Cover

Before Coffee

Before Coffee

 

What the fuck ist falsch an der deutschen Sprache? Ganz egal, worum es geht, jeder Pimp glaubt seiner Professionalität mit ein paar englischen Begriffen auf die Sprünge helfen zu können. Nach dem Motto: Wenn ich dafür sorge, dass du mich nicht verstehst, hältst du mich für besonders smart und clever. Vor dem ersten Coffee to go geht bei mir nix. Die Welt liegt grau unter meinem gedanklichen Shitstorm, und der Tag beginnt, ohne dass mich jemand gefragt hätte, ob ich schon bereit bin für den ganzen Bullshit. So what, das ist das Leben. Als Pädagoge schlage ich mich gelegentlich ohnehin mehr mit Begriffen als mit Inhalten rum. Ganz egal ob es sich um Diggadeutsch oder um die politisch korrekte Sprachakrobatik meiner Kollegen handelt. Viele schöne Worte sind einfach in Vergessenheit geraten. Worte wie „Nichtsnutz“ oder „Nutznießer“.

 

Laut Duden ist ein Nutznießer jemand, der den Nutzen von etwas hat oder einen Vorteil aus etwas zieht, was ein anderer erarbeitet hat. Meines Erachtens eine Spezies, die sich durch ihre Allgegenwärtigkeit und Penetranz im sozialen Miteinander auszeichnet. Gerade Familien mit Kindern und womöglich Haustieren sind von diesen parasitären Lebensbegleitern befallen und belastet. Ich erhebe nicht den Anspruch, auch nur im Ansatz alle Arten und Vertreter dieser Eigenschaften zu erwähnen, geschweige denn zu bearbeiten. Selbst in meinem Umfeld beschränke ich mich auf die Spitzenreiter, welche mir durch besonders raffinierte Methoden die Früchte meiner Bemühungen streitig machen.

Da wären z.B. die kleinen nutzlosen Tiere, die meine Frau eines Tages mit nach Hause brachte. Wie sie auf diese Idee kam? Man weiß es nicht. Vielleicht war es ein Anflug hormoneller Übersteuerung oder der fehlgeleitete Trieb, hilflosem Leben unter die Arme greifen zu wollen. Ich persönlich hätte das Geld lieber in eine Kiste Schnuller investiert, um der terroristischen Brut meines Nachbarn ein für alle mal das Maul zu stopfen.

An dieser Stelle merke ich an, die sprichwörtlich leisen Sohlen, auf denen Katzen durch die Gegend schleichen, sind ein Gerücht, das sicher vor Jahren von irgendwelchen mutierten Vertretern dieser Gattung in die Welt gesetzt wurde. Überhaupt scheint mir die Lobby, die diese possierlichen Tierchen um sich errichtet haben, wenig menschlich. Da liegt die Vermutung nahe, dass die Evolution in grauer Vorzeit Schabernack trieb und diese Vierbeiner das Sprechen lehrte. Meine Frau behauptet heute noch, die kleinen Lieblinge würden sie verstehen. Mag es an der Unterschiedlichkeit der Geschlechter liegen, mich verstehen sie jedenfalls nicht. Meine wiederkehrenden Versuche mich ihnen zu erklären, bleiben weitgehend ignoriert, während meine bloße Anwesenheit desweilen auf Ablehnung stößt. Aber zurück zu den Sohlen.

Es kommt nicht häufig vor, aber ich habe mich tatsächlich in diesem Fall durchsetzen können. Tagsüber führt das Getier die alleinige Herrschaft über Haus und Hof, regelt den Verkehr und die Unterbringung von Flöhen, Zecken, sowie anderen Kleinsttieren. Nächtens aber bestehe ich auf ein katzenfreies Schlafzimmer. Geräusche rauben mir den Schlaf, als lebte ich in einem Schloss voller Katzengespenster, die ihrer Vorliebe für Highheels und rasselnde Ketten freien Lauf lassen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie mit dem Ohr an der Tür lauschen, bis sie das leiseste Schnarchgeräusch aus meiner trockenen Kehle dringen hören. Mit vor Schadenfreude verzerrten Gesichtern stimmen sie sogleich ein Geschrei an, welches nicht im Entferntesten an jenes herkömmliche Miauen erinnert, das leichtgläubige Menschen diesen Tieren nachsagen. Viel mehr sind es Geräusche, die meiner Meinung nach nicht mal in dieser Welt ihren Ursprung fanden. Schon sitze ich aufrecht im Bett, verfolgt von dem eben begonnenen Traum, in dem die anderen Nutznießer meiner Familie durch Katzenhorden massakriert werden. Tatsächlich hat so ein Katzengeschrei manchmal Ähnlichkeit mit heulenden Kindern. Auch das Trommelfeuer, das ihre Pfoten im Anschluss an meiner Schlafzimmertür veranstalten, ist in seiner Ausdauer und Penetranz dem Effekt des hungrigen Babygeschreis nicht unähnlich.

Möglicherweise sind es einfach perfide Gesellen, die aus dem Weltall zu uns gekommen sind, um unsere Gesellschaft zu infiltrieren und zu unterwandern. Mich wundert es jedenfalls nicht, dass bisher nur Hunde ins Weltall geschossen wurden. So was haben Katzen nicht nötig. Wenn die nach Hause wollen, rufen die sich einfach ein Weltraumtaxi und düsen ganz entspannt durch die Galaxy. Das würde auch die Tage erklären, an denen sie nicht heimkommen. Meine Frau ist dann immer unerträglich. Mit sorgenverzerrter Mine steht sie am Fenster und ruft mit fisseliger Stimme ins Leere, weil sie offenbar der Meinung ist, kätzisch zu können.

Wir haben drei Katzen. Eine Mutter, ihr Sohn und das gemeinsame Kind der Beiden. Ich persönlich finde es widerlich. Besonders, wenn der alte ödipale Sack, der inzwischen seiner Frau und Mutter überdrüssig ist, der kaum geschlechtsreifen Tochter nachstellt. Meine Frau stört das nicht. Ich glaube, es ist ihr nicht mal aufgefallen, dass sie als Halterin eine gewisse Mitschuld an den inzestuösen Übergriffen ihrer Schutzbefohlenen trägt. Obwohl sich doch viele Tierschutzvereine um die Rettung und Pflege von misshandelten Katzen kümmern, scheint bis heute niemand Interesse an der moralischen Integrität dieser Gattung zu haben. Wie verstörend mag es auf Kinder wirken, die in der Atmosphäre solch missbräuchlicher Übergriffe aufwachsen müssen.

 

Kinder. Bevor man welche hat, scheinen sie das höchste und erstrebenswerteste Gut zu sein, welches einzig und allein in der Lage ist, das Glück einer kleinen Familie zu vollenden. Man gibt sich heillos romantischen, fast kitschigen Phantasien hin und glaubt, trotz eindeutig abschreckender Beispiele, denen man zwangsläufig in jedem öffentlichen Verkehrsmittel begegnet, dass nur man selbst einen kleinen Sonnenschein in die Welt setzen kann. Für einen Moment prallt das fortpflanzungsfreudige Paar auf die Realität, wenn nämlich das Weib im Sagen umwobenen Schmerz der Niederkunft ihren Mann verflucht. Aber die menschliche Psyche ist im Umgang mit der Realität mehr als erfahren. Selbst rationale Männer mit logisch orientierten Persönlichkeitsstrukturen begrüßen ihre kleinen Scheißer mit gutturalen Lauten und lächerlichen Wortschöpfungen, die nichts mit vernünftigem Deutsch zu tun haben.

Die ersten Wochen und Monate sind überschattet von einem entrückten Gefühl, das bar jeglicher Vernunft mit einem Anflug von Stolz zu beschreiben ist. Man betrachtet das Ergebnis seiner Lenden und glaubt echt was Tolles zustande gebracht zu haben. Dass es nichts weiter ist als eine naturbedingte Konsequenz, zu der sogar Amöben in der Lage sind, lässt man völlig außer Acht. Vorsorglich raubt der Neue seinen Eltern den Schlaf um sicher zu gehen, dass sie seine vollkommene Unzulänglichkeit nicht bemerken und ganz in der Erfüllung seiner Bedürfnisse aufgehen. Der Schlafentzug vernebelt die Sinne, und ganz allmählich glaubt man, ohne den kleinen Scheißer nicht mehr leben zu können. Wie weggeblasen sind die Erinnerungen selbst bestimmten Daseins mit Spontaneität und Abenteuerlust. In schöner Gleichmäßigkeit passt man sich dem verordneten Rhythmus an, den sich der kleine Diktator in seiner Wiege ausgedacht hat.

Die größte Lüge ist aber die, wenn sich Eltern einreden, dass sie aus dem Gröbsten raus seien, nur weil der Herr neuerdings aufs Töpfchen geht und nicht mehr in die Windel macht. Abgesehen davon, dass es überhaupt keine Arbeitserleichterung ist, stundenlang neben dem Kerl zu sitzen, bis er endlich fertig ist, muss auch die Sauerei weggemacht werden, wenn wieder mal das Töpfchen am schwitzigen Arsch kleben geblieben ist und der Inhalt der Sitzung über den Boden läuft, keine große Erleichterung.

 

So um das dritte Lebensjahr beginnt der Nachwuchs mit der bewussten Abrichtung und Manipulation seiner Eltern. Mit perfiden Tricks sucht er mindestens ein Elternteil in seinen Bann zu ziehen und studiert ungeniert das seltsame Verhalten seiner scheinbar ausgewachsenen Mitmenschen. Mein Sohn z.B. warf regelmäßig Bücher aus einem Regal, das in der Mitte des Raumes stand, und studierte dabei weniger das Verhalten der fallenden Bücher, als mein Gesicht und die Tatsache, dass ich mich veranlasst sah, die Bücher wieder an ihren Ort zu stellen. Die Freude, mit der er das tat, war das Entzücken über seinen putzigen Papi, der offenbar mit so einfachen Mitteln zu unterhalten war.

Oder im Supermarkt. Es ist mir fast unmöglich nicht in die glotzenden Augen eines Dreijährigen zu zwinkern, der nur, weil du hinter seinem verdammten Einkaufswagen stehst, dich anschaut als wärst du der erste Mensch. Besonders fies sind die, die anfangen zu heulen, weil dein blödes Auge wieder mal tut was es will. Dann wirst du von wildfremden Frauen völlig falsch interpretiert und musst dir anhören, dass du sicher ein sehr netter Mann seist.

 

Spätestens um das fünfte Lebensjahr beginnt man darauf zu warten, dass der Nachwuchs älter wird. Das liegt zum einen daran, dass man keine Ahnung hat, dass es auch schlimmer werden kann, und zum anderen, dass einem der Kleine vorgaukelt, schon ein ganzer Kerl zu sein. Im Kindergarten gehört er bereits zu den Platzhirschen, die seit Jahren Erfahrung im Umgang mit den jeweiligen Erzieherinnen haben und das, was die Basteltanten von ihm wollen, beherrscht er längst aus dem ff.

Ich habe mal den Fehler begangen, in diesem Alter mit meinem Sohn einen Drachen steigen lassen zu wollen. Natürlich waren wir nicht die Einzigen auf der Wiese, und mein Anspruch war es selbstverständlich, den anderen Vätern zu zeigen, dass mein Kind kaum mit ihren liederlichen Blagen zu vergleichen sei. Mit kurzen und prägnanten Kommandos instruierte ich ihn, wie er sich zu verhalten habe und was ich von ihm erwarte. Er hörte mir aufmerksam zu und bohrte dabei mit seinem Finger ein kleines aber stetig größer werdendes Loch in den Plastikdrachen. Dessen gewahr, erinnerte ich ihn an unser gestecktes Ziel und wies ihn an, sich nun mit dem Drachen gegen den Wind zu entfernen. Schnurstracks machte sich der Kleine auf den Weg und riss mir die Drachenschnur aus der Hand, die ich natürlich nicht in diesem Tempo abrollen konnte. Kaum hatte er die angemessene Entfernung erreicht, ließ er den Drachen fallen und staunte nicht schlecht, dass sein Vater offensichtlich nicht in der Lage war, einen Drachen steigen zu lassen. Hilfsbereit lief er sogleich auf mich zu, stolperte über die Drachenschnur und brüllte was das Zeug hielt. Nachdem ich ihn aus der Drachenschnur befreit hatte, wollte er nach Hause und eine Waffel essen. Mein etwas dickliches Kind neigt dazu, Misserfolge mit ungesunden Lebensmitteln zu vergiften. Erfüllt von plötzlicher Panik, mein Sohn könnte später mal im Drogensumpf versacken, und mit den hämischen Blicken der anderen Väter in meinem Nacken, verließ ich den Ort meiner Schande mit dem schmollenden Kind.

Ähnlich erging es mir übrigens auf dem Bolzplatz, beim Fahrradfahren Üben und an einem schwarzen Tag, als ich versuchte, mit meinem Sohn eine Runde auf den neuen Inlineskates zu drehen. Es ist verdammt noch mal nicht leicht festzustellen, dass das eigene Kind eben sowenig Interesse an Bewegungsspielen hat, wie man selbst in diesem Alter.

 

Sind sie erst zehn, glaubt man tatsächlich alles richtig gemacht zu haben. Plötzlich entwickelt das Kind Humor und kann sogar etwas mit der elterlichen Ironie anfangen. Drachensteigen lassen ist keine Problem mehr, selbst Fahrradfahren und Schwimmen funktionieren einwandfrei. Das Kind versteht Kritik und gibt sich nach bestem Wissen und Gewissen Mühe, den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Ein Alter, in dem ich meinen Kindern selbst mein Auto anvertraut hätte.

Liebe Väter, genießt diese Zeit. Auch wenn sie trügerisch und nur ein Anlauf in die Pubertät ist, so ist sie doch die schönste Zeit, die ihr mit euren Kindern haben könnt. Sie wird nicht reichen, um die Energie zu tanken, die es bräuchte, um als Vater unbeschadet durch die Pubertät zu kommen, aber es wird das letzte Mal für viele Jahre sein, in der ihr glaubt, das Leben im Griff zu haben.

 

Mein Sohn verblödete mit zwölf.

Plötzlich sind Begriffe wie Papa oder Mama nicht mehr zeitgemäß. Bei deinen neuen Namen handelt es sich selbstverständlich um Anglizismen, die dein Kind in irgendeiner schlechten Sitcom aufgeschnappt hat. Dein Kind, das in der Schule gerade mal eine Vier in der Englischklassenarbeit zustande bringt, gibt dir Namen wie Maaam oder Daaad. Dabei wird der Vokal auf enervierende Art und Weise in die Länge gezogen, die eher an das Blöken einer Bergziege erinnert als an einen Namen, den du dir aufgrund deiner jahrelangen Opferbereitschaft verdient hättest. Solltest du versehentlich in die Situation geraten, dein Kind aus der Schule abholen zu müssen, wirst du behandelt wie ein Schüsselchen Erbrochenes. Während sich dein Kind früher freute, dich zu sehen, bist du ihm heute eher peinlich. Du fungierst bestenfalls als sonderbarer Chauffeur, den sich dein Kind hält, in Ermangelung besseren Personals. Wenn du nicht ignoriert wirst, dient deine Körperfülle, deine Frisur oder gar dein Familienauto der allgemeinen Belustigung. Dein Kind spricht in deiner Anwesenheit völlig ungeniert mit seinen Freunden über deine vermeintlichen Unzulänglichkeiten, als wärst du nicht zugegen oder gar nicht vorhanden. Auch im familiären Zusammenleben verlierst du zunehmend an Bedeutung und erreichst bestenfalls den Status einer Zimmerpflanze. So erklärte mir mein Sohn, nachdem ich ihn fragte, warum meine Zahnbürste neben der Toilette liege, er habe den Platz am Waschbecken gebraucht. 

 

Ebenso selbstverständlich belehrte er mich einige Jahre später, nachdem ich ihn fragte, warum an meinem Nassrasierer kleine schwarze Locken kleben, dass er sich im Gegensatz zu mir auch im Intimbereich pflege.

Irgendwann kommt dann der Moment, an dem dein Kind das Leben und sich selbst hinterfragt. Je nach augenblicklichem Beziehungs- und Beliebtheitsstatus, fällt sein Urteil unterschiedlich aus. Nach einer etwa zweiwöchigen Liebesbeziehung, die an ihrem Zenit mit Sicherheit für die Ewigkeit halten sollte, fragt er mich, warum ausgerechnet er geboren wurde. Und als ich ihn dann noch bat, den Müll mit runter zu nehmen, kippte die Situation, und mir wurde deutlich gemacht, dass ich schließlich auch nicht unschuldig an seiner Existenz sei. Dabei spürte ich die Verachtung, die er meinem Egoismus entgegenbrachte. Nicht genug, dass ich aus purer Selbstsucht überhaupt ein Kind gezeugt hatte, nein, ausgerechnet er hätte es sein müssen. Eben nicht irgendein Kind, sondern ihn, die Krone der Schöpfung. Und nun wolle ich, ohne ihm jemals für seine Gnade gedankt zu haben, dass er den Müll runter bringe.

Natürlich habe ich den Müll selbst entsorgt. Die frische Luft und der kleine Weg zu den Mülleimern tat mir gut und gaben mir Kraft für die nächsten fünf Minuten. Mein Sohn nutzte die Zeit, um unseren gesamten Aufschnitt zu verzehren und die letzte Milch zu trinken, die ich mir für meinen Nachmittagskaffe aufbewahrt hatte.

 

Dabei verstehe ich durchaus, wenn Eltern zum Problem werden. Nach meinem Auszug aus dem elterlichen Heim begannen die alten Leute mich psychisch zu terrorisieren. Bis heute höre ich den weinerlichen Unterton in der Stimme meiner Mutter, wenn sie bei jedem Telefonat so tut, als würde sie mich kaum erkennen, weil ich mich so selten melde. Ihre Methodik erinnert an die eines Heizdeckenverkäufers. Ohne mit der Tür ins Haus zu fallen bemüht sie sich, mit jedem Kommentar ein schlechtes Gewissen zu erzeugen, das mich nötigen soll, mein Verhalten ihren Wünschen entsprechend umzustellen. Ich weiß nicht, woher sie die Informationen hat, aber plötzlich gräbt sie alte Klassenkameraden aus, die ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe, und berichtet von deren fantastischen Karrieren ohne zu erwähnen, dass mein berufliches Fortkommen in ihren Augen wenig Grund zum Angeben gibt. Bei ihren Freundinnen entschuldigt sie sich für meinen mangelnden Erfolg damit, dass ich meinen Beruf so liebe und dass es auch männliche Pädagogen geben müsse. Allerdings hat sie trotz meiner fachlichen Kompetenz keinerlei Verständnis für meine erzieherischen Methoden. Sie liebt meine Kinder und versucht bei jeder Gelegenheit zu retten, was ich im Laufe der Jahre aus ihrer Sicht falsch gemacht habe. Es ist aber auch ein verdammt ungleiches Spiel, ein Fernsehverbot auszusprechen, wenn es nur drei Sender gibt, die bis zum frühen Nachmittag lediglich ein Testbild senden. Außerdem bin ich im Wirtschaftswunder mit dem Bewusstsein groß geworden, dass alles zwangsläufig besser wird. Da gehörte der jährliche Auslandsurlaub noch zum guten Ton, und um sein Kind zu erziehen, musste man sich nicht durch das Internet wühlen, um halbwegs zu wissen, wo das Kind seine Zeit verbringt. Mein Vater hatte einen sicheren Job und musste sich keine Sorgen um seine Rente machen.

 

Ich bin Pädagoge. Ein Beruf, der vorwiegend von Frauen, die schlechthin auch als das „schwache Geschlecht“ bezeichnet werden, dominiert wird. Der Begriff „dominiert“ trifft in diesem Fall oft im doppelten Sinne ins Schwarze, während „schwaches Geschlecht“ eher als schlechter Scherz zu verstehen ist. Ich wurde bisher nicht direkt auf meinen Penis angesprochen, auch wenn ich zuweilen das Gefühl habe, dass er der Stein des Anstoßes ist. Selbst Erzieherinnen sind nicht blöd, sodass die grundsätzliche Ablehnung eines Penisses gerade in ihren Augen unklug ist. Ganz im Gegenteil. Der Wunsch nach einem pädagogischen Penisträger ist da, schließlich haben die lieben Kleinen sowieso kaum männliche Bezugspersonen, weil sich die elenden Kerle zuhause lieber um ihre doofe Karre kümmern, als um ihre Kinder. An dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass die Redewendung „elende Kerle“ in keinster Weise abwertend oder gar feindselig wirken soll. Es gehört lediglich zu den wenigen Begriffen, die man noch ungestraft ohne großes „I“ schreiben darf. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich nicht doch irgendwo schon mal KerlInnen gelesen habe.

Es ist aber auch nicht leicht. Meine Kindheit war geprägt von Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga. Die eine konnte alles, und der andere war zu doof, um mit einer Suppenschüssel umzugehen.

 

In den 70ern versicherten mir behaarte Frauen in Batikröcken, dass es ok sei zu weinen. Ich solle meinen Gefühlen freien Lauf lassen und auch zu meiner weichen Seite stehen. Eine fiese Finte. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben und bin bei jeder Gelegenheit in Tränen ausgebrochen. Zum ersten Mal begriff ich, dass Frauen nicht unbedingt meinen, was sie sagen. Denn so lange meine Tränen flossen, blieb mir der Griff unter den Batikrock verwehrt. Ich lernte schnell, dass die Redewendung „wer ficken will, muss nett sein“ von irgendeiner asexuellen Emanze kreiert wurde, die uns arme Sünder auf die falsche Fährte locken wollte. Frauen wollen Männer, die ihren eigenen Kopf haben. Aber nichts ist schöner, als jenen Kopf mit allen Mitteln zu bekämpfen. Gibt man sich dem Leichtsinn der Liebe hin und entspricht des Weibes Wünschen, wirst du im Handumdrehen zum profillosen Wendehals, und der Batikrock flattert von dannen. Für Frauen ist Harmonie der Liebestöter schlechthin. Ich hatte schon Beziehungen, in denen wirklich alles stimmte, und nur aus purer Vernunft habe ich hier und da ein paar Probleme inszeniert, damit die Dame was hat, an dem sie sich reiben kann. Der größten Sorgfalt aber bedarf es in den Tagen vor den Tagen. Eine Zeit, in der deine Frau das Leben wie unter psychedelischen Drogen wahrnimmt. Das heißt, die Probleme, die sie in dieser Zeit anspricht, sind durchaus da. Nur eben nicht so drastisch, wie sie sie formuliert. Die Fehler, die du machst, sind nicht schlimmer als die, die du den Rest des Monats machst. Sie werden nur deutlich härter bestraft. Deine Frau fühlt sich wie ein verletzliches rohes Ei, und du solltest wissen, dass man für Eier einen Vogel braucht. Liebe sie, wenn sie es am wenigsten verdient, und halte auch die andere Wange hin.

Den Spott über Schuhe, Handtaschen und deren Inhalt überlasse ich Mario Barth. Meine Frau ist etwas spezieller. Aus ihrer Tasche dringt der beißende Geruch esoterischer Öle. Als Heilpraktikerin hat sie immer ein paar Fläschchen Irgendwas dabei, das sie bei jeder Gelegenheit zückt und großzügig in der Gegend versprüht. Was mag den Naturheilkundler veranlassen zu glauben, dass Heilung nur funktioniert wenn's stinkt? Vermutlich lenkt es einfach von den Beschwerden ab. Nach dem Motto: Valium ist gut gegen Durchfall. Es hilft nicht, aber es stört auch nicht mehr. Ich persönlich traue keinem. Nicht der Naturheilkunde und nicht der Schulmedizin. Nur wenn meine Frau ihre leckeren Globuli zückt bin ich dabei. Mit einer kaum nachweisbaren Spur von obskurer Essenz und jeder Menge Zucker kann sie mir damit den Tag versüßen. Ich bin ein verknöcherter nihilistischer Typ.

 

Jedenfalls wäre ich das gern. Jeder Blick in den Spiegel erstaunt und schockiert mich zutiefst. Geboren im falschen Körper, blickt mich ein freundlicher, proportional missglückter Pädagoge an. Intellektuelle Transsexualität. Eigentlich müsste da ein hagerer, morbider Typ mit Künstlerlocke und markanten Zügen stehen. Nicht mal mein zynischer Sarkasmus hält meine Tränendrüsen unter Kontrolle. Während meine Kinder fröhlich kichernd Heidi gucken, sitze ich schluchzend auf dem Sofa und kämpfe mit meiner Contenance. Die Stelle, wenn sie aus Frankfurt zurück kommt, oder die, wo Clara zum ersten Mal steht, macht mich einfach fertig. Meine Frau tröstet mich mit den Worten, ich sei so ein Typ wie Dr. House. Harte Schale, weicher Kern. Ach, könnte ich mich doch auch durch die Brille der Liebe sehen. Eigentlich bin ich kein Problem. Ich mach nur gerne welche. Wieder ein Irrtum der Natur. Männer unter 170 cm haben in der Regel einen ausgeprägten Geltungsdrang, um ihre mangelnde Körpergröße zu kompensieren. Ich bin 187 cm groß und benehme mich zuweilen, als wäre ich kaum größer als ne Parkuhr. Haben Sie sich schon mal gegoogelt? Wenn ich meinen Namen da eingebe, würgt Google kurz und dann steht da „Der Popel“. Ein frühes Werk. Keine Ahnung, was ich mir damals gedacht habe. Hätte ich gewusst, dass mein Name einst mit diesem Titel in Verbindung gebracht wird, hätte ich irgendwas über Gott oder einen hageren morbiden Typen geschrieben.

 

Jesus. Ich wurde sehr christlich erzogen. Jeden Sonntag zwangen mich meine Eltern in die Kirche, und dort stand ich in der Erwartung, nun endlich erleuchtet zu werden. Nach meiner Konfirmation durfte ich zum ersten Mal am Wein nippen. Voll Hoffnung, das geistige Getränk würde meine Wahrnehmung erweitern, kann man sich nicht vorstellen, wie enttäuscht ich war, als ich feststellte, dass es sich um eine widerliche alkoholfreie Plörre handelte. Später nahm ich Rache und rauchte meinen ersten Joint an einem Kirchentag hinter dem Gotteshaus. Leider hatte auch das nicht die erleuchtende Wirkung.

Irgendwann brachte mich die Lebenserfahrung und die vielen Geschichten, die ich über Jesus und seine Eltern gehört hatte, an einen Punkt, den meine gottesfürchtigen Eltern mit ihrer Erziehung sicher lieber vermieden hätten. Ich analysierte und deutete die heilige Schrift.

Zunächst fiel mir der deutliche Altersunterschied zwischen Maria und Josef auf. Sie, ein junges Ding in den besten Jahren und er, der alte Zimmermann, der seinen Lebensabend mit jungem Blut versüßen wollte. Dann wird sie schwanger und will die Frucht unbefleckt empfangen haben. Nee, ist klar... Vermutlich hatte sie ein Schäferstündchen mit irgendeinem knackigen Tischler hinter der Werkbank und wollte dann dem alten Trottel einen Bären aufbinden. Für heutige Verhältnisse eine schlechte Ausrede. Aber damals war halt alles besser. Vor allem für Jesus. Kein Wunder, dass sich die Würdenträger gern mal an Jungs vergreifen. Das hat Tradition. Jesus umgab sich mit zwölf Jüngern. Keine Ahnung, wie jung die waren, aber es wird schon seinen Grund haben, dass es Jünger und nicht zwölf Älter waren. Zwölf langhaarige Jungs, die Jesus mächtig zugetan waren, ihm überall hin folgten und an seinen Lippen hingen. Und wenn er sich dann mit Maria Magdalena traf, haben die beiden schön über Haarpflege und Männer geplaudert. Ich finde, da gibt es nichts dran zu meckern. Ist alles schlüssig und logisch. Nur wird aus dieser Perspektive der Homosexualität gerade in Kirchenkreisen heutzutage mehr als Unrecht getan.

Leider findet meine Deutung im christlichen Umfeld wenig Anklang. Ich möchte sogar sagen, dass ich dort immer wieder auf Ablehnung stoße und meine Auseinandersetzung mit dem Thema nicht gewürdigt wird. Ich will den Christen ihren Glauben auch gar nicht madig machen. Es wäre nur schön, wenn sie die Dinge sehen könnten wie sie sind und ihr Herz öffnen würden für die Vielfalt, die Gott weiß wer auf die Erde gezaubert hat.

 

Glaube und Politik sind Themen, mit denen Kriege und Schlägereien an Stammtischen beginnen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich ein ziemlich unpolitischer Typ bin. Das liegt wohl daran, dass ich mich nicht gern prügle oder in Kriege ziehe. Trotzdem hätte ich eine Idee für eine Oppositionspartei. Mein Wahlprogramm wäre schnell erklärt, da es mit einem Satz vollkommen auskäme: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Andern zu!“ Ich räume ein, dass dieses Wahlprogramm möglicherweise Lücken aufweist. Allerdings ist das Motto, der Stärkere gewinnt, das sich aus anderen Wahlprogrammen ziehen lässt, auch nicht viel umfangreicher. Aber lassen wir das. Politik ist was für kurzsichtige Visionäre, die einen Hammer brauchen um, über ihren Tellerrand zu schauen.

 

Wie soll man auch Weitsicht in einer Gesellschaft entwickeln, in der es gar keine Teller mehr gibt? Die Perspektive eines BigMac ist einfach begrenzt. Die Pappschachtel verstellt den Blick aufs Wesentliche, und der Nährwert ist keineswegs geeignet, den Geist in einem gesunden Körper zu transportieren. So ist es auch kein Wunder, dass die Leute immer fetter werden. Aber was um Himmels Willen veranlasst die Menschen, diese Tatsache zu ignorieren? Mit welchem Recht tragen sie ungeachtet jeglicher Konsequenzen Kleidung, die ihnen nicht passt? Welchen Sinn macht es, fettes Gewebe in ungleich dünneres zu stopfen? Die Schönheit der Schöpfung hat Grenzen, und der Mensch führt den Ekel vor Spinnen, Schlangen und Konsorten ad absurdum. Ich bin begeisterter Trash-TV Junkie und lasse keine Dschungel-Staffel aus, aber was mich schockt, sind meist nicht die Känguruhoden.

Es ist das Recht der Jugend sich abzugrenzen, und ich gebe zu, dass wir nicht viel übrig gelassen haben. Es ist völlig normal, sich die Fresse mit Blech vollzutackern, oder sich von Kopf bis Fuß mit irgendwelchen Weisheiten oder Devotionalien zu bemalen. Das, was früher seinen Platz an Scheißhauswänden fand, steht nun garantiert auf irgendeinem Körperteil. Der einzige Schocker, der noch übrig ist, sind die Leggins. Ein Kleidungsstück, das die zerfetzte Lederjacke zur Abendgarderobe macht. Wenn ich mir die Klamotten der 80er in Erinnerung rufe muss ich schmunzeln. Was aber müssen die armen Mädels denken, wenn sie in zwanzig Jahren Fotos von sich in Leggins betrachten...

Na, mir kann es egal sein. Die Kaffeemaschine brüllt und zuckt den orgastischen Endspurt. Dampfend fließt das braune Gold in meinen Becher und schenkt mir den Frieden, den ich brauche.

 

Impressum

Texte: Freimut Falk
Bildmaterialien: Freimut Falk
Tag der Veröffentlichung: 17.04.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /