten Noddy Holder von Slade einen hinter die Binde kippen wollte oder es sich im Dunstkreis von Lederlady Suzy Quatro gut gehen ließ – es war stets was los hier in den Szene-Schuppen. Und als TV-Schaffender hatte man da doch nicht unerhebliche Privilegien!

Gutgelaunt schob er sich seine runde Nickelbrille ein Stück nach oben und dachte nicht mehr an zu Hause. Mit einem energischen Ruck stieß er die Tür zum Marquee-Club in Soho auf und trat in die rauchgeschwängerte Luft dort ein.

Kiki Dee hatte gerade ihren Auftritt und daher klangen die Töne von ‚Amoureuse’ John entgegen. Ja, das war im letzten Jahr ihr großer Erfolg in den britischen Charts gewesen. Eine wirklich schöne Ballade, das musste man zugeben.

Nachdem sie geendet hatte, kam sie auch sofort auf John zu und küsste ihn überschwänglich ab: „Na, dich hat man ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

Er wehrte ihre stürmische Attacke halbherzig und laut lachend ab: „Langsam, langsam, ich werde dieses Jahr noch Dreißig, so kann man doch nicht mit alten Männern umgehen, Kiki!“

„Papperlapapp! Trotz deiner grauen Haare schaust du echt knackig aus, Johnny.“

„Nicht Johnny, bitte. Ich hasse diesen Namen.“

„Ich weiß doch, wie ich dich ärgern kann. Hast du den Song eben gehört?“

„Größtenteils ja. Hast toll gesungen, Darling.“

„Pah, Darling… und so etwas von einem verheirateten Mann! Schäm dich!“

Er grinste frech und orderte einen Highland Cooler. Kiki warf ihm eine Kusshand zu und ging wieder auf die kleine Bühne. Dort gab sie nun das etwas souligere ‚I got the Music in me’ zum Besten.

Währenddessen nahm er einen ordentlichen Schluck seines Longdrinks und ließ seinen Blick über das restliche Publikum schweifen.

Ach, da war doch Bernie Taupin von Rocket Records, na klar, wo Kiki Dee war, war auch die Plattenfirma nicht weit.

Und auf der anderen Seite erspähte John das junge Model Rene Russo (Anm.: Ja, die spätere bekannte Schauspielerin, ganz recht!), auch klar, wo Taupin war, war eine Russo meist nicht weit. Flotte Biene, aber er wollte Taupin nicht ins Handwerk pfuschen.

Außerdem hatte er mit seiner Frau Jane bereits eine Amerikanerin zu Hause, und wenn auch Miss Russo ohne Frage sehr sexy war, allein ihr Akzent würde ihn an Jane erinnern und seine Stimmung würde schlagartig in den Keller sinken.

Er bekam einen kräftigen Schlag auf den Rücken versetzt und wurde somit derb aus seinen Gedanken gerissen. Als er sich umdrehte, grinste Nicky Chinn ihn an: „Na, altes Haus, bist du auch mal wieder auf der Piste? Hast du keine Arbeit?“

„Doch, aber selbst ich brauche mal eine Pause, Nick.“

„Unglaublich, aber wahr. Und? Was macht LWT?“

„Gut, das Geschäft läuft. Könnte nicht besser sein. Und bei dir? Dass du bei deinen dauernden Erfolgen im Musikbusiness überhaupt noch in einen Club gehst, wundert mich.“

„Weswegen? Weil du denkst, ich hätte die Zeit dafür nicht, oder weil du meinst, es müsste mir mittlerweile zu den Ohren raushängen?“

„Wegen beidem.“

„So schlimm ist es zum Glück noch nicht, John. Hast du was von David gehört? Wo kriecht der eigentlich rum?“

„David? Der wickelt gerade halb Australien um seinen kleinen Finger.“

„Ah ja, die weibliche Hälfte, nehme ich an.“

John Birt lachte laut heraus: „Genau! Du sagst es. Ich bin sicher, er hat sich ein paar nette Koala-Bärinnen zum Kuscheln geholt.“

„Worauf du dich verlassen kannst. Du, ich mach die Biege, man sieht sich, ja?“

„Klar doch, Nick. Mach es gut, aber mach es nicht zu oft!“

„Scherzkeks! Auf bald!“

„Ja, bye dann.“

Doch Nicky Chinn kam noch einmal zurück und raunte: „Ach, übrigens, wenn du was Spezielles rauchen möchtest, frag mal Steve.“

John nickte kurz: „Hab verstanden. Danke.“

Zehn Minuten später hatte er sich auf dem Klo einen Joint gebaut und rauchte auf dem Klodeckel hockend. Ein bisschen bekifft zu sein schadete nicht in so einer Nacht. Bis zum nächsten Morgen war er wieder klar im Kopf, er kannte sich und seine Reaktionen auf Pot ganz gut, er rauchte das Zeug nicht zum ersten Mal.

Natürlich sah er keine rosa Elefanten! So etwas war lächerlich, und er hielt derartige Berichte für reine Angeberei. Aber alle Leute hatten nun seiner Meinung nach unglaublich schöne, große Augen. Er liebte vor allem Frauen mit ausdrucksvollen Augen und wenn man sich das Bild mit ein bisschen Pot zurechtrücken konnte - why not?

So steuerte er zielstrebig auf eine Blondine zu, die ihn irgendwie an Sally Carr von Middle of the Road erinnerte und die eine lila Schlaghose zu einem Oberteil trug, dessen psychedelisches Muster sich dem bekifften John verstärkt einprägte. Er hatte den Eindruck, als würden diese ineinander verschlungenen Kreise sich wie irre drehen, ähnlich einer Spirale.

„Du hast echt süße Augen, wie heißt du?“

„Ach, was ist das denn für eine abgedrehte Masche? Hast du keinen besseren Spruch auf Lager?“

„Nein, warum auch, da ich nur die reine Wahrheit sage.“

„Sylvie.“

„Hi, Sylvie, ich bin John.“

„Ja, du siehst auch irgendwie aus wie einer, der John heißt. Kriege ich einen Drink?“

„Klar, alles was du willst.“

„Super, dann einen Campari-Orange.“

Er orderte für Sylvie und für sich und hievte sich neben ihr auf einen Barhocker.

Als die Drinks kamen, prostete er der jungen Frau zu und fragte: „Bist du auch im Musikgeschäft tätig?“

Sie schüttelte den Kopf: „Nein, leider nicht. Allerdings bin ich ziemlich musikverrückt, aber wer ist das nicht derzeit. Und du? Bist du im Musikbusiness?“

„Nicht direkt. Ich bin beim Fernsehen.“

Sie horchte interessiert auf, er hatte es gewusst, man konnte fast alle hübschen Mädchen mit dem Stichwort ‚Fernsehen’ ködern.

„Echt? Wow! Und was genau machst du da?“

„Och, ich plane und produziere verschiedene Shows und Sendungen, hauptsächlich für LWT.“

Sylvie rückte deutlich näher, was ihm ein zufriedenes Grinsen entlockte.

Später in der Nacht zog John Birt die blonde Sylvie am Soho-Square in die Büsche und bumste sie ordentlich durch. Wobei dies durchaus auch von ihr gewollt war. Er würde niemals eine Frau gegen ihren Willen nehmen, solche Dinge waren ihm zuwider. Es machte nur Spaß, wenn die Partnerin auch willens war. Langsam ließ nun sein Highsein nach. Er musste nach Hause. Jane würde ihm sonst die Hölle heiß machen. Seufzend zog er seine Hose hoch und küsste Sylvie abwesend auf ihr Haar: „Zuckerschnecke, ich muss los. Soll ich dich irgendwo absetzen?“

Sylvie schüttelte den Kopf: „Danke, nett von dir, aber ich habe es nicht weit in meine Bude. Kann ich dich bei LWT anrufen? Wegen eines Jobs?“

„Sicher doch. Gar kein Problem. Komm gut nach Hause, ja?“

„Ja, du auch. War echt nett mit dir.“

Er lächelte: „Danke, mit dir auch.“

Völlig übermüdet fiel er einige Zeit später in sein Bett. Hoffentlich würde er den Wecker am Morgen hören, wenn er – was wirklich nicht sehr oft vorkam - Pot geraucht hatte, bestand immer die Gefahr, dass er ihn nicht rasseln hörte. Na ja, Jane würde ihn schon wachrütteln und der Kleine würde dann sicher auch plärren.   

 

Zum Kapitel gehört der Song "Amoureuse" von Kiki Dee: https://youtu.be/1vUNTeJi5Iw

 

2. Nantucket Sleighride

 

Jane Birt, geborene Lake, hatte es gründlich satt! Entweder war ihr Ehemann auf der Arbeit oder er verbrachte seine spärlich bemessene Freizeit in dubiosen Nachtlokalen.

Und wenn er dann kam, meist spät in der Nacht, roch er nach Alkohol, Qualm und fremdem Parfum. So hatte sie sich das Leben mit ihm nicht vorgestellt. Gut, das erste Kind war wirklich ungeplant und zu früh in ihrer beider Leben gekommen, vielleicht hätte man ohne die Schwangerschaft mehr Zeit gehabt, sich alles gründlicher zu überlegen, ob man überhaupt zusammenbleiben würde, ob Heirat zur Debatte stand. Aber alles war anders gekommen. Nun saß sie hier in England, in London, ohne ihren Beruf ausüben zu können, ohne richtigen Freundeskreis, ohne Verwandte, und wenn man es genau betrachtete – auch ohne Ehemann. Sie hatte nur die beiden Kinder den ganzen Tag um sich herum. Selbst Johns Eltern waren nicht hier in London, sondern in Liverpool, also auch keine Möglichkeit, dort mal zwischendurch auf einen Sprung vorbeizuschauen.

„John! Was ist denn los? Hast du einen Kater? Steh auf, der Wecker hat schon vor mehr als zehn Minuten geklingelt!“

Es brummte undeutlich aus den Kissen: „Hmh?“

„Gut, wenn du unbedingt zu spät zur Arbeit kommen willst, dein Problem.“

„Ist der Kleine denn noch nicht wach? Ich habe ihn gar nicht gehört.“

„Sollte es dir etwa entgangen sein, dass er mittlerweile kein Säugling mehr ist, der alle drei Stunden gefüttert werden muss?“

John tauchte aus den Kissen mit verstrubbelten Haaren auf und tastete nach seiner Brille auf dem Nachttisch: „Okay, okay. Tut mir leid. Ich dachte nur, weil er letztens mal so lautstark gebrüllt hat.“

„Da hat er Backenzähne bekommen.“

„Mist, ich kriege hier gar nichts mehr mit. Verdammter Job!“

„John, ich denke nicht, dass es nur am Job alleine liegt.“

Er schälte sich mühsam aus dem Bett und kratzte sich am Kopf: „Doch, doch, das tut es. Das Scheiß-Fernsehen frisst mich auf.“

„Ja. Und ich soll dir das glauben. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Aber natürlich, wenn du all deine nächtlichen Eskapaden im Auftrag des Senders machst… Arbeit – das ich nicht lache!“

„Jane, bitte. Haben wir Kaffee da?“

„Haben wir. Aber machen musst du ihn dir selbst. Ich trage dir nicht alles vor die Füße. Und nun weint Jonathan, ich hole ihn aus dem Bett. Möchtest du ihn sehen?“

„Was soll die blöde Frage? Natürlich möchte ich ihn sehen. Schläft Eliza noch?“

„Ja, sie hat einen tiefen Schlaf, sie hört ihren Bruder nur selten, wenn er weint.“

„Prima Mädchen.“

„Scheint sie von dir zu haben.“

Jane Birt ging und holte ihren Sohn aus dem Bett. Währenddessen schlurfte John ins Bad und schrak zurück, als er das Licht anknipste und sein Spiegelbild ansehen musste. Jesus, er sah furchtbar aus!

Mit leicht zittrigen Händen, die Nachwirkungen des Joints, rasierte er sich und schnitt sich einmal prompt dabei. Fluchend drückte er ein Stück Klopapier auf die kleine Schnittwunde und machte sich ans Zähneputzen. Herrgott, hatte er einen saublöden Geschmack im Mund. Er musste wirklich aufhören, sich gelegentlich ein Tütchen reinzuziehen. Was brachte es, außer dass es ihn sein sauer verdientes Geld kostete und auf kurze Zeit ein paar mickrige Glückshormone ausgeschüttet wurden? Andererseits – die Mädels hatten dann wirklich so schöne Kulleraugen, einfach traumhaft!

Mit leicht zusammengekniffenen Augen schmierte er sich in der Küche einen Toast, den er nur widerwillig runterwürgte, er konnte meist nachdem er high gewesen war nichts oder nicht viel essen. Dazu trank er aber drei Tassen Kaffee, die ihm sichtlich gut taten.

Jane kam mit dem knapp zweijährigen Jonathan herein, der noch seinen Schnuller im Mund hatte. Als er seinen Daddy sah, lächelte der Junge, wobei ihm der Schnuller aus dem Mund fiel. Steif bückte sich John und hob den Sauger auf.

Jane konnte sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen: „Bei was hast du dir denn einen Muskelkater geholt? Beim Drehen auf dem Schreibtischstuhl? Oder beim Heben des Tabletts in der Kantine?“

„Keine Ahnung. Muss irgendwie verdreht gesessen haben.“

Bevor Jane etwas antworten konnte, wandte er sich seinem Sohn zu: „Guten Morgen, kleiner Mann. Du warst ja total friedlich heute Nacht und hast deinen Papa mal schlafen lassen.“

Jane drückte ihrem Mann das Kind in den Arm: „Dann nimm ihn doch auch mal und quassele nicht nur.“

John lächelte den Jungen an: „So sind sie, die Frauen! Ich sage dir, überlege es dir dreimal, bevor du dich mit ihnen einlässt. Sie haben durchaus ihre Qualitäten, keine Frage, aber man hat es nicht immer leicht mit ihnen.“

„Sag mal, was erzählst du dem Jungen eigentlich für einen Blödsinn? Das kann er doch alles noch gar nicht verstehen.“

„Da rede ich nun mal mit meinem Sohn, und schon ist das auch nicht recht. Rede ich nicht mit ihm, bin ich ein Rabenvater, rede ich was mit ihm, hast du auch daran was rumzumäkeln. Hier, nimm ihn wieder, ich fahre in den Sender. Bis heute Abend dann.“

„Heute Abend? Wann ist das? Vor Mitternacht oder danach?“

„Gott, bist du uneinsichtig. Weißt du eigentlich, was bei mir auf der Arbeit alles los ist? Du machst dir keine Vorstellung, echt. Vor allem, wenn wir heute voraussichtlich ‚Weekend World’ vorproduzieren. Das dauert unter Umständen nun mal bis weit in die Nacht hinein, tut mir leid.“

„Ja, mir auch.“

Jane Birt drehte sich um und verließ mit dem Kind auf dem Arm den Raum.

Seine Tochter hatte John seit drei Tagen schon nicht mehr gesehen.   

Das ruckartige Anfahren des Aufzuges im Kent-House bekam John Birt nicht so gut und er hatte einen leichten Anflug von Übelkeit, ebenso beim Abbremsen. Doch als er sein Büro erreicht hatte, ging es ihm schon wieder besser.

Peter Jay, der Moderator von ‚Weekend World’ schaute bei ihm vorbei: „Hast du dieses Arschloch von Honecker auf der Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR gehört? Ich zitiere: ‚Von der Schusswaffe muss bei Grenzdurchbruchsversuchen rücksichtslos Gebrauch gemacht werden’.“

John schaute seinen Anchorman an: „Echt? Das hat dieser deutsche Gnom gesagt? Ist ja nicht zu fassen. Was aber noch viel interessanter ist, ist die Tatsache, dass der amerikanische Kongress in einigen Tagen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Nixon einleiten wird.“

„Das kommt für mich nicht überraschend, für dich etwa?“

„Nein, eigentlich nicht. Aber wir sollten mal einen unserer Politiker in die Mangel nehmen und ihn fragen, ob es bei uns in Regierungskreisen auch üblich ist, den politischen Gegner abzuhören und zu bespitzeln.“

„Ist das nun eine Redaktionskonferenz für ‚Weekend World’?“

„Der Anfang davon, ja.“

Die beiden Männer holten sich einen Kaffee und setzten dann ihre Besprechung fort. Kurz darauf wurden sie vom Schrillen des Telefons auf John Birts Schreibtisch unterbrochen.

„Wer ist am Telefon? Entschuldigen Sie vielmals, aber ich kenne keine Sylvie. Wie bitte? Vom Marquee-Club? Du liebe Zeit, dort laufen so viele Frauen herum, wenn ich da jede kennen sollte, hätte ich viel zu tun. Was? Hören Sie mal, das kann ja jede behaupten! Ich würde auch niemals einer Barbekanntschaft einen Job anbieten. Nein, tut mir leid.“

Entnervt warf John den Telefonhörer auf die Gabel und seufzte. Konnte es sein, dass er sich gestern Abend derart mit Pot zugedröhnt hatte, dass er tatsächlich einen steilen Zahn aufgerissen, dieser einen Job bei LWT versprochen und sie dann womöglich mit ihm aufgrund dieser Versprechung Sex gehabt hatte?

Er verdrehte seine Augen und schwor sich, von dem Zeug nie wieder etwas anzurühren. Zumindest in dieser Woche nicht mehr!

Dieser Tage überschlugen sich die Ereignisse an der politischen Front fast überall. John Birt schlief zweimal binnen einer Woche nachts in seinem Büro, weil er durchgearbeitet hatte und einfach völlig erschöpft am Schreibtisch eingeschlafen war.

Erst die Sache mit Watergate und Nixon und nun war auch noch der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt wegen einer Spionageaffäre zurückgetreten. Die Telefone liefen heiß und jeder Sender wollte sich ein Stückchen der politischen Sahnetorte einverleiben. Das versprach doch Quoten ohne Ende.

Seine Frau fand das alles weniger schön und fühlte sich schrecklich alleingelassen. Eliza war tagsüber in der Schule und sie hatte nur noch den kleinen Jonathan bei sich. Ihr Mann war ein Arbeitstier und wenn er sich mal etwas Freizeit gönnte, dann wollte er in der Zeit auch frei haben und nicht noch mit Familienproblemen belastet werden.

Sie wusste, dass er wirklich viel arbeitete und seine Streifzüge durch die angesagten Lokale Londons sicher längst nicht so oft stattfanden, wie sie ihm das immer vorwarf, aber sie wollte ihn schließlich auch mal ein wenig für sich haben.

Das jedoch schien er recht gegenteilig zu sehen.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Nantucket Sleighride" von Mountain: https://youtu.be/C5QelV1S0TY

3. Some of these Days

 

London, Ende Mai, Anfang Juni 1974…

 

Zwischen der Wahl des deutschen Bundespräsidenten Scheel und der des neuen deutschen Kanzlers Schmitt, noch bevor in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft begann, gab Diahann Carroll ein Konzert in London. John überlegte, ob er Jane mitnehmen sollte. Aber sie würde den ganzen Abend wie eine Klette an ihm hängen und ihm keine Luft zum Atmen lassen. Außerdem – wer sollte auf die Kinder aufpassen? Babysitter waren immer so schrecklich unzuverlässig und teils auch unfähig, wenn dann was mit den Kleinen war... besser, er ging ohne Jane zum Konzert.

Er kam in letzter Minuten abgehetzt im Golders Green Hippodrome an, genoss die tolle Show aber dann doch sehr.

In der Pause musste er zig Bekannte begrüßen, er hielt Smalltalk bis ihm der Mund fusselig wurde. Durstig kippte er daher einige Bierchen ab.

Den zweiten Teil schaute er sich entspannter an, viele Dinge, die ihm zuvor noch durch den Kopf gegangen waren, konnte er nun abstellen und er freute sich, dass er alleine und ohne Klotz am Bein hergekommen war.

Im Backstage-Bereich wuselten tausend Leute umher. John schob sich leicht ungeduldig durch die Massen und klopfte endlich an die Garderobentür des US-Stars.

„Wer ist da?“

„Diahann, ich bin’s, John.“

„Ach nein! Komm rein, aber rasch!“

Er schlüpfte durch die Tür und stand in dem kleinen Räumchen. Die Sängerin saß vor ihrem Schminkspiegel und zog sich gerade die falschen Wimpern vom Augenlid ab.

„Du weißt es schon?“

John zuckte mit den Schultern: „Ich? Was?“

„Na, dass dein sauberer Kumpel David die Verlobung mit mir gelöst hat?“

Betroffen ließ John sich auf einen Hocker sinken und fragte ungläubig: „Was hast du da gesagt?“
Sie fuhr energisch herum, so unvermittelt, dass er zusammenzuckte, und herrschte ihn an: „Komm schon, ihr Kerle steckt doch immer alle unter einer Decke. Es kann nicht sein, dass du davon nichts weißt.“

Er sortierte seine Gedanken und stammelte: „Aber… es ist die Wahrheit. Wann… wann hat er dir das denn eröffnet?“

„Dieses scheinheilige Riesenrandkamel von einem Mann hatte die Güte, mich heute Morgen in meinem Hotelzimmer hier in London anzurufen, um mit mir Schluss zu machen.“

„Diahann, ich schwöre, ich habe es nicht gewusst. Nur, es ist halt auch nicht einfach mit euch, er jettet um die halbe Welt in die eine Richtung und du jettest um die halbe Welt in die andere Richtung. Irgendwo habt ihr euch dann immer mal getroffen, oft mehr zufällig als geplant und ich weiß nicht, ob das eine gute Basis für eine dauerhafte Beziehung sein kann.“

„Nimmst du ihn in Schutz?“

„Nein, nein. Ich versuche nur, Erklärungen zu finden. Du weißt, am Scheitern von Beziehungen ist so gut wie nie nur einer alleine schuld.“

„So schlau bin ich auch. Und dass gerade du das sagst, ist ohnehin ein Witz. Wo ist Jane? Warum hast du sie nicht mitgebracht?“

„Schwierig, einen Babysitter zu kriegen.“

„Schwache Ausrede.“

John schaute schuldbewusst zu Boden.

„Falls er sich demnächst bei dir blicken lässt, dieser Tasmanische Teufel, darfst du ihm gerne einen schönen Gruß von mir ausrichten – mit einem fetten Tritt in den Hintern! Ich habe ab nächste Woche ein längerfristiges Engagement in Las Vegas und glaub mir eines: Dieser Pfeife trauere ich keine Minute hinterher! Und nun verschwinde, ich will mich umziehen.“

John erhob sich lahm, trat zu der schönen Farbigen, legte ihr von hinten die Hände auf die Schultern und küsste sie zum Abschied auf eine Wange:  „Es tut mir leid, Diahann. Aber bevor ich gehe, möchte ich dir sagen, dass du ein tolles Konzert gegeben hast. Ich war sehr beeindruckt. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“

„Ja, vielleicht. Good-bye, John.“

Er ließ die Tür von außen ins Schloss fallen und atmete hörbar aus. Uff! Diesmal hatte sich David aber weit in die Scheiße reingeritten! Was hatte den denn gebissen, mit dieser Klasse-Frau zu brechen? Klar, auch David Frost war kein Kind von Traurigkeit, ganz sicher nicht, aber welcher andere Mann in Dreiteufelsnamen würde Diahann Carroll den Laufpass geben?

Er drehte sich um und prallte versehentlich mit einer der Background-Sängerinnen von Diahann zusammen.

„Hi, sag bloß, du hast zur Chefin rein gedurft?“

Er lächelte verschmitzt und antwortete: „Eventuell dürfte ich sogar noch einiges mehr, aber ich habe zum Glück gerade noch rechtzeitig gemerkt, dass es jemanden in Diahanns Truppe gibt, der mir sehr viel besser gefällt.“

Die ebenfalls schoko-braune junge Frau schenkte ihm einen vielsagenden Blick aus lidstrichumrahmten Augen und säuselte: „Aha. Ich frage mich, wer das wohl sein könnte. Und ich frage mich überdies, wer du wohl sein könntest.“

John zog sie am Ellbogen um die Ecke, wo es etwas ruhiger war, und raunte ihr zu: „Das verrate ich dir gerne, wenn du mir ein stilles Plätzchen zeigst, wo wir ungestört miteinander reden können.“

John Birt hielt die Erfindung und Einführung der Anti-Baby-Pille für eines der größten und segensreichen Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts. Leider war ihm und Jane die Existenz dieser hormonellen Verhütungsmethode erst ein wenig zu spät ins Bewusstsein gerückt, eben erst nach der Geburt von Eliza. Und dann waren sie vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren in den USA gewesen, um Janes Eltern zu besuchen und sie hatte sich wegen der Zeitverschiebung mit der Pilleneinnahme vertan und – Jonathan war das Ergebnis.

Er war recht froh, dass fast alle modernen Frauen heutzutage die Pille nahmen und man nicht mehr ständig Angst haben musste, dass eine mit einer Vaterschaftsklage vor der Tür stehen würde. Und er würde definitiv kein weiteres Kind mehr mit Jane haben! Wenn sie noch einmal einen Fehler bei der Einnahme der Hormone machen und schwanger werden würde, würde er sich scheiden lassen! Aber derlei Dinge standen kaum zu befürchten, da er so selten zu Hause war, und selbst wenn, kam es nur noch in den seltensten Fällen zu Sex mit seiner Frau.

 

Es hatte Vorteile, beim Fernsehen zu arbeiten, man kam sofort an sämtliche Neuigkeiten aus aller Welt.

Wirklich, der gute Richard Nixon hatte echt Nerven! Machte dieser doch seelenruhig Staatsbesuche in Nahost und für Ende Juni war auch noch ein Besuch in der Sowjetunion vorgesehen! Als würde er förmlich vor dem, was sich in Washington über ihm zusammenbraute, flüchten wollen!

John fragte sich, wann der Kongress denn nun endlich das Amtsenthebungsverfahren eröffnen würde. Das wurde doch langsam mal Zeit, dass der Mann sich vor dem amerikanischen Volk zu verantworten hatte!

Er persönlich schätzte Nixon als Feigling ein und glaubte, er würde zurücktreten, um der Amtsenthebung durch den Kongress zu entgehen. Andererseits – es war noch niemals in der Geschichte Amerikas ein Präsident vorzeitig von seinem Amt zurückgetreten.

 

London, Anfang Juli 1974…

 

Was war eine Fußball-WM eigentlich ohne die Teilnahme von England? Absolut Scheiße! Und dann ausgerechnet noch in Deutschland, die noch immer herumjammerten über das verlorenen Finale gegen England von 1966 und das mittlerweile sagenumwobenen ‚Wembley-Tor’. Was gab es denn daran herumzumäkeln? Es war ganz klar ein Tor gewesen, das hatte sogar er persönlich ohne Brille sehen können!

Okay, nun hatten sie ja ihren WM-Titel, diese unbelehrbaren Deutschen, und gut!

John beschloss am Abend des 7. Juli, nachdem man ‚Weekend World’ gesendet hatte, völlig unpatriotisch den Gewinn des Titels mit den Deutschen zu feiern, oder patriotischer ausgedrückt, den Kummer über das Nichtqualifizieren der englischen Mannschaft in Unmengen von Alkohol zu ersäufen.

Soho und die umliegenden Straßen hatten wundervolle Clubs zu bieten, allesamt mit Live-Musik. Er ließ den Marquee diesmal links liegen und ging in den 100-Club in der Oxford Street. Es musste ja nicht immer der gleiche Trott sein. Er hatte Glück, denn an diesem Abend spielten mal wieder ‚The Kinks’ dort. Er mochte diese Gruppe und ihre Musik sehr. Und es wäre ja gelacht, wenn in diesem Schuppen nicht auch ein paar Gramm Pot aufzutreiben sein würden! Damit machte das Sich-Betrinken auch wesentlich mehr Spaß.

Zusammen mit zwei Roadies der ‚Kinks’ rauchte er das Zeug im Hinterhof des 100-Clubs. Es bliebt nicht viel für jeden, nur ein paar Züge und schon war es das gewesen.

Er sollte vielleicht von diesem Stoff auf was anderes, etwas Elitäreres wechseln, denn er kam sich schon komisch vor, wenn er nach einem Tag im Büro und im Studio, bekleidet mit einem guten Anzug, auch wenn er die Krawatte immer schon vor Betreten eines Szene-Lokals auszog, sich mit Hippies in Schlagjeans und orangenen Batikshirts in einem dubiosen Hof oder dem Herren-Klo einen Joint teilte.

Er wurde schon teils sehr schräg angesehen und abschätzend gemustert.

Aber Kokain war sehr teuer und auch wenn er kein armer Mann war, so musste man dann doch sein Geld nicht dafür mehr oder weniger sinnlos verpulvern. Im wahrsten Sinne des Worte dann.

Auch wenn die Mädchen nun wirklich ganz tolle, hübsche Augen hatten, wirkte die geringe Dosis der Droge nicht so, wie er es sich das wünschte. Statt etwas munterer und aufgekratzter zu werden, befiel ihn plötzlich eine bleierne Müdigkeit. Drei Pfund für drei nicht sonderlich wirkungsvolle Züge! Und er vermutete, dass das Zeug auch noch ordentlich gestreckt gewesen war. Beschiss auf der ganzen Linie.

John Birt konnte nur noch mit Mühe die Augen offen halten und wünschte sich schnellstmöglich in sein Bett.

Er kippte ein Bier gegen den Durst und dann zwei Whisky pur, da das aber nicht reichte, um ihn vollends betrunken zu machen, stieg er auf Cola mit Rum um. Mit steigendem Alkoholpegel stieg auch die Tendenz, sich selbst zu bemitleiden. Er fühlte sich plötzlich steinalt, älter als er tatsächlich war, sogar älter als er aussah.

Er fand in diesem Zustand, dass sein Leben verhunzt war, dass er nichts davon hatte. Entweder er schuftete bis zum Umfallen oder er schlug sich mit den Problemen in der Familie herum. Letzteres war ihm ganz besonders zuwider.

Er wollte das so nicht mehr, er wollte genau genommen auch die Plackerei im Sender nicht mehr – er würde so gerne mal eine Auszeit nehmen, etwas ganz anderes, ganz woanders machen.

Aber das waren Wunschträume, die sich nie erfüllen würden. Er musste den Tatsachen ins Auge sehen: Es würde sich für ihn wohl kaum etwas nachhaltig ändern.

Wie er letztendlich, und ausgerechnet ein deutsches Papierfähnchen (die WM!) schwenkend, in dieser Nacht in sein Bett gekommen war, vermochte er am nächsten Tag allerdings nicht mehr zu sagen.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Some of these Days" von Diahann Carroll: https://youtu.be/I0KSj1Ku99I

4. Frost über Australien

 

Natürlich konnte kein Mensch ein Arbeitspensum von sieben Tagen pro Woche und mindestens vierzehn Stunden täglich auf Dauer durchhalten. Deswegen ging John Birt auch am Tag nach dem Endspiel der Fußball-WM nicht in den Sender. Er schlief seinen Rausch aus und wurde davon wach, dass sein Sohn ihm mit glucksendem Lachen die Nase zuhielt.

Verdammt, konnte Jane den Bengel nicht noch eine Stunde länger zurückhalten?

Wie gerädert schlug er die Augen auf und schielte vorsichtig neben sein Bett: Offensichtlich hatte er nicht gekotzt, denn nichts deutete darauf hin, alles rund um das Bett war sauber. Nur ein leicht zerfleddertes Deutschland-Fähnchen lag auf dem Boden, das er nun aufhob und Jonathan in die Hand drückte, der neben ihm im Bett herumtollte.

Leicht unsicher stand er auf und wankte ins Badezimmer, er musste dringend pinkeln. Das Rasieren schenkte er sich an diesem Morgen, da er einen freien Tag hatte, so nahm er seinen Sohn an die Hand und ging mit ihm in die Küche: „Komm, wir schauen, ob Mama uns Frühstück gemacht hat.“

Der Kleine brabbelte: „Jo sson dedessen.“

„Du hast dein Porridge schon gegessen? Brav.“

Jane Birt spülte gerade Geschirr ab, als die beiden in die Küche kamen: „Wir müssen dringend zum Einkaufen, John. Ohne Auto geht es diesmal nicht, es wäre wichtig, dass du fährst.“

„Kannst du nicht selbst fahren?“
“John, du weißt, dass ich Angst habe, hier zu fahren. Der Verkehr ist grauenhaft und dann alles auf der linken Seite.“

„Ich kann nicht glauben, dass du nach all den Jahren in London damit immer noch nicht klarkommst. Das ist reine Schikane von dir. Nur um mich zu zwingen, einmal pro Woche den Großeinkauf mit dir zu tätigen!“

„Wir könnten auch Eliza dann gleich von der Schule abholen, es ist ein Weg.“

Er nahm einen großen Schluck aus der Kaffeetasse und erwiderte dann: „Mir geht es nicht besonders gut, ich müsste dringend Schlaf nachholen.“

„Du kannst dich heute Nachmittag dann gleich hinlegen. Im Übrigen neige ich dazu, kein Mitleid mit dir zu haben, da du gestern gesoffen haben musst wie ein Loch.“

„Der Sieg der Deutschen musste doch gebührend gefeiert werden.“

„Aber natürlich. Wie konnte ich daran zweifeln! Du solltest dich hören, John, es ist einfach erbärmlich.“

Er knallte die Kaffeetasse so unsanft auf den Küchentisch, dass sie prompt zu Bruch dabei ging und schnauzte sie an: „Ja doch! Fahr gefälligst alleine zum Einkaufen! Ich gehe wieder ins Bett!“

Sie hielt die Tränen mühsam zurück, während sie den Kaffee aufwischte und die Scherben zusammenlas: „Ich möchte nur eines von dir wissen: Möchtest du die Scheidung?“

John Birt holte tief Luft, diese Frage hatte er seit geraumer Zeit sowohl erhofft als auch gefürchtet, doch sie kam zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, da er sich gerade wegen seines Katers nicht in der Lage fühlte, das Thema ausführlich zu erörtern.

Daher antwortete er recht knapp: „Können wir darüber ein anderes Mal sprechen? Bitte?“

Sie lenkte ein, verfolgte damit aber eine bestimmte Absicht: „Gut. Wenn wir nun zusammen fahren könnten, verzichte ich fürs Erste auf eine Antwort und auf ein wohl in dem Zusammenhang zu erwartendes intensives Gespräch.“

„Das ist Erpressung.“

„Ich weiß, aber du lässt mir ja keine Wahl.“

Er erhob sich und nickte: „Mach dich und den Kleinen fertig, wir fahren in genau fünf Minuten.“

Er ging mit mürrischem Gesichtsausdruck mit in die Läden und hob dann vor allem die schweren Sachen ins Auto. Auf dem Rückweg holten sie Eliza von der Schule ab.

Das Mädchen war sehr erstaunt, ihren Vater zu sehen, begrüßte ihn aber mit kindlicher Freude: „Oh Daddy! Wie schön, dass du auch gekommen bist. Und mit dem Auto, ich muss nicht mit Mum alleine nach Hause laufen, klasse!“

Er nahm ihr die Schultasche ab und verstaute diese im Wagen, dann hob er sie kurz hoch und drehte sich ein paar Mal mit ihr im Arm um die eigene Achse: „Ups, das hätte ich lieber nicht tun sollen, Liza, nun ist mir total schwindelig. Aber meinem großen Mädchen scheint es gefallen zu haben.“

Das Kind nickte glücklich, schlang ihre kleinen Ärmchen um seinen Hals und schmiegte sich kurz an ihren Dad: „Ja, das hat mir gut gefallen. Kannst du mich nicht immer von der Schule abholen?

„Süße, das geht nicht, ich muss fast immer arbeiten.“

„Bitte, bitte! Nur einmal in der Woche, ja?“
Er schüttelte den Kopf: „Unmöglich, leider.“

Sie schaute etwas enttäuscht drein und er setzte sie wieder auf dem Boden ab, damit sie ins Auto steigen konnte.

Nach dem Tee schlief John prompt auf dem Sofa ein, obwohl beide Kinder da waren und spielten.

Jane hatte darauf verzichtet, ihn noch einmal bezüglich einer Ehescheidung anzusprechen, da sie nicht wollte, dass die Kinder davon etwas mitbekamen. Doch sie nahm sich vor, auf alle Fälle am Abend beim Zubettgehen darauf zurückzukommen.

John hatte sich direkt nach dem Nickerchen vom Sofa an den Tisch zum Dinner gesetzt, dann den Kindern gute Nacht gewünscht, und schaute anschließend in den Fernseher. Jane wusste, dass man ihn auch dabei besser nicht mit Themen behelligte, die mehr als nur eines geknurrten ‚Jas’ oder ‚Neins’ bedurften. Das Fernsehen diente John ja nicht der Unterhaltung, sondern machte einen Großteil seines Berufes aus, und deswegen konnte er bei Störungen jeglicher Art sehr ungnädig werden.

Also widmete sie sich in dieser Zeit dem Abwasch und der Bügelwäsche.

Es kam jedoch an diesem Abend nicht mehr zu einer Aussprache, da er noch vor Sendeschluss vor dem Fernseher erneut eingeschlafen war und sie sich nicht traute, ihn zu wecken.

So ging sie alleine zu Bett, hörte ihn aber spät in der Nacht ebenfalls vom Sofa hinüber ins Schlafzimmer kommen, wo er innerhalb einer Minute sofort weiterschnarchte.

Keine Gespräche, kein Sex, kein wirkliches gemeinsames Leben mehr. Jane weinte sich leise in den Schlaf.

 

London, Ende Juli 1974…

 

Endlich wurde am 27. Juli das Amtsenthebungsverfahren gegen Nixon von der ersten Kammer des Kongresses, dem Repräsentantenhaus, eingeleitet. Dort würde lediglich eine einfache Mehrheit zustande kommen müssen. Danach hatte der Senat das letzte Wort, allerdings mussten mindestens zwei Drittel der Senatoren dafür stimmen.

In Großbritannien verfolgte man dies alles mit Hochspannung, vor allem John war wegen seiner eigenen politischen Sendungen überaus interessiert daran. Die ganze Sache war hochbrisant und beherrschte alle Medien komplett.

Jane merkte, dass es auf keinen Fall der richtige Zeitpunkt war, mit ihrem Mann über den Fortbestand ihrer Ehe zu sprechen. Die Schulferien hatten begonnen und Eliza war nun auch den ganzen Tag über zu Hause, was Jane ein klein wenig aufmunterte. Endlich mal jemand, der nicht nur in Babysprache mit ihr redete.

 

Sydney, 9. August 1974…

 

Als David Frost seine Show ‚Frost über Australien’ an diesem Abend zu Ende moderiert hatte, schaute er mit Spannung in den Fernseh-Apparat. Das war ja nicht zu fassen! In den USA verließ gerade Richard Nixon das Weiße Haus, er war der erste Präsident in der fast zweihundertjährigen Geschichte dieses Staates, der freiwillig von seinem Amt zurückgetreten war! Unglaublich! Der Mann entzog sich dadurch dem ganzen Amtsenthebungsverfahren, er würde vermutlich niemals vor einem Gericht erscheinen und aussagen müssen!

David Frost schaute in das Gesicht des scheidenden US-Präsidenten und ihm schoss ganz plötzlich eine irre Idee durch den Kopf! Sobald er zurück in England war, musste er mit John Birt darüber sprechen. John war der einzige Mensch, dem er sein Hirngespinst anvertrauen konnte, und auch der Einzige, der ihm bei der Umsetzung des Ganzen würde helfen können.

 

London, Ende August 1974…

 

Endlich bekam Jane Birt ihren Mann zu fassen. Das Riesentheater um Nixons Rücktritt hatte sich halbwegs gelegt und John hatte ausnahmsweise mal wieder einen freien Tag, den sie nutzten, um in brütender Hitze zu seinen Eltern nach Liverpool zu fahren, da diese die Kinder so gerne sehen wollten.

Als die Kinder im Auto eingeschlafen waren, was vor allem Jonathan noch recht oft tat, sprach Jane es an: „Gut. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen und das weißt du. Was schlägst du also vor?“

„Was meinst du?“

„Ich fasse es nicht! Du hast doch sonst stets einen rasiermesserscharfen Verstand! Was könnte ich wohl meinen?“

„Unsere Ehe?“

„Natürlich.“

„Verstehe. Was möchtest du?”

“Das kann ich dir sagen. Es ist ganz einfach: Ich möchte, dass sich einiges bei uns ändert. Dass du öfter zuhause bist, dass du dich mehr um die Kinder kümmerst - und auch um mich. Und vielleicht darf ich noch hinzufügen, dass ich ganz gerne sehen würde, wenn du ab und zu mal mit mir schlafen würdest anstatt mit anderen Weibern.“

Er nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und antwortete dann: „Mein Job ist sehr aufreibend und ich kann da derzeit nur schlecht zurückstecken. Bei dem momentanen Zeitgeist unmöglich. Und ich gehe nicht notorisch fremd, auch wenn du das vielleicht glaubst.“

„Nicht notorisch? Aber völlig treu bist du mir auch nicht, oder sollte ich mich da so sehr in dir getäuscht haben?“

„Meine Güte! Was willst du hören, Jane? Dass ich es im Sender aus den Rippen schwitze, weil ich zu wenig Zeit habe, um es mit dir zu treiben?“

„Etwas in der Art.“

„Gut, gut. Ein paar wenige Male ist da was nebenher gelaufen. Aber es war nichts von Bedeutung und man kann es an einer Hand abzählen. Zumindest kannst du mir nun nicht auch noch Unehrlichkeit vorwerfen.“

„Weißt du was? Du bist ein Riesen-Ar…“

„Sag es nicht Jane, Eliza ist gerade am Aufwachen, ich sehe es im Rückspiegel.“

Jane Birt beugte sich zu ihrem Mann hinüber und raunte ihm den Rest des Satzes ins Ohr: … ein Riesen-Arschloch! Und wenn sich nicht innerhalb der nächsten zwei Wochen etwas grundlegend ändert, bin ich beim Scheidungsanwalt!“

 

Zum Kapitel gehört das Video "Frost über England" (Australien war leider nicht verfügbar!) des echten David Frost: https://youtu.be/-Dqy1KkA3Hc

5. How can you mend a broken Heart?

 

Als er aus Liverpool wieder zurückkam, traf er sich mit dem vor kurzem aus Australien zurückgekehrten David Frost zum Lunch, der am Tag zuvor in seiner Show in England die ‚Bee Gees’ zu Gast gehabt hatte. Es war nicht einfach gewesen, den recht versnobten David zu einem Essen in der Betriebskantine zu überreden, als dieser ihn vom Autotelefon aus angerufen hatte:

„Du, ich muss dich unbedingt mal sprechen.“

„Ich habe nicht so viel Zeit, wenn, dann komm zu mir in die Kantine, dann können wir beim Lunch kurz reden.“

„In die Kantine?

David betonte das letzte Wort mit deutlicher Abscheu.

„David! Im Gegensatz zu dir kann ich mir nicht jeden Tag Hummer leisten, also bitte.“

„Gut, gut. Die Kantine also.“

Sie standen mit dem Tablett in der Hand an der Theke an, David mit Skepsis im Blick, und wählten sich ihre Hauptmahlzeit aus.

„Also, was liegt so Dringendes an, dass es nicht noch ein wenig warten konnte?“

„Ich hatte eine Idee, eine ziemlich verrückte Idee, um ehrlich zu sein, für ein Interview.“

John orderte sein Essen, da er an der Reihe war: „Fisch und Chips, bitte.“

„Na ja, ich habe bereits einen Schnellschuss hingelegt, es ist also alles schon zu spät – ähm, Bohnen, Erbsen und Lamm, bitte -, und habe denen ein Angebot unterbreitet. Und falls derjenige dazu Ja sagen würde – also, es ist ein ziemlich dicker Fisch, und er schwimmt in ziemlich tückischen Gewässern – da versteht es sich doch wohl von selbst, dass ich dann einen guten Freund und den besten Produzenten, den ich kenne, an meiner Seite haben möchte.“

John lächelte – David, der alte Schleimer!

Er trug sein Tablett an den Tisch und fragte nach: „Also, wer ist es?“

„Richard Nixon.“

John war verblüfft und lachte erstaunt: „Ach! Richard Nixon?”

„Jetzt sieh mich doch nicht so überrascht an.“

„Komm schon, gestern Abend habe ich dich in der Flimmerkiste gesehen, als du die ‚Bee Gees’ interviewt hast!“

„Waren sie nicht fantastisch? Ach John, wir haben doch schon einige politische Interviews zusammen gemacht.“

„Ja, aber wie viele? Zwei oder drei? Also gut. Welche Art von Interview soll es denn sein?“

„Ein kompletter Rückblick auf sein Leben, seine Präsidentschaft.“

„Und?”

„Und was?”

“David, jetzt hör mal, das Einzige, was die Leute an Richard Nixon interessieren würde, wäre ein Geständnis. Ein umfassendes, schonungsloses Geständnis!“

„Ähm, ja, das kriegen wir schon.“

„Von Richard Nixon?“

„Denk doch mal an die Quoten, die das bringen würde, John! Weißt du, wie viele Leute seine Abschiedsrede aus dem Weißen Haus verfolgt haben? Vierhundert Millionen!“

John fing zu essen an und nickte: „Also schön. Wir sehen mal. Aber es will gut überlegt sein. Übrigens soll ich dir einen speziellen Gruß mit einem Arschtritt von einer gewissen Diahann Carroll ausrichten. Na, läutet da was bei dir im Oberstübchen?“

„Scheiße! Ich hatte es ganz vergessen dir zu sagen. Sie hatte ein Konzert hier und du warst dort, oder?“

„Ja, Anfang Juni. Warum hast du mit ihr Schluss gemacht? Du musst total verrückt sein.“

„Es hätte auf Dauer nicht hingehauen. Sie ist ständig unterwegs, ich bin ständig unterwegs. Und sich zweimal im Jahr auf Hawaii oder in New York zu treffen, ist einfach nicht genug für eine Ehe. Außerdem wäre es so gewesen, dass keiner von uns beiden beruflich hätte zurückstecken wollen. Ich hätte das auch niemals von ihr verlangt, bei dem Riesenerfolg, den sie seit Jahren bereits hat.“

„Ja. So etwas in der Art habe ich mir auch als Erklärung gegeben.“

John schluckte seinen gebackenen Fisch runter, biss sich kurz auf die Lippen und redete dann weiter: „Nun, du kannst mich wahrscheinlich auch bald wieder im Club der einsamen Herzen aufnehmen. So wie es gerade ausschaut, werden Jane und ich uns scheiden lassen.“

David blickte erstaunt von seinem Teller auf: „Oh nein! Wie das? Das tut mir ganz furchtbar leid für euch. Und die Kinder?“
“Wenigstens werde ich dann eine ganze Menge Zeit für dein Richard-Nixon-Projekt haben. Man muss die gute Seite an einer Sache sehen.“

„John! Jetzt rede nicht so einen verdammten Blödsinn! Ich kann an einer Ehescheidung nichts Gutes sehen, auch wenn du dann tausendmal mehr Zeit für die Sache mit Nixon haben würdest. Es ist echt traurig. Wie hat das denn passieren können?“

John Birt blickte weg von David, der Blick aus seinen blauen Augen schweifte durch die Kantine und blieb irgendwo an einer Neonlampe an der Decke hängen: „Ich weiß es selbst nicht so genau. Ich… ach, ich glaube, ich bin für die Ehe nicht gemacht, David.“

„Hast du sie betrogen? Blöde Frage, natürlich hast du. Du kannst den Reißverschluss deiner Hose ja nicht zulassen, wenn ein strammes Häschen an dir vorbeihuscht.“

„Das ist nicht der Grund. Es… sie hat sich wegen meines Jobs völlig vernachlässigt gefühlt.“

David Frost beugte sich vor und erwiderte: „Soll ich dir mal was sagen? Du kannst arbeiten, so lange und so viel du willst, sofern du noch gelegentlich deine Alte im Bett beglückst! Tust du dies nicht – ist es das gewesen! Und das scheint mir dein großer Fehler gewesen zu sein. Dumm gelaufen, John.“

„Ja, ich weiß. Entschuldige, dass ich dir damit die Ohren voll gejammert habe.“

„Mein Lieber, du kannst mir die Ohren voll jammern, so oft und so viel du möchtest. Hauptsache, ich habe dich an Bord, was das Interview mit Nixon betrifft. Deal?“

John schaute seinen Freund nun wieder an und nickte langsam: „Okay, Deal!“

 

London, Anfang September 1974…

 

Nach seinem ersten Termin beim Anwalt wegen der Scheidung schaltete John Birt den Fernseher ein.

David hatte sein ehrgeiziges Projekt erst einmal auf Eis legen müssen, da vor einigen Tagen Nixon mit einer schweren Venenentzündung in ein Krankenhaus eingeliefert worden war, sich einer Operation hatte unterziehen müssen und es ungewiss war, wann mit seiner vollständigen Genesung zu rechnen war. Doch nun erschien der neue US-Präsident Gerald Ford auf dem Bildschirm und erklärte, dass er seinem Vorgänger im Amt volle Begnadigung für alle Vergehen während seiner Präsidentschaft gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gewähre.

John Birt traute seinen Ohren nicht. Es war unglaublich, somit entschlüpfte Nixon rechtlich wirklich der gesamten Nation, vor allem all jenen, die ihn sehr gerne vor ein Gericht gestellt hätten.

Nicht anders erging es David Frost, der die Nachrichten aus den USA mit ungläubigem Gesichtsausdruck anschaute. Jetzt erst recht! Sobald sich der Ex-Präsident von seiner Krankheit erholt hatte, würde er ihm noch einmal durch dessen Literatur-Agenten Swifty Lazar ein Angebot für ein Interview unterbreiten. Es konnte nicht angehen, dass der Mann sich von nun an in tiefes Schweigen hüllte und seinen Landsleuten einfach keine Rechenschaft ablegte!

Es war bekannt, dass Richard Nixon begonnen hatte, an seinen Memoiren zu schreiben, für die er über zwei Millionen Dollar bekommen würde und auch in Verhandlung mit dem amerikanischen Sender CBS stand, um dort ein Exklusiv-Interview zu geben. Doch CBS, mit Spitzenmann Mike Wallace an vorderster Front, hatte bislang nur dreihundertfünfzigtausend Dollar geboten, was Swifty Lazar dazu veranlasste, auf Zeit zu spielen. Nixon brauchte Geld, das stand außer Frage, denn er war aus sämtlichen Anwaltsverbänden ausgeschlossen worden und würde seinen Beruf niemals mehr ausüben können. Er war ein Pensionär ohne Pension.

David Frost wusste, er würde mindestens eine halbe Million Dollar hinblättern müssen für das Privileg, Nixon interviewen zu dürfen. Doch woher, verdammte Scheiße, sollte er diesen Batzen Geld nehmen? Am einfachsten wäre es, einen Sender dazu zu bringen, die Interviews auszustrahlen, wobei man sicher noch Gewinn durch Werbeeinnahmen dabei machen können würde. Aber – welcher Sender würde sich auf eine so ungewisse Sache mit einem Briten – angeblich ohne großen politischen Sachverstand und Reputation als knallharter Journalist - als Frontmann einlassen?

 

London, im Herbst 1974…

 

In dieser Zeit hatte John Birt ganz gewiss andere Sorgen. Eigentlich hatte er die Scheidung nicht gewollt, er hatte geahnt, dass es ihn eine Menge Zeit und Lauferei kosten würde. Anwaltstermine, Papierkrieg und etliche Dinge mehr, die ihn einfach nur ankotzten.

Jane hatte eines Abend verheult vor ihm gesessen und nur gesagt: „Ich sage dir, dieser Blödmann von Nixon hat nicht nur ganz Amerika verraten, er hat auch letztendlich meine Ehe auf dem Gewissen. Vielleicht hätten wir wieder zueinander gefunden, wenn dieser Mann und sein gottverdammtes Watergate nicht gewesen wären.“

John hatte ein letztes Mal ihre Hand genommen, die auf dem Küchentisch lag, diese fest gedrückt, hatte aber nichts mehr dazu gesagt und war dann mit dem Koffer in der Hand zum Auto marschiert. Es war besser, wenn er aus dem Haus auszog, bis die Scheidung ausgesprochen werden würde. Er wollte Jane nicht ständig etwas vorgaukeln, er wollte einen klaren Schnitt, auch wenn dieser zuerst sehr schmerzhaft war.

Jonathan hatte man nichts von alldem gesagt, er war noch viel zu klein, um die Zusammenhänge zu verstehen. Eliza hingegen war erklärt worden, dass Mama und Papa sich nicht so gut vertrugen und deshalb ihr Dad nicht mehr im Haus mit ihnen leben würde, er sich aber weiterhin gerne um sie und ihren Bruder kümmern würde, wenn er die Zeit dafür hatte.

Das hatte bei der Kleinen die Tränchen rollen lassen, denn sie sagte schniefend: „Aber Dad, du hast doch so gut wie nie Zeit!“

Diese Bemerkung hatte John einen scharfen Stich im Herzen versetzt, und er hatte sich betroffen abwenden müssen, um nicht selbst auch noch das Weinen anzufangen.

Er wusste um seine Fehler, ganz klar. Nur – er war einfach nicht in der Lage gewesen, diese abzustellen. Er hatte die gleichen Fehler wieder und wieder gemacht, bis es zu spät gewesen war. Ob er das Desaster hätte aufhalten können, wenn er früher eingelenkt hätte? Er wusste es nicht. Vielleicht wäre die Ehe von Jane und ihm dann irgendwann an einem anderen Felsen zerschellt, denn deren gab es leider viele im Leben.

 

Zum Kapitel gehört der Song "How can you mend a broken Heart" von den BeeGees: https://youtu.be/PciJq0qYJj8

 

6. The Air that I breathe

 

London/Liverpool, Weihnachten 1974…

 

Allen während des Weihnachtsfestes in der Scheidungsphase gerecht zu werden, kam einem schmerzhaften Spagat für John Birt gleich. Er wollte auf alle Fälle, dass die Kinder Weihnachten so harmonisch und so wenig beeinträchtigt davon wie nur möglich verbringen konnten. Er wollte auch gerne seinen Eltern in Liverpool gerecht werden und er wollte… mal wieder zu viel! Es würde nur wieder in Stress und Hetzerei ausarten, er würde furchtbar schlechte Laune bekommen und diese die anderen spüren lassen.

Von seinen Schwiegereltern in den USA hatte er nur wenig Verständnis entgegengebracht bekommen, für sie war er natürlich der Buhmann, der böse, verkommene Typ, der vordergründig den englischen Gentleman gab und sich dann als unfähiger Ehemann und miserabler Vater entpuppte.

Seine eigenen Eltern hatten die Nachricht von der Trennung kaum besser aufgenommen, vor allem, da er in katholischem Glauben aufgezogen worden war. Seine Mutter war völlig geschockt gewesen und hatte ihm viele Vorwürfe gemacht, die er zwar leicht zerknirscht, aber trotzdem stoisch zur Kenntnis genommen hatte. Sein Vater hielt sich völlig zurück mit Kommentaren, brummte nur ständig etwas wie „ich habe versucht, ihm Werte zu vermitteln“ und starrte ansonsten nur in seine Zeitung.

So hatte sich John damit einverstanden erklärt, dass man Weihnachten zusammen in Liverpool verbringen würde, das war die beste Lösung in dieser Phase und kam allen irgendwie zugute.

Doch sobald sie alle gemeinsam bei seinen Eltern um den Tisch saßen, fühlte er sich schon wieder eingeengt und konnte nicht mehr richtig frei atmen. Er hatte regelrecht Beklemmungen und dachte für einen Moment lang, er würde einen Herzinfarkt bekommen. Erst als er vor die Tür trat, an die frische Luft und etwas durchatmen konnte, verflüchtigte sich das schlimme Gefühl ein wenig und es ging ihm wieder besser.

Nach dem Essen und dem Verteilen der Geschenke, sowie dem noch gemeinsam eingenommenen Tee, verabschiedete er sich von dem spießbürgerlichen Familienidyll und suchte für den Rest des Abends das Weite.

Er besuchte zum ersten Mal Eric’s Club, einen neu eröffneten Schuppen, der direkt gegenüber dem mittlerweile geschlossenen, nun schon legendären Cavern Club lag. Und John Birt brauchte nicht lange an diesem späten Abend des Weihnachtstages 1974, um – während man ‚The Air that I breathe’ von den Hollies spielte - herauszufinden, dass es in diesem Laden alles gab, was er sich so wünschte: Heiße Bräute, leckere Drinks und astreinen Pot!

Ein Glück, dass er aufgrund der beengten Platzverhältnisse bei seinen Eltern ein Hotelzimmer bezogen hatte…

 

Sydney/San Clemente, Weihnachten 1974…

 

Im sommerlich-heißen Australien stand David Frost für die Moderation der Show ‚Die größten Entfesselungs-Künstler’ vor der Kamera. Während er in der Sonne Sydneys schwitzte, sprach in Kalifornien Swifty Lazar mit Richard Nixon, der sich in seinem Anwesen ‚La Casa Pacifica’ von seiner Krankheit erholte, und machte ihm deutlich, dass man von einer Interview-Zusage bei Frost größere Vorteile hätte, und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Dieser Frost war laut Lazars Informationen ein völlig unerfahrener Mann hinsichtlich ernsthafter Polit-Gespräche, daher leicht zu lenken und für Nixon würde das Ganze ein Spaziergang sein, mit dem er sich die Zuneigung und das Vertrauen des amerikanischen Volkes wieder würde aneignen können. Diese Aussicht – und die auf eine Gage von mindestens einer halben Million Dollar – war letztendlich ausschlaggebend dafür, dass Nixon diesem Ansinnen seine Zustimmung erteilte.

Das Telefon läutete mitten in der Nacht und ein verschlafener, verschwitzter David Frost tastete nach dem Hörer und nahm ab. Neben ihm räkelte sich die hübsche junge Maskenbildnerin aus seiner Show, doch als Swifty Lazar sich am anderen Ende der Leitung meldete, war das Betthäschen für Frost vergessen und er war plötzlich hellwach! Nixon hatte sein Einverständnis für ein exklusives Interview gegeben! David Frost konnte sein Glück kaum fassen. Was für ein fettes, fettes Weihnachtsgeschenk!

Dies alles bedurfte einiges an Vorbereitung, so viel war Frost klar. Einfach mal locker hineinspazieren, so wie er es zuvor in ‚Frost over England’ bei seinen Studiogästen John Lennon und Yoko Ono gemacht hatte, würde mit Nixon wohl nicht so gut funktionieren. Er musste sich gemeinsam mit John Birt eine Strategie zurechtlegen und - was viel wichtiger war – er musste sechshunderttausend Dollar zusammenkratzen! So viel hatte ihm Swifty Lazar mittlerweile aus den Rippen geleiert und davon waren zweihunderttausend als Anzahlung fällig, sobald er sich mit Nixon das erste Mal treffen würde.

 

London, Anfang 1975…

 

John Birt bekam fast eine Herzattacke, als er den Preis für das Interview von David mitgeteilt bekam: „Bist du eigentlich des Wahnsinns? Sechshunderttausend Dollar für einen Mann hinzublättern, der bei seinen eigenen Landsleuten unten durch ist? Und du machst das alte Wrack damit wieder flott! David, du bist ein Idiot! Woher willst du soviel Geld hernehmen?“

„Ach, das wird schon. Nur mit den Zweihunderttausend die gleich fällig sind, damit könnte es ein bisschen eng werden. Ist erst einmal bekannt, was wir vorhaben und wie das alles laufen wird, bekommen wir die restliche Kohle schon zusammen.“

„Soll ich dir mal was sagen? Kein Mensch wird dafür Geld ausgeben wollen! Du wirst mit Pauken und Trompeten untergehen.“

„Wetten, dass nicht?“

Ein skeptischer John fuhr sich mit den Händen durch die grauen Haare: „Wen willst du anpumpen? Wie viel kannst du persönlich locker machen?“

„So viel, dass es für uns beide für einen Flug erster Klasse nach Los Angeles reicht sowie dafür, in einem erstklassigen Hotel für ein paar Wochen oder auch Monate – je nach Aufwand - unterzukommen.“

„Fantastisch! Und wer bezahlt den Rest?“

„Du streckst ein bisschen was vor, ich werde einige Bettelbriefe schreiben, schätze ich mal, und dann werden wir uns einen Sender in den USA suchen, der ganz heiß darauf ist, das mit uns gemeinsam durchzuziehen.“

„Ich finde das sehr blauäugig von dir, David. Ich stecke mitten in meiner Scheidung, ich habe keine Ahnung, was ich für Jane und die Kinder demnächst werde zahlen müssen.“

David Frost grinste sein typisches sorgloses Grinsen und antwortete: „Blaue Augen hast doch du, mein Freund! Komm schon, ich weiß, dass du Aktienpakete hast, du hast Anteile an LWT, und das nicht mal zu knapp, wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf.“

„Ich weiß zwar nicht, wer solche Gerüchte in die Welt setzt, aber ich sehe mal, was sich machen lässt. Nur eines kann ich dir versichern: Wenn ich nicht alles auf den Penny genau zurückerhalte, und nach Möglichkeit noch zusätzlich etwas dabei herausspringt, jage ich dich nackt auf den Ayers Rock in deinem gottverdammten Australien.“

 

Das Scheidungsrecht in Großbritannien war zwar 1969 einer Reform unterzogen worden, dennoch konnte eine Ehe nur dann rechtskräftig vor Ablauf einer Trennung von mindestens zwei Jahren geschieden werden, wenn entweder Ehebruch, böswilliges Verlassen, oder völlige Zerrüttung meist in Zusammenhang mit unzumutbarem Verhalten eines Ehepartners vorlag. John musste also vor Gericht in den sauren Apfel beißen und die Schuld auf sich nehmen, er gab dabei mit versteinertem Gesichtsausdruck Ehebruch zu Protokoll.

Es war klar, dass er sich damit eine Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt für Jane auflud. Dass er weiterhin für seine Kinder finanziell aufkommen würde, stand selbstverständlich außer Frage.

Der Familienrichter sah es somit als gegeben an, dass die Ehe aus diesem Grund geschieden werden konnte. Das Scheidungsurteil wurde überraschend schnell ausgesprochen, und John Birt war noch vor Ostern des Jahres 1975 ein freier Mann.

Zuerst war er verwirrt, weil es sich gar nicht anders anfühlte. Er verließ das Gerichtsgebäude und hatte sogar noch seinen Ehering am Finger. Da er als schuldig geschieden worden war, hatte Jane das Recht, die Kinder zu sich zu nehmen. Ihm war ein Besuchsrecht für Urlaube und Ferienzeiten eingeräumt worden.

Es war John klar, dass Jane die beiden fürs Erste mit nach Amerika nehmen würde. Sie würde sich nun erst einmal in die Arme ihrer Eltern flüchten und sich dort etliche Zeit bemitleiden lassen.

Da er aber vermutlich in Kürze auch mit David viel Zeit in den Staaten verbringen würde, war ihm das sogar lieber, als wenn die Kinder in England geblieben wären. Es war einfacher für ihn, mal schnell zwischen Los Angeles und Washington hin und her zu jetten, als immer zurück nach London zu müssen.

Erst am Abend sackte die Erkenntnis in ihm durch, dass er nun wieder auf dem freien Markt verfügbar war und er wurde darüber so euphorisch, dass er natürlich auf die Piste ging. Dieser Tag musste doch irgendwie gefeiert werden!

Bevor er sich nach Soho aufmachte, zog er langsam und bedächtig seinen Ehering vom Finger und legte ihn in eine Schmuckschachtel zu den Manschettenknöpfen, die er von seinem Großvater geerbt hatte.

 

Zum Kapitel gehört der Song "The Air that I breathe" von den Hollies: https://youtu.be/_gSJFZhJY2M

7. Mean old World

 

Im Marquee-Club spielte die Stan Webb Band, das war ganz okay, ehrlicher Blues-Rock war nicht zu verachten. Und Stan Webb war immerhin durch eine ehemalige Sängerin von ihm mit Fleetwood Mac verbandelt, auch nicht schlecht.

Er wusste, sobald er mit Frost an der Nixon-Sache arbeiten würde, war es endgültig vorbei mit solchen Absackern in die Tiefen der bunten Siebziger. Vielleicht konnte man ab und zu mal noch ordentlich Einen heben, und auch die Damenwelt würde er nicht außer Acht lassen, schließlich war er nun ein freier Mann, aber sich einen Joint reinziehen – es war wohl an diesem Abend eine der letzten Gelegenheiten.

Damit er nicht wieder blöd angegafft werden würde, hatte er wohlweislich eine ausgewaschene Jeans angezogen sowie ein sehr buntes Hemd mit schreiendem Muster, darüber trug er eine braune Lederjacke, die mittlerweile ein wenig am Bäuchlein spannte. Da er aber im Marquee-Club Stammgast war, fiel sein äußeres Erscheinungsbild dort nicht zu sehr ins Gewicht. Er tat es eigentlich mehr für sich selbst, für sein Ego und wohl auch weil er eine gewisse Wirkung auf das weibliche Geschlecht erzielen wollte.    

Er bekam kurz nach seinem Erscheinen dort prompt von Steve ein kleines Päckchen in die Jackentasche gesteckt, worauf er diesem einen Zehnpfundschein in die Hand drückte.

Doch zuerst bestellte er sich einen Drink und schaute sich um, wer denn alles an bekannten Gesichtern so da war.

Dieses Mal war keine Kiki Dee anwesend, sie machte derzeit wohl einiges gemeinsam mit Paradiesvogel Elton John.

Dafür sichtete er David Paton und Alan Parsons. Dass die beiden dort herumschwirrten, verwunderte John gerade ein wenig, denn sie hatten derzeit mit ‚January’ als Gruppe Pilot einen Riesenhit in den Charts. Nun ja, Parsons war ohnehin nur der Produzent davon.

John hatte den ersten Drink intus und baute sich den Joint, wie immer auf dem Klo des Marquee-Clubs.

Er genoss es, diesen voll bewusst anzuzünden, zu rauchen, zu inhalieren, er bekam auch keine plötzlichen Flashs davon, sondern bei ihm trat die Wirkung immer erst nach und nach ein.

Daher war es kaum verwunderlich, dass er seinen eingefahrenen Verhaltensmustern treu blieb und den Damen tief in die Augen blickte, da diese in seinem durch den Pot leicht erweiterten Bewusstsein immer wundervoll ausdrucksvolle Augen hatten.

Der zweite Drink half auch die letzte Hemmschwelle zu überwinden und er musterte eine sexy Schwarzhaarige mit eindeutigem Blick.

„Hi. Bist du zum ersten Mal hier?“

„Ebenfalls hi. Nein, und du?“

„Eigentlich bin ich oft hier, aber ich hatte im letzten Jahr sehr viel zu tun und kam deswegen nur noch selten im Marquee vorbei.“

„Aha. Viel zu tun im Beruf?“

„Ja, in erster Linie.”

“Was arbeitest du?”

Es kam sein Standardsatz, von dem er wusste, dass er immer große Wirkung erzielte: „Och, ich arbeite beim Fernsehen.“

Doch seine Antwort erzielte dieses Mal eine ganz andere Wirkung, als er erwartet hatte, denn sie warf ihr schwarzes Haar zurück und lachte laut los: „Ach nein! Und du denkst nun, dass ich dir jetzt bewundernd zu Füßen sinke und dich anhimmele?“

Er war leicht perplex, fing tatsächlich zu stottern an: „Ähm… nein… also, natürlich nicht.“

„Gehst du mit dem Spruch immer auf Hasenjagd?“

Er fühlte sich regelrecht ertappt und bloßgestellt und schüttelte den Kopf: „Es stimmt, ich arbeite wirklich beim Fernsehen, bei LWT.“

„Okay, okay. Du musst dich nicht verrenken, sag einfach rund heraus, was du willst. Ich bin für alles offen.“

Sein bekifftes Gehirn brauchte einen Moment, um zu erfassen, was die Maus damit hatte sagen wollen. Würde das wirklich so unkompliziert ablaufen wie sie gerade angedeutet hatte? Sollte er einfach sagen, dass er auf Sex aus war? Oder hatte er sie doch irgendwie missverstanden? Er zögerte.

Daher ergriff sie weiter munter die Initiative: „Was ist, Fernsehmann? Hat es dir die Sprache verschlagen? Oder bist du nicht gewohnt, dass eine Frau den Ton angibt?“

Und wie um ihren Worte durch Taten noch mehr Aussagekraft zu verleihen, fuhr sie mit der Hand über seine Jeans, vom Oberschenkel seines linken Beines bis zum Schritt und drückte dort ein wenig zu.

„Na, das ist ja schon mal ein Anfang. Sagst du jetzt auch mal was?“

Er schluckte und lächelte ungewohnt nervös: „Schon gut, ich habe es kapiert. Wo gehen wir hin?“

„Wenn du dich traust, dann in meine Bude.“

Diese Frau war ihm nicht ganz geheuer, sie ging unglaublich forsch und aggressiv vor. Aber es war mal etwas anderes, es machte ihn neugierig und auch ziemlich scharf, um ehrlich zu sein.

So etwas in der Art hatte er bereits geahnt, aber es wurde ihm erst richtig bewusst – sofern man das in seinem bekifften Zustand überhaupt so sagen konnte – dass er an eine leicht sadistisch veranlagte Lady geraten war, die mehr als nur die Hosen anhatte, als er ihre Wohnung betrat.

Der gerauchte Joint war dafür verantwortlich, dass er nicht alles vollständig mitkriegte, was vielleicht auch ganz gut so war.

Jacquelyn, so ihr Name, fuhr so einiges an Spielzeug auf, unter anderem hatte sie offensichtlich großes Vergnügen daran, ihn mit heißem Kerzenwachs ein wenig zu malträtieren. Das fand John weniger angenehm, da er über reichlich Brust- und Bauchbehaarung verfügte und das Wachs dort einigen Schaden anrichtete.

Es törnte ihn hingegen total an, dass sie es sich selbst mit einem pechschwarzen Vibrator besorgte, doch sie ließ ihn nicht zum Zuge kommen, sondern band ihm die Augen zu und fügte ihm erneut einen gezielten Schmerz zu, indem sie ihm mit langen, spitzen Fingernägeln den Rücken zerkratze. Dadurch verflüchtigte sich für einige Zeit seine Erektion, ebenso sein vorheriges Hochgefühl und er holte scharf Luft. Jacquelyn wusste aber, wie sich das Ganze noch ein wenig steigern ließ und band ihn mit Lederbändern geschickt ziemlich fest ab. John stöhnte auf, verdammte Scheiße, das hatte er ja echt noch nicht gehabt! Oder doch – in einem billigen Pornofilmchen, das er vor Urzeiten einmal in einem einschlägigen Kino angeschaut hatte.

Durch das Abgebundensein dauerte es, bis er endlich kam, dann aber so heftig, wie er es noch niemals zuvor erlebt hatte. Da die Dame wohl Erfahrung auf diesem Gebiet hatte, bekam er den Mund mit einem dicken Klebeband zugeklebt, um seine Schreie zu dämpfen. Dieses raffinierte, sadistische Luder!

Es wunderte ihn, dass er noch aufrecht nach Hause gehen konnte. Nach seinem Dafürhalten wäre es viel wahrscheinlicher gewesen, dass er auf allen Vieren hätte kriechen müssen, so durch die Mangel gedreht wie er sich fühlte.

Er trank eine ganze Flasche Mineralwasser und warf sich dann erschöpft auf sein Bett. Mann oh Mann! Nie mehr wieder eine Amateur-Domina, das schwor er sich gerade.

Am nächsten Morgen wurde – von den blöden Nachwirkungen der Droge einmal abgesehen - das ganze Ausmaß des Stelldicheins mit der sadistischen Jacquelyn erst richtig deutlich: Er hatte leichte, fleckig-runde Verbrennungen auf der Haut, außerdem war seine Behaarung stellenweise weg, was sehr merkwürdig aussah, auf dem Rücken waren teils blutige, nun bereits leicht verkrustete Kratzspuren zu sehen, und sein bestes Stück war hochempfindlich und wies ein paar unschöne Druckstellen auf.

Dieses verfluchte Weibsstück! Er hätte es sich doch denken können, sowohl von ihrem Äußeren als auch von ihrem Verhalten her. Aber der Joint hatte ihn benebelt und seinen klaren Blick für derlei Dinge wohl getrübt.

Eines allerdings musste er zugeben: Er hatte den Orgasmus seines Lebens gehabt, daran gab es nichts zu rütteln!

Dennoch entschied er für sich, dass er derlei abgefahrenen Kram nicht mehr haben wollte. Sex war wirklich etwas Wundervolles, aber es musste einfach mit Harmonie und Genuss auf beiden Seiten verbunden sein, sonst war es nicht sonderlich erstrebenswert.

John wollte lieber ohne Betthäschen sein, als noch einmal durch eine derartig extreme Erfahrung zu gehen.

Außerdem würde er in nächster Zeit für die Damenwelt wenig Zeit haben, da David ihn drängte, mit ihm nach Kalifornien zu fliegen. Und den Drogen sagte er damit auch Lebewohl. Er hatte die Dreißig nun überschritten und merkte auch, dass er für diese Art von Exzessen langsam zu alt wurde.

Noch ziemlich kaputt kam er im Sender an, nahm den Telefonhörer auf und rief David Frost an: „So, dann machen wir beide mal Nägel mit Köpfen. Ich verkaufe meine Anteile an LWT und kann dir voraussichtlich hundertfünfzigtausend Dollar vorstrecken. Was sagst du?“

Am anderen Ende der Leitung war David Frost sehr überrascht: „Wow! Ich bin beeindruckt. Danke, du bist ein wahrer Freund.“

„Außerdem darfst du mir gratulieren, ich bin seit gestern geschieden.“

„Gratulieren ist da wohl nicht so ganz angebracht. Ich finde es nach wie vor schade. Aber für dich ist es anscheinend die beste Lösung. Ich hoffe, du hast nun den Kopf frei für unser Projekt. Und - hast du deine Wiederaufnahme in die Reihen der Junggesellen ordentlich gefeiert?“

„Frag nicht, David. Ich habe gefeiert, aber selbst dir kann ich die Details unmöglich zumuten. Wann fliegen wir?“

„Ich mache mit Lazar einen Termin aus. So schnell wie möglich, ja?“

„Ja, das wäre mir recht. Bye, David.“

„Bye, mein Freund.“

Aufseufzend ließ John Birt sich in seinen Schreibtischstuhl fallen, verzog aber sofort schmerzhaft das Gesicht, denn sein verkratzter Rücken tat ihm ganz schön weh.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Mean old World" von Christine Perfect and the Chicken Shacks: https://youtu.be/2NKJBiTTB3A

8. Flying through the Air

 

London/an Bord eines Jumbo-Jets Transatlantik, Herbst 1975…

 

Es dauerte länger als gedacht, bis der Termin bei Nixon zustande kam. Den Terminkalender des Ex-Präsidenten mit denen von David Frost und John Birt aufeinander abzustimmen, hatte sich als schwieriger als angenommen herausgestellt. Dann aber endlich hatte David einen Anruf von Lazar bekommen und war daraufhin sofort mit Hochdruck an die Reisevorbereitungen gegangen.

Die beiden Männer stiegen aus dem Auto vor dem Flughafen London-Heathrow und gingen zum Schalter, um für den Transatlantik-Flug erster Klasse einzuchecken.

David Frost wurde beim Gang durch das Terminal mindestens drei Mal von Leuten angesprochen und angehalten, um diesen Personen ein Autogramm zu geben. John schüttelte insgeheim den Kopf. Bei David ging es schlimmer zu als derzeit bei den Bay City Rollers, echt.

Er hatte nach wie vor Bedenken hinsichtlich des gesamten Projektes. David war zwar bekannt wie der sprichwörtlich bunte Hund, dies aber nicht gerade wegen ernsthaften, investigativen Journalismus’. John wusste, wenn man mit diesen Interviews Erfolg haben wollte, dann musste ein Team von Fachleuten David zur Seite stehen. Er hatte sich erkundigt und mit zwei Männern Kontakt aufgenommen, die sich bereits während der Amtszeit Nixons öffentlich gegen ihn ausgesprochen, ihn kritisiert hatten. Dabei handelte es sich zum einen um den ehemaligen Produzenten der ABC-News, Bob Zelnick, und zum anderen um den Dozenten für Literatur an der Universität von North Carolina und Schriftsteller, James Reston junior.

Wenn man nicht über eine solide Informationsbasis verfügen würde, würde vermutlich Nixon als Triumphator aus diesem Interview, beziehungsweise dieser Serie von Interviews, hervorgehen.

Also musste man sich Experten heranholen, Leute, die jeden Stein auf dem Nixon gelaufen war, umdrehen würden.

Und John ahnte, im Gegensatz zu dem stets optimistischen David, dass die großen US-Sender ihn mit seiner Anfrage nach Ausstrahlung der Interviews wohl kaum mit offenen Armen empfangen würden, aber er sagte erst einmal nichts. Es gab Dinge, die musste David einfach selbst herausfinden, er musste selbst erleben wie es war, wenn man eine Abfuhr erteilt bekam.

Zwei Briten und zwei US-Amerikaner würden also gemeinsam recherchieren und versuchen, Nixon dazu zu bringen, so etwas wie ein Schuldeingeständnis abzugeben. Wie die Zusammenarbeit sein würde und ob das letztendlich gelingen würde, musste sich weisen.

Auf Nixons Seite hatte man es vor allem mit dessen Stabschef, Jack Brennan, einem hoch dekorierten und verdienten Offizier der US-Marines aus dem Vietnam-Krieg, zu tun. Er war die rechte Hand Nixons, koordinierte seine Termine und war sein engster Berater. Der Zugang zu Nixon lief ab diesem Zeitpunkt eigentlich ausschließlich über Brennan.

Über all diesen Gedanken schlief John Birt, hingestreckt in seinem First-Class-Sitz am Fenster im Passagierdeck eines Jumbo Jets über dem Atlantik, endlich ein. Er musste frisch und ausgeruht sein, wenn er in den Staaten ankam.

Während John den Schlaf des Gerechten schlief, war David ungewohnt unruhig. Er tat äußerlich zwar immer sehr gelassen, doch kaum jemand ahnte, dass es oftmals in ihm drinnen ganz anders aussah.

Er stand von seinem Sitz am Gang neben John auf und dabei fiel sein Blick auf die Reihe jenseits des Tisches im großzügig bemessenen Mittelgang, wo eine reizende junge Dame gerade den ihn von einer Stewardess angebotenen Champagner dankend ablehnte. Die Dame vertiefte sich wieder in die Lektüre ihres Buches, doch sein Interesse war geweckt, denn die Lady sah wahrlich nicht schlecht aus.

„Wie – Sie trinken keinen Champagner?“

„Nicht in Flugzeugen.“

„Ah, verstehe. Wegen der Dehydrierung. Nun, der Trick dabei ist, ein Glas Wasser zusätzlich zu trinken. So, wie die Wiener es mit ihrem Kaffee machen.“

„Ich war noch niemals in Wien.“

„Sie sollten dort mal hin, es ist wunderschön und würde Ihnen gefallen. So ähnlich wie Paris, nur ohne die ganzen Franzosen.“

Die Frau lachte nun und blickte ihn offen an

„Wie heißen Sie?“

„Caroline.“

Er reichte ihr seine Hand: „David.“

„Ja, ich weiß. David Frost“, sie parodierte ihn, „hallo, guten Abend und Willkommen!“

Es war ihm unangenehm, da er dies so oft von Fans gesagt bekam, und es war nicht einmal richtig, denn er sagte es so gar nicht, nur immer in Varianten mit zweien dieser Begriffe.

Sie führten ihre Unterhaltung auf dem Oberdeck an der Bar weiter, damit man unten die schlafenden Passagiere, darunter John, nicht stören würde.

Es wurde mehr und mehr zu einem Flirt, ohne Zweifel. Was ihn richtig anbeißen ließ, war ihre Feststellung, dass er so traurige Augen hätte. Das hatte wahrlich noch niemals eine Frau zu ihm gesagt, denn es entsprach überhaupt nicht dem äußeren Bild, das er üblicherweise abgab; es deckte sich ganz und gar nicht mit seinem Image als Strahlemann, aber die Tatsache, dass Caroline anscheinend bereits in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft in ihn hineinzublicken vermochte, fand David irgendwie faszinierend.

John Birt erwachte und rieb sich die Augen. Als er sich seine Brille aufsetzte, sah er über seine Schultern nach hinten blickend, dass David von oben aus der Bar in Begleitung einer hübschen jungen Dame kam. Scheiße! Er hätte es wissen müssen! Wenn man gemeinsam mit David Frost reiste, durfte man keine einzige Sekunde der Reisezeit schlafen, sonst hatte man das Nachsehen bei der Damenwelt! Sie war ihm schon aufgefallen, bevor er eingeschlafen war, während David sich noch dem Studium der neuesten Tageszeitungen und dem genussvollen Rauchen einer Zigarre gewidmet hatte. Und nun hatte er sie abgeschleppt und damit hatte sich der Fall für ihn, John, erledigt. Verdammter Mistkerl!

David geleitete Caroline zu ihrem Sitz am Fenster.

Sie fragte: „Und was ist mit Ihnen? Was machen Sie in Kalifornien?“

„Ich treffe mich mit Richard Nixon.“

„Wirklich? Man sagt von ihm, dass er einen dicken Kopf habe, aber auch eine sehr sexy Stimme. Wo ist er jetzt? Hat er sich in eine Höhle vergraben, um seine Wunden zu lecken?“

„Oh nein. Er sitzt in seiner Strandvilla in Kalifornien.“

„Echt? Richard Nixon hat eine Strandvilla, ist ja irre.“

„Sie können mich dorthin begleiten, wenn Sie möchten.“

„Und Nixon treffen?“

„Warum nicht?“

„Sind Sie sicher?“

Er nickte.

„Wissen Sie was? Das würde ich liebend gerne tun!“

„Nun, dann wird mein Büro Sie als Erstes morgen früh anrufen. Ich schicke dann einen Wagen – mit Autotelefon!“

Mit ungläubigem Gesichtsausdruck hatte John Birt einen Großteil der Konversation zwischen David und dieser jungen Frau mit angehört. Er fasste es nicht! Riss der doch tatsächlich schon auf dem Flug in die Staaten eine Braut auf! Und – eine, auf die er zuvor ein Auge geworfen hatte! Nun, wer zu spät kam, den bestrafte das Leben. Und wer seine Chance verpennte, dem ging es ebenso. Warum war er bloß so scheißmüde gewesen!

Er hatte einige Male mit seiner Ex-Frau und den Kindern telefoniert und sie waren übereingekommen, dass er später auf dem Rückflug von Kalifornien einen Stopp in Washington einlegen würde, um sie zu besuchen. Darauf freute er sich schon. Seitdem er nicht mehr ständig von der Familie umringt war, nicht mehr förmlich dauernd von ihnen erdrückt wurde, hatte er einen leichteren Umgang mit ihnen und einen besseren Zugang zu ihnen gefunden. Es war alles nicht mehr diesem furchtbaren Zwang unterlegen, der ihm früher immer die Luft zum Atmen abgeschnürt hatte.

Seine Eskapaden mit Frauen hatten sich seit der Erfahrung mit ‚Black Jacquelyn’, wie er sie für sich nannte, sehr in Grenzen gehalten, auch weil ihm die Arbeit nicht viel Spielraum gelassen hatte. Und dabei hatte er es auch belassen, bis er die reizende Mitpassagierin, nun bekannt als Caroline Cushing, ins Auge gefasst hatte. Aber das Thema konnte er ja jetzt auch abhaken.

Er grollte David deswegen ein wenig.

 

Los Angeles, im Herbst 1975…

 

Daher empfand er auch erst einmal so etwas wie Genugtuung, als David sich die ersten Absagen der großen US-Fernsehstationen einhandelte. Er hatte es ihm gleich gesagt, aber der große Zampano hatte ja nicht hören wollen! Geschah ihm vollkommen recht!

Andererseits war es dem gesamten Projekt natürlich nicht zuträglich, dass kein US-Sender an der Eigenvermarktung von David Frosts Nixon Interviews interessiert war. Das ganze investierte Geld würde den Bach runtergehen und David und er würden finanziell gesehen ruiniert sein. Von Ruf und Ansehen erst gar nicht zu reden.

Er und David handelten mit Anwälten und Beratern von beiden Seiten Verträge aus; Verträge, deren Inhalte nur dem engsten Kreis vertraut waren. David alleine durfte bestimmen, wie die Interviews letztendlich zusammengeschnitten und mit welchen Inhalten sie überwiegend präsentiert wurden. Falls finanziell dabei etwas rumkommen würde, erhielt aber Nixon zusätzlich zu den vereinbarten sechshunderttausend Dollar noch zehn Prozent dieser Gewinne. Da aber nicht einmal sicher war, ob man die Interviews überhaupt vermarkten würde können, stand diese Option zunächst nicht groß zur Diskussion. Man würde froh sein müssen, wenn man überhaupt kostendeckend würde arbeiten können.

Dann endlich war der Moment gekommen, wo sie zu dritt Nixon persönlich gegenübertraten, in dessen Villa ‚Casa Pacifica’ in San Clemente, Kalifornien: John, David und Caroline, inzwischen Davids feste Freundin.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Flying through the Air" von Oliver Onions: https://youtu.be/anJRvamOpLY

9. California Dreaming

 

Sie wollten es alle drei nicht voreinander zugeben, aber Nixon hatte einen großen Eindruck bei ihnen hinterlassen. Er war trotz seiner Fehler, seiner Vergehen ein charismatischer Mann, ohne Frage.

Als David sein Scheckbuch zückte und den Scheck über zweihunderttausend Dollar ausstellte, wechselte er einen langen Blick mit John.

Es war zu etwa drei Vierteln Johns Geld, das David da gerade ausgab. In seinem Blick lag daher sehr viel: Dankbarkeit in erster Linie, aber auch Zweifel, Unsicherheit, und ein Fünkchen Panik sah John in Davids Augen aufglimmen. Es gab nun kein Zurück mehr. Die Lawine war ins Rollen geraten und man musste versuchen, das Beste daraus zu machen.

Schenkte man den Aussagen des Ex-Präsidenten Glauben, dann würde das Rededuell zwischen ihm und David Frost mit knallharten Bandagen geführt werden. Was immer auch Nixon darunter verstand, die Fraktion von David durfte ihn keinesfalls unterschätzen. Wenn Nixon knallharte Bandagen ankündigte, dann musste man vorbereitet sein und mit ebensolchen knallharten Bandagen zurückschlagen können. Es würde die Aufgabe von John, James und Bob sein, David entsprechend zu instruieren, ihn zu coachen.

Der Zeitrahmen war großzügig bemessen, es würde ohnehin dauern, bis Frost mehr Investoren und vor allem Sender gefunden hatte, die bereit waren, in das Projekt Geld und Arbeit hineinzustecken.

All seine Vorstöße bei CBS, NBC und ABC waren ja höflich, aber bestimmt abgeschmettert worden.

Vor Ablauf eines Jahres würde sich also nicht viel tun, außer, dass man akribisch recherchieren musste.

Außerdem hatte David ja auch noch seine anderen Shows, vor allem ‚Frost über Australien’ und ‚Frost über England’, am Laufen.

Jeder von ihnen ging mit einer anderen Intention, mit anderen Zielen in das Interview-Projekt hinein.

David wollte Ruhm und Anerkennung, er war sehr ehrgeizig und hatte es als ziemlichen Schlag ins Gesicht und als Prestigeverlust empfunden, dass man ihm vor Jahren seine Show in den USA abgesetzt hatte. Er hoffte, sich über großartige Quoten bei den Interviews wieder ins Gedächtnis der US-TV-Landschaft, deren Macher und des Publikums zurückrufen zu können. Er hatte zu John gesagt, dass man im Showgeschäft nur ein kleines Lichtchen war, sofern man nicht in den USA auf der Straße erkannt wurde.

Nixon sah die Interviews als die große Chance, sich zu rehabilitieren, die Gunst der Bevölkerung zurückzugewinnen und sowohl politisch als auch beruflich wieder Fuß fassen zu können. Er wollte nicht länger mit Brennan an seiner Seite durch die Provinz tingeln und bei der Jahreshauptversammlung der Kieferorthopädischen Vereinigung irgendwelche abgedroschenen Anekdoten aus seiner Präsidentschaft für ein paar lumpige Dollar zum Besten geben müssen. Vor allem hatte er – ähnlich wie übrigens auch Frost - erkannt, dass man mit dem Medium Fernsehen wesentlich mehr Leute erreichen konnte, wesentlich besser wahrgenommen wurde, als beispielsweise mit der Veröffentlichung eines Buches.

Bob Zelnick würde zum Team von Frost stoßen, weil er neugierig darauf war, was man Nixon alles würde entlocken können und was nicht. Er hatte, wie viele andere Journalisten auch, dem Watergate-Skandal fassungslos gegenüber gestanden und wollte nun gerne einen Beitrag dazu leisten, noch mehr Hintergründe aufzudecken. Er war nicht in erster Linie darauf aus, Nixon so etwas wie ein Geständnis abzuringen, das hielt er für recht utopisch, aber er wollte es ihm gerne ein wenig ungemütlich machen.

James Reston hatte die klarste Zielsetzung von allen vor Augen, und dies war es auch, was ihn sofort beim ersten Zusammentreffen mit David Frost zusammenrasseln ließ: Er war der Radikalste in seinen Ansichten und seiner Meinung nach hätte Nixon vor ein Gericht gestellt werden müssen. Er wollte, dass Frost ihn zu einem Schuldeingeständnis brachte. Alles andere war nebensächlich in Restons Augen.

John selbst hatte wohl die am wenigsten klar umrissenen Vorstellungen, für ihn war vor allem wichtig, dass man die Sache nicht komplett in den Sand setzen würde. Und er freute sich darauf, einmal etwas ganz anderes machen zu können, einmal weit weg vom üblichen Geschäft ein außergewöhnliches Projekt durchziehen zu können.

Das motivierte ihn am meisten, er hatte sich seit Jahren gewünscht, dem Alltagstrott entkommen zu können. Mit der Lösung von den familiären Bindungen und Verpflichtungen hatte es begonnen, sich darin fortgesetzt, dass er seine Anteile an LWT verkauft hatte und nun saß er in Kalifornien, arbeitete mit den drei anderen Jungs an einem recht abenteuerlichen Unterfangen und wusste nicht, wie es danach mit ihm überhaupt weitergehen würde. Und merkwürdigerweise machte ihm diese Ungewissheit gar nichts aus.

Im Gegenteil, bereits nach den ersten Sondierungsgesprächen, sowohl dem Treffen mit Nixon, als auch den ganzen vertraglichen Vereinbarungen, und dem Rekrutieren von Zelnick und Reston, fühlte sich John Birt außerordentlich gut.

 

Washington, Winter 1975…

 

Es machte ihm plötzlich nicht das Geringste aus, in Washington mit Jane und den Kindern zusammenzutreffen. Beschwingt stieg er aus dem Taxi vor dem Haus seiner Schwiegereltern und schloss fröhlich seine Kinder in die Arme.

„Na, ihr Racker. Ich muss sagen, ihr seid unglaublich gewachsen. Eliza, du wirst langsam eine junge Dame, und dass ich Jonathan mal ohne seinen geliebten Schnuller sehen würde, hätte ich nicht gedacht.“

Jane Birt staunte nicht schlecht, fast war ihr, als hätte sie einen ganz anderen Mann vor sich: „John, haben sie dich einer Gehirnwäsche in Kalifornien unterzogen? Der CIA vielleicht, bevor du dich Nixon hast nähern dürfen? Du kommst mir richtig fremd vor.“

„Hallo Jane.“ Er beugte sich mit Jonathan auf dem Arm vor und küsste sie tatsächlich auf die Wange, eine Geste, die sie fast völlig aus der Fassung brachte.

„Ähm… komm doch rein, Mum und Dad wollen dir auch Guten Tag sagen, außerdem ist es kalt hier draußen.“

Er lächelte: „Ja, deutlich kälter als da, wo ich gerade herkomme.“

Er wurde höflich, aber leicht unterkühlt von seinen ehemaligen Schwiegereltern begrüßt, die Konversation mit ihnen lief leider nicht so flüssig. Es wurde ihm aber hoch angerechnet, dass er zum Thanksgiving-Dinner erschienen war, ein Fest von sehr hohem Stellenwert in amerikanischen Familien.

Die Unterhaltung bei Tisch drehte sich aber in erster Linie nur um das Vorhaben von David und John, wobei sein Schwiegervater keinen Hehl daraus machte, dass er der Sache eher skeptisch gegenüberstand: „Nun, ich denke nicht, dass es dir und deinem Freund gelingen wird, das alles im Alleingang durchzuziehen. Die amerikanischen Fernsehanstalten verstehen keinen Spaß und möchten sich nicht ins Handwerk pfuschen lassen. Nixon hatte ein Angebot von Mike Wallace und CBS und nun kommt ihr daher mit einem dicken Scheckbuch und wollt alles an euch reißen. Da muss man sich doch nicht wundern, wenn hier alle Stationen auf stur schalten und euch die kalte Schulter zeigen. Kannst du überhaupt noch für die Kinder aufkommen, nachdem du dein ganzes Geld für diese unsägliche Sache aus dem Fenster geworfen hast?“

John blieb erstaunlich ruhig, noch ein Jahr zuvor hätten ihn derartige Sprüche tierisch auf die Palme gebracht, und er hätte sich wahrscheinlich abends und nachts einen Ausgleich dazu suchen müssen, sich abreagieren müssen, vielleicht durch einen Joint und wilden Sex, aber die Zeiten hatten sich ein klein wenig geändert.

Mit seiner Scheidung war er ein ganzes Stück belastbarer und – auch wenn sich das zuerst paradox anhört - irgendwie insgesamt ausgeglichener geworden: „Es wird Eliza und dem Kleinen an nichts fehlen, keine Angst.“

„Ich bin beruhigt, das zu hören. Aber trotzdem finde ich das alles sehr risikoträchtig und ziemlich vermessen, um ehrlich zu sein.“

Jane vermittelte: „Dad, ich denke nicht, dass uns das etwas angeht. John ist in erster Linie hier, um die Kinder zu sehen und nicht damit er ständig an diese Interviews und was damit zusammenhängt erinnert wird.“

Es traf sie ein dankbarer Blick aus Johns blauen Augen, etwas, das sie jahrelang in ihrer Ehe mit ihm vermisst hatte.

Am Abend im Motel öffnete er sich eine Dose Bier und lehnte sich entspannt in seinem Bett zurück, um ein Baseballspiel im Fernsehen anzuschauen. Er freute sich auf zwei weitere Tage mit seinen Kindern, und er würde ihnen auch ihre Weihnachtsgeschenke gleich dalassen, bevor er wieder nach London zurückflog.

Der kurze Aufenthalt in Washington war beinahe wie Urlaub für John gewesen; wären seine reichlich reservierten ehemaligen Schwiegereltern nicht gewesen, hätte er sich richtig entspannen können. Er hatte es durchgestanden und nahm nun gerade seinen Sitz im Flugzeug ein, nachdem er sich kurz zuvor emotionaler als gedacht von Jane, Eliza und Jonathan am Flughafen verabschiedet hatte. 

 

Zum Kapitel gehört der Song "California Dreaming" von The Mamas and the Papas: https://youtu.be/N-aK6JnyFmk

10. Give a little Love

 

An Bord eines Jumbo-Jets Transatlantik, Winter 1975…

 

Als er gerade im Begriff war, sich festzuschnallen und mit dem Schloss ein wenig haderte, da es nicht so wollte wie er und er daher auch seinen Blick in völliger Konzentration auf die Sache vor sich geheftet hatte, zuckte er regelrecht zusammen, als er von einer eindeutig weiblichen Stimme angesprochen wurde: „Bevor Sie sich auf immer an diesen Sitz ketten, dürfte ich da vorher noch schnell meinen Fensterplatz neben Ihnen einnehmen?“

Er klemmte sich böse den Finger ein, da er überrascht aufgeblickt und nicht mehr auf die Technik geachtet hatte, ließ einen Ausruf des Schmerzes ertönen, steckte sich den gequetschten und an einer Stelle leicht blutenden Finger in den Mund und murmelte daher undeutlich: „T’schuldigung, aber… Moment, isch schtehe gleisch auf.“

Die Dame beugte sich vom Gang her über ihn, er roch sogleich ihr wunderbar sinnliches Parfum, was ihn gerade ein wenig aus dem Konzept brachte, und meinte mit einem Tonfall, der zwischen Spott und Mitleid zu liegen schien: „Soll ich vielleicht pusten?“

Ein Hauch von Röte zog wirklich und wahrhaftig über sein Gesicht, eine Reaktion, die er seit Jahren schon nicht mehr gezeigt hatte. 

Ihr Dekolletee war seinem Gesicht verboten nahe und der Duft ihres schweren Parfums brannte sich förmlich in sein Geruchszentrum ein. Er brachte ein schwaches Lächeln zustande und erhob sich umständlich aus dem Sitz. Nun erst wurde der Größenunterschied deutlich, sie war so zierlich und klein, dass sie ihm nicht einmal bis zur Schulter reichte.

„Bitte…“, er deutete auf den Platz am Fenster, fasste sich wieder ein wenig und begann, seinen Charme auszupacken, „und über die Sache mit dem Pusten können wir ja gleich noch einmal verhandeln.“

Die Dame schüttelte ihre braunen Haare, die sie in einem flotten Pagenschnitt trug, was ihn tatsächlich ein wenig an Prinz Eisenherz erinnerte, und antwortete: „Es tut mir leid, dass ich Ihre Verletzung nicht ernst genommen habe. Es war ein bisschen frech von mir.“

„Wissen Sie – mir sind freche Damen als Sitznachbar auf einem langen Flug lieber als welche, die acht Stunden lang nur unentwegt in ein Buch starren.“

„Oh, zahlen Sie mit gleicher Münze heim?“

John lächelte und hielt der Lady seinen verletzten Finger vor die Nase: „Doch lieber pusten?“

Sie musste lachen, nahm aber tapfer sein Handgelenk und spitzte die Lippen. Das war der Moment, wo es bei ihm in der Hose eng wurde. Scheiße! Er spürte ihren Atem über seinen gequetschten Finger streichen und hielt instinktiv die Luft an.

Ganz langsam ließ sie seinen Arm sinken und sagte: „Ich bin Lillian Chambers und mit wem darf ich diesen Flug Seite an Seite genießen?“

Er war baff, so außergewöhnlich drückte sich selten jemand aus. Vor allem schien sie ihrem Akzent nach Britin und keine Amerikanerin zu sein, ein weiterer Pluspunkt.

Er musste sich tatsächlich räuspern, auch weil er gerade mit nicht unerheblichen körperlichen Reaktionen zu kämpfen hatte, und stellte sich vor: „John Birt, sehr angenehm.“

Beide schienen auf irgendetwas zu warten, irgendeine Reaktion des Nachbarn, doch zunächst kam nichts und es entstand dieses peinliche Schweigen, stets von allen gefürchtet.

„Waren Sie beruflich oder zum Vergnügen in den Staaten?“

John hatte sich als Erster wieder im Griff.

„Beruflich. Es ist Winter und damit für mich Hochsaison. Ich trainiere teilweise in den USA, wegen der besseren Bedingungen dort.“

Sollte da etwas in ihm klingeln? War sie eine Skiläuferin? Unwahrscheinlich, Großbritannien verfügte kaum über Männer und Frauen, die diese Sportart professionell ausübten. Sie war klein und zierlich… Lillian Chambers? Die Eistänzerin! Oh mein Gott, natürlich!

Er grinste, er wusste nun etwas, von dem sie nicht ahnte, dass er es herausgefunden hatte. 

„Und Sie?“ hörte er sie nun fragen.

„Überwiegend beruflich, aber ich habe die letzten drei Tage mit meiner Familie Thanksgiving gefeiert.“

Sie schien ein klein wenig enttäuscht zu sein, eine Reaktion, die ihm ein nur schwer zu unterdrückendes Schmunzeln entlockte: „Oh, natürlich, Ihre Familie. Sie hören sich gar nicht an wie ein Amerikaner.“

„Ich bin ein treuer Untertan Ihrer Majestät, Queen Elizabeth der Zweiten. Und meine geschiedene Frau“, er betonte dies mehr als deutlich, „und unsere beiden Kinder leben seit einem Dreivierteljahr wieder hier, da sie aus den Staaten stammt.“

Er konnte in Lillian Chambers bereits jetzt schon lesen wie in einem offenen Buch, denn sie wandte ihm ihr Gesicht zu und ließ sich erleichtert vernehmen: „Ah, verstehe. Ich hoffe, Sie hatten angenehme Feiertage.“

„Ja, die hatte ich, danke.“

Der Jet war gestartet und in der Luft, da fragte sie: „Tut Ihr Finger noch weh?“

„Warum fragen Sie? Möchten Sie noch einmal pusten?“

„Wenn Sie gesteigerten Wert darauf legen, gerne. Ich fragte, um höflich zu sein und aus Interesse heraus.“

„Nun, er ist noch dran, der Finger, denn schließlich sind Sie mir ja nicht mit den Kufen Ihrer Schlittschuhe drübergesemmelt.“

Ihr Kopf schnellte ruckartig zu ihm herum: „Oh, Sie wussten, wer ich bin?“

„Nicht gleich, ich gebe es zu, aber der Groschen ist dann doch nach einer Weile bei mir gefallen. Trainieren Sie für die Olympischen Spiele in Innsbruck?“

„Ja. Der olympische Winter ist immer doppelt hart, völliger Wahnsinn.”

“Das glaube ich. Ich drücke Ihnen die Daumen.”

„Sehr nett von Ihnen. Mein Partner und ich können es gebrauchen, die Konkurrenz ist hart.“

„Sowjetunion?“

„Oh ja. Die haben so viele gute Eisläufer, ein Paar besser als das andere.”

„Und mit wem laufen Sie zusammen?“

„Mein Partner auf dem Eis“, und sie betonte dies in genau dem gleichen Tonfall wie er zuvor auf seine Scheidung hingewiesen hatte, „ist Bernhard Ford. Nun wissen Sie alles über mich und ich weiß nur, dass Sie ein geschiedener Mann sind und John heißen.“

„Reicht Ihnen das nicht?“

„Flirten Sie mit mir?“

„Ich denke schon.“

„Ich dachte es mir. Welchen Sinn und Zweck verfolgen Sie damit, John?“

Er neigte sich leicht zu ihr und raunte: „Einzig und allein, um herauszufinden, welches Parfum Sie benutzen, weil mich das von Anfang an total betört hat, Lillian.“

„Soll ich Ihnen die Marke nennen?“
“Nein, das wäre ein zu einfacher Sieg. Ich werde versuchen, es anderweitig herauszufinden.“

Ihr Herz fing an, etliche Takte schneller zu schlagen, der Mann hatte es ja gut vor und sie fand großen Gefallen an dem stattlichen, trotz seiner grauen Haare und einer Professorenbrille ungemein attraktiv aussehenden Mann im Sitz neben ihr: „Darauf bin ich sehr gespannt.“

John lächelte und erwiderte nichts darauf.

Sie hatten beide kein Interesse an dem Film, der während des Fluges gezeigt wurde, sie redeten und redeten, nur ganz kurz unterbrochen vom Essen. Niemals zuvor hatte John sich derart intensiv mit einer Frau unterhalten, zumindest konnte er sich nicht daran erinnern.

Es war teils belanglose Konversation, teils ging es um ernsthafte Themen und teils war es ein heftiger Flirt, wie während des Essens: „Möchten Sie etwas von meinem Schweinerückensteak probieren?“

Sie schaute ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen an und antwortete: „So wie Sie das gerade sagen, hört es sich unerhört unanständig an.“

John hätte sich beinahe an seinen grünen Bohnen verschluckt und musste husten.

Lillian klopfte ihm kräftig auf den Rücken: „Sie haben nicht gerade Ihren gesündesten Tag heute. Erst der Finger und nun das.“

„Danke, geht schon wieder. Also, ich meinte, ich biete Ihnen an, von meinem Essen zu probieren, wenn ich im Gegenzug ein Stück von Ihrem Fisch bekomme.“

„Wissen Sie was, John? Egal was Sie gerade sagen, es hört sich alles ziemlich anstößig an. Selbst wenn Sie mir nun das Londoner Telefonbuch vorlesen würden, würde ich es unglaublich… erotisierend finden.“

Er hielt inne mit dem Schneiden des Fleisches und fragte nach: „Ohne allzu neugierig zu erscheinen, aber ich muss Sie nun etwas sehr Indiskretes fragen: Haben Sie eine verborgene sadistische Ader in sich?“

Sie war sehr überrascht und schaute ihn mit dramatisch hochgezogenen Brauen an: „Ich? Wie kommen Sie denn darauf? Aber bitte: Nicht dass ich wüsste.“

Er seufzte erleichtert: „Gut. Ich habe mit so etwas nämlich sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Also, was Frauen betrifft, meine ich.“

„War Ihre Frau etwa so veranlagt?“

„Oh nein, zum Glück nicht. Es handelt sich um eine andere Geschichte.“

„Würden Sie mir diese erzählen?“

„Nur, wenn ich Sie in London wieder sehen darf.“

„Besuchen Sie mich doch in Innsbruck, zu den Spielen.“

„Mein Terminkalender wird das wahrscheinlich nicht zulassen. Ich muss bald wieder in die USA zurück, ich habe dort zu arbeiten.“

„Schade. Darf ich Ihnen nun ein Stück Fisch anbieten?“

Er lachte: „Es hört sich nicht minder unanständig an, wenn Sie das sagen.“

Sie hatte die Gabel bereits voll gemacht und hielt sie ihm vor den Mund: „Bitte.“

Er ließ sich bereitwillig mit diesem Happen von ihr füttern: „Mmh, exzellent.“

Dann piekste er ein Stück seines gegrillten Schweinefleisches auf seine Gabel und verfuhr umgekehrt ebenso mit ihr. Sie öffnete ihren Mund und er schob sanft seine Gabel mit dem Fleisch hinein: „Und?“

„Lecker, danke.”

“Lillian?”

“Ja?”

“Ach, nichts.”

“John?”

„Ja?“

„Möchten Sie meinen Nachtisch probieren?“

Ihm wurde heiß und er konterte: „Verdammt! Warum fallen mir diese superguten Fragen nie ein, wenn’s drauf ankommt!“

„Wir Frauen haben dazugelernt in den letzten zehn Jahren.“

„Allerdings.“

„Also, wie sieht es aus mit etwas Süßem?“

„Gerne, aber ich sehe, dass Sie gar keinen Nachtisch auf Ihrem Tablett haben.“

„Blitzmerker. Von was rede ich die ganze Zeit wohl?“

Er grinste in freudiger Vorahnung: „Wenn es das ist, was ich annehme, dass es das ist, dann werde ich nun einfach stillhalten und genießen.“

„Das solltest du auch, glaube ich“, sie klappte energisch die Armlehne zwischen ihren Sitzen hoch, kuschelte sich an ihn und streifte dann vorsichtig mit ihren Lippen die seinen.

Nach einigen sehr verzehrenden und überaus intensiven Küssen verspeiste John noch seinen richtigen Nachtisch und dann schlummerten sie beide Hand in Hand ein wenig ein, während man sich langsam in der Luft Europa näherte.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Give a little Love" von den Bay City Rollers: https://youtu.be/hGI92eNYC6E

11. My funny Valentine

London, Februar 1976…

 

Lillian Chambers und Bernhard Ford belegten zum Schluss am 9. Februar 1976 in Innsbruck einen guten fünften Platz bei den Wettbewerben im Eistanzen, ein weiteres britisches Paar kam auf Rang acht.

An den Sowjets und den USA auf den vorderen vier Plätzen war leider kein Vorbeikommen gewesen.

John Birt hatte zum ersten Mal in seinem Leben freiwillig einen Eiskunstlauf-Wettbewerb im Fernsehen angeschaut und war mehr als beeindruckt gewesen. Wie elegant und elfenhaft sie über das Eis schweben konnte! Er würde sich vermutlich nicht einmal zehn Sekunden auf Schlittschuhen halten können.

Er hatte mit Lillian nur ein paar Mal telefonieren können, und sie an Weihnachten kurz getroffen, aber wirklich nur zwischen Tür und Angel am Flughafen Heathrow.

Er konnte nicht glauben, dass sie sich seit Ende November kannten, aber noch kein einziges Mal miteinander geschlafen hatten. John konnte es kaum noch abwarten, sie zu lieben, sich mit ihr im Bett und sonstwo zu wälzen, er stellte es sich himmlisch vor mit dieser niedlichen, hübschen und absolut göttlichen Frau endlich Sex zu haben. Zum ersten Mal seit Jahren kreisten seine Gedanken nicht mehr nur um den Job, sondern auch wieder um eine Frau.

„Hast du sie gesehen, David?“

„Bitte? Wen soll ich gesehen haben?“

„Lillian! In Innsbruck auf dem Eis.“

„Grundgütiger, John! Du willst mir doch damit nicht etwa sagen, dass du vor der Glotze gesessen bist und dir diesen Kram angeschaut hast? Wenn schon, dann hättest du dir die Abfahrtsläufe mit Franz Klammer und Rosi Mittermaier ansehen sollen. Das war wenigstens spektakulär.“

„Wer ist Franz Klammer?“

„Okay, ich gebe es auf. Schönen Gruß von Caroline, sie findet es toll, dass ihr euch auch auf einem Flug kennengelernt habt und ist der Meinung, du wärst bis über beide Ohren verknallt in diese Eisfee.“

„Ist das nur Carolines oder auch deine Ansicht?“

„Es ist die von uns beiden.“

„Aha. Ich möchte nicht ganz ausschließen, dass mindestens einer von euch beiden Recht haben könnte.“

„Darf ich dein Trauzeuge sein?“

„Nach dir, mein Freund. So schnell sieht mich kein Standesamt wieder, das ist sicher.“

„Wir werden sehen. Wann fliegen wir nach L.A.?“

„Sobald ich Lillian gesehen habe.“

„Warum wusste ich, dass du das jetzt antworten würdest?“

„Warum wohl? Bis bald, David.“

John hetzte sich ab, um rechtzeitig am Flughafen zu sein. Er hatte sich zwar seine Termine so gelegt, dass er genügend Zeit für seine Eisprinzessin haben würde, aber es wurde dann doch knapp. Zuvor hatte er – und er hatte derlei noch niemals zuvor in seinem Leben getan – einiges arrangiert für das große Rendezvous mit Lillian.

Er war sich total unsicher ob das nicht alles vollkommener Blödsinn war, er kam sich selbst fast lächerlich vor, sich so ins Zeug gelegt zu haben für das Treffen mit ihr.

Leider war der Valentinstag schon zwei Tage zuvor gewesen, aber er hoffte, dass das nur von geringer Bedeutung sein würde. Im Auto, auf dem Weg zum Flughafen, fuhr er sich nervös durch die Haare; er wusste, was er bei Jane alles falsch gemacht hatte. Mittlerweile standen ihm all seine Fehler klar vor Augen und er hatte sich geschworen, diese Fehler nicht noch einmal zu machen. Wenn es denn etwas werden sollte mit Lillian und ihm, dann würde er komplett neu durchstarten.

Er hatte weder Blumen noch sonstige Präsente dabei, er hatte bewusst darauf verzichtet, weil er Lillians Aufmerksamkeit ganz für sich alleine haben wollte. Er wollte sie nicht mit einer Schachtel Pralinen teilen. Die ganze Zeit hatte er sich ausgemalt, wie sie im Flughafen aufeinander treffen würden. Doch es kam noch tausendmal besser, als er es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

Sobald sie ihn erblickte hatte, raste sie los, durch eine Menge von Leuten jagte sie förmlich auf ihn zu, fiel ihm jauchzend um den Hals, sprang ihn an und klammerte sich wie ein Äffchen an ihn.

„Süße, ist das eine deiner Eistanzfiguren?“

„Was ist das denn für eine Begrüßung?“

Er lächelte nachsichtig: „Das Gleiche könnte ich dich fragen.“

Ein Mann stellte sich neben sie, den John als ihr Partner auf dem Eis identifizierte, und meinte trocken: „Ich denke, Sie sind daran schuld, dass wir ohne Medaille um den Hals in das Königreich zurückkehren. Lillian hat Tag und Nacht nur einen gewissen John Birt im Kopf gehabt, ich darf also annehmen, dass Sie das sind.“

„Sie dürfen. Und ich hoffe, ich bin nicht wirklich eine Bronzemedaille schuldig.“

„Bronze? John, es hätte Gold werden können, wenn ich dich nicht so schrecklich vermisst hätte.“

„Oh je! Der Britische Eislaufverband wird mich zum Duell fordern!“

„Oder der Sowjetische verleiht Ihnen einen Orden, Mr. Birt. Nein, es war kaum mehr als der fünfte Platz drin, wir sind recht zufrieden. Passen Sie gut auf Lillian auf, sie muss übermorgen wieder zum Training erscheinen.“

„Das werde ich, good-bye, Mr. Ford.“

Lillian stand inzwischen wieder auf ihren eigenen Füßen und hing sich bei John ein: „Ich bin maßlos enttäuscht.“

„Über den fünften Platz?“

“John! Das meinte ich nicht. Ich bin so enttäuscht über deine überaus nüchterne Begrüßung. Du hättest ruhig etwas mehr Enthusiasmus und Gefühl hineinlegen können.“

Er lachte: „Du bist gut. Du rempelst mich fast über den Haufen, hängst dich an mich wie ein Gibbon-Äffchen und dann putzt mich dein Eislaufpartner noch runter. Ich hatte ja nicht die geringste Chance, mich irgendwie zu äußern bisher.“

„Dann hast du sie jetzt.“

„Auf Kommando? Das ist ein bisschen viel verlangt, Sweetheart.“

„Und ich hatte mich im Flugzeug gerade so auf dich gefreut.“

„Jetzt nicht mehr?“

„Nur, wenn du jetzt endlich mal stehen bleibst und mich angemessen begrüßt.“

John blieb stehen und schaute zärtlich auf Lillian herab: „Ich hatte mich auch auf dich gefreut, im Auto auf dem Weg hierher.“

„Nicht aufhören, John-Schatz, bitte mach weiter.“

„Habe ich dir schon einmal gesagt, dass ich es sehr mag, wenn du mich so nennst?“

„John-Schatz?“

Er nickte, dann zog er sie fest an sich: „Ja. David und Caroline haben mich übrigens am Telefon mit der Nase auf etwas gestoßen.“

„Und auf was?“

John küsste ihre Nasenspitze: „Und ich muss zugeben, sie haben Recht damit.“

Lillian zappelte nun regelrecht: „Mit was denn, nun sag schon.“

John hauchte nur eine Andeutung von Kuss auf ihre Lippen: „Sie sagten, dass ich ganz ungeheuer in dich verliebt sein muss.“

Und dann küsste er sie mit großem Verlangen, bis Lillian die Knie nachgaben.

„John-Schatz?“

„Hmh?“

Das war eine angemessene Begrüßung.“

„Ich bin sehr froh, dass du das so siehst. Komm schnell mit zum Wagen, lass uns fahren, ich habe ein paar Überraschungen für dich!“

Er steuerte mit ihr das Savoy-Hotel an, was sie erstaunt zur Kenntnis nahm. Inzwischen wusste sie ja, dass er ein nicht gerade unbekannter TV-Produzent war und derzeit mit Sonnyboy David Frost an den Vorbereitungen zu Interviews mit Richard Nixon arbeitete.

Sie hatte aber erwartet, dass er sie in sein Haus oder seine Wohnung bringen würde, doch nun fuhr er an diesem Nobelhotel vor.

An der Rezeption überreichte ihm ein diensteifriger Concierge den Schlüssel: „Ah, Mr. Birt. Wir haben alles nach ihren Anweisungen hergerichtet, hier ist der Schlüssel zur Westminster-Suite, ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.“

„John-Schatz, was hast du vor?“

„Überraschung, sagte ich doch.“

„Geheimniskrämer!“

Das Savoy an sich war schon die Wucht, hier hatte bereits alles was Rang und Namen hatte logiert. Die Gästeliste war besser als jedes Who is Who und enthielt die Namen von gekrönten Häuptern, berühmten Filmstars, großen Musikern und legendären Sportlern.

Lillian grinste: „Wenigstens kann ich auf eine Olympia-Teilnahme verweisen. Auch wenn man meinen Namen in zwanzig Jahren wohl kaum noch kennen und mit dem Eistanzen in Verbindung bringen wird.“

Das Hotel war an Exklusivität und Eleganz kaum zu überbieten, und noch immer standen Bentleys und Rolls Royces Stoßstange an Stoßstange vor der Auffahrt.

John war eigentlich jemand, der auf Romantik wenig Wert legte, er war auch eigentlich jemand, der zwar recht gut zu leben verstand, der aber sein Geld trotzdem wohl überlegt ausgab, vor allem natürlich, seit er geschieden war und seine Kinder in den USA unterstützen musste. Er war froh, dass Jane dort nun eine Teilzeitstelle in einem Museum gefunden hatte, so dass sie teilweise über ein eigenes Einkommen verfügte.

Doch nun freute er sich plötzlich wie ein kleines Kind darauf, Lillians Augen zu sehen, wenn er die Tür zur Suite aufmachen würde und ihr all die kleinen Überraschungen bieten würde, die dort auf sie warteten.

Er wunderte sich ein wenig über sich selbst, seit seiner Uni-Zeit war er nicht mehr so kreativ gewesen, und er war froh, dass er diese verschüttet geglaubte Eigenschaft - einhergehend mit seinem Verliebtsein in Lillian - in sich wieder entdeckt hatte.

Die Suite an sich war schon bombastisch. Lillian schmolz dahin, als sie das Blumenherz aus blutroten Rosen an der zweiten Eingangstür zum Wohnraum hängen sah: ‚Lillian, my Valentine!’ lautete die aufgedruckte Aufschrift in der Mitte.

Sie drehte sich überwältigt zu John um: „Oh, wie wunderschön! Es tut mir so leid, dass die Schlussfeier der Spiele erst gestern war und ich nicht schon am Vierzehnten da sein konnte. Aber meine Abwesenheit wäre bei dem mageren Häuflein britischer Wintersportler halt aufgefallen. Ich konnte das dem Olympischen Komitee nicht antun.“

„Darling, mach dir keine Sorgen. Es ist mir egal, ob es der vierzehnte oder der sechzehnte Februar ist.“

Sie hängte sich an seinen Hals, er hob sie fast mühelos hoch und küsste sie rasch, sagte dann aber: „Komm rein, schau dir Aussicht an!“

Sie traten an ein riesiges Panoramafenster und schauten über einen Teil der im abendlichen Glanz der Lichter glitzernden Stadt, bis über die Themse.

John zeigte mit dem Finger auf ein Gebäude: „Das ist das Kent-House, eines der wenigen Hochhäuser in London, deswegen ist es leicht auszumachen. Dort arbeite ich.“

„Oh, wie schön, dass man es von hier aus so gut sehen kann.“

John ging zu einem der edlen, antiken Tische hinüber, holte die kaltgestellte Champagner-Flasche aus dem silbernen Eiskübel und entkorkte diese.

Er schenkte zwei Gläser ein und trat wieder zu Lillian ans Fenster: „Hier. Auf unser Wiedersehen.“

Sie nahm das Glas und prostete ihm zu: „Ja. Und auf den verspäteten Valentinstag.“

 

Zum Kapitel gehört der Song "My funny Valentine" in der Version von Barbra Streisand: https://youtu.be/4L6McXcyBg8

 

 

12. Olympia

 

Er zog sie an der Hand zu der luxuriösen Sitzgruppe und sie ließen sich in die Polster fallen.

„Begleitest du mich übermorgen ins Training? Es ist ein Stück zu fahren und es wäre lieb, wenn du mich chauffieren könntest.“

Er war geneigt, es abzulehnen, weil er es so gewohnt war, seine Arbeit ging immer vor und er hatte sich schon diesen Abend und den kommenden Tag extra wegen ihr freigenommen, was an sich schon ungewöhnlich war, aber er schluckte die ablehnende Antwort gerade noch rechtzeitig herunter und nickte: „Aber sicher doch. Dafür verzichte ich sogar gerne auf meinen Abend im Marquee-Club, gute Musik, mehr als einen ordentlichen Drink und einen Joint.“

Sie schaute ihn entsetzt an: „Joint? John, ich bin schockiert! Du nimmst Drogen? Wirklich?“

Er zog sie in seine Arme und lächelte: „Nicht mehr, Süße. Es war nur eben gerade der direkte Weg, dir meine früheren Sünden zu beichten.“

„Verstehe. Gibt es noch etwas, das ich wissen müsste? Frauengeschichten?“

Er verzog das Gesicht zu einer schuldbewussten Grimasse: „Touché. Gelegentlich.“

„Warst du deiner Frau untreu?“

Er biss sich kurz auf die Lippen, aber wenn er hier etwas aufbauen wollte, dann war es besser, alles schonungslos offenzulegen. Wenn Lillian wirklich etwas an ihm lag, dann würde sie es als vergangen und abgeschlossen betrachten und merken, dass er diesen Ballast los werden, ihn nicht mit in eine neue Beziehung schleppen wollte.

„Ja. Ich bin ein Mann voller Laster, fürchte ich. Ich habe bei der Scheidung die Schuld auf mich genommen und bin wegen Ehebruchs geschieden worden. Wenn du mich jetzt nicht mehr haben möchtest, würde ich dieser Entscheidung sogar ein gewisses Verständnis entgegen bringen. Aber es würde mir auch sehr wehtun.“

Sie rückte in der Tat ein kleines Stück von ihm ab und musterte ihn prüfend. Er schloss die Augen und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Er war offen und ehrlich gewesen, nun kam alles auf sie an.

„John-Schatz“, alleine ihre Anrede erleichterte ihn schon um einiges, „wo gibt es schon den perfekten Mann? Nirgends. Ich rechne es dir hoch an, dass du so grundehrlich zu mir bist, denn das ist mir viel lieber, als jemanden neben mir zu haben, der sonst zwar mit allen Tugenden dieser Welt gesegnet ist, mich aber beständig anlügen würde. Was den Drogenkonsum angeht, kann ich da nicht mitreden, ich bin Leistungssportlerin und werde mich hüten, den Kram anzurühren. Aber ich verteufele auch nicht automatisch jeden, der damit in Berührung gekommen ist. Solange du dir der Sache bewusst bist, sich keine Abhängigkeiten entwickelt haben und du dich mit Leichtigkeit davon verabschieden kannst, ist es allein deine Angelegenheit, dein Laster, mit dem du klarkommen musst. Aber du sollst trotzdem wissen, dass ich es im Prinzip missbillige.“

John nickte stumm und Lillian fuhr fort: „Ich kenne dich nicht gut genug, noch nicht gut genug, zu deiner Beruhigung, um das alles komplett richtig einordnen zu können, aber ich spüre, dass dir wirklich etwas an einem totalen Neuanfang gelegen ist. Deute ich das richtig?“

Er nickte abermals, so dass Lillian wieder näher an ihn heranrückte und ihren Kopf an seine Schulter lehnte: „Hör mal, John-Schatz, du kommst einfach übermorgen mit mir in die Eishalle, und kannst dann gerne den Abend und die Nacht danach für dich nutzen, was auch immer du dann vorhast. Meinetwegen auch einen Absturz in deinem Stammlokal. Wäre das ein Vorschlag, der deine Zustimmung findet?“

Er schüttelte den Kopf und antwortete mit belegter Stimme: „Das brauche ich nicht. Das möchte ich auch gar nicht mehr. Ich möchte nur wissen, ob du denkst, dass es etwas werden könnte mit uns beiden.“

Sie hob den Kopf, blickte ihm direkt in seine blauen Augen und erwiderte: „Oh ja, das denke ich. Ich glaube sogar fest, sehr fest daran.“

Er lächelte glücklich: „Ich freue mich.“

„Ich mich auch. Aber noch mehr würde ich mich freuen, wenn du mich nun endlich ins Bett tragen würdest.“

Ihre Worte hatten zur Folge, dass er seine Erektion nun deutlich spürte. Er erhob sich eilends von der Sitzgruppe, nahm sie auf seine Arme und trug sie hinüber ins Schlafzimmer.

Dabei sagte er schmunzelnd: „Ich trage dich aber nicht jedes Mal, meine Süße!“

Auf dem Bett lag ein Nachtgewand aus cremefarbener Seide und Spitze wie aus einem legendären Hollywoodfilm der vierziger Jahre, dazu ein üppiger Rosenstrauß, den er wohlweislich hier deponiert und nicht mit zum Flughafen genommen hatte.

Lillian schossen die Tränen in die Augen: „Oh mein Gott! John…“, ihr blieben die Worte im Hals stecken und sie fing an zu weinen.

„Sch, du musst nichts sagen, Darling. Ich muss zugeben, dass ich selbst gerade ziemlich nervös bin, ich fühle mich sehr merkwürdig, als… als… würde ich… also…“, er stotterte herum und wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte.

Dann holte er Luft und sprudelte es schnell heraus: „Mir ist, als würde ich zum ersten Mal Sex haben. Und das mir… ich bin völlig von der Rolle, entschuldige.“

Sie krabbelte auf das Kingsize-Bett mit dem gerafften Betthimmel darüber und holte sich das Nachtkleid: „Woher wusstest du meine Größe?“

Er grinste: „Ich habe der Verkäuferin ein Foto von dir in deiner Berufskleidung gezeigt. Sie kannte dich übrigens.“

„Raffiniert. Woher hattest du das Bild von mir im Eislaufkostüm?“

„Wenn man beim Fernsehen arbeitet, hat man Zugang zu Reuters oder Associated Press, von dort habe ich mir einen entsprechenden Abzug schicken lassen.“

„Ich bin beeindruckt. Hast du das Bild noch?“

Er nickte und blickte ertappt drein: „Natürlich. Es steht mittlerweile gerahmt auf meinem Schreibtisch drüben im Kent-House.“

„Echt?“

„Echt.“

Lillian Chambers zog ihn an der Knopfleiste seines Hemdes zu sich aufs Bett: „Mr. Birt, ich werde diesen Fummel leider nicht anziehen können, da ich gedenke, die ganze Nacht völlig nackt mit Ihnen Unzucht zu treiben!“

Das wenige Blut, das bislang noch anderswo in seinem Körper unterwegs gewesen war, schoss nun auch noch in seinen Unterleib, was ihn unterdrückt aufstöhnen ließ. Dann zog er Lillian auf sich und begann, sie langsam zu entkleiden.

Irgendwann in der Nacht, zwischen einer lustvollen Vereinigung und der nächsten, erzählte er ihr die Geschichte von ‚Black Jacquelyn’, die Lillian köstlich zu amüsieren schien.

Sie lachte und japste nach Luft: „Armer John-Schatz. Sie hat dir mächtig zugesetzt wie mir scheint. Und seitdem hast du keine Liebschaft mehr gehabt? Das soll ich glauben? Es ist ein Jahr her. Was hast du die ganze Zeit gemacht? Es durch die Rippen geschwitzt?“

„Wenn es so einfach wäre. Ich habe zwei gesunde Hände, auch wenn das natürlich auf Dauer wenig befriedigend ist, verglichen mit einer Frau im Bett.“

„John, du bist mir Einer! Du zerstörst ja auch noch das letzte bisschen Illusion in mir.“

„Tut mir leid, ich bin ein gesunder Mann mit gesunden Trieben.“

„Das habe ich in den letzten Stunden gemerkt.“

Er lachte, rollte sie auf den Rücken und schob sich zwischen ihre Beine: „Wie du siehst, ich kann schon wieder!“

„Potenzprotz! Aber da du schon mal den Anfang gemacht hast… und du dich so wunderbar darauf verstehst, dass auch ich nicht zu kurz komme – aber danach wird geschlafen! Ich bin seit gestern früh um sechs Uhr unterwegs, erst aus dem blöden Olympischen Dorf zum Provinzflughafen Innsbruck, von dort aus mit Tyrolean Airways nach Wien, von Wien nach London und dann noch bis hierher ins Savoy – ich bin geschafft!“

„Ganz wie Mylady befehlen.“ Und mit diesen Worten kam er abermals sanft, aber mit Nachdruck zu ihr.

 

Zum Kapitel gehört ein Video mit der olympischen Fanfare bzw. dem musikalischen Hauptthema des IOC: https://youtu.be/EbHw8DBCXQ8

13. Dancing Queen

 

Sie hatte dann doch noch das luxuriöse Nachtgewand angehabt, zusammen mit dem passenden Morgenrock, den sie im Bad hängend gefunden hatte, und zwar zum Frühstück, das der Zimmerservice diskret serviert hatte.

Allerdings hatte sie es nicht sehr lange getragen, da John ihnen ein Bad eingelassen hatte und sie sich dann lange zu zweit in der Wanne geaalt hatten.

„Warum hast du deine Frau eigentlich betrogen?“

„Warum? Wahrscheinlich, weil mir – in meiner spärlich bemessenen Freizeit – langweilig war und ich nicht nur Pflichten wahrzunehmen haben wollte. Ich wollte ich sein, nicht einerseits nur ein TV-Produzent im Berufsleben und andererseits nur ein Familienvater im Privatleben. Im Prinzip habe ich mich in meiner Ehe mit Jane genauso gelangweilt, wie sie sich mit mir. Und diese Erkenntnis ist ziemlich witzig.“

„Wann ist dir diese Erkenntnis gekommen?“

„Nach meiner Scheidung überwiegend. Und verstärkt mit dem Kennenlernen von dir. Aber selbst wenn diese Erkenntnis schon vor dem Scheitern meiner Ehe da gewesen wäre – was teils durchaus der Fall war – hätte dies das unschöne Ende wohl nicht verhindern können. Es hat einfach nicht sollen sein. Ich war bei meiner Heirat zu jung und mit meinen Pflichten als Vater, Ehemann und Karrierist dementsprechend überfordert. Und für Jane war es auch zu früh. Sie hatte keine Zeit, sich richtig zu entfalten. Es war im Endeffekt nicht das Leben, das wir uns gewünscht hatten.“

Lillian strich ihm zärtlich über die Wangen: „Es ist merkwürdig, dass ich fast Mitleid mit dir liebenswertem Schurken habe.“

„Das ist nicht merkwürdig, Süße, das ist nicht mehr als recht und billig.“

Sie lachte: „Du bist ein Sprücheklopfer wie er im Buche steht!“

„Ja, etwa neunzig Prozent des Fernsehgeschäfts beruhen darauf.“

„Du bist hier aber nicht beim Fernsehen.“

„Zum Glück nicht. Ich würde es nämlich nicht sonderlich mögen, dass fünf Millionen Briten oder womöglich mehr vor der Glotze mitansehen würden wie John Birt in der Badewanne heißen Sex mit Lillian Chambers hat.“

„Vielleicht eine Marktlücke?“

Jetzt musste er lachen: „Vielleicht. Aber ich gedenke nicht, diese zu füllen. Ich gedenke eher, dies lediglich in trauter Zweisamkeit noch in dieser Minute zu vollziehen.“

Nachdem sie das Marmorbad teilweise unter Wasser gesetzt hatten, da es bei einigen ihrer Bewegungen über den Wannenrand geschwappt war, fand John nun großen Spaß daran, Lillian die Haare zu föhnen. Er tat so etwas zum ersten Mal und es bereitete ihm ein überaus sinnliches Vergnügen. Es faszinierte ihn sogar beinahe mehr als das Sexuelle an sich, er machte damit gerade eine wirklich wundervolle Erfahrung. Wie hatte er sich so etwas bisher nur entgehen lassen können? Er hatte das Gefühl, dass mehr als zehn Jahre an ihm vorbeigerauscht waren, ohne dass er gelebt hatte, ohne dass er mit allen Sinnen hatte genießen können.

„Wann fliegst du in die Staaten?“

„Bald. Vermutlich in wenigen Tagen bereits.“

„Es wird ein bisschen schwierig dann mit uns beiden, oder?“

„Ja. Aber du fliegst doch auch bald nach Colorado Springs zum Frühjahrstraining und das ist nun wirklich nur ein Katzensprung von L.A. aus.“

„Ich bin auch Gott auf Knien dankbar, dass der Zufall es wollte, dass wir da recht nah beieinander sind.“

„Ich auch.“

„John-Schatz?“

„Ja?“

„Fliegst du zu mir rüber oder ich zu dir?“

„Abwechselnd, würde ich sagen.“

„Werde ich auch Nixon kennenlernen?“

„Legst du Wert darauf?“

„Nein. Nicht unbedingt. Ich lege mehr Wert darauf, dich dann sehen zu können.“

„Das hast du aber nett gesagt, Süße.“

Sie lächelte und schüttelte ihre frisch geföhnten Haare, die er ein wenig übermütig durchgewuschelt hatte: „Ich glaube, so unschön es auch sein wird, eine Weile getrennt zu sein, dass es eigentlich aber das ist, was du dir in einer Beziehung wünschst.“

„Sprich weiter, denn mir scheint, du bist noch nicht fertig mit deinen Ausführungen.“

„Ja; ich hoffe, du möchtest etwas Festes, aber ich weiß, dass du nicht eingeengt sein möchtest, dass du gewisse Freiräume für dich beanspruchst“, sie hielt inne, denn sie sah ihn die Hand zum Einwand heben: „Du hast das soweit schon richtig verstanden, aber ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich ständig tun und lassen werde was mir passt, obwohl ich mit dir zusammen bin. Das wäre auch nicht richtig und einer Beziehung nicht förderlich. Ich bin durchaus bereit, mich anzupassen und zurückzunehmen, nur möchte ich nicht komplett erdrückt und ständig vereinnahmt werden. Dagegen habe ich was, nicht gegen eine feste, dauerhafte und stabile Beziehung.“

„So in etwa meinte ich es ja auch. Ich stelle dir doch keinen kompletten Freibrief aus, wohin kämen wir denn da!“

Er zog sie vom Stuhl hoch, packte sie um die Taille, grinste frech und sagte: „Du machst mich wahnsinnig! Aber auf eine sehr anregende, angenehme Art. Ich freue mich jetzt schon darauf, dich in Los Angeles wieder in meine Arme schließen zu können.“

Er küsste sie und fügte dann augenzwinkernd hinzu: „Wenn ich da überhaupt die Zeit dafür finden werde, mich ausgiebig mit dir zu beschäftigen!“

Sie trommelte mit ihren kleinen Fäusten auf seine in einen Bademantel gehüllte Brust: „Wehe! Sonst fahre ich dir mal mit meinen scharfen Kufen über das Fingerchen, das uns im November zusammengebracht hat.“

Er lachte nun lauthals: „Mir sind deine scharfen Kurven deutlich lieber!“

Sie verbrachten einen weiteren herrlich faulen Tag im Savoy, sie aßen gemeinsam, sie redeten fast unentwegt, sie liebten sich, wenn ihnen danach war und sie bummelten ein wenig durch die nähere Umgebung, vor allem liefen sie lange an der Themse entlang. John musste die traute Zweisamkeit nur für ein paar geschäftliche Telefongespräche unterbrechen, bei denen er sich so kurz wie möglich fasste, was Lillian sehr aufmerksam von ihm fand.

Wenn Jane ihn so sehen könnte, sie würde es nicht glauben. John Birt hatte sich sehr gewandelt, natürlich konnte er viele Gewohnheiten nicht sofort ablegen und eingefahrene Pfade nicht gleich verlassen, aber er gab sich Mühe. Oft fiel er auch noch in alte Verhaltensmuster zurück und musste dann plötzlich umschwenken, eine Kehrtwendung machen, was ihm bisweilen nicht Recht war, weil es ihn so furchtbar wankelmütig erscheinen ließ.

Er machte den Plattenspieler in der Suite an und legte eine Platte auf, die er vom Bummeln zuvor mitgebracht hatte. Es hatte gedauert, bis er das Richtige gefunden hatte, etwas, worauf man ein bisschen tanzen konnte, aber eben Musik, die nicht total seriös war, sondern auch Spaß machte. Nun aber dudelte endlich Abba aus den Lautsprechern und er zog Lillian vom Sofa.

Sie kicherte und sagte: „John-Schatz, Eistänzerinnen können naturgemäß auch ohne Schlittschuhe hervorragend tanzen, sieh dich vor!“

„Ich kann es gar nicht. Du musst mir also alles beibringen. Ich kann zwar beatmäßig unkoordiniert herumhopsen, aber richtig mit einer Partnerin zu tanzen habe ich leider nie gelernt.“

Sie zeigte ihm zuerst die korrekte Arm- und Handhaltung, wie er seine Partnerin in den Arm zu nehmen hatte. Dann leitete sie ihn zu Foxtrott-Schritten an, da diese zur Musik von Abba am besten passten. Sie rollten die dicken Orientteppiche hoch, damit sie auf dem Parkett der Suite tanzen konnten und nicht einmal eine halbe Stunde später war John dazu in der Lage, den Foxtrott im Grundschritt plus einer Drehung zu absolvieren. Einige Male vertat er sich in der Schrittfolge und stand ihr auf dem Fuß, doch es lief immer besser.

Dann gingen sie zum Freestyle über und John staunte über die Kreativität von Lillian bei choreografischen Elementen, ihren anmutigen, professionellen und trotzdem total zur Musik passenden Bewegungen und ihrem Erfindungsgeist. Sie hatten beide einen Heidenspaß an den Tanzeinlagen und lachten sich teilweise schlapp über einige bizarre Figuren, Schritte und Gesten.

Völlig erledigt fielen sie zusammen aufs Sofa und lachten auch dort noch eine Weile weiter.

Erst als das Lachen in wildes Geknutsche und dann immer mehr in eine heiße Nummer überging, wurde es ein wenig ruhiger im Raum.

John würde sich selbst zwar als recht erfahrener Liebhaber bezeichnen, was eigentlich aber ein bisschen aufgeschnitten war, denn mit Jane hatte er nicht viel ausprobiert, sie hatte Experimenten im Bett immer sehr reserviert gegenübergestanden, und mit anderen Damen war es meist ziemlich klar zur Sache gegangen, da war nie viel Zeit für großartige Varianten gewesen. Das variantenreichste, was er jemals erlebt hatte, war in der Tat ‚Black Jacquelyn’ und ihre ziemlich abgedrehten Spielarten gewesen.

Von daher war es für John schon himmlisch, dass Lillian sich nicht entsetzt abwandte, wenn sich etwas anderes als die Missionarsstellung abzeichnete. In der Badewanne hatte es sich zum Beispiel als sehr anregend herausgestellt, dass sie auf ihm gehockt hatte. Dieser Sache war auch die leichte Überschwemmung anzukreiden.

Doch nun, nach dem ausgelassenen Tanzen zu Abba-Melodien, mittlerweile auf dem Sofa im Wohnraum der Suite angelangt, waren beide so locker und gut aufeinander eingestellt, dass er es wagte, ihr mit dem Mund Befriedigung zukommen zu lassen. Es machte ihn derart an, dass er das Gefühl hatte, gleich platzen zu müssen, vor allem, als er ihren gewaltigen Orgasmus spürte.

Er wusste nicht, wie es im Gegenzug für ihn ausgehen würde, also wollte er sie zuerst ganz nehmen, doch Lillian hielt ihn sofort davon ab: „Oh nein! Das lasse ich nicht zu! Du wirst schön die Augen schließen und mich machen lassen!“

Allein die Vorahnung bescherte ihm schon massiven Druck im Unterleib und so vermutete er, dass er es nicht lange aushalten würde.

Er krallte sich auch sogleich mit den Fingern in das Samtpolster des Sofas, als er sie spürte. Ach du grüne Neune! Das konnte nicht lange gut gehen!

Sie schaffte es dennoch, die Sache ein wenig hinauszuzögern, doch dann hielt er es nicht mehr aus und kam explosionsartig. John war völlig benommen, ihm war fast als hätte er Pot geraucht, und er konnte sein Glück kaum fassen. Lillian war eine wundervolle Frau, eine großzügige und hingebungsvolle Geliebte, sie war hübsch, sportlich, tolerant, sie hatte so viele gute Eigenschaften, dass er sich ernsthaft fragte, ob sie überhaupt Fehler hatte. Wahrscheinlich schon, nur hatte er diese bisher noch nicht entdeckt.

Fast war er ein wenig verlegen, als er sie nach dieser sexuellen Erfahrung in seine Arme zog. Sie war großartig!

 

Zum Kapitel gehört der Song "Dancing Queen" von ABBA: https://youtu.be/qk_Vu6AcbWg

14. Somebody to love

 

Am kommenden Tag war er am Morgen erst im Sender gewesen und hatte sie gegen Mittag dann wie versprochen im Savoy abgeholt, um mit ihr nach Oxford in die Eishalle zu fahren, wo ihr Training wieder begann. John hatte auch nur eine knappe halbe Stunde Verspätung, was wenig war verglichen mit früher. Er küsste Lillian zunächst nur flüchtig, doch sie war ein anderes Kaliber als Jane, hielt ihn am Anzugrevers fest und forderte einfach mehr; sie ließ für einen Moment die Verspätung einfach Verspätung sein.

Dadurch kam John recht schnell und einfach wieder auf ihren Level herunter, er atmete tief durch und lächelte zärtlich: „Du hast wirklich eine einmalige Art, einem einen blöden Arbeitstag vergessen zu machen. Ich bin ein klein wenig zu spät dran, deswegen lass uns lieber fahren, nicht dass du Ärger bekommst.“

„John-Schatz, nicht hetzen! Wir werden es rechtzeitig schaffen, ganz sicher. Und für einen dicken Kuss muss immer Zeit sein.“

„Du hast ja so Recht. Ist noch Zeit für einen zweiten, noch dickeren Kuss?“

„Aber natürlich.“

Sie presste sich an ihn und sie knutschten selbstvergessen eine Weile.

Dann eilten sie zum Auto, warfen Lillians Gepäck hinein und fuhren fast mit quietschenden Reifen los.

Er kannte den Weg nach Oxford in- und auswendig, er hatte dort studiert und auch Jane an der Uni kennengelernt. Diesem Umstand und seinem Bleifuß während der Fahrtstrecke von etwa fünfzig Meilen war es zu verdanken, dass sie noch halbwegs pünktlich ankamen.

Lillian rauschte in die Umkleide und John ging direkt durch in die Halle, um sich umzusehen.

Er war zum ersten Mal in so einer Halle, aber es war alles sehr nüchtern und unspektakulär. Es waren mehrere Leute auf dem Eis, jedoch alle nur in Trainingsklamotten, niemand davon lief im Showkostüm. Auch waren keine bunten Scheinwerfer angeschaltet oder aufgebaut, es leuchteten nur die ganz normalen Neonröhren und ein paar flutlichtähnliche größere Lampen.

Dann kam sie, sie hatte ein paar Trainingshosen, einen dicken Pulli und ihre Schlittschuhe an, was bei ihr aber beim Laufen eigentlich keinen Unterschied machte, sie ging fast völlig normal. An der Bande zog sie die Schoner von den Kufen ab, drückte John einen Schmatzer auf den Mund und winkte Bernhard Ford zu, der nun von der anderen Seite der Bahn auf sie zu glitt. Sie betrat das Eis, geschmeidig, sicher und mit großem Selbstverständnis, und lief sich ein paar Runden einfach locker warm.

John Birt setzte sich auf einen Sitz auf den Zuschauerrängen und schaute ein wenig zu. Nach einer Weile wurde es tatsächlich langweilig, man lief völlig ohne Musik, es gab nicht viel zu sehen, Bernhard und Lillian unterbrachen das Programm ständig und probierten dies, das und jenes aus. Man hörte das fast rhythmische Kratzen der Kufen auf dem Eis und Fetzen von Unterhaltungen, auch von den anderen Trainierenden. Auch wenn Lillian beim Training anmutig anzusehen war, fielen John fast die Augen zu. Er riss sich zusammen, wollte keinesfalls, dass er desinteressiert wirkte, denn das war er wirklich nicht, aber es fiel ihm schwer mit Konzentration zuzuschauen. Es war so völlig anders als das, was letztendlich im Wettbewerb vor den Preisrichtern gezeigt wurde.

Oxford war nur ein kleines Trainingzentrum, der Britische Eislaufverband hatte seine großen Leistungszentren in Nottingham und Sheffield, wo das Paar auch gelegentlich trainierte.

Die besten Bedingungen, vor allem was professionelle Choreografen und Trainer anlangte, wurden jedoch in den USA geboten. Daher hatte das Eistanzpaar auch in Colorado Springs ein Trainingslager ausgemacht, um ein neues Programm für die kommende Saison einzustudieren.

Hier in Oxford lief man momentan nur, um im Trainingsrhythmus zu bleiben und vorab ein paar Ideen für den Aufenthalt in den Staaten zu sammeln. Außerdem wohnte Lillian in der Nähe. Das alles war also ein ständiges Austesten, bei dem kein flüssig durchgetanztes Programm aufs Eis gezaubert wurde. John gähnte verschämt hinter vorgehaltener Hand und machte sich ziemliche Selbstvorwürfe, baute sich selbst Druck auf, den er eigentlich hatte vermeiden wollen.

Er wollte an Lillians Arbeit Interesse zeigen, er wollte nicht so ignorant sein wie in seiner Ehe mit Jane, er wollte alles besser machen – und doch schien er wieder in vergangene Verhaltensweisen abzudriften.

Das ärgerte ihn, weil er es doch anders machen wollte und offensichtlich nicht konnte. Hoffentlich nahm es ihm Lillian nicht für übel! Bei so etwas standen ihm noch immer die Reaktionen von Jane vor Augen, die ihm immer Vorhaltungen gemacht hatte. Dann machte er sich bewusst, dass Lillian völlig anders war, und ein schmales Lächeln zog über seine Lippen.

Lillian und Bernhard machten eine Pause und sie kam aus der Bahn. John stand auf und ging die Stufen hinunter zu ihr: „Verschnaufpause?“

„Ja. Es ist sehr anstrengend. Tust du mir einen großen Gefallen, John-Schatz?“
“Natürlich. Jeden.“

„Bitte hole mir eine Flasche Cola aus dem Getränkeautomaten im Foyer, ich habe Durst. Ich trinke zwar meist Wasser, aber bei der Anstrengung darf es ruhig mal eine Cola sein.“

„Aber klar doch, mache ich.“

„Lieb von dir.“

Während seines Gangs ins Foyer wunderte er sich über gar nichts mehr. Er hatte erwartet, dass Lillian ihn fragen würde ob es ihm gefallen hat, und er hätte dann sagen müssen, dass es ihn nicht vom Hocker gerissen hatte, doch sie schickte ihn kurzerhand zum Getränkeautomaten. Sie war einfach irre.

Er nahm sich mutig vor, die Sache anzusprechen, wenn er mit der Cola zu ihr kommen würde.

Mit dem Getränk in der Hand kehrte er zurück und sagte es sofort rundheraus: „Es… es war sehr technisch, nicht wahr? Also ich empfand es zumindest so. Für einen unbedarften Zuschauer wie mich ist das total ernüchternd.“

Lillian grinste: „Ja, mir ist aufgefallen, dass du fast eingeschlafen bist.“

John fühlte sich ertappt und zuckte entschuldigend mit den Schultern: „Tut mir leid. Wenn du mir auch anderweitig alles abverlangst, musst du dich nicht wundern, wenn mich auf einer harten Holzbank in einer kalten Eishalle der Schlaf übermannt.“

„Wenn du dich noch einmal entschuldigst, fahre ich dir wirklich mal mit dem Schlittschuh über die Hand! Du hast Recht, es ist langweilig, was Bernhard und ich da gerade machen. Ich kann verstehen, dass dir dabei die Augen zufallen. Wir können aber Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn du möchtest.“

Er zog erstaunt eine seiner Augenbrauen in die Höhe: „Gegenmaßnahmen? Wie könnten die wohl aussehen?“
Lillian beugte sich zu ihm und flüsterte ihm zu: „Vielleicht nicht so, wie du es dir gerade in deiner schmutzigen Fantasie vorstellst, aber… welche Schuhgröße hast du?“

Er ahnte Schreckliches, verkündete aber mit leichtem Triumph in der Stimme: „Ich habe sehr große Füße, vierzehneinhalb, um genau zu sein.“

„Ich bin sicher, dass wir auch für die Füße eines Riesen ein Paar Schlittschuhe haben werden.“

„Oh nein! Ich gehe nicht aufs Eis!“

„Oh doch! Es ist die Strafe fürs Einschlafen!“

„Ich bin nicht eingeschlafen!“

„Aber fast, es macht keinen Unterschied! Da du nun ja schon ein wenig tanzen kannst…“

„Du übertreibst! Ich bin gestern mehr oder weniger nach deinen Anweisungen herumgestolpert und das auf normalem Boden und mit normalen Schuhen!“

„Ah, da sind die Schlittschuhe für dich. Los, hinsetzen, anziehen!“

Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch und er ergab sich seufzend in sein Schicksal.

Sehr unsicher richtete er sich mit den Schlittschuhen an den Füßen auf und knickte prompt damit um, dabei war er noch nicht einmal auf dem Eis! Krampfhaft hangelte er sich an der Bande bis zum Eingang entlang und setzte die erste Kufe vorsichtig aufs Eis. Oh Gott! Es würde ein Desaster werden! Lillian stand inzwischen bereits wieder auf der Mitte der Bahn und wartete auf ihn.

„Das kannst du vergessen! Wenn überhaupt, dann kann ich nur hier am Rand hin- und herrutschen, wo ich mich festhalten kann. Bis in die Mitte komme ich niemals!“

Sie fuhr zu ihm hinüber und reichte ihm eine Hand: „Das wird schon. Hab Vertrauen.“

„Es mangelt mir nicht an Vertrauen in dein Können, Süße, es mangelt mir mehr an Vertrauen in mein eigenes Können. Außerdem wirst du mich schlecht halten können, wenn ich mich gleich niederlege.“

„Ach, das wird dir nur ein- oder zweimal passieren. Ein Kind lernt laufen, weil es Vertrauen in Mama und Papa hat und zu ihnen hinlaufen möchte.“

„Ein Kind lernt laufen, weil es in seiner körperlichen Entwicklung so weit ist.“

„Auch, das ist die Voraussetzung dafür, soweit richtig. Ich hoffe daher, dass du deinen Körper im Griff hast. Hast du mitgekriegt, wie deine Kinder das Laufen gelernt haben?“

John bekam ein fürchterlich schlechtes Gewissen, er blickte schuldbewusst zu Boden und schüttelte kurz seinen Kopf: „Nein, nicht so richtig.“

Lillian merkte, wie nahe es ihm ging, fuhr direkt vor ihn, schlang ihre Arme um seine Hüften, legte ihre Hände auf seinen Po und drückte diesen fest an ihr Becken: „Einen Kuss zum Mutmachen, okay?“

Er nickte, beugte seinen Kopf nach unten und küsste sie.

Bereits während des Kusses zog sie ihn fast unmerklich ein Stück von der Bande weg aufs freie Eis. Noch hatte er es nicht richtig registriert. Als er aufblickte und merkte, wo er stand, geriet er sofort ins Wanken.

Lillian ließ ihn los, damit er sie nicht mit auf das harte Eis reißen würde und schon lag er auf seinem Hinterteil: „Scheiße! Ich habe es geahnt, das ist nichts für mich.“

„Komm, aufstehen und weiter. Nun weißt du, dass du dich konzentrieren musst, dann geht es.“

„Du hast Nerven!“

Nach ein paar Minuten der völligen Unsicherheit gelang es ihm, nicht mehr ganz so ungelenk über das blanke Eis zu schleichen.

Zwar ruderte er noch immer um Gleichgewicht bemüht ordentlich mit den Armen, aber es fing an ihm Spaß zu machen: „Zu was du mich alles bringst, ich staune. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einer Frau die Haare geföhnt und das mit einer fast kindlichen Freude und nun bekomme ich auch noch das Schlittschuhlaufen gezeigt. Es ist unglaublich.“

Mit langsamen Schritten lief er auf sie zu, bekam sie um die Taille zu fassen und plötzlich rief er ganz spontan aus: „Weißt du was, Lillian? Ich liebe dich!“

Die anderen Eisläufer formten rasch einen Kreis um die beiden und applaudierten begeistert.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Somebody to love" von Queen: https://youtu.be/LRt2jX1kaYo

15. We've only just begun

 

Er lachte, als er die Schlittschuhe auszog und Lillian und Bernhard ihr Training beendet hatten: „Ich dachte echt zu Anfang, ich würde mit mindestens einem gebrochenen Knochen in einem Krankenhausbett landen und müsste David, James und Bob alleine in Los Angeles über Nixon recherchieren lassen. Dazu noch du in den Vereinigten Staaten und keine Chance, dass wir uns dort dann sehen können. Eine schreckliche Vorstellung.“

„Armer geplagter John-Schatz.“

Er rieb seine Füße: „Aber es ist verdammt anstrengend, vor allem schmerzen meine Füße ziemlich.“

„Ja, aber daran gewöhnt man sich mit der Zeit.“

„Gehen wir zu einem ganz tollen Abendessen? Ich habe Hunger nach diesem sportlichen Erlebnis.“

„Aber klar doch, mein Liebster.“

Sie fuhren zum Cotswolds Lodge Hotel und aßen dort zu Abend. Es war ein schönes altes Gebäude, im nördlichen Oxford gelegen, fast direkt auf dem Weg zur Autobahn.

„Ich schulde dir noch etwas“, meinte Lillian, als sie ihre Suppe gelöffelt hatte.

„Du mir? Das kann ich nicht sein. Du hast mir so viel gegeben in den letzten zweieinhalb Tagen, ich denke nicht, dass es mir an irgendwas fehlt.“

„Doch. Ich weiß, dass noch etwas fehlt.“

Er sah sie überrascht über den Rand seiner runden Brille an: „Du machst mich in der Tat sehr neugierig. Also bitte, ich bin gespannt und höre.“

„Wir kennen uns eigentlich noch nicht lange, ich meine, ja, wir waren nun knapp drei Tage ständig zusammen, aber davor – sechs gemeinsame Stunden in einem Flieger, das zählt ja kaum.“

Warum hatte John plötzlich ein ganz komisches Gefühl im Bauch? Er hatte sich so sehr geöffnet, hatte ihr sogar unter Zeugen knapp zwei Stunden zuvor seine Liebe gestanden und nun schien sie einen Rückzieher machen zu wollen? Das war nicht fair. John wünschte sich gerade in ein Mauseloch.

Lillian lächelte und fuhr fort: „Wir waren mehr getrennt als zusammen und es sieht so aus, als würde sich dies in absehbarer Zeit auch nicht grundlegend ändern.“

John verzog das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse, er konnte schon förmlich spüren, wie der tosende Brecher gleich über ihm zusammenschlagen würde. Dumm gelaufen, alles würde den Bach runter gehen!

„Geht es dir nicht gut, John-Schatz?“

Er schüttelte kurz den Kopf: „Doch, doch… alles in Ordnung, sprich nur weiter, ich bin auf alles gefasst.“

Sie lächelte noch mehr: „Das freut mich.“

War sie total übergeschnappt? Wenn sie das freute, dann war sie echt ein harter Brocken!

Er hörte sie Luft holen und schloss instinktiv die Augen: „Dann kann ich es dir auch retour sagen. Komisch, ich dachte, es würde dir schwerer von den Lippen kommen als mir, und ich war wirklich total von den Socken, als du es mir vorhin auf dem Eis gesagt hast und nun…“, sie stockte und brach ab.

Er öffnete die Augen in leichtem Erstaunen: „Gesagt? Ich? Was?“

Nun war es an ihr, verwirrt zu sein: „Ähm, nun fällt es mir selbst so schwer, weil du vorhin so eine wunderbare Vorlage geliefert hast und ich gar nicht hinterher komme.“

„Lillian, bitte, es ist unerträglich, sag es endlich!“

Sie schluckte und dann würgte sie mit Tränen in den Augen hervor: „Mein Gott… ich… ich liebe dich so sehr… mir fehlen einfach die Worte.“

Ihm war, als hätte man ihn auf einen Platz dieser Erde katapultiert, an dem noch nie zuvor ein Mensch gewesen war.

Dann hatte er die unglaublichste Reaktion, die man sich nur vorstellen konnte, denn er fing an laut zu lachen: „Oh, entschuldige! Ich lache dich nicht aus, nicht dass du das glaubst, ich lache vor Freude! Es sind die unglaublichsten Liebeserklärungen der Menschheit, die wir uns heute gegenseitig abgegeben haben, ich auf dem Eis in der Halle und du zwischen Suppe und Hauptgang beim Dinner! Ach, Süße, ich bin so unglaublich glücklich, deswegen muss ich gerade so lachen, verzeih!“

„Du Schuft! Ich dachte schon, du würdest mich nicht ernst nehmen!“

„Ich weiß, meine Reaktion ist total irre, aber – so fühle ich mich auch. Es übersteigt gerade alles ein wenig mein Fassungsvermögen. Ich dachte für einen Augenblick sogar, du wolltest mit mir Schluss machen.“

Lillian riss überrascht ihre Augen auf: „Oh nein! Wie kommst du nur darauf? Das Gegenteil ist der Fall.“

„Ja, das habe ich inzwischen kapiert. Nur hatten sich deine ersten einleitenden Sätze für mich völlig anders angehört. Ich bin nicht sehr gut darin, meine Gefühle verbal auszudrücken, deswegen kann ich es auch nur schwer in Worte fassen, was gerade in mir vorgeht. Nur eines: Ja, ich liebe dich, dazu stehe ich und ich finde es wunderbar, von dir wiedergeliebt zu werden.“

„Es ist ein Jammer, dass wir uns schon wieder trennen müssen, jetzt, wo wir uns gerade so schön zusammengerauft haben.“

„Ich werde an dich denken. Sehr oft.“

„Und ich an dich, noch öfter.“

„Bald sehen wir uns in Los Angeles, da haben wir etwas, worauf wir uns freuen können.“

„Ja. Wir können auch telefonieren. Du wirst dort doch irgendwie erreichbar sein?“

„Bestimmt, das dürfte kein Problem sein.“

„Das beruhigt mich.“

Er setzte sie nach dem Essen vor ihrem Apartment in der Nähe von Oxford ab, er kam absichtlich nicht mit hinein, sie wollten beide keinen Endlos-Abschied, außerdem musste John noch eine knappe Stunde bis nach Hause fahren und morgen gleich zur Arbeit.

„Es kostet mich enorm große Überwindung, nicht mehr mit hineinzugehen. Ich würde dich so gerne noch einmal in meinen Armen halten – wenn möglich komplett nackt. Aber ich schätze, so ist es besser. Ich fahre nun.“

„John-Schatz, ich werde einsam in mein kaltes Bettchen gehen. Und du wirst nachher einsam in dein kaltes Bettchen gehen. Aber wir haben wenigstens eine Gewissheit: Du liebst mich und ich liebe dich.“

Er holte Luft: „Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber diese Gewissheit hilft. Ich lasse dich nur ungern gehen, aber es ist wie es ist. Gute Nacht, träum was Schönes, am besten von mir!“

„Ich gebe mir Mühe. Gute Nacht, John-Schatz. Vergiss mich nicht.“

Mit schmerzenden Füßen vom Schlittschuhlaufen und einem sehr leeren Gefühl im Herzen warf er sich spät in der Nacht in sein Bett. Der Wecker würde unbarmherzig klingeln und er würde morgen unter anderem etliche Reisevorbereitungen treffen müssen. Komischerweise dachte er an Jane beim Einschlafen und nicht an Lillian…

 

Los Angeles/Colorado Springs, Ostern 1976…

 

Es war zum Mäusemelken! Die Finanzierung der Nixon-Interviews stagnierte weiterhin und es war David Frost nur gelungen, ein paar sehr unbeutende Sponsoren und Investoren an Land zu ziehen. Für ein paar hundert Dollar hatte er zum Beispiel einem Düngemittelhersteller aus dem mittleren Westen ein paar Werbeminuten der geplanten Sendung verkauft.

An Ostern traf er sich mit Lillian in Colorado Springs und sie verbrachten ein herrliches Wochenende im Schnee. Da sie wegen des laufenden Trainings nur stundenweise weg konnte, war John zu ihr geflogen. Es tat sich derzeit ohnehin nicht viel in L.A. und er konnte sich ein paar freie Tage leisten. Auch James Reston junior war an die Ostküste nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern geflogen, um mit ihnen Ostern zu feiern.

Sie mieteten sich in der Rocky Mountain Lodge in Cascade, westlich von Colorado Springs, in ein eigenes rustikales Blockhaus ein.

John kam erst spät aus L.A. an, sein Flug hatte eine knappe Stunde Verspätung und er fuhr mit einer vagen Wegbeschreibung in einem Mietwagen los, da Lillian schon in der Lodge war und auf ihn wartete. Fahren in den USA war eine Nummer für sich, man musste sich recht strikt an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten, außerdem waren zwar die großen Ausfallstraßen und Highways vom Schnee geräumt, aber sobald er aus der großen Stadt in die ländlichen Gebiete der Rockys kam, lag natürlich Schnee auf den Straßen.

Ein Brite fuhr nur selten bei geschlossener Schneedecke längere Strecken im Auto, zudem noch in einem fremden Land, in einem fremden Auto und auf der falschen Seite der Straße, deswegen schlich John auch im Schneckentempo durch die Ausläufer der Rockys. Überdies hatte er Angst, sich zu verfahren und die Nacht bei Schnee im Wagen verbringen zu müssen.

Nachdem er sich tatsächlich zweimal verfahren hatte, fand er endlich den richtigen Weg, ein Stück durch den Wald bis zur Rocky Mountain Cabin, dem Blockhaus. Er parkte den Wagen und stapfte mit seiner Reisetasche durch den Schnee. Der Weg bis zum Haus war teils geräumt, aber rechts und links türmte sich der Schnee sehr hoch, das Blockhaus war zum Teil sogar eingeschneit.

Er klopfte an die schwere Holztür, durch die Glasscheibe sah er bereits, dass ein Feuer im großen, mit massiven Steinen ummauerten Kamin brannte. Die Eingangstür war verschlossen und er klopfte noch einmal, diesmal lauter und fester mit der flachen Hand.

Endlich kam Lillian im Bademantel zur Tür, riss diese strahlend auf und sagte: „Du bist reichlich spät dran, ich wollte gerade alleine in den Whirlpool steigen!“

 

Zum Kapitel gehört der Song "We've only just begun" von den Carpenters: https://youtu.be/__VQX2Xn7tI

16. I believe in Miracles

 

„In den Whirlpool?“

John war überrascht.

„Ja, das ist der Clou! Auf der Terrasse draußen gibt es einen Whirlpool, umgeben von Schnee. Es ist völlig irre – ich dachte, ich würde überschnappen, als ich es bemerkt hatte. Los, komm mit!“

Er lachte: „Langsam. Ich würde dir zuerst ganz gerne einen guten Abend wünschen, Herzchen.“

„Das kannst du im Wasser gebührend nachholen.“

Sie zog ihn am Ärmel seiner dicken Jacke mit sich. Er ließ die Reisetasche neben das Sofa im Wohnzimmer fallen und folgte ihr schmunzelnd. Sie war echt eine Nummer für sich.

Die Cabin lag einsam und abgelegen im Wald, es gab keine Nachbarn, niemanden, der das Grundstück von der Seite her hätte einsehen können.

Lillian stieg daher sofort aus dem Bademantel und ließ sich nackt ins Wasser gleiten.

John bekam kaum noch Luft, er hatte damit nicht gerechnet, er hatte eher vermutet, dass sie einen Bikini oder Badeanzug tragen würde. Und so stand er an der Terrassentür, in voller Montur und starrte sie fasziniert an.

Ganz plötzlich kam Leben in ihn.

In Windeseile, so schnell wie selten zuvor, warf er seinen Anorak beiseite, zog sich den Pullover über den Kopf, riss sich sein Hemd auf, nicht alles, dass er dabei noch die Knöpfe abgerissen hätte, stieg aus Schuhen, Socken, Slip und Hose und kam dann ebenfalls ins Wasser: „Mein Gott! Das macht mich gerade mal total scharf, das kann ich dir sagen.“

Lillian grinste: „Es war ja nicht zu übersehen, als du dich eben deiner Wäsche entledigt hast.“

„Wo du wieder hinschaust! Darf ich dir nun Guten Abend sagen?“

„Du willst dich wirklich noch mit derlei Formalitäten aufhalten?“

Er hatte sie zu sich herangezogen, strich ihr über den Rücken, packte sie im Nacken und drückte ihren Kopf nahe an sein Gesicht: „Ich fürchte, dafür bleibt wirklich keine Zeit mehr.“

Diesen Worten folgte ein sehr leidenschaftlicher, glühender Kuss.

Eine Weile später lagen sie gemeinsam in Bademäntel gewickelt auf dem Sofa am prasselnden Kaminfeuer im Wohnzimmer, jeder mit einem Glas Rotwein vor sich.

„Hast du Hunger, John-Schatz?“

„Ich hatte im Flugzeug einen Imbiss, aber das ersetzt natürlich keine richtige Mahlzeit. Wenn es keine Umstände macht, würde ich gerne was essen, ja.“

„Es macht keine Umstände, denn du wirst mit mir kochen.“

„Ich? Darling, ich weiß nicht einmal, wie man einen Herd anstellt. Tut mir leid, da bist du an den Verkehrten geraten.“

„Okay, dann verhungerst du halt.“

„Gibt es hier kein Restaurant in der Nähe?“

„John, wie weit bist du mit dem Wagen in die Wildnis gefahren auf dem Weg hierher?“

„Ja, schon gut, Cascade ist einige Meilen weg von dieser Hütte, du hast Recht. Was ist denn an Lebensmitteln da?“

„Alles. Und genügend für drei Tage. Also… kochen wir nun?“

John erhob sich mit dem Weinglas in der Hand: „Nun gut, dann mach mich zum Küchenchef. Wieder eine Premiere für mich. Du hast einen ganz schlechten Einfluss auf mich, du bringst mich immer dazu Dinge zu tun, die mir früher niemals in den Sinn gekommen wären.“

„Ich finde, das ist kein schlechter, sondern ein denkbar guter Einfluss.“

Er lächelte: „Das denke ich insgeheim auch. Aber ich würde es nie offen zugeben.“

Lillian lachte und machte sich mit John im Schlepptau auf den Weg in die Küche.

Sie stellten fest, was alles an Vorräten da war und einigten sich dann auf eine Speisenfolge.

Lillian holte Töpfe, Schüsseln und Pfannen aus den Schränken und führte das Kommando: „So, hier gibst du ein wenig Butter hinein, nein, nicht so viel, um Himmels willen. Es ist nur, um die gefrorenen Garnelen anzubraten. Sie müssen nicht darin frittiert werden. Und etwas Knoblauch dazu.“

Während er mit umgebundenem Küchenhandtuch - in Ermangelung einer Schürze - die Aufsicht über die Bratpfanne mit den Garnelen führte, zerpflückte Lillian einen Salat und wusch diesen.

Dann entnahm sie dem Kühlschrank ein Fertigdressing und dozierte: „Das nur aus der Not heraus, normalerweise schmeckt ein selbstgemachtes Dressing viel besser.“

John nickte, aber im Prinzip würde er wohl kaum den Unterschied zwischen diesem Fertigprodukt und einer hausgemachten Vinaigrette kennen geschweige denn schmecken.  

Auch die Cocktailsoße für die Garnelen kam aus dem Glas. John durfte die mittlerweile fertig gebratenen Meeresfrüchte anrichten und mit der Cocktailsoße übergießen. Das machte zusammen mit dem Salat von Lillian die Vorspeise aus.

Zum Hauptgang hatten sie Makkaroni gewählt, aber sie wollten nicht diese dicke, kalorienlastige amerikanische Fertig-Käse-Soße nehmen, sondern kochten eine Tomatensoße mit Schinken. John staunte, es war Arbeit erst die Tomaten mit kochendem Wasser zu überbrühen und zu häuten, dann zu zerdrücken und mit Zwiebeln, Knoblauch und Gewürzen zu einem Tomatensugo zu machen. Dafür schmeckte es dann aber auch genial gut, vor allem mit dem gekochten und in kleine Würfel geschnittenen Schinken darin.

Beim Nachtisch hatten sie keine große Auswahl, es gab das Vanilleeis, das im Eisschrank lag und dazu aufgekochte Heidelbeeren, ebenfalls aus dem Eisfach.

Beim Verzehren des Desserts wurden sie übermütig. Erst fütterten sie sich gegenseitig, denn es erinnerte sie beide daran, wie sie sich im Flugzeug damals kennengelernt hatten, vor allem hatte das Thema Dessert ja den finalen Kick gegeben, doch dann kam John auf die Idee, das Eis von Lillians Körper lecken zu wollen.

„Nein! Das klebt doch fürchterlich!“

„Egal, wir gehen anschließend unter die Dusche. Lilly, bitte, ich habe das auch noch nie gemacht und möchte es so gerne probieren.“

„Du hast vielleicht Ideen. Na gut, wenn es dir so großen Spaß macht.“

„Süße, es soll dir und mir Spaß machen.“

Sie küsste ihn: „Ich weiß. Ich meinte auch mehr, dass es mir Freude macht, wenn du deinen Spaß hast.“

„Und umgekehrt.“

„Ja, und umgekehrt.“

Das kalte Eis auf ihrem Körper ließ sie zuerst erschaudern, doch als sie Johns warmen Mund spürte, wie er die kalte Spur in eine sehr heiße verwandelte, wurde ihr plötzlich ganz anders. Es dauerte nicht lange und sie fühlte, wie starke Lustgefühle in ihr hochstiegen. Sie schob ihn weg, tat dies aber nur, um das Gleiche nun an ihm zu vollziehen.

Im Gegensatz zu ihm blieb sie nicht ganz so anständig und leckte nicht nur das Eis von seiner Haut, sondern ging sofort mit weiteren Aktionen zu Werke, die ihn das Eis sofort vergessen machten. Er war sich sicher, im Himmel angekommen zu sein!

Sie lagen noch eine ganze Weile vor dem Kamin, ineinander verschlungen, satt vom Essen und vom Sex. Müde und träge erzählte er ein wenig von den Fortschritten, oder eher gesagt der Stagnation, in der Nixon-Sache und sie erläuterte ihm, wie weit Bernhard und sie mit dem Training vorangekommen waren.

Da John sie ja am nächsten Tag ins Training begleiten würde, konnte er sich dann selbst ein Bild vom Stand der Dinge machen.

Irgendwann in der Nacht, als das Feuer heruntergebrannt war, gingen sie in aller Ruhe zu Bett, ohne dass sich noch irgendetwas abspielte. Ausgetobt hatten sie sich an diesem Abend schon mehr als genug.

Da Ostern war, wollte John dann auch seine Kinder anrufen, er hatte ihnen versprochen sich zu melden, da er nicht nach Washington geflogen war, sondern das Osterwochenende lieber mit Lillian in Colorado verbrachte. Ein klein wenig drückte ihn das schlechte Gewissen deswegen, aber Eliza und Jonathan waren ja in den Weihnachtsferien ein paar Tage in England, vor allem in Liverpool bei ihren Großeltern, gewesen und man hatte einiges zusammen unternommen.

Deswegen wollte er sich nun nicht allzu viele Gedanken machen, er hatte das Seine dazu getan und musste nun wirklich nicht zu jedem Fest oder Feiertag bei ihnen auf der Matte stehen.

Nach einem kurzen, aber heftigen Morgenquickie im Bett und dem gemeinsamen Frühstück brachte John dann Lillian nach Colorado Springs in das Trainingszentrum und suchte sich eine Telefonzelle.

„Jane? Hi, wie geht’s?“

„Wie immer. Wo bist du? Bei David in Kalifornien? Habt ihr viel zu tun?“

„Ähm, nein, ich bin in Colorado Springs, ehrlich gesagt.“

„Was machst du denn dort? Oder ist Nixon zum Skilaufen dorthin gefahren?“

„Nein, das nicht. Aber… vielleicht probiere ich das Skilaufen mal aus, hier liegt so unglaublich viel Schnee, ein richtiges Winterwunderland.“

„Du und Skilaufen? Dann pass nur auf und brich dir nicht alle Knochen.“

„Ha, du kennst mich schlecht, ich kann nun sogar Schlittschuhlaufen.“

Mist! Er hatte sich verplappert! Jane wusste noch nichts von Lillians Existenz, er hatte es ihr einmal in aller Ruhe sagen wollen, wenn er mal wieder in Washington sein würde und es ihr nicht so lapidar am Telefon mitteilen wollen.

Janes Reaktion kam prompt: „Wie? Ich muss mich verhört haben. Sagtest du gerade, dass du Schlittschuhlaufen warst? John, ich dachte, du steckst die ganze Zeit bis über beide Ohren mit David und diesen anderen Typen in eurer Arbeit.“

„Jane, gibst du mir bitte die Kinder ans Telefon?“

„Oh nein! Du lenkst jetzt nicht ab! Was ist los? Was machst du in Colorado Springs und was hat das alles zu bedeuten?“

John seufzte. Es würde ohnehin früher oder später zur Sprache kommen, warum also nicht gleich: „Ich verbringe hier das Osterwochenende mit… mit meiner Freundin.“

„Oh.“

„Jane, wir sind geschieden. Du… ich… wir können tun und lassen, was wir wollen. Wir sind freie Menschen. Solange wir unsere Kinder nicht vernachlässigen, geht es weder mich etwas an, was du privat tust, noch umgekehrt.“

„Natürlich. Ich… es ist nur so überraschend, da ich nicht gedacht hätte, dass auf dich jemals noch einmal eine Frau hereinfallen würde. Allerdings muss ich zugeben, dass du in letzter Zeit nicht mehr ganz so eklig bist wie früher immer. Und gut ausgesehen hast du ja schon immer, an diesem Leim bleiben halt viele Fliegen kleben.“

„Ich habe es dir persönlich mitteilen wollen, tut mir leid. Aber besser, du weißt nun Bescheid.“

„Werdet ihr heiraten?“

„Ich denke nicht. Es stand jedenfalls bisher noch nicht zur Debatte.“

„Wer ist sie? Und wie lange geht das schon mit euch?“

„Jane! Du bist nicht mehr meine Frau. Ich müsste dir gar nichts davon sagen, aber ich will dich nicht vor den Kopf stoßen. Wir sind seit Ende November zusammen, aber nicht regelmäßig, da wir beide Jobs haben, die oftmals lange Trennungszeiten mit sich bringen. Und nun würde ich gerne mit Eliza und Jonathan reden, mir läuft das Geld hier nur so durch den Münzfernsprecher, danke.“

Er bekam seine Kinder ans Telefon und sprach noch ein paar Minuten mit ihnen. Dann hängte er auf und lief über die Straße in die Eishalle zurück, um Lillian und Bernhard ein wenig beim Trainieren zuzuschauen. Den Namen von Lillian hatte er Jane jedoch absichtlich weiterhin vorenthalten, sie musste nicht gleich alles wissen.

 

Zum Kapitel gehört der Song "I believe in Miracles" von Hot Chocolate: https://youtu.be/lLIvhPRetpA

17. Just the Way you are

 

So schaute er ein wenig beim Training zu und musste feststellen, dass das Paar auf dem Eis schon große Fortschritte gemacht hatte. Jedenfalls sahen einige Figuren und Passagen in seinen Augen schon unglaublich gut aus.

Da er aber nicht den ganzen Nachmittag in der Eishalle verbringen wollte, verabschiedete er sich während einer kurzen Trainingspause von Lillian: „Du, ich schaue mal, ob ich mich selbst ein bisschen sportlich betätigen kann, ja?“

„Was hast du vor? Skilaufen?“

„Ja, das würde ich gerne versuchen.“

„Brich dir kein Bein, John-Schatz.“

„Du hast ja sehr großes Zutrauen in meine sportlichen Fähigkeiten.“

„Du bist untrainiert und gerade dann passieren derlei Dinge. Also, komm mir ja heil wieder. Treffen wir uns hier oder direkt in der Cabin?“

„Direkt, oder?“

„Gut, dann viel Spaß.“

„Dir auch frohes Schaffen. Bye, Bernhard.“

Er fand ein Sportgeschäft mit Skiverleih. Bretter und Skistiefel in seiner Größe zu finden, war nicht ganz einfach, aber man konnte ihn letztendlich doch ausstatten.

Dann vermittelte man ihm noch einen Skilehrer, der keine zehn Minuten später mit seinem dicken Pick-Up direkt vor dem Laden vorfuhr, um John abzuholen. Derartigen Service bekam man wirklich nur in den USA geboten.

Sie fuhren von Colorado Springs aus durch Cascade durch, John mit dem eigenen Wagen dem Skilehrer hinterher, bis nach Monarch Mountain.

John Birt wusste, dass er vollkommen verrückt sein musste. Sein altes Leben schien nicht mehr zu existieren, es hatte sich genau genommen in Luft aufgelöst. Keine verrauchten Clubs, Pot und eheliche Langeweile mehr, dafür Sport, ein aufregendes Liebesleben und nicht minder aufregende Arbeit. Er war vom Glück begünstigt.

Er brauchte eine Weile, um seine langen Beine auf den Skiern so zu sortieren und zu koordinieren, dass er das Prinzip Skilaufen mit Körper und Geist erfasste und dann war es auf einmal recht einfach. Der Skilehrer war voll des Lobes und bescheinigte ihm großes Talent.

Sie konnten ganz leichte Abfahrten bereits am Ende des Tages absolvieren und als es dunkel wurde und sie die Rückfahrt antraten, waren beide sehr zufrieden mit dem Verlauf des Nachmittages.

Die Cabin war bei Johns Ankunft in Cascade noch dunkel, also war Lillian noch nicht aus Colorado Springs zurück. Er schloss auf und schürte als erstes das Feuer im Kamin. Dann schaltete er den Whirlpool auf der Terrasse an, damit das Wasser warm wurde. Er nahm die Isolier-Abdeckung vom Becken, als die erste Heizstufe erreicht war, damit der nun entstehende Dampf abziehen konnte.

Dann zog er sich um, wickelte sich in einen Bademantel und schenkte sich ein Glas Wein ein. Endlich hörte er ein Motorengeräusch und eilte zur Haustür. Bernhard brachte Lillian freundlicherweise raus nach Cascade.

John stand in der Tür und begrüßte Lillian freudig, da wendete Bernhard den Wagen und fuhr an ihnen vorbei.

Er leierte das Fahrerfenster herunter: „Ach, schon im Bademantel, der Herr? Nur gut, dass Lillian heute echt gut im Training war, sonst hätte uns der Trainer eine Sondereinheit aufgebrummt und euer Nacktschwimmen im Whirlpool, und was sonst noch so ansteht, hätte sich für heute erledigt gehabt! Also, ich bitte mir die Dame nicht überzustrapazieren!“

„Weißt du was, Bernhard? Zisch ab!“

Der Eistänzer lachte: „Ja, ja, bin schon weg! Gute Nacht!“ Er kurbelte das Fenster hoch und fuhr an. Der Schnee knirschte unter seinen Reifen, dann sah man nur noch die roten Rücklichter des Wagens bis zur nächsten Wegbiegung.

„Jane weiß es. Ich habe es ihr am Telefon gesagt.“

Lillian lag, ihren Rücken an seine Brust gelehnt, im Whirlpool, nippte an ihrem Rotwein und fragte: „Und? Was hat sie gesagt?“

„Es ist vielmehr das, was sie nicht gesagt hat. Ich glaube, es hat sie getroffen.“

„Sie liebt dich noch, nicht wahr?“

John zuckte ratlos mit den Schultern: „Vermutlich. Aber es ist mittlerweile bedeutungslos, sowohl für sie als auch für mich. Es ist alles gründlich schief gelaufen und es gibt kein Zurück mehr in die vergangenen Zeiten. Ich habe zwei prachtvolle Kinder mit ihr, dafür bin ich wirklich dankbar, das ist ein Band, das sich nicht trennen lässt, was ich im Übrigen auch nie gewollt hätte. Auch wenn es nicht sehr augenscheinlich ist, ich liebe meine Kinder.“

„Hast du ihnen das schon gesagt? Und hast du Jane das schon gesagt?“
“Nein. Ich habe Angst, dass sie sich dann unberechtigte Hoffnungen auf einen zweiten Versuch mit uns machen würde.“

„Aber es wäre wichtig für sie, für alle drei, es zu wissen. Und man kann Jane ja zusätzlich klar machen, dass ihr trotzdem geschiedene Leute bleiben werdet. Ich denke, sie würden sich insgesamt besser fühlen, wenn du ihnen nicht auch noch das Wissen um deine Liebe vorenthalten würdest. Es wäre einen Versuch wert.“

John, dem die Knochen ein wenig vom Skilaufen schwer waren, drückte Lillian im heißen Wasser fest an sich und küsste sie auf ihr linkes Ohr: „Es ist leichter gesagt als getan, aber ich werde den Versuch bei der nächsten Gelegenheit wagen. Etwas ganz anders: Ich für meinen Teil bin schon ganz aufgeweicht vom warmen Wasser. Was essen wir heute?“

„Du meinst, was kochen wir heute?“

„Ertappt – alte Gewohnheit. Natürlich, ich verbessere mich: Was kochen wir heute?“

„Minestrone mit den restlichen Nudeln von gestern, dann einen Fischpie, wenn’s recht ist?“

„Nachtisch?“

„Frisches Obst mit Schlagsahne“

„Wir gehen, so denke ich, sofort zum Dessert über!“

„Das könnte dir so passen! Raus aus dem Wasser und ab in die Küche, mein Freund!“

„Hilfe, ich stehe voll unter dem Pantoffel!“

Am Ostersonntag hatte Lillian kein Training in der Eishalle, zumindest nicht in der Zeit, in der John noch da war. Würde er am späten Nachmittag dann den Flieger zurück nach L.A. nehmen, konnte sie vom Flughafen aus direkt ins Trainingszentrum fahren, da man dort auf Parkett, nicht auf Eis, an der Choreografie anhand von Trockenübungen feilen wollte. Sie würde also erst trainieren müssen, wenn er schon über den Wolken Richtung Kalifornien schwebte.

Sie machten daher nach dem Frühstück einen langen, ausgedehnten Spaziergang durch den Schnee, fast um ganz Cascade herum, lieferten sich unterwegs übermütig eine Schneeballschlacht und gingen zum Lunch in ein Lokal im Ort. Während sich Lillian nach der Hummersuppe mit Sherry einer wunderbaren gegrillten Forelle widmete, wagte John sich an ein Elch-Steak. Beide waren sehr zufrieden mit dem wirklich delikaten Ostermenü und gönnten sich sogar noch – und dieses Stichwort barg für beide von ihnen so wunderbare Erinnerungen – ein Dessert. Sie bestellte sich eine Creme Caramel und John hatte die hausgemachte Zitronen-Himbeer-Torte vor sich stehen. Nach einer Tasse Kaffee machten sie sich auf den Rückweg, wobei ja noch ein paar Kalorien abtrainiert werden konnten.

Er packte seine Tasche, ebenso verfuhr Lillian mit ihren Sachen, denn sie bewohnte eigentlich ein kleines Zimmer direkt in Colorado Springs, dann fuhren sie mit dem Auto zur Rezeption des Haupthauses, gaben dort den Schlüssel ab und checkten aus.

„Mal wieder nur zwei komplette gemeinsame Tage. Es ging so schnell vorüber.“

John nickte: „Ich weiß. Obwohl wir nur so wenig Zeit miteinander verbringen können, funktioniert es aber recht gut, meiner Meinung nach.“

Sie betrachtete ihn nachdenklich von der Beifahrerseite des Wagens aus: „Vielleicht gerade deswegen. Vielleicht, weil wir nicht ständig aufeinanderhocken. Es ist eine Fernbeziehung und eigentlich nicht einmal das. Es ist nichts, was sich ständig im Alltag bewährt. Es ist immer nur wie Ferien machen. Zu wenig auf Dauer, meinst du nicht?“

Es war klar, dass die Sprache früher oder später auf dieses Thema hatte kommen müssen. Es war ihm auch nicht zuwider, wie es vielleicht noch vor ein paar Monaten der Fall gewesen wäre, aber – er hatte keine Antwort auf diese essentielle Frage. Das war, was ihn am meisten dabei störte.

„Es ist zu wenig auf Dauer, da bin ich einer Meinung mit dir. Lass uns einfach noch ein bisschen Zeit, wir werden diese Phase schon überstehen. Im Sommer werden wir beide in England sein und dann nehmen wir uns ganz viel Zeit füreinander.“

„Sicher?“

„Wenn du bis dahin warten kannst und nicht allzu unglücklich bist, dass wir uns nur sporadisch sehen können.“

„Liebster John, ich kann warten, das ist nicht das Thema. Und ich werde ganz gewiss unglücklich über die Situation sein, sie aber akzeptieren. Was ich wissen möchte, ist: Bist du denn auch unglücklich darüber? Oder passt dir das alles ganz wunderbar in den Kram und in dein Leben?“

Nun klang sie ein bisschen wie Jane und das störte ihn.

Andererseits verstand er auch ihre Zweifel und ihre Besorgnis: „Es hätte mir vielleicht in den Kram, wie du es nennst, gepasst, wenn ich nicht Lillian, sondern Jane an meiner Seite hätte. Aber mit dir ist es anders und ich möchte, dass du mir das glaubst. Ich liebe dich. Und das habe ich Jane wesentlich seltener gesagt als dir. Ich glaube, ich habe es ihr zweimal in acht Jahren Ehe gesagt, einmal nachdem wir… also nachdem ich sie im Bett hatte und das zweite Mal bei unserer Eheschließung, aber das schon mehr aus einer Verpflichtung heraus, weil man das wohl am Tag seiner Hochzeit so sagt. Ich würde also liebend gerne etwas am momentanen Status Quo zwischen uns ändern, doch leider bietet sich derzeit die Möglichkeit nicht. Wir werden schon noch herausfinden, ob unsere Beziehung alltagstauglich ist, davon bin ich fest überzeugt.“

Lillian schien sein Monolog ebenso überzeugt zu haben, denn sie lehnte nun ihren Kopf an seine Schulter und seufzte: „Schon gut. Ich wollte dich nicht zu Maßnahmen drängen, die im Augenblick noch gar keinen Sinn machen. Ich… ich…“, sie brach ab und wandte den Kopf ab, denn sie fing zu weinen an.

Er verstand, was sie hatte sagen wollen: „Wenn du nun anfängst zu weinen, dann muss ich gleich auch losheulen. Ja, ich, stell dir das mal vor! Es tut weh, schon wieder Abschied nehmen zu müssen. Ich empfinde das auch als sehr schmerzhaft. Nur sage ich das meistens nicht, ich schlucke es irgendwie runter und das führt dann kurze Zeit später bei mir zu extrem schlechter Laune. David wird es in L.A. dann zu spüren bekommen, der Ärmste.“

„Aber nun hast du es doch gesagt.“

Er lächelte: „Ja, dein Verdienst. Wie so vieles andere auch.”

„Ich werde dich so furchtbar vermissen. Mir ist jetzt schon ganz elend.“

„Ich werde dich heute Abend anrufen. Und dann reden wir ganz lange am Telefon, ja?“

„Das ersetzt mir aber deine körperliche Nähe nicht.“

„Das wohl nicht, doch es wird ein kleines bisschen tröstlich sein, oder?“

Sie nickte unter Tränen.

Eine Stunde später war sein Flug aufgerufen und nach einem letzten, minutenlangen Kuss verschwand er durch das Gate.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Just the Way you are" von Billy Joel: https://youtu.be/tJWM5FmZyqU

18. Love will keep us together

 

Liverpool/Wales, Sommer 1976…

 

Er hatte die Kinder für zwei Wochen in den Sommerferien bei sich. Nun, um ehrlich zu sein – sie waren in der Zeit bei seinen Eltern in Liverpool, aber eine Woche hatte er sich tatsächlich frei genommen, war an den Mersey gefahren und hatte einiges mit ihnen unternommen.

Mit Lillian hatte er vereinbart, dass sie nach drei Tagen mit dem Zug nachkommen würde, damit sie noch ein paar Tage gemeinsam hatten und die Kinder sie auch kennenlernen konnten.

John wusste, dass eine Begegnung mit Lillian notwendig war, auch wenn Eliza und Jonathan überwiegend in den USA lebten. Er wollte, dass sie sich nun endlich einmal trafen.

Er hatte noch niemals zuvor die Kinder völlig alleine betreut. Gut, Eliza war fast zehn Jahre alt, aber Jonathan war erst vier, und auch wenn er keine Windeln mehr brauchte, hatte er noch Hilfe bei jedem Geschäft auf der Toilette nötig, den Po konnte der kleine Mann sich nämlich noch nicht alleine säubern. Die ersten Ausflüge unternahm John daher noch gemeinsam mit seiner Mum, sie fuhren nach Chester in den Zoo und machten dort auch einen Spaziergang um die halbe Altstadt auf der Stadtmauer. Das gefiel den Kindern, vor allem Eliza war begeistert. Seinen Sohn musste er allerdings ein gutes Stück auf der alten Stadtmauer entlang auf seinen Schultern tragen, so weit konnte der Kleine noch nicht zu Fuß marschieren.

Johns Mutter zeigte ihm, auf was besonders zu achten war, dann packte er sie einen Tag darauf ins Auto und sie fuhren zu dritt nach Wales. Zuerst nach Llandudno ans Meer, an die Irische See, was den beiden außerordentlich gut gefiel, dann besuchten sie noch Caernarfon Castle und tuckerten schließlich in den Snowdonia National Park. Bei Betws-y-Coed aßen sie in einem gemütlichen Inn zu Abend und John stellte das Zelt auf. Es war Urzeiten her, dass er das letzte Mal gezeltet hatte, es musste wohl in seinen Anfangssemestern in Oxford gewesen sein, soweit er sich erinnern konnte.  

Er packte die Kinder, die das Zelten mit ihrem Vater als ein Riesen-Abenteuer ansahen, in ihre Schlafsäcke und gab dem Quengeln Jonathans nach, der unbedingt eine Geschichte hören wollte. Da John kein Märchenbuch oder ein anderes Kinderbuch dabei hatte, kramte er angestrengt in seinem Gedächtnis. Sie waren in Wales und so lag es nahe, ihnen eine Geschichte aus dieser Region zu erzählen.  

Das einzige, was ihm nach langem Nachdenken einfiel, war die Sage von Bran, dem Gesegneten, einem Riesen, der von walisischen Göttern abstammte.

John war nicht sehr geübt im freien Erzählen, er geriet auch einige Male ins Stocken, doch die Kinder schliefen zum Glück rasch ein.

Er öffnete sich eine Dose Bier, trank diese leer und wickelte sich dann ebenfalls im Zelt in seinen Schlafsack. Irgendwann in der Nacht, wohl mehr schon gegen Morgen hin, kroch eine kleine Gestalt zu ihm in seinen Schlafsack und schmiegte sich an ihn. Jonathan!

Es war Hochsommer und somit wurde es früh hell. Als John die Augen aufmachte, auch weil ihm sein Rücken auf der Luftmatratze wehtat, lag sein Sohn selig schlafend bei ihm im Schlafsack, und Eliza mit ihrem eigenen Schlafsack dicht an seinen Rücken gekuschelt.

Die Macht der Gefühle überwältigte ihn in diesem Moment. Er hatte große Mühe, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, doch dann geschah etwas, was die Idylle ein klein wenig zerstörte – oder eigentlich auch nicht, denn er begriff langsam, dass dies dazugehörte und das Bild vervollständigte: Es wurde warm an Johns Hüfte und nass! Jonathan hatte im Schlaf Pipi gemacht!

Halb lachend und halb fluchend zog er den Kleinen aus dem Schlafsack und hängte diesen – den Schlafsack, nicht das Kind! - nach draußen zum Trocknen. Dann lief er mit dem Kind auf dem Arm zum Auto und holte frische Anziehsachen.

Eliza, die natürlich ebenfalls aufgewacht war, half mit und meinte: „Ab und zu passiert das bei Jona nachts, Mum sagt, tagsüber ist alles okay, aber nachts kann er das noch nicht so gut.“

„Verstehe. Eure Grandma muss den Schlafsack nachher dann gleich waschen, und Jonathans Hosen und meine Trainingshosen auch. Gut, dass wir heute nach Liverpool zurückkehren, sonst hätten wir eine Nacht in dem stinkigen Ding schlafen müssen.“

„Iiih, Dad! Und heute kommt die Frau, die auf dem Eis so schön tanzen kann?“

„Ja, wir holen sie gleich auf dem Rückweg nach Hause am Bahnhof ab.“

„Wie heißt sie noch mal?“

„Lillian, Eliza, sie heißt Lillian.“

„Meinst du, sie kann mir das Eislaufen beibringen?“

„Mäuschen, nicht jetzt im Sommer. Aber vielleicht in den Weihnachtsferien, mal sehen, ja?“

„Wenn ihr heiratet, bekomme ich dann ein tolles Kleid und darf das Blumenmädchen sein?“

„Liza, wie kommst du denn da drauf?“

„Weiß nicht, ich dachte nur, weil Mum und du nicht mehr verheiratet seid und…“, das Mädchen brach sichtlich verwirrt ab, sie reimte sich mit ihren zehn Jahren einige Dinge zusammen, aber größtenteils waren das rosarote Kleinmädchen-Träume.

John erkannte den Handlungsbedarf und während er Jonathan ein Rosinenbrötchen in die Hand drückte, nahm er Eliza auf seinen Schoß: „Meine Güte, bist du schwer geworden. Daran merke ich, dass du langsam eine junge Dame wirst. Und jungen Damen kann man Dinge erklären, die Kinder – und das wart ihr damals, als eure Mutter und ich uns getrennt haben – nicht richtig verstehen. Also, unsere Scheidung – du weißt, das ist, wenn ein verheiratetes Paar nicht mehr zusammen leben kann und möchte, meist aus ganz vielen verschiedenen Gründen – hat nichts damit zu tun, dass wir euch nicht lieb haben. Ganz im Gegenteil, denn somit erspart man sich oft ganz furchtbaren Streit, was für euch Kinder sicher ganz schrecklich gewesen wäre. Nur schade ist, dass man dann meist weit voneinander wegwohnt, wie es bei uns der Fall ist. Aber wir kriegen das ja ganz gut hin.

Ich bin immer euer Dad, egal, was passiert. Und ich habe euch richtig doll lieb. Wirklich.

Dass nun Lillian kommt, hat nichts mit euch und nichts mit eurer Mum zu tun. Ich liebe sie, sie liebt mich, aber gleichzeitig liebe ich euch – das funktioniert einwandfrei.“

Eliza nickte ernst und fragte aber nach: „Aber Mum liebst du doch nicht mehr, oder?“

„Schwere Frage, das gebe ich zu. Weißt du, man liebt seine Kinder, da kann kommen was will. Aber zwischen Mann und Frau liegen die Dinge ein bisschen anders, da gibt es so vieles, was Änderungen unterworfen ist und die Liebe kaputtmachen kann. Leider. Doch ich sage es zu deiner Beruhigung: Ich liebe auch Jane, denn sie ist eure Mum und hat euch zur Welt gebracht.“

„Doch Lillian liebst du mehr?“

Für Kinder war die Welt manchmal sehr einfach.

John seufzte: „Sagen wir mal so: Ich liebe sie, weil sie ganz wundervoll Eislaufen kann!“

„Dad! Du schwindelst! Ich bin nicht so ein kleines Dummerchen wie Jona. Ich weiß gaaaaanz genau, was Mann und Frau machen, wenn sie sich lieben!“

John wusste nicht, ob er entsetzt sein oder lieber lachen sollte. Es war offensichtlich höchste Zeit, dass er das Gespräch mit seiner Tochter gesucht hatte.

„Aha. Natürlich. Hätte ich mir denken können, da du ja nun schon eine junge Dame bist. Also, ich höre.“

Sie sprach weiter in kindlichem Eifer: „Aber du darfst Mum nicht sagen, dass ich es weiß.“

„Versprochen! Großes Indianer-Ehrenwort!“

„Gut. Also…”, sie kicherte ein wenig und flüsterte es dann ihrem Vater ins Ohr, „die küssen sich dann ganz dolle!“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass das alles war.

Dann machte sich Erleichterung in ihm breit und er lächelte seine Tochter an: „Ja. Genau. Vollkommen richtig.“

„Also wirst du Lillian auch küssen?“

Er nickte, um Ernsthaftigkeit bemüht: „Ja, das werde ich tun.“

„Aber – warum heiratet ihr dann nicht? Das verstehe ich nun gar nicht.“

„Das kann ich dir sagen: Ich war schon einmal verheiratet und wurde geschieden, und ich glaube, da hat man große Bedenken, dass es beim nächsten Mal erneut schiefgehen könnte.“

„War Lillian auch schon mal verheiratet?“

„Nein, Mausi, war sie nicht.“

„Aber dann wäre es doch okay. Sie ist nicht geschieden, und muss keine Angst haben, noch einmal geschieden zu werden.“

Wie leicht und locker doch Kinderaugen die Welt betrachteten.

John drückte Eliza an sich und sagte: „Da hast du auch wieder Recht. Doch nun packen wir zusammen, damit wir rechtzeitig in Liverpool am Bahnhof sind und sie nicht verpassen, ja?“

„Ja. Dad?”

„Was, Liza?”

„Es wäre schön, wenn du öfter mal mit mir so sprechen würdest, wie man mit Erwachsenen spricht. Da ich doch nun eine junge Dame bin.“

„Ich werde mir Mühe geben, es in Zukunft so zu handhaben.“

Er hob sie mühelos hoch und wirbelte sie durch die Luft, wobei ihr ein freudiges Juchzen entschlüpfte. Ganz junge Dame, natürlich!

 

Zum Kapitel gehört der Song "Love will keep us together" von Captain & Tennille: https://youtu.be/_QNEf9oGw8o

 

19. Fly me to the Moon

 

Mít Eliza an der einen und Jonathan an der anderen Hand stand John Birt vor dem Bahnsteig und wartete auf die Fahrgäste aus dem Zug aus Oxford. Er und Lillian hatten sich auch in England nicht sehr oft gesehen, sie wohnte in Oxford und trainierte meist erst in den Abendstunden, er arbeitete tagsüber und vor allem am Wochenende. Wenn sie frei hatte, war er beschäftigt und umgekehrt. Nichts schien zusammenzupassen, es gab nach wie vor nur gelegentliche Treffen, die meist nicht einmal sonderlich spontan zustande kamen, sondern langfristig geplant werden mussten, da so viele unterschiedliche Termine abzustimmen waren.

Jetzt endlich klappte es, vor allem wegen der Ferien der Kinder, da sich John dafür ja Urlaub genommen hatte. Ansonsten wäre es wohl wieder nichts geworden mit einem Zusammensein über mehrere Tage hinweg.

John war nervös. Wie würden die Kinder sich Lillian gegenüber verhalten? Und wie würde sie im Gegenzug mit ihnen klarkommen?

Dann sah er sie auf sich und die Kinder zukommen und lächelte: „Hallo, wie schön, dass du da bist.“

„Ebenfalls hallo.“

Sie wussten nicht, wie sie miteinander vor den Augen der Kinder umgehen sollten, daher ging Lillian erst einmal in die Knie, damit sie auf Augenhöhe mit den beiden Kleinen war: „Na ihr. Das freut mich aber, dass ihr mit eurem Dad zum Bahnhof gekommen seid, um mich abzuholen. Super!“

Eliza gab der Frau vor ihr höflich die Hand, es war ihr so eingetrichtert worden und bedeutete ihrem kleinen Bruder, dies ebenfalls zu tun: „Guten Tag. Wir sind Eliza und Jonathan Birt.“

Dann wandte sie sich jedoch in kindlicher Enttäuschung an ihren Vater: „Ich dachte, ihr würdet euch küssen.“

Er zog schmunzelnd seine Augenbraue hoch und sagte dann mit einem Augenzwinkern: „Das holen wir gleich nach, nicht hier vor all den Leuten, okay?“

„Okay.“

Lillian fragte nichts, hielt sich erst einmal aus allem raus, obwohl sie sich ganz schön wunderte.

Am Auto angekommen, warf John das Gepäck von Lillian noch zu dem ganzen Camping-Chaos der zwei Tage in Wales dazu, grinste und meinte dann: „Ich denke, wir sollten meine Tochter nicht enttäuschen, die mit ganz bestimmten Erwartungen mit zum Bahnhof gekommen ist.“

Er beugte sich vor und küsste Lillian; zwar auf den Mund, aber dies nur flüchtig und eher in einem freundschaftlichen Sinne.

„Dad, wenn du das so machst, wirst du bald schon wieder geschieden werden! Kannst du sie nicht so küssen wie das die Leute im Film immer machen?“

John blickte fassungslos von Lillian zu Eliza und wieder zurück, dann konnte er das Lachen nicht mehr zurückhalten und prustete los: „Oh mein Gott! Ich frage mich gerade, welche Filme mein Töchterlein sich da ansehen darf! Ich muss ein ernstes Wort mit deiner Mutter reden, mein Fräulein!“

„Mum würde mich das auch nicht sehen lassen, aber wenn sie im Museum arbeitet, lässt mich Grandma immer mitgucken.“

„Na sauber. Aber bevor ich mir nachsagen lasse, ich wüsste nicht wie man eine Frau richtig küsst – bitte!“

Er nahm Lillians Gesicht in seine Hände und nahm zart von ihrem Mund Besitz.

Eliza war begeistert: „Hey, Dad, genau wie Rock Hudson und Doris Day, Spitze!“

„Vielen herzlichen Dank, Liza! Und nun sollten wir, denke ich, losfahren, bevor wir noch unangenehm auffallen und womöglich verhaftet werden, weil ich mir von einer Zehnjährigen vorschreiben lasse, welche Kusstechnik die richtige ist!“

Im Auto warf er Lillian einen sehr bedeutungsvollen Blick zu: „Ich berichte dir später ausführlich über alles.“

Lillian dachte sich ihren Teil und nickte nur.

Bevor er mit den Kindern zu seinen Eltern fuhr, machten sie alle vier Halt in einer der neuen italienischen Eisdielen, die nun in den größeren Städten überall Läden eröffneten und John spendierte jedem einen Eisbecher.

Für Eliza war das nicht ganz schlüssig: „Und auf diesem Eis kann man echt Schlittschuhlaufen?“

Lillian lächelte und schüttelte den Kopf: „Oh nein, wo denkst du hin. Hier in deinem tollen Erdbeer-Eis ist viel, viel mehr drin als in dem Eis auf dem ich mit meinen Schlittschuhen laufe. Deswegen heißt das hier ja auch Eiscreme, weil es nicht nur gefrorenes Wasser ist, sondern eher gefrorene Milch, Eier, Sahne, Zucker und Früchte. Was ganz Feines also. Mit den Schlittschuhen gleite ich nur über gefrorenes, eisiges Wasser, damit hat es sich auch schon.“

„Ach so. Danke, dass du es mir erklärt hast.“

Jonathan sagte nichts, hatte aber sein kleines Mündchen großzügig mit Schokoladen-Eis verschmiert.

Danach setzte John Lillian am Hotel ab, er würde sie später aufsuchen, sobald er die Kinder bei seinen Eltern abgesetzt und mit ihnen allen Abendbrot gegessen hatte. Die Kinder waren so erledigt, dass sie sicher sehr schnell an diesem Abend ins Bett fallen würden.

Zu Hause angekommen, packte er das Auto aus, während seine Mutter Eliza und Jonathan in die Badewanne steckte: „Ich dachte, ihr wart zwei Tage lang in Wales und nicht auf einer Dschungel-Expedition. Was habt ihr nur getrieben, verdreckt und verklebt wie ihr seid?“

Jonathan, der noch immer Schoko-Reste um den Mund hatte, nuschelte: „Wir haben Eis gegessen. Eiscreme heißt das, hat Lilly gesagt.“

„Das sehe ich.”

Mrs. Birt warf ihrem Sohn einen vorwurfsvollen Blick zu, der jedoch weniger auf das Eis-Essen als vielmehr auf den Namen, den der Junge genannt hatte, zurückzuführen war. Sie befand es nämlich als unnötig, den Kindern eine Frau vorzustellen, mit der John ihrer Meinung nach nichts verband, außer in schöner Unregelmäßigkeit alle paar Wochen mal Sex haben zu können.

Als die Kinder gebadet waren, das Dinner auf dem Tisch stand und die Waschmaschine lief, versammelten sie sich zum Essen.

John erzählte, ergänzt von den Kommentaren seiner Kinder, ein wenig vom Ausflug, doch es fiel immer mal wieder der Name Lillian, was unvermeidlich war. Mr. Birt enthielt sich jeglichen Kommentars und Mrs. Birt verzog jedes Mal säuerlich das Gesicht.

Eigentlich hatte er vorgehabt, Lillian am nächsten Tag mitzubringen und sie seinen Eltern vorzustellen, aber angesichts deren merkwürdiger Haltung war es wohl besser, diesen Plan nicht weiterzuverfolgen. Schade.

Wie erwartet fielen Eliza und Jonathan wie ein Stein ins Bett, es war nicht einmal nötig, ihnen noch etwas vorzulesen.

Daher zog er die Tür zum Kinderzimmer leise zu und verabschiedete sich von seinen Eltern: „Ich gehe dann mal. Gute Nacht.“

„Heißt das, du kommst heute Nacht nicht wieder?“

„Das heißt es. Erst nach dem Frühstück hole ich die Kinder ab. Wenn das Wetter gut bleibt, fahren wir nach Blackpool, erst in den Vergnügungspark und dann noch ein wenig ans Meer.“

„Aha. Nun, du musst wissen, was du tust. Wenn es dich so sehr nach deinem Betthäschen gelüstet.“

„Mutter! Wie redest du denn? Es ist mir schon klar, dass ihr Lillian nicht mit offenen Armen empfangen werdet, warum auch immer, aber ich möchte nicht, dass ihr so abfällig von ihr sprecht! Ich habe ein Recht auf mein eigenes Glück und das lasse ich mir von euch nicht madig machen!“

„Und die Kinder? Denkst du denn gar nicht an sie?“
“Mum, bitte. Schiebe nicht die Kinder vor, das ist einfach feige. Die kommen schon klar mit ihr, die erste Stunde gemeinsam mit Lillian und ihnen war sogar recht amüsant. Außerdem bin ich zwar Vater, aber kein Mönch. Also dann, schlaft gut. Ach, übrigens – ich bringe sie morgen mit hierher, obwohl ich dies vor zehn Minuten noch nicht vorhatte. Aber ich denke, es tut euch mal ganz gut, zu merken, dass ihr nicht über alles bestimmen und über jeden den Stab brechen könnt. Und ich erwarte, dass ihr Lillian sehr nett begrüßt. Bye.“

Erschöpft ließ John sich bei Lillian ins Hotelbett fallen: „Ich bin geschafft! Um ehrlich zu sein, war ich mit den Kindern ein wenig überfordert, da ich es gar nicht gewohnt bin, sie vierundzwanzig Stunden am Tag um mich herum zu haben. Am schlimmsten war, dass Jona heute früh im Schlaf in meinen Schlafsack gepinkelt und Eliza mich in ein altkluges Aufklärungsgespräch verwickelt hat. Ein Alptraum! Und dann noch meine Eltern…“, er brach ab und starrte die Decke an.

Lillian strich ihm liebevoll über seine halblangen, grauen Haare: „Ach, deswegen war sie so erpicht darauf, dass wir uns richtig küssen, wie in einem Film?“

Er nickte: „Ja. Sie meint, das wäre das Tollste, was zwischen Mann und Frau abläuft, wenn sie sich lieben.“

„Aber ganz aufgeklärt hast du sie nicht?“

„Bist du wahnsinnig? Das könnte ich nicht. Ich habe heute früh in Wales geradeso die Kurve gekriegt, ohne dass ich mich allzu weit aus dem Fenster habe lehnen müssen. Wenn meine Schwiegermutter meint, dass sich Liza mit ihr diese Knutsch-Filme aus den Sechzigern ansehen sollte, dann soll sie gefälligst auch dafür sorgen, dass sie ihr den Rest ebenfalls noch beibringt. Dafür bin ich wirklich nicht zuständig!“

Jetzt hatte Lillian sich bereits halb auf ihn gelegt und frage mit frechem Grinsen nach: „Für was bist du dann zuständig?“

Er zog ihren Kopf nah an sein Gesicht, hauchte einen Kuss auf ihre Lippen und antwortete: „Ausschließlich dafür, mit dir jetzt gleich hemmungslosen Sex zu haben.“

„Dann lass dich nicht davon abhalten.“

Der nun folgende Kuss war von ganz anderem Kaliber und bereits ein Vorgeschmack auf die vor ihnen liegende Liebesnacht.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Fly me to moon" in der Version von Doris Day: https://youtu.be/j7bfudsfZjw

20. I want to break free

 

London, Sommer 1976…

 

John, der zu Beginn der Ferien die Kinder in Washington abgeholt hatte und mit ihnen gemeinsam nach London geflogen war, als er dort mal wieder einen Zwischenstopp von L.A. aus eingelegt hatte, fuhr mit Eliza, Jonathan und Lillian von Liverpool zurück nach London.

Da er nun nicht sofort in die Staaten musste, sondern erst einmal in London zu arbeiten hatte, wurden die Kinder von ihrem Großvater auf dem Rückflug nach Washington begleitet. Für Eliza hätte es sicher bereits funktioniert, als unbegleitetes Kind zu fliegen, aber mit Jonathan ging das natürlich noch nicht. Also kam Johns Schwiegervater, um seine Enkel abzuholen.

John hatte nun auch keinen Urlaub mehr, er musste dringend zurück an seinen Schreibtisch im Kent-House. Lillian hingegen hatte noch ein paar Tage länger frei und kam zum ersten Mal mit in Johns Wohnung.

Das Haus, das er zu Zeiten seiner Ehe mit Jane mit ihr und den Kindern bewohnt hatte, hatte er schon längst verkauft, dafür hatte er sich eine Wohnung gekauft. Der Restbetrag war in die Tasche von David Frost geflossen, es war ein Teil der hundertfünfzigtausend Pfund gewesen, die er ihm vorgestreckt hatte.

Die Wohnung lag zentraler, näher an der City, nicht so ganz in einem langweiligen Schlaf-Vorort wie damals. Nun hatte er eine ansprechende Wohnung in der Blackheath Road in Greenwich, das war angenehm zu fahren bis Upper Ground, wo das Kent-House direkt neben dem Royal National Theater lag.

Doch zuerst lieferte er die Kinder bei ihrem Großvater im Holiday Inn Heathrow ab. Er hatte für alle zusammen gar keinen Platz bei sich in der Wohnung. Zwar verfügte er über zwei Schlafzimmer, doch das eine nutzte er mehr als Arbeitszimmer, es war nicht eingerichtet Gäste zu beherbergen.

Am Hotel verabschiedete er sich von den Kindern, nicht ohne dass sein ehemaliger Schwiegervater ihn mit tausend Fragen bestürmte, die sich vor allem darum drehten, ob die Kinder es auch gut verkraftet hätten, dass man ihnen eine neue Mum vorgesetzt hätte.

John hatte geahnt, dass er deswegen ins Visier genommen werden würde und er musste aufpassen, dass er gegenüber Janes Vater nicht pampig wurde.

Auf einen seiner Kommentare hatte er nämlich bereits eine patzige Antwort gegeben: „Es kann sein, dass Jane wie in einem Kloster lebt, das passt auch bestens zu ihr, aber ich tue das gewiss nicht.“

„Ja, das wissen wir. Dein ständiges Fremdgehen hat Jane kaputtgemacht. Es hat sie in die Scheidung getrieben, weil du es mit anderen getrieben hast und wie ich sehe, geht das munter weiter so.“

„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“

„Mir vielleicht nicht, John, aber deinen Kindern! Ich will nicht hoffen, dass die beiden Kleinen irgendetwas von deinen Ausschweifungen mitbekommen haben.“

John verdrehte die Augen und dachte mit Panik daran, was Eliza ihrem Großvater alles ausplaudern konnte. Auch wenn das Kind keine Intimitäten von ihm und Lillian im Bett mitbekommen hatte, so würden doch die kindlichen Berichte von Küssereien und Knutschereien vollends ausreichen, um den Großvater endgültig gegen ihn einzunehmen.

Mit weiteren Vorwürfen übersät verabschiedete er sich rascher als geplant, was ihm wegen der Kinder sehr leid tat. Eliza kullerten auch die Tränchen aus den Augen, während Jonathan die Situation noch nicht verstand und froh war, seinen Opa zu sehen.

John hob erst seinen Sohn hoch, zwickte ihm spielerisch in die Wange und drückte ihn dann fest an sich: „Mach’s gut, kleiner Racker. Ich komme euch in Washington besuchen, bald schon.“

Dann kniete er sich auf den Boden und schloss Eliza in seine Arme: „Die junge Dame! Es hat mir viel Spaß mit euch gemacht in der letzten Woche“, er unterbrach sich und überlegte – Lillian hatte ihm an Ostern gesagt, er solle sie nicht im Ungewissen über seine Zuneigung und Liebe lassen, also… „und ich liebe euch sehr. Alle beide. Vergesst das nie!“

Jetzt war es endlich raus! Zehn Jahre lang hatte er es unterdrückt, nicht wahrhaben wollen, nicht offenbaren können. Und plötzlich musste er höllisch aufpassen, dass er nicht gemeinsam mit seiner Tochter anfing zu weinen!

Na, er war aber auch ein Weichei geworden! Völlig ungewohnte Gefühle überrollten ihn gerade, er kniff die Augen hinter den runden Brillengläsern zusammen und räusperte sich nervös.

Dann gab er rasch seinem früheren Schwiegervater die Hand und verabschiedete sich: „Danke, dass du sie begleitest. Kommt gut nach Hause, alle drei. Und grüßt schön, ja?“

Er floh regelrecht aus dem Hotelzimmer, erst im Flur vor den Aufzügen stoppte er und atmete durch. Verdammte Scheiße, er hatte tatsächlich feuchte Augen! Gefühlsduseleien waren ihm fremd und momentan war er sich selbst schrecklich fremd. Doch er begriff, dass er sich einem inneren Wandel unterzog und das bereits seit einigen Monaten.

Lillians zarte, unaufdringliche, aber trotzdem starke und unverbrüchliche Liebe zu ihm hatte ihm sein Herz geöffnet. Sie hatte ihm auf ganz leise Art und Weise gezeigt, wie es funktionierte, wie man Empfindungen zuließ und diese auch artikulierte. Wie man die Dinge, Herzensangelegenheiten betreffend, schlicht und ergreifend besser machte.

Er sauste zum Auto auf dem Hotelparkplatz und zog Lillian dort sofort ungestüm in seine Arme. Sie war über seinen emotionalen Zustand keineswegs erstaunt, so sagte sie auch nicht ein Wort, sondern drückte ihn nur fest an sich. Und keine zehn Sekunden später fing der große, stattliche Mann in ihren Armen bitterlich zu weinen an.

Es war John sehr peinlich, aber er merkte, dass er dafür von Lillian nicht ausgelacht wurde. Sie bot ihm das Ventil, das er brauchte, um die aufgestauten Gefühle loszuwerden. Daher erlaubte er sich auch diese Schwäche und heulte sich aus.

Nach einigen Minuten wurde er ruhiger. Lillian hatte seine Brille fürsorglich auf das Armaturenbrett des Wagens gelegt und strich ihm wieder und wieder durch seine grauen Haare.

Nun, wo der Heulanfall langsam abebbte, richtete sie leise das Wort an ihn: „Sch, weine ruhig weiter. Unterdrücke es nicht. Es muss raus, Darling. Wir haben Zeit, niemand hetzt uns.“

Er nickte nur und zog schniefend die Nase hoch. Dankbar nahm er das Kleenex, das Lillian aus ihrer Handtasche gezogen hatte und schnäuzte sich geräuschvoll.

Dann richtete er sich ein wenig auf und schüttelte den Kopf: „Glaub mir, das ist mir noch nie passiert. Außer damals, als ich als Kind einen schlimmen Sturz vom Fahrrad gehabt hatte.“

„Du möchtest mir doch nicht ernsthaft sagen, dass du seit diesem Sturz mit dem Rad nie wieder geweint hast, oder?“

„Doch. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Vielleicht gab es noch die eine oder andere Situation, aber daran erinnere ich mich nicht. Du kannst mich also zu Recht ausschimpfen und mich einen gefühlsarmen Deppen nennen.“

„Das werde ich gewiss nicht tun, denn das bist du nicht. Du magst dich so gegeben haben in der Vergangenheit, aber dein wahres Ich ist anders. Du bist so liebevoll, zärtlich, empfindsam und alles in allem ein wundervoller Mensch.“

Ihre Worte bewirkten, dass sich seine Augen erneut mit Tränen füllten. Tapfer biss er sich auf die Lippen, um nicht wieder losheulen zu müssen. Doch eine vorwitzige Träne konnte er nicht mehr aufhalten, sie kullerte langsam in der Mitte seiner Wange herunter. Bevor sie das Kinn erreichen konnte, hatte Lillian sie kurz entschlossen weggeküsst.

Nun musste er lächeln, sie tat irgendwie immer das Richtige zum richtigen Zeitpunkt.

Er nahm beide Hände von ihr auf und küsste diese überwältigt: „Du bist das Wunder. Mein Leben ist so reich geworden durch dich. Ich liebe dich so sehr.“

Lillian hauchte ihm einen Kuss auf seine Lippen: „Fantastisch! Dann würde ich sagen: Starte den Motor und ab zu dir nach Hause! Dort möchte ich sofort einen sichtbaren Beweis deiner Liebe, mein Schatz!“

Jetzt musste John lachen: „Den kannst du haben, sobald wir in meiner Wohnung zur Tür hereinkommen!“

Er langte auf das Armaturenbrett, setzte sich seine Brille auf, steckte den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn um, so dass der Motor ansprang. Überaus zügig fuhr er vom Parkplatz weg und lenkte den Wagen mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen dem Motorway zu.

 

Zum Kapitel gehört der Song "I want to break free" von Queen: https://youtu.be/f4Mc-NYPHaQ

21. I only want to be with you

 

Sie lagen in seinem Bett, es war sehr heiß in der Wohnung, da die Sonne direkt auf die Fensterfront einstrahlte und keine Jalousien oder Rollos deren unbarmherzigen Strahlen abhielten, also lagen sie nackt da, ohne zugedeckt zu sein. Aus dem Kassettenrekorder dudelte Don’t go breaking my Heart von Kiki Dee und Elton John, was John an die Bekanntschaft mit der Sängerin erinnerte. Er freute sich, dass sie nun einen Riesenhit mit diesem Song hatte.

Lillian pustete sich eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn: „Deine Eltern waren ja so übel nicht. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt, deinen ersten Schilderungen nach zu urteilen.“

„Ich habe ihnen auch schwer gedroht. Sie haben zuerst nicht sehr nett über dich gesprochen, ich war völlig entsetzt. Dann bin ich böse geworden und habe mal Klartext mit ihnen geredet. Das scheint sie aufgerüttelt zu haben. Dad hat nichts gesagt, hat aber immer fleißig zu Mutters Schimpftiraden genickt und ihre Meinung automatisch angenommen.“

„Aber er hat mir seine Münzsammlung gezeigt.“

John musste unwillkürlich lachen: „Ja, die hat nicht einmal Jane zu sehen bekommen, du kannst stolz darauf sein. Wer hätte auch gedacht, dass dein Großvater das gleiche Hobby hatte. Dad war sehr beeindruckt, dass du ein bisschen Ahnung davon hast. Du hast nun sicher einen Stein im Brett bei ihm. Er war weitaus zugänglicher und freundlicher als Janes Vater heute, als ich die Kinder für die Rückreise bei ihm abgeliefert habe. Nicht alles, dass er mich als unmoralischen Schürzenjäger tituliert hätte, der nur das Eine im Sinn hat. Er war besorgt, die Kinder könnten Intimitäten zwischen uns mitbekommen haben.“

„Er wird eine Herzattacke kriegen, wenn Eliza ihm das von der Küsserei erzählt.“

„Das waren auch meine Bedenken, aber jetzt, wo ich näher darüber nachdenke, glaube ich eher, dass Eliza es als kleines Geheimnis zwischen ihr und uns ansieht, das nicht breitgetreten werden muss. Sie war mächtig stolz, dass wir sie – mit ihren Augen betrachtet – da miteinbezogen und wie eine Erwachsene behandelt haben.“

„John-Schatz, ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass mir mehr an der Meinung deiner Eltern, als an der deiner ehemaligen Schwiegereltern gelegen ist. Allerdings musst du auch weiterhin mit ihnen klarkommen, von daher sehe ich ein, dass du Ärger vermeiden möchtest. Mich jedoch gehen diese Leute überhaupt nichts an.“

„Das weiß ich. Das ist so eine Zwickmühle, bei der ich vorrangig wirklich an die Kinder denken muss. Wenn die nicht wären, wäre mir das auch alles piepegal. Themawechsel, bevor ich noch mehr graue Haare kriege: Wie gefällt dir die Wohnung?“

Lillian lächelte: „Zumindest ist hier deutlich mehr Platz als in meiner Bude in Oxford. Weißt du noch, den einen Abend im Mai, als du mich dort besucht hast und das Bett war so kurz für dich, dass dir dauernd die Füße raushingen?“

„Ja, grauenvoll! Ein Bett muss bei mir mindestens zwei Meter lang sein, sonst kannst du es vergessen. Außerdem ist dein Bett nicht nur zu kurz sondern auch zu schmal. Nichts gegen heftiges Kuscheln, aber ich hatte nachts dauernd Angst, ich würde rausfallen und mir wehtun. Und die Dusche und das Klo auf dem Gang, wo gibt es denn so was heute noch? Mittelalterliches Oxford, echt.“

„Für mich reicht es ja, ich bin außerdem so oft gar nicht zu Hause. Aber das schicke Apartment hier ist natürlich eine ganz andere Liga. Mit Einbauküche, irre.“

Nun lachte John: „Ja, und das, wo ich doch nie koche, so eine Verschwendung!“

„Wir können das sofort ändern und deine jungfräuliche Superküche einweihen, du musst nur ein Wort sagen.“

„Ich werde mich hüten! Viel lieber sollten wir mal hier im Bett so langsam in die zweite Runde gehen, wenn wir schon mal so viel Zeit für uns haben.“

„Aber ich verhungere gleich.“

„Wir können uns Fish and Chips oder etwas Ähnliches vom Hot Express hier gegenüber in der Greenwich South Street holen.“

„Nur über meine Leiche.“

„Magst du kein Fish and Chips?“

„Doch, aber nicht wenn man so eine Küche in der Wohnung hat.“

„Lillian, wir können morgen etwas kochen, heute nicht, okay? Es ist auch so schrecklich heiß und ich bin gerade so herrlich faul.“

Er rollte sich halb über sie und küsste sie verlangend.

Lillian seufzte: „Du hast mich gerade eben davon überzeugt, dass wir heute mal richtig faul sein und uns ausschließlich lasziv im Bett wälzen sollten. Gekocht wird dann eben morgen.“

„Juhu!“

John ließ einen Jubelschrei ertönen, bevor er sich wieder intensiv Lillian zuwandte.

 

Weihnachten 1976…

 

Sie konnten Weihnachten nicht gemeinsam verbringen. Lillian hatte sowieso nur den eigentlichen Feiertag freibekommen, es standen die Europameisterschaften Ende Januar in Helsinki an und Anfang März sogleich die Weltmeisterschaften in Tokio. Das bedeutete intensive Vorbereitung und überdies viel Reisen.

John war daher in Washington und verbrachte die Feiertage mit den Kindern. Es war ihm zwar gar nicht recht gewesen, dass Lillian und er nun schon das zweite Weihnachtsfest nicht zusammen waren, aber es ließ sich nicht anders lösen. Er wollte es auch den Kindern nicht antun, nachdem er Ostern ja nur mit ihnen telefoniert hatte.

Dass er Eliza ein Paar Schlittschuhe schenkte, kam nicht sehr gut bei seinen Schwiegereltern und bei Jane an, obwohl seine Tochter sich sehr darüber freute. Die leuchtenden Kinderaugen zu sehen, war ihm auch weitaus wichtiger als die leicht missbilligenden Gesichter der anderen und so überhörte er großzügig deren etwas abfälligen Kommentare.

„Prima Dad! Wann hat Lilly denn etwas Zeit, um mit mir zu üben?“

„Schatz, momentan ist das sehr ungünstig. Du möchtest doch auch, dass sie eine gute Platzierung bei den anstehenden Meisterschaften erhält, und dafür muss sie fast Tag und Nacht trainieren, bis es dann soweit ist. Aber danach klappt es bestimmt mal.“

Eliza war über diese Antwort nicht mehr ganz so erfreut, aber sie nickte tapfer: „Gut. Darf ich dann die Europa- und Weltmeisterschaften im Fernsehen anschauen?“

John war ein bisschen unbehaglich zumute, er wollte hier niemandem etwas vorschreiben, vor allem nicht, wenn es dabei unter anderem um Lillian ging: „Das solltest du besser deine Mum und deine Großeltern fragen, das kann ich nicht entscheiden. Ich werde zu dem Zeitpunkt außerdem schon in Kalifornien sein und endlich, endlich mit David und den anderen die Interviews mit Nixon zum Finale bringen.“

Das Kind wandte sich bittend an seine Großeltern und seine Mutter: „Darf ich?“

Da Weihnachten war und man keinen Krach anzetteln wollte, nickten die drei Angesprochenen müde und gaben gnädig ihre Zustimmung. Das Kind konnte ja schließlich nichts dafür und so übel war Eislaufen nun auch wieder nicht. In den USA gab es in diesem Sport schon viele Profis, die damit sogar richtig gut Geld verdienten.

Jonathan bekam einen Kettcar von John geschenkt, der Junge machte riesige Augen vor Begeisterung, kam aber noch nicht ganz an die Pedale heran.

„Für den Sommer dann, bis dahin bist du noch einmal ordentlich gewachsen und wirst das schicke Teil fahren können, okay? Damit wäre der Grundstein zu einer Rennfahrer-Karriere gelegt.“

Nachdem alle noch gemeinsam gegessen hatten, entschuldigte John sich und suchte eine Telefonzelle auf, es war Zeit, Lillian, die derzeit sogar in Sheffield im Nationalen Leistungszentrum trainierte, anzurufen. Obwohl sie frei hatte, hätte es sich für sie nicht gelohnt, nach Hause nach Oxford zu fahren, daher wählte John ihre Hotelrufnummer an.

„Frohe Weihnachten aus dem eisigen Washington! Wie geht es bei euch?“

„Frohe Weihnachten aus dem verregneten Sheffield. Es geht so. Anstrengend halt. Aber wir werden es schaffen, wenn sich nicht noch einer von uns verletzt.“

„Das wird nicht passieren, Süße. Immer positiv denken.“

„Wie war es? Was hat Eliza zu ihren Schlittschuhen gesagt?“

„Sie war total begeistert, aber auch ein bisschen traurig, weil du es ihr derzeit nicht beibringen kannst.“

„Die arme Maus. Und dein Sohnemann? Fährt er schon mit dem Kettcar?“

„Leider ist er noch einen Tick zu klein für das Gefährt, aber das wird schon.“

„Im Frühjahr und Sommer ist das auch besser, jetzt wird es ohnehin zu kalt sein. Frierst du?“

„Ich bibbere ganz ordentlich vor mich hin an diesem verdammten Freilufttelefon. Ich wäre nun viel lieber bei dir, an einem prasselnden Kaminfeuer, unter einem nicht ganz so schreiend bunten und mit tausend blinkenden Lichtern versehenen Weihnachtsbaum wie hier, mit einem heißen Punsch für uns beide und anschließend würde ich dich in einem großen, kuscheligen Bett unter warmen Decken die ganze Nacht lang lieben.“

Es war einen Moment lang ruhig in der Leitung und John dachte schon, die Gesprächsverbindung nach England wäre abgebrochen, doch dann hörte er sie antworten: „Du machst es mir ganz schön schwer, mich nicht völlig in Sehnsucht nach dir zu verzehren. Weihnachten erneut ohne dich ist ganz schön hart. Ich… ich vermisse dich schrecklich. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, denk immer daran. Und trainiere fleißig, diesmal muss es eine Medaille werden, okay?“

„Ich verspreche es. Wann fliegst du nach L.A.?“

„Gleich im neuen Jahr. Silvester bleibe ich noch hier, es wird bestimmt der Brüller, auf dem Sofa mit Jane und deren Eltern. Aber da du ja Sheffield zu deinem neuen Lebensmittelpunkt gemacht hast… was soll ich armer Kerl da machen?“

„Du hättest herkommen können.“

„Damit ich dich für eine Stunde zwischen den Trainingseinheiten sehen kann? Nein, du brauchst auch deine Ruhe- und Regenerationsphase und ich wäre dabei nur hinderlich gewesen, das sehe ich ein, auch wenn es noch so eine bittere Pille zu schlucken ist.“

Lillian unterdrückte einen weinerlichen Laut und fragte: „Aber ansehen wirst du dir doch die Wettkämpfe, oder?“

„Ich hoffe, dass mir das bei all der Arbeit möglich sein wird. Ich versuche es auf alle Fälle. Aber Eliza darf es sich ansehen, sie hat die Erlaubnis dafür ihren Großeltern und ihrer Mutter heute Mittag abgerungen und weil Weihnachten ist, haben sie ihr die Bitte nicht abschlagen können.“

„Niedlich von ihr. Sobald ich von der WM zurück bin, müssen wir unbedingt mit ihr Eislaufen gehen.“

„Fliege doch von Tokio aus nach Los Angeles. Das wäre näher und weniger umständlich als nach London. Und spart Jetlag. Was hältst du davon?“

„Keine schlechte Idee. Ich denke auf alle Fälle darüber nach.“

„Schön, das würde mich freuen. Mein Geld ist gleich alle, ich muss das Gespräch beenden. Süße, ich wünschte, du könntest bei mir sein oder ich bei dir. Schönen Feiertag noch!

„John… ich wünschte es auch. Mach’s gut, ja?”

Er legte den Hörer auf und ging langsam die Straße entlang zurück zum Haus. Wie lange würde Lillian das mit dem Eistanzen noch machen können? Sie war kein ganz junger Hüpfer mehr und die jüngere Konkurrenz drängte schnell nach vorn. Er schätzte, dass es spätestens in drei Jahren, nach den Olympischen Spielen in Lake Placid, aus sein würde. Dann erst wäre eine ruhigere, harmonischere Beziehung möglich, dann erst würde man richtig zusammenleben können. Verdammt lange noch bis dahin!

 

Zum Kapitel gehört der Song "I only want to be with you" von den Bay City Rollers: https://youtu.be/CGD27WgtKhI

Zusätzlich gibt es "Don't go breaking my Heart" von Kiki Dee und Elton John, weil dies so im Kapitel erwähnt wird: https://youtu.be/EQmRgFzg0jI

 

22. Movie Star

 

Los Angeles, im Januar 1977…

 

Gemeinsam mit James Reston jr., Bob Zelnick, David und Caroline hielt John im Beverley Hilton Hotel Einzug. Als erste Amtshandlung kauften sie einen Panzerschrank, der den Männern bis zur Taille ging und verstauten darin das gesamte Recherche-Material. Jeder hatte sich als wahres Recherche-Wunder entpuppt, vor allem James hatte in Washington in den Archiven alles zusammengekratzt, was ihm auch nur ansatzweise wichtig erschien.

Dann begannen sie die einzelnen Interview-Sessions auf das Genaueste vorzubereiten. Vier Tage Aufnahme waren vertraglich vereinbart worden, jeder Tag war einem bestimmten Themenkomplex zugeordnet: Biografisches, Außenpolitik, Innenpolitik, und dann zum Schluss Watergate.

Als die ersten Konzepte standen, ‚probten‘ sie sogar in Rollenspielen diese Interviews. Üblicherweise musste Bob dabei den Präsidenten mimen, während sich John als David betätigte und James das Vorgehen kritisch beobachtete. David selbst war am wenigsten an diesen Vorbereitungen beteiligt, was vor allem James und Bob mit Sorge wahrnahmen. Sie beklagten sich daher bei John über seine mangelnde Arbeitsmoral.

John war zwar klar, dass die kritischen Nachfragen der beiden Amerikaner durchaus ihre Berechtigung hatten, aber er nahm David in Schutz und fing die Kritik ab, damit er ihr nicht direkt ausgesetzt war. Er zog sehr bewusst eine Mauer der Protektion um seinen langjährigen Weggefährten.

Während also David sich von den Medien feiern ließ, Kaviar und Hummer aß und Champagner schlürfte, bissen die anderen drei in der Hotelsuite zwischendrin mal schnell in hundsordinäre Cheeseburger.

Zeitgleich zu den ersten Tagen des Teams Frost im Beverley Hilton erreichten Lillian Chambers und Bernhard Ford im Eistanzen auf den Eislauf-Europameisterschaften in Helsinki leider keinen Platz auf dem Podest.

John hatte es am Rande mitbekommen und hoffte, dass dies kein schlechtes Omen für seine Arbeit und das gesamte Vorhaben in L.A. war. Wenn auch er mit David und den anderen den Podestplatz, das obere Treppchen nicht erreichen würde, konnten sie allesamt bei McDonalds um einen Aushilfsjob nachsuchen.

Um die Finanzierung stand es weiterhin nicht gut, was ursprünglich einmal Werbezeiten für große Unternehmen wie General Motors oder eben auch McDonalds einbringen sollte, wurde nun minutenweise an Düngemittel-Hersteller und Firmen für Heimtierbedarf verschachert.

David war Mit-Produzent des Kinofilms The Slipper and the Rose mit Richard Chamberlain und Gemma Craven in den Hauptrollen. Da der Film immerhin für einen Oscar nominiert war, konnte David wenigstens daraus ein paar finanzielle Mittel schöpfen, denn seine Talk-Show-Reihe war mittlerweile auch in Australien auf Eis gelegt worden.

Insgesamt – mit den sechshunderttausend Dollar für Nixon – pumpte man annähernd zwei Millionen Dollar in das gesamte Projekt. Es gab keinen Freund, keinen guten Bekannten, bei dem David dafür nicht in der Kreide stand. Das ganze Projekt war mehr als risikoträchtig, es war absolut waghalsig.

Die Gegenseite schlief natürlich nicht, Nixons Team hatte vor allem das Privat- und Berufsleben von Mr. Frost durchleuchtet und einige Schwachstellen entdeckt, an denen man ihn würde packen können.

Er galt als oberflächlich, als leicht arrogant, als eine Spur zu selbstbewusst und hatte den Ruf weg, sich gute oder besonders spektakuläre Interviewpartner einfach ‚einzukaufen‘, was als Scheckbuch-Journalismus betitelt wurde.

 

Los Angeles, im März 1977…

 

Um die Interviews aufzuzeichnen, musste man von Nixons Villa in San Clemente Abstand nehmen, da dort die US-Küstenwache eine Radarstation unterhielt, deren Frequenzen die Aufzeichnungen stören würden. Da man trotzdem in einem privaten Ambiente bleiben wollte, mietete man das Smith-House in Monarch Bay für sechstausend Dollar pro Monat an. Die treuen Republikaner Mr. und Mrs. Harold Smith hatten Nixon immer schon nachhaltig unterstützt.

Bevor am 23. März der erste Aufnahmetag begann, erhielt John Birt in seinem Hotelzimmer einen frühmorgendlichen Anruf aus Tokio, eine weibliche Stimme schrie ihm voller Begeisterung ins Ohr: „Silber! Silber! Silber! Wir haben den zweiten Platz belegt!!! Oh mein Gott, John, ich kann es selbst kaum glauben! Ein Wunder ist geschehen! Es war einfach traumhaft, wir sind gelaufen, als könnte nichts und niemand uns etwas anhaben.“

Er war noch schlaftrunken, erfasste anfangs nicht so recht die Tragweite der Nachricht; eigentlich war er froh gewesen, dass er trotz des bevorstehenden ersten Interview-Tages so gut und tief geschlafen hatte, doch dann riss ihn dieser Telefonanruf aus seinem wohlverdienten Schlummer und katapultierte ihn unversehens in den noch jungen Tag.

Er setzte sich halb im Bett auf und rieb sich müde die Augen: „Lillian? Was… was hast du gesagt? Träume ich?“

„Nein! Wach auf, John-Schatz! Es ist wahr! Bernhard und ich haben eine fette Silbermedaille um den Hals hängen und wir gehen nun feiern. Wie läuft es bei euch?”

„Oh… oh… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich freue mich so unglaublich für euch. Richte Bernhard einen schönen Gruß aus, ich gratuliere ihm aufs Herzlichste. Und dir natürlich auch, meine Süße. Hier geht es heute zum ersten Mal in die Vollen, du musst uns unbedingt die Daumen drücken. Gleich beginnen die Aufnahmen für das erste Interview.“

„Was, heute? Das ist bestimmt kein Zufall, John. Das wird sicher gut, genau wie bei uns auf der WM. Ihr werdet großen Erfolg haben, dessen bin ich mir sicher.“

John holte seine Brille vom Nachttisch und setzte sich diese auf, dann seufzte er: „Ich hoffe sehr, dass du Recht behältst. Ich habe leider momentan nicht so ein gutes Gefühl. Mir ist ganz flau im Magen, wenn ich an heute und die nächsten Wochen denke.“

„Immer mit der Ruhe. Das wird schon. Ich komme ja nun auch bald nach Los Angeles und stoße zu euch. Wir könnten eigentlich schon die Stunden zählen. Aber nun werden wir erstmal ein ordentliches Fass hier in Tokio aufmachen und danach selig in unser Bettchen sinken. Ich melde mich noch einmal vom Flughafen aus. Falls ich dich nicht erreichen sollte, hinterlege ich die genauen Flugdaten bei dir an der Hotelrezeption, okay?“

„Okay. Ich freue mich auf dich, aber ich fürchte, wir werden nicht sehr viel Zeit füreinander haben.“

„Macht nichts, Hauptsache, ich kann nachts neben dir liegen und dich spüren. Ich habe dich wahnsinnig vermisst.“

„Ich dich auch, mehr als ich sagen kann.“

„Viel Erfolg, Liebster.“

„Feier schön, meine Eisprinzessin.“

Bereits auf dem Weg zum Auto stritten sich James und Bob mit David und John um die Eröffnungsfrage. David war nicht davon abzubringen, den Tag – obwohl es nun erst einmal gar nicht um Watergate gehen würde – mit der Frage zu beginnen, warum die Bänder mit den Tonaufnahmen nicht einfach vernichtet worden waren. John unterstützte ihn in diesem Anliegen, James und Bob waren vehement dagegen.

Der verbale Schlagabtausch begann, doch war es mehr als das. Es war ein Psycho-Krieg. Und trotz der forschen ersten Frage von David lief es gar nicht gut für ihn. Nixon verstand es blendend, völlig vom Thema abzuschweifen und minutenlange Plädoyers für seine eigene Person zu halten. John musste schließlich nach einem fast zwanzigminütigen Monolog des Ex-Präsidenten einschreiten und die Aufnahmen unterbrechen.

Nixon hatte seinen Gesprächspartner völlig untergebuttert, dieser saß fast wie ein kleiner Schuljunge in seinen Sessel gekauert und starrte auf den Mann gegenüber von ihm, ähnlich hypnotisiert wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.

David war wütend. Wütend auf Nixon, aber vor allem wütend auf sich selbst. Die Vorhaltungen von John, James und Bob hörte er sich gar nicht erst an, er ergriff sogleich nach Ende des ersten Aufnahmetages regelrecht die Flucht.

Fassungslos starrten ihm die drei Männer hinterher. Wenn das so weiterging, war das Desaster vorprogrammiert. Nixon würde sich erheben wie der Phönix aus der Asche, die US-Bevölkerung würde am Ende sogar Mitleid mit ihm empfinden. Er hatte David geschickt in eine Ecke manövriert und sich selbst überragend gut dargestellt. Das konnte gewiss nicht die Zielsetzung der Interviews sein!

Noch immer versuchte John, den Druck von David zu nehmen und ihn ein wenig aus der Schusslinie von Bob Zelnick und James Reston herauszubringen. Doch langsam wurde es verdammt eng, vor allem, als er den beiden gestehen musste, dass bislang erst dreißig Prozent der Ausgaben gedeckt waren.

Wenigstens war der nächste Tag frei und er würde zumindest Lillian vom Flughafen abholen können. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen, ein winziger Lichtblick in all dem Chaos, das ihn momentan umgab.

Es war Frühling in Kalifornien, es wurde nun schon schön warm und man konnte sich auch bei länger andauerndem Sonnenschein mal an den Pool oder den Strand legen. Das würde Lillian nach dem ganzen Eis und dem langen Winter auf den Schlittschuhen bestimmt gut tun. Er hingegen musste arbeiten – aber sobald die Interviews dann Mitte April gelaufen waren, würde er mit Lillian noch ein wenig Urlaub hier machen.

John versuchte, die missmutigen Gesichter von Bob und Jim zu vergessen und nur noch an den kommenden Tag und Lillians Ankunft zu denken.

 

Zum Kapitel gehört der Song "Movie Star" von Harpo: https://youtu.be/vV0pcIRgcOk

23. Hotel California

 

Mit einem strahlenden Lächeln und einer langstieligen Rose nahm er seine Vize-Weltmeisterin in Empfang, die über die Datumsgrenze geflogen war und von daher sichtlich müde und erschöpft von den Anstrengungen der letzten Wochen war – einmal mehr oder weniger rund um die Welt, von der EM in Helsinki zur WM nach Tokio und von Tokio nach Los Angeles.

Zwar fühlte er sich nicht ganz so gut gelaunt, wie er sich Lillian gegenüber gab, aber die Probleme mit den Nixon-Interviews wollte er nun nicht sofort in ihre Beziehung tragen. Es hatte schließlich so gut wie nichts mit ihm und ihr zu tun.

Lillian sank ihm am Flughafen erleichtert in die Arme und zog stolz die Medaille unter ihrer leichten Jacke hervor: „Da ist das gute Stück.“

„Unglaublich! Ich bin schwer beeindruckt. Ich habe hier am Zeitungsstand sogar eine Sportzeitung erwischt, die darüber berichtet. Sie sind voll des Lobs über euer ausgewogenes und hochwertiges Programm auf dem Eis.“

„Das war vielleicht ein komisches Gefühl auf dem Siegerpodium neben zwei sowjetischen Spitzenpaaren zu stehen und zwischen deren Hammer-und-Sichel-Fahne unseren Union-Jack flattern zu sehen.“

„Ich kann es mir vorstellen.“

„Alles in Ordnung bei euch? Geht es David und Caroline gut?“

„Ja, es geht ihnen gut. Der erste Interview-Tag ist nun nicht gerade optimal gelaufen, aber man muss es positiv sehen und sagen, dass es auch hätte schlimmer kommen können.“

Lillian mochte zerschlagen und völlig erledigt von der Reise und den Strapazen der vergangenen Wochen sein, doch sie merkte sofort, dass John ein bisschen schnell das Thema abhaken wollte, also hielt sie ihn am Ärmel fest, damit er anhielt und sah ihm in die Augen: „Okay, sag es lieber gleich: Was war los? Große Scheiße?“

Er nickte nur, ohne zu antworten.

Lillian reckte sich zu ihm hoch und küsste ihn zart: „Ärmster. Und so wie ich dich kenne, wolltest du es mir nicht sagen, nicht wahr?“

Er nickte abermals, merkte nun aber an: „Ich meine, es hat nicht viel mit dir und mir zu tun. Es ist beruflich. Aber… aber…“, er stockte und brach ab, dann zog er von seinen Gefühlen überwältigt Lillian in seine Arme.

Die zierliche Eistänzerin verschwand fast völlig in seiner bärigen Umarmung.

Schließlich murmelte er an ihrem Ohr: „Ich bin so froh, dass du da bist. Ich ertrage den ganzen Mist besser wenn ich weiß, dass du am Abend auf mich warten und mich in der Nacht lieben wirst.“

„So schlimm?“

Ein drittes Nicken, dann setzten sie ihren Weg zum Parkplatz des Flughafens fort.

Sie bekam weder James Reston noch Bob Zelnick im Hotel zu sehen. Die beiden Herren hatten sich bereits auf ihre Zimmer zurückgezogen, berichtete Caroline. Nur sie und David begrüßten Lillian sehr herzlich und gratulierten ihr zum Vize-Weltmeistertitel. Doch beide verschwanden ebenfalls sehr schnell und vor allem David war zu kaum mehr als zu ein paar Minuten Smalltalk bereit.

„Ich sehe, die Stimmung ist in der Tat ein wenig gedrückt.“

Lillian packte gerade ihren Koffer aus und nahm Shampoo und Zahnputzzeug mit ins Bad.

„Kann man so sagen.“

„Was genau ist schiefgelaufen?“

„Ich habe mir heute, bevor du angekommen bist, teils die Bänder der Aufnahmen vom gestrigen Tag angesehen und war entsetzt. Wir müssen gut schneiden, um wenigstens noch ein wenig Davids Ehre zu retten. Nixon hat ihn völlig eingewickelt, ist vom Hundertsten ins Tausendste geraten, hat völlig vom Thema abgelenkt und David ist zu einer völlig unwichtigen Randfigur zusammengeschmolzen.“

„Das hört sich besorgniserregend an. Er wird es aber sicher in den kommenden Tagen besser machen und alles wieder rausreißen.“

„Das will ich ihm geraten haben, sonst kannst du mich als deinen Schlittschuhschleifer anstellen.“

„Eine überaus entzückende Idee.“

„Das war kein Scherz, Liebste.“

„Ich weiß, entschuldige bitte.“

John Birt warf sich quer übers Bett: „Das Schlimme ist, dass nun Nixons verdienstvollere Seiten Thema der nächsten Aufnahmen sind. Das wird verdammt schwer für David, da auch nur ansatzweise etwas entgegensetzen zu können.“

„Vietnam vielleicht?“

„Mal sehen. Er ist ein gerissener Hund, nicht umsonst nennt man ihn ‚Tricky Dick’, wie auch schon Jim so treffend gesagt hat. Er kann dir das Wort im Mund rumdrehen und alles blitzschnell zu seinem Vorteil auslegen.“

„Armer David.“

„Ich kann und will darüber heute nichts mehr hören, mir hängt diese Sache zum Hals raus. Bitte, bitte, komm ins Bett und mach, dass ich möglichst rasch den ganzen Mist vergesse, ja?“

„Nichts lieber als das, John-Schatz.“

Und mit diesen Worten kroch sie zu ihm aufs Bett und schmiegte sich verheißungsvoll an seine breite Brust.

Lillian schlief ihren massiven Jetlag aus. Daher bekam sie gar nicht mit, dass John und die anderen am Morgen bereits das Hotel verlassen hatten, um in Monarch Bay wiederum mit Nixon zusammenzutreffen.

Da sie so lange schlief, konnte sie auch nicht gemeinsam mit Caroline frühstücken. Die beiden Frauen trafen sich eher zufällig auf der Hotel-Terrasse am frühen Nachmittag und so tranken sie gemeinsam Tee unter einem Sonnenschirm im Freien.

„Wie geht es David? John sagte, er stünde gewaltig unter Druck?“

„Er schläft ziemlich schlecht, soviel kann ich sagen. Er teilt seinen Gemütszustand kaum jemandem mit, weder mir noch John. Den anderen beiden natürlich erst recht nicht. Ich merke nur, dass er an all dem ganz schön zu knabbern hat. Aber wenn ich frage, winkt er immer ganz gelassen ab. Was sicher nicht seine wahren Gefühle widerspiegelt. Er ist für ihn Gewohnheit, den Leuten etwas vorzugaukeln. Er ist ein Blender, ein Aufschneider, das ist schon richtig, und mir tut es weh, dass er sich nicht einmal mir gegenüber richtig öffnet und sein wahres Selbst zeigt. Manchmal blitzt es hervor. Ich sagte ihm bei unserem Kennenlernen auf dem Flug damals von London nach L.A., dass er so unsagbar traurige Augen hätte. Das hat ihn fast vom Stuhl gehauen, denn so schnell hat anscheinend noch niemand derart tief in ihn hineingesehen. Klar, dass er es sofort mit einem lockeren Spruch wieder überdeckt hat. Aber ich wusste gleich, was bei ihm nur Macherei und was wirklich David Frost bei ihm ist.“

Lillian lächelte: „Da kannst du dich glücklich schätzen. Nur schade, dass er sich selbst nicht über den Weg traut und auch dir oftmals nur seine blendende Fassade zeigt. Es muss sehr schwer sein für dich.“

„Ich habe mich daran gewöhnt. Ich weiß ja, dass es anders in ihm drinnen aussieht, auch wenn er es nicht zeigt.“

„Wenn ihr beide damit klarkommt, ist das ja auch in Ordnung.“

„Ich hoffe, es ändert sich nach diesen Interviews. Aber ich glaube, es ist eher unwahrscheinlich. Wenn die ganze Sache ein Erfolg wird, bekommt David wieder Oberwasser und sein Leben wird so glamourös und luxuriös sein wie zuvor, wenn nicht noch mehr. Ist es ein Flop, wird er sich für einige Zeit irgendwohin verkriechen, um dann wieder ganz Strahlemann mit einer neuen Idee für eine Fernseh-Show wieder aufzutauchen. Er ist das Stehaufmännchen par excellence.“

„Ja, das denke ich auch. Aber sie werden es schaffen, unsere Männer. Sie werden erfolgreich sein mit diesem Projekt.“

Caroline Cushing blickte Lillian Chambers an: „Du bist wirklich sehr optimistisch. Aber du hast Recht, es ist die beste Devise. Wir müssen an sie glauben.“

„Genau.“

„Weißt du was? Wir machen einen kleinen Einkaufsbummel über den Rodeo Drive und machen uns schick für heute Abend, wenn die Herren aus Monarch Bay wiederkommen. Hast du Lust?“

„Prima Idee. Zum Glück sieht es auf meinem Bankkonto dank des Gewinns des Vize-Titels nicht ganz so trübe aus diesen Monat. Von mir aus kann’s losgehen.“

Während die Damen die Boutiquen und Läden rund um den Santa Monica Boulevard unsicher machten, sank David in seinem Sessel im Smith-House immer weiter in sich zusammen.

Er spürte, dass Nixon nahe dran war Hackfleisch aus ihm zu machen, ihn zu einem unwürdigen Nichts zu degradieren, doch er war nicht fähig dagegen anzugehen.

James, Bob und John blickten sich im Nebenzimmer vor dem Monitor ratlos an, es blieb ihnen nichts anderes übrig, als tatenlos und sich die Haare raufend bei der Demontage von David Frost zuzusehen.

Nun rächte sich, dass David einfach zu wenig an den Vorbereitungen teilgenommen hatte, dass er nicht tief genug in die Materie eingetaucht war. Obwohl es ihm nun gelungen war, Nixon die eine oder andere unbequeme Frage zu stellen, kam der Ex-Präsident weiterhin sehr souverän, um nicht zu sagen klar dominierend, rüber.

Bevor David zu einer Verabredung mit weiteren potentiellen Geldgebern verschwand, steckte er kurz und mit sichtlich aufgesetzter Fröhlichkeit den Kopf zu James, Bob und John herein: „Besser?“

Noch bevor sein Team ihm antworten konnte, war er jedoch mit einem breiten Grinsen auf den Lippen schon verschwunden.

Als David Frost später im Hotel ankam, wartete nur noch eine sichtlich enttäuschte Caroline auf ihn.

„Wo sind die anderen? Hätten wir nicht gemeinsam wohin gehen können heute Abend?“

„David, ich will ehrlich zu dir sein: Sie sind vor etwa einer Stunde weg zum Dinner und hatten ganz offensichtlich wenig Lust, auf dich zu warten und mit dir – und somit zwangsläufig auch mit mir – essen zu gehen.“

„Sie sind ohne uns gegangen?“

„Ja.“

„Oh“, er schaute einen Moment lang ungläubig drein, fasste sich aber sofort wieder und strahlte Caroline dann ganz schnell an, „egal, dann gehen wir beide eben noch schick aus. Neues Kleid?“

„Ich war heute Nachmittag mit Lillian ein bisschen bummeln.“

„Wirklich schön. Wo gehen wir hin?“

 

Zum Kapitel gehört der Song "Hotel California" von den Eagles: https://youtu.be/lrfhf1Gv4Tw

24. Love and Marriage aka Frost and Nixon

 

Los Angeles, im April 1974…

 

James Reston klatschte sich wütend eine Portion Kartoffelsalat auf seinen Pappteller während der Mittagspause dieses Aufzeichnungstages: „Menschenskind, ich habe heute zwei der Techniker hier sagen hören, dass sie damals kein einziges Mal Nixon gewählt hatten, aber wenn er sich heute zur Wahl stellen würde, würde er auf alle Fälle ihre Stimme bekommen! Wenn es das ist, was du erreichen wolltest, David, dann hast du ganze Arbeit geleistet, danke!“

John Birt verzog das Gesicht, er würde so gerne etwas entgegenzusetzen haben, aber ihm waren sämtliche Argumente ausgegangen. David musste sich jetzt der Kritik seiner Hintermänner aussetzen, sie aushalten. Er konnte ihm in dieser Situation nicht mehr helfen.

Die Stimmung war deutlich gereizt, es lag etwas Gewitterähnliches in der Luft über Monarch Bay.

David wusste nicht, ob er die Gardinenpredigt einfach über sich ergehen lassen  oder er besser die Flucht ergreifen sollte.

Er fühlte sich unbehaglich, denn James und Bob steuerten direkt auf ihn zu, mit einem John im Schlepptau, der müde und abgeschlagen wirkte, und der ihm nun ganz sicher nicht mehr zu Hilfe kommen würde.

James drosch weiter verbal auf ihn ein, während David den Rückzug in einen engen Gang zwischen Garage und Grundstücksmauer antrat: „Du legst zuviel Wert auf unwichtige Sachen. Wen interessiert es, ob Nixon auf Reisen immer sein Bett aus dem Weißen Haus mitgenommen hat?“

„Mich interessiert’s.“

„David, das ist Schwachsinn! Das ist der banale Anekdoten-Kram, auf den man nur Wert legt, wenn man ein Tal…“, Jim biss sich noch rechtzeitig auf die Lippen.

David wirbelte herum: „Was? Wolltest du vielleicht gerade ‚Talkshow-Gastgeber’ sagen?“

James beschloss, ehrlich zu sein und nickte: „Ja. Das wollte ich sagen.“

„Gut. Ich teile euren generellen Pessimismus nicht! Aber sollte hier einer unter euch sein, der meint, dass das Unternehmen scheitern wird, der soll es nur sagen und dann am besten seiner eigenen Wege gehen, bevor er mit dieser Einstellung noch andere infiziert.“

Er blickte alle drei fest an, nun war es an James, sich unbehaglich zu fühlen. John Birt kam sich trotz seiner enormen Körpergröße plötzlich sehr klein vor, er wäre am liebsten in ein Mauseloch gekrochen, während Bob Zelnick sich nur verlegen das Kinn rieb.

„Nun? Niemand? Gut. Ich schlage vor, wir hocken im Hotel nicht alle aufeinander und gehen uns erst einmal ein wenig aus dem Weg über die Osterfeiertage.”

Er wollte sich zum Gehen wenden, drehte aber noch einmal um: „Außer morgen Abend vielleicht, da wäre es schön, wenn ihr Caroline und mich zu Patrick Terrails neuem Lokal zu einer kleinen Feier begleiten würdet.“

Bob konnte sich die ironische Frage nun doch nicht verkneifen: „Um was zu feiern, David? Die Tatsache, dass das hier den Bach runtergeht und wir alle bald bei Burger King arbeiten werden?“

Es war fast wie ein Schlag ins Gesicht für David, doch er rappelte sich ein letztes Mal hoch und antwortete: „Meinen Geburtstag.“

Alle blickten sich schuldbewusst an.

„Ich möchte meinen Geburtstag feiern – mit ein paar Freunden.“

 

David saß jedoch mit ziemlich versteinerter Miene - für ein Geburtstagskind jedenfalls - im ‚Ma Maison‘, das David ein wenig unter Wert als Patrick Terrails neuen Laden angepriesen hatte, neben Caroline, John und Lillian.

Ihm gegenüber hatten - zwischen ihnen unbekannten Damen in eleganter Abendkleidung - Bob und James Platz genommen, die das glamouröse Ambiente mit großen Augen bestaunten. Sie wirkten beide wie Highschool-Lehrer aus dem hintersten Oklahoma, die versehentlich in eine Hollywood-Party geraten waren. Sie hatten nicht einmal einen Abendanzug oder Smoking an.

Von Live-Musik am Piano begleitet gab ein gutgelaunter Neil Diamond sein Ständchen für David zum Besten, er hatte dafür den bekannten Sinatra-Song Love and Marriage ein wenig umgedichtet: „Frost and Nixon, Frost and Nixon, go together like Prancer and Vixen…“

Jim stieß Bob den Ellbogen in die Seite: „Oh mein Gott! Sieh doch! Sind das Bunnys? Das ist doch Hugh Hefner mit Michael York, oder? Dann müssen das richtige, echte Bunnys sein!“

Den beiden fielen fast die Augen aus dem Kopf.

Erst als Neil Diamond zum Schluss seines umgedichteten Songs kam, rührte sich etwas in Davids versteinertem Gesichtsausdruck, er stand lächelnd auf und nahm den Applaus der Gäste entgegen, der sowohl ihm als auch der Darbietung von Neil Diamond galt.

Er schnitt die überdimensionale Torte an und war dann doch wieder der Strahlemann der Nation.

John brachte Lillian ihren Kuchenteller an den Platz: „Ich bin nur froh, dass diese Party uns alle ein wenig auf andere Gedanken bringt. Auch wenn Neil Diamond das furchtbar lieb gemeint hat, war der Song gerade nicht so der Brüller. Die Interviews sollten heute besser außen vor bleiben. Sogar unsere beiden Oberlehrer beginnen gerade aufzutauen. Wir sollten ihnen ein wenig auf die Finger schauen, sie stieren den Damen bereits in den Ausschnitt. Schließlich sind die Herren verheiratet.“
Lillian lachte: „Hat dich das damals etwa gehindert?“

„Nein, aber ich war auch nicht so ein braver, völlig kleinkarierter Zeitgenosse. Meine Ehe war ohnehin schon am Arsch. Ich möchte nicht, dass die beiden etwas tun, was sie nachher ganz fürchterlich bereuen.“

„Ich finde es reizend von dir, dass du dir um ihr Seelenheil Sorgen machst. Es zeigt mir, dass dir die Jungs irgendwie am Herzen liegen.“

John schluckte ein Kuchenstück herunter: „Ja, das tun sie. Wir mögen nicht immer einer Meinung sein, wir mögen einiges kontrovers sehen, aber es sind feine Kerle. Und ich möchte, dass sie genau das bleiben: Feine, anständige Kerle.“

„Lieb von dir. Geh doch einfach hin und sag ihnen das.“

John nickte. Er stand auf, nahm seinen Kuchenteller, küsste Lillian kurz und quetschte sich dann auf der anderen Seite zwischen Bob und eine üppige Brünette. Die schmiegte sich sogleich an den um einiges attraktiveren John, doch dieser rückte lächelnd von ihr ab und deutete auf Lillian, die mit dem Zeigefinger drohte.

„Ach so, dann mach Platz und lass mich wieder an den niedlichen Bobby, Mann.“

„Der niedliche Bobby, mein Herzchen, ist ganz niedlich verheiratet und wird hier nicht vereinnahmt!“

„Uh, der Moralapostel hat gesprochen. Lass das mal die Sorge von Bobbylein und mir sein, du britischer Landjunker.“

Mittlerweile hatten Bob und Jim das Gespräch mitgekriegt und grinsten verlegen.

John beugte sich zu ihnen: „Nur gucken, Freunde, nicht anfassen! Klar?“

„Ähm, klar… sonnenklar. Wir verstehen. Danke, Kumpel.“

John lächelte gerührt und erhob sich wieder.

Er stellte seinen leeren Kuchenteller ab und zog Lillian mit sich auf die Tanzfläche: „Wollen mal sehen, ob ich das, was du mir an Tanzen beigebracht hast, noch intus habe. Darf ich also bitten?“

„Mit dem größten Vergnügen, Mr. Birt. Hast du die Hasenjagd erfolgreich abgeblasen?“

„Ich denke ja. Ich möchte nicht, dass zu all den Querelen wegen der Interviews nun auch noch private Probleme bei denen auftauchen. James fliegt ja nun auch über Ostern nach Washington zurück, er möchte seine Familie gerne sehen.“

„Verstehe. Wenigstens gönnt er sich mal ein kleines Päuschen. Ich glaube, es ist ganz gut so, bevor ihr euch hier alle noch die Köpfe einschlagt. Man muss manchmal einfach ein wenig Abstand gewinnen.“

„Du sagst es. Lass uns aber bitte nicht mehr über berufliche Dinge reden, ich möchte den Abend einfach nur genießen.“

 

Ein sehr einsamer David Frost saß auf der Bettkante im Beverly Hilton und legte den Telefonhörer auf. Er hatte soeben erfahren, dass sowohl in England als auch in Australien seine Shows endgültig aus dem Programm genommen wurden.

Er war den Tränen nahe, bekämpfte sie aber tapfer.

Alle waren weg. Nur Caroline war noch da, sie war aber kurz nach unten gegangen und wollte ihm etwas zu essen mitbringen. Bob und James verbrachten Ostern bei ihren Familien, und auch John und Lillian waren für das verlängerte Wochenende nach Colorado Springs geflogen, wo sie wiederum in der Skihütte romantische Tage verbrachten, wie bereits schon ein Jahr zuvor.

Er fühlte sich vor den letzten Interview-Aufzeichnungen wie ausgebrannt und im Stich gelassen. Wenn Caroline nicht gewesen wäre, wäre er sicher durchgedreht.

Das Telefon schrillte plötzlich so laut, dass er zusammenzuckte. Ach, das war gewiss Caroline, die vom Imbiss aus anrief, um ihn nach seinen Wünschen zu fragen.

Apathisch hob er den Hörer ab und murmelte: „Ich nehme einen Cheeseburger.“

Die Stimme Nixons ertönte aus dem Telefon: „Hmh, hört sich gut an.“

David ließ den Hörer beinahe fallen vor lauter Schreck.

Als Nixon seinen nächtlichen Telefonmonolog in sichtlich angetrunkenem Zustand gehalten hatte, legte David Frost überaus nachdenklich auf. Er musste nun die letzten Kräfte mobilisieren, das wurde ihm mit einem Mal klar.

Er erinnerte sich an eine der wichtigen Passagen aus dem Gespräch eben: „Wir werden es diesen Hurensöhnen schon zeigen, nicht wahr?“

„Ja. Allerdings kann nur einer von uns gewinnen.“

„Und ich werde Ihr schärfster Kontrahent sein. Ich werde alles geben, was ich habe, denn das Rampenlicht kann nur auf einen von uns scheinen. Für den anderen wird es die Wildnis sein, das Nichts. Mit niemandem an seiner Seite, außer unseren Stimmen, die ihm noch durch den Kopf schwirren.“

Entschlossen stand David auf und öffnete den Safe. Er musste nun selbst recherchieren, es musste eine Schwachstelle geben, an der man Nixon packen konnte. Irgendeine Kleinigkeit, und wenn er sich recht erinnerte, hatte James Reston einmal von einer Unterhaltung zwischen Nixon und Charles Colson gesprochen, dass er dort Unstimmigkeiten gefunden hätte, aber noch einmal deswegen das Archiv des US-Bundesgerichts aufsuchen wollte.

Er wühlte sich durch Bänder, Unterlagen und Daten. Als er müde wurde, trank er einen starken Kaffee. Und dann hatte er die Diskrepanz gefunden. Mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen wählte er James Restons private Nummer in Washington an.

 

Colorado Springs, Ostern 1977…

 

Von alledem ahnten John und Lillian in Colorado Springs nichts. Sie gingen zum Skilaufen nach Monarch Mountain, hatten Sex im hauseigenen Whirlpool und kochten gemeinsam, ein ähnliches Programm wie ein Jahr zuvor, nur dass Lillian diesmal nicht trainieren musste. Sie nutzen die dreieinhalb freien Tage in den Bergen intensiv aus, aber dennoch war die Zeit knapp bemessen.

John kam nur einmal, am letzten Abend ihres Aufenthaltes, auf die finale Phase der Interviews zurück: „Ich befürchte – leider, muss ich dazu sagen - dass Nixon David völlig auseinandernehmen wird. David gibt ihm zu wenig Kontra, und selbst wenn er ihm mal einen Schlag versetzt, gewinnt er schnell wieder die Oberhand und schwafelt ihn mit Nichtigkeiten halb zu Tode. Wir können nur noch hoffen, dass sich wenigstens einigermaßen Quote mit der Ausstrahlung machen lässt. Nixon schlecht dastehen zu lassen, wie es vor allem James und Bob wollten, ist leider gar nicht gut gelungen.“

„Warten wir es einfach mal ab. Noch ist nicht alles aufgezeichnet, es kann sich immer noch das Unerwartete ergeben. Der Gegner kann urplötzlich patzen und sich flachlegen, genau wie beim Eislaufen auch. Und bevor man sich’s versieht, schwupp, hat man eine Medaille um den Hals hängen, um es mal in meiner Fachsprache zu sagen.“

„Ich glaube, das passiert bei euch auf dem Eis öfter, als bei so etwas, wie wir es gerade durchziehen. Da geht wohl eher eine Kuh durchs Nadelöhr, als dass David nun noch das Steuer wird herumreißen können. Wenn nur nicht so gottverdammt viel Geld mit drinhängen würde!“

Lillian zog ihn im warmen Wasser des Whirlpools auf sich: „Wie kann ich dich trösten?“

Er küsste sie lange und verzehrend, dann antwortete er nach Atem ringend: „Ich wüsste da schon was…“

„Verstehe. Dein Körper drückt es gerade sehr unmissverständlich aus.“

Und mit diesen Worten griff sie unter Wasser zart, aber dennoch zielorientiert nach besagter Körperstelle.

John Birt schloss die Augen in großer Vorfreude.

 

Zum Kapitel gehört der Songe "Love and Marriage" hier in der Version von Frank Sinatra (im Film wurde der Song von einem Darsteller als Neil Diamond gesungen, der eine Zeile in "Frost and Nixon" umtitelte): https://youtu.be/_5-OEOdAUzU

25. The Winner takes it all

 

Los Angeles, im April 1977…

 

John Birt traf am Morgen des letzten Aufzeichnungstages mit Bob Zelnick in der Hotellobby zusammen: „Schöne Ostern gehabt?“

„Danke, ja. Du und Lillian auch?“

„Ja, leider ein wenig kurz. Wir sind erst gestern Abend spät zurückgekommen und ich habe David noch gar nicht gesehen. Du vielleicht?“

„Nein, tut mir leid. Aber ich hörte, dass James schon seit vorgestern Abend wieder da sein soll, früher als geplant.“

„Interessant.“

John blickte auf seine Uhr: „Wo bleibt er, es ist halb neun.“

In diesem Moment öffneten sich die Türen des Aufzugs und ihm entstiegen David und James. Zielstrebig und ohne große Worte zu machen, marschierten sie dem Ausgang zu, eilten zum wartenden Auto.

Nur ein kurzer knapper Gruß an John und Bob: „Guten Morgen. Können wir?“

John und Bob blickten sich ratlos an. Was war denn da los?

Caroline hatte mit Lillian vereinbart, dass sie gegen Abend nach Monarch Bay hinausfahren wollten, um die Männer dort zu treffen und ein klein wenig zu feiern, es war immerhin der letzte Tag der Interviews und alle hatten sich ein bisschen Ablenkung nach der harten Arbeit verdient. Außerdem war Caroline klar, dass in David in den letzten drei Tagen etwas vorgegangen sein musste. Er hatte geschuftet bis zum Umfallen und hatte sich stundenlang mit James eingeschlossen gehabt. Es lag eine deutliche Spannung in der Luft, das war unverkennbar.

 

Jack Brennan musste das laufende Interview in letzter Sekunde unterbrechen, um zu verhindern, dass Nixon sich vor den laufenden Kameras völlig die Blöße gab. Frost war sehr fordernd und wie ein großer Polit-Journalist aufgetreten und hatte Nixon kaum mehr Luft zum Atmen gelassen.

Doch Nixon wusste trotz der von seinem Berater-Team auferlegten Zwangspause, dass er unterlegen war. Er wusste, er musste die von Frost geforderten Antworten geben. Er wusste zwar nicht, wie Frost das genau gemacht hatte, woher er so plötzlich die Unterlagen mit der Aufzeichnung des Telefongesprächs zwischen ihm und Charles Colson hatte, er wusste nur, dass es keinen Zweck mehr hatte, sich herauszuwinden. Er würde dadurch noch den letzten Funken an Glaubwürdigkeit verlieren, und dieses Risiko wollte Richard Nixon nicht eingehen.

So saß er mit leerem Blick in seinem Sessel, unbarmherzig angestrahlt von den Scheinwerfern, diesmal kümmerten ihn die Schweißperlen auf seiner Oberlippe nicht, denn er war der amerikanischen Nation etwas schuldig: „Ja, ich habe Fehler gemacht. Schreckliche Fehler. Fehler, die eines Präsidenten unwürdig waren. Und all diese Fehler bedaure ich zutiefst. Zwar waren es Fehler des Herzens, nicht des Verstandes, aber ich habe sie gemacht und kann sie niemand anderem anlasten. Ich habe mich selbst untergehen lassen.“

„Und das amerikanische Volk?“

„Ich habe es im Stich gelassen. Ich habe meine Freunde im Stich gelassen. Ich habe das Land im Stich gelassen. Das Schlimmste von allem: Ich habe unser Regierungssystem im Stich gelassen und verraten, und damit die Träume all der jungen Leute, die gerne in der Regierung arbeiten würden, nun aber denken, dass man so einem korrupten System besser nicht die Hand reichen sollte. Ich habe das amerikanische Volk im Stich gelassen und diese Last werde ich ein Leben lang zu tragen haben. Mein Leben in der und für die Politik ist vorüber.“

Es herrschte tiefes Schweigen überall im Smith-House. Man hätte eine Stecknadel auf den dicken Teppichen fallen hören können, ganz sicher. Die Kameras fingen das tieftraurige, leicht geschwollene Gesicht Nixons ein. Diese Nahaufnahme sagte fast mehr, als alle seine Worte. Er war ein geschlagener Mann.

Jack Brennan presste seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und schaute betreten in die Runde der Nixon-Berater.

Im Zimmer auf der anderen Seite des Hauses starrten John, James und Bob in einer Mischung aus Faszination und Ungläubigkeit auf den Monitor.

David Frost saß dem niedergeschlagenen Ex-Präsidenten gegenüber und hatte in der Tat Tränen in den Augen. Welch ein überwältigender, emotionaler Augenblick! Und welch ein Triumph in allerletzter Minute!

Während Nixon sichtlich müde und angeschlagen das Haus verließ und draußen einem Dackelhündchen abwesend über das Köpfchen strich, kamen Caroline und Lillian ins Smith-House.

Erst da kam Bewegung in die Sache. John, James und Bob erhoben sich endlich von ihren Plätzen und lachten lauthals.

Nur David stand noch für einen Moment ruhig am Fenster und beobachtete den traurigen Abgang Richard Nixons.

Caroline öffnete die erste der Champagner-Flaschen, die sie mitgebracht hatte und schenkte allen ein. Die Herren genehmigten sich eine dicke Zigarre, von David spendiert. John jedoch hielt es einfach nicht mehr im Haus. Er musste sich bewegen, all den Irrsinn rauslassen. Lillian starrte ihm verblüfft hinterher. Er schlüpfte auf der Terrasse aus Schuhen und Strümpfen und lief durch die Dünen zum Strand. Dort ließ er sich kurz in den Sand fallen und zog seine Anzughose mitsamt Slip aus. Während er zum Wasser hin rannte, knöpfte er sich das Hemd auf, zog es aus und ließ es juchzend fallen. Dann warf er sich nackt wie Gott ihn geschaffen hatte in die Fluten des pazifischen Ozeans, laut lachend und frohlockend.

Lillian holte sich ein Handtuch aus dem Badezimmer und ging ihm langsam hinterher.

Sie ließ ihre Schuhe ebenfalls auf der Veranda und lief barfuss weiter. Sie hatte ihn selten zuvor so außer Rand und Band, so ausgelassen, fröhlich und albern gesehen. Er war meist sehr kontrolliert und zeigte Gefühle nur selten. Vor allem nicht in seinem beruflichen Umfeld.

Gut gelaunt ließ er sich von den Wellen ein wenig hin- und herschaukeln, bis er schließlich Lillian zum Strand kommen sah. Er grinste, der Schalk saß ihm gerade sehr im Nacken.

Sie rief ihm zu: „Kommst du raus?“

Er nickte, noch immer dümmlich vor sich hingrinsend. Zwar kam er auch aus dem Wasser auf sie zu, doch kurz bevor er sie erreicht hatte, merkte sie, was er vorhatte.

Sie quiekte auf: „Nein! John, nein!“

Sie sprintete los, doch gegen seine langen Beine hatte sie keine Chance.

Er packte sie lachend von hinten, fast mühelos und zerrte sie mit sich ins Wasser.

Ein Brecher überrollte sie beide und nun war nicht nur Lillian, sondern auch noch das Handtuch komplett nass.

„Und nun?“

„Was nun? Du hast ja immerhin ein Kleid an, auch wenn es nass ist. Ich hingegen muss nackig an all den Leuten vorbei.“

„Dein Hemd und deine Hose liegen am Strand, weiter oben.“

„Wenn der Wind die Klamotten nicht weggeweht hat.“

„Hat er sicher nicht.“

„Schade, mir stand der Sinn gerade nach ‚Erregung öffentlichen Ärgernisses’.“

Lillian lachte: „Erregung vielleicht – aber ob das so ein Ärgernis ist, wage ich zu bezweifeln.“

Er lachte noch mehr: „Für dich ist es das ganz gewiss nicht, das ist mir klar. Aber ich möchte ja nicht, dass unsere Herren Oberlehrer der Neid packt. Also werde ich mir schön brav meine Sachen wieder anziehen, bevor wir ins Haus zurückkehren und die Party mit unserer Anwesenheit beehren.“

„Angeber!“

Sie balgten sich spielerisch noch ein Weilchen im Wasser, dann kehrten sie Hand in Hand zum Smith-House und den anderen zurück.

Am Abend des 18. April 1977 feierte man doppelte Verlobung. Unter dem Gejohle von James Reston jr. und Bob Zelnick versprachen sich sowohl David Paradine Frost und Caroline Cushing, als auch John Leo Birt und Lillian Chambers feierlich die Ehe. 

 

Epilog 1

 

Die Ausstrahlung des ersten Teils der insgesamt vierteiligen Interviews im Mai 1977 zog die unglaubliche Zahl von fünfundvierzig Millionen Zuschauer vor die Fernsehschirme in den USA, ein Rekord, der übrigens noch heute für Sendungen mit rein politischem Inhalt besteht!

Alle bekamen ihr Geld doppelt und dreifach zurück.

Lillian nahm noch mit Bernhard Ford an den Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid teil, danach ging Bernhard als Trainer nach Kanada. In Großbritannien rückte mit Jayne Torville und Christopher Dean ein anderes Eistanzpaar nach, deren Ruhm und Erfolge den Namen Chambers/Ford sehr bald vergessen machten.

Kurz nach der Winter-Olympiade 1980 heirateten Lillian und John in einer sehr bescheidenen standesamtlichen Zeremonie, feierten aber anschließend umso exklusiver in Smithfield in einem sehr noblen und angesagten Restaurant.

David Frost kam verspätet zur Hochzeitsfeier, weil ihm seine Frau Caroline an diesem Tag einen Sohn geboren hatte! 

 

Epilog 2

 

Sir David Frost ist bis heute der einzige TV-Journalist dieser Welt, der sechs britische Premierminister (von 1964 bis 2007) und sieben US-Präsidenten (alle seit Nixon) interviewt hat. Er hatte bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2013 noch immer unregelmäßig TV-Shows im Programm.

Lord Birt kehrte im Jahr 1982 zu LWT zurück, wurde 1987 freiberuflich für die BBC tätig und war deren Generaldirektor von 1992 bis 2000. Danach war er als politischer Berater für Tony Blair tätig und zog sich nach dessen zweiter Amtsperiode ebenfalls ins Privatleben zurück. Er ist jedoch noch politisch tätig, denn er wurde in das House of Lords berufen und nimmt dort bis zum heutigen Tag nach wie vor gerne seine Pflichten wahr.  

 

Zum Kapitel gehört der Song "The Winner takes it all" von ABBA: https://youtu.be/CLd-P6lZMms

 

ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.03.2017

Alle Rechte vorbehalten

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